HESSISCHE STÄDTE - NATÜRLICH VIELFÄLTIG! - Nachhaltigkeitsstrategie Hessen
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Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz HESSISCHE STÄDTE – NATÜRLICH VIELFÄLTIG! HESSISCHE STÄDTE – NATÜRLICH VIELFÄLTIG! Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Mainzer Straße 80 65189 Wiesbaden Telefon: +49 (0)611 815 1120 Telefax: +49 (0)611 32 718 1947 E-Mail: geschaeftsstelle@hessen-nachhaltig.de FÖRDERUNG DER BIOLOGISCHEN VIELFALT IM SIEDLUNGSBEREICH EIN MASSNAHMENKATALOG ZUR NACHAHMUNG
IMPRESSUM LISTE DER UNTEREN NATURSCHUTZBEHÖRDEN Da die Naturschutzbehörden zentrale Ansprechpartner*innen bei allen Fra- gen bezüglich des Erhalts und der biologischen Vielfalt sind, sind im Folgen- Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz den diese aufgelistet: AUTOR*INNEN UND REDAKTIONSTEAM AUTOR*INNEN: Bardonner, Jutta | Beyer, Christina | Bonsa, Meike | Conrad, Steffen | Consemüller, Stephan | Distler, Eva | Fiselius, Barbara | Gatz, Petra | Glörfeld, Ruth | Harnisch, Matthias | Hölzer, Corinna | Hollerbach, Heike | Jacob, Simone | Kaiser, Jürgen | Klinkert-Reuschling, Freia | Kortlüke, Norbert | Krato, Wolfgang | Krick, Michael | Lang, Michael | Lübbe, Karin | Lüttmann, Hinrich | Mehl-Rouschal, Christa | Neussel, Stefanie | Niekisch, Manfred | Plassmann, Werner | Schaar-von Römer, Gabriele | Schmidt, Andreas | Schmidt, Jörg | Schöck, Petra | Seumer, Frank | Storm, Christian | Strüver, Markus | Wegener, Oliver | Winter, Chanda | Zwingers, Christiane REDAKTION: Biercamp, Nathalie | Heimann, Christian | Jedicke, Eckhard | Spreter, Robert | Ölschläger, Lynn-Sophie | Werk, Klaus | Werner, Peter | Wieland, Janos | Wissel, Silke Untere Naturschutzbehörden bei den Landkreisen Kreisausschuss des Odenwaldkreises Kreisausschuss des Hochtaunuskreises abteilungunterenaturschutzbehoer-de@odenwaldkreis.de GESTALTUNG UND SATZ: www.die-basis.de, Wiesbaden Natur@Hochtaunuskreis.de Kreisausschuss des Rheingau-Taunus-Kreises DRUCK: Druckerei Lokay e. K., Reinheim Kreisausschuss des Kreises Groß-Gerau Naturschutzbehoerde@rheingau-taunus.de Gedruckt auf 100 Prozent Recyclingpapier (zertifiziert mit dem »Blauen Engel«) naturschutzbehoerde@kreisgg.de Kreisausschuss des Schwalm-Eder-Kreises Kreisausschuss des Lahn-Dill-Kreises naturschutzangelegenheiten@schwalm-eder-kreis.de BILDRECHTE (ALPHABETISCH): umwelt@lahn-dill-kreis.de Kreisausschuss des Vogelsbergkreises © Andreas Schmidt S. 72 & 73 | © Andreas-Zahn-Koordinationsstelle-für-Fledermausschutz-Südbayern Kreisausschuss des Landkreises Bergstraße unb@vogelsbergkreis.de S. 37 | © Bertold Langenhorst, NABU Hessen S. 64 | © BUND Darmstadt S. 60 | © Chanda Winter S. 16 | unb@kreis-bergstrasse.de Kreisausschuss des Werra-Meißner-Kreises © Christian Storm S. 86 & 87 | © Christian Zwingers S. 56 & 57 | © Eva Distler S. 21, 26, 28 & 29 | © Hes- Kreisausschuss des Landkreises Darmstadt-Dieburg wmk@werra-meissner-kreis.de sisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (HMUKLV) S. 68 | UNB@ladadi.de Kreisausschuss des Wetteraukreises © fotolia: AlekseyKarpenko S. 35, Alekss S. 35 & 80; Alexander Erdbeer S. 36; Alexander Potapov S. 31; Kreisausschuss des Landkreises Darmstadt-Dieburg Naturschutzbehoer-de@wetteraukreis.de alexandersw S. 76; alisonhancock S. 8; Anatolii S. 9; Andrea Wilhelm S. 9; Andres S. 81; bennytrapp S. 70; naturschutz@ladadi.de Städte mit eigener unterer Naturschutzbehörde Bernd Wolter S. 15; Budimir Jevtic S. 72; cmfotoworks S. 8; countrygirl1966 S. 94; creativenature.nl S. 50; Kreisausschuss des Landkreises Fulda Magistrat der Landeshauptstadt Wiesbaden creativenature.nl S. 64; Collection of ladybugs S. 70; Daniel Prudek S. 79; defpics S. 48; dule964 S. 41; emer naturschutz@landkreis-fulda.de umweltamt@wiesbaden.de S. 46; Eric Isselée S. 17, 78 & 85; Fotolyse S. 42; giedriius S. 37; grandaded S. 32; haiderose S. 85; hcast S. 58; Kreisausschuss des Landkreises Gießen Magistrat der Stadt Bad Homburg v. d. h. holgman1 S. 17; Inga Nielsen S. 81; janny2 S. 71; Joachim S. 95; johann35micronature S. 13; jojoo64 S. 12; info@lkgi.de naturschutz@bad-homburg.de kameramann S. 56; Karin Jähne S. 62; ksena32 S. 2 & 28; kwasny221 S. 15; lffile S. 21; Luis S. 15; Lukas S. 27; Kreisausschuss des Landkreises Hersfeld-Rotenburg Magistrat der Stadt Darmstadt Manfred S. 44; MARIMA S. 3; Mirek Kijewski S. 45; multik79 S. 88; nadin333 S. 53; nataba S. 5; nedomacki poststelle.laendlicherraum@hef-rof.de umweltamt@darmstadt.de S. 1; pwmotion S. 21; schulzfoto S. 81; Scisetti Alfio S. 66; scottchan S. 51; Starover Sibiriak S. 53; stgrafix Kreisausschuss des Landkreises Kassel Magistrat der Stadt Frankfurt am Main S. 33; Svenja98 S. 45; sylv1rob1 S. 53; tadzio1964 S. 20; taviphoto S. 46; thauwald-pictures S. 46; ThomBal UNB@landkreiskassel.de info.unb.amt79@stadt-frankfurt.de S. 13; tinadefortunata S. 61; Unclesam S. 67; Valerie Ornstein S. 70; Valeriy S. 15; vnlit S. 44; waidmanns- Kreisausschuss des Landkreises Limburg-Weiburg Magistrat der Stadt Fulda heil S. 81; Werner Fellner S. 19; winyu S. 27; Zerbor S. 35 | © Gabriele Schaar-von Römer S. 79 | Gerhard info@limburg-weilburg.de naturschutz@fulda.de Eppler S. 64 | © Grünflächenamt Stadt Frankfurt am Main S. 58 | © Ina Tannert S. 89 & 90 | © Jan Jacob Kreisausschuss des Landkreises Marburg-Biedenkopf Magistrat der Stadt Hanau Hofmann S. 59 | © Jörg Dürrfeld S. 77 | © Jörg Schmidt S. 75 | © Jürgen Kaiser S. 54 & 55 | © Karin unb@marburg-biedenkopf.de umweltamt@hanau.de Findte-Baumann S. 40 | © Karin Lübbe S. 88 | © Karpa, NABU Hessen S. 63 | © Karsten Böger S. 19 | Kreisausschuss des Landkreises Magistrat der Stadt Kassel © Karsten Dittmar Frank Seumer S. 30 & 31 | © Katrin Jurisch S. 59 | © Maren-Conils-bauverein S. 61 | Offenbachumwelt@kreis-offenbach.de umweltschutz@kassel.de © Matthias Harnisch S. 84 | © Michael Lang S. 23 | © Michael Schwarz S. 84 | © Manfred Niekisch S. 10 | Kreisausschuss des Landkreises Waldeck-Frankenberg Magistrat der Stadt Marburg © Sibylle Winkel S. 47 | © Siegfried Piehozki S. 80 | © Netzwerk Grün Ralph Knöß Steffen Conrad Außenstelle Lülingskreuz naturschutz@marburg-stadt.de S. 38 & 39 | © Ole Werner S. 82 | © Oliver Wegener S. 65 | © Peter Werner S. 11, 12, 34, 52 & 66 | Naturschutz@landkreis-waldeck-frankenberg.de Magistrat der Stadt Offenbach © Petra Gatz, NABU Hessen S. 63 | © Stadt Kirchhain S. 10, 44 & 45 | © Stadt Offenbach S. 49 | Kreisausschuss des Landkreises Waldeck-Frankenberg Verwaltungsstelle umweltamt@offenbach.de © Stadt Riedstadt S. 24 & 25 | © Sven Ehlers S. 68 | © Ulrike Petschenka S. 74 | © Viola Wege Frankenberg Magistrat der Stadt Rüsselsheim am Main S. 82 | © Werner Plassmann S. 43 Naturschutz@landkreis-waldeck-frankenberg.de stadtverwaltung@ruesselsheim.de Kreisausschuss des Main-Kinzig-Kreises Magistrat der Stadt Wetzlar naturschutzbehoerde@mkk.de umwelt-naturschutz@wetzlar.de Kreisausschuss des Main-Taunus-Kreises Magistrat der Universitätsstadt Gießen bauen-umwelt@mtk.org umweltamt@giessen.de 2 95
VORBEMERKUNG Die vorliegende Broschüre ist unter Mitwirkung Bäume prägen unsere Straßen und Grünanla- Die Broschüre möchte Anregungen zum Nach- zahlreicher Autorinnen und Autoren aus Hessen gen, sie werden von den Menschen stark wahr- ahmen geben, deswegen sind die Beispiele sehr entstanden. Sie ist somit ein Produkt, welches genommen und leisten spezifische Beiträge zur konkret beschrieben. Und, sie wendet sich vor al- die vielfältigen Erfahrungen widerspiegelt, die biologischen Vielfalt. Deswegen erfahren sie eine lem an die kleineren und mittleren Kommunen. in hessischen Kommunen gemacht worden sind hervorgehobene Aufmerksamkeit. Also die Kommunen, die nicht über eine größere oder zurzeit gemacht werden. Und zwar, Erfah- Still- und Fließgewässer stellen mit ihren Ufer- Fachverwaltung verfügen. Das heißt, es sind, und rungen mit beispielhaften Projekten und Akti- bereichen und dem Begleitgrün, einschließlich dies sollte nicht vergessen werden, im Grunde onen, um die biologische Vielfalt innerhalb un- der Auenbereiche von Fließgewässern, ganz be- fast alle Kommunen in Hessen, die dazu zählen. serer Städte und Orte zu fördern. Es handelt sich sondere Lebensräume dar. Allerdings sind die Großstädte Darmstadt, Frank- dabei nicht um Aktivitäten, die außerhalb der be- furt, Kassel, Offenbach und Wiesbaden auch beim bauten Ortsteile stattfinden, wo es in die »freie« • Im DRITTEN TEIL der Broschüre geht es um Bei- Thema biologische Vielfalt vielfach Vorbilder und Landschaft hinausgeht, sondern um Maßnah- spiele, die auf privaten Flächen, z. B. im eigenen zeigen, was möglich ist. Deswegen sind auch Bei- men, die quasi vor der Haustür stattfinden, dort Garten, oder von privaten Akteur*innen, also spiele aus diesen Städten zu finden. wo die Menschen direkt leben. Diese Broschüre Naturschutzverbänden, Ehrenamt, Unternehmen ist gleichzeitig ein Erfahrungsbericht sowohl oder sonstigen engagierten Personen durchge- von Fachpersonen kommunaler Verwaltungen führt werden. als auch von Menschen, die in Naturschutzver- bänden aktiv sind und die sich für mehr Natur in In diesem Teil werden zudem Beispiele rund um ihrem Ort engagieren. das Gebäude vorgestellt. Sei es die Begrünung Somit handelt es sich bei der vorliegenden der Gebäude oder der Schutz und die Förderung Broschüre um ein Kaleidoskop unterschiedlichs- gebäudebewohnender Arten. ter Projekte und Aktionen. Es besteht nicht der Anspruch systematisch und vollständig alle mög- • Im VIERTEN TEIL werden Projekte und Instituti- lichen Handlungsfelder für mehr biologische onen vorgestellt, die das Thema und das Erleben Vielfalt im Ort abzubilden, sondern es ist eine von biologischer Vielfalt im Ort den Menschen Momentaufnahme von Aktivitäten, die zurzeit be- nahe bringen und erklären wollen. sondere Aufmerksamkeit erfahren. Dazu gehören zum Beispiel vielfältige Aktivitäten zur Förderung Biologische Vielfalt ist eine Herausforderung von Blühaspekten, die oftmals unter dem Dach für die Bildung. Dies fängt bei Kindern in der »Hessen blüht« erfolgen. Die Broschüre gliedert Kindertagesstätte und Grundschule an, hört sich in folgende Abschnitte: aber bei Erwachsenen nicht auf. Naturerfah- rungsräume können für das Naturerleben • Im EINLEITUNGSTEIL wird veranschaulicht, war- und für das unmittelbare Kennenlernen der um biologische Vielfalt im Ort notwendig ist, wo Vielfalt der Pflanzen- und Tierwelt eine heraus- diese gefördert werden kann, wie angefangen ragende Funktion übernehmen. werden kann und, dass eine Zusammenarbeit zwischen Kommunen und den vielen ehrenamt- • Im LETZTEN TEIL stehen jene strategischen und lich Engagierten hilfreich ist.. konzeptionellen Vorgehensweisen sowie Instru- mente im Mittelpunkt, die aufzeigen, wie auf der • Danach steht das öffentlich bewirtschaftete Grün kommunalen Ebene mehr und nachhaltig etwas im Mittelpunkt. Das reicht von den öffentlichen für biologische Vielfalt getan werden kann. Dabei Parkanlagen und Grünflächen bis hin zum Stra- werden einzelne praktische Beispiele präsentiert, ßenbegleitgrün. Es sind die Flächen, auf welche die sich in besonderer Weise auf den Gegenstand die kommunale Verwaltung direkten Zugriff hat. biologische Vielfalt beziehen. 3
INHALTSVERZEICHNIS EINFÜHRUNG 9 BILDUNGSORTE BIOLOGISCHER VIELFALT 69 WARUM IST BIOLOGISCHE VIELFALT IN STADT UND DORF WICHTIG? 9 MEHR NATUR ERLEBEN IN KITAS, SCHULEN UND NATURERFAHRUNGSRÄUMEN 69 BIOLOGISCHE DIVERSITÄT – IM REGENWALD UND BEI UNS 10 SPIELRÄUME – EIN EXKURS 69 MASSNAHMEN ZUR FÖRDERUNG BIOLOGISCHER VIELFALT SCHON BEI DEN KLEINSTEN ANFANGEN – BIOLOGISCHE VIELFALT IN KITAS UND GRUNDSCHULEN 70 IN KLEINEN UND MITTLEREN HESSISCHEN KOMMUNEN 10 FREIZEIT, ABENTEUER UND WILDNIS IN GIESSEN 72 WO UND WIE BIODIVERSITÄT IN DEN STADT- UND ORTSKERNEN FÖRDERN? 11 ARTENVIELFALT WERTSCHÄTZEN LERNEN DURCH NATUR- UND WALDPÄDAGOGIK 74 BILDUNGSEINRICHTUNGEN FÜR BIOLOGISCHE VIELFALT 76 KOMMUNALES GRÜN BRAUCHT MEHR BIOLOGISCHE VIELFALT 13 WILDBIENEN »HAUTNAH« ERLEBEN – DER WILDBIENEN-SCHAUGARTEN IN FRANKFURT-ECKENHEIM 77 BAUSTEINE FÜR MEHR VIELFALT IM KOMMUNALEN GRÜN 13 BIOLOGISCHE VIELFALT IN DER BILDUNGSPRAXIS – DAS UMWELTZENTRUM HANAU 78 STADTENTWICKLUNG ZURÜCK ZUR NATUR – EIN HERSFELDER INDUSTRIEAREAL NATURFANS IN UMWELTSCHULEN UND KINDERTAGESSTÄTTEN 79 WIRD ZUM NATURNAHEN PARK 16 KINDER PFLANZEN PIZZA 79 MEHR VIELFALT DURCH WENIGER PFLEGE IM HOMBURGER KURPARK 18 BIOLOGISCHE VIELFALT FÜR LAIEN UND PROFIS – NATURSCHUTZ-AKADEMIE HESSEN 80 HINGUCKER UND LEBENSRAUM – WILDBLUMENWIESEN IM WEITERSTÄDTER SCHLOSSPARK 20 KLEINER ANFANG, GROSSES ZIEL – HOFHEIM GOES WILD! 22 LIEGT RIEDSTADT BEI TSCHERNOBYL? 24 KONZEPTE UND INSTRUMENTE ZUR FÖRDERUNG IN MAINTAL BLÜHT ES AN ALLEN ECKEN UND ENDEN 26 DER BIOLOGISCHEN VIELFALT IM ORT 83 ARTENREICHES GRÜN STATT ÖDNIS IM GEWERBEGEBIET – WEITERSTADT NUTZT POTENZIALE 28 VOM KOMPASS BIS ZUM GELD – RAHMENBEDINGUNGEN FÜR EINE GUTE UMSETZUNG BLUMEN STATT ASPHALT – FRANKENBERG HAT »LUST AUF GRÜN« 30 SCHAFFEN UND NUTZEN 83 HAIGER – EIN NEUES ZUHAUSE FÜR WILDBIENEN! 32 KOMMUNALE BIODIVERSITÄTSSTRATEGIEN 84 STADTBÄUME SIND LEBENSWICHTIG 34 KOMMUNALES MASSNAHMENPROGRAMM: DAS BEISPIEL DARMSTADT 86 STRASSENBÄUME BRAUCHEN BESONDERE HILFE 35 BIODIVERSITÄT UND BÜRGERBETEILIGUNG IM LANDKREIS MARBURGBIEDENKOPF 89 ARTENSCHUTZ AN GEHEIMNISVOLLEN ORTEN – FRANKFURTER HÖHLENBÄUME KOMMUNALE PLANUNG UND KONZEPTE FÜR DEN ARTEN- UND BIOTOPSCHUTZ 91 UND IHRE BEWOHNER 36 LISTE DER UNTEREN NATURSCHUTZBEHÖRDEN 95 VERKEHRSSICHERUNGSPFLICHT – NICHT NUR IN RÜSSELSHEIM EIN HEIKLES THEMA 38 GIESSEN TRITT AUS DER VERBOTSECKE 40 BIOLOGISCHE VIELFALT IM »KOMMUNALEN BLAU« 42 REGENRÜCKHALTEBECKEN ALS RÜCKHALT FÜR DIE ARTENVIELFALT – MARBURG MACHT’S VOR! 43 NATUR AUF BETONBASIS – DER KIRCHHAINER FEUERLÖSCHTEICH 44 LAHN UND DILL – DIE LEBENSADERN VON WETZLAR 46 ZURÜCK ZUR NATUR – EIN NEUES GESICHT FÜR DEN ALTEN HAINBACH IN OFFENBACH AM MAIN 48 BIOLOGISCHE VIELFALT VOR DER EIGENEN TÜR: INITIATIVEN UND PROJEKTE IM WOHNUMFELD 51 LEBENS- UND ERLEBNISRAUM – GÄRTEN UND ABSTANDSGRÜN 51 MEHR NATURNAHE GESTALTUNG VON VOR- UND HAUSGÄRTEN – WIE GEHT DAS ÜBERHAUPT? 52 MARBURG – BUNTE MIETERGÄRTEN STATT TRISTER RASENFLÄCHEN 54 GEMEINSCHAFTSGARTEN STATT ÖDEM ABSTANDSGRÜN IN KASSEL 56 EIN FLECKCHEN VIELFALT – GARTENINITIATIVEN IN FRANKFURT 58 WENN ALLE AN EINEM STRANG ZIEHEN – KOOPERATION FÜR MEHR STADTNATUR IN DARMSTADT 60 HÄUSER VOLLER LEBEN 62 HILFE GEGEN WOHNUNGSNOT – NABU PROJEKT FLEDERMAUSFREUNDLICHES HAUS 63 WETTENBERG – FLEDERMAUS IM BÜRGERHAUS 65 NICHT NUR AM BODEN – DACH- UND FASSADENBEGRÜNUNGEN FÖRDERN BIOLOGISCHE VIELFALT 66
VORWORT Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Leserin, lieber Leser, der Schutz der Umwelt und der Biologischen Vielfalt, der Erhalt unserer Natur in all ihren Facetten – dient nichts geringerem als der Wahrung unserer eigenen Lebensgrundlagen. Denn ohne die Vielfalt an unterschiedlichen Lebensräumen, Tier- und Pflanzenarten kann auch der Mensch langfristig nicht überleben. Somit stehen wir auch aus der Verantwortung für nachfolgende Generationen in der Pflicht die Biologische Vielfalt zu schützen. Sie trägt dazu bei, dass unsere Ökosysteme auch in Zukunft noch funktionieren und uns ihre kostenlosen Dienstleistungen, wie sauberes Wasser, gesunde Luft und ertragreiche Böden, zur Verfügung stellen kön- nen. Jede und Jeder kann dafür einen Beitrag leisten. Beginnen Sie doch gleich vor Ihrer eigenen Haus- tür, indem Sie etwa Nahrungsquellen für Bienen und andere bestäubende Insekten schaffen. In dieser Broschüre finden Sie eine Vielzahl von Beispielen, die Kommunen bereits erfolgreich umgesetzt haben. Grünflächen sind für viele Pflanzen und Tiere mittlerweile zu einem wichtigen Überlebensraum gewor- den. Mehr Grün und mehr Biologische Vielfalt macht das Leben außerdem attraktiver und lebendiger. Ob Begrünung, Blühstreifen oder Biotop – das Land Hessen unterstützt seine Kommunen bei ihren Vorhaben zur Stärkung der Biologischen Vielfalt. Das geht über die Städtebauförderung, aber auch über die Hessische Biodiversitätsstrategie und das Programm für Klimaschutz- und Klimaanpassungs- projekte. Auch Bürgerinnen und Bürgerinnen können sich beispielsweise über das Gartentelefon (Tel. 0561 / 729 93 77) informieren, wie sie die Biologische Vielfalt in ihrem Garten stärken können. Die Bandbreite an Möglichkeiten ist groß und in der vorliegenden Broschüre haben wir viele gebündelt und stellen sie Ihnen ansehnlich und informativ zur Verfügung. 35 Autorinnen und Autoren legen Ihre Erfahrungen – vor allem aus kleinen und mittleren hessischen Kommunen – dar und geben Tipps zur Umsetzung. Die Broschüre entstand unter tatkräftiger Mitwir- kung des Instituts Wohnen und Umwelt aus Darmstadt, der Deutschen Umwelthilfe und der Hochschule Geisenheim. Entstanden ist ein umfassender Ratgeber aus Hessen für Hessen, der konkrete Anregungen für die Praxis gibt. Die vorliegende Broschüre ist Teil der Nachhaltigkeitsstrategie Hessen, die die Biologische Vielfalt als Schwerpunktthema aufgreift und hier unter anderem im Rahmen einer Arbeitsgruppe mit unterschiedli- chen Partnerinnen und Partnern das Thema »Biodiversität in der Stadt« diskutiert. Dieser Dialog spiegelt sich auch in der Broschüre wider. Die unterschiedlichen Beiträge ganz unterschiedlicher Autorinnen und Autoren führen zu einer Vielzahl von Sichtweisen auf das Thema. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen und hoffe, dass Sie sich für das eigene Handeln inspirieren lassen! Ihre Priska Hinz 6 7
EINFÜHRUNG WARUM IST BIOLOGISCHE VIELFALT IN STADT UND DORF WICHTIG? »Viele der uns Menschen anvertrauten Arten sind vom Aus- Warum ist Ihnen persönlich biologische Vielfalt wichtig? Grasfrosch, Turmfalke und Margerite: Biodiversität macht unsere Städte und Dörfer lebenswert. Naturschutz sterben bedroht, auch Schmetterlinge und Bienen. Mit unserem in den Siedlungen soll biologische Vielfalt nicht nur um Kirchen-Wettbewerb Schatzkammer Garten wollen wir anregen, ihrer selbst willen erhalten. Sie dient auch uns selbst: für mehr Grünflächen zu Paradiesen für Schmetterlinge und Bienen Erlebnis, Entspannung, Erholung und Inspiration. zu machen. Damit wir mit Paul Gerhardt weiterhin singen können: »Die unverdrossene Bienenschar fliegt hin und her, Der Verlust der biologischen Vielfalt ist kein entferntes Phä- nomen, sondern findet hier bei uns vor Ort statt. Dabei ist die « sucht hier und da ihr edle Honigspeise«. Pfarrer Andreas Krone aus Runkel hat in seiner Gemeinde einen Wettbewerb zur Erhaltung der biologischen Vielfalt an Lebensräumen, Tier und Pflanzenarten sowie ihre Vielfalt vor Ort mit dem Titel »Gärten als Schatzkammer Gottes« ausgerufen. genetische Vielfalt die Grundvoraussetzung für eine intakte Natur. Nur wenn die Natur intakt ist, können wir uns darauf verlassen, dass sie uns mit frischem Trinkwasser und saube- rer Luft versorgt, sie fruchtbare Böden bereit hält und großen Gleichzeitig stellt das Wachstum von städtischen Sied- Erholungswert bietet. lungs- und Verkehrsbereichen jedoch auch eine der Haupt- Städtische Siedlungsbereiche stellen gegenwärtig für Ge- gefährdungen für die biologische Vielfalt dar, so dass das fäßpflanzen und fast alle Tiergruppen besonders wichtige Verhältnis zwischen Natur und Stadt eigentlich als äußerst Orte mit großem Artenreichtum dar. Das liegt vor allem an widersprüchlich anzusehen ist. der Vielzahl unterschiedlicher Lebensräume (Habitate) und Natur ist den Menschen in Deutschland wichtig, das be- mosaikartiger Verflechtung dieser Habitate, die von vielen stätigt die Naturbewusstseinsstudie 2016 des Bundesum- unterschiedlichen Tieren und Pflanzen besiedelt werden. weltministeriums: die ökologische Vielfalt wird geschätzt, die Natur mit Gesundheit, Erholung und Glück verbunden, und auch bei der Kindererziehung wird ihr ein sehr großer Stellenwert eingeräumt. Es liegt an uns, aktiv die Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten, sowie deren Lebensräume zu schützen und für nachfolgende Generationen zu erhalten. Und wo liegt es näher, die biolo- gische Vielfalt zu schützen, als gerade dort, wo die meisten Menschen leben? »Schönheit, Eigenart und Vielfalt der Natur sind ohne Biodiver- Warum ist Ihnen persönlich biologische Vielfalt wichtig? sität nicht gut zu vermitteln. Einsichten in die biologische Vielfalt führen zu Verantwortungsbewusstsein und Empathie gegenüber der Umwelt und einer positiven Einstellung sich selbst und ande- « ren Lebewesen gegenüber. Dr. Martin Reiss, Geograph an der Universität Marburg & Mitglied der Spielraum Umweltbildung e. V. in Marburg 9
verschiedenen Lebensräume und Lebensgemein- langweilig und nicht schön. Unsere Landschaften schaften mit ihren Prozessen und Stoffkreisläufen. werden zunehmend artenärmer, die Vielfalt geht da- Der Begriff beinhaltet also weit mehr als nur die hin. Umso wichtiger ist es, auch im innerdörflichen Artenvielfalt. und städtischen Bereich, vielfältige und naturnahe Es ist nicht wichtig, dass unsere heimische Biodi- Lebensräume zu schaffen und unsere heimischen versität geringer ist als die in den Zonen nahe dem Arten zu schützen. Vom Amphibiengewässer im Äquator. Sie ist ganz anders, und darauf kommt es Garten bis zum Insektenhotel auf dem Balkon, die EIN GASTBEITRAG VON an. Der Schutz bestimmter Arten hier wie dort ist Möglichkeiten jedes Einzelnen sind vielfältig. Es MANFRED NIEKISCH ein guter Einstieg zur Bewahrung der Biodiversität, muss nicht jeder alles tun, aber jeder kann etwas (ehemaliger Direktor des doch müssen Schutz und Wiederherstellung der Le- tun, im privaten wie im beruflichen Umfeld. Die Frankfurter Zoos, sowie bensräume hinzukommen. Das Zusammenspiel der Schaffung von auch kleinen Ersatzlebensräumen Mitglied im Sachverstän- Arten mit ihrer Umwelt baut die Ökosysteme auf, in Siedlungsgebieten für das, was »draußen« verlo- digenrat für Umweltfragen und diese wiederum erbringen unzählige Dienst- ren gegangen ist, ist dabei ein durchaus wichtiger und im Landesnaturschutz- leistungen für den Menschen. Fruchtbare Böden, Aspekt. Mehr Natur in Dorf und Stadt ist aber ein beirat Hessen) gute Luft und sauberes Wasser sind als positive ganz wesentliches Mittel zur Gestaltung lebenswer- Ergebnisse sofort erkennbar. Die Bedeutung von ter Lebensräume für den Menschen, für eine nach- Wildkräutern für Insekten, die wiederum für die haltige Wohn- und Siedlungsweise. WO UND WIE BIODIVERSITÄT IN DEN Gut ist es, sich am Anfang einen systematischen Überblick links: Der Herrngarten, BIOLOGISCHE DIVERSITÄT – Bestäubung von Zier- und Nutzpflanzen und damit Und schließlich ist Biodiversität die Basis der Evo- STADT- UND ORTSKERNEN FÖRDERN? zu verschaffen und dabei auf Papier, in Plänen oder Dateien die größte innerstädtische IM REGENWALD UND BEI UNS für Ästhetik und Nahrungsproduktion unverzichtbar lution des Lebens auf der Erde. Schmälern wir diese Antworten zu notieren: Grünanlage in Darmstadt sind und so wichtige Teile unserer Lebensqualität be- Basis, stören wir den Fortgang der Entwicklung des • Wo sind welche Typen von Grünflächen vorhanden, Wurde er nicht für die artenreichen Regenwälder ge- reitstellen, ist ein anschauliches Beispiel, das global Lebens. Das dürfen wir im eigenen Interesse, aber WO? wie ist ihr Zustand? rechts: Blick auf innerstädti- prägt, für ferne tropische Regionen, dieser sperrige gilt. Der Schritt von diesen eher materiellen, prakti- auch im Interesse künftiger Generationen nicht zu- Dicht an dicht steht die Bebauung in Wohn- und Gewerbege- • Wer ist für die Flächen zuständig und wie werden sche Bürogebäude der Stadt Begriff der biologischen Diversität? Nein, er gilt ge- schen Nutzaspekten zu abwechslungsreichen Natur- lassen. Und abgesehen davon haben Tiere, Pflanzen bieten, in Innenstädten und Ortskernen. Ein großer Teil der sie gepflegt? Frankfurt/M. nauso für hessische Kommunen und bezeichnet die und Kulturlandschaften mit ihrem unermesslichen und Lebensgemeinschaften einen Eigenwert. Und Zwischenflächen wird durch den fließenden und ruhenden • Wo können Flächen entsiegelt und neu begrünt Vielfalt und Unterschiedlichkeit des Lebens auf der Wert für Erholung, Entspannung, als Quelle der Inspi auch dieser verpflichtet zum Schutz der Vielfalt des Verkehr belegt. Wo bleibt da noch Platz, um die Biodiversität werden? Erde. Dazu gehören die genetischen Unterschiede ration auch für die Künste, ist dann nicht mehr weit. Lebens. In den tropischen Regenwäldern genauso zu fördern? Geht das überhaupt in unserem Ort, in unserer • Was kann wie verbessert werden, um biologische zwischen den Individuen einer Art, die Unterschiede Eintönige Monokulturen, artenarme Rasen- wie bei uns daheim. Stadt? Vielfalt zu fördern? zwischen den Arten und auf der obersten Ebene die flächen, überdüngte Gewässer sind Realität, aber Grundsätzlich gilt: Jede Fläche stellt einen potenziellen • Welche Pflanzen (z. B. Arten magerer Standorte) Lebensraum für Pflanzen und Tiere dar. Einige Flächen sind und Pflanzengesellschaften (z. B. Saumgesellschaf- weitgehend lebensfeindlich, wie asphaltierte Straßen und ten), und welche Tierarten sollen in besonderer versiegelte Flächen. Andere bieten Raum für besonders vie- Weise von Verbesserungsmaßnahmen profitieren? eines Straßenabschnitts von 1,5 km Länge leben. die Bürgerinnen und Bürger zum Nachahmen le Arten, wie eine blütenreiche Wiese in einem Park. Aber Heute weiß ich, dass in Kirchhain die Schmale animieren. »Tue Gutes und rede drüber«, muss für jede noch so artenarme oder noch so kleine Fläche sind Ein einfacher Erfassungsbogen kann die Bearbeitung er- Urameise, die Säbeldornige Knotenameise oder unser Anspruch sein. Es gilt regelmäßig über un- Maßnahmen denkbar, um deren Qualität als Lebensraum für leichtern, am besten versehen mit Luftbild-Ausschnitten. So die Rotbärtige Sklavenameise zu Hause ist. sere Initiativen zu berichten, sei es auf der städ- Pflanzen und Tiere zu verbessern. Es lohnt sich also überall lässt sich nach und nach ein systematisches Grünflächenka- Kirchhain steht am Beginn eines Stadtentwick- tischen Homepage, im örtlichen Mitteilungsblatt hinzuschauen: Wie ist die Situation und welche Maßnahmen taster aufbauen. Dieses kann in einem weiteren Schritt zu lungsprozesses. Welches Potenzial sehen Sie und ganz wichtig im persönlichen Gespräch. sind denkbar? Drei Kategorien von Flächen lohnt es beson- einem Grünflächenmanagementsystem weiterentwickelt dabei im Thema Stadtgrün, speziell was die Kirchhain ist Nothaushaltskommune und enga- ders zu betrachten: werden. Aktivierung und Identifikation der Bürgerinnen giert sich dennoch für die biologische Vielfalt im • Areale im kommunalen Bereich, wie öffentliche Für die große Anzahl an Flächen in privatem Eigentum, und Bürger für und mit ihrer Stadt betrifft? Stadtgebiet. Welche Tipps können Sie anderen Grünflächen, öffentliche Gebäude und ihre die in unterschiedlichster Art und Weise gestaltet sind und INTERVIEW MIT Die Stadt Kirchhain hat sich bewusst dem The- Kommunen weitergeben, wie auch mit geringem Freiflächen; entsprechend verschieden genutzt werden, kommen zwei BÜRGERMEISTER ma biologische Vielfalt gewidmet. Dabei war es finanziellem Aufwand Erfolge in Sachen biolo- • Flächen im unmittelbaren (oft privaten) Wohnum- Vorgehensweisen in Frage: OLAF HAUSMANN, sicher von Vorteil, dass wir das Bieneninstitut gischer Vielfalt möglich sind? feld, wie Vorgärten am Haus, die Hausfassade • Die Kommune bietet Informationen und Hilfestel- Stadt Kirchhain des Landes Hessen hier vor Ort haben. Mit der Ja, Kirchhain hat unter dem sogenannten Kom- selber, Hofbereiche und Gärten, Abstandsgrün lung an, wie Gärten und Freiflächen naturnäher Einrichtung von Blühwiesen in der Innenstadt munalen Schutzschirm des Landes Hessen zwischen Häusern; gestaltet werden können. Interessierte Eigen- im Rahmen des Gemeinschaftsprojektes »Kirch- gestanden und große Anstrengungen unter- • Gebiete im gewerblichen Bereich, wie Teile von tümer*innen melden sich bei der Verwaltung. hain blüht« von Stadt, Bieneninstitut und BUND nommen, die finanzielle Situation der Stadt zu Betriebsflächen, Außenanlagen und Gebäude. • Es werden Gebiete identifiziert, in denen gezielt MASSNAHMEN ZUR FÖRDERUNG wurde die Bevölkerung sensibilisiert, Lebensräu- verbessern, die Schulden zu reduzieren, um die biologische Vielfalt gefördert werden soll. Das BIOLOGISCHER VIELFALT IN me und somit Nahrung für Bienen zu schaffen. Haushalte auszugleichen und zu konsolidie- können z. B. Flächen sein, die KLEINEN UND MITTLEREN Darauf lässt sich aufbauen. Mit dem Pilotprojekt ren. Ende 2017 sind wir aus dem Kommunalen WIE KANN DIE UMSETZUNG GELINGEN? ★ entweder wenig Grün oder umgekehrt besonders HESSISCHEN KOMMUNEN »Stadtgrün: Artenreich und Vielfältig« gehen wir Schutzschirm entlassen worden. Trotzdem war Am leichtesten fällt der Start auf eigenen Flächen der Kom- viel großflächiges Grün haben; den nächsten Schritt. In einer überdurchschnitt- es uns wichtig, zukunftsorientierte Themen fort- mune. Drei Handlungsbereiche bieten sich hier zuerst an: an öffentliche Grünflächen und Grünverbund- Herr Hausmann, was verbinden Sie persönlich lich gut besuchten Auftaktveranstaltung konnten zuführen und weiterzuentwickeln. Daher war es • Parks und Grünanlagen, systeme (wie etwa Gewässer) angrenzen; mit dem Begriff »Biologische Vielfalt«? wir die Bevölkerung für unser Anliegen gewin- unerlässlich, nach Fördertöpfen zu suchen, Koo- • Straßenbegleitgrün an Fahrbahnrändern, Verkehrs- ★ Eigentümer*innen haben, die unter Umständen Die Biologische Vielfalt rückt mehr und mehr in nen, und in der lokalen Arbeitsgruppe arbeiten perationen mit Partnern wie dem Landkreis oder inseln, Fahrbahnteilern und ähnlichen Restflächen, gut für derartige Vorhaben zu gewinnen sind, wie das Bewusstsein der Menschen. Das ist gut so. nun die Bürgerinnen und Bürger aktiv mit. Ei- dem BUND einzugehen, oder auch die Schulen • Hochbauten wie Schulen, Kindertagesstätten, Bür- Wohnungsunternehmen oder einzelne gewerbliche Was verbinde ich damit? Ganz einfach: Im Rah- nerseits gilt es die vielfältigsten Themenfelder, miteinzubinden. Und was nicht zu vergessen ist, gerhäuser, Sporthallen und Verwaltungsgebäude Unternehmen. men des Pilotprojektes »Stadtgrün: Artenreich wie z. B. Innenstadtbegrünung, Einrichtung von ist die Stärkung der ehrenamtlichen Initiative der mit zugehörigen Grünanlagen und Spielplätzen. und Vielfältig« wurde mir bei der Bestandsauf- Naschgärten, Bereitstellung von Insektenhotels einzelnen Bürgerinnen und Bürger, die z. B. die nahme der Pflanzen- und Tierwelt bewusst, wie oder Lebensräume für Ameisen zu schaffen, Patenschaften für Pflanzkübel oder die Pflege von viele unterschiedliche Ameisenarten entlang transparent zu machen. Andererseits wollen wir Spielplätzen übernommen haben. 10 11
unternehmen will, so ist sie gut beraten, dieses Wissen der Begehungen der besonders interessanten Biotopflächen Bürgerschaft zu mobilisieren und zu nutzen. im Gemeindegebiet, ihre Erläuterung und das Gewinnen Die auf gute Partnerschaft und Respekt setzende Zusam- von Verständnis für deren Bedeutung schafft für die Bürger- menarbeit der kommunalen Verwaltung mit den Ansprech- schaft einen Kontext, aus dem heraus eigene Naturerfahrung partnern der Naturschutzverbände ist Gold wert für Projekte erlangt und vertieft wird. Dieses Kennenlernen sollte auch zur Sicherung der biologischen Vielfalt. Oft kommen zielfüh- bestimmte Lebensräume oder Artengruppen umfassen. Vo- rende und umsetzungsfähige Ideen gerade aus der Zivilge- gelstimmenwanderungen, Amphibien- und Libellenexkursi- sellschaft, die aber gebündelt und eruiert werden müssen. onen und Fledermausnächte können die Menschen mit bio- Dazu kann ein »grüner« runder Tisch im Rathaus dienen, wo logischer Vielfalt vor ihrer Haustür bekannt machen und den man ein- bis zweimal jährlich zusammenkommt, um Projekte abstrakten Begriff mit Leben füllen. Daraus erwächst mindes- und Anliegen aufzugreifen und anzugehen. tens Zustimmung zu geplanten Maßnahmen, in vielen Fällen Solche Themen reichen von konkreten Artenhilfsmaßnah- aber auch eigenes Engagement. men, Maßnahmen in Grünanlagen und der Grünflächenpfle- Die Gemeinde kann in besonderer Weise landesweite ge bis hin zu umweltpädagogischer Arbeit, Vorträgen und Kampagnen der Verbände, wie des NABU zum fledermaus- Öffentlichkeitsarbeit wie einem gemeinsamen Internet- freundlichen Haus oder des BUND mit dem »Abenteuer portal. Faltertage«, nutzen und bei sich verankern. Besonders gut sind außerdem gemeinsam getragene Pfle- ge- und Managementmaßnahmen für Ziele zur Förderung von Natur und biologischer Vielfalt, um im Team zur Tat zu schreiten und gemeinsame Erfolge erleben zu können. oben: Das Begleitgrün an Kommunale Strategien und Konzepte können einen Rahmen Wichtig dabei ist, dass die Verantwortung und die weitere In der Gemeindeverwaltung sollte es dazu eine Ansprech- Wohnhäusern ist so unter- bilden. Sie sind hilfreich, damit die Maßnahmen zielgerich- Pflege klar geregelt sind. Andernfalls besteht die Gefahr, person geben, die fachkundig ist und die Aufgaben koordi- schiedlich, wie die Menschen tet einen guten Erfolg erreichen. So wird aus der Summe dass die Fläche schon nach wenigen Jahren eher als Negativ- niert. Zugleich sollte sie die Beziehungen zu den kommunal- Insektenhotels haben die in diesen Häusern vieler kleiner, im Einzelfall unbedeutend erscheinenden beispiel auffällt. Parallel zur Realisierung erster Maßnahmen politischen Mandatsträger*innen sicherstellen. überall Platz wohnen Aktivitäten ein großes Ganzes. sollte die Kommune aber schon ein Gesamtkonzept aufstel- len. Dieses definiert Ziele, Maßnahmentypen, geeignete Gebiete und evtl. auch konkrete Flächen. Dieses sollte nicht DER ERSTE SCHRITT im stillen Amtszimmer entstehen, sondern mit interessierten Die ersten Fragen gelten möglichen Anknüpfungspunkten: Akteur*innen aus der Gesellschaft gemeinsam entwickelt Gibt es vielleicht schon erste (ausbaufähige) Möglichkeiten? werden. Damit steigt die Akzeptanz und Mitwirkungsbereit- Hat es in der Vergangenheit Erfahrungen, positive wie auch schaft und die Ideen werden durch Botschafterinnen und negative, mit dem Thema gegeben? Welche Akteur*innen Botschafter in die Gesellschaft hineingetragen. können Unterstützung und fachliche Hilfe bieten? Wie ste- hen Bevölkerung, Magistrat, Parlament und Bauhof zu den Ideen? Was kann der einzelne Bürger und die einzelne Bür- GEMEINSAM STARK: KOMMUNEN, EHRENAMT, gerin und können vielleicht Angestellte der Kommune tun? PRIVATE Und nicht zuletzt: Was kostet das denn? In jeder hessischen Stadt und Gemeinde gibt es engagierte Erfahrungswissen ist also gefragt – entweder in der eigenen Bürgerinnen und Bürger, die sich der Natur in der Stadt und Kommune, aber natürlich auch aus anderen Städten und Ge- im Ort annehmen und dazu ehrenamtlich arbeiten. Sie set- meinden Hessens. Dazu sind im vorliegenden Maßnahmenka- zen sich mit oft hohem Zeitaufwand für eine nachhaltige und talog zahlreiche Beispiele zu finden. Daher: Es gibt genügend umweltgerechte Stadtentwicklung ein. Sie beobachten und Beispiele, um einfach mal anzufangen und Maßnahmen für erfassen Indikatoren für den Zustand von Natur und Umwelt mehr biologische Vielfalt in ersten, wenn auch vielleicht klei- und widmen sich nicht selten ganz speziellen Fragestellun- nen und zunächst einfachen Schritten umzusetzen. gen oder Artengruppen. Daraus entsteht ein großer Schatz Mit welchen Flächen kann begonnen werden? Besonders an Wissen und Kenntnissen über die Natur in der Kommune. geeignet erscheinen Flächen, Vielfach engagieren sich Mitglieder aus den Orts- und Kreis- • bei denen die Umsetzung einfach ist, gruppen der Naturschutzverbände, vor allem vom BUND und • die zurzeit durch ein besonders negatives Erschei- NABU sowie von HGON, BVNH und SDW. Hierzu zählen auch nungsbild auffallen, Imkervereine und andere Gruppen und Initiativen (z. B. das • die viel Aufmerksamkeit erfahren, z. B. weil sie mit- Beobachter-Netzwerk naturgucker.de). ten in der Innenstadt liegen oder viele Menschen Dieses Wissen aus der Zivilgesellschaft (Citizen Science) daran vorbeifahren, so dass Maßnahmen für ein hat sehr großen Wert für die Nutzung in kommunalen Pro- Aha-Erlebnis sorgen, jekten, für die kommunale Planung und Vorhaben. Wenn • für deren Umgestaltung es Unterstützung von eine Stadt oder Gemeinde besondere Anstrengungen für Akteur*innen aus der kommunalen Gesellschaft gibt. ihre heimischen Lebensräume und die wildlebenden Arten 12
KOMMUNALES GRÜN BRAUCHT MEHR BLÜHFLÄCHEN In Grünanlagen sind viele Flächen als Scherrasen mit vielfacher Mahd gestaltet. Dies BIOLOGISCHE VIELFALT muss nicht zwingend sein, sondern in vielen Teilbereichen ist eine Umwandlung in blütenreiche Wiesen möglich. Dies gilt auch für Pflanzungen an Straßen mit Bodende- ckern. Hier bieten sich ebenfalls Umwandlungen in Blühwiesen oder Staudenbeete an. SÄUME Säume mit artenreichen Pflanzen vor Mauern, Hecken und Baumbeständen haben einen erheb- lichen ökologischen Wert und dienen somit dem Artenreichtum in einem besonderen Maße. LAUB-/HECKENSCHNITT Laub und Heckenschnitt sind kein Sondermüll, sondern wertvolles Material zur Förderung von Mikroorganismen und Bodenbewohnern und zur Gestaltung von Lebensräumen für Kleinsäuger. Das Material kann kostensparend unter Hecken, Bäumen und in Randberei- chen gelagert werden, es verhindert die Austrocknung des Bodens, versorgt diesen mit BAUSTEINE FÜR MEHR VIELFALT IM HESSEN BLÜHT UND VIELE KOMMUNEN AUCH v. l. n. r.:Grünspecht, Vogel- benötigten Mineralien und ersetzt Rindenmulch. KOMMUNALEN GRÜN »Hessen blüht« ist Teil der hessischen Biodiversitätsstrategie beere, Igel und Schwebfliege und ein Aktionsprogramm, welches dazu anregt, Blühflächen anzulegen, um unter anderem die bestäubenden Insekten WILDES GRÜN Kommunales Grün ist vor allem intensiv gestaltetes und zu fördern und auf diese hinzuweisen. Eine »Wilde Ecke« etwas abseits und sichtentzogen, um die Nerven der ordnungslie- gepflegtes Grün. Es soll vielen Ansprüchen der Bürgerinnen Mehrere Kommunen haben sich diese Kampagne zu ei- benden Bürgerinnen und Bürger nicht übermäßig zu strapazieren, kann sich auch und Bürger der Kommunen gerecht werden. Die Menschen gen gemacht und haben in Grünanlagen und im Straßen- anbieten. Hier kann sich die Natur einfach mal frei entfalten, und es wird nur einge- suchen in den Parks und Grünanlagen vor allem Entspan- begleitgrün blühende Wiesen und Staudenpflanzungen griffen, wenn es unbedingt notwendig ist. Allerdings sieht eine derartige Fläche nicht nung und Erholung. Aber in vielen öffentlichen Grünanlagen angelegt. Mehrere dieser Beispiele werden hier vorgestellt. schön im herkömmlichen Sinne aus. Akzeptanz ist notwendig und nicht immer einfach gibt es Teilflächen und »versteckte Ecken«, in denen das Grün Es werden dabei unterschiedlichste Herangehensweisen, at- zu bekommen. weniger intensiv gestaltet und gepflegt werden muss. Hier traktive neue Lebensräume und auch auftretende Probleme besteht die Möglichkeit intensive und weniger intensive veranschaulicht. Gestaltung und Pflege miteinander zu kombinieren. Viele Neben den blühenden Wiesen und Staudenflächen zeigt RÜCKZUGSRÄUME Menschen wünschen sich vielfältige, artenreiche Flächen, das Beispiel Bad Hersfeld, dass Parkanlagen nicht nur zu Ruhigere Rückzugsräume in entsprechend ausgedehnten Anlagen sind der Artenvielfalt um dort Natur erleben zu können und weil sie diese einfach erhalten sind, sondern dass es hier und da die Chance gibt, dienlich. Es sind zwar viele Arten, die wir innerorts vorfinden, als Kulturfolger an die schön finden. einen Park mitten in der Stadt neu anzulegen. Bad Hersfeld menschliche Nähe angepasst, aber oft sind insbesondere in der Brutzeit (März – August) Darüber hinaus existieren Flächen, die eigentlich nicht hat diese Chance ergriffen. In den Parkanlagen von Bad Störungen nicht angebracht. Die Ansprüche sind in den Phasen mit Jungtieren noch genutzt werden und trotzdem häufig trist gestaltet sind. Homburg oder Weiterstadt-Braunshardt wird ein Grünflä- weit höher und vertragen viel weniger Störung. Derartige Bereiche lassen sich durch Es handelt sich dabei meist um das sogenannte »Straßen- chenmanagement umgesetzt, bei dem die Förderung von Lenkungen der Besucherwege oft einfach einrichten, unter Umständen auch nur auf Zeit begleitgrün«, also kleine Flächen zwischen Straßen und biologischer Vielfalt eine wichtige Rolle spielt. Hofheim hat im Frühjahr/Sommer. Fußgängerweg, Mittelstreifen oder Verkehrsinseln. Sie sind auf kleiner Fläche eine »Wilde Ecke« eingerichtet und damit von kommunaler Seite oft deswegen so gestaltet, weil die erste Erfahrungen gesammelt. Anpflanzungen angeblich robust sind und die Pflege nicht NISTHILFEN viel kosten soll. Diese Flächen führen bislang oft ein tristes Nistkästen und Nisthilfen für Vögel und Fledermäuse werden vorzugsweise bereits ab Septem- Schattendasein, werden im wahrsten Sinne des Wortes über- ber an Bäumen, in Hecken (nur Vögel) und an Gebäuden an der dem Wetter abgewandten Seite sehen und als nicht besonders wichtig betrachtet. Dabei kön- (Öffnung nach Nord/Ost-Süd) angebracht, damit sich die zukünftigen Bewohner bereits über nen diese Flächen schon durch einfache Maßnahmen, siehe BLÜHFLÄCHEN SÄUME WILDES GRÜN RÜCKZUGSRÄUME Winter dort heimisch fühlen können. Insektenhotels sind nicht nur hilfreiche Nist- und Über- nebenstehende »Bausteine«, nicht nur vom Aussehen attrak- winterungsplätze für Insekten, sondern sind in Grünanlagen auch Hingucker. Insbesondere in tiver gestaltet werden, sondern können auch zu wertvollen größeren Grünanlagen lassen sich auch gut Nisthilfen für Hornissen anbringen, dabei sollte der Lebensräumen für die Pflanzen- und Tierwelt werden. Einflug der recht friedlichen Tiere nicht unbedingt in nächster Nähe zu Wegen oder Plätzen sein Die nachfolgenden Beispiele zeigen sehr anschaulich, was (5–10m Abstand, was in einer größeren Anlage aber ohne Problem möglich sein sollte). alles in den kommunalen Grünanlagen möglich ist und wie das Straßenbegleitgrün attraktiv gestaltet werden kann. Und plötzlich wird es nicht mehr übersehen, sondern erhält große LAUB- / HECKEN- NISTHILFEN LICHT Aufmerksamkeit. SCHNITT In vielen Grünanlagen lassen sich Einschaltzeiten auf notwendige Phasen (Zeiten) beschränken. Überall sollten insektenfreundliche Lampen zum Einsatz kommen, um Die sieben Bausteine für mehr biologische den unnützen Tod von Tausenden von Insekten zu vermeiden. Vielfalt im kommunalen Grün. LICHT 14 15
STADTENTWICKLUNG ZURÜCK ZUR Umgestaltung dieses Geländes positiv war und völlig neue NATUR – EIN HERSFELDER INDUSTRIE- Perspektiven für die Stadtentwicklung eröffnete. AREAL WIRD ZUM NATURNAHEN PARK Im Jahre 2014 bewarb sich Bad Hersfeld um die Landes- gartenschau, wo auch für diesen Bereich bereits einige Ideen entwickelt wurden und eine Grundlage darstellten, auch Wie aus einem vollständig versiegelten Industrieareal ohne dass Bad Hersfeld Ausrichter der Landesgartenschau ein innerstädtischer Freiraum geschaffen wird, zeigt das wurde. Beispiel des Schilde-Parks in Bad Hersfeld. Da dabei alte Industriegebäude erhalten wurden ist ein Park entstan- den, der die Geschichte des Ortes widerspiegelt und durch DAS KONZEPT die naturnahe Gestaltung der Freiflächen gleichzeitig Gefördert durch die Bund-Länder-Programme »Stadtum- eine hohe Aufenthaltsqualität sowie Lebensraum für bau in Hessen«, »Städtebaulicher Denkmalschutz« und Pflanzen und Tiere bietet. »Städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnah- men« entstand auf ca. 5 ha eine neue Parklandschaft, in Die osthessische Stadt Bad Hersfeld hat ca. 29.200 Einwohner der das industriegeschichtliche Erbe des Areals heraus- im gesamten Stadtgebiet und ca. 16.100 in der Kernstadt. gearbeitet wurde. Die drei bedeutsamsten Industriedenk- Auf Grund der zentralen Lage in der Mitte Deutschlands und mäler wurden saniert und zu Veranstaltungsräumen für der hervorragenden verkehrstechnischen Anbindung siedel- Kulturveranstaltungen, einer Fachhochschule für Logistik ten sich in der Vergangenheit und noch heute große Unter- und einem »Science Center«, welches sich mit dem Thema nehmen an diesem Standort, auch im Innenstadtgebiet, an. Sprache auseinandersetzt (»wortreich«), umgebaut. Alle Gebäude werden in den Park eingebettet und stellen sich als Teil dieser Landschaft dar. Der »neue« Geisbach, ein VOR DER UMGESTALTUNG Aus zwei Gesichtspunkten kann diese Herangehensweise attraktiver Lebensraum für Das Gelände des heutigen Schilde-Parks war das Industrie- überzeugen: Zum einen entwickelt die Stadt ihre innerstäd- die Wasseramsel areal der Babcock GmbH, die zum einen eine Großzahl an tischen Freiräume sinnvoll weiter, indem aus der großen links: Die Offenlegung der Arbeitsplätzen in der Stadt sicherte zum anderen aber die industriell geprägten Fläche ein Freiraum wird, der für alle Geis im Schilde-Park Stadtentwicklung von Bad Hersfeld für lange Zeit hemmte. zugänglich ist. Zum anderen reagiert die Stadt auf den de- 2008 wurde das Gelände für eine Neuausrichtung frei, als mografischen Wandel, der bei einer schrumpfenden Bevöl- ZIELSETZUNG UND UMSETZUNG Saatmischung eingesät und in der Anfangszeit durch einen rechts: Der mittlere, das Nachfolgeunternehmen Grenzebach BSH GmbH sei- kerungszahl kaum mehr Bedarfe in der Stadtentwicklung Die Industriefläche erstreckte sich entlang der begradigten Freischnitt von aufkommenden Gehölzen freigehalten wurde. gestaltete Bereich des Parks nen Standort in ein Gewerbegebiet der Stadt verlagerte. aufweist. Auch aus Sicht des Klimawandels und Klimaschut- und verrohrten Geis. Ein Aspekt der Planung war es, die Geis Zwar liegt bislang kein Monitoring über die Entwicklung der zwischen Schilde-Halle und Dieser Prozess konnte ohne wesentliche Einbrüche auf den zes ist ein solcher Umgang mit innerstädtischen Freiräumen wieder freizulegen und innerstädtische Wasserflächen wie- biologischen Vielfalt seit den Baumaßnahmen zum Schilde- »wortreich« Arbeitsmarkt der Region vollzogen werden, was für die zukunftsweisend. der erlebbar zu machen. Park vor. Doch dass die Besucherinnen und Besucher dieses, Durch die Lage der zu erhaltenden Gebäude teilt sich der bis vor wenigen Jahren noch voll versiegelten, Industrie- neue Park in drei Teilbereiche. Der westliche Bereich wurde standorts heute die Wasseramsel beim Brüten und den durch den Bau einer neuen KiTa ergänzt. Die neu entstande- Graureiher beim Jagen beobachten können, verdeutlicht die ne Freifläche wurde naturnah umgestaltet und ist heute Teil Wandlung, die sich hier vollzogen hat. des Außenspielbereichs der Kindertagesstätte. Daran schließt sich ein saniertes Industriegebäude an, das Ansprechpartner*innen für weiterführende Informationen: heute als Eventhalle genutzt wird und mit seinem industriel- CHANDA WINTER len Charakter immer wieder den Bezug zur Geschichte her- Stadt Bad Hersfeld – Fachdienst Landschaftsplanung stellt. Auch der Name »Schilde-Halle« erinnert an die einstige cwint@bad-hersfeld.de Nutzung. Zwischen der Schilde-Halle und dem Science Center »wort- reich« wurde ein innerstädtischer Freiraum geschaffen, der mit vielen Blühpflanzen und einer geradlinigen Gestaltung viele Menschen anspricht. Ein Fontänenfeld bietet neben der renaturierten Geis einen Wasserspielplatz. FAZIT! Auf der Ostseite des Geländes erstreckt sich ein naturna- ➵ Von Grau zu Grün: Stadtentwicklung und Entwicklung hes Parkgelände. Hauptbereich ist auch hier der renaturier- biologischer Vielfalt sind kein Widerspruch te Geisbach. Dieser Bereich des Parks ist die Ruhezone der Stadt. Darüber hinaus bietet eine naturnahe Bepflanzung ➵ Im Rahmen einer nachhaltigen Stadtentwicklung vielen Tieren eine Heimat. erlauben die Städtebauförderprogramme die Umwand- Herauszuheben gilt es hier, dass der Rohboden des re- lung von Industriearealen in naturnahen Parks naturierten Flussabschnitts zunächst mit einer regionalen ➵ Die Offenlegung von verrohrten Bachläufen bringt Naturerleben in die Stadt 16 17
MEHR VIELFALT DURCH WENIGER Entwicklungspotenziale erarbeitet und schließlich Empfeh- der Märzenbecher, die Arznei-Schlüsselblume, der Knöll- PFLEGE IM HOMBURGER KURPARK lungen für diverse Pflegemaßnahmen vorgeschlagen. Die chen-Steinbrech, das breitblättrige Knabenkraut sowie die wichtigste Empfehlung war dabei die Extensivierung der ört- Heide-Nelke, sind gegenwärtig auf den extensiven Wiesen lichen Wiesenmahd. Seit 1990 werden die Maßnahmen nun des Kurparks zu finden. In einem Teil des Homburger Kurparks wurde von der in Teilen der Wiesen umgesetzt, ebenso wurde das Konzept Nach mehr als 25 Jahren kann man feststellen, dass sich beinahe wöchentlichen Mahd auf eine extensive Bewirt- der Extensivierung in das Kurparkpflegewerk aufgenommen. die Erwartungen hinsichtlich der ökologischen Aufwertung schaftung umgestellt. Die positiven Effekte für Pflanzen und Erhöhung der Biodiversität sogar übererfüllt haben. und Tiere werden durch Kartierungen bestätigt, den Insbesondere die Artenzahl hat sich mit einem Sprung von Besucherinnen und Besuchern bietet der Park die WELCHE WIESENGESELLSCHAFTEN SIND IM ursprünglich 12 auf gegenwärtig 35 Wiesenarten fast ver- Möglichkeit für Naturerlebnisse. KURPARK ZU FINDEN? dreifacht. Die extensive Pflege hat außerdem viele weitere Innerhalb der regelmäßig gemähten Wiesen konnten acht ökologische Vorteile: So finden Hasen und andere Tiere Der Bad Homburger Kurpark entstand seit 1854 als Eng- Vegetationseinheiten unterschieden werden: 3 Einheiten Deckung im hohen Gras, die Insektenpopulation ist gewach- lischer Landschaftsgarten nach Plänen des preußischen Parkwiesen, 1 Einheit Vielschnittrasen und 4 Einheiten be sen, was ebenso positive Wirkungen auf die vorkommenden Gartendirektors Peter Joseph Lenné mit lichten, weiten Wie- schattete Parkwiesen (= Traufen). Gemeinsam ist allen Ein- 9 Fledermausarten wie auf die mehr als 40 Vogelarten zeigt. sensäumen, elegant geschwungenen Wegen, einem buch- heiten eine große Gruppe regenerationsfreudiger, mahdun Und: das Naturerlebnis der Besucherinnen und Besucher im tenreichen Weiher, prächtigen Solitärbäumen und vor allem empfindlicher Pflanzenarten. Von diesen Wiesen wurden Kurpark ist sehr bereichert worden. Sichtachsen, die den Blick immer wieder hinaus in die Weite insbesondere die Wiesen der Traufen, aufgrund der erhöhten führen. Unter Lennés Nachfolgern Gustav Meyer, Ferdinand Artenvielfalt und des hohen Entwicklungspotenzials, als be- Jühlke und Philipp Siesmayer wurde der Kurpark kontinu- sonders geeignet für eine Extensivierung angesehen. VIELFÄLTIGE ERFAHRUNGEN WURDEN ierlich erweitert. Mit 47 ha, einer Länge von 2 km und 2.100 GESAMMELT Bäumen aus allen Teilen der Welt gilt er heute als einer der Die erwarteten positiven Einflüsse beim Pflegeaufwand wur- größten und schönsten in Deutschland. Er steht als Garten- DIE WIESENMAHD den im Kurpark eher nicht erfüllt. Neben den zusätzlichen denkmal unter Denkmalschutz. Die Wiesen werden zu ca. 50 % erst ab Juni gemäht, in der Gerätebeschaffungen, Planungen und Abstimmungen z. B. Rund 50 % der weitläufigen Wiesen werden seit 1990 Folge dann alle vier Wochen. Das Mähgut wird abgeräumt über den jeweils richtigen Zeitpunkt der unterschiedlichen extensiv gepflegt, d. h. durch eine deutlich spätere und re- und kompostiert, andere Teile als Heu in Anwendungen des Maßnahmen, entstanden durch die erforderliche Aufnah- duzierte Mahd sowie eine festgesetzte Mahdfolge sollen Kurbetriebes, aber auch als Futter verwendet. Die übrigen me des Mähgutes und die Heuherstellung zusätzliche Be- sich die Teilflächen den ursprünglichen Vorgaben eines Wiesenbereiche werden ab April alle 7–10 Tage gemäht. Mit dingungen, z. B. trockene Witterung hierfür. Dies bedeutet Landschaftsparks mit naturnahen Wiesen annähern. Der Park Ausnahme der Pflanzbeete werden keine Flächen gedüngt tatsächlich personellen und finanziellen Mehraufwand, der wurde davor jahrzehntelang, wie fast überall, durch eine in- oder mit Pflanzenschutzmitteln behandelt. sich allerdings nur schwer monetär beziffern lässt. Dieser er- tensive, wöchentliche Mahd von Rasenflächen geprägt. Da höhte Aufwand ist auch ein Grund dafür, dass eine eigentlich dies jedoch nicht mehr zeitgemäß war, erfolgte die Exten- geplante und auch im Parkpflegewerk vorgesehene Auswei- sivierung, wodurch, wie spätere Untersuchungen zeigten, PROBLEME SIND ZU BEWÄLTIGEN tung der extensiven Pflege bis auf weiteres nicht erfolgen auch tatsächlich nicht nur der Aufwuchs von naturnahen Zunächst waren für die Umsetzung einige Beschaffungen kann. Wiesen erreicht, sondern auch die Artenvielfalt vor Ort deut- erforderlich, denn hohe Wiesen können nicht mit normalen Gegen den Mehraufwand zu setzen sind selbstverständlich lich erhöht wurde. Mähern bearbeitet werden. Erforderlich sind hierfür Lang- der Mehrwert hinsichtlich der erzielten Aufwertung durch grasmäher, ebenso mussten Gerätschaften für die Aufnahme »Teil«-Herstellung des historischen Zustandes, des deutlich des Mähgutes und die Trocknung von Heu gekauft werden. erhöhten Erlebnisgenusses bei den Besucherinnen und Besu- WIE ES ANFING Nach anfänglichen Problemen bei der Durchführung der chern und insbesondere auch hinsichtlich der wesentlichen Die Grundlage für die extensive Pflege wurde im Jahr 1990 »ungewohnten« Pflege konnten schnell Erfahrungen gewon- Steigerung der Biodiversität. Außerdem hat die positive Ent- FAZIT! gelegt, nachdem in den 80er Jahren im Zuge der aufkom- nen werden, so dass die ausführenden städtischen Gärtne- wicklung im Park auch Auswirkungen auf die angrenzenden ➵ Eine langjährige extensive Mahd erhöht nicht nur die menden Umwelt- und Ökologiebewegung auch die seit rinnen und Gärtner die Pflege seit nun mehr als 25 Jahren Wiesenbereiche. Hier wurden 2017 Standorte des besonders Anzahl der Gräser und Wildkräuter, sondern fördert Jahrzehnten etablierte Pflege von Parkanlagen auf den sehr gut im »Griff haben«. Auch das Publikum – also die geschützten Ameisenbläulings gefunden – nun soll versucht auch Insekten, Fledermäuse, Vögel und andere Tierar- Prüfstand kam. In Bad Homburg besann man sich bei der Besucherinnen und Besucher des Parks – mussten sich erst werden, auch diese Flächen artgerecht bewirtschaften zu ten Kurverwaltung auch im Bereich der Kurparkpflege auf die an den neuen Anblick gewöhnen. Anfänglich gab es jedoch lassen. historischen Ursprünge und Vorgaben, die eine deutlich hö- viele Beschwerden über den »unordentlichen Zustand« des ➵ Artenreiche Parkgelände erhöhen die Biodiversität here Naturnähe zum Ziel hatten. Über die gartenhistorischen Parks – Viele mutmaßten sogar Unvermögen bei der Pflege. Ansprechpartner*innen für weiterführende Informationen: auch auf angrenzenden Flächen Grundlagen hinaus hoffte man auch, durch eine Extensivie- Auch dies hat sich inzwischen gewandelt, man freut sich heu- JUTTA BARDONNER rung den Pflegeaufwand künftig deutlich zu minimieren. Um te über die vielfältigen Wiesenaspekte. Stadt Bad Homburg v. d. Höhe, Produktbereich 1.4 ➵ Naturnahe Wiesen steigern den Naturgenuss der ein fundiertes Konzept erstellen zu können, wurden zunächst Umwelt- und Landschaftsplanung Besucher naturschutz- und gartenfachliche Untersuchungen durchge- jutta.bardonner@bad-homburg.de führt, die den Bestand an Wiesen und die Artenvielfalt der MEHR DIVERSITÄT IST DAS ERGEBNIS www.bad-homburg.de/gartenlandschaft ➵ Aber: Eine extensive Wiesenpflege geht mit Ansprü- Flora erfassten und bewerteten. In den Jahren 2009 und 2011 wurden umfangreiche fau- chen einher, die den Pflegeaufwand eher steigern Im Kurpark wurden drei Wiesentypen in den Untersuchun- nistische und floristische Kartierungen durchgeführt, die als senken: Mahdgutaufnahme und –entsorgung, gen als besonders wichtig hinsichtlich ihres Aufwertungs- den positiven Einfluss der geänderten Pflege eindrucks- Anschaffung von Geräten, Beachten von Witterungsver- potenzials identifiziert. Aus der Bestandsaufnahme wurden voll belegen. Diverse schützenswerte Pflanzenarten, wie hältnissen etc. 18 19
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