Nachbarn - Solidarität in unsicheren Zeiten - Caritas Bern
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Bern Nr. 2 / 2020 Nachbarn Solidaritätin unsicherenZeiten DieCorona-KrisetrifftauchMenschen diebislangaufdersicherenSeitelebten Wirallesindgefordert
Inhalt Inhalt 3 Editorial Kurz & bündig 4 News aus dem Caritas-Netz Schwerpunkt BildZoeTempest 6 Solidarität in unsicheren Zeiten Schwerpunkt JacquelineKüntiistselbstständigeWochenbebegleiterin 10 Prekäre Arbeit: Leben mit der ImLockdownkonntesieihrerArbeitnichtmehrnachgehen Unsicherheit undgerietwiesovieleinfinanzielleSchwierigkeiten Persönlich Schwerpunkt 12 «Wann hast du zum letzten Mal jemandem geholfen? Wobei?» Solidarität in Sechs Antworten von Passantinnen und Passanten unsicheren Zeiten Regional Die Corona-Krise trifft diejenigen am heftig- 14–16 Wenn die allgemeine Krise sten, die bereits vor der Krise wenig hatten. zur eigenen wird Besonders betroffen sind Menschen in prekä- ren Arbeitsverhältnissen: Arbeitnehmende im 17 Entschleunigen – mit Kochen, Stundenlohn, auf Abruf, schlecht bezahlt. De- Fotografieren und Reisen ren ohnehin unsichere Lage verschärfte sich oft dramatisch. Die Massnahmen zur Eindäm- mung der Pandemie treffen aber auch Bevölke- Ich will helfen rungsgruppen, die scheinbar sicher unterwegs 18 Junge Freiwillige verhindern waren, beispielsweise Selbstständigerwerben- de. Jacqueline Künti, Wochenbettbegleiterin die Schliessung der Caritas-Märkte aus dem Kanton Bern, konnte nicht mehr zu den jungen Müttern nach Hause. Von einem Kolumne Tag auf den anderen brachen ihr die Aufträge weg. Die Caritas konnte ihr mit einer Über- 19 Das wunderliche Gefühl brückungszahlung durch die ärgste Phase von der Gemeinschaft Unsicherheit helfen. Lesen Sie in dieser Num- mer, wie die Caritas dank ihrer Erfahrung und der grossen Solidarität der Bevölkerung hilft, und was Unsicherheit mit uns allen macht. Spannende Lektüre wünschen wir! abSeite 2 Nachbarn 2 / 20
Editorial Liebe Leserin, lieber Leser Die Folgen der Corona-Krise sind für viele Menschen noch im- mer schwerwiegend. Auch bei uns im Kanton Bern. Besonders stark betroffen sind armutsbetroffene Familien, alleinerziehen- de Mütter und Väter sowie Alleinstehende, die bereits vorher am Existenzminimum lebten. Sie befinden sich in einer existenziel- len Notlage – offene Rechnungen, kaum genügend Lebensmittel und Artikel des täglichen Bedarfs prägen ihren Alltag. Viele von ihnen arbeiten zudem in Tieflohnbranchen – etwa im Detail- handel oder Gastgewerbe, in der Reinigung oder in Privathaus- halten in prekären Arbeitsverhältnissen. Nicht wenige davon Bild: zvg haben von einem Tag auf den anderen ihre Arbeit verloren oder müssen aufgrund von Kurzarbeit mit einschneidenden Lohn- Matthias Jungo einbussen auskommen. Co-Direktor Caritas Bern Täglich erreichen uns Anrufe und E-Mails von armutsbetroffe- nen Menschen, die wegen der Corona-Krise in Not geraten sind. Wir unterstützen sie rasch und unkompliziert mit Einkaufsgut- scheinen für die Caritas-Märkte und finanzieller Soforthilfe. «Nachbarn», das Magazin Dank der Unterstützung der Caritas Schweiz, der Glückskette, der regionalen Caritas-Stellen, erscheint zweimal jährlich. von namhaften Stiftungen sowie grosszügigen Einzelspenden konnte die Caritas Bern diese Unterstützungsaktion realisieren. Gesamtauflage: Der Bedarf an finanzieller Unterstützung und Beratung ist nach 34 200 Ex. wie vor ungebrochen hoch. Die Überbrückungshilfe wird je nach Auflage BE: den finanziellen Möglichkeiten verlängert. 4100 Ex. Das Coronavirus ist noch immer da und wird noch über längere Redaktion: Zeit unseren Alltag weiter bestimmen. Und wir werden weiter- Hana Kubecek (regional) hin alles tun, um für diese Menschen in Not da zu sein. Roland Schuler (national) Mehr über Schicksale, die betroffen machen, erfahren Sie in die- Gestaltung, Produktion und Druck: ser «Nachbarn»-Ausgabe. Stämpfli AG, Bern Caritas Bern Zähringerstrasse 25 3012 Bern Tel. 031 378 60 00 www.caritas-bern.ch Matthias Jungo PC 30-24794-2 PS: Mit Ihrer Spende unterstützen Sie armutsbetroffene Fami lien und Alleinstehende im Kanton Bern, die sich in einer aku- ten Notlage befinden. Herzlichen Dank für Ihre Solidarität. Nachbarn 2 / 20 3
Kurz&bündig Solidaritätsaktion «Eine Million Sterne» Corona-Hilfe Dieses Jahr ganz Caritas unterstützt – besonders nötig in der Krise erst recht Die Caritas-Solidaritätsaktion «Eine Für viele Menschen an oder unter der Million Sterne» findet dieses Jahr am Armutsgrenze ist die Caritas in der 12. Dezember statt. Die Caritas macht Corona-Krise eine wichtige Stütze. Mithilfe dann besonders auf die wachsende der Glückskee und vieler grosszügiger Armut in der Schweiz aufmerksam und Unterstützerinnen und Unterstützer hält wirbt für Solidarität mit Betroffenen. Caritas in der Krise die Stellung. Die finanzielle Not von vielen Menschen an der Armuts- grenze wurde mit der Corona-Krise und dem Lockdown noch akuter. Schon früh war klar: Caritas muss trotz unklarer Lage und unter Schutzvorkehrungen für Mit- arbeitende und Freiwillige ihre Angebote für Armuts- betroffene möglichst aufrechterhalten – jetzt erst recht. Das gelingt der Caritas dank motivierten Mitarbeiten- den und Freiwilligen, der Glückskette und der grossen BildThomasPlain In der Schweiz leben rund 1,2 Millionen Menschen unter oder knapp über dem Existenzminimum. Die Folgen der Corona-Massnahmen treffen diese Men- BildDominicWenger schen besonders hart. Working Poor, Menschen in unsicheren Anstellungsverhältnissen oder in Bran- chen, die vom Lockdown besonders hart getroffen wurden, müssen noch mehr kämpfen, als dies vor «Corona» ohnehin schon der Fall war. Solidarität in der Bevölkerung. Aufgrund der Erfahrung Zurzeit sind die sozialen Folgen noch nicht absehbar. der Caritas als Hilfswerk und der starken regionalen Sicher ist: Menschen in schwierigen Lagen brauchen Verankerung konnte rasch und auf die Bedürfnisse in unsere Unterstützung. Sie brauchen unsere Solidari- den Regionen abgestimmt reagiert werden. tät. Als Zeichen dieser Solidarität wird am Samstag, 12. Dezember 2020, in der ganzen Schweiz die Aktion Die Caritas-Regionalorganisationen bieten Unterstüt- «Eine Million Sterne» Kerzen zum Leuchten bringen. zung mit ihren bewährten Angeboten wie den Caritas- Märkten und den Sozial- und Schuldenberatungen. Hier Save the date! wurden zum Teil neue Stellen geschaffen, um die hohe Machen auch Sie Ihre Solidarität mit benachteilig- Anzahl Anfragen zu bewältigen. Direkt geholfen wird ten Menschen sichtbar, und reservieren Sie sich den mit Einkaufsgutscheinen für die Caritas-Märkte, Aldi 12. Dezember für ein Zeichen für eine faire Schweiz! und Lidl im Wert von über 300 000 Franken sowie mit Auf wwweinemillionsternech finden Sie ab November finanzieller Soforthilfe bei offenen Mietzins- oder Kran- alle relevanten Informationen. Ebenfalls ab Novem- kenkassenrechnungen im Wert von 2,6 Millionen Fran- ber können Sie Ihre Solidarität wieder mit einer der ken (Zahlen: Stand Ende August). Auch neue Angebote beliebten Wunschkerzen bekunden: wurden ins Leben gerufen. wwwwunschkerzeeinemillionsternech wwwcaritasch/corona 4 Nachbarn 2 / 20
Kurz&bündig Caritas Schweiz Peter Marbet wird NEWS neuer Direktor DankefürdievielenMeinungen! InderletztenAusgabedes«Nachbarn»erfragtenwirdie Meinung unserer Leserscha zu unserem Magazin Er- freulichvieleLeserinnenundLesernahmenanderUm- frageteilGanzherzlichenDankdafür!Aktuellläudie Auswertung Eine Schlussfolgerung lässt sich heute be- reits ziehen Einer grossen Mehrheit gefällt das «Nach- barn»sehrDasfreutunsnatürlichundsporntunsanfür SieweiterhineininformativesundansprechendesMaga- zinzuproduzieren Caritas-LieferdienstinBaselland «Bleiben Sie zu Hause» lautete das Gebot der Stunde während des Corona-Lockdowns in der ersten Jahres- hälevorallemfürPersonenabodermitVorerkran- kungenFürdieArmutsbetroffenenund-gefährdetenin Bildzvg ländlichenGebietenweitwegvomCaritas-Marktinder StadtmussteeineLösungherDieCaritasbeiderBasel startete in enger Zusammenarbeit mit Pfarreien einen Der neue Direktor von Caritas Schweiz LieferdienstDieserläubismindestensEnde heisst Peter Marbet. Er tritt am 1. Novem- ber 2020 die Nachfolge von Hugo Fasel CaritasAargaueröffneteineweitereSozialberatung an. Dieser geht nach zwölf Jahren an der Im Juni eröffnete die Caritas Aargau eine neue Spitze der Organisation in Pension. Sozialberatungsstelle im Pfarreizentrum Kleindöingen Der Kirchliche Regionale Sozialdienst KRSD Zurzibiet Peter Marbet (Jahrgang 1967) stammt aus Bern und wird die Seelsorge der Kirchgemeinden ergänzen und studierte neuere Geschichte und Politologie. Später ermöglichtesderCaritasnahebeidenMenschenHilfe absolvierte er die Ausbildung zum Executive Master anzubieten Mit dem KRSD Zurzibiet startet bereits die of Business Administration in NPO-Management achteSozialberatungsstellederCaritasAargau der Universität Freiburg. Der neue Caritas-Direktor wwwcaritas-aargauch/sozialberatung bringt viel Management- und Führungserfahrung sowie breite Kompetenzen in gesundheits-, bildungs- und sozialpolitischen Fragestellungen mit. Diese CaritasLuzernWechselinderGeschäsleitung erwarb er sich an verschiedenen beruflichen Statio- DanielFurrertriamOktoberdieNachfolge nen: als Informationsbeauftragter bei einer grossen vonThomasThalialsGeschäsleiterderCaritasLuzern Krankenversicherung, als Mitglied der Direktion an Der politisch engagierte und gut vernetzte -Jäh- bei santésuisse und Leiter der Abteilung Politik und rige wirkte vorher als stellvertretender Geschäsleiter Kommunikation sowie in seiner letzten Funktion als und Leiter Dienstleistungen und Kommunikation beim Direktor des Berner Bildungszentrums Pflege. Als SAHZentralschweizundistMitglieddesGrossenStadt- Stadtrat der Stadt Bern (Legislative) und Mitglied rats Luzern Auch neu in der Geschäsleitung ist seit verschiedener parlamentarischer Kommissionen ist Anfang September Karin Hunziker Leiterin Berufliche er auch mit einer Vielzahl von sozialpolitischen The- Integration men vertraut. Peter Marbet übernimmt die Leitung von Caritas Schweiz per 1. November von Hugo Fasel, wwwcaritas-luzernch/geschaesleitung der nach zwölf Jahren als Caritas-Direktor in Pension geht. Nachbarn 2 / 20 5
Rubrik DerLockdownverunmöglichteesJacquelineKünti alsWochenbebegleiterinjungeMüerzubesuchen undsiezuunterstützenSiegerietinfinanzielle EinLebeninArmutbringtElternandenRandderVerzweiflung SchwierigkeitenCaritaskonnteihrundvielen undlässtKinderträumeplatzen anderenhelfen
Schwerpunkt AlsdasArbeitsleben plötzlichstillstand Junge Mütter und ihre Neugeborenen zu begleiten, ist mit viel Nähe verbunden. Als Corona kam, fielen bei der freiberuflichen Wochenbettbegleiterin Jacqueline Künti die Aufträge weg. Entsprechend dankbar ist sie für die Unterstützung durch die Caritas. TextUrsulaBinggeliBilderZoeTempest W enn Jacqueline Künti im Garten des des Beziehungs- und Bindungsaufbaus zwischen Mut- Bauernhauses sitzt, in dem sie als Al- ter, Kind und der Familie steht im Zentrum ihres Tuns. leinerziehende mit ihren beiden Teen- «Sie sollen gemeinsam wachsen können.» Achtsamkeit ager-Töchtern lebt, umgeben von viel und Urvertrauen sind wichtige Stichworte für sie. Grün und Blumen, wirkt sie ganz in ihrem Element, ein bisschen elfenhaft und doch geerdet. Der Eindruck Ein harter Frühling täuscht nicht. Jacqueline Künti fühlt sich der Natur 2020 – das fünfte Jahr ihrer Selbstständigkeit – fing gut und den in ihr waltenden Kräften tief verbunden, ohne an für Jacqueline Künti: Die Mund-zu-Mund-Propagan- sich deswegen von den Menschen abzuwenden, im Ge- da schien zum Laufen zu kommen. Ihr Einkommen genteil. Auf ihrer Website schreibt sie: «Begegnung er- reichte zusammen mit den Alimenten und Kinderzula- lebe ich in der freien Natur, im lebendigen Austausch gen zum Leben. mit offenen Menschen, durch Reisen, Ehren und Feiern verschiedener Kulturen und deren Ritualen.» Unter Aber dann kamen Corona und der Lockdown. «Mein anderem gestaltet sie freie Willkommens- und Seg- Arbeitsleben stand von einem Tag auf den anderen nungszeremonien für Kinder. Der weite Horizont der praktisch still.» Laufende Aufträge wurden gestoppt, früheren Kleinkindererzieherin schlägt sich aber auch und neue Anfragen gab es keine. Sehr unsicher sei sie in ihrer hauptberuflichen Tätigkeit nieder. Sorgsame Arbeit in Familien Jacqueline Künti hat in Deutschland die Ausbildung zur «Corona hat mich schier zum Familienlotsin absolviert und unterstützt nun als frei- berufliche Fachfrau für Wochenbettbegleitung Familien Verzweifeln gebracht.» mit einem Neugeborenen in der intensiven ersten Zeit zu Hause. «Wichtigste Ansprechperson für die Mütter ist stets die Hebamme, ich arbeite ergänzend.» Jacque- gewesen in jenen Wochen, erinnert sich Jacqueline line Künti bereitet vollwertige, stillgerechte Mahlzeiten Künti. Hätte sie überhaupt Familien aufsuchen dür- zu, sie wirft bei Bedarf eine Ladung Wäsche in die Ma- fen? «Der Rahmen, in dem ich arbeite, ist doch sehr schine, sie betreut die grösseren Kinder – und sie wid- intim.» Auch als die Lockerungen kamen, blieben die met sich dem Baby und der Wöchnerin. Die Begleitung Fragen. Ab wann waren Besuche am Wochenbett wie- Nachbarn 2 / 20 7
Schwerpunkt der vertretbar? Sollte sie mit einem Inserat Werbung die derzeit in einer Kita ein Praktikum macht und ihr für sich machen? Aber das schien ihr in der Zeit des anbot, die Krankenkassenprämien bis auf Weiteres grossen Abstandhaltens zu provokant. von ihrem kleinen Lohn selbst zu bezahlen, berührte sie tief. Jacqueline Künti und ihre Töchter mussten im März mit 1800 Franken auskommen, auch im April war dem Keine Hilfe vom Bund so. «Wir sind es gewohnt, uns einzuschränken – in der Wie Jacqueline Künti standen diesen Frühling viele Zeit meiner Ausbildung zur Familienlotsin wohnten freiberuflich Tätige wegen Corona vor einschneiden- den finanziellen Einbussen. Viele sind der Unsicher- heit weiterhin ausgeliefert. Während diejenigen, die von den Massnahmen des Bundes direkt betroffen wa- Viele sind der Unsicherheit ren und ihre Tätigkeit nicht mehr ausüben konnten, schon bald wussten, dass sie finanzielle Unterstüt- weiterhin ausgeliefert. zung erhalten würden, blieben Freiberufler, die indi- rekt betroffen waren, bis Mitte April im Ungewissen. wir zu dritt in einer 2,5-Zimmer-Wohnung.» Aber Co- Als der Bund beschloss, auch ihnen finanziell unter rona habe sie nun wirklich schier zum Verzweifeln ge- die Arme zu greifen, war Jacqueline Küntis Freude nur bracht. Mit Zuwendungen von Verwandten konnte sie von kurzer Dauer. Ihr Gesuch wurde abgelehnt – der nicht rechnen. Die Solidarität der älteren ihrer Töchter, von ihr als Wochenbettbegleiterin erzielte Gewinn lag EsbrauchtdieNäheJacquelineKüntiunterstütztjungeMüerindererstenZeitnachderNiederkun 8 Nachbarn 2 / 20
Schwerpunkt leicht unter dem unteren Limit für den Anspruch auf Unterstützung. «Meine Einnahmen aus den Ritualbe- gleitungen wurden nicht mitgerechnet, ja, nicht ein- UNSICHERHEIT mal erwähnt, und auch das Ausfallen der von mir für das Jahr 2020 neu aufgegleisten Kurse für Schwangere wurde nicht berücksichtigt.» Der negative Bescheid BELASTET schmerzte. «Für mich ist er unverständlich. Er hat mich wütend gemacht.» ProfDrChristophFlückiger istLeiterAllgemeine Grosse Solidarität Interventionspsychologie Zum Glück hatte Jacqueline Künti schon früh auch und Psychotherapie nach nicht staatlicher Hilfe Ausschau gehalten. Sie anderUniversitätZürich wandte sich an die Caritas. Dort war man auf Anfragen wie die ihre vorbereitet. Dank einem Spendenaufruf Bildzvg «Ich denke an die jungen VieleerlebtenunderlebenUnsicherheitaufgrund Familien, die in der Krise erst vonCoronaWaslöstdieseUnsicherheitinunsaus? Es ist emotional belastend wenn wir aus der Routine recht allein waren.» unddenGewohnheitengeworfenwerdenunddieDinge nichtmehrsowiegewohnteinigermassenvorhersagbar sindDiesreduziertdasGefühldieDingeunterKontrol- zusammen mit der Glückskette stehen Gelder zur Ver- le zu haben Grundsätzlich sind Menschen ganz allge- fügung, die für Menschen eingesetzt werden können, mein relativ intolerant gegenüber Unsicherheit auch die ohnehin in bescheidenen Verhältnissen leben und wennwirdaskalkulierbareAbenteuerbiszueinemge- wegen Corona in akute finanzielle Bedrängnis gerie- wissenPunktauchgernesuchen ten. Brigitte Raviele von der Caritas Bern: «Neben frei- beruflich Tätigen sind es auch von Kurzarbeit Betrof- AufgesellschaftlicherEbeneFührtkollektive fene mit niederen Einkommen, die an uns gelangen. UnsicherheitzumehrSolidarität? Bis heute bearbeiteten wir im Kanton Bern mehrere JasicherjedochnurbiszueinemgewissenPunktSoli- hundert Anfragen.» darität ist immer mit der Frage verbunden gegenüber wem wir uns solidarisch zeigen Interessanterweise Die Caritas konnte Jacqueline Künti mit Beratung und übertragen wir die unangenehmen Dinge gerne nach einer Überbrückungszahlung direkt helfen. Die Unter- aussenSowardieGrippe«spanisch»Coronaist«chi- stützung durch die Caritas trug wesentlich dazu bei, nesisch» Was Solidarität zu echter Solidarität macht dass Jacqueline Künti den Boden unter den Füssen istwennwirunsinanderehineinversetzenunddieWelt nicht verlor. Dass in der ländlich geprägten Ortschaft, ausderSichtderanderninunsereeigeneSichtweisein- in der sie wohnt, viel nachbarschaftliche Solidarität tegrieren Sich in Unsicherheit in andere zu versetzen spürbar ist, tat zusätzlich gut. Auch in der grossen, machtunsMenschenmenschlich selbst verwalteten Hausgemeinschaft, in der ihre Töchter und sie seit drei Jahren leben, fühlt sie sich KönnenwiretwaslernenausdererlebtenUnsicherheit? aufgehoben. «Ich schöpfte neuen Mut.» MirkommtspontanWolfBiermannsLied«Ermutigung» indenSinn«Dulassdichnichtverhärtenindieserhar- Eine neue Klarheit tenZeitDieallzuhartsindbrechenDieallzuspitzsind Die Angst vor einer neuen Corona-Welle stellt Jacque- stechen Und brechen ab sogleich» Sich Unsicherheit line Künti bewusst auf die Seite, sie fokussiert den einzugestehenhatwohlimmerauchmitMutzutunsich Neustart. Der Weg zu einer Form von Normalzustand seinereigenenUnzulänglichkeitWeichheitundVerletz- sei sicher noch lang, sagt sie, aber langsam gehe es mit lichkeit gewahr zu werden und diese sich selbst und Aufträgen wieder aufwärts. «Ich denke an die vielen auch andern offenzulegen Unsicherheit stellt immer jungen Familien, die in der Krise erst recht allein ge- auch die Frage was mir wichtig ist und von welchen wesen sind, und spüre eine neue Klarheit in mir. Für Wertenichmichleitenlasse sie will ich da sein. Ich bin bereit.» wwwfamilienlotsinnch Nachbarn 2 / 20 9
Schwerpunkt PrekäreArbeitLebenmit der Unsicherheit In der Corona-Krise zeigt sich: Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen sind stark betroffen von den Pandemiemassnahmen. Prekäre Arbeit gibt es in der Schweiz in verschiedenen Formen. Neben finanzieller Unsicherheit bringt sie oftmals eine mangelhafte Absicherung und eingeschränkte Zukunftsperspektiven mit sich. TextAnna-KatharinaThürerGrundlagenCaritasZürichIllustrationCorinneBromundt D ie Schweiz verdankt einen Teil ihres wirtschaft- fall: Gerade in diesen Sektoren finden sich viele prekäre lichen Erfolgs einer vergleichsweise liberalen Arbeitsverhältnisse. Solche sind auch in Arbeitsformen Arbeitsgesetzgebung, die nur einen schwachen weitverbreitet, die über Online-Plattformen organisiert Kündigungsschutz bietet und keine obligatorische werden (z.B. Reinigungs- oder Kurierarbeit). Diese wirt- Krankentaggeldversicherung beinhaltet. Ausserdem schaften arbeitsrechtlich in einem Graubereich. Man sind ganze Sektoren wie die Landwirtschaft oder Haus- kann also sagen: Prekäre Arbeitsverhältnisse werden wirtschaft nicht dem Arbeitsgesetz unterstellt. Kein Zu- oft gerade durch fehlende Regulierung begünstigt. 10 Nachbarn 2 / 20
Schwerpunkt Arm trotz Erwerbsarbeit Kommentar Prekäre Arbeit bedeutet für die Betroffenen einen hohen Grad an Unsicherheit und damit verbundene Zwänge. Arbeit muss existenz- Die Unsicherheit bezieht sich auf Arbeitszeiten (z.B. auf Abruf zu arbeiten oder befristet angestellt zu sein), sichernd sein aber auch auf finanzielle Unsicherheit oder mangelhaf- te Absicherung gewisser Risiken wie Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Altersarmut. Die Zahlen des Bundes Die Corona-Krise hat deutlich ge- weisen aus, dass sich prekäre Arbeit mehrheitlich in macht, dass viele Menschen in der den klassischen Tieflohnbranchen findet, beispielswei- Schweiz in prekären Situationen se im Gastgewerbe, in der Reinigung, aber auch in der leben. Das trifft besonders auf Ar- Dienstleistungsbranche und im Kunstbetrieb. Nicht beitnehmende in Tieflohnstellen alle Erwerbstätigen tragen ein gleich grosses Risiko und ungeregelten Arbeitsverhält- für prekäre Arbeit: Betroffen sind besonders häufig nissen zu. Tieflohnbranchen wie die Gastronomie, das Reinigungs- gewerbe und der Detailhandel sind infolge der Krise stark von Prekäre Arbeitsverhältnisse Kurzarbeit betroffen. 80 Prozent wirken sich auf viele andere Lohnersatz ist für die meisten An- gestellten nicht existenzsichernd. Lebensbereiche aus. Kurzarbeit hat Entlassungen auch nicht verhindert. Viele haben ihre Einkommensquelle ganz verloren. Frauen, jüngere Arbeitnehmende, Personen mit tiefem Bildungsstand und Menschen ohne Schweizer Pass, vor In Tieflohnbranchen sind befristete allem solche mit unsicherem Aufenthaltsstatus. Prekä- Arbeitsverträge oder Arbeit auf Ab- re Arbeitsverhältnisse wirken sich auf viele andere Le- ruf im Stundenlohn weitverbreitet. bensbereiche aus und erhöhen das Armutsrisiko. Solche Arbeitsverhältnisse bieten keinerlei Sicherheit. Das Gros der Wenig Forschung auf Abruf Angestellten hat kein Stellt man jedoch Fragen zu prekärer Arbeit, so zeigt garantiertes Minimum an Arbeits- sich schnell, dass es hierzulande nur wenig Forschung stunden und muss trotzdem jeder- zum Thema gibt. Gemäss Zahlen des Bundes sind rund zeit verfügbar sein. Braucht der 2,5 Prozent der Erwerbstätigen in prekären Arbeits- Arbeitgeber sie nicht, bietet er sie verhältnissen tätig. Diese Quote basiert allerdings auf nicht auf. Kündigen muss er ihnen einer sehr eng gefassten Definition von prekärer Ar- nicht. Die Betroffenen haben ohne beit, die einige Betroffenengruppen wie Sans-Papiers Kündigung aber keinen Anspruch und gewisse Arbeitsformen (z. B. gut bezahlte, aber auf Arbeitslosengelder. auf kurze Zeit befristete Arbeit) ausschliesst. Eine Er- weiterung der Definition wäre wichtig, um das wahre Die Caritas fordert, dass die Kurz- Ausmass unsicherer Arbeit in der Schweiz zu erfassen arbeitsentschädigung bei tiefen und die Betroffenen besser zu schützen – und Armut Einkommen 100 Prozent des Loh- vorzubeugen. nes entspricht. Zudem müssen Ar- beitgebende verpflichtet werden, Keine Absicherung in der Krise Arbeitsmodelle zur Verfügung zu Die Corona-Krise hat uns einerseits vor Augen geführt, stellen, die existenzsichernd sind. wie stark wir als Gesellschaft von prekärer Arbeit ab- Dazu muss insbesondere Arbeit hängig sind. Andererseits wurde ersichtlich, wer be- auf Abruf gesetzlich besser gere- sonders schlecht vor Risiken geschützt ist. Deutlich gelt werden. Und es braucht einen wurde, wie das Schweizer System der arbeits- und so- schweizweiten Mindestlohn. zialversicherungsrechtlichen Sicherung, das sich stark an einer unbefristeten Vollzeitstelle orientiert, an sei- ne Grenzen stösst. Denn gerade für prekär Arbeitende AlineMasé steigt durch die Corona-Krise das Risiko für Verschul- LeiterinFachstelleSozialpolitik dung und Altersarmut. CaritasSchweiz Nachbarn 2 / 20 11
Persönlich ChloéJahregehtindie Klasseundwohntin BülachSiefindetesschöndassKinderanandere MenschendenkenUndsichdarumkümmerndass dieseauchinschwerenZeitenFreudehaben Nachbarn 2 / 20
Persönlich «Wann hast du zum letzten Mal jemandem geholfen? Wobei?» Bei allem Unbill, den das Coronavirus und die Massnahmen zum Schutz der Bevölke- rung für Betroffene bedeutet: In der Krise gab und gibt es viel Solidarität. Mit kleinen und grossen Gesten der Solidarität wird der Alltag für viele leichter. Oft braucht es nicht viel, um Erleichterung zu verschaffen und Freude zu bereiten. Ismail Mahmoud, Student, Ingrid Breuss, Sekretärin, Basel Freidorf Kürzlich bei einer Schnitzeljagd Vor Kurzem hielt vor unserem rannte ich auf der Suche nach dem Haus ein Auto. Die Lenkerin stieg nächsten Posten durch den Bahn- aus. Ich vermutete, dass sie eine hof Basel. Plötzlich sah ich, wie Autopanne hatte. Im Wagen sas- eine Frau beim Einsteigen in einen Zug ausrutschte sen eine ältere Frau und ein kleines Kind. Ich ging und zu Boden fiel. Ich half ihr auf, unterhielt mich kurz hin und fragte, ob ich helfen könne. Das verneinte mit ihr, holte ihren Koffer unter der Eisenbahn hervor die Fahrerin. Da es sehr heiss war, brachte ich ihnen und begleitete sie in den Zug hinein. Danach schnapp- etwas zu trinken und führte sie zu einem schattigen te ich mir den dritten Rang bei der Schnitzeljagd. Platz, wo sie auf den Pannendienst warten konnten. Patrick Lang, Tramführer, Lena Rodriguez, Schülerin, Zürich Luzern Eine Bekannte musste zwei defek- Wir gestalten im Handarbeitsun- te Tagesdecken ersetzen. Da sie terricht gerade ein Kissen. Gestern zur Covid-19-Risikogruppe gehört, habe ich einer Klassenkameradin zögerte sie, in ein grosses Geschäft beim Bedrucken geholfen. Sonst zu fahren, um neue Decken zu kaufen. Im Alltag geht wäre sie nicht rechtzeitig fertig geworden und hätte sie in ein lokales Geschäft einkaufen, bei dem sie nachsitzen müssen. Dank meiner Hilfe konnten wir weiss, wann es wenig Leute hat. Als sie mir dies er- beide die Arbeit zum Schluss der Stunde abschlies- zählte, bot ich ihr spontan an, die Decken für sie zu sen. Ich finde es wichtig, dass wir in der Schule zu- besorgen. Das war eine grosse Erleichterung für sie. sammenhalten und uns gegenseitig unterstützen. Seraina Brem, Praktikantin, Sophie Rutishauser, Berikon Schülerin, Münsingen Zuletzt geholfen habe ich in den Im Flussbad «Schwäbis» habe ich Sommerferien. Als Leiterin war ich letzthin ein paar Kindern einen zwei Wochen in einem Lager für Pneuschlauch gegeben. Eigent- Kinder und Jugendliche. Dort fallen lich wollte ich ihn selbst benutzen. verschiedene Aufgaben an: Kinder wecken, Programme Doch ich merkte, dass die Kinder ebenso gerne auf durch den Tag leiten, Rucksäcke packen, Lagertagebuch ihm den Fluss hinuntertreiben wollten. Ich bin ihnen schreiben und vieles mehr. Jedes Jahr freue ich mich auf dann mitsamt dem Pneu flussaufwärts entgegenge- das Lager, da es für mich schon als Kind immer ein tolles schwommen, um ihn zu übergeben. Sie freuten sich Erlebnis war. Nun konnte ich selbst im Team mitwirken. sehr über das «Geschenk». Nachbarn 2 / 20 13
Caritas Bern zu wenig Geld zum Leben CHF 250 000 Überbrückungs hilfe geleistet 4500 Einkaufs gutscheine verteilt 620 Anfragen für Unter stützung 14 Nachbarn 2 / 20
Caritas Bern Wenn die allgemeine Krise zur eigenen wird Corona hat den Alltag von uns allen auf den Kopf gestellt – ganz besonders von den jenigen Familien, die von Armut betroffen sind, von alleinerziehenden Eltern sowie alleinstehenden Menschen. Die Massnahmen, die zur Eindämmung der Corona-Pandemie getroffen wurden, bestimmen nach wie vor unser Leben. Damit umzugehen, ist nicht immer einfach. Für armutsbetroffene Personen ist es jedoch besonders einschneidend. Text: Hana Kubecek B ereits unter normalen Gegebenheiten ist es für schutzgründen sind die Personen anonymisiert, die armutsbetroffene Menschen schwierig, den Le- Personen auf dem Foto Symbolbilder. bensunterhat zu bestreiten. Dies insbesondere auch für Familien, die schon bisher an oder nur knapp Die Fahrende über der Armutsgrenze lebten. Durch die Corona-Krise Sara B. (42) ist eine Fahrende und alleinerziehende verschlimmert sich ihre Not umso mehr. Erwerbstäti- Mutter von drei Kindern. Ihr Mann ist 2015 verstorben. ge, die in Teilzeit, im Stundenlohn, in ungesicherten Mit Hausieren von Tür zu Tür bietet sie ihre Ware an. Arbeitsverhältnissen, mit atypischen Arbeitszeiten Doch seit dem Corona-Lockdown geht die Kundschaft oder sonst wie unter prekären Arbeitsverhältnissen auf Distanz. Dadurch ist Sara B. ohne jegliches Ein- arbeiten, trifft es besonders hart. Dies gilt auch für kommen. Die finanzielle Not ist gross. Es geht um ihre Kleinstunternehmen, die oft mit knappen oder gar Existenz. Das Geld reicht nicht mehr aus, um Lebens- keinen Reserven haushalten. Überdurchschnittlich be- mittel einzukaufen. Sie macht sich ernsthaft Sorgen troffen sind Frauen und Männer in Tieflohnbranchen um ihre Zukunft. Noch sind Sara B. und ihre Kinder wie Detailhandel, Gastgewerbe, Privathaushalte oder gesund – sie hofft, dass es auch so bleibt. Landwirtschaft. Der Koch Aufgrund der Corona-Krise erreichen uns täglich zahl- Antonio D. (55) arbeitet als Koch in einem Restaurant. reiche Unterstützungsanfragen von Menschen, die Neben seinem Arbeitspensum von rund 70 Prozent in existenzielle Schwierigkeiten geraten sind. Zu den pflegt er seine kranke Frau. Als der Betrieb aufgrund Betroffenen zählen plötzlich aber auch Menschen, die des Corona-Lockdowns schliessen musste, hatte er sich nie hätten vorstellen können, jemals die Hilfe trotz Kurzarbeitsentschädigung eine Gehaltseinbusse der Caritas in Anspruch nehmen zu müssen. Darun- von 20 Prozent. Das gekürzte Einkommen reicht gera- ter sind beispielsweise Selbstständige wie Taxifahrer, de mal für die Miete und die Lebensmittel. Doch damit Kosmetikerinnen, Haushaltshilfen oder Personen, die nicht genug: Wegen einer hohen Arztrechnung gerät Heilberufe ausüben. Viele haben zuerst versucht, sich das Ehepaar vollends in grosse finanzielle Bedrängnis. aus eigener Kraft über die Runden zu bringen und da- für ihre letzten Reserven eingesetzt. Die finanziellen Die Haushaltshilfe Ausfälle infolge fehlender Kundschaft, Kurzarbeit, Letícia P. (27) hat bisher ihr Geld als Haushaltshilfe wegfallender Stundenlöhne oder reduzierte Einsatz- und mit stundenweisem Aushelfen im Gastrobereich möglichkeiten bei Arbeiten auf Abruf sind für viele verdient. Trotz ihrem spärlichen Lohn konnte sie sogar sehr einschneidend. Nicht wenige sind durch die Krise etwas Geld zur Seite legen. Damit wollte sie eine Aus- in eine existenzielle Notsituation geraten. bildung beginnen, um eines Tages in der Pflege arbei- ten zu können. Doch dann kam die Corona-Krise. Mit Die in diesem Artikel erwähnten Schicksale stehen dem Lockdown wurden die Arbeitsverhältnisse von ei- stellvertretend für die zahlreichen Anfragen von Hil- nem Tag auf den anderen aufgelöst. Nach drei Monaten fesuchenden, die uns tagtäglich erreichen. Aus Daten- waren auch die Ersparnisse aufgebraucht. Und gleich- Nachbarn 2 / 20 15
Caritas Bern zeitig war auch der Traum von einem Pflegeberuf aus- Die Selbstständigerwerbende geträumt. Verzweifelt wendet sie sich an die Caritas Andrea H. (54) hat ein kleines Reisebüro. Bereits vor Bern, weil sie ihre monatliche Miete von 500 Franken dem Corona-Lockdown reichte der Verdienst nur nicht mehr bezahlen kann. Ohne die relativ günstige knapp zum Leben aus. Dies war der Grund, weshalb sie Wohnung würde sie all das verlieren, was sie sich wäh- zusätzlich am Abend noch als Kellnerin ausgeholfen rend Jahren mit anstrengender Arbeit aufgebaut hat. hat. Doch just in diesen beiden Branchen hat die Coro- na-Pandemie zu einem massiven Einbruch geführt. Der Reinigungsmann Drei Monate ohne Einkommen sind sehr einschnei- Bernhard F. (44), Vater von zwei Kindern, arbeitet bei dend. Die Ersparnisse sind aufgebraucht. Andrea H. einem Bahnunternehmen. Dort sorgt er für Sauberkeit hat sich beim Sozialdienst angemeldet. Bis klar ist, ob in den Zügen. Sein Einkommen ist tief, sodass seine sie Unterstützung erhält, ist sie auf finanzielle Unter- Frau dazuverdienen muss. Die zweifache Mutter ist im stützung angewiesen. fünften Monat schwanger. Sie reinigt in privaten Haus- halten. Wegen der Corona-Krise darf sie nicht mehr Der Naturheiltherapeut putzen gehen, da die Arbeitgeber zur Risikogruppe ge- Simon V. (48), Naturheiltherapeut mit eigener Praxis, hören. Seit März verdient sie also rein gar nichts mehr. ist alleinerziehender Vater von vier Kindern. Die El- Das ohnehin schon schmale Haushaltsbudget drängt ternpflichten wahrnehmen, für den Lebensunterhalt die bald fünfköpfige Familie an den Rand ihrer Exis- der Familie sorgen und das Wohl der Kinder gewähr- tenz. Das Ehepaar sorgt sich ernsthaft um die Zukunft leisten, sind mehrfach belastend. Zudem hat der jüngs- der Familie. te Sohn das Asperger-Syndrom und benötigt dadurch wesentlich mehr Betreuungszeit. Aufgrund dieser be- Der Taxifahrer lastenden Situation kann Simon V. nur reduziert arbei- Oliver S. (38) ist Vater von zwei Kindern. Sein Beruf: ten. Die Corona-Krise hatte nun zusätzlich zur Folge, selbstständiger Taxifahrer. In der Corona-Krise durfte dass er viele Termine mit Klienten absagen musste. er zwar fahren, hatte aber kaum noch Kundschaft. Die Demzufolge ist das Einkommen stark zurückgegan- Auswirkungen sind katastrophal. Bereits vor der Krise gen, die existenzielle Lebenssituation bedrohlich. war die Familie finanziell stets sehr knapp dran. Über- all, wo dies möglich war – etwa bei der Wohnungsmiete und der Krankenkasse –, hat der Familienvater Raten- zahlungen und Zahlungsaufschub beantragt. Unterstützungsaktion Corona der Caritas Bern Die Caritas Bern unterstützt Menschen und Familien im Kan- kette, von namhaften Stiftungen sowie grosszügigen Einzel- ton Bern, die aufgrund der Corona-Krise in Not geraten sind. spenden konnte die Caritas Bern diese Unterstützungsakti- Dies mit Einkaufsgutscheinen für die Caritas-Märkte sowie on realisieren. Der Bedarf an finanzieller Unterstützung und einmaliger finanzieller Unterstützungshilfe. Dies bereits seit Beratung ist nach wie vor ungebrochen hoch. Die Überbrü- Anfang April 2020. Armutsbetroffene erhalten so die drin- ckungshilfe wird nach Möglichkeit verlängert. gend benötigte finanzielle Hilfeleistung: So können sie zum Beispiel offene Rechnungen begleichen und mit den Ein- Mit Ihrer Spende unterstützen Sie armutsbetroffene Familien kaufsgutscheinen Artikel des täglichen Bedarfs einkaufen. und Alleinstehende im Kanton Bern, die sich in einer akuten Dank der Unterstützung der Caritas Schweiz, der Glücks- Notlage befinden. Herzlichen Dank für Ihre Solidarität. 16 Nachbarn 2 / 20
Gesichter hinter Caritas Bern Entschleunigen – mit Kochen, Fotografieren und Reisen Angelika Louis leitet den Dolmetschdienst Comprendi der Caritas Bern seit mehr als drei Jahren. Dieser vermittelt professionelle interkulturell Dolmetschende im Kanton Bern. Seit Anfang Jahr ist diese Dienstleistung auch via Telefon möglich. Text: Hana Kubecek A ngelika Louis hat einen dynamischen Spirit und kann mit ihren Managementfähigkeiten vieles bewirken. Über zehn Jahre hat sie das Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer des Schweizeri- schen Roten Kreuzes geleitet und dessen Organisationsentwicklung mit- geprägt. Auch beim Dolmetschdienst Comprendi konnte sie von Anfang an ihr fundiertes Know-how in die Gestaltung und Weiterentwicklung dieser Dienstleistung einbringen. Wichtige Meilensteine dabei sind etwa die Einführung der neuen Online-Vermittlungsplattform sowie der Auf- bau des Telefondolmetschangebotes, die beide seit Anfang dieses Jahres in Betrieb sind. Verstehen und verstanden werden «Ein Elterngespräch in der Schule, ein Arztbesuch oder ein Beratungsge- spräch bei einer Behörde. Solche Situationen kann die Mehrheit der aus- Bild: Angelika ländischen Bevölkerung problemlos meistern. Doch unter uns leben auch Menschen, die aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht in der Lage sind, sich in solchen Gesprächssituationen ausreichend zu verständigen», erklärt Angelika Louis. Um eine optimale Verständigung zu ermöglichen, «Mit dem Fotografieren öffnen sich für mich vermittelt der Dolmetschdienst Comprendi interkulturell Dolmetschen- unzählige neue Blickwinkel und Horizonte.» de für Gespräche zwischen fremdsprachigen Personen und öffentlichen Stellen des Gesundheits-, Sozial- oder Bildungsbereichs im Kanton Bern. Insgesamt beschäftigt die Caritas Bern 240 interkulturell Dolmetschende. Das Sprachangebot ist über die Jahre hinweg stetig gewachsen und liegt aktuell bei 62 Sprachen. «Die interkulturelle Verständigung leistet einen wesentlichen Beitrag zur Chancengleichheit und ist ein wichtiger Schlüs- sel für Integration in unsere Gesellschaft», ist Angelika Louis überzeugt. Die Kreative In der Freizeit liebt es Angelika Louis, zu kochen, zu fotografieren, etwas mit den Händen zu gestalten und zu reisen. Das bringt ihr Ruhe und Aus- gleich zum oft hektischen Berufsalltag. Neue Welten und andere Perspek- tiven sind für sie zugleich anregend wie bereichernd. Das Fotografieren ist seit vielen Jahren ihre Leidenschaft. «Ich finde es faszinierend, (Licht) Stimmungen mit meiner Kamera einzufangen. Dabei ist es für mich wich- tig, dass beim Betrachten eines Fotos etwas ausgelöst wird – eine Emotion oder eine Berührung. Auf Reisen habe ich die Kamera immer mit dabei. Es gibt nichts Schöneres, hin und wieder die Bilder zu betrachten und sich an all die erlebten Momente zu erinnern.» Unter www.caritas-bern.ch erfahren Sie mehr über den Dolmetsch- dienst Comprendi und andere Angebote der Caritas Bern. Nachbarn 2 / 20 17
Ichwillhelfen JungeFreiwilligeverhindern dieSchliessungderCaritas-Märkte Ein einziger Aufruf genügte: Dank dem spontanen Einsatz von vielen jungen Freiwilligen konnten die Caritas-Märkte in St. Gallen und Wil auch während des Lockdowns geöffnet bleiben. TextSusannaHeckendornBildGregorScherzinger W er holt das Brot bei den Bäckereien in der Um- gebung, kontrolliert die Waren, füllt Gestelle auf und steht an der Kasse, wenn die Freiwilli- gen von einem Tag auf den andern zu Hause bleiben müssen, weil sie aufgrund ihres Alters zur Risiko- gruppe gehören? «Uns war klar, dass der Lockdown unsere Kundin- nen und Kunden besonders hart treffen würde», erinnert sich Phi- lipp Holderegger, Geschäftsleiter der Caritas St. Gallen-Appenzell. «Es stand deshalb ausser Frage, die Caritas-Märkte zu schliessen. Aber wer, das war die grosse He- ZahlreichejungeFreiwilligehieltendenCaritas-MarktwährendderCorona-KriseamLaufen rausforderung, sollte die Läden betreiben?» Mit einem Aufruf auf Facebook fanden sich innert weni- in die Hand drücken durfte, was schenkt.» Desirée wollte sich so- ger Tage viele junge Freiwillige, die, nicht gestattet ist, fiel ihm sehr lidarisch zeigen und war beein- anstatt im Lockdown zu Hause he- schwer. druckt, wie viele Menschen mit rumzusitzen, etwas Sinnvolles tun sehr wenig zufrieden sind. «Es war wollten. Jael Dahinden und Desirée Stuck schön, die grosse Dankbarkeit der studieren beide Soziale Arbeit. Kundschaft zu spüren und mit den Für Verena Keller, die sonst als Die Mutter von Jael arbeitet jeden Freiwilligen Solidarität zu leben.» Hotelfachfrau arbeitet, war es eine Mittwoch im Caritas-Markt und völlig neue Erfahrung, dass jemand gehört zur Risikogruppe. Spon- Sich zu engagieren und miteinan- so froh ist, sie dabei zu haben und tan entschied sich Jael, ihre Stell- der etwas zu bewirken, so die ein- ihr das auch zeigt. «Diese unerwar- vertretung zu übernehmen. «Die hellige Meinung der temporären tete Wertschätzung war enorm mo- Arbeit im Caritas-Markt hat mir Freiwilligen, ist eine tolle Erfah- tivierend.» Ein paar ernüchternde viele wertvolle Begegnungen ge- rung, die sie nicht missen möchten. Erkenntnisse gewann Fabian Bal- mer. Nie hätte er gedacht, dass es WOLLENSIESICHAUCHFREIWILLIGENGAGIEREN? so viele armutsbetroffene Schwei- zerinnen und Schweizer gibt. «Es AlsFreiwilligeoderFreiwilligerlernenSieMenschenmitanderenPerspektiven war sehr hart mitzuerleben, wie kennen Sie helfen im Alltag und machen Integration möglich Sie können Ihr jemand etwas zurücklegen muss, Wissen weitergeben und Neues dazulernen Die Freiwilligenangebote unter- weil ihm an der Kasse 40 Rappen scheidensichvonRegionzuRegionBieinformierenSiesichaufderWebsite fehlen.» Dass er der Person nicht derCaritas-OrganisationinIhrerRegion einfach zwei Zwanzigrappenstücke 18 Nachbarn 2 / 20
Kolumne DaswunderlicheGefühl derGemeinscha TextChristophSimonIllustrationCorinneBromundt U nsichere Zeiten haben auch ihre reizvollen Sei- Fensterscheiben. Ich hätte vom Specksteinschmirgeln ten. Es lebe die Improvisation! Fahren wir die was an der Schulter und so. War ein lieber Kerl, der Stu- Tage freihändig und gegen den Wind! Winnetou dent. Vermutlich studiert er jetzt wohl wieder sinnlos hat schliesslich auch keinen Sattel gebraucht! Wenn und vermisst die Zeit, wo er einem Menschen in Not uns der Frühling 2020 etwas gelehrt hat, dann dies: beistehen konnte. Wie man das Beste draus macht. Und dann die Erleichterung, als (fast) alles wieder Kommende Generationen werden von unseren Er- aufging! Die alten Paare sind ohne Streit zusammen fahrungen profitieren, denn in der Beschränkung auf Gartenstühle einkaufen gegangen. Die Affen im Zoo Heim und Zoom sind wir keine Amateure. Im Lock- konnten wieder Menschen beobachten. Das Autokino down haben wir den Leis- wurde wiedererfunden: Die tungsdruck auf 110 Prozent Leute reisten mit dem Zug runtergefahren, den Lohn an und nahmen am Bahnhof auf 80 Prozent gesenkt und ein Mobility, um dabei sein den Alkohol auf 40 Prozent zu können. hochgefahren. Wir haben vie- le neue Fähigkeiten erlernt: Eines Morgens werden wir Wie man in der Badewanne aufwachen und feststellen, mit einem Didgeridoo das dass es Masken und Ab- Jacuzzi-Feeling herbei bläst. standsregeln nicht mehr Meine Kulturkollegen hau- braucht. Für die einen werden ten Podcasts raus und Insta- die letzten Monate nur noch gram-Livesessions, sie twit- eine Erinnerung sein, ein fer- terten Romane und erfanden ner Klang. Für andere wer- alle möglichen digitalen For- den die Folgen der Krise zur mate, alles vom Liegestuhl Dauerkrise. Manche werden aus, in der Frühlingssonne behaupten, dass dies alles gar auf dem Balkon. Ich schmir- nie stattgefunden hat. Und gelte Speckstein (was gut für nur eine Minderheit wird sich die Seele sei) und liess mir an dieses Gefühl erinnern, von einem Studenten die Lebensmittel bringen. Ich sei dieses wunderliche und erhebende Gefühl der Gemein- Risikogruppe und so. Der Student putzte sogar meine schaft, das uns für kurze Zeit geeint und getragen hat. ChristophSimon* lebtalsfreier SchristellerundKabareistinBern Bildzvg Nachbarn 2 / 20 19
AdobeStock Danke, dass es Sie gibt. Caritas Bern hilft armutsbetroffenen Familien und benachteiligten Menschen im Kanton Bern. Ihre Unterstützung – Spende oder Legat – ist wertvoll. Herzlichen Dank! Bestellen Sie unsere Vorsorgemappe und den Jahresbericht: info@caritas-bern.ch oder 031 378 60 00 Spendenkonto 30-24794-2
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