NATO-Osterweiterung Zwischen Fakten und Perzeptionen - Bundeswehr
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SICHERHEITSPOLITIK NATO-Osterweiterung Zwischen Fakten und Perzeptionen Die Klage, die NATO-Osterweiterung sei entgegen früherer westlicher Zusagen erfolgt, Moskau mithin getäuscht und über den Tisch gezogen worden, ist seit Jahren fester Bestandteil der russischen Politik. Sie spielt eine Schlüsselrolle in Wladimir Putins Erklärung vom 24. Februar 2022, mit der er die »militärische Spezialoperation« Russlands in der Ukraine begründete. Von Tim Geiger IMAGO/ITAR-TASS KPdSU-Generalsekretär Gorbatschow empfängt den amerikanischen Außenminister Baker am 9. Februar 1990 in Moskau zu Gesprächen über die deutsche Einheit. Das Treffen ist ein zentraler Referenzpunkt in der geschichtspolitischen Erzählung vom (angeblichen) Wortbruch des Westens bezüglich einer Nichter- weiterung der NATO. 1 (c) 2022 Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam
Militärgeschichte | Dossier A usgangspunkt dieser »Täu- schon wegen der besorgten europäi- verworfen hatte. Ende März stellte Bun- schungserzählung« ist die für die schen Nachbarn solle ein vereintes deskanzler Kohl gegenüber Genscher deutsche Einigung so zentrale Deutschland fest in die europäischen klar, dessen Plädoyer für gesamteuropäi- Phase des Frühjahrs 1990, in der ent- Strukturen integriert bleiben. Daher sche Sicherheitsstrukturen, in denen die scheidende Weichenstellungen erfolg- müsse die Bundesrepublik nach einer Militärbündnisse NATO und War- ten. Während die Perspektive auf eine Vereinigung in der NATO bleiben, aller- schauer Pakt perspektivisch aufgehen deutsche Einheit in Ost- wie Westeuro- dings solle die NATO-Militärstruktur sollten, würde nicht der Politik der Bun- pa zunächst bestenfalls auf verhaltene nicht nach Osten ausgedehnt werden. desregierung entsprechen, was natür- Zustimmung stieß, hatten sich die USA Genscher ließ sich dabei sogar zu der lich auch Moskau wiederum registrierte. klar hinter eine deutsche Wiederverei- Aussage hinreißen: Damit waren binnen kurzem die Aussa- nigung gestellt, allerdings den Verbleib gen der beiden Außenminister überholt Gesamtdeutschlands in der NATO zur – zumal es bereits zu diesem Zeitpunkt zwingenden Vorbedingung gemacht. »Was im Übrigen Signale aus der sowjetischen Führung Der UdSSR konnte solch eine Über- gab, dass Moskau eine NATO-Mitglied- nahme ihres verlässlichsten Verbün- die Nichtausdehnung schaft Gesamtdeutschlands am Ende deten DDR durch die Bundesrepublik, der NATO anbetreffe, durchaus akzeptieren könne – bei ent- den bisherigen Gegner im Kalten Krieg, sprechenden westlichen Abrüstungs- schwerlich gefallen. Dem Kreml, der so gelte dieses und Sicherheitsgarantien sowie finanzi- bislang die deutsche Einheit ganz abge- ganz generell.« ellen Zusagen. lehnt hatte, wäre ein neutrales Gesamt- Wie kaum ein anderes zeithistorisches deutschland, wie es DDR-Ministerpräsi- Genscher zu Schewardnadse, Ereignis ist der Prozess der deutschen dent Hans Modrow propagierte, lieber 10. Februar 1990 Einigung inzwischen durch zahllose in- gewesen. ternationale Akteneditionen durch- leuchtet. All diese Quellen zeigen, dass »Not one inch eastward« Dass die NATO territorial nicht näher in den verschiedenen bi- und multilate- an die sowjetische Grenze heranrücken ralen Gesprächen und Verhandlungen Der amerikanische Außenminister dürfe, äußerte Genscher in den Februar- ausschließlich um die NATO-Mitglied- James A. Baker versuchte die sowjetische Wochen 1990 auch gegenüber mehreren schaft des DDR-Territoriums gerungen Führung am 9. Februar 1990 dennoch westlichen Gesprächspartnern. wurde – das war schwierig und kontro- für den westlichen Lösungsansatz zu ge- Genschers Aussagen wirken zunächst vers genug. Eine darüber hinausgehende winnen, indem er den Generalsekretär wie ein Beleg für die russischen An- NATO-Osterweiterung weiterer Staaten der Kommunistischen Partei der Sow- schuldigungen, der Westen habe frühere lag 1990 schlicht jenseits der Realitäts- jetunion (KPdSU) Michail Gorbatschow Zusagen gebrochen. Allerdings darf man vorstellungen aller Beteiligter. Offiziell die rhetorische Frage stellte, welches sie nicht verabsolutieren und aus ihrem existierte zudem noch der Warschauer Deutschland für Russland und Europa zeitlichen Entstehungskontext reißen, Vertrag, auch wenn allen Verantwortli- langfristig besser wäre: ein ungebunden denn letztlich zeigen diese Äußerungen chen in Ost wie West seit Frühjahr 1990 vagabundierendes Deutschland ohne des westdeutschen Außenministers nur, klar war, dass das östliche Militärbünd- (kontrollierende) US-Truppen oder ein wie weit das Bonner Auswärtige Amt im nis faktisch bereits zu diesem Zeitpunkt in die NATO eingebundenes, »with as- Frühjahr 1990 dem sowjetischen Si tot war. Selbst wenn vereinzelte Stim- surances that NATO’s jurisdiction would cherheitsbedürfnis entgegenkommen men, etwa aus Ungarn, bereits 1990 über not shift one inch eastward from its pre- wollte, um eine Lösung der deutschen eine künftige NATO-Mitgliedschaft sin- sent position?« Frage zu erzielen. Operative Politik der nierten, blieb allein schon der NATO- Gorbatschow blieb eine Antwort zu- Bundesrepublik oder gar des gesamten Beitritt der DDR eine Herkulesaufgabe, nächst schuldig, signalisierte aber an- Westens wurde dieser Gedanke nämlich deren Gelingen zunächst alles andere als derntags dem ebenfalls nach Moskau nie, da er mit den KSZE-Prinzipien gesichert war. angereisten Bundeskanzler Helmut (Selbstbestimmungsrecht und freie Kohl, dass sich die UdSSR einer deut- Bündniswahl) nicht in Übereinstim- Wandel der NATO schen Einigung nicht widersetzen mung zu bringen gewesen wäre. Für werde, wenn man sich über die nötigen diese Grundprinzipien setzte sich die Seit ihrer Gründung 1949 war die NATO internationalen Rahmenbedingungen Bundesregierung ja selbst stets ener- für die Sowjetunion das dämonisierte einige. Im Parallelgespräch der Außen- gisch ein. Feindbild gewesen. 1990 indes streckte minister erörterte Hans-Dietrich Gen- Schon im Frühjahr 1990 entging der die NATO beim NATO-Gipfel in London scher seinem sowjetischen Kollegen sowjetischen Seite keineswegs, dass Prä- dem Warschauer Vertrag symbolisch Eduard Schewardnadse, »ein Neutralis- sident Bush noch im Februar Bakers »die Hand zur Freundschaft« entgegen, mus Gesamtdeutschlands sei falsch«, Moskauer Formel als nicht praktikabel nachdem im Dezember 1989 mit Au- 2 (c) 2022 Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam
SICHERHEITSPOLITIK Symbol des Untergangs einer Supermacht: Am Weihnachts- abend 1991 wird über dem Kreml die rote Hammer-und- Sichel-Flagge der Sowjetunion eingeholt und stattdessen die weiß-blau-rote Trikolore Russ- picture alliance/ASSOCIATED PRESS|Alexander Zemlianichenko lands aufgezogen. Die UdSSR ist Geschichte. ßenminister Schewardnadse erstmals ber 1991 in Brüssel fiel pikanterweise mit konflikten und Autonomiebestrebungen. ein hochrangiger politischer Vertreter dem offiziellen Ende der Sowjetunion Der Westen förderte dieses Ende nicht, des Ostens die NATO in Brüssel besucht zusammen: Der bisherige sowjetische sondern bemühte sich im Gegenteil hatte. Um die proklamierte »Entfein- Botschafter gab in der Sitzung bekannt, lange, die Moskauer Zentralgewalt gegen dung« zu realisieren, war neben Abrüs- nunmehr ausschließlich Russland zu die zentrifugalen Kräfte zu stärken. We- tungsschritten auch ein Wandel der At- vertreten. Dessen Präsident Jelzin ließ nige Wochen vor dem August-Putsch lantischen Allianz selbst unumgänglich. gleich noch in der Sitzung schriftlich 1991 warb US-Präsident Bush noch in Bereits im Mai 1990 setzte die NATO mitteilen, Ziel Moskaus sei perspekti- Kiew öffentlich für den Erhalt der Sowje- ihre jahrzehntelange Maßgabe aus, visch eine NATO-Mitgliedschaft Russ- tunion. Vor allem stellte der Westen, ins- drei Prozent des Bruttosozialprodukts lands. besondere Deutschland, zig Milliarden für die nationale Verteidigungshaus- an Hilfsgeldern, Krediten und prakti- halte aufzubringen. Der NATO-Gipfel »Geopolitische Katastrophe« schen Hilfen, bis hin zu Lebensmitteln, in Rom verabschiedete im November zur Verfügung, um ein Abgleiten ins 1991 ein neues Strategisches Konzept, Wie zuvor die mittel- und osteuropäi- Chaos zu verhindern. das die bisherige Strategie der Flexible schen Staaten, Russland und die 1991 Das Auseinanderbrechen der Sowjet- Response ablöste. Diese war vom Osten unabhängig gewordenen Baltischen union in 15 selbstständige, teils rivalisie- wegen der darin enthaltenen Möglich- Staaten wurden sämtliche Nachfol- rende und in Grenzstreitigkeiten ver- keit eines nuklearen Ersteinsatzes durch gestaaten der UdSSR zur Mitarbeit im strickte Staaten hatte dramatische die NATO stets als besonders bedrohlich NAKR eingeladen; selbst Albanien trat Folgen: Zerrissen wurden nicht nur zu- wahrgenommen worden (siehe Beitrag 1992 diesem Kooperations- und Dialog- vor eng verflochtene Wirtschaftsräume, Abschreckung). forum bei. sondern selbst Familien, die auf einmal Als weiterer Baustein dieser Politik der Der Zerfall der Sowjetunion, von Putin unterschiedliche Staatsangehörigkeiten Freundschaftshand wurde auf deutsch- später als »die größte geopolitische Kata- besaßen. Während der Westen die amerikanisches Betreiben 1991 der strophe des 20. Jahrhunderts« bezeich- 1990er Jahre als befreienden demokrati- Norda tlantische Kooperationsrat net, erfolgte in erster Linie aufgrund in- schen Aufbruch empfand, erlebte sie der (NAKR) gegründet. Diesem Dialog- und nerer Widersprüche und Defizite wie postsowjetische Raum als Dekade des Kooperationsforum gehörten neben den fehlender Demokratie, der ineffektiven Niedergangs, der Demütigung und der NATO-Staaten gleichberechtigt die eins- Planwirtschaft, mangelnder Innovati- Gesetzlosigkeit. Die schockartige Trans- tigen Warschauer-Pakt-Staaten an. Die onskraft, technologischer Rückständig- formation der Plan- in eine Marktwirt- konstituierende Sitzung am 20. Dezem- keit sowie ungelösten Nationalitäten- schaft, ohne soziale Abfederung, mit 3 (c) 2022 Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam
Militärgeschichte | Dossier Auswüchsen eines ungezügelten Kapi- Krisenherde in Osteuropa 1990 – 2022 talismus und häufig mafiösen Privatisie- rungen vormaligen Staatseigentums 2 1 Konflikte (Auswahl): 1 Untergang des russischen Atom-U-Boots Kursk 2000 brachten Preissteigerungen, Inflation 2 Russische Arktis-Expedition 2007 (Hissen der russ. und den Bruch vieler Berufsbiografien. Flagge im Nordpolarmeer) Während breite Bevölkerungsschichten 3 Wilnaer Blutsonntag 13. Januar 1991 4 »Zerfall« Jugoslawiens 1990 – 2008 verarmten, häufte eine kleine Oligar- 5 Stiller Militärputsch in der Türkei, Rücktritt von chenschicht skandalöse Reichtümer an. Ministerpräsident Erbakan 1997 SCHWEDEN 6 Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan Die Implosion staatlicher Strukturen (Nargorny-Karabach), 1988 – heute fand ihren Ausdruck in einer unvollen- 7 Konflikt zwischen PKK und türkischer Regierung deten Demokratisierung, einer brüchi- 1990 – heute FINNLAND 8 Zweiter Golfkrieg: Aufstellung Allied Mobile Force Air 1991 gen Rechtsstaatlichkeit und teils bluti- 9 Separatismuskonflikte seit 1992 (Abchasien, Süd- gen Separatismusbestrebungen in den ossetien), 2008 Georgisch-Russischer Krieg 10 Bürgerkrieg und Seperatismus in der Ostukraine seit 2014 fragilen neuen Staaten. In Russland ESTLAND 11 Griechenland-Türkei-Konflikt 1955 – heute löste Jelzin den eskalierenden Macht- 12 Russische Annexion der Krim 2014 kampf zwischen Präsident und Parla- 13 Seperatismus (Transnistrien) seit 1992 ment im Oktober 1993, indem er das LETTLAND 14 Gewaltsame Unterdrückung der Opposition nach Wahlfälschung 2020 Duma-Gebäude mitten in Moskau mit Ostsee LTU 3 Panzern beschießen ließ. 14 KASACHSTAN RUS RUSSLAND BELARUS Natürliche Einflusssphäre? POLEN Diese Entwicklung wiederum jagte 10 UKRAINE Ka Schockwellen durch die vormaligen sp CZE isc Warschauer-Pakt-Staaten in Mittel- und he SVK 13 sM Osteuropa. Diese fühlten sich durch MDA ee r Russlands Rede vom »nahen Ausland« UNGARN 9 bedroht: Waren damit »nur« vormalige RUMÄNIEN 12 GEORGIEN AZE HRV Republiken der UdSSR mit ihren oft 4 Schwarzes Meer 6 ARM starken russischen Minderheiten ge- BIH SRB meint oder der gesamte einstige sowjeti- BULGARIEN XKX Incirlik sche Einflussbereich? Trotz wirtschaftli- MNE Diyarbakir 7 IRAN MKD cher Schwäche und augenscheinlichem ALB 5 Erhac 11 8 Bedeutungsverlust beharrte Russland TÜRKEI als Atom- und Vetomacht der Verein- IRAK GRIECHENLAND SYRIEN ten Nationen auf einem Großmacht-, ja Weltmacht-Status, dem sich das Prinzip NATO-Nationen vor 1990 Gewaltsamer Konflikt Abkürzungen der der souveränen Gleichheit aller Staa- Staatsnamen nach NATO-Beitritt 1999 ten unterzuordnen habe. So sehr sich Krise ISO 3136 Alpha 3 NATO-Beitritt 2004 Russland als genuiner Teil Europas be- NATO-Beitritt 2009 Militärputsch greift, galt (und gilt) das Bestreben des NATO-Beitritt 2017 Kremls, von den weiterhin unstrittig NATO-Beitritt 2020 als Supermacht klassifizierten USA als Kein NATO-Staat © ZMSBw gleichrangig anerkannt zu werden. So Quelle: B. Lemke, Periphery or Contact Zone?, 2015, Nachsatz. 09253-02 blieben Phantomschmerzen über den Verlust des Imperiums so virulent wie die Neigung, das »nahe Ausland« un- geachtet des völkerrechtlichen Nicht- gen im 18. Jahrhundert, den Cordon sani suchten vor allem Polen, Tschechen und einmischungsgebots als »natürliche taire der Zwischenkriegszeit, den Ungarn nun dauerhaft Sicherheit vor Einflusssphäre« zu behandeln. Hitler-Stalin-Pakt, die Zwangssowjetisie- dem instabilen, unberechenbaren russi- Daher drängten die mittel- und osteu- rung und nach 1945 die Eingliederung in schen Nachbarn. Sie wollten nicht nur ropäischen Staaten (MOE) früh auf ei- den Ostblock, wo sie gewaltsam gehalten Kooperation, sondern die Mitgliedschaft nen NATO-Beitritt. Schließlich hatten worden waren (1956 Ungarn-Aufstand, in der NATO, um den Schutz des »mäch- auch sie traumatische historische Erfah- 1968 »Prager Frühling«, 1980/81 tigsten Verteidigungsbündnisses der rungen gemacht: die polnischen Teilun- »Solidarność«). Verständlicherweise Welt« zu erhalten. 4 (c) 2022 Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam
SICHERHEITSPOLITIK Der Beitrittswusch der MOE-Staaten Fortführung der (nuklearen) Abrüs- maßgeschneiderte Kooperation, deren entsprach dem KSZE-Prinzip der freien tungspolitik wichtiger, die nur gemein- Intensität und Schwerpunkte jeweils Bündniswahl, das sowohl die UdSSR als sam mit Russland möglich war, das nicht individuell vereinbart wurden. Partner- auch Russland anerkannt hatten. Arti- durch eine als unnötig betrachtete ship for Peace bedeutete zusätzliche mi- kel 10 des NATO-Vertrags vom 4. April NATO-Osterweiterung vergrault werden litärische Nähe, aber keine Beistands- 1949 ermöglicht die Aufnahme eines sollte. pflicht nach Artikel 5 des NATO-Vertrags. europäischen Staates, »der in der Lage Strittig blieb insofern, ob PfP Vorberei- ist, die Grundsätze dieses Vertrags zu för- Zwischenlösung und tung oder Ersatz für eine spätere NATO- dern und zur Sicherheit des nordatlanti- Kompensation Mitgliedschaft sein sollte. In der Admi- schen Gebietes beizutragen«, wenn alle nistration des neuen US-Präsidenten Mitgliedstaaten zustimmen. Doch würde Die MOE-Staaten drängten jedoch wei- Bill Clinton neigte das Pentagon zu letz- nun eine Aufnahme einstiger War- ter. Im August 1993 gelang dem polni- terem, einflussreiche Kräfte im State De schauer-Pakt-Staaten nicht zwangsläufig schen Präsidenten Lech Wałęsa, dem partment dagegen zu ersterem. In der Russland brüskieren, da Moskau diesen russischen Präsidenten Jelzin bei einem Bundesrepublik verliefen die regie- Schritt eigentlich nur als latente Miss- Warschau-Besuch kurzzeitig Zustim- rungsinternen Fronten umgekehrt: Ei- trauensbekundung, mithin als Rückfall mung zum polnischen NATO-Mitglied- nem zögerlichen Auswärtigen Amt in alte konfrontative Denkmuster oder schaftswunsch zu entlocken. Dennoch stand Verteidigungsminister Volker schlimmer noch: als neue Bedrohung bestand an der konstanten russischen Rühe als engagierter Befürworter der empfinden konnte? Würden nicht da- Ablehnung einer NATO-Osterweite- NATO-Osterweiterung gegenüber. Ihm durch neue trennende Gräben aufgeris- rung kein Zweifel. zufolge läge es im deutschen Interesse, sen, wo die alten des Ost-West-Konflikts Als Ausweg aus diesem Dilemma ent- fortan nur noch von Verbündeten um- gerade erst überwunden waren? stand 1994 die Partnership for Peace geben zu sein, statt dauerhaft die über- Entsprechend skeptisch standen daher (PfP) der NATO. Eine Teilnahme war al- kommenen Frontlinien des Kalten Krie- zunächst etwa Frankreich und die Bun- len NAKR-Staaten, also auch Russland, ges zu konservieren. desrepublik der Idee einer NATO-Ost möglich, aber ebenso neutralen Staaten Ein Wendepunkt war 1994 erreicht, als erwei terung gegenüber, ebenso die wie Österreich, Finnland und Schwe- Clinton verkündete, neue NATO-Mit- Bush-Administration. Für sie war die den. Das Programm ermöglichte eine glieder seien keine Frage des Ob, son- Die Osterweiterung der NATO, 1990 – 2022 NATO-Nationen vor 1990 NATO-Beitritt 1990 FINNLAND Abkürzungen der Staatsnamen NATO-Beitritt 1999 nach ISO 3136 Alpha 3 NORWEGEN SCHWEDEN NATO-Beitritt 2004 ESTLAND NATO-Beitritt 2009 NATO-Beitritt 2017 RUSSLAND NATO-Beitritt 2020 N or dsee LETTLAND Beitrittskandidat GROSS DÄNEMARK Zu Beitrittsgesprächen eingeladen IRLAND Os ts ee LITAUEN BRITANNIEN kein NATO-Staat RU KASACHSTAN BELARUS NLD DDR POLEN BUNDES- AT L A N T I K BEL UKRAINE REPUBLIK Ka CZE sp is DEUTSCH- SVK M ch LAND MDA ee es r FRANKREICH AUT CHE UNGARN SVN RUMÄNIEN GIEN HRV GEOR AZE Sc hwarz es M eer ARM BIH SRB AL MNE BULGARIEN UG ITA XKX SPANIEN LI IRAN RT EN MKD PO ALB TÜRKEI GRIECHEN- IRAK Mi ttel meer SYRIEN LAND DZA LBN © ZMSBw MAR TUN ZYPERN 09254-02 5 (c) 2022 Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam
Militärgeschichte | Dossier picture-alliance/dpa|Luke_Frazza Partner, nicht Gegner: Gut gelaunt winken der russische Prä- sident Boris Jelzin und NATO-Generalsekretär Javier Solana am 27. Mai 1997 im Pariser Élysée-Palast mit ihren Unter- zeichnungsurkunden der NATO-Russland-Grundakte. Diese sollte den Dialog und die Kooperation beider Seiten für eine gemeinsame Zukunft garantieren. dern nur noch des Wann. Clinton trie- April 1999 beim NATO-Gipfel in Wa- hene NATO-Russland-Rat konstituierte ben dabei auch innenpolitische Zwänge: shington. Dort wurde zugleich der sich 2002 bereits unter dem neuen rus- Die oppositionellen Republikaner, die Membership Action Plan (MAP) verab- sischen Präsidenten Wladimir Putin. bei den Kongresswahlen nach Jahrzehn- schiedet, der weitere Beitrittskandida- Dort erörterten die Beteiligten in den ten in beiden Kammern eine Mehrheit ten durch praktische Unterstützung auf Folgejahren ein breites Themenfeld ge- gewannen, hatten sich klar auf eine ra- einen Allianzbeitritt vorbereiten sollte, meinsamer Sicherheitsinteressen. Doch sche NATO-Osterweiterung festgelegt. aber keinen Aufnahmeanspruch be- all das verhinderte nicht den sich seit Außenpolitisch schien Rücksichtnahme gründete. der Jahrtausendwende abzeichnenden auf Russland nach dem Abschluss der Zerfall der bisherigen Sicherheitsarchi- Abrüstungsverträge und dem Rückzug Gescheiterte Integrationsversuche tektur. Parallel zu dem sich verschlech- der letzten russischen Truppen aus ternden Verhältnis mit dem Westen Deutschland und dem Baltikum weni- Gleichsam als Ausgleich wurde Russ- gewann in Russland das Narrativ an ger dringlich. Zudem wuchsen die Diffe- land vorzeitig und ohne dafür bereits Gewicht, in Sachen NATO-Erweiterung renzen im seit 1991 entflammten Jugos- hinreichend qualifiziert zu sein in Gre- betrogen worden zu sein. Hinter dieser lawienkonflikt, wo Russland sich mien wie den Europarat (1996) oder den Lesart steckt allerdings – heute mehr ungeachtet der serbischen Aggressions- Kreis der führenden westlichen Indust- denn je – zumeist weniger geschichts- politik stets aufseiten der orthodoxen riestaaten aufgenommen (1998 Erwei- wissenschaftliches Erkenntnisinteresse Glaubensbrüder positionierte. Moskaus terung der G7 zur G8). Vor allem wurde als vielmehr recht durchsichtige ge- Politik schien zunehmend ambivalent auch die Allianzpolitik der ausgestreck- schichtspolitische Interessen. angesichts seines brutalen Tschetsche- ten Partnerhand vorangetrieben: In der nienkrieges (1994‑1996) und Jelzins la- NATO-Russland-Grundakte vom Mai bilem Gesundheitszustand. Ende 1995 1997 verpflichteten sich beide Seiten Dr. Tim Geiger ist wissenschaftlicher warnte Jelzin beim Budapester Gipfel zur Vertiefung ihrer Sicherheitskoope- Mitarbeiter des Instituts für Zeitge der Organisation für Sicherheit und Zu- ration, zur Stärkung der OSZE und zur schichte München-Berlin in der sammenarbeit in Europa (OSZE, als Neufassung des KSE-Vertrags, bei dem Abteilung im Auswärtigen Amt. Zu Nachfolgeorganisation der KSZE) noch an die Stelle der obsolet gewordenen seinen Forschungsschwerpunkten davor, eine NATO-Osterweiterung Blockstruktur nationale und territoriale zählen Internationale Beziehungen werde Europa in einen »kalten Frieden« Obergrenzen treten sollten. Die NATO und Sicherheitspolitik. stürzen. Dies bewirkte jedoch nur noch, sagte zu, im »gegenwärtigen und vor- dass die Erweiterungsverhandlungen hersehbaren Sicherheitsumfeld« keine Literaturtipps erst nach den russischen Präsident- »substantiellen Kampftruppen dauer- Mary Elise Sarotte, Not One Inch: America, schaftswahlen 1996 begannen. haft« in den neuen NATO-Mitglieds- Russia, and the Making of Post-Cold War Beim Madrider NATO-Gipfel im Juli ländern zu stationieren, ebenso wenig Stalemate, New Haven 2021. 1997 wurden Ungarn, die Tschechische Nuklearwaffen oder deren Logistik. Oxana Schmies (ed.), NATO’s Enlargement Republik und Polen zu Beitrittsgesprä- Der in der Grundakte als Gremium der and Russia. A Strategic Challenge in the Past chen eingeladen; ihr Beitritt erfolgte im Information und Kooperation vorgese- and Future, Stuttgart 2021. 6 (c) 2022 Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam
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