Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, gefährlich, unmoralisch? - NABU Hessen

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Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, gefährlich, unmoralisch? - NABU Hessen
Mark Harthun, Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, g­ efährlich, unmoralisch?

Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer,

                                                                                                                                                     Originalarbeit
­gefährlich, unmoralisch?
Entwicklung natürlicher Wälder in Hessen (III) – die Argumente der Kritiker
Von Mark Harthun

    Abstracts
    Die Risiken, die Kritiker in natürlicher Waldentwicklung sehen,          Natural forests: redundant, overpriced, dangerous, immoral?
    sind unbegründet. Der Klimawandel ist nicht nur kein Hindernis           ­Development of natural forests in Hesse (III)
    für eine natürliche Entwicklung von Buchenwäldern, sondern
    macht diese besonders notwendig. Da die Menge an Laubholz                The risks of natural forest development as identified by critics
    weiter zunimmt, führt ein Nutzungsverzicht auf 5 % des Waldes            lack of substantiation. Climate change not only is no risk for a
    weder zu einem Versorgungsnotstand noch zu übermäßigen                   natural development of beech forests but rather makes them
    volkswirtschaftlichen Kosten, zum Verlust von Arbeitsplätzen             more important than ever. Since the share of deciduous woods
    oder einer Intensivierung der forstlichen Nutzung des Wirt-              will increase over the next decades the non-utilization of 5 % of
    schaftswaldes. Der Erhalt deutscher Laubwälder gefährdet w­ eder         the forests will neither lead to a shortage of supply nor to exces-
    boreale noch tropische Wälder und ist eine Verpflichtung gegen­          sive costs for the national economy. It will also neither cause
    über der Welt und nachfolgenden Generationen.                            job losses nor the intensification of cultivated forests.

1      Einleitung                                    2    Die Buche als Klima-Verlierer?             chen-Standorte auch künftig für den Bu-
                                                                                                     chen-Anbau geeignet sein (Abiy & Ullrich
In einer dreiteiligen Serie wird am Beispiel         Der Präsident der AGDW, Philipp Freiherr        2013, Beierkuhnlein et al. 2014, HLUG
des Bundeslandes Hessen beleuchtet, wie              zu Guttenberg, hält den Schutz von              2007). Gerade die Klimaänderung macht
der aktuelle Stand natürlicher Wald­                 Buchen­wäldern für eine „gefährliche Schie-     ein repräsentatives System von Naturwäl-
entwicklung ist und welche fachlichen Kri-           ne“ und hält die Buche (Fagus sylvatica) in     dern notwendig, in denen ein möglicher
terien zur Flächenauswahl anzulegen sind             Deutschland offenbar für nicht überlebens-      natürlicher Wandel der Baumartenzusam-
(Harthun 2017a). In der zweiten Folge                fähig: „Auch und gerade eine Buche ist          mensetzung studiert werden kann (Abb. 1).
wurde dargestellt, welche Vorteile große,            nicht gewappnet, sich mit den prognosti-
miteinander zusammenhängende Gebiete                 zierten Klimabedingungen zurechtzu­             3    Rückgang der Artenvielfalt?
gegenüber vielen kleinen haben (Harthun              finden.“ Alternativen sollen die nicht hei-
2017b).                                              mischen Douglasien (Pseudotsuga menzie-         Noch weiter geht eine Argumentation, die
    Die vorliegende dritte Folge greift zahl-        sii) und Roteichen (Quercus rubra) sein,        durch die Entwicklung einer „Buchenmo-
reiche Argumente auf, die im Zusammen-               dabei haben in der Vergangenheit gerade         nokultur“ in Naturwäldern sogar einen
hang mit der Auswahl von Flächen gegen               nicht heimische und nicht standortgerech-       Rückgang der Artenvielfalt befürchtet: „Es
natürliche Waldentwicklung vorgetragen               te Baumarten zu Schädlingskalamitäten,          gibt ein monotones, stufenloses Waldgefü-
wurden. Die Diskussion, ob eine natürliche           wie von Borkenkäfern, Maikäfer (Melolon-        ge. Das heißt, die anderen Mischbaum­
Entwicklung von Wäldern auf 5 % der                  tha hippocastani) und Eichenprozessions-        arten, wie z.B. Eiche, Ahorn, Linde, Kirsche,
Waldfläche (BMUNR 2007) zugelassen                   spinner (Thaumetopoea processionae), und        Esche usw. verschwinden komplett“
werden darf, wie es das Ziel der Hessischen          zu Sturmwürfen geführt. Laut Möhring &          (Schutzgemeinschaft Deutscher Wald,
Biodiversitätsstrategie (HMUKLV 2016)                Wilhelm (2015) liegt die „Kalamitätsnut-        Ortsverband Nidda 1/2016). Die Frankfur-
und der hessischen Koalitionsvereinbarung            zung“ der Fichte (Picea abies) bei 58 %. Das    ter Allgemeine Zeitung titelte: „Der Urwald
ist, weckt außergewöhnlich viele Emotio-             heißt, nur 42 % werden planmäßig geern-         von morgen wird dunkel und düster“
nen.                                                 tet, alles andere in Reaktion auf Schader-      (18.08.2016). Bestimmender Faktor für die
    Manche Gegner zeichnen ein düsteres              eignisse. Hier spielt offensichtlich das Ver-   Artenvielfalt sei „die Artenvielfalt des Hol-
Bild, wie Michael Rolland, Geschäftsführer           wertungsinteresse eine größere Rolle als        zes und nicht die Menge des Holzes“
der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Wald-              der Wunsch nach Walderhalt im Klimawan-         (Schulze et al. 2016).
besitzerverbände, nach dem natürliche                del: „Unsere Industrie ist auf Nadelhölzer         Manche Forstbedienstete fürchten
Waldentwicklung zu einem „stillgelegten              ausgerichtet, und das wird sich in den          Nachteile für die Bechsteinfledermaus
toten Wald inmitten eines dann sterbenden            nächsten zwanzig, dreißig Jahren eher           (Myotis bechsteinii), die heute von alten
ländlichen Raums“ führen würde (Holz-                nicht ändern“ (Guttenberg 2016).                Eichen (Quercus spec.) profitiert. Manch-
Zentralblatt 22.08.2014). Dabei bleiben                  Stabilität versprechen vor allem natür-     mal wird in der Debatte sogar der Eindruck
gerade in natürlichen Wäldern die Bäume              liche Wälder, in denen sich das Erbgut der      erweckt, Bäume könnten von Natur aus gar
vor der Säge verschont und erreichen neue            Bäume derselben Art sehr stark voneinan-        nicht wachsen: Die Fällung von Bäumen
Dimensionen in Alter, Höhe, Stammdicke               der unterscheidet, was Anpassungsprozes-        sei nötig, um „Licht und Raum für neues
und Artenvielfalt, die in Wirtschafts­               se möglich macht. Trotz Klimaerwärmung          Leben“ im Wald zu schaffen (so die FAZ
wäldern nicht möglich sind.                          wird die Mehrzahl der bestehenden Bu-           am 27.05.2016).

Naturschutz und Landschaftsplanung 49 (6), 2017, 195-201, ISSN 0940-6808                                                                    195
Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, gefährlich, unmoralisch? - NABU Hessen
Mark Harthun, Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, g­ efährlich, unmoralisch?
Originalarbeit

                 Abb. 1: Künftiger natürlicher Wald Wispertaunus: Auf Vorschlag der Naturschutzverbände (NABU Hessen & BUND Hessen 1994, ZGF et al. 2015) wurde im Hinter-
                 landswald 2016 eine 1 088 ha große Waldfläche aus der Nutzung genommen.                                                           © NABU/Manfred Delpho
                 Future natural forest “Wispertaunus”: On proposal of NGOs an area of 1,088 ha was taken out of utilization in 2016.

                     Dieser Mythos vom artenarmen Buchen-                 pseudoplatanus) bieten auf 116 ha neben                  alten Laubwälder mit spezieller Bevorzu-
                 wald wird durch die 26-jährige hessische                 der Buche einem breiten Spektrum von                     gung von alten Eichen- und Buchenwäl-
                 Naturwaldreservate-Forschung widerlegt,                  Tierarten Lebensraum (Menzlner & Sa-                     dern (Dietz 2013).
                 wonach in unseren Buchenwäldern deut-                    witzky 2015). In nassen Quelllagen ist die                  Das Vorkommen der Lichtbaumart Ei-
                 lich mehr als 7 500 Arten leben (Hessen-                 Erle (Alnus glutinosa) der Buche überlegen,              che sollte kein Hinderungsgrund für die
                 Forst 2005). Dass Prozessschutz zum Ver-                 an trockenen Südhängen die Hainbuche,                    Auswahl künftiger Naturwälder sein. Ei-
                 schwinden anderer Baumarten führt, könn-                 in schattigen Schlucht- und Hangwäldern                  chen werden trotz der Konkurrenz durch
                 te allenfalls in den kleinen, nutzungsfreien             die Bergulme (Ulmus glabra), die Esche                   die Buche im natürlichen Wald ein wesent-
                 Kernflächen passieren, die vom Landesbe-                 und der Berg-Ahorn.                                      lich höheres Alter erreichen als im Wirt-
                 trieb HessenForst ausgewählt wurden.                        Bei Bilanzen der Artenvielfalt ist zudem              schaftswald, wo sie geerntet werden, lange
                 Zwar kann es auf Normalstandorten zur                    zu beachten, dass gar nicht die Artenzahl                bevor sie ihr großes Potenzial als Habitat-
                 Verdrängung von ehemals forstlich geför-                 in einem Gebiet entscheidend ist, sondern                bäume erreichen. Vitale Eichen mittleren
                 derten Nebenbaumarten kommen (vgl.                       vielmehr die Frage, ob diese Arten auch                  Alters sind gar nicht so artenreich wie ihr
                 Menzler & Sawitzky 2015), weil natur-                    lebensraumtypisch sind (Klasse statt Mas-                Ruf. Alte, anbrüchige Buchen sind Lebens-
                 nahe Buchenwälder häufig arm an Misch-                   se). Dass Naturwälder die Aufgabe haben,                 raum für eine um 35 % höhere Artenzahl
                 baumarten sind. „Diese Tatsache ist kein                 Artenzahlen innerhalb eines Gebietes zu                  als vitale Eichen (Müller 2005). Entschei-
                 Mangel, sondern ein wesentliches Kenn-                   maximieren, ist ein Missverständnis. Sie                 dend für den Naturschutz ist also, dass
                 zeichen, das für die Erhaltung einer typi-               können vielmehr dazu beitragen, ergän-                   Eichen sehr alt werden, und dies gelingt in
                 schen Lebensgemeinschaft von großer                      zend zu dem Schutz der Kulturlandschaften                Hessen in der Regel nur bei Nutzungsver-
                 Bedeutung ist“ (Ammer & Utschick 2004                    durch den Schutz spezifischer, waldgebun-                zicht in Naturwäldern (Abb. 3, Jedicke &
                 in Meyer & Schmidt 2008). Große Natur-                   dener Arten (Winter et al. 2016) die Ar-                 Hakes 2005). Nach einem Reisebericht von
                 wälder werden aber aufgrund ihrer Stand-                 tenvielfalt in Deutschland insgesamt zu                  Georg Sperber aus den Buchen-Urwäldern
                 ortvielfalt auch die Baumartenvielfalt                   erhöhen. Viele im Wirtschaftswald vorkom-                im Iran ist Eichennachwuchs zwar rar, aber
                 bewahren. Jeder vom Wind geworfene                       mende Arten sind bezüglich ihrer Lebens-                 offenbar ausreichend, um den Arterhalt zu
                 oder abgestorbene Baum schafft Licht und                 raumansprüche flexible Arten, die auch im                sichern. Angesichts eines Baumalters von
                 Raum für Naturverjüngung.                                Offenland vorkommen. Andere, vor allem                   vielen hundert Jahren können auch kurze
                     Im hessischen Nationalpark Kellerwald-               lichtliebende Arten, sind die Folge forst-               Phasen der Verjüngung zum Erhalt der Ei-
                 Edersee (5 745 ha) geht man davon aus,                   wirtschaftlicher Maßnahmen, wie der An-                  che genügen. Zur Förderung der Eiche
                 dass sich andere Waldgesellschaften auf                  lage und Pflege von Forstwegen oder der                  verbleiben zudem noch viele Möglichkeiten
                 azonalen und extrazonalen Standorten                     Auflichtung von Wäldern (vgl. auch Stör-                 auf 95 % der Waldfläche, die weiter bewirt-
                 sogar von 83 ha auf über 180 ha ausweiten                und Stickstoffzeiger, Schmidt 2013). Sie                 schaftet wird.
                 werden. Die Krautschicht ist sehr vielge-                sind also weder waldtypisch, noch bedür-
                 staltig und 24 andere einheimische Bau-                  fen sie dort des Schutzes (Abb. 2).                      4    Volkswirtschaftliche Verluste?
                 marten wie Traubeneiche (Quercus pet-                       Die Bechsteinfledermaus hat nichts zu
                 raea), Hainbuche (Carpinus betulus), Esche               befürchten, denn sie ist nicht von Eichen                Manche Autoren beschwören dramatische
                 (Fraxinus excelsior) und Bergahorn (Acer                 abhängig, sondern eine typische Art der                  volkswirtschaftliche Kosten durch natürli-

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Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, gefährlich, unmoralisch? - NABU Hessen
Mark Harthun, Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, g­ efährlich, unmoralisch?

che Waldentwicklung. Demnach stelle Na-

                                                                                                                                                                            Originalarbeit
turschutz „auch eine Bewirtschaftung von
Wald dar“. Daher müsste für Naturschutz
zwingend eine Bestimmung der „Verzichts-
kosten“ erfolgen (Seintsch 2014). Bei
dieser Argumentation wird also von einem
Recht zur Naturnutzung ausgegangen. Es
stellt sich dann die Frage, ob dann auch für
den Nutzungsverzicht anderer Ressourcen,
wie die Abkehr von der Atomenergie, von
der Kohlenutzung, bei Beschränkungen der
Überfischung der Meere oder beim Schutz
der Tropischen Regenwälder jeweils „Ver-
zichtskosten“ durch die Gesellschaft zu
erbringen sind? Und offen ist die Frage,
wer den Anspruch auf eine Entschädigung
haben soll. Obwohl der Staatswald Eigen-
tum der Bürger ist und die Gesellschaft den
Waldaufbau seit über hundert Jahren auch
schon finanziert hat, müssen in einigen
Bundesländern die Bürger nun erneut Ent-
schädigung für das Stehenlassen der Bäu-
me zahlen.                                           Abb. 2: Durch hohe Nutzungsansätze stark aufgelichtete Bestände (hier: Dünsberg in Mittelhessen) bieten
   Bei einer Betrachtung über scheinbar              anspruchsvollen Waldarten keine Heimat mehr. Nur in natürlichen Wäldern behalten alte Bestände ihre Ge-
entgangene Einnahmen bei einem Nut-                  schlossenheit und Ruhe für störungsempfindliche Arten.                          © NABU/Mark Harthun
zungsverzicht muss berücksichtigt werden,            Heavily harvested forests fail to provide habitats for rather rare forest species. Only within near-natural or
dass trotz der in den letzten Jahren aus der         ­natural forests old stands keep their closeness and quiescence for species sensitive to disturbance.
Nutzung genommenen Wälder die Hol-
zernte gar nicht gesunken ist. Auch der
Vorrat nahm in den letzten zehn Jahren zu.           finanzieren (Baukosten 282 Mio. €, HNA                      Eine natürliche Waldentwicklung dient
Der Holzzuwachs liegt in Hessen um 10 %              31.05.2016).                                                daher dem Gemeinwohl. Anderswo werden
höher als die im Staatswald geerntete Holz-              Die Forstwirtschaft hat in Europa mit                   im Gemeinwohlinteresse hohe Summen
menge von 1,97 Mio. m³. Auch bundesweit              Ausnahme der skandinavischen Länder                         investiert: Für den Landesstraßenbau ver-
stieg die Holzernte trotz der Ausweisung             eine eher untergeordnete wirtschaftliche                    ausgabt Hessen jährlich 90 Mio. € (www.
von Naturwaldentwicklungsflächen von 50              und gesellschaftliche Bedeutung. Laut dem                   finanzen.hessen.de, 14.11.2016). Den Er-
Mio. m³/Jahr (BWI²) auf 75,6 Mio. m³/Jahr            Hessischen Statistischen Landesamt be-                      halt der Agrarlandschaft lassen wir uns
(BWI³) bei gleichzeitiger Zunahme des                trägt der Anteil von Land-, Forstwirtschaft                 bundesweit jährlich sogar 6,8 Mrd. € an
Vorrats von 3,4 Mrd. m³ auf 3,6 Mrd. m³              und Fischerei zusammen an der Brutto-                       Subventionen kosten (2015). Der Erhalt
weiter an.                                           wertschöpfung in Hessen nur 0,26 % (Sta-                    natürlicher Wälder aber darf nichts kosten,
   Zweck eines Landesbetriebs sollte auch            tistische Berichte, März 2016). Selbst wenn                 ja nicht einmal die potenzielle Steigerung
gar nicht der maximale Gewinn sein: Das              es davon eine geringfügige Abweichung                       von Einnahmen mindern?
Bundesverfassungsgericht stellte am 30.              durch die Entwicklung natürlicher Wälder                       Der Bund Deutscher Forstleute befürch-
Mai 1990 heraus: „Die Bewirtschaftung                gäbe, hätte dies kaum messbare volkswirt-                   tet, „bei Segregation stillgelegter Flächen
des … Staatswaldes …dient der Umwelt-                schaftliche Effekte. Auch stehen dem zahl-                  und bleibender Gewinnerwartung gibt es
und Erholungsfunktion des Waldes, nicht              reiche nicht monetarisierbare Ökosystem-                    auf der verkleinerten Fläche für die Forst-
der Sicherung von Absatz und Verwertung              dienstleistungen (Bodenschutz, Trinkwas-                    wirtschaft keine Alternative zur Intensivie-
forstwirtschaftlicher Erzeugnisse“. Der              ser, Klimaschutz, Hochwasserschutz, Ero-                    rung“ (BDF 2016). Dazu stellte das hessi-
Beitrag zum hessischen Landeshaushalt                sionsschutz, Artenschutz, Erholung …)                       sche Umweltministerium aber klar: „Aus
durch die forstwirtschaftlichen Erlöse               gegenüber.                                                  dem Landeshaushalt werden [dem Landes-
(HessenForst-Überschuss 2014: 8 Mio. €,                  Gegner natürlicher Waldentwicklung                      betrieb HessenForst für die 5 950 ha Kern-
2015: 5,5 Mio. Euro) ist, gemessen an den            verspotten das Bedürfnis nach natürlicher                   flächen der 2. Tranche, Anm. d. Autors]
Gesamtausgaben von 25,9 Mrd. € (2016),               Waldentwicklung manchmal als „naiv-                         jährlich 1,3 Mio. € zur Verfügung gestellt,
gering und reicht gerade einmal, um das              verklärte Waldsicht eines Großteils der                     um die entgangenen Erlöse zu kompensie-
jährliche Betriebsdefizit des sinnfreien             großstädtischen Bevölkerung“ (FAZ-Kom-                      ren. Damit stellen wir sicher, dass kein
Flughafens Kassel-Calden zu decken. Bei              mentar 27.05.2016). Dabei wird ausge-                       ökonomischer Druck auf die verbleibenden
einem vorgegebenen Konsolidierungsbei-               blendet, dass inzwischen in Hessen eine                     Flächen im Staatswald entsteht“ (HMUKLV,
trag für den Landeshaushalt von insgesamt            Bevölkerungsmehrheit (53 %) in Städten                      Pressemitteilung 25.05.2016). Einerseits
50 Mio. € bis 2019 (HMUKLV-Erlass, 19.               mit über 20 000 Einwohnern lebt (atlas.                     darf man kritisch hinterfragen, warum das
Juli 2016), bzw. 10 Mio. €/Jahr (Hessen-             umwelt.hessen.de, 28.10.2016). Die Er-                      Land Entschädigung für Nutzungsverzicht
Forst 2015), wird der Landesbetrieb Hes-             wartungen an den Wald sind heute nicht                      in seinem eigenen Wald zahlen soll. An-
sen-Forst allein 28 Jahre unter Druck ge-            mehr dieselben wie vor 50 Jahren. Der                       derseits ist eine Verschiebung von Geld
setzt, um die politische Fehlentscheidung            Erholungs- und Erlebniswert hat erheb-                      zwischen Land und Landesbetrieb mit sei-
zum Bau des Flughafens Kassel-Calden zu              lich an Bedeutung gewonnen (Mues 2015).                     nen Landesbediensteten auch nicht wirk-

Naturschutz und Landschaftsplanung 49 (6), 2017, 195-201, ISSN 0940-6808                                                                                             197
Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, gefährlich, unmoralisch? - NABU Hessen
Mark Harthun, Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, g­ efährlich, unmoralisch?
Originalarbeit

                 Abb. 3: In Wirtschaftswäldern werden Eichen zwar gepflegt, aber nicht ge-             Abb. 4: Fichtenwälder im Vogelsberg. Ein Klimaschutzgutachten für das BMEL
                 schützt. Ein hohes Alter können sie nur in Naturwäldern erreichen.                    (2016b) empfiehlt den Anbau von bis zu 70 % Nadelholz, auch stärker mit nicht-
                                                                             © NABU/Mark Harthun heimischen Arten wie Douglasie, Küstentanne und Schwarzkiefer.
                 In cultivated forests oak trees are maintained but they are not protected. Only with-                                                © NABU/Berthold Langenhorst
                 in natural forests they can become really old.                                    Spruce forests in the mountains of the Vogelsberg. The climate report for a German
                                                                                                   ministry recommends a share of up to 70% of conifers, and additionally suggests
                                                                                                   non-native species like Douglas fir, Giant fir and Austrian pine.

                 lich eine neue Ausgabe. In Nordrhein-                   zicht (FAZ 27.05.2016) beziehen sich auf                künftig für ganz Deutschland angeblich 7,6
                 Westfalen erhält der Landesbetrieb Wald                 Berechnungen zum Cluster „Forst und                     Mio. Erntefestmeter pro Jahr, so Schulze
                 und Holz allerdings nur etwa die Hälfte an              Holz“. Allein in Hessen werden diesem                   et al. (2016). Dass diese Rechnung absurd
                 Entschädigung (120 €/ha, Woike & Kaiser                 Cluster 57 000 Arbeitnehmer in 11 000 Un-               ist, zeigt das Beispiel Hessen, wo trotz des
                 2014).                                                  ternehmen zugerechnet. Davon entfallen                  Nutzungsverzichts die geerntete Holzmen-
                     Laut dem Bund Deutscher Forstleute                  allerdings lediglich 5 300 auf das Holzge-              ge im Staatswald in den letzten zehn Jah-
                 bedeuten 100 ha stillgelegter Wald den                  werbe. Der große Rest mit einem Anteil                  ren nicht abnahm, sondern von einer
                 Verlust von vier bis sechs Arbeitsplätzen               von gut 90 % arbeitet im Verlags- und                   sturmbedingten Ausnahme abgesehen
                 (BDFaktuell 11/2016). Dann müssten                      Druck-, Möbel-, Schmuck-, Musikinstru-                  recht konstant bei ca. 2 Mio. Efm lag.
                 durch die hessischen Kernflächen 1 000 bis              mente-, Sportgeräte-, Spielwaren- oder                      Insbesondere die Säge- und Holzindus-
                 1 500 Arbeitsplätze verloren gegangen sein              Papiergewerbe (www.umweltministerium.                   trie befürchtet eine Holzknappheit durch
                 – einen Beleg dafür liefert der BDF nicht.              hessen.de, 13.09.2016).                                 Flächenstilllegung. Dabei verfügt Deutsch-
                 Da die Holzernte nicht sinkt und Entschä-                   Der Cluster umfasst also eine sehr hete-            land über die größten Holzressourcen in
                 digungen an den Landesbetrieb Hessen-                   rogene Branche und vereinnahmt auch                     Europa (www.finanzen.net). Wenn das
                 Forst gezahlt werden, sind Aussagen, dass               viele Betriebe, die nicht zwingend auf Holz             5-%-Ziel vollständig umgesetzt wird, ver-
                 eine große Zahl von Arbeitsplätzen durch                angewiesen sind. Laut dem Hessischen                    bleiben immer noch 788 500 ha Wirt-
                 natürliche Waldentwicklung verloren ge-                 Statistischen Landesamt hat die Land-,                  schaftswald in Hessen. Das ist immer noch
                 hen würde, nicht nachvollziehbar. Zudem                 Forstwirtschaft und Fischerei zusammen                  deutlich mehr als in Sachsen, Thüringen,
                 ist der Personalhaushalt des Landesbetriebs             lediglich einen Anteil von 0,89 % aller Er-             Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-
                 bereits auf einen hohen Anteil kaum ge-                 werbstätigen in Hessen (2015: 29 700,                   Anhalt oder in ganzen Staaten wie Däne-
                 nutzter Grenzwirtschaftswälder (W.a.r.B.                https://statistik.hessen.de).                           mark, Irland und Belgien, die teilweise
                 im hessischen Staats-, Körperschafts- und                   Gerade große natürliche Wälder bieten               sogar selbst den Nutzungsverzicht von
                 Gemeinschaftswald 38 670 ha!) und gänz-                 aber auch Potenzial für neue Arbeitsplätze,             Waldanteilen vorantreiben. Es ist daher
                 lich nutzungsfreien Wald mit geringerer                 z.B. durch fachliche und pädagogische Be-               unglaubwürdig, wenn der Eindruck er-
                 Beschäftigungsintensität eingestellt. Laut              sucherbetreuung, Umweltbildungsangebo-                  weckt wird, es drohe der Niedergang der
                 Aussage des Leiters des Landesbetriebs,                 te, Umweltforschung, Monitoring, Touris-                Säge- und Holzindustrie, wenn der nutz-
                 Michael Gerst, führt die Ausweisung von                 mus und Gastronomie.                                    bare Waldanteil um wenige Prozentpunk-
                 Kernflächen nicht zu Kündigungen, da Per-                                                                       te sinkt.
                 sonalabbau nur mittelfristig im Rahmen                  5     Versorgungsnotstand?                                  Auch in Zukunft bleibt das Rohholzpo-
                 einer ohnehin vorgesehenen Umstruktu-                                                                           tenzial laut einer Studie des Bundesland-
                 rierung erfolgt (mdl. Mitt., 16.03.2016).               Schwer nachvollziehbar ist die Angst um                 wirtschaftsministeriums (Thünen-Institut
                 Bei der Frage der Sicherung von Arbeits-                die Versorgungssicherheit, wenn nur noch                für Waldökosysteme) bis 2052 bei durch-
                 plätzen in der Forstwirtschaft sollten daher            auf 95 % der Waldfläche Holzernte möglich               schnittlich 77,7 Mio. m³ auf dem gleichen
                 eher die Reformprozesse innerhalb des                   sei. Da wird angekündigt, künftig müssten               Niveau, wie in den letzten Jahren – und
                 Landesbetriebs und die Vergabepraxis an                 wir Brennholz „aus Südamerika oder Sibi-                das, obwohl diese Studie bereits 450 000 ha
                 ausländische Unternehmen kritisch hinter-               rien kommen lassen“ (Schutzgemeinschaft                 Wälder ohne Nutzung und 489 000 ha mit
                 fragt werden.                                           Deutscher Wald Nidda, Rundschreiben                     eingeschränkter Nutzung eingerechnet hat.
                     Häufig genannte hohe Zahlen von Ar-                 1/16). Der Ernteverlust durch Flächenstill-             Es wird bis 2027 deutlich mehr Buche zur
                 beitsplatzverlusten durch Nutzungsver-                  legung und FSC-Referenzflächen betrage                  Verfügung stehen (+59 %), als laut BWI³

                 198                                                                                   Naturschutz und Landschaftsplanung 49 (6), 2017, 195-201, ISSN 0940-6808
Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, gefährlich, unmoralisch? - NABU Hessen
Mark Harthun, Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, g­ efährlich, unmoralisch?

bisher genutzt wurde. Auch im Fallbeispiel           tung würde also die Konkurrenz zwischen         des Vorratsaufbaus der Zuwachs stagniere

                                                                                                                                                    Originalarbeit
Hessen steht bis 2052 mehr Buchenholz                Holzindustrie und Naturschutz vermin-           und sich ein Gleichgewicht zwischen
zur Verfügung, als vor 2012 genutzt wurde            dern.                                           Wachstum und Verrottung einstellen wür-
(BMEL 2016a). Der Holzvorrat der Laub-                   Ein Problem entsteht erst bei starker       de (Old-Growth-Equilibrium-Hypothese
bäume nahm in Deutschland in der Zeit                Steigerung des Holzverbrauchs: Manche           von Odum 1969, Krug & Köhl 2010). Zahl-
von 2002 bis 2012 laut Bundeswaldinven-              Schätzungen gehen davon aus, dass 2020          reiche Analysen haben aber inzwischen
tur um 14,1 % zu (Hennenberg et al. 2015)            am Holzmarkt durch steigenden Verbrauch         belegt, dass Naturwälder Kohlenstoffsen-
und wird weiter zunehmen: Insgesamt                  eine „Versorgungslücke“ von rund 30 Mio.        ken darstellen, weil sie Kohlenstoffdioxid
wird auch von einem weiter ansteigenden              m³ pro Jahr in Deutschland entstehen wird       binden und für mehrere hundert Jahre als
Vorrat der Holzartengruppe Buche um 9 %              (DBFZ 2011 in Umweltbundesamt 2016).            Holzvorrat und im Boden festlegen (Luys-
bis 2052 ausgegangen (Holz gesamt: von               Daher weist auch die Waldstrategie 2020         saert et al. 2008). In Niedersächsischen
345 Vfm/ha auf 364 Vfm/ha, BMEL 2016a).              der Bundesregierung eine gewünschte Nut-        Naturwaldreservaten zeigt sich sehr rasch,
Eine Studie der TU München zeigte, dass              zungssteigerung auf rund 100 Mio. m³/           wie schnell der Holzvorrat in Naturwäldern
die Bäume seit den 1960er-Jahren durch               Jahr aus. Eine Verschärfung der Konflikte       zunimmt: Die über 40 Jahre bestehenden
Klimawandel und längere Vegetationszeit              ist durch eine wachsende Bioökonomie            Gebiete haben häufig Vorratshöhen zwi-
sowie durch steigende CO2- und Stickstoff-           (Bsp. Bioraffinerie-Anlagen) zu erwarten.       schen 600 und 800 m³ je Hektar (NW-FVA
konzentration in der Luft deutlich schneller         So sind die im September 2016 von einem         2015).
wachsen: Buchenbestände um 30 %, Fich-               Beratungsgremium der Bundesregierung                In einer aktuellen Meta-Analyse konn-
tenbestände um 10 % (Natur in NRW 4/14,              vorgelegten Forderungen zur Verringerung        ten Stephenson et al. (2014) zeigen, dass
S. 4).                                               des Nutzungsalters und der Absenkung der        die Wachstumsgeschwindigkeit und damit
    „Aktuell wird etwa ein Drittel des in            Holzvorräte (Bioökonomierat 2016) mit           die Rate der Kohlenstoffbindung mit zu-
Deutschland geschlagenen Holzes ver-                 der nationalen Strategie zur biologischen       nehmendem Baumalter steigt. Als Folge
brannt. Werden Sägenebenprodukte, Rest-              Vielfalt und dem Grundsatz der Nachhal-         davon können Bäume auch in späten Wald-
und Althölzer mitbetrachtet, erhöht sich             tigkeit unvereinbar. Statt einer Intensivie-    entwicklungsphasen wesentlich mehr at-
der Anteil der energetischen Verwendung              rung der Waldnutzung und einer Subven-          mosphärischen Kohlenstoff in der Biomas-
auf etwa die Hälfte des Holzaufkommens               tionierung der energetischen Holzverwer-        se binden als jüngere Bäume (Jacob et al.
in Deutschland“ (Bioökonomierat 2016,                tung muss die Energieeffizienz gesteigert       2013). Die Verweildauer des Kohlenstoffs
Mantau 2012). Aus der anderen Hälfte                 und die langlebige, stoffliche Nutzung          ist in natürlichen Wäldern bei weitem län-
werden zu großen Teilen kurzlebige und               gefördert werden.                               ger als in Wirtschaftswäldern (Luyssaert
Verpackungsprodukte erzeugt. Solange wir                 Die Sägeindustrie hat in erster Linie ein   et al. 2008). Hingegen stellt eine zuneh-
uns solch eine Vergeudung von Rohstoff               Interesse an Nadelholz. In den Naturwald-       mende Intensivierung der Waldnutzung
erlauben können, ist Holz nicht knapp.               Entwicklungsflächen werden aber ganz            eine Gefahr für die gegenwärtige Leistung
Insgesamt wird mittelfristig eine leicht stei-       überwiegend Laubwälder aus der Nutzung          als Kohlenstoff-Senke dar (Schulze et al.
gende Nachfrage erwartet. Dies führt trotz           genommen: 87,3 % der hessischen Kern-           2012). Nach Krug & Köhl (2010) ist die
leicht sinkender Zuwächse zu keinen star-            flächen sind Laubholz (HessenForst,             Senkenleistung aus Waldbewirtschaftung
ken Veränderungen des Rohholzpotenzials              schriftl. Mitt. 07.07.2016). Und selbst die     seit 1990 kontinuierlich gesunken. Prog-
von Laubholz (Dunger & Rock 2009). Wer               geringen Nadelholzanteile können in man-        nosen gehen davon aus, dass die Wälder
behauptet, Laubholz sei knapp, sollte zu-            chen Kernflächen in einem Übergangszeit-        in Deutschland in naher Zukunft aufgrund
nächst den Export hinterfragen. Denn                 raum noch entnommen werden. Es gibt             der weiter steigenden Holznutzung von
Deutschland ist Netto-Exporteur von Laub-            daher keine Konkurrenzsituation zwischen        einer CO2-Senke zu einer CO2-Quelle wer-
holz (Seintsch & Weimar 2013). 2015 lag              dem Nutzungsinteresse an Buche als Bau-         den.
der Import von Laubschnittholz bei                   oder Möbelholz und natürlicher Waldent-             Die CO2-Bindung in Holzprodukten
402 000 m³, der Export bei 684 000 m³                wicklung. Wer Holzmangel durch Natur-           wird oft idealisiert dargestellt, denn die
(www.forstpraxis.de, Holzmarktinfo nach              wälder beklagt, hat daher entweder ein          CO2-Freisetzung wird hier nur zeitlich ver-
Statistischem Bundesamt, 11.03.2016).                Interesse an einer gesteigerten energeti-       schoben. Das in Holzprodukten gebundene
Diese exportierte Menge übertrifft die ge-           schen Verwertung (Verbrennung) von Holz         CO2 wird nach relativ kurzer Zeit wieder
samte Laubholz-Nutzung von Mecklen-                  oder er wünscht sich in den potenziellen        freigesetzt (mittlere Verweilzeit ca. 10-20
burg-Vorpommern (2015: 624 390 m³,                   Schutzgebieten den Umbau von Buche zu           Jahre; Mund & Schulze 2006). Nach
Holzeinschlagsstatistik https://de.statista.         Nadelholz (Abb. 4). Für die Erhöhung von        Profft et al. (2009) zeigten Untersuchun-
com, 27.09.2016).                                    Nadelwaldanteilen bestehen aber auf den         gen in Thüringen, dass nur 22 % der Hol-
    Dem von Forstseite manchmal formu-               übrigen 95 % der Waldfläche noch genü-          zernte als langlebiges Konstruktionsholz
lierten Anspruch „Wir müssen die Bedürf-             gend Möglichkeiten. Die Entwicklung na-         (> 50 Jahre) genutzt wurden. Buchenholz,
nisse der Weltbevölkerung befriedigen“               türlicher Wälder stellt also keine Bedro-       das ja ganz überwiegend in den für Hessen
wird ein kleines Land wie Deutschland                hung unseres heutigen Lebensstils dar.          ausgewählten und vorgeschlagenen hessi-
niemals gerecht werden können. Volkswirt-                                                            schen Naturwäldern wächst, wird nur zu
schaftlich ist der Export von Laubholz als           6    Verschärfung des Klimawandels?             einem sehr geringen Anteil im Bausektor
Rohstoff und der Reimport der veredelten,                                                            oder für Möbel verwendet. Laubholz wird
teuren Endprodukte fragwürdig. Nach Aus-             Es greift auch nicht das gern genutzte Ar-      zu über 70 % verbrannt (Seintsch 2011).
sage der Deutschen Säge- und Holzindus-              gument, natürliche Waldentwicklung wür-         Die Bedeutung des nachwachsenden Roh-
trie werden durch den Rundholzexport und             de den Klimawandel verschärfen. Demnach         stoffs für den Klimaschutz ist diesbezüglich
die fehlende Weiterverarbeitung rund                 sei eine langfristige CO2-Reduzierung nur       sehr begrenzt: Selbst wenn wir unser ge-
6 000 Arbeitsplätze nach Asien verlagert             durch mehr Holzprodukte möglich, da im          samtes Holz verbrennen würden, würde
(DESH 2013). Eine standortnahe Verwer-               natürlichen Wald nach einer kurzen Phase        dies beim derzeitigen hohen Energiebedarf

Naturschutz und Landschaftsplanung 49 (6), 2017, 195-201, ISSN 0940-6808                                                                   199
Mark Harthun, Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, g­ efährlich, unmoralisch?

                 nur zu einem Anteil von 5 % der Gesamt-         weit knapp 4 Mio. m³, Seintsch & Weimar          Barrier Reaf. So wie wir von anderen Län-
Originalarbeit

                 energieproduktion (Wärme, Strom, Treib-         2013), die in den hessischen Naturwald-          dern den Schutz von tropischen Regenwäl-
                 stoff) beitragen. Daher ist es wirksamer,       entwicklungsgebieten mit nur 12 % Flä-           dern oder Savannen einfordern, so ist es
                 den Energiebedarf zu senken und das ge-         chenanteil enthalten sind. Ein vermehrter        ein Gebot der globalen Gerechtigkeit, dass
                 erntete Holz zu dauerhaften, hochwertigen       Einschlag heimischer Laubwälder würde            auch Deutschland als eines der reichsten
                 Produkten zu verarbeiten.                       deshalb nicht zu geringeren Holzimporten         Länder auf die wirtschaftliche Nutzung
                    Klimaschutzrelevant ist daher in erster      aus borealen Nadelwäldern führen. Auch           eines kleinen Anteils seines Landes verzich-
                 Linie die Substitution anderer, energiein-      Tropenwaldzerstörung hat nichts mit dem          tet (SRU 2016). Die Glaubwürdigkeit
                 tensiver Bauprodukte (wie Aluminium,            Nutzungsverzicht von Buchenwäldern zu            Deutschlands in Sachen Naturschutz steht
                 Stahl, Kunststoff) oder fossiler Brennstoffe.   tun. Hauptverursacher der Tropenwaldzer-         hier auf dem Spiel. Ab einer Größe von über
                 Laut dem Deutschen Forstwirtschaftsrat          störung sind die Palmöl- und Sojaproduk-         1 000 ha können Gebiete auch in Deutsch-
                 bedeutet ein Nutzungsverzicht auf 5 % der       tion und die „Landgewinnung“ für die             land die Mindestkriterien für Wildnisge-
                 deutschen Waldfläche den Verzicht auf           Viehwirtschaft.                                  biete (Finck et al. 2015) erfüllen. Mit dem
                 4 Mio. m³ Holz pro Jahr. Daraus folgert er,         Von 2004 bis 2010 war Deutschland            Anstoß der Entwicklung großer natürlicher
                 dass dann etwa 3 Mio. Tonnen des klima-         Netto-Exporteur von Holz und Holzproduk-         Wälder (Harthun 2017a, b) geben wir
                 schädlichen Treibhausgases CO2 nicht ge-        ten. 2011 und 2012 überwogen geringfügig         künftigen Generationen die Chance zum
                 bunden würden (Engel et al. 2016). An-          die Importe (2012 Importe: 124,4 Mio. m³,        Erleben einer biologischen Vielfalt, von
                 gesichts von bundesweit allein 745 Mio.         Exporte: 122,8 Mio. m³, Rohholzäquiva-           natürlichen Prozessen und Ökosystemleis-
                 Tonnen energiebedingten CO2-Emissionen          lente, Seintsch & Weimar 2013). Schulze          tungen, die unserer Generation in Deutsch-
                 (2014, www.umweltbundesamt.de) ist              et al. (2016) rechnen vor, dass Holzimpor-       land leider verwehrt geblieben ist.
                 diese Bindung von Kohlendioxid jedoch           te verwerflich seien, weil dort wegen
                 nicht der entscheidende Schritt zum Kli-        schlechter forstwirtschaftlicher Standards       Literatur
                 maschutz. Viel effektiver wäre die Vermei-      nur eine Ernte von 50-100 Efm pro Hektar         Abiy, M., Ullrich, T. (2013): Die neuen Wuchszo-
                 dung des CO2-Ausstoßes durch die Abschal-       den Holzmarkt erreichen würden, bei uns            nen- und Klimafeuchtekarten für Hessen. FENA-
                 tung von Kohlekraftwerken: So setzte das        deutlich mehr. Nicht begründet wird dabei,         Jahresber. 2012/2013, 22-25.
                 Kraftwerk Neurath in Nordrhein-Westfalen        wie denn andere Regierungen dazu ge-             BDF (2016): Offener Brief des BDF Hessen an die
                 32 Mio. Tonnen CO2 im Jahr 2015 frei. Da        bracht werden sollen, auf naturgemäßen             hessische Staatsministerin Hinz. BDFaktuell (5),
                                                                                                                    26.
                 ein Raummeter Buche 844 kg CO2 freisetzt        Waldbau umzuschwenken, wenn wir un-              Beierkuhnlein, C., Jentsch, A., Reineking, B.,
                 (Ammer mdl. Göttingen 27.11.2014),              sere Holzimporte beenden. Nicht die In-            Schlumprecht, H., Ellwanger, G. (2014): Aus-
                 müssten 38 Mio. Festmeter Holz jährlich         tensivierung der Waldnutzung in Deutsch-           wirkungen des Klimawandels auf Fauna, Flora
                 genutzt werden, um nur dieses eine Koh-         land dient dem Schutz von Urwäldern und            und Lebensräume sowie Anpassungsstrategien
                 lekraftwerk zu kompensieren, also dreimal       der Verbesserung von forstwirtschaftlichen
                 so viel Buchenholz, wie heute deutschland-      Standards im Ausland, sondern eine vor-
                                                                                                                  Fazit für die Praxis
                 weit geerntet wird. Die politische Halbher-     bildliche, glaubwürdige Entwicklung na-
                 zigkeit beim „Klimaschutzplan 2050“ der         türlicher Wälder bei uns, eine wirklich           Natürliche Waldentwicklung stellt keine
                 Bundesregierung insbesondere bezüglich          nachhaltige Nutzung der bewirtschafteten          ­Gefahr dar – weder für die Natur, noch für
                 des Kohleausstiegs kann nicht mit einer         Wälder und aufgeklärte Verbraucher. Denn           unseren Wohlstand. Angesichts des Klima-
                 intensivierten Forstwirtschaft zu Lasten der    es liegt in unserer Hand, welches Holz aus         wandels sind ungenutzte Wälder wichtig,
                 Biodiversität aufgefangen werden.               welchen Standards wir importieren.                 um natürliche Veränderungen der Baum­
                                                                                                                    artenzusammensetzung beobachten zu
                 7      Tropenwaldzerstörung und                 8    Wildnis nicht erreichbar?                     können. Für eine Steigerung der Artenviel-
                        Raubbau durch Importe aus                                                                   falt in Deutschland ist es nötig, Buchen­
                                                                 Manche Kritiker legen hohe Maßstäbe an:            wälder in Naturschutzgebieten uralt werden
                        dem Ausland?
                                                                                                                    zu lassen und auf forstliche Eingriffe zu
                                                                 Wildnis wie in Amerika mit Bären und Wi-
                                                                                                                    ­verzichten. Naturwaldentwicklung kann so
                 Argumentiert wird auch, die Zulassung von       senten sei in Deutschland nicht erreichbar
                                                                                                                     über Jahrhunderte zur CO2-Bindung und
                 natürlicher Waldentwicklung in Deutsch-         und damit eine natürliche Waldentwick-
                                                                                                                  ­damit zum Klimaschutz beitragen. Gemein-
                 land würde zum Import von Holz aus dem          lung bei uns generell sinnlos. Guttenberg
                                                                                                                   sam mit Maßnahmen zur Dekarbonisierung
                 Ausland mit schlechten Standards führen.        (2016) sagt: „Urwald bei uns ist künstlich“,      lässt sich Klimaschutz so effizienter um­
                 Jahrzehntelang hätte die Forstwirtschaft        dabei trifft diese Beschreibung wohl eher         setzen als durch intensivere Holznutzung
                 auf Autarkie hingearbeitet und werde nun        auf die Forstwirtschaft zu. Dabei wird ver-       (Substitution). Die Politik sollte diese Chance
                 durch den Naturschutz zu Importen mit           kannt, dass wir eine globale Verantwortung        ergreifen: Bäume wachsen heute durch CO2,
                 umweltbelastenden Transportwegen ge-            für die Entwicklung und Erhaltung von             NOx und höhere Temperaturen schneller als
                 zwungen. So beklagt die Schutzgemein-           natürlichen Ausprägungen der Rotbuchen-             früher. Die Holzernte ist in den letzten Jah-
                 schaft Deutscher Wald Hessen: „Wir sollten      wälder haben, deren Verbreitungsareal zu            ren trotz der Ausweisung von Naturwäldern
                 aufhören immer mehr Wald stillzulegen           einem Viertel in Deutschland liegt. Nicht           gestiegen, nicht gesunken. Die Holzvorräte
                 und somit den Raubbau an den Wäldern            nur gegenüber der Welt, sondern auch ge-            nehmen zu. Allerdings muss die Gesell-
                 der Tropen und der borealen Nadelwälder         genüber nachfolgenden Generationen.                 schaft auch gegensteuern: Statt einer Stei-
                 zu forcieren“ (UnserWald 4/2014). „Hier         Nicht umsonst gibt es das UNESCO-Welt-              gerung des Holzverbrauchs auf 100 Mio m3/
                 wäre dann ein Raubbau in Urwäldern zu           naturerbe „Buchenurwälder der Karpaten              Jahr sollte die Subventionierung der ener­
                 befürchten“ (HessenForst 2012, Schulze          und Alte Buchenwälder Deutschlands“,                getischen Holzverwertung vermindert, die
                 et al. 2016).                                   welches deutlich macht, dass wir für unse-          Energieeffizienz gesteigert und die lang­
                    Importiert werden aber in erster Linie       re Buchenwälder die gleiche Verantwor-              lebige, stoffliche Nutzung gefördert werden.
                 Nadelhölzer (Rohholzimport 2012 bundes-         tung haben wie Australien für das Great

                 200                                                                      Naturschutz und Landschaftsplanung 49 (6), 2017, 195-201, ISSN 0940-6808
Mark Harthun, Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, g­ efährlich, unmoralisch?

  des Naturschutzes. Naturschutz und Biologische     Jacob, M., Bade, C., Calvete, H., Dittrich, S.,          –, Körner, C., Law, B.E., Haberl, H., Luyssaert,
  Vielfalt 137, 484 S.                                 Leuschner, C., Hauck, M. (2013): Significance             S. (2012): Large-scale bioenergy from addition-

                                                                                                                                                                       Originalarbeit
Bioökonomierat (2016): Holz in der Bioökonomie         of Over-Mature and Decaying Trees for Carbon              al harvest of forest biomass is neither sustainable
  – Chancen und Grenzen. BÖRMEMO 05,                   Stocks in a Central European Natural Spruce               nor greenhouse gas neutral. Global Change Bio-
  30.09.2016. 8 S.                                     Forest. Ecosystems 16, 336-346.                           logy Bioenergy, 1-6.
BMEL (2016a): Wald und Rohholzpotenzial der          Jedicke, E., Hakes, W. (2005): Management von            Seintsch, B. (2011): Der Rohstoff Holz zwischen
  nächsten 40 Jahre. Ausgewählte Ergebnisse der        Eichenwäldern im Rahmen der FFH-Richtlinie.               stofflicher und energetischer Verwertung. Vor-
  Waldentwicklungs- und Holzaufkommensmo-              Eichen-Verjüngung im Wirtschaftswald: durch               trag vom Johann Heinrich von Thünen-Institut
  dellierung 2013 bis 2052. Bonn, 64 S.                Prozessschutz ausgeschlossen? Naturschutz und             auf Herbstwaldtagung der Schutzgemeinschaft
– (2016b): Klimaschutz in der Land- und Forst-         Landschaftsplanung 37 (2), 37-45.                         Deutscher Wald, Bad Segeberg.
  wirtschaft sowie den nachgelagerten Bereichen      Krug, J., Köhl, M. (2010): Bedeutung der deut-           – (2014): Forstwirtschaft im Spannungsfeld stei-
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  lich bedeutsamer Ergebnisse der dritten Bundes-      Forstliche Versuchsanstalt und Niedersächsische
                                                                                                                                 ­arbeitet seit 1997 beim Natur-
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