Natürliche Interaktion mit Tangible User Interfaces
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Fakultät Informatik Institut für Software- und Multimediatechnik Lehrstuhl für Mediengestaltung Natürliche Interaktion mit Tangible User Interfaces Großer Beleg Marie Schacht Matrikel-Nummer: 2883089 Bearbeitungszeitraum: 01.12.2009 bis 30.06.2010 Betreuer: Dipl.-Medieninf. Dietrich Kammer Hochschullehrer: Prof. Dr.-Ing. habil. Rainer Groh
Selbständigkeitserklärung Hiermit erkläre ich, dass ich, Marie Schacht, die vorliegende Belegarbeit mit dem Titel „Natürliche Interaktion mit Tangible User Interfaces“ selbstständig verfasst habe. Es wurden keine anderen Quellen und Hilfsmittel als die angegebenen benutzt. Ort, Datum: …………………………………… Unterschrift: ……………………………………
Inhaltsverzeichnis Selbstständigkeitserklärung 1. Einleitung 1 1.1 Motivation 1 1.2 Zielsetzung 2 1.3 Ergebnisse 2 1.4 Gliederung 3 2. Grundlagen 4 2.1 Benutzerschnittstellen 4 2.2 Mensch-Computer-Interaktion 11 2.3 Wahrnehmungspsychologie 14 2.4 Metapher 17 3. Tangible User Interfaces 20 3.1 Die Anfänge Greifbarer Benutzerschnittstellen 20 3.2 Definitionen 21 3.3 Kerneigenschaften 22 3.4 Herausforderungen an den Entwurf 24 3.5 Tangibles 25 3.6 Beispiele 27 4. Natural User Interfaces 33 4.1 Benutzerschnittstellen natürlich gestalten 33 4.2 Gestaltungsmerkmale nach Henseler 35 4.3 Grundkonzept 36 5. Interaktionsgestaltung 39 5.1 Herausforderungen Greifbarer Interaktionsgestaltung 39 5.2 Die Metapher im Interaktionsdesign 41 5.3 Richtlinien für Metaphern im Interaktionsdesign 43 5.4 UX Design 44
6. Synthese 48 6.1 Interface-Konzept: Multi-Layer 48 6.2 Interface-Metapher: Prisma 51 6.3 Interaktions-Metapher: Zeichenwerkzeuge 53 6.4 Prototyp 54 6.5 Einordnung in den TUI-Gestaltungsraum 55 6.6 Bewertung des Konzepts 56 A. Literaturverzeichnis B. Abbildungsverzeichnis C. Tabellenverzeichnis
Kapitel 1: Einleitung Das einleitende Kapitel gibt einen Überblick zu den Schwerpunkten dieser Arbeit. Es beschreibt Forschungsfragen und Interessengebiete, die zur Fokus- sierung des Themas „Natürliche Interaktion mit Tangible User Interfaces“ führten. Der Gliederungsabschnitt reflektiert einen reduzierten Gesamtblick- auf die Inhalte dieser Arbeit. 1.1 Motivation Gängige Benutzerschnittstellen mit grafischen Oberflächen isolieren den An- wender von seiner physischen und sozialen Umgebung. Die indirekte Interak- tion mit ihnen über Maus und Tastatur wird mittlerweile gewohnheitsbedingt nicht mehr als befremdlich wahrgenommen, behält aber ihren unnatürlichen Charakter bei. Der Nutzer musste einst den Umgang mit klassischen Compu- ter-Systemen aufwendig erlernen. Im Verlauf der letzten Jahrzehnte hat sich eine neue Dimension der Mensch- Computer-Kommunikation herausgebildet. Sie findet ihre Entsprechung in Natürlichen Benutzerschnittstellen. Diese passen sich an die Interessen und Erwartungen des Nutzers an und gestalten die Interaktion erlebnisreich und unmittelbar. Die Eingabe erfolgt direkt mit den Händen, der Stimme, oder mit dem gesamten Körper. Greifbare Benutzerschnittstellen (Engl.: „Tangible User Interfaces“) sind eine Ausprägung Natürlicher Benutzerschnittstellen. Ihr Fokus liegt buchstäblich auf dem „Greifbarmachen“ digitaler Inhalte. Diesen geben sie eine materielle Form. Man bezeichnet solche physischen Objekte als Tangibles. Die reale Alltagswelt ist vielfältig und die Interaktion mit Objekten bezieht alle menschlichen Sinne mit ein. Eine natürliche Interaktion mit Tangible User In- terfaces basiert auf Handlungsweisen, die dem Menschen aus dem Umgang mit nicht-technologischen Aspekten seiner realen Umgebung vertraut sind. Ihre Gestaltung stellt eine besondere Herausforderung dar und erfordert multidisziplinäres Fachwissen.
Kapitel 1: Einleitung 1.2 Zielsetzung Der Fokus dieser Arbeit liegt auf der Erforschung natürlich gestalteter Interak- tion mit Greifbaren Benutzerschnittstellen. Dafür wird ein multidisziplinärer Ansatz verfolgt, der Teilaspekte aus den Bereichen Mensch-Computer- Interaktion, Greifbare Interaktionsgestaltung, Wahrnehmungspsychologie, Usability, UX-Design, Gestaltungslehre und Informatik einbezieht. Die techno- logischen Hintergründe werden als gegeben vorausgesetzt. Ziel der Arbeit ist es, herauszufinden, wo der Mehrwert im Einsatz von Tangib- les liegt und wie Benutzerschnittstellen und die Interaktion mit ihnen natürlich gestaltet werden können. 1.3 Ergebnisse In den Kapiteln Zwei bis Fünf werden sowohl etablierte Forschungsergebnisse als auch aktuelle Theorien erfahrener Experten zu Tangible User Interfaces, Natural User Interfaces und Interaktionsdesign vorgestellt und interpretiert. Ihre Synthese erfolgt in Kapitel Sechs mit der Beschreibung des eigenen TUI- Konzepts „Mulayto“. Hier werden insbesondere der Einsatz von Metaphern und die natürliche Interaktionsgestaltung mit Tangibles fokussiert. Der Prototyp des Tangible User Interfaces „Mulayto“ wurde mit der Programmiersprache „Processing“ für das Multitouch-System „xdesk“ implementiert. Abbildung 1: Die Abbildung zeigt einen Eisberg. In Kapitel 5.2 wird der Bedeutungskontext dazu geliefert. 2 von 56
Kapitel 1: Einleitung 1.4 Gliederung Diese Arbeit beginnt mit der Beschreibung von Grundlagen zu verschiedenen Benutzerschnittstellen und ihrer Gestaltung. Auch klassische Grafische Benut- zerschnittstellen werden einbezogen und von Greifbaren abgegrenzt. Die zwei darauffolgenden Kapitel beschäftigen sich ausführlich mit Greifbaren und Natürlichen Benutzerschnittstellen. Es werden Definitionen beleuchtet, Kern- eigenschaften dargestellt und Gestaltungsherausforderungen aufgezeigt. Außerdem wird anhand von drei Beispielen verdeutlicht, wie unterschiedlich der Einsatz von Tangibles gestaltet werden kann. Das abschließende Synthese- Kapitel greift vorgestellte Konzepte und Richtlinien zur natürlichen Interakti- onsgestaltung für Greifbare Benutzerschnittstellen auf, berücksichtigt Empfeh- lungen zum Einsatz von Metaphern und beschreibt detailliert die Konzeption eines neuen Tangible User Interfaces. 3 von 56
Kapitel 2: Grundlagen Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit den Grundlagen zu Benutzerschnitt- stellen und ihrer Gestaltung, unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes dieser Arbeit: dem „Greifbarmachen“ von natürlichen Schnittstellen zur digi- talen Welt. Erfolgreiche Konzepte erreichen eine nahtlose Integration von computerbasierten Systemen in das tägliche Leben. Ihre Entwicklung bedarf der Zusammenarbeit verschiedenster Disziplinen. 2.1 Benutzerschnittstellen Eine Benutzerschnittstelle (Engl.: „User Interface“) ermöglicht dem Menschen die Kommunikation mit der Maschine. Im Kontext der Informatik beschreibt sie die Benutzeroberfläche, über die der Mensch mit dem Computer inter- agiert. Die Benutzerschnittstelle verfolgt zwei zentrale Absichten: - Simplizität: Der Aufwand des Erlernens sollte minimiert und die Be- nutzbarkeit des Systems möglichst einfach gestaltet werden. - Integration: Innerhalb einer Benutzerschnittstelle sollten Grundprin- zipien eingehalten und Konsistenz gewahrt werden. Dies meint bei- spielsweise, dass die Ausführung der gleichen Operation in verschie- denen Anwendungen auf dieselbe Art funktioniert. Die Interaktion mit einer guten benutzerfreundlichen Schnittstelle zu Software oder Hardware erlebt der Anwender auf natürliche und intuitive Weise. (siehe Kapitel 4.1) Abbildung 2.1: Die Abbildung zeigt die erste grafische Benutzer- oberfläche. Sie wurde bereits 1973 für den „Xerox Alto“ entwickelt. Weil dieser Computer aber hauptsächlich für Forschungszwecke einge- setzt wurde, wird 1981 als das Jahr beschrieben, in dem GUIs die Kom- mandozeileneingabe ablösten. 1981 wurde eine GUI erstmals kom- merziell eingesetzt, im „Xerox Star“. [Wikipedia: Xerox Alto]
Kapitel 2: Grundlagen 2.1.1 Grafische Benutzerschnittstellen Die Grafische Benutzerschnittstelle (Engl.: „Graphical User Interface“, kurz GUI) beschreibt die Bedienoberfläche des Computers. Sie ermöglicht dem Nutzer das direkte Anfassen und Manipulieren von Objekten unter Verwen- dung eines Zeigegerätes, des Mauscursors üblicherweise. Die Interaktion mit dem Rechner über grafische Elemente löste Anfang der 1980er Jahre das Konzept der Kommandozeileneingabe ab. 2.1.2 Natürliche Benutzerschnittstellen Unter Natürlichen Benutzerschnittstellen (Engl.: „Natural User Interfaces“, kurz NUI) fasst man alle die modernen Benutzerschnittstellen zusammen, die dem Nutzer eine intuitive und direkte Interaktion ermöglichen. Dazu gehören Greifbare Schnittstellen, Gestenbasierte Schnittstellen, Multitouch-Oberflä- chen, Audiobasierte Schnittstellen mit direkter Spracheingabe und Augmented Realitiy. Sie schöpfen für die Interaktionsgestaltung aus dem Potenzial der Fähigkeiten, die sich der Mensch im Laufe seines Lebens in der realen Welt angeeignet hat. [angelehnt an Buxton] Dies meint insbesondere einfache Fertigkeiten („Simple Skills“ nach Blake, 2010). Wurde das zugrundeliegende Konzept einmal er- fasst, lässt es sich leicht auf neue Anwendungskontexte übertragen. Bei- spielsweise saugt ein Schwamm ein gewisses Maß an Flüssigkeit auf. Weiß- brot weist, ähnlich dem Schwamm, ein maschenartiges Strukturgerüst auf, durchsetzt von vielen großen Luftlöchern. Alternativ zum Löffel wird gern die in Suppe getränkte Brotscheibe zur Nahrungsaufnahme eingesetzt. Ein Bei- spiel für komplexe, verbundene Fähigkeiten („Composite Skills“ nach Blake, 2010) ist das Klavierspiel. Derartige Fertigkeiten lassen sich kaum in anderem Kontext wiederverwenden und benötigen zudem einen langen Zeitraum zum Erlernen. Für den Umgang mit GUIs hat sich der Benutzer viele „Composite Skills“ aufbauen müssen. NUI-Systeme hingegen sind so gestaltet, dass ihre Anwendbarkeit auf „Simple Skills“ basiert. Bei GUIs werden für die Eingabe technische Geräte wie Tastatur und Maus benötigt. NUIs hingegen ermöglichen dem Menschen verschiedene Kommu- nikationsformen mit dem System, die seiner natürlichen verbalen und nonver- balen Ausdrucksweise nahe kommen. Das sind Spracheingabe, Multitouch (siehe Kapitel 2.1.4), Eingabestift (Engl.: „Stylus“), Bewegungsmessung (Engl.: „Motion Tracking“). Doch das bloße Bereitstellen dieser Technologien genügt nicht den Anforderungen eines NUIs. Ein Touchscreen mit einer grafischen Oberfläche ist nicht natürlich: „GUI + Touch != NUI“ [Blake, 2010] 5 von 56
Kapitel 2: Grundlagen NUI-Systeme schaffen kollaborative Umgebungen und finden überwiegend Anwendung im künstlerischen, bildenden und kommerziellen Sektor. Sie wei- sen folgende wesensspezifische Merkmale auf: Unmittelbarkeit, Dynamik, Adaptivität, Multimedialität, Multimodalität und Kontextsensitivität. [Henseler 2010] 2.1.3 Gestenbasierte Benutzerschnittstellen Natürliche Mensch-Maschine-Schnittstellen, die Gesten als Interaktionstechnik erkennen und interpretieren können, beschreiben das Feld der Gestenbasier- ten Benutzerschnittstellen (Engl.: „Gestural Interface“). Sie heben das Modell der direkten Manipulation auf ein neues Niveau. Der gesamte menschliche Körper wird nun zur Manipulation des ihn umgebenden digitalen Raumes eingesetzt. Es werden zwei Typen Gestenbasierter Interfaces unterschieden [Saffer 2008, Seite 4]: - Freiform: beispielsweise ein Datenhandschuh als Eingabegerät - Berührungsschnittstellen (Engl.: „Touch User Interfaces“): direktes An- fassen und Manipulieren von Objekten durch Berühren der Oberfläche Wohlgestaltete Gestenbasierte Benutzerschnittstellen sind, nach Saffer: erforschbar, zuverlässig, reagierend, passgenau, bedeutsam, raffiniert, schlau, vergnüglich und verspielt. 2.1.4 Multitouch "Multi-touch-sensing was designed to allow nontechies to do masterful things while allowing power users to be even more virtuosic." Jefferson Y. Han Multitouch ist eine Interaktionsform, die seit den frühen 1980er Jahren er- forscht wird. Die Eingabe erfolgt unmittelbar über das Berühren von berüh- rungsempfindlichen Bildschirmen (Engl.:„Touchscreens“), mit mehreren Fin- gern gleichzeitig. Der Nutzer verwendet Gesten für die Erledigung seiner Auf- gaben anstatt dem Multitouch-System den Befehl zur Aufgabendurchführung zu geben, zum Beispiel führt das Durchstreichen eines Objekts zum Löschen. Das System liefert direktes, visuelles Feedback. Die grundsätzliche Funktionsweise ist Folgende: der Nutzer berührt das Gerät und Sensoren messen mit Hilfe von elektrischem Strom, Ultraschall-, Infrarot- oder Lichtwellen die Änderung bestimmter Parameter. [Schuster 2008] Dafür werden optische und kapazitive Technologien eingesetzt. 6 von 56
Kapitel 2: Grundlagen Die Kernanforderung an ein Multitouch-System ist das Erkennen mehrerer gleichzeitiger Berührungen. Hierbei sollte es unterscheiden können, ob die Berührung eine Eingabeabsicht verfolgt oder zufällig geschieht. Auch die Ab- grenzung simultaner Berührungen eines oder mehrerer Benutzer ist erforder- lich. Aus den erkannten Berührungen und Berührungsverfolgungen müssen Eingabegesten interpretiert werden können. 2.1.5 Greifbare Benutzerschnittstellen Greifbare Benutzerschnittstellen (Engl.: „Tangible User Interfaces“, kurz TUI) sind NUIs mit besonderem Fokus auf der physischen Darstellung von Informa- tionen. Sie geben digitalen Inhalten eine materielle Form. Das namensgeben- de englischsprachige Adjektiv „tangible“ lässt sich mit „greifbar“, „berührbar“ und auch „dinghaft“ übersetzen. Wendet man den Begriff auf Benutzerschnittstellen an, resultieren daraus die charakteristischen Merkmale von TUIs. „Dinghafte“ Objekte, sogenannte Tangibles, sind die „greifbaren“ Repräsen- tanten digitaler Inhalte und bilden darüber hinaus die physische Verkörperung von interaktiven Kontrollmechanismen [Ishii 2008]. Der Nutzer erfährt konti- nuierlich haptisches Feedback und „berührt“ somit direkt die Schnittstelle zur digitalen Welt. Abbildung 2.2: Die Abbildung zeigt das mehrfach ausgezeich- nete Tangible User Interface „Reactable“. Der „Reactable“ ist ein elektronisches Musikin- strument mit greifba- rem Interface. Er wurde seit 2003 an der „Pompeu Fabra Univer- sität“ Barcelona entwi- ckelt und kam erstmals auf der „International Computer Music Con- ference“ 2005 zum Einsatz. [Reactable 2010] TUIs und die Interaktion mit ihnen integrieren sich nahtlos in die reale physi- sche Umgebung. Virtuelle und physische Objekte kooperieren miteinander und ergänzen sich gegenseitig. Die einst klare Grenze zwischen Nutzer und 7 von 56
Kapitel 2: Grundlagen Endgerät verschmilzt. Daraus resultieren innovative Perspektiven für die Inter- aktion mit und den Einsatz von digitalen Inhalten. In klassischen GUI-Systemen erfolgt die Eingabe (Engl.: „Input“) indirekt, un- ter Zuhilfenahme von Eingabewerkzeugen wie Maus und Tastatur. Ein- und Ausgabe (Engl.: „Output“) werden grafisch auf dem Bildschirm dargestellt. TUI-Systeme ermöglichen dem Nutzer direkten physischen Input durch Mani- pulation der Tangibles. Der Output ist jedoch ebenfalls überwiegend grafisch, beispielsweise mittels einer Projektion um die Objekte herum. Es gibt Konzep- te, die Ausgabe gleichermaßen physisch zu gestalten, zum Beispiel unter Ein- satz von Elektromagneten. (siehe Abbildung 2.3) Abbildung 2.3: Die Abbildung verdeut- licht die Funktionsweise des TUIs „Actuated Workbench“, in dem der physische Input des Nutzers mit computer- gesteuertem, physi- schem Output beant- wortet wird. Die antrei- bende Kraft dafür liefert ein elektromag- netisches Feld, welches sich direkt unter der Arbeitsoberfläche be- findet. [Pangaro, Maynes-Aminzade, Ishii 2002] 2.1.6 Tangibles In TUIs bilden Objekte, Instrumente, Oberflächen und Räume - zusammenge- fasst unter dem Begriff Tangibles - die physische Schnittstelle zu digitaler Information. [Ullmer 1997] Der englischsprachige Begriff „tangible“ wird mit „berührbar“ und ebenso „greifbar“ übersetzt. Das Wörterbuch definiert das Adjektiv „tangible“ als etwas, das man wahrnehmen kann, insbesondere mit dem Tastsinn. Tangibles besitzen im Kontext der Benutzerschnittstellen eine duale Identität. Zum Einen repräsentieren sie die physischen Instanzen digitaler Informationen (Gruppe der „Object Tangibles“ nach Ullmer) und zum Zweiten dienen sie der Manipulation digitaler Inhalte (Gruppe der „Instrument Tangibles“ nach Ullmer). Ihr Verhalten wird durch ihre physische Gestalt an sich bestimmt und beein- flusst durch andere physische oder virtuelle Elemente in der näheren Umge- bung. 8 von 56
Kapitel 2: Grundlagen 2.1.7 Gegenüberstellung von Grafischen und Greifbaren Benutzerschnittstellen Dieser Abschnitt zeigt die Unterschiede zwischen GUIs und TUIs auf. Dabei wird deutlich, dass Greifbare Schnittstellen nicht die bloße Weiterentwicklung Grafischer Schnittstellen bilden. Sie sind vielmehr Repräsentanten einer gänz- lich neuen Ära von Benutzerschnittstellen. Diese verfolgt das übergeordnete Ziel, die Computer-Technologie in die physische Umgebung zu integrieren, so dass virtuelle und reale Welt miteinander verschmelzen. Der Mensch soll den Umgang mit TUIs nicht erlernen müssen, sondern sich ganz natürlich verhal- ten können. Daraus resultiert eine deutlich geringere kognitive Belastung ge- genüber der Interaktion mit GUIs. Die Kommunikation mit einem TUI-System findet nicht mehr indirekt über Eingabegeräte wie Maus oder Tastatur statt, sondern unmittelbar mit den Händen oder gar mit dem gesamten Körper. Der visuelle Sinneskanal wird in GUIs stark beansprucht, teilweise ausschließlich. TUIs beziehen weitere Sinne mit ein, insbesondere den haptischen. Die Inter- aktion mit einem TUI kann manchmal sogar blind erfolgen. GUIs stellen dem Nutzer eine Arbeitsplatzumgebung (siehe Kapitel 2.4 zur Desktop-Metapher) bereit, damit dieser seine Aufgaben schnell und möglichst effektiv erledigen kann, wohingegen der Umgang mit TUIs im Gesamten zu einem spannenden, erfreulichen Erlebnis werden soll (siehe Kapitel 2.2.4 zum UX Design). Wäh- rend die GUI-Benutzung stets isolativ erfolgt, berücksichtigen TUIs das Sozial- verhalten des Menschen und ermöglichen mehreren Nutzern das gemeinsame Interagieren. Dies ist ein weiteres wichtiges Merkmal für die Natürlichkeit Greifbarer Benutzerschnittstellen. GUI TUI Ausgangspunkt Das GUI ist eine Schnittstelle Das TUI ist eine Schnittstelle Tabelle 2.1: aus „angemalten Bits“ [Ishii aus „materiellen und fühlba- 2008] mit zwei- ren Bits“ mit drei- Gegenüberstellung von dimensionaler Oberfläche. dimensionaler Oberfläche. GUI und TUI Bedeutung per Be- „Graphical“ (Engl.) wird „Tangible“(Engl.) wird über- griffsdefinition übersetzt mit grafisch, bild- setzt mit greifbar und lich und auch zeichnerisch. ertastbar. Grundlegendes Ge- GUIs sind bedarfsgesteuert. TUIs sind auffordernd und staltungsprinzip Sie reagieren auf die Einga- greifbar. Sie begünstigen die be des Nutzers. gesamtkörperliche Interakti- on. Grundkonzept Das GUI-Grundkonzept Das TUI-Grundkonzept ist basiert auf den vier WIMP - noch nicht klar definiert, Komponenten Fenster, lässt sich jedoch (gegenwär- Icons, Menüs und Zeigege- tig) durch das NUI-Grund- rät. Sie stellen eine Auflis- konzept OCGM beschrei- tung wesentlicher Interakti- ben. OCGM ist ein englisch- onsstile dar. WIMP ist ein sprachiges Akronym für englischsprachiges Akronym „Objects”, „Containers”, für „Windows“, „Icons“, „Gestures” und „Manipula- „Menus“ und „Pointer“. tion”. (siehe Kapitel 4.2) 9 von 56
Kapitel 2: Grundlagen GUI TUI Interaktionsmetapher GUI-Systeme setzen die Für TUI-Systeme gibt es Tabelle 2.1: Desktop-Metapher ein, um keine generelle Interakti- (Fortsetzung) dem Nutzer die Interakti- onsmetapher. Jedes TUI onsweisen nahezulegen. liefert eine eigene, auf das Gegenüberstellung von System und seine Funktiona- GUI und TUI litäten „zugeschnittene“ Metapher. Manipulation digita- In GUIs erfolgt die Manipu- In TUIs werden digitale In- ler Inhalte lation digitaler Inhalte gra- halte physisch manipuliert, fisch, mit Hilfe des Zeigege- unter Einsatz von Tangibles, räts. Händen oder beidem. Input Die GUI-Eingabe ist indirekt. Die TUI-Eingabe erfolgt Sie erfolgt via Maus und beidhändig und direkt, mit- Tastatur. Touchscreens stel- tels Gesten, Berührungen len eine Besonderheit dar, und Tangibles. ermöglichen aber auch keinen direkten Input, da lediglich der Mauszeiger durch den Finger ersetzt wird und äquivalent inter- agiert. Output Ein GUI-System liefert über Ein GUI-System liefert über den Bildschirm grafischen den Bildschirm grafischen Output, teils akustisch er- Output, teils akustisch er- gänzt. gänzt. Es gibt TUIs, die über ihre Tangibles auch physi- schen Output geben. Hier kommen zum Beispiel Elekt- romagnete zum Einsatz, um die physischen Objekte auf der Oberfläche in Bewegung zu versetzen. Benutzung Der Benutzer eines GUI- Ein TUI-System ermöglicht Systems handelt allein und mehreren Benutzern das ist von seiner Umgebung gemeinsame Interagieren. isoliert. Menügestaltung In GUIs erfolgt das Erfor- In TUIs gibt es keine klassi- schen der Menüs und Inhal- sche Menüstruktur. Viel- te explorativ. mehr wird dem Nutzer kon- textabhängig ein Auswahl- menü angeboten. Navigationsmuster Die Navigation innerhalb Beim Navigieren durch TUI- grafischer Oberflächen ba- Systeme können und sollen siert auf den Konzepten die Nutzer ihrer Intuition (Wieder-) Erkennen und folgen. Identifizieren. 10 von 56
Kapitel 2: Grundlagen 2.2 Mensch-Computer-Interaktion In nahezu allen Lebensbereichen, sowohl geschäftlich als auch privat, wird heutzutage Computer-Technologie eingesetzt. Das interdisziplinäre For- schungsfeld der Mensch-Computer-Interaktion (kurz MCI) beschäftigt sich mit der Gestaltung, der Umsetzung und der Auswertung von interaktiven Syste- men hinsichtlich einer benutzergerechten Gestaltung. Es berücksichtigt dabei Erkenntnisse aus der Informatik, der Psychologie, der Arbeitswissenschaft, der Kognitionswissenschaft, der Ergonomie, der Soziologie und dem Design. 2.2.1 Interaktionsdesign Interaktionsdesign ist ein wichtiges Teilgebiet der MCI. Es beschäftigt sich mit der Gestaltung von interaktiven Systemen, hinsichtlich deren Funktion und Verhalten. Erfolgreiches Interaktionsdesign verbessert die Benutzbarkeit eines Systems und trägt implizit zu gesteigerter Produktivität und Zufriedenheit des Anwenders bei. Die Interaktion mit NUIs bezieht den gesamten menschlichen Körper ein. Da- für müssen innovative Interaktionsmethoden bereitgestellt werden, deren Erforschung noch an den Anfängen steht. Dennoch gibt es - unabhängig von neuartigen Technologien - wichtige Grundprinzipien für die Gestaltung der Interaktion. Diese umfassen nach [Norman, Nielsen 2010]: - Sichtbarkeit, - Rückmeldung, - Konsistenz, - umkehrbare Operation, - Auffindbarkeit, - Skalierbarkeit, - Verlässlichkeit. Sichtbarkeit meint, dass die nutzbaren Eigenschaften von Objekten (tangibel und intangibel) erkennbar sind. Über die Merkmale in der Gestalt von Objek- ten soll dem Nutzer bereits die Handhabung nahelegt werden. Donald Nor- man prägte dafür den Begriff „Affordance“, was sich frei mit „Angebotscha- rakter“ [Wikipedia: Angebotscharakter] übersetzen lässt. Mit Konsistenz ist die Einhaltung von Standards gemeint. Auffindbarkeit bedeutet, dass alle Opera- tionen durch systematisches Erkunden entdeckt werden können. 11 von 56
Kapitel 2: Grundlagen 2.2.2 Greifbare Interaktion Das interdisziplinäre Forschungsfeld der Greifbaren Interaktion (Engl.: „Tan- gible Interaction“) integriert viele Aspekte der MCI und des Interaktionsde- signs. Es spezialisiert sich auf Systeme, die Computertechnologie in physische Artefakte und Umgebungen einbetten, wodurch eine Verbindung zwischen physischer und digitaler Welt geschaffen wird. Es umspannt Benutzerschnitt- stellen und Interaktionsmethoden, welche insbesondere die folgenden Cha- rakteristika betonen [Hornecker 2009]: - Greifbarkeit und Materialität der Schnittstelle - Physische Gestalt der Daten - Ganzkörperinteraktion - Einbettung von Benutzerschnittstelle und Nutzerinteraktion in den rea- len Raum und Kontext Die Interaktion mit klassischen GUI-Systemen beschränkt sich auf Sehen, Zei- gen und Klicken (Engl.: „see-point-click“), eine Interaktionsform, die dem Menschen aus dem Umgang mit seiner physischen Lebensumgebung nicht vertraut ist. TUI-Systeme zielen darauf ab, einfache haptische Interaktionsfer- tigkeiten, wie beispielsweise den Umgang mit Bauklötzen, einzusetzen. [Ishii 2008] 2.2.3 Usability Der Begriff Usability entstammt der englischen Sprache und wird mit Ge- brauchstauglichkeit oder Benutzerfreundlichkeit übersetzt. Sie ist das Maß für die Einfachheit der Benutzung von Produkten. Die Definition von Usability ist in der DIN EN ISO 9241 Teil 11 geregelt. DIN EN ISO 9241 ist ein internationa- ler Standard, welcher Richtlinien der Interaktion zwischen Mensch und Com- puter beschreibt. Im Teil 11 wird Usability wie folgt definiert: „Die Gebrauchstauglichkeit ist das Ausmaß, in dem ein Produkt durch bestimmte Benutzer in einem Nutzungskontext genutzt werden kann, um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu errei- chen. Der Nutzungskontext besteht aus den Benutzern, Arbeitsaufga- ben und Arbeitsmitteln (Hardware, Software und Materialien) sowie der physischen und sozialen Umgebung, in der das Produkt eingesetzt wird.“ Die Gebrauchstauglichkeit basiert auf den Bedienkonzepten und Bedürfnissen des Nutzers. Somit gibt es neben einer objektiven Beurteilung auch eine sub- jektive Beurteilung, die von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ausfallen kann. 12 von 56
Kapitel 2: Grundlagen Usability hat als Qualitätskriterium einen entscheidenden Anteil am Erfolg eines Produktes. Zur Sicherung dieser Qualität sind entsprechende Maßnah- men notwendig. In Gestaltungs- und Entwicklungsprozessen setzt sich diese Erkenntnis immer weiter durch. Dies führt zu einer Zunahme an Adaptivität, Dynamik und Kontext-Sensitivität. Neben der visuellen Präsenz der Produkte (Engl.: „Look“) und deren Verhalten im Kontext zum Nutzer (Engl.: „Feel“) ist die Strukturierung und Gestaltung bedeutsam. Das Design von Verhaltensprinzipien, wie zum Beispiel Gestik, rückt immer stärker in den Vordergrund. Um Usability zu gewährleisten müssen sich die Benutzerschnittstellen in den jeweiligen Nutzungskontext einpassen und den Anwendern die Möglichkeiten bereitstellen, ihre Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen. Sie sollten leicht zu erlernen und demzufolge einfach zu handhaben sein. 2.2.4 UX Design „Good products work, great products inspire.“ Steve Krug „User Experience“ (kurz: UX) umspannt alle Aspekte der direkten Interaktion des Nutzers mit einem digitalen Produkt. Dabei werden Erlernbarkeit, Usability, Zweckmäßigkeit und ästhetischer Anreiz besonders fokussiert. [UX Glossar] Die NielsenNormanGroup [NNGroup: UX] formuliert folgende Grundanforde- rungen an die Gestaltung der Interaktionserlebnisse für den Benutzer: - Die Bedürfnisse des Nutzers sollen präzise und ohne Umschweife er- füllt werden. - Einfachheit und Eleganz sollen kombiniert werden, um Produkte zu gestalten, deren Besitz und Benutzung den Konsumenten erfreuen. - Die Erwartungen des Nutzers sollen übertroffen werden. UX Design stellt einen ganzheitlichen, interdisziplinären Ansatz für die Gestal- tung von Benutzerschnittstellen dar. Es vereint Expertenwissen verschiedener Fachbereiche (Interaktionsdesign, Interfacedesign, Marketing, Informationsar- chitektur, Ingenieurswissenschaft) und gewährleistet deren stimmiges Zu- sammenspiel. UX ist die Charakterisierung dessen, wie die Benutzung des Systems wahrge- nommen wird. Das übergeordnete Ziel ist die Steigerung der Zufriedenheit des Anwenders. 13 von 56
Kapitel 2: Grundlagen 2.3 Wahrnehmungspsychologie Der Begriff Wahrnehmung im Allgemeinen bezeichnet den Informationsge- winn durch Umwelt- und Körperreize. Einige Grundprinzipien der Wahrneh- mungspsychologie liefern das Fundament für die Gestaltung von Benutzer- schnittstellen und ihren Interaktionsmethoden. Die Benutzeroberfläche soll eine schnelle, sichere und inhaltsorientierte Informationsaufnahme und Infor- mationsverarbeitung ermöglich. Im Folgenden werden kognitionspsychologi- sche Basiskenntnisse zu Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Gedächtnis dargestellt. 2.3.1 Überblick ausgewählter Grundlagen Das wahrnehmungspsychologische Konzept der Affordances nimmt Bezug auf die wahrgenommenen und tatsächlichen Eigenschaften eines Objekts. Die Gestaltmerkmale von Objekten kommunizieren deren Funktionalitäten. James Gibson beschrieb 1979 Affordances als „Angebotscharakter“ eines Objekts. Donald Norman prägte diesen Begriff für den Kontext der MCI. [Wikipedia: Angebotscharakter] In seinem Buch "The Psychology of Everyday Things" überträgt er dieses Konzept der Wahrnehmungspsychologie auf die Gestal- tung. Der Begriff Chunking beschreibt die Methode der Vereinfachung durch Gruppierung. In Containern zusammengefasste Objekte können besser wahr- genommen werden und begünstigen eine Erkenntnisgewinnung. Kognitive Belastung meint die Belastung, der ein Mensch während des Pro- zesses der Problemlösung, des Denkens und der Schlussfolgerung ausgesetzt ist. Die Interaktion mit NUI-Systemen sollte eine minimale kognitive Belastung darstellen. Die „Magische Sieben“ plus oder minus Zwei bezieht sich auf die Anzahl diskreter Informationen, die der Mensch im Kurzzeitgedächtnis berarbeiten kann, bevor der Informationsverlust beginnt. Studien belegen [Jones 2002], dass die Grenzzahl der menschlichen Informationsverarbeitung deutlich klei- ner ausfällt. Sie liegt bei Vier. Das Mentale Modell repräsentiert den Gedankenprozess einer Person zur Funktionsweise von Dingen. Es basiert auf Erfahrungen, unvollständigen Fak- ten und intuitiven Wahrnehmungen. [Carey 1986] Mentale Modelle von Be- nutzerschnittstellen liefern eine Art innere Landkarte, die dem Nutzer das intuitive Zurechtfinden erleichtert. Metaphern werden eingesetzt, um die Bil- dung des mentalen Modells beim Nutzer zu unterstützen. [Lepsky 2009] 14 von 56
Kapitel 2: Grundlagen „Ockham’s Razor“ ist ein Sparsamkeitsprinzip, benannt nach Wilhelm von Ockham (1285–1347). Es meint, dass die einfache Erklärung immer der kom- plexen vorzuziehen ist. Im Kontext des benutzerzentrierten Designs ist es wie folgt zu verstehen: [Barrett 2009] Wenn zwei Dinge das gleiche Ergebnis bringen, sollten sie in einem zusammengefasst werden. Wenn zwei Interfaces gleichermaßen die Bedürfnisse des Nutzers erfül- len, sollte die Entscheidung auf das einfachere fallen. Der Gestalter muss die Anforderungen des Nutzers genau verstehen und allen diesen mit seinem einfachsten Design gerecht werden. Jeder Mensch besitzt in unterschiedlicher Ausprägung die Fähigkeit zur Selbst- regulation und Selbstorganisation. Man spricht hier von der „Tendenz zur guten Gestalt“ oder auch Prägnanztendenz. [Stumm, Prietz 2000] Sie be- schäftigt sich mit dem Ordnungsprinzip der menschlichen Wahrnehmung, seines Denkens, Handelns und Fühlens. Dieses Wissen über Ordnungen und Strukturen als ein menschliches Grundbedürfnis wird in die Gestaltung von Benutzerschnittstellen transportiert. Die menschliche Wahrnehmung ist immer selektiv. Abhängig von Hand- lungsabsichten, Erfahrungen und Verhaltensmustern steuert Aufmerksamkeit die Fokussierungen. Objekte, die sich im Sichtfeld befinden, wie beispielsweise alle Elemente eines grafischen Interfaces, werden nicht gleichermaßen be- wusst wahrgenommen. Die visuelle Wahrnehmung umfasst nur einen mini- malen Bereich des scharfen Sehens. Erst die Verknüpfung einer Vielzahl schneller Fokussierungen (sogenannter Springpunkte) führt zum Gesamtbild. [Lepsky 2009] Die Veränderungsblindheit (Engl.: „Change Blindness“) beschreibt ein Phä- nomen der visuellen Wahrnehmung. Hierbei werden teilweise große Ände- rungen in der visuellen Szenerie vom Betrachter nicht wahrgenommen. [Wikipedia: Veränderungsblindheit] 2.3.2 Der menschliche Tastsinn „Zu Beginn der Sprachevolution des Menschen standen Gesten und Gebär- den – das gesprochene Wort erlernten die Urmenschen frühestens vor 1,8 Millionen Jahren.“ [Kirschner 2007] Greifbare Benutzerschnittstellen ermöglichen dem Nutzer, mehrere seiner Sinne aktiv einzusetzen. Die fünf menschlichen Sinne ergänzen sich gegensei- tig. Keiner kann alle anderen ersetzen und jeder überragt den Rest in be- stimmten Bereichen. 15 von 56
Kapitel 2: Grundlagen Für die Interaktion mit TUIs wird, neben dem visuellen Kanal, besonders der Tastsinn gefordert. Er ist der einzige aktive Sinn des Menschen. Man muss handeln, um zu Tasten. Alle anderen Sinne sind rezeptiv und empfangen aus- schließlich die Informationen. Der Tastsinn agiert aktiv und empfängt passiv. Er setzt sich aus zwei sensorischen Kanälen zusammen: - taktile Wahrnehmung (Oberflächensensibilität): Die Stimulation der Tast-, Wärme- und Kälterezeptoren des Sinnesorgans Haut ruft ver- schiedene Empfindungen hervor und führt zur Wahrnehmung von Druck, Berührung, Vibration und Temperatur. [Wikipedia: Wahrneh- mung] - kinästhetische Wahrnehmung (Tiefensensibilität): Die Tiefensensibi- lität dient der Eigenwahrnehmung des Körpers. Die Stimulation von Rezeptoren in Gelenken, Muskeln und Sehnen führt zur Bewegung der Gliedmaßen und definiert die Körperhaltung. Das Zusammenwirken von taktiler und kinästhetischer Wahrnehmung ergibt die haptische Wahrnehmung. Die passive taktile Wahrnehmung registriert mechanische Reize und emp- fängt Berührungen. Aber das alleinige Platzieren der Fingerkuppe auf einer Oberfläche reicht nicht aus, um die Textur zu erfassen. Erst wenn der Finger über die Oberfläche bewegt wird, wenn also eine kinästhetische Reizung stattfindet, kann die Oberflächenstruktur ertastet und demnach aktiv hap- tisch wahrgenommen werden. [Kortas 2001] Für den Menschen und seine Interaktion mit der physischen Umwelt ist fühl- bares Feedback sehr wichtig. Der Tastsinn hat eine tiefe emotionale Bedeu- tung. Über das Fell einer Katze streichen beispielsweise, sich einen Splitter einziehen oder in eine unbekannte klebrige Substanz eintauchen. Diese Sze- narios verursachen intensive, sehr unterschiedliche emotionale Antworten. Die Gestalter von Benutzungserlebnissen (siehe Kapitel 2.2.4) können das bewusst einsetzen. Zusammenfassend steht fest, dass die haptische Wahrnehmung einen idealen Kanal für die Interaktion mit TUIs darstellt: sie ist schnell, bedarf wenig be- wusster Kontrolle, berücksichtigt verschlüsselte Informationen und produziert starke emotionale Antworten. „Die Welt als Erweiterung der Haut ist sehr viel interessanter als die Welt als Erweiterung des Bildes.“ Ralf Bähren (2001) 16 von 56
Kapitel 2: Grundlagen 2.4 Metapher „A metaphor is a device for seeing something in terms of something else. It brings out the thisness of that or the thatness of this.“ Burke (1945) Die Metapher überträgt begrifflich einen bekannten Kontext auf einen unbe- kannten und unterstützt so das Verständnis. Erickson prägte dafür den Begriff des „Cross-Domain Mapping“ (Dt.: „bereichsübergreifendes Abbilden“). Me- taphern werden zu natürlichen Modellen. Mit ihrer Hilfe kann man von ver- trauten, konkreten Objekten und Erfahrungen Gebrauch machen, um für unbekannte Dinge und abstrakte Konzepte eine Struktur und Bedeutung zu formulieren. [Erickson 1990] Abbildung 2.4: “Cross-Domain Mapping”-Modell zur Verdeutlichung einer Metapher. Die Metapher ist dicht eingewoben in das menschliche Gedankengerüst und täglich im Gebrauch, bewusst und unbewusst. Sie hilft dem Menschen, abs- trakte Konzepte wie Zeit, Raum, Veränderungen oder Aktionen zu erfassen und zu verstehen. Beispiele dafür sind die Formulierungen: „die Vergangen- heit hinter sich packen“ oder „Zeit ist Geld“. [Saffer 2005] Über lange Zeit erkannte man der Metapher lediglich ihre Bedeutung für die Poesie und die Rhetorik an. Doch bereits der griechische Philosoph Aristoteles sah vor über 2300 Jahren auch ihre Geeignetheit für die Lehre. Um eine Me- tapher zu verstehen, muss man die Gemeinsamkeiten zwischen der Metapher und ihrem inhaltlichen Bezug herausfinden. Die Metapher ist nicht nur ein simpler Zeiger auf einen Bereich. Sie unterstützt vielmehr das Erfassen seiner verschiedenartigen Aspekte. Das Interaktionsde- sign wäre ohne den Einsatz von Metaphern stark reduziert. In einem Compu- ter sind mehrere Komplexitätsebenen übereinander geschichtet. Der Benutzer interagiert auf der höchsten Ebene. Er spricht metaphorisch zu dem Computer und bewältigt somit die Komplexität. [Hutchins 1989] 17 von 56
Kapitel 2: Grundlagen Die Desktop-Metapher Der „Desktop“ (Engl.: Arbeitsplatzoberfläche) bildet seit nahezu dreißig Jah- ren das Zentrum der grafischen Benutzeroberfläche zum Computersystem. 1 1981 wurde für die Entwicklung der Benutzerschnittstelle des „Xerox Star“ ein bestimmter Nutzertyp definiert. Man bediente sich der Desktop-Metapher (ursprünglich „Physical-Office-Metapher“), um dem damals dominierenden Einsatzkontext der Bürotätigkeit zu entsprechen. Die physische Arbeitsplatzumgebung bildet den Ursprungsbereich der Meta- pher und die grafische Benutzeroberfläche ihren Zielbereich: Papierdokumente werden in Dateien übersetzt, Ordner in Dateiverzeichnisse und der Papierkorb behandelt Löschvorgänge. Die Desktop-Metapher hat vier wesentliche Cha- rakteristika [Lippert 1999]: - Unterstützung von Bürotätigkeit: Die Objekte auf dem Desktop und die Aktionen sind nach dem Vorbild der Büroarbeit entwickelt worden. - Vergegenständlichung: Man kann Gegenstände, wie zum Beispiel Ordner oder Dokumente auf dem Desktop ablegen. Diese werden durch kleine Symbole repräsentiert und fördern somit ein intuitives Verständnis. - Räumliche Anordnung: Der Nutzer hat seine eigene Ordnung auf dem elektronischen Desktop. Wie in der physischen Welt, kann er den „Schreibtisch“ verlassen, also das System ausschalten, und später zu- rückkehren: er wird ihn unverändert vorfinden. - Direkte Manipulation: Objekte auf dem Desktop können mit der Maus direkt manipuliert werden: Zeigen und Klicken wählt Objekte aus, Mitziehen und Fallenlassen (Engl.: „Drag and Drop“) verschiebt Objekte auf der Oberfläche oder in Ablageordner. Objekte und Aktionen aus der realen Bürowelt finden in der grafischen Benut- zeroberfläche eine Entsprechung. Aber bei der Übersetzung kam es zu Ver- stößen gegen die Erfahrungen aus der physischen Welt. Auf Desktop- Systemen ist es beispielsweise möglich, dass zwei verschiedene Fenster den- selben Ordner darstellen. Reale Objekte können sich nur an einem Ort zur selben Zeit befinden. Außerdem steht der Papierkorb auf dem elektronischen Desktop, gleich neben Ordnern und Dokumenten, während er in physischen Arbeitsplatzumgebungen unter dem Schreibtisch platziert ist. Neben diesen Unstimmigkeiten stellt sich die grundlegende Frage, ob die Um- setzung der Desktop-Metapher überhaupt jegliche Kriterien einer Metapher 1 Der „Xerox Star“ war der erste benutzungsfreundliche Arbeitsplatzrechner mit grafi- scher Oberfläche. 18 von 56
Kapitel 2: Grundlagen erfüllt. Viele Quellen definieren Metaphern im Allgemeinen als bloße visuelle, strukturelle oder funktionelle Analogien. Dem wird die Desktop-Metapher überwiegend gerecht. Aber nicht das Simulieren von Aussehen und Funktion charakterisiert den Einsatz von Metaphern sondern die verständliche Überfüh- rung des Konzepts in einen fremden Kontext. Diesem Definitionsanspruch kann die Desktop-Metapher nur vereinzelnd nachkommen. Das folgende Bei- spiel soll den Unterschied zwischen Analogie und konzeptioneller Überfüh- rung verdeutlichen. Um den physischen Auswurf einer CD zu veranlassen, muss der Nutzer eines GUI-Systems von „Apple“ das CD-Icon über den Desktop in den Papierkorb ziehen. Bezüglich der sonstigen digitalen Arbeitsweise des Papierkorbs stellt dieser Handlungsablauf einen Bruch dar, denn der Papierkorb repräsentiert visuell und funktionell analog zu seinem physischen Pendant einen Behälter für entfernte digitale Objekte. Würden mit dem Verschwinden des CD-Icons im Papierkorb die digitalen Informationen auf der physischen CD verschwin- den, würde die CD also formatiert und ihre einstigen Inhalte in der Zwischen- ablage „Papierkorb“ aufbewahrt werden, entspräche das Verhalten der funk- tionellen Analogie. Aber die bedeutungsvollere Verwendung der Metapher bleibt weiter aus. Eine etwas abstraktere Definition, die losgelöst von seiner bekannten Arbeitsweise zu betrachten ist, soll den Mehrwert der Papierkorb- Metapher herbeiführen: „Der Papierkorb dient der endgültigen Entfernung von Objekten vom Desktop.“ Mit dieser Definition lässt sich argumentieren, dass mithilfe des Papierkorbs die CD dauerhaft aus dem GUI-System entfernt und somit zurück an die physische Welt gegeben wird. Auch dieser neue Vor- schlag für die Funktionsweise des digitalen Papierkorbs ist kritisch zu betrach- ten, denn das CD-Icon als Verweis auf die physische CD birgt eine andere Komplexität als ein Datei-Icon als Repräsentant für die digitalen Datei-Inhalte. Diese beiden unterschiedlichen Verknüpfungsformen werden nachwievor vermischt. Heutzutage ist der Umgang mit GUIs allgegenwärtig, in jeglichen Altersgrup- pen und Berufszweigen, häufig auch fern von der Schreibtischarbeit. Während die Technologie in den vergangenen Jahrzehnten große Fortschritte gemacht hat, ist die grafische Oberfläche des Betriebssystems konzeptionell immer noch dieselbe. Die Desktop-Metapher ist mittlerweile so lange im Gebrauch, dass ihre Berechtigung nicht mehr hinterfragt wird. Sie bewirkte damals einen gewaltigen kognitiven Sprung und hat auch gegenwärtig durchaus die Be- rechtigung, in den entsprechenden Systemen weiter eingesetzt zu werden. Für ihre Verwendung in NUIs ist sie jedoch zu sperrig und einfach nicht pas- send. Metaphern müssen auf die Funktionalität und gleichermaßen auf die Umge- bung zugeschnitten werden. Es ist für den Menschen grundsätzlich unmög- lich, abstrakte und komplexe digitale Geräte direkt zu erfassen. [Saffer 2005] Welche Metaphern genau verwendet werden, und welche sich durchsetzen, hängt vom medialen und kulturellen Umfeld ab. 19 von 56
Kapitel 3: Tangible User Interfaces Im Verlauf der letzten zwanzig Jahre hat sich eine neue Wesensform der Be- nutzerschnittstelle herausgebildet. Sie ist greifbar und verbindet die digitale mit der physischen Welt. Die Interaktion mit dieser, der Tangiblen Benutzer- schnittstelle, muss nicht aufwendig erlernt werden sondern basiert auf den Fähigkeiten, die der Nutzer durch das Interagieren mit seiner nicht-digitalen realen Umgebung bereits erworben hat. Hier wird das Potenzial deutlich, wie die Interaktionsweise des Menschen mit digitalen Informationen neu definiert werden kann. 3.1 Die Anfänge Greifbarer Benutzerschnittstellen “From the isolation of our workstations we try to interact with our surround- ing environment, but the two worlds have little in common. How can we es- cape from the computer screen and bring these worlds together?” [Mackay, Wellner, Gold 1993] Die Idee der Tangible User Interfaces entstand Anfang der 1990er Jahre. Mo- tiviert durch die damals zunehmende Unzufriedenheit mit gängigen Compu- terschnittstellen verfassten Forscher verschiedene Konzepte für neue Interakti- onsmethoden zwischen Mensch und Computer. Der Ansatz zu Greifbaren Benutzerschnittstellen resultiert aus den Strömungen des „Beyond the Desk- top“ (Dt.: „Jenseits des Arbeitsplatzrechners“) und des „Pervasive, Ubiquitious Computing“ (Dt.: „Durchdringendes, Allgegenwärtiges Computing“), und 1 positioniert sich als Gegenentwurf zur „Virtual Reality“ . 1993 veröffentlichten Mackay, Wellner und Gold ihre Forderung: „Back to the REAL WORLD“ (Dt.: „Zurück zur realen Welt”), in der Fachzeitschrift „Communications of the ACM“. In dem zweiseitigen Artikel erklärten sie, dass Desktop-Systeme und Virtuelle Realität die Benutzer von der natürlichen Umgebung entfremden würden. Zwischen der digitalen und der realen Welt müsse aufwendig übersetzt werden. Das ließe sich deutlich vermindern, wür- de man die physische Welt um digitale Informationen und Funktionalitäten anreichern (Engl.: „Computer-Augmented Environments“), anstatt parallel eine virtuelle künstliche aufzubauen. [Mackay, Wellner, Gold 1993] 1995 führten Fitzmaurice, Ishii und Buxton in dem Paper „Laying the Foundations for Graspable User Interfaces“ erstmals in die Thematik der TUIs ein. Dort charakterisierten und konzeptionierten sie ein Graspable User Inter- 1 Die „Virtual Reality“- Bewegung (Dt.: „Virtuelle Realität“, kurz VR) ist bestrebt, die reale Welt mit ihren physischen Eigenschaften in interaktiven virtuellen Umgebungen so genau wie möglich abzubilden.
Kapitel 3: Tangible User Interfaces face2, welches die Möglichkeit bietet, hölzerne Blöcke (Engl.: „Bricks“) für die Manipulation digitaler Objekte einzusetzen. [Fitzmaurice, Ishii, Buxton 1995] 1997 veröffentlichten Ishii und Ullmer mit dem „Tangible Bits“-Konzept ihre Vision zur Mensch-Computer-Interaktion. Sie beschrieben „Tangible Bits“ als die physische Form digitaler Information. So würden digitale Bits greifbar und direkt manipulierbar gemacht, was zu einer nahtlosen Verbindung der Welt der Bits und der Welt der Atome führt. [Ishii, Ullmer 1997] 3.2 Definitionen Fitzmaurice (1996) gab in seiner Doktorarbeit eine erste Definition für Graspable User Interfaces. Er beschrieb sie als einen physischen Griffel für virtuelle Funktionen, und betonte als Merkmale die Greifbarkeit, die physische Verkörperung und die Repräsentation von Interface-Elementen. “A Graspable User Interface is a physical handle to a virtual function where the physical handle serves as a dedicated functional manipula- tor. The term Graspable UI refers to both the ability to physically grasp an object as well as conceptual grasping. At the very least, Graspable UIs can serve as physical embodiments and representations of com- mon graphical user interface elements.” [Fitzmaurice 1996] Ishii und Ullmer (1997) definierten TUIs als Benutzerschnittstellen, die die reale Welt erweitern, indem sie digitale Informationen an Alltagsgegenstände und Umgebungen koppeln. „TUIs augment the real physical world by coupling digital information to everyday physical objects and environments.“ [Ishii, Ullmer 1997] Ishii (2008) formulierte später präziser, dass TUIs digitaler Information eine tangible Repräsentation geben, die durch eine intangible Repräsentation er- gänzt wird. Die Balance materieller und digitaler Repräsentationen ist wichtig. „By giving tangible representation to the digital information, TUI makes information directly graspable and manipulable with haptic feedback. Intangible representation may complement tangible repre- sentation by synchronizing with it.” [Ishii 2008] 2 Graspable User Interface (Dt.: „Verständliche Benutzerschnittstellen“) war eine frühe Bezeichnung für TUIs, die sich jedoch nicht durchgesetzt hat. 21 von 56
Kapitel 3: Tangible User Interfaces 3.3 Kerneigenschaften Kerneigenschaften nach Ishii3: TUI-Systeme geben digitaler Information eine physische Form. Diese dient der Repräsentation, aber auch der Kontrolle ihrer digitalen Pendants. TUIs basie- ren auf einer Balance zwischen tangibler und intangibler Repräsentation. Die- se beiden sind in der Wahrnehmung eng miteinander verbunden. Auch wenn die tangiblen physischen Elemente eine zentrale Rolle innehaben, so sind die intangiblen Repräsentanten wie Grafik und Ton nicht weniger bedeutend. Sie vermitteln die dynamischen Informationen, die das Begleitsystem liefert. Die Kerneigenschaften eines TUI sind: - die computergestützte Kopplung von Tangibles an die darunterliegen- de digitale Information, - die physische Verkörperung von interaktiven Kontrollmechanismen durch Tangibles, - die perzeptuelle Kopplung von Tangibles an dynamische intangible Repräsentanten. TUIs sind bestrebt, eine greifbare Interaktion mit digitaler Information aktiv herbeizuführen. Die Grenze zwischen physischer und digitaler Welt wird ver- wischt. Wichtige Anforderungen dafür sind das Zusammentreffen von Input- bereich und Outputbereich, sowie Echtzeitantworten. [Ishii 2008] Abbildung 3.1: TUI Modell: TUIs geben digitaler Information eine tangib- le Repräsentation. So wird Information greif- bar und direkt manipu- lierbar mit haptischem Feedback. Intagible Repräsentation wird mit tangibler Repräsentation synchronisiert und stellt eine essentielle Ergän- zung dar. [Ishii 2008] 3 Hiroshi Ishii ist ein führender Pionier auf dem Gebiet der Tangible User Interfaces. Seine Forschungstätigkeit am „Massachusetts Institute of Technology“ (MIT) Media Lab ist auf die Gestaltung von nahtlosen Benutzerschnittstellen zwischen dem Mensch, digitaler Information und der physischen Umgebung fokussiert. 22 von 56
Kapitel 3: Tangible User Interfaces Kerneigenschaften nach Hornecker4 Hornecker konstatiert zwei Kerneigenschaften für TUIs und die Interaktion mit ihnen, basierend auf einem allgemeineren Ansatz von Volker Brauers Disserta- tion (1999) über Gegenständliche Benutzerschnittstellen. - „Verkörperte Räumlichkeit beschreibt die körperliche Ko-Präsenz von Benutzer, anderen Benutzern und Interaktionsobjekten in einem gemeinsamen Interaktionsraum. Dieser hybride Interaktionsraum ver- eint reale, materiell-stoffliche Anteile sowie virtuelle, digitale Repräsen- tationen. Eingabe- und Ausgaberaum, Wahrnehmungs- und Hand- lungsraum sind identisch.“ - „Haptische Direktheit bezeichnet eine direkte Manipulation, bei der die materiellen, greifbaren Objekte die Schnittstelle darstellen und der Benutzer unvermittelten, haptischen Kontakt mit den Interaktionsob- jekten hat.“ [Hornecker, 2004] Aus der verkörperten Räumlichkeit gehen drei Interaktionsmerkmale hervor. Sie beschreiben Charakteristika für die Wahrnehmung der Interaktion mit TUIs. (1) Hybrider Interaktionsraum: Der reale Raum wird um den virtuellen Raum erweitert. Daraus resultiert die Greifbarkeit des Interaktionsrau- mes. Die Interaktionsobjekte besitzen eine duale Identität, real und vir- tuell. Dabei gelten für die realen, materiellen Repräsentationen die Na- turgesetze. (2) Ko-Präsenz und körperlich geteilter Raum: Ein oder mehrere Benutzer teilen sich mit Interaktionsobjekten einen gemeinsamen Raum. (3) Sichtbarkeit: Die Objekte sind gut sichtbar und die Handlungen sind leicht nachvollziehbar. Aus der haptischen Direktheit resultieren drei weitere Merkmale. Sie charakte- risieren Eigenschaften der Manipulation und der Interaktion. (4) Haptisch direkte Manipulation: Die physischen Interaktionsobjekte werden direkt manipuliert. Dabei liefert der Kontakt mit ihnen ein fühlbares Feedback. (5) Transparenz und Isomorphie: Zwischen der Manipulation und dem Manipulationsergebnis herrscht eine räumliche Strukturgleichheit. Au- ßerdem wird gewohnte Gestik und Hand-Auge-Koordination ausge- nutzt. Gemeinsam wird so die Interaktion intuitiv. (6) Parallelität: Die Manipulation erfolgt parallel und/ oder beidhändig. 4 Eva Hornecker studierte Informatik und promovierte 2004 über „Tangible User Inter- faces als kooperationsunterstützendes Medium“. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt im Interaktionsdesign, jenseits des Desktop-Computings. 23 von 56
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