Natürliche Interaktion mit Tangible User Interfaces

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Natürliche Interaktion mit Tangible User Interfaces
Fakultät Informatik
     Institut für Software- und Multimediatechnik
           Lehrstuhl für Mediengestaltung

Natürliche Interaktion mit
 Tangible User Interfaces
                    Großer Beleg

                  Marie Schacht

     Matrikel-Nummer: 2883089
  Bearbeitungszeitraum: 01.12.2009 bis 30.06.2010
               Betreuer: Dipl.-Medieninf. Dietrich Kammer
       Hochschullehrer: Prof. Dr.-Ing. habil. Rainer Groh
Natürliche Interaktion mit Tangible User Interfaces
Natürliche Interaktion mit Tangible User Interfaces
Selbständigkeitserklärung

Hiermit erkläre ich, dass ich, Marie Schacht, die vorliegende Belegarbeit mit
dem Titel „Natürliche Interaktion mit Tangible User Interfaces“ selbstständig
verfasst habe. Es wurden keine anderen Quellen und Hilfsmittel als die
angegebenen benutzt.

Ort, Datum:     ……………………………………

Unterschrift:   ……………………………………
Natürliche Interaktion mit Tangible User Interfaces
Natürliche Interaktion mit Tangible User Interfaces
Inhaltsverzeichnis

Selbstständigkeitserklärung

1. Einleitung                                                   1
     1.1 Motivation                                             1
     1.2 Zielsetzung                                            2
     1.3 Ergebnisse                                             2
     1.4 Gliederung                                             3

2. Grundlagen                                                   4
     2.1 Benutzerschnittstellen                                 4
     2.2 Mensch-Computer-Interaktion                           11
     2.3 Wahrnehmungspsychologie                               14
     2.4 Metapher                                              17

3. Tangible User Interfaces                                    20
     3.1 Die Anfänge Greifbarer Benutzerschnittstellen         20
     3.2 Definitionen                                          21
     3.3 Kerneigenschaften                                     22
     3.4 Herausforderungen an den Entwurf                      24
     3.5 Tangibles                                             25
     3.6 Beispiele                                             27

4. Natural User Interfaces                                     33
     4.1 Benutzerschnittstellen natürlich gestalten            33
     4.2 Gestaltungsmerkmale nach Henseler                     35
     4.3 Grundkonzept                                          36

5. Interaktionsgestaltung                                      39
     5.1 Herausforderungen Greifbarer Interaktionsgestaltung   39
     5.2 Die Metapher im Interaktionsdesign                    41
     5.3 Richtlinien für Metaphern im Interaktionsdesign       43
     5.4 UX Design                                             44
Natürliche Interaktion mit Tangible User Interfaces
6. Synthese                                        48
     6.1 Interface-Konzept: Multi-Layer            48
     6.2 Interface-Metapher: Prisma                51
     6.3 Interaktions-Metapher: Zeichenwerkzeuge   53
     6.4 Prototyp                                  54
     6.5 Einordnung in den TUI-Gestaltungsraum     55
     6.6 Bewertung des Konzepts                    56

A. Literaturverzeichnis

B. Abbildungsverzeichnis

C. Tabellenverzeichnis
Natürliche Interaktion mit Tangible User Interfaces
Natürliche Interaktion mit Tangible User Interfaces
Kapitel 1: Einleitung
Das einleitende Kapitel gibt einen Überblick zu den Schwerpunkten dieser
Arbeit. Es beschreibt Forschungsfragen und Interessengebiete, die zur Fokus-
sierung des Themas „Natürliche Interaktion mit Tangible User Interfaces“
führten. Der Gliederungsabschnitt reflektiert einen reduzierten Gesamtblick-
auf die Inhalte dieser Arbeit.

1.1     Motivation
Gängige Benutzerschnittstellen mit grafischen Oberflächen isolieren den An-
wender von seiner physischen und sozialen Umgebung. Die indirekte Interak-
tion mit ihnen über Maus und Tastatur wird mittlerweile gewohnheitsbedingt
nicht mehr als befremdlich wahrgenommen, behält aber ihren unnatürlichen
Charakter bei. Der Nutzer musste einst den Umgang mit klassischen Compu-
ter-Systemen aufwendig erlernen.

Im Verlauf der letzten Jahrzehnte hat sich eine neue Dimension der Mensch-
Computer-Kommunikation herausgebildet. Sie findet ihre Entsprechung in
Natürlichen Benutzerschnittstellen. Diese passen sich an die Interessen und
Erwartungen des Nutzers an und gestalten die Interaktion erlebnisreich und
unmittelbar. Die Eingabe erfolgt direkt mit den Händen, der Stimme, oder mit
dem gesamten Körper.

Greifbare Benutzerschnittstellen (Engl.: „Tangible User Interfaces“) sind eine
Ausprägung Natürlicher Benutzerschnittstellen. Ihr Fokus liegt buchstäblich
auf dem „Greifbarmachen“ digitaler Inhalte. Diesen geben sie eine materielle
Form. Man bezeichnet solche physischen Objekte als Tangibles.

Die reale Alltagswelt ist vielfältig und die Interaktion mit Objekten bezieht alle
menschlichen Sinne mit ein. Eine natürliche Interaktion mit Tangible User In-
terfaces basiert auf Handlungsweisen, die dem Menschen aus dem Umgang
mit nicht-technologischen Aspekten seiner realen Umgebung vertraut sind.
Ihre Gestaltung stellt eine besondere Herausforderung dar und erfordert
multidisziplinäres Fachwissen.
Natürliche Interaktion mit Tangible User Interfaces
Kapitel 1: Einleitung

1.2    Zielsetzung
Der Fokus dieser Arbeit liegt auf der Erforschung natürlich gestalteter Interak-
tion mit Greifbaren Benutzerschnittstellen. Dafür wird ein multidisziplinärer
Ansatz verfolgt, der Teilaspekte aus den Bereichen Mensch-Computer-
Interaktion, Greifbare Interaktionsgestaltung, Wahrnehmungspsychologie,
Usability, UX-Design, Gestaltungslehre und Informatik einbezieht. Die techno-
logischen Hintergründe werden als gegeben vorausgesetzt.

Ziel der Arbeit ist es, herauszufinden, wo der Mehrwert im Einsatz von Tangib-
les liegt und wie Benutzerschnittstellen und die Interaktion mit ihnen natürlich
gestaltet werden können.

1.3    Ergebnisse
In den Kapiteln Zwei bis Fünf werden sowohl etablierte Forschungsergebnisse
als auch aktuelle Theorien erfahrener Experten zu Tangible User Interfaces,
Natural User Interfaces und Interaktionsdesign vorgestellt und interpretiert.
Ihre Synthese erfolgt in Kapitel Sechs mit der Beschreibung des eigenen TUI-
Konzepts „Mulayto“.

Hier werden insbesondere der Einsatz von Metaphern und die natürliche
Interaktionsgestaltung mit Tangibles fokussiert. Der Prototyp des Tangible
User Interfaces „Mulayto“ wurde mit der Programmiersprache „Processing“
für das Multitouch-System „xdesk“ implementiert.

                                                                                   Abbildung 1:

                                                                                   Die Abbildung zeigt
                                                                                   einen Eisberg.

                                                                                   In Kapitel 5.2 wird
                                                                                   der Bedeutungskontext
                                                                                   dazu geliefert.

                                                                      2 von 56
Natürliche Interaktion mit Tangible User Interfaces
Kapitel 1: Einleitung

1.4    Gliederung
Diese Arbeit beginnt mit der Beschreibung von Grundlagen zu verschiedenen
Benutzerschnittstellen und ihrer Gestaltung. Auch klassische Grafische Benut-
zerschnittstellen werden einbezogen und von Greifbaren abgegrenzt. Die zwei
darauffolgenden Kapitel beschäftigen sich ausführlich mit Greifbaren und
Natürlichen Benutzerschnittstellen. Es werden Definitionen beleuchtet, Kern-
eigenschaften dargestellt und Gestaltungsherausforderungen aufgezeigt.
Außerdem wird anhand von drei Beispielen verdeutlicht, wie unterschiedlich
der Einsatz von Tangibles gestaltet werden kann. Das abschließende Synthese-
Kapitel greift vorgestellte Konzepte und Richtlinien zur natürlichen Interakti-
onsgestaltung für Greifbare Benutzerschnittstellen auf, berücksichtigt Empfeh-
lungen zum Einsatz von Metaphern und beschreibt detailliert die Konzeption
eines neuen Tangible User Interfaces.

                                                                     3 von 56
Kapitel 2: Grundlagen
Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit den Grundlagen zu Benutzerschnitt-
stellen und ihrer Gestaltung, unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes
dieser Arbeit: dem „Greifbarmachen“ von natürlichen Schnittstellen zur digi-
talen Welt. Erfolgreiche Konzepte erreichen eine nahtlose Integration von
computerbasierten Systemen in das tägliche Leben. Ihre Entwicklung bedarf
der Zusammenarbeit verschiedenster Disziplinen.

2.1    Benutzerschnittstellen
Eine Benutzerschnittstelle (Engl.: „User Interface“) ermöglicht dem Menschen
die Kommunikation mit der Maschine. Im Kontext der Informatik beschreibt
sie die Benutzeroberfläche, über die der Mensch mit dem Computer inter-
agiert.

Die Benutzerschnittstelle verfolgt zwei zentrale Absichten:

   -   Simplizität: Der Aufwand des Erlernens sollte minimiert und die Be-
       nutzbarkeit des Systems möglichst einfach gestaltet werden.

   -   Integration: Innerhalb einer Benutzerschnittstelle sollten Grundprin-
       zipien eingehalten und Konsistenz gewahrt werden. Dies meint bei-
       spielsweise, dass die Ausführung der gleichen Operation in verschie-
       denen Anwendungen auf dieselbe Art funktioniert.

Die Interaktion mit einer guten benutzerfreundlichen Schnittstelle zu Software
oder Hardware erlebt der Anwender auf natürliche und intuitive Weise. (siehe
Kapitel 4.1)

                                                                                 Abbildung 2.1:

                                                                                 Die Abbildung zeigt die
                                                                                 erste grafische Benutzer-
                                                                                 oberfläche. Sie wurde
                                                                                 bereits 1973 für den
                                                                                 „Xerox Alto“ entwickelt.
                                                                                 Weil dieser Computer
                                                                                 aber hauptsächlich für
                                                                                 Forschungszwecke einge-
                                                                                 setzt wurde, wird 1981
                                                                                 als das Jahr beschrieben,
                                                                                 in dem GUIs die Kom-
                                                                                 mandozeileneingabe
                                                                                 ablösten. 1981 wurde
                                                                                 eine GUI erstmals kom-
                                                                                 merziell eingesetzt, im
                                                                                 „Xerox Star“.
                                                                                 [Wikipedia: Xerox Alto]
Kapitel 2: Grundlagen

2.1.1 Grafische Benutzerschnittstellen
Die Grafische Benutzerschnittstelle (Engl.: „Graphical User Interface“, kurz
GUI) beschreibt die Bedienoberfläche des Computers. Sie ermöglicht dem
Nutzer das direkte Anfassen und Manipulieren von Objekten unter Verwen-
dung eines Zeigegerätes, des Mauscursors üblicherweise. Die Interaktion mit
dem Rechner über grafische Elemente löste Anfang der 1980er Jahre das
Konzept der Kommandozeileneingabe ab.

2.1.2 Natürliche Benutzerschnittstellen
Unter Natürlichen Benutzerschnittstellen (Engl.: „Natural User Interfaces“,
kurz NUI) fasst man alle die modernen Benutzerschnittstellen zusammen, die
dem Nutzer eine intuitive und direkte Interaktion ermöglichen. Dazu gehören
Greifbare Schnittstellen, Gestenbasierte Schnittstellen, Multitouch-Oberflä-
chen, Audiobasierte Schnittstellen mit direkter Spracheingabe und
Augmented Realitiy.

Sie schöpfen für die Interaktionsgestaltung aus dem Potenzial der Fähigkeiten,
die sich der Mensch im Laufe seines Lebens in der realen Welt angeeignet hat.
[angelehnt an Buxton] Dies meint insbesondere einfache Fertigkeiten („Simple
Skills“ nach Blake, 2010). Wurde das zugrundeliegende Konzept einmal er-
fasst, lässt es sich leicht auf neue Anwendungskontexte übertragen. Bei-
spielsweise saugt ein Schwamm ein gewisses Maß an Flüssigkeit auf. Weiß-
brot weist, ähnlich dem Schwamm, ein maschenartiges Strukturgerüst auf,
durchsetzt von vielen großen Luftlöchern. Alternativ zum Löffel wird gern die
in Suppe getränkte Brotscheibe zur Nahrungsaufnahme eingesetzt. Ein Bei-
spiel für komplexe, verbundene Fähigkeiten („Composite Skills“ nach Blake,
2010) ist das Klavierspiel. Derartige Fertigkeiten lassen sich kaum in anderem
Kontext wiederverwenden und benötigen zudem einen langen Zeitraum zum
Erlernen. Für den Umgang mit GUIs hat sich der Benutzer viele „Composite
Skills“ aufbauen müssen. NUI-Systeme hingegen sind so gestaltet, dass ihre
Anwendbarkeit auf „Simple Skills“ basiert.

Bei GUIs werden für die Eingabe technische Geräte wie Tastatur und Maus
benötigt. NUIs hingegen ermöglichen dem Menschen verschiedene Kommu-
nikationsformen mit dem System, die seiner natürlichen verbalen und nonver-
balen Ausdrucksweise nahe kommen. Das sind Spracheingabe, Multitouch
(siehe Kapitel 2.1.4), Eingabestift (Engl.: „Stylus“), Bewegungsmessung (Engl.:
„Motion Tracking“). Doch das bloße Bereitstellen dieser Technologien genügt
nicht den Anforderungen eines NUIs. Ein Touchscreen mit einer grafischen
Oberfläche ist nicht natürlich: „GUI + Touch != NUI“ [Blake, 2010]

                                                                     5 von 56
Kapitel 2: Grundlagen

NUI-Systeme schaffen kollaborative Umgebungen und finden überwiegend
Anwendung im künstlerischen, bildenden und kommerziellen Sektor. Sie wei-
sen folgende wesensspezifische Merkmale auf: Unmittelbarkeit, Dynamik,
Adaptivität, Multimedialität, Multimodalität und Kontextsensitivität. [Henseler
2010]

2.1.3 Gestenbasierte Benutzerschnittstellen
Natürliche Mensch-Maschine-Schnittstellen, die Gesten als Interaktionstechnik
erkennen und interpretieren können, beschreiben das Feld der Gestenbasier-
ten Benutzerschnittstellen (Engl.: „Gestural Interface“). Sie heben das Modell
der direkten Manipulation auf ein neues Niveau. Der gesamte menschliche
Körper wird nun zur Manipulation des ihn umgebenden digitalen Raumes
eingesetzt.

Es werden zwei Typen Gestenbasierter Interfaces unterschieden [Saffer 2008,
Seite 4]:

   -   Freiform: beispielsweise ein Datenhandschuh als Eingabegerät

   -   Berührungsschnittstellen (Engl.: „Touch User Interfaces“): direktes An-
       fassen und Manipulieren von Objekten durch Berühren der Oberfläche

Wohlgestaltete Gestenbasierte Benutzerschnittstellen sind, nach Saffer:
erforschbar, zuverlässig, reagierend, passgenau, bedeutsam, raffiniert, schlau,
vergnüglich und verspielt.

2.1.4 Multitouch
"Multi-touch-sensing was designed to allow nontechies to do masterful things
while allowing power users to be even more virtuosic." Jefferson Y. Han

Multitouch ist eine Interaktionsform, die seit den frühen 1980er Jahren er-
forscht wird. Die Eingabe erfolgt unmittelbar über das Berühren von berüh-
rungsempfindlichen Bildschirmen (Engl.:„Touchscreens“), mit mehreren Fin-
gern gleichzeitig. Der Nutzer verwendet Gesten für die Erledigung seiner Auf-
gaben anstatt dem Multitouch-System den Befehl zur Aufgabendurchführung
zu geben, zum Beispiel führt das Durchstreichen eines Objekts zum Löschen.
Das System liefert direktes, visuelles Feedback.

Die grundsätzliche Funktionsweise ist Folgende: der Nutzer berührt das Gerät
und Sensoren messen mit Hilfe von elektrischem Strom, Ultraschall-, Infrarot-
oder Lichtwellen die Änderung bestimmter Parameter. [Schuster 2008] Dafür
werden optische und kapazitive Technologien eingesetzt.

                                                                     6 von 56
Kapitel 2: Grundlagen

Die Kernanforderung an ein Multitouch-System ist das Erkennen mehrerer
gleichzeitiger Berührungen. Hierbei sollte es unterscheiden können, ob die
Berührung eine Eingabeabsicht verfolgt oder zufällig geschieht. Auch die Ab-
grenzung simultaner Berührungen eines oder mehrerer Benutzer ist erforder-
lich. Aus den erkannten Berührungen und Berührungsverfolgungen müssen
Eingabegesten interpretiert werden können.

2.1.5 Greifbare Benutzerschnittstellen
Greifbare Benutzerschnittstellen (Engl.: „Tangible User Interfaces“, kurz TUI)
sind NUIs mit besonderem Fokus auf der physischen Darstellung von Informa-
tionen. Sie geben digitalen Inhalten eine materielle Form. Das namensgeben-
de englischsprachige Adjektiv „tangible“ lässt sich mit „greifbar“,
„berührbar“ und auch „dinghaft“ übersetzen. Wendet man den Begriff auf
Benutzerschnittstellen an, resultieren daraus die charakteristischen Merkmale
von TUIs.

„Dinghafte“ Objekte, sogenannte Tangibles, sind die „greifbaren“ Repräsen-
tanten digitaler Inhalte und bilden darüber hinaus die physische Verkörperung
von interaktiven Kontrollmechanismen [Ishii 2008]. Der Nutzer erfährt konti-
nuierlich haptisches Feedback und „berührt“ somit direkt die Schnittstelle zur
digitalen Welt.

                                                                                  Abbildung 2.2:

                                                                                  Die Abbildung zeigt das
                                                                                  mehrfach ausgezeich-
                                                                                  nete Tangible User
                                                                                  Interface „Reactable“.
                                                                                  Der „Reactable“ ist ein
                                                                                  elektronisches Musikin-
                                                                                  strument mit greifba-
                                                                                  rem Interface. Er wurde
                                                                                  seit 2003 an der
                                                                                  „Pompeu Fabra Univer-
                                                                                  sität“ Barcelona entwi-
                                                                                  ckelt und kam erstmals
                                                                                  auf der „International
                                                                                  Computer Music Con-
                                                                                  ference“ 2005 zum
                                                                                  Einsatz. [Reactable
                                                                                  2010]

TUIs und die Interaktion mit ihnen integrieren sich nahtlos in die reale physi-
sche Umgebung. Virtuelle und physische Objekte kooperieren miteinander
und ergänzen sich gegenseitig. Die einst klare Grenze zwischen Nutzer und

                                                                     7 von 56
Kapitel 2: Grundlagen

Endgerät verschmilzt. Daraus resultieren innovative Perspektiven für die Inter-
aktion mit und den Einsatz von digitalen Inhalten.

In klassischen GUI-Systemen erfolgt die Eingabe (Engl.: „Input“) indirekt, un-
ter Zuhilfenahme von Eingabewerkzeugen wie Maus und Tastatur. Ein- und
Ausgabe (Engl.: „Output“) werden grafisch auf dem Bildschirm dargestellt.
TUI-Systeme ermöglichen dem Nutzer direkten physischen Input durch Mani-
pulation der Tangibles. Der Output ist jedoch ebenfalls überwiegend grafisch,
beispielsweise mittels einer Projektion um die Objekte herum. Es gibt Konzep-
te, die Ausgabe gleichermaßen physisch zu gestalten, zum Beispiel unter Ein-
satz von Elektromagneten. (siehe Abbildung 2.3)

                                                                                  Abbildung 2.3:

                                                                                  Die Abbildung verdeut-
                                                                                  licht die Funktionsweise
                                                                                  des TUIs „Actuated
                                                                                  Workbench“, in dem
                                                                                  der physische Input des
                                                                                  Nutzers mit computer-
                                                                                  gesteuertem, physi-
                                                                                  schem Output beant-
                                                                                  wortet wird. Die antrei-
                                                                                  bende Kraft dafür
                                                                                  liefert ein elektromag-
                                                                                  netisches Feld, welches
                                                                                  sich direkt unter der
                                                                                  Arbeitsoberfläche be-
                                                                                  findet. [Pangaro,
                                                                                  Maynes-Aminzade, Ishii
                                                                                  2002]

2.1.6 Tangibles
In TUIs bilden Objekte, Instrumente, Oberflächen und Räume - zusammenge-
fasst unter dem Begriff Tangibles - die physische Schnittstelle zu digitaler
Information. [Ullmer 1997] Der englischsprachige Begriff „tangible“ wird mit
„berührbar“ und ebenso „greifbar“ übersetzt. Das Wörterbuch definiert das
Adjektiv „tangible“ als etwas, das man wahrnehmen kann, insbesondere mit
dem Tastsinn.

Tangibles besitzen im Kontext der Benutzerschnittstellen eine duale Identität.
Zum Einen repräsentieren sie die physischen Instanzen digitaler Informationen
(Gruppe der „Object Tangibles“ nach Ullmer) und zum Zweiten dienen sie der
Manipulation digitaler Inhalte (Gruppe der „Instrument Tangibles“ nach
Ullmer).

Ihr Verhalten wird durch ihre physische Gestalt an sich bestimmt und beein-
flusst durch andere physische oder virtuelle Elemente in der näheren Umge-
bung.

                                                                     8 von 56
Kapitel 2: Grundlagen

2.1.7 Gegenüberstellung von Grafischen und Greifbaren
      Benutzerschnittstellen
Dieser Abschnitt zeigt die Unterschiede zwischen GUIs und TUIs auf. Dabei
wird deutlich, dass Greifbare Schnittstellen nicht die bloße Weiterentwicklung
Grafischer Schnittstellen bilden. Sie sind vielmehr Repräsentanten einer gänz-
lich neuen Ära von Benutzerschnittstellen. Diese verfolgt das übergeordnete
Ziel, die Computer-Technologie in die physische Umgebung zu integrieren, so
dass virtuelle und reale Welt miteinander verschmelzen. Der Mensch soll den
Umgang mit TUIs nicht erlernen müssen, sondern sich ganz natürlich verhal-
ten können. Daraus resultiert eine deutlich geringere kognitive Belastung ge-
genüber der Interaktion mit GUIs. Die Kommunikation mit einem TUI-System
findet nicht mehr indirekt über Eingabegeräte wie Maus oder Tastatur statt,
sondern unmittelbar mit den Händen oder gar mit dem gesamten Körper. Der
visuelle Sinneskanal wird in GUIs stark beansprucht, teilweise ausschließlich.
TUIs beziehen weitere Sinne mit ein, insbesondere den haptischen. Die Inter-
aktion mit einem TUI kann manchmal sogar blind erfolgen. GUIs stellen dem
Nutzer eine Arbeitsplatzumgebung (siehe Kapitel 2.4 zur Desktop-Metapher)
bereit, damit dieser seine Aufgaben schnell und möglichst effektiv erledigen
kann, wohingegen der Umgang mit TUIs im Gesamten zu einem spannenden,
erfreulichen Erlebnis werden soll (siehe Kapitel 2.2.4 zum UX Design). Wäh-
rend die GUI-Benutzung stets isolativ erfolgt, berücksichtigen TUIs das Sozial-
verhalten des Menschen und ermöglichen mehreren Nutzern das gemeinsame
Interagieren. Dies ist ein weiteres wichtiges Merkmal für die Natürlichkeit
Greifbarer Benutzerschnittstellen.

                         GUI                              TUI
      Ausgangspunkt      Das GUI ist eine Schnittstelle   Das TUI ist eine Schnittstelle   Tabelle 2.1:
                         aus „angemalten Bits“ [Ishii     aus „materiellen und fühlba-
                         2008] mit zwei-                  ren Bits“ mit drei-              Gegenüberstellung von
                         dimensionaler Oberfläche.        dimensionaler Oberfläche.        GUI und TUI

   Bedeutung per Be- „Graphical“ (Engl.) wird             „Tangible“(Engl.) wird über-
      griffsdefinition übersetzt mit grafisch, bild-      setzt mit greifbar und
                         lich und auch zeichnerisch.      ertastbar.

  Grundlegendes Ge- GUIs sind bedarfsgesteuert.           TUIs sind auffordernd und
     staltungsprinzip Sie reagieren auf die Einga-        greifbar. Sie begünstigen die
                         be des Nutzers.                  gesamtkörperliche Interakti-
                                                          on.

       Grundkonzept Das GUI-Grundkonzept                  Das TUI-Grundkonzept ist
                         basiert auf den vier WIMP -      noch nicht klar definiert,
                         Komponenten Fenster,             lässt sich jedoch (gegenwär-
                         Icons, Menüs und Zeigege-        tig) durch das NUI-Grund-
                         rät. Sie stellen eine Auflis-    konzept OCGM beschrei-
                         tung wesentlicher Interakti-     ben. OCGM ist ein englisch-
                         onsstile dar. WIMP ist ein       sprachiges Akronym für
                         englischsprachiges Akronym       „Objects”, „Containers”,
                         für „Windows“, „Icons“,          „Gestures” und „Manipula-
                         „Menus“ und „Pointer“.           tion”. (siehe Kapitel 4.2)

                                                                             9 von 56
Kapitel 2: Grundlagen

                        GUI                             TUI
Interaktionsmetapher    GUI-Systeme setzen die          Für TUI-Systeme gibt es         Tabelle 2.1:
                        Desktop-Metapher ein, um        keine generelle Interakti-      (Fortsetzung)
                        dem Nutzer die Interakti-       onsmetapher. Jedes TUI
                        onsweisen nahezulegen.          liefert eine eigene, auf das    Gegenüberstellung von
                                                        System und seine Funktiona-     GUI und TUI
                                                        litäten „zugeschnittene“
                                                        Metapher.

 Manipulation digita- In GUIs erfolgt die Manipu-       In TUIs werden digitale In-
          ler Inhalte lation digitaler Inhalte gra-     halte physisch manipuliert,
                        fisch, mit Hilfe des Zeigege-   unter Einsatz von Tangibles,
                        räts.                           Händen oder beidem.

                Input Die GUI-Eingabe ist indirekt.     Die TUI-Eingabe erfolgt
                        Sie erfolgt via Maus und        beidhändig und direkt, mit-
                        Tastatur. Touchscreens stel-    tels Gesten, Berührungen
                        len eine Besonderheit dar,      und Tangibles.
                        ermöglichen aber auch
                        keinen direkten Input, da
                        lediglich der Mauszeiger
                        durch den Finger ersetzt
                        wird und äquivalent inter-
                        agiert.

              Output Ein GUI-System liefert über        Ein GUI-System liefert über
                        den Bildschirm grafischen       den Bildschirm grafischen
                        Output, teils akustisch er-     Output, teils akustisch er-
                        gänzt.                          gänzt. Es gibt TUIs, die über
                                                        ihre Tangibles auch physi-
                                                        schen Output geben. Hier
                                                        kommen zum Beispiel Elekt-
                                                        romagnete zum Einsatz, um
                                                        die physischen Objekte auf
                                                        der Oberfläche in Bewegung
                                                        zu versetzen.

          Benutzung Der Benutzer eines GUI-             Ein TUI-System ermöglicht
                        Systems handelt allein und      mehreren Benutzern das
                        ist von seiner Umgebung         gemeinsame Interagieren.
                        isoliert.

    Menügestaltung In GUIs erfolgt das Erfor-           In TUIs gibt es keine klassi-
                        schen der Menüs und Inhal-      sche Menüstruktur. Viel-
                        te explorativ.                  mehr wird dem Nutzer kon-
                                                        textabhängig ein Auswahl-
                                                        menü angeboten.

  Navigationsmuster Die Navigation innerhalb            Beim Navigieren durch TUI-
                        grafischer Oberflächen ba-      Systeme können und sollen
                        siert auf den Konzepten         die Nutzer ihrer Intuition
                        (Wieder-) Erkennen und          folgen.
                        Identifizieren.

                                                                         10 von 56
Kapitel 2: Grundlagen

2.2    Mensch-Computer-Interaktion
In nahezu allen Lebensbereichen, sowohl geschäftlich als auch privat, wird
heutzutage Computer-Technologie eingesetzt. Das interdisziplinäre For-
schungsfeld der Mensch-Computer-Interaktion (kurz MCI) beschäftigt sich mit
der Gestaltung, der Umsetzung und der Auswertung von interaktiven Syste-
men hinsichtlich einer benutzergerechten Gestaltung. Es berücksichtigt dabei
Erkenntnisse aus der Informatik, der Psychologie, der Arbeitswissenschaft, der
Kognitionswissenschaft, der Ergonomie, der Soziologie und dem Design.

2.2.1 Interaktionsdesign
Interaktionsdesign ist ein wichtiges Teilgebiet der MCI. Es beschäftigt sich mit
der Gestaltung von interaktiven Systemen, hinsichtlich deren Funktion und
Verhalten. Erfolgreiches Interaktionsdesign verbessert die Benutzbarkeit eines
Systems und trägt implizit zu gesteigerter Produktivität und Zufriedenheit des
Anwenders bei.

Die Interaktion mit NUIs bezieht den gesamten menschlichen Körper ein. Da-
für müssen innovative Interaktionsmethoden bereitgestellt werden, deren
Erforschung noch an den Anfängen steht. Dennoch gibt es - unabhängig von
neuartigen Technologien - wichtige Grundprinzipien für die Gestaltung der
Interaktion. Diese umfassen nach [Norman, Nielsen 2010]:

   -   Sichtbarkeit,
   -   Rückmeldung,
   -   Konsistenz,
   -   umkehrbare Operation,
   -   Auffindbarkeit,
   -   Skalierbarkeit,
   -   Verlässlichkeit.

Sichtbarkeit meint, dass die nutzbaren Eigenschaften von Objekten (tangibel
und intangibel) erkennbar sind. Über die Merkmale in der Gestalt von Objek-
ten soll dem Nutzer bereits die Handhabung nahelegt werden. Donald Nor-
man prägte dafür den Begriff „Affordance“, was sich frei mit „Angebotscha-
rakter“ [Wikipedia: Angebotscharakter] übersetzen lässt. Mit Konsistenz ist die
Einhaltung von Standards gemeint. Auffindbarkeit bedeutet, dass alle Opera-
tionen durch systematisches Erkunden entdeckt werden können.

                                                                    11 von 56
Kapitel 2: Grundlagen

2.2.2 Greifbare Interaktion
Das interdisziplinäre Forschungsfeld der Greifbaren Interaktion (Engl.: „Tan-
gible Interaction“) integriert viele Aspekte der MCI und des Interaktionsde-
signs. Es spezialisiert sich auf Systeme, die Computertechnologie in physische
Artefakte und Umgebungen einbetten, wodurch eine Verbindung zwischen
physischer und digitaler Welt geschaffen wird. Es umspannt Benutzerschnitt-
stellen und Interaktionsmethoden, welche insbesondere die folgenden Cha-
rakteristika betonen [Hornecker 2009]:

   -   Greifbarkeit und Materialität der Schnittstelle
   -   Physische Gestalt der Daten
   -   Ganzkörperinteraktion
   -   Einbettung von Benutzerschnittstelle und Nutzerinteraktion in den rea-
       len Raum und Kontext

Die Interaktion mit klassischen GUI-Systemen beschränkt sich auf Sehen, Zei-
gen und Klicken (Engl.: „see-point-click“), eine Interaktionsform, die dem
Menschen aus dem Umgang mit seiner physischen Lebensumgebung nicht
vertraut ist. TUI-Systeme zielen darauf ab, einfache haptische Interaktionsfer-
tigkeiten, wie beispielsweise den Umgang mit Bauklötzen, einzusetzen. [Ishii
2008]

2.2.3 Usability
Der Begriff Usability entstammt der englischen Sprache und wird mit Ge-
brauchstauglichkeit oder Benutzerfreundlichkeit übersetzt. Sie ist das Maß für
die Einfachheit der Benutzung von Produkten. Die Definition von Usability ist
in der DIN EN ISO 9241 Teil 11 geregelt. DIN EN ISO 9241 ist ein internationa-
ler Standard, welcher Richtlinien der Interaktion zwischen Mensch und Com-
puter beschreibt. Im Teil 11 wird Usability wie folgt definiert:

        „Die Gebrauchstauglichkeit ist das Ausmaß, in dem ein Produkt durch
       bestimmte Benutzer in einem Nutzungskontext genutzt werden kann,
       um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu errei-
       chen. Der Nutzungskontext besteht aus den Benutzern, Arbeitsaufga-
       ben und Arbeitsmitteln (Hardware, Software und Materialien) sowie
       der physischen und sozialen Umgebung, in der das Produkt eingesetzt
       wird.“

Die Gebrauchstauglichkeit basiert auf den Bedienkonzepten und Bedürfnissen
des Nutzers. Somit gibt es neben einer objektiven Beurteilung auch eine sub-
jektive Beurteilung, die von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ausfallen
kann.

                                                                    12 von 56
Kapitel 2: Grundlagen

Usability hat als Qualitätskriterium einen entscheidenden Anteil am Erfolg
eines Produktes. Zur Sicherung dieser Qualität sind entsprechende Maßnah-
men notwendig. In Gestaltungs- und Entwicklungsprozessen setzt sich diese
Erkenntnis immer weiter durch. Dies führt zu einer Zunahme an Adaptivität,
Dynamik und Kontext-Sensitivität.

Neben der visuellen Präsenz der Produkte (Engl.: „Look“) und deren Verhalten
im Kontext zum Nutzer (Engl.: „Feel“) ist die Strukturierung und Gestaltung
bedeutsam. Das Design von Verhaltensprinzipien, wie zum Beispiel Gestik,
rückt immer stärker in den Vordergrund.

Um Usability zu gewährleisten müssen sich die Benutzerschnittstellen in den
jeweiligen Nutzungskontext einpassen und den Anwendern die Möglichkeiten
bereitstellen, ihre Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen.
Sie sollten leicht zu erlernen und demzufolge einfach zu handhaben sein.

2.2.4 UX Design
„Good products work, great products inspire.“ Steve Krug

„User Experience“ (kurz: UX) umspannt alle Aspekte der direkten Interaktion
des Nutzers mit einem digitalen Produkt. Dabei werden Erlernbarkeit,
Usability, Zweckmäßigkeit und ästhetischer Anreiz besonders fokussiert. [UX
Glossar]

Die NielsenNormanGroup [NNGroup: UX] formuliert folgende Grundanforde-
rungen an die Gestaltung der Interaktionserlebnisse für den Benutzer:

   -   Die Bedürfnisse des Nutzers sollen präzise und ohne Umschweife er-
       füllt werden.
   -   Einfachheit und Eleganz sollen kombiniert werden, um Produkte zu
       gestalten, deren Besitz und Benutzung den Konsumenten erfreuen.
   -   Die Erwartungen des Nutzers sollen übertroffen werden.

UX Design stellt einen ganzheitlichen, interdisziplinären Ansatz für die Gestal-
tung von Benutzerschnittstellen dar. Es vereint Expertenwissen verschiedener
Fachbereiche (Interaktionsdesign, Interfacedesign, Marketing, Informationsar-
chitektur, Ingenieurswissenschaft) und gewährleistet deren stimmiges Zu-
sammenspiel.

UX ist die Charakterisierung dessen, wie die Benutzung des Systems wahrge-
nommen wird. Das übergeordnete Ziel ist die Steigerung der Zufriedenheit des
Anwenders.

                                                                     13 von 56
Kapitel 2: Grundlagen

2.3    Wahrnehmungspsychologie
Der Begriff Wahrnehmung im Allgemeinen bezeichnet den Informationsge-
winn durch Umwelt- und Körperreize. Einige Grundprinzipien der Wahrneh-
mungspsychologie liefern das Fundament für die Gestaltung von Benutzer-
schnittstellen und ihren Interaktionsmethoden. Die Benutzeroberfläche soll
eine schnelle, sichere und inhaltsorientierte Informationsaufnahme und Infor-
mationsverarbeitung ermöglich. Im Folgenden werden kognitionspsychologi-
sche Basiskenntnisse zu Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Gedächtnis
dargestellt.

2.3.1 Überblick ausgewählter Grundlagen
Das wahrnehmungspsychologische Konzept der Affordances nimmt Bezug
auf die wahrgenommenen und tatsächlichen Eigenschaften eines Objekts. Die
Gestaltmerkmale von Objekten kommunizieren deren Funktionalitäten. James
Gibson beschrieb 1979 Affordances als „Angebotscharakter“ eines Objekts.
Donald Norman prägte diesen Begriff für den Kontext der MCI. [Wikipedia:
Angebotscharakter] In seinem Buch "The Psychology of Everyday Things"
überträgt er dieses Konzept der Wahrnehmungspsychologie auf die Gestal-
tung.

Der Begriff Chunking beschreibt die Methode der Vereinfachung durch
Gruppierung. In Containern zusammengefasste Objekte können besser wahr-
genommen werden und begünstigen eine Erkenntnisgewinnung.

Kognitive Belastung meint die Belastung, der ein Mensch während des Pro-
zesses der Problemlösung, des Denkens und der Schlussfolgerung ausgesetzt
ist. Die Interaktion mit NUI-Systemen sollte eine minimale kognitive Belastung
darstellen.

Die „Magische Sieben“ plus oder minus Zwei bezieht sich auf die Anzahl
diskreter Informationen, die der Mensch im Kurzzeitgedächtnis berarbeiten
kann, bevor der Informationsverlust beginnt. Studien belegen [Jones 2002],
dass die Grenzzahl der menschlichen Informationsverarbeitung deutlich klei-
ner ausfällt. Sie liegt bei Vier.

Das Mentale Modell repräsentiert den Gedankenprozess einer Person zur
Funktionsweise von Dingen. Es basiert auf Erfahrungen, unvollständigen Fak-
ten und intuitiven Wahrnehmungen. [Carey 1986] Mentale Modelle von Be-
nutzerschnittstellen liefern eine Art innere Landkarte, die dem Nutzer das
intuitive Zurechtfinden erleichtert. Metaphern werden eingesetzt, um die Bil-
dung des mentalen Modells beim Nutzer zu unterstützen. [Lepsky 2009]

                                                                   14 von 56
Kapitel 2: Grundlagen

„Ockham’s Razor“ ist ein Sparsamkeitsprinzip, benannt nach Wilhelm von
Ockham (1285–1347). Es meint, dass die einfache Erklärung immer der kom-
plexen vorzuziehen ist. Im Kontext des benutzerzentrierten Designs ist es wie
folgt zu verstehen: [Barrett 2009]

       Wenn zwei Dinge das gleiche Ergebnis bringen, sollten sie in einem
       zusammengefasst werden.

       Wenn zwei Interfaces gleichermaßen die Bedürfnisse des Nutzers erfül-
       len, sollte die Entscheidung auf das einfachere fallen.

       Der Gestalter muss die Anforderungen des Nutzers genau verstehen
       und allen diesen mit seinem einfachsten Design gerecht werden.

Jeder Mensch besitzt in unterschiedlicher Ausprägung die Fähigkeit zur Selbst-
regulation und Selbstorganisation. Man spricht hier von der „Tendenz zur
guten Gestalt“ oder auch Prägnanztendenz. [Stumm, Prietz 2000] Sie be-
schäftigt sich mit dem Ordnungsprinzip der menschlichen Wahrnehmung,
seines Denkens, Handelns und Fühlens. Dieses Wissen über Ordnungen und
Strukturen als ein menschliches Grundbedürfnis wird in die Gestaltung von
Benutzerschnittstellen transportiert.

Die menschliche Wahrnehmung ist immer selektiv. Abhängig von Hand-
lungsabsichten, Erfahrungen und Verhaltensmustern steuert Aufmerksamkeit
die Fokussierungen. Objekte, die sich im Sichtfeld befinden, wie beispielsweise
alle Elemente eines grafischen Interfaces, werden nicht gleichermaßen be-
wusst wahrgenommen. Die visuelle Wahrnehmung umfasst nur einen mini-
malen Bereich des scharfen Sehens. Erst die Verknüpfung einer Vielzahl
schneller Fokussierungen (sogenannter Springpunkte) führt zum Gesamtbild.
[Lepsky 2009]

Die Veränderungsblindheit (Engl.: „Change Blindness“) beschreibt ein Phä-
nomen der visuellen Wahrnehmung. Hierbei werden teilweise große Ände-
rungen in der visuellen Szenerie vom Betrachter nicht wahrgenommen.
[Wikipedia: Veränderungsblindheit]

2.3.2 Der menschliche Tastsinn
 „Zu Beginn der Sprachevolution des Menschen standen Gesten und Gebär-
den – das gesprochene Wort erlernten die Urmenschen frühestens vor 1,8
Millionen Jahren.“ [Kirschner 2007]

Greifbare Benutzerschnittstellen ermöglichen dem Nutzer, mehrere seiner
Sinne aktiv einzusetzen. Die fünf menschlichen Sinne ergänzen sich gegensei-
tig. Keiner kann alle anderen ersetzen und jeder überragt den Rest in be-
stimmten Bereichen.

                                                                   15 von 56
Kapitel 2: Grundlagen

Für die Interaktion mit TUIs wird, neben dem visuellen Kanal, besonders der
Tastsinn gefordert. Er ist der einzige aktive Sinn des Menschen. Man muss
handeln, um zu Tasten. Alle anderen Sinne sind rezeptiv und empfangen aus-
schließlich die Informationen. Der Tastsinn agiert aktiv und empfängt passiv.
Er setzt sich aus zwei sensorischen Kanälen zusammen:

   -   taktile Wahrnehmung (Oberflächensensibilität): Die Stimulation der
       Tast-, Wärme- und Kälterezeptoren des Sinnesorgans Haut ruft ver-
       schiedene Empfindungen hervor und führt zur Wahrnehmung von
       Druck, Berührung, Vibration und Temperatur. [Wikipedia: Wahrneh-
       mung]

   -   kinästhetische Wahrnehmung (Tiefensensibilität): Die Tiefensensibi-
       lität dient der Eigenwahrnehmung des Körpers. Die Stimulation von
       Rezeptoren in Gelenken, Muskeln und Sehnen führt zur Bewegung
       der Gliedmaßen und definiert die Körperhaltung.

Das Zusammenwirken von taktiler und kinästhetischer Wahrnehmung ergibt
die haptische Wahrnehmung.

Die passive taktile Wahrnehmung registriert mechanische Reize und emp-
fängt Berührungen. Aber das alleinige Platzieren der Fingerkuppe auf einer
Oberfläche reicht nicht aus, um die Textur zu erfassen. Erst wenn der Finger
über die Oberfläche bewegt wird, wenn also eine kinästhetische Reizung
stattfindet, kann die Oberflächenstruktur ertastet und demnach aktiv hap-
tisch wahrgenommen werden. [Kortas 2001]

Für den Menschen und seine Interaktion mit der physischen Umwelt ist fühl-
bares Feedback sehr wichtig. Der Tastsinn hat eine tiefe emotionale Bedeu-
tung. Über das Fell einer Katze streichen beispielsweise, sich einen Splitter
einziehen oder in eine unbekannte klebrige Substanz eintauchen. Diese Sze-
narios verursachen intensive, sehr unterschiedliche emotionale Antworten. Die
Gestalter von Benutzungserlebnissen (siehe Kapitel 2.2.4) können das bewusst
einsetzen.

Zusammenfassend steht fest, dass die haptische Wahrnehmung einen idealen
Kanal für die Interaktion mit TUIs darstellt: sie ist schnell, bedarf wenig be-
wusster Kontrolle, berücksichtigt verschlüsselte Informationen und produziert
starke emotionale Antworten.

„Die Welt als Erweiterung der Haut ist sehr viel interessanter als die Welt als
Erweiterung des Bildes.“ Ralf Bähren (2001)

                                                                   16 von 56
Kapitel 2: Grundlagen

2.4    Metapher
„A metaphor is a device for seeing something in terms of something else. It
brings out the thisness of that or the thatness of this.“ Burke (1945)

Die Metapher überträgt begrifflich einen bekannten Kontext auf einen unbe-
kannten und unterstützt so das Verständnis. Erickson prägte dafür den Begriff
des „Cross-Domain Mapping“ (Dt.: „bereichsübergreifendes Abbilden“). Me-
taphern werden zu natürlichen Modellen. Mit ihrer Hilfe kann man von ver-
trauten, konkreten Objekten und Erfahrungen Gebrauch machen, um für
unbekannte Dinge und abstrakte Konzepte eine Struktur und Bedeutung zu
formulieren. [Erickson 1990]

                                                                                   Abbildung 2.4:

                                                                                   “Cross-Domain
                                                                                   Mapping”-Modell zur
                                                                                   Verdeutlichung einer
                                                                                   Metapher.

Die Metapher ist dicht eingewoben in das menschliche Gedankengerüst und
täglich im Gebrauch, bewusst und unbewusst. Sie hilft dem Menschen, abs-
trakte Konzepte wie Zeit, Raum, Veränderungen oder Aktionen zu erfassen
und zu verstehen. Beispiele dafür sind die Formulierungen: „die Vergangen-
heit hinter sich packen“ oder „Zeit ist Geld“. [Saffer 2005]

Über lange Zeit erkannte man der Metapher lediglich ihre Bedeutung für die
Poesie und die Rhetorik an. Doch bereits der griechische Philosoph Aristoteles
sah vor über 2300 Jahren auch ihre Geeignetheit für die Lehre. Um eine Me-
tapher zu verstehen, muss man die Gemeinsamkeiten zwischen der Metapher
und ihrem inhaltlichen Bezug herausfinden.

Die Metapher ist nicht nur ein simpler Zeiger auf einen Bereich. Sie unterstützt
vielmehr das Erfassen seiner verschiedenartigen Aspekte. Das Interaktionsde-
sign wäre ohne den Einsatz von Metaphern stark reduziert. In einem Compu-
ter sind mehrere Komplexitätsebenen übereinander geschichtet. Der Benutzer
interagiert auf der höchsten Ebene. Er spricht metaphorisch zu dem Computer
und bewältigt somit die Komplexität. [Hutchins 1989]

                                                                    17 von 56
Kapitel 2: Grundlagen

Die Desktop-Metapher
Der „Desktop“ (Engl.: Arbeitsplatzoberfläche) bildet seit nahezu dreißig Jah-
ren das Zentrum der grafischen Benutzeroberfläche zum Computersystem.
                                                                            1
1981 wurde für die Entwicklung der Benutzerschnittstelle des „Xerox Star“
ein bestimmter Nutzertyp definiert. Man bediente sich der Desktop-Metapher
(ursprünglich „Physical-Office-Metapher“), um dem damals dominierenden
Einsatzkontext der Bürotätigkeit zu entsprechen.

Die physische Arbeitsplatzumgebung bildet den Ursprungsbereich der Meta-
pher und die grafische Benutzeroberfläche ihren Zielbereich: Papierdokumente
werden in Dateien übersetzt, Ordner in Dateiverzeichnisse und der Papierkorb
behandelt Löschvorgänge. Die Desktop-Metapher hat vier wesentliche Cha-
rakteristika [Lippert 1999]:

    -   Unterstützung von Bürotätigkeit: Die Objekte auf dem Desktop
        und die Aktionen sind nach dem Vorbild der Büroarbeit entwickelt
        worden.

    -   Vergegenständlichung: Man kann Gegenstände, wie zum Beispiel
        Ordner oder Dokumente auf dem Desktop ablegen. Diese werden
        durch kleine Symbole repräsentiert und fördern somit ein intuitives
        Verständnis.

    -   Räumliche Anordnung: Der Nutzer hat seine eigene Ordnung auf
        dem elektronischen Desktop. Wie in der physischen Welt, kann er den
        „Schreibtisch“ verlassen, also das System ausschalten, und später zu-
        rückkehren: er wird ihn unverändert vorfinden.

    -   Direkte Manipulation: Objekte auf dem Desktop können mit der
        Maus direkt manipuliert werden: Zeigen und Klicken wählt Objekte
        aus, Mitziehen und Fallenlassen (Engl.: „Drag and Drop“) verschiebt
        Objekte auf der Oberfläche oder in Ablageordner.

Objekte und Aktionen aus der realen Bürowelt finden in der grafischen Benut-
zeroberfläche eine Entsprechung. Aber bei der Übersetzung kam es zu Ver-
stößen gegen die Erfahrungen aus der physischen Welt. Auf Desktop-
Systemen ist es beispielsweise möglich, dass zwei verschiedene Fenster den-
selben Ordner darstellen. Reale Objekte können sich nur an einem Ort zur
selben Zeit befinden. Außerdem steht der Papierkorb auf dem elektronischen
Desktop, gleich neben Ordnern und Dokumenten, während er in physischen
Arbeitsplatzumgebungen unter dem Schreibtisch platziert ist.

Neben diesen Unstimmigkeiten stellt sich die grundlegende Frage, ob die Um-
setzung der Desktop-Metapher überhaupt jegliche Kriterien einer Metapher

1
 Der „Xerox Star“ war der erste benutzungsfreundliche Arbeitsplatzrechner mit grafi-
scher Oberfläche.

                                                                        18 von 56
Kapitel 2: Grundlagen

erfüllt. Viele Quellen definieren Metaphern im Allgemeinen als bloße visuelle,
strukturelle oder funktionelle Analogien. Dem wird die Desktop-Metapher
überwiegend gerecht. Aber nicht das Simulieren von Aussehen und Funktion
charakterisiert den Einsatz von Metaphern sondern die verständliche Überfüh-
rung des Konzepts in einen fremden Kontext. Diesem Definitionsanspruch
kann die Desktop-Metapher nur vereinzelnd nachkommen. Das folgende Bei-
spiel soll den Unterschied zwischen Analogie und konzeptioneller Überfüh-
rung verdeutlichen.

Um den physischen Auswurf einer CD zu veranlassen, muss der Nutzer eines
GUI-Systems von „Apple“ das CD-Icon über den Desktop in den Papierkorb
ziehen. Bezüglich der sonstigen digitalen Arbeitsweise des Papierkorbs stellt
dieser Handlungsablauf einen Bruch dar, denn der Papierkorb repräsentiert
visuell und funktionell analog zu seinem physischen Pendant einen Behälter
für entfernte digitale Objekte. Würden mit dem Verschwinden des CD-Icons
im Papierkorb die digitalen Informationen auf der physischen CD verschwin-
den, würde die CD also formatiert und ihre einstigen Inhalte in der Zwischen-
ablage „Papierkorb“ aufbewahrt werden, entspräche das Verhalten der funk-
tionellen Analogie. Aber die bedeutungsvollere Verwendung der Metapher
bleibt weiter aus. Eine etwas abstraktere Definition, die losgelöst von seiner
bekannten Arbeitsweise zu betrachten ist, soll den Mehrwert der Papierkorb-
Metapher herbeiführen: „Der Papierkorb dient der endgültigen Entfernung
von Objekten vom Desktop.“ Mit dieser Definition lässt sich argumentieren,
dass mithilfe des Papierkorbs die CD dauerhaft aus dem GUI-System entfernt
und somit zurück an die physische Welt gegeben wird. Auch dieser neue Vor-
schlag für die Funktionsweise des digitalen Papierkorbs ist kritisch zu betrach-
ten, denn das CD-Icon als Verweis auf die physische CD birgt eine andere
Komplexität als ein Datei-Icon als Repräsentant für die digitalen Datei-Inhalte.
Diese beiden unterschiedlichen Verknüpfungsformen werden nachwievor
vermischt.

Heutzutage ist der Umgang mit GUIs allgegenwärtig, in jeglichen Altersgrup-
pen und Berufszweigen, häufig auch fern von der Schreibtischarbeit. Während
die Technologie in den vergangenen Jahrzehnten große Fortschritte gemacht
hat, ist die grafische Oberfläche des Betriebssystems konzeptionell immer
noch dieselbe. Die Desktop-Metapher ist mittlerweile so lange im Gebrauch,
dass ihre Berechtigung nicht mehr hinterfragt wird. Sie bewirkte damals einen
gewaltigen kognitiven Sprung und hat auch gegenwärtig durchaus die Be-
rechtigung, in den entsprechenden Systemen weiter eingesetzt zu werden.
Für ihre Verwendung in NUIs ist sie jedoch zu sperrig und einfach nicht pas-
send.

Metaphern müssen auf die Funktionalität und gleichermaßen auf die Umge-
bung zugeschnitten werden. Es ist für den Menschen grundsätzlich unmög-
lich, abstrakte und komplexe digitale Geräte direkt zu erfassen. [Saffer 2005]
Welche Metaphern genau verwendet werden, und welche sich durchsetzen,
hängt vom medialen und kulturellen Umfeld ab.

                                                                    19 von 56
Kapitel 3: Tangible User Interfaces
Im Verlauf der letzten zwanzig Jahre hat sich eine neue Wesensform der Be-
nutzerschnittstelle herausgebildet. Sie ist greifbar und verbindet die digitale
mit der physischen Welt. Die Interaktion mit dieser, der Tangiblen Benutzer-
schnittstelle, muss nicht aufwendig erlernt werden sondern basiert auf den
Fähigkeiten, die der Nutzer durch das Interagieren mit seiner nicht-digitalen
realen Umgebung bereits erworben hat. Hier wird das Potenzial deutlich, wie
die Interaktionsweise des Menschen mit digitalen Informationen neu definiert
werden kann.

3.1     Die Anfänge Greifbarer Benutzerschnittstellen
“From the isolation of our workstations we try to interact with our surround-
ing environment, but the two worlds have little in common. How can we es-
cape from the computer screen and bring these worlds together?” [Mackay,
Wellner, Gold 1993]

Die Idee der Tangible User Interfaces entstand Anfang der 1990er Jahre. Mo-
tiviert durch die damals zunehmende Unzufriedenheit mit gängigen Compu-
terschnittstellen verfassten Forscher verschiedene Konzepte für neue Interakti-
onsmethoden zwischen Mensch und Computer. Der Ansatz zu Greifbaren
Benutzerschnittstellen resultiert aus den Strömungen des „Beyond the Desk-
top“ (Dt.: „Jenseits des Arbeitsplatzrechners“) und des „Pervasive, Ubiquitious
Computing“ (Dt.: „Durchdringendes, Allgegenwärtiges Computing“), und
                                                        1
positioniert sich als Gegenentwurf zur „Virtual Reality“ .

1993 veröffentlichten Mackay, Wellner und Gold ihre Forderung: „Back to
the REAL WORLD“ (Dt.: „Zurück zur realen Welt”), in der Fachzeitschrift
„Communications of the ACM“. In dem zweiseitigen Artikel erklärten sie,
dass Desktop-Systeme und Virtuelle Realität die Benutzer von der natürlichen
Umgebung entfremden würden. Zwischen der digitalen und der realen Welt
müsse aufwendig übersetzt werden. Das ließe sich deutlich vermindern, wür-
de man die physische Welt um digitale Informationen und Funktionalitäten
anreichern (Engl.: „Computer-Augmented Environments“), anstatt parallel
eine virtuelle künstliche aufzubauen. [Mackay, Wellner, Gold 1993]

1995 führten Fitzmaurice, Ishii und Buxton in dem Paper „Laying the
Foundations for Graspable User Interfaces“ erstmals in die Thematik der TUIs
ein. Dort charakterisierten und konzeptionierten sie ein Graspable User Inter-

1
 Die „Virtual Reality“- Bewegung (Dt.: „Virtuelle Realität“, kurz VR) ist bestrebt, die
reale Welt mit ihren physischen Eigenschaften in interaktiven virtuellen Umgebungen
so genau wie möglich abzubilden.
Kapitel 3: Tangible User Interfaces

face2, welches die Möglichkeit bietet, hölzerne Blöcke (Engl.: „Bricks“) für die
Manipulation digitaler Objekte einzusetzen. [Fitzmaurice, Ishii, Buxton 1995]

1997 veröffentlichten Ishii und Ullmer mit dem „Tangible Bits“-Konzept ihre
Vision zur Mensch-Computer-Interaktion. Sie beschrieben „Tangible Bits“ als
die physische Form digitaler Information. So würden digitale Bits greifbar und
direkt manipulierbar gemacht, was zu einer nahtlosen Verbindung der Welt
der Bits und der Welt der Atome führt. [Ishii, Ullmer 1997]

3.2     Definitionen
Fitzmaurice (1996) gab in seiner Doktorarbeit eine erste Definition für
Graspable User Interfaces. Er beschrieb sie als einen physischen Griffel für
virtuelle Funktionen, und betonte als Merkmale die Greifbarkeit, die physische
Verkörperung und die Repräsentation von Interface-Elementen.

         “A Graspable User Interface is a physical handle to a virtual function
        where the physical handle serves as a dedicated functional manipula-
        tor. The term Graspable UI refers to both the ability to physically grasp
        an object as well as conceptual grasping. At the very least, Graspable
        UIs can serve as physical embodiments and representations of com-
        mon graphical user interface elements.” [Fitzmaurice 1996]

Ishii und Ullmer (1997) definierten TUIs als Benutzerschnittstellen, die die
reale Welt erweitern, indem sie digitale Informationen an Alltagsgegenstände
und Umgebungen koppeln.

        „TUIs augment the real physical world by coupling digital information
        to everyday physical objects and environments.“ [Ishii, Ullmer 1997]

Ishii (2008) formulierte später präziser, dass TUIs digitaler Information eine
tangible Repräsentation geben, die durch eine intangible Repräsentation er-
gänzt wird. Die Balance materieller und digitaler Repräsentationen ist wichtig.

        „By giving tangible representation to the digital information, TUI
        makes information directly graspable and manipulable with haptic
        feedback. Intangible representation may complement tangible repre-
        sentation by synchronizing with it.” [Ishii 2008]

2
 Graspable User Interface (Dt.: „Verständliche Benutzerschnittstellen“) war eine frühe
Bezeichnung für TUIs, die sich jedoch nicht durchgesetzt hat.

                                                                          21 von 56
Kapitel 3: Tangible User Interfaces

3.3     Kerneigenschaften
Kerneigenschaften nach Ishii3:
TUI-Systeme geben digitaler Information eine physische Form. Diese dient der
Repräsentation, aber auch der Kontrolle ihrer digitalen Pendants. TUIs basie-
ren auf einer Balance zwischen tangibler und intangibler Repräsentation. Die-
se beiden sind in der Wahrnehmung eng miteinander verbunden. Auch wenn
die tangiblen physischen Elemente eine zentrale Rolle innehaben, so sind die
intangiblen Repräsentanten wie Grafik und Ton nicht weniger bedeutend. Sie
vermitteln die dynamischen Informationen, die das Begleitsystem liefert. Die
Kerneigenschaften eines TUI sind:

    -   die computergestützte Kopplung von Tangibles an die darunterliegen-
        de digitale Information,

    -   die physische Verkörperung von interaktiven Kontrollmechanismen
        durch Tangibles,

    -   die perzeptuelle Kopplung von Tangibles an dynamische intangible
        Repräsentanten.

TUIs sind bestrebt, eine greifbare Interaktion mit digitaler Information aktiv
herbeizuführen. Die Grenze zwischen physischer und digitaler Welt wird ver-
wischt. Wichtige Anforderungen dafür sind das Zusammentreffen von Input-
bereich und Outputbereich, sowie Echtzeitantworten. [Ishii 2008]

                                                                                        Abbildung 3.1:

                                                                                        TUI Modell:
                                                                                        TUIs geben digitaler
                                                                                        Information eine tangib-
                                                                                        le Repräsentation. So
                                                                                        wird Information greif-
                                                                                        bar und direkt manipu-
                                                                                        lierbar mit haptischem
                                                                                        Feedback. Intagible
                                                                                        Repräsentation wird mit
                                                                                        tangibler Repräsentation
                                                                                        synchronisiert und stellt
                                                                                        eine essentielle Ergän-
                                                                                        zung dar. [Ishii 2008]

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 Hiroshi Ishii ist ein führender Pionier auf dem Gebiet der Tangible User Interfaces.
Seine Forschungstätigkeit am „Massachusetts Institute of Technology“ (MIT) Media
Lab ist auf die Gestaltung von nahtlosen Benutzerschnittstellen zwischen dem
Mensch, digitaler Information und der physischen Umgebung fokussiert.

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Kapitel 3: Tangible User Interfaces

Kerneigenschaften nach Hornecker4
Hornecker konstatiert zwei Kerneigenschaften für TUIs und die Interaktion mit
ihnen, basierend auf einem allgemeineren Ansatz von Volker Brauers Disserta-
tion (1999) über Gegenständliche Benutzerschnittstellen.

    -   „Verkörperte Räumlichkeit beschreibt die körperliche Ko-Präsenz
        von Benutzer, anderen Benutzern und Interaktionsobjekten in einem
        gemeinsamen Interaktionsraum. Dieser hybride Interaktionsraum ver-
        eint reale, materiell-stoffliche Anteile sowie virtuelle, digitale Repräsen-
        tationen. Eingabe- und Ausgaberaum, Wahrnehmungs- und Hand-
        lungsraum sind identisch.“

    -   „Haptische Direktheit bezeichnet eine direkte Manipulation, bei der
        die materiellen, greifbaren Objekte die Schnittstelle darstellen und der
        Benutzer unvermittelten, haptischen Kontakt mit den Interaktionsob-
        jekten hat.“ [Hornecker, 2004]

Aus der verkörperten Räumlichkeit gehen drei Interaktionsmerkmale hervor.
Sie beschreiben Charakteristika für die Wahrnehmung der Interaktion mit
TUIs.

    (1) Hybrider Interaktionsraum: Der reale Raum wird um den virtuellen
        Raum erweitert. Daraus resultiert die Greifbarkeit des Interaktionsrau-
        mes. Die Interaktionsobjekte besitzen eine duale Identität, real und vir-
        tuell. Dabei gelten für die realen, materiellen Repräsentationen die Na-
        turgesetze.
    (2) Ko-Präsenz und körperlich geteilter Raum: Ein oder mehrere Benutzer
        teilen sich mit Interaktionsobjekten einen gemeinsamen Raum.
    (3) Sichtbarkeit: Die Objekte sind gut sichtbar und die Handlungen sind
        leicht nachvollziehbar.

Aus der haptischen Direktheit resultieren drei weitere Merkmale. Sie charakte-
risieren Eigenschaften der Manipulation und der Interaktion.

    (4) Haptisch direkte Manipulation: Die physischen Interaktionsobjekte
        werden direkt manipuliert. Dabei liefert der Kontakt mit ihnen ein
        fühlbares Feedback.
    (5) Transparenz und Isomorphie: Zwischen der Manipulation und dem
        Manipulationsergebnis herrscht eine räumliche Strukturgleichheit. Au-
        ßerdem wird gewohnte Gestik und Hand-Auge-Koordination ausge-
        nutzt. Gemeinsam wird so die Interaktion intuitiv.
    (6) Parallelität: Die Manipulation erfolgt parallel und/ oder beidhändig.

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  Eva Hornecker studierte Informatik und promovierte 2004 über „Tangible User Inter-
faces als kooperationsunterstützendes Medium“. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt im
Interaktionsdesign, jenseits des Desktop-Computings.

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