Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, gefährlich, unmoralisch? - NABU Hessen
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Mark Harthun, Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, g efährlich, unmoralisch? Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, Originalarbeit gefährlich, unmoralisch? Entwicklung natürlicher Wälder in Hessen (III) – die Argumente der Kritiker Von Mark Harthun Abstracts Die Risiken, die Kritiker in natürlicher Waldentwicklung sehen, Natural forests: redundant, overpriced, dangerous, immoral? sind unbegründet. Der Klimawandel ist nicht nur kein Hindernis Development of natural forests in Hesse (III) für eine natürliche Entwicklung von Buchenwäldern, sondern macht diese besonders notwendig. Da die Menge an Laubholz The risks of natural forest development as identified by critics weiter zunimmt, führt ein Nutzungsverzicht auf 5 % des Waldes lack of substantiation. Climate change not only is no risk for a weder zu einem Versorgungsnotstand noch zu übermäßigen natural development of beech forests but rather makes them volkswirtschaftlichen Kosten, zum Verlust von Arbeitsplätzen more important than ever. Since the share of deciduous woods oder einer Intensivierung der forstlichen Nutzung des Wirt- will increase over the next decades the non-utilization of 5 % of schaftswaldes. Der Erhalt deutscher Laubwälder gefährdet w eder the forests will neither lead to a shortage of supply nor to exces- boreale noch tropische Wälder und ist eine Verpflichtung gegen sive costs for the national economy. It will also neither cause über der Welt und nachfolgenden Generationen. job losses nor the intensification of cultivated forests. 1 Einleitung 2 Die Buche als Klima-Verlierer? chen-Standorte auch künftig für den Bu- chen-Anbau geeignet sein (Abiy & Ullrich In einer dreiteiligen Serie wird am Beispiel Der Präsident der AGDW, Philipp Freiherr 2013, Beierkuhnlein et al. 2014, HLUG des Bundeslandes Hessen beleuchtet, wie zu Guttenberg, hält den Schutz von 2007). Gerade die Klimaänderung macht der aktuelle Stand natürlicher Wald Buchenwäldern für eine „gefährliche Schie- ein repräsentatives System von Naturwäl- entwicklung ist und welche fachlichen Kri- ne“ und hält die Buche (Fagus sylvatica) in dern notwendig, in denen ein möglicher terien zur Flächenauswahl anzulegen sind Deutschland offenbar für nicht überlebens- natürlicher Wandel der Baumartenzusam- (Harthun 2017a). In der zweiten Folge fähig: „Auch und gerade eine Buche ist mensetzung studiert werden kann (Abb. 1). wurde dargestellt, welche Vorteile große, nicht gewappnet, sich mit den prognosti- miteinander zusammenhängende Gebiete zierten Klimabedingungen zurechtzu 3 Rückgang der Artenvielfalt? gegenüber vielen kleinen haben (Harthun finden.“ Alternativen sollen die nicht hei- 2017b). mischen Douglasien (Pseudotsuga menzie- Noch weiter geht eine Argumentation, die Die vorliegende dritte Folge greift zahl- sii) und Roteichen (Quercus rubra) sein, durch die Entwicklung einer „Buchenmo- reiche Argumente auf, die im Zusammen- dabei haben in der Vergangenheit gerade nokultur“ in Naturwäldern sogar einen hang mit der Auswahl von Flächen gegen nicht heimische und nicht standortgerech- Rückgang der Artenvielfalt befürchtet: „Es natürliche Waldentwicklung vorgetragen te Baumarten zu Schädlingskalamitäten, gibt ein monotones, stufenloses Waldgefü- wurden. Die Diskussion, ob eine natürliche wie von Borkenkäfern, Maikäfer (Melolon- ge. Das heißt, die anderen Mischbaum Entwicklung von Wäldern auf 5 % der tha hippocastani) und Eichenprozessions- arten, wie z.B. Eiche, Ahorn, Linde, Kirsche, Waldfläche (BMUNR 2007) zugelassen spinner (Thaumetopoea processionae), und Esche usw. verschwinden komplett“ werden darf, wie es das Ziel der Hessischen zu Sturmwürfen geführt. Laut Möhring & (Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, Biodiversitätsstrategie (HMUKLV 2016) Wilhelm (2015) liegt die „Kalamitätsnut- Ortsverband Nidda 1/2016). Die Frankfur- und der hessischen Koalitionsvereinbarung zung“ der Fichte (Picea abies) bei 58 %. Das ter Allgemeine Zeitung titelte: „Der Urwald ist, weckt außergewöhnlich viele Emotio- heißt, nur 42 % werden planmäßig geern- von morgen wird dunkel und düster“ nen. tet, alles andere in Reaktion auf Schader- (18.08.2016). Bestimmender Faktor für die Manche Gegner zeichnen ein düsteres eignisse. Hier spielt offensichtlich das Ver- Artenvielfalt sei „die Artenvielfalt des Hol- Bild, wie Michael Rolland, Geschäftsführer wertungsinteresse eine größere Rolle als zes und nicht die Menge des Holzes“ der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Wald- der Wunsch nach Walderhalt im Klimawan- (Schulze et al. 2016). besitzerverbände, nach dem natürliche del: „Unsere Industrie ist auf Nadelhölzer Manche Forstbedienstete fürchten Waldentwicklung zu einem „stillgelegten ausgerichtet, und das wird sich in den Nachteile für die Bechsteinfledermaus toten Wald inmitten eines dann sterbenden nächsten zwanzig, dreißig Jahren eher (Myotis bechsteinii), die heute von alten ländlichen Raums“ führen würde (Holz- nicht ändern“ (Guttenberg 2016). Eichen (Quercus spec.) profitiert. Manch- Zentralblatt 22.08.2014). Dabei bleiben Stabilität versprechen vor allem natür- mal wird in der Debatte sogar der Eindruck gerade in natürlichen Wäldern die Bäume liche Wälder, in denen sich das Erbgut der erweckt, Bäume könnten von Natur aus gar vor der Säge verschont und erreichen neue Bäume derselben Art sehr stark voneinan- nicht wachsen: Die Fällung von Bäumen Dimensionen in Alter, Höhe, Stammdicke der unterscheidet, was Anpassungsprozes- sei nötig, um „Licht und Raum für neues und Artenvielfalt, die in Wirtschafts se möglich macht. Trotz Klimaerwärmung Leben“ im Wald zu schaffen (so die FAZ wäldern nicht möglich sind. wird die Mehrzahl der bestehenden Bu- am 27.05.2016). Naturschutz und Landschaftsplanung 49 (6), 2017, 195-201, ISSN 0940-6808 195
Mark Harthun, Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, g efährlich, unmoralisch? Originalarbeit Abb. 1: Künftiger natürlicher Wald Wispertaunus: Auf Vorschlag der Naturschutzverbände (NABU Hessen & BUND Hessen 1994, ZGF et al. 2015) wurde im Hinter- landswald 2016 eine 1 088 ha große Waldfläche aus der Nutzung genommen. © NABU/Manfred Delpho Future natural forest “Wispertaunus”: On proposal of NGOs an area of 1,088 ha was taken out of utilization in 2016. Dieser Mythos vom artenarmen Buchen- pseudoplatanus) bieten auf 116 ha neben alten Laubwälder mit spezieller Bevorzu- wald wird durch die 26-jährige hessische der Buche einem breiten Spektrum von gung von alten Eichen- und Buchenwäl- Naturwaldreservate-Forschung widerlegt, Tierarten Lebensraum (Menzlner & Sa- dern (Dietz 2013). wonach in unseren Buchenwäldern deut- witzky 2015). In nassen Quelllagen ist die Das Vorkommen der Lichtbaumart Ei- lich mehr als 7 500 Arten leben (Hessen- Erle (Alnus glutinosa) der Buche überlegen, che sollte kein Hinderungsgrund für die Forst 2005). Dass Prozessschutz zum Ver- an trockenen Südhängen die Hainbuche, Auswahl künftiger Naturwälder sein. Ei- schwinden anderer Baumarten führt, könn- in schattigen Schlucht- und Hangwäldern chen werden trotz der Konkurrenz durch te allenfalls in den kleinen, nutzungsfreien die Bergulme (Ulmus glabra), die Esche die Buche im natürlichen Wald ein wesent- Kernflächen passieren, die vom Landesbe- und der Berg-Ahorn. lich höheres Alter erreichen als im Wirt- trieb HessenForst ausgewählt wurden. Bei Bilanzen der Artenvielfalt ist zudem schaftswald, wo sie geerntet werden, lange Zwar kann es auf Normalstandorten zur zu beachten, dass gar nicht die Artenzahl bevor sie ihr großes Potenzial als Habitat- Verdrängung von ehemals forstlich geför- in einem Gebiet entscheidend ist, sondern bäume erreichen. Vitale Eichen mittleren derten Nebenbaumarten kommen (vgl. vielmehr die Frage, ob diese Arten auch Alters sind gar nicht so artenreich wie ihr Menzler & Sawitzky 2015), weil natur- lebensraumtypisch sind (Klasse statt Mas- Ruf. Alte, anbrüchige Buchen sind Lebens- nahe Buchenwälder häufig arm an Misch- se). Dass Naturwälder die Aufgabe haben, raum für eine um 35 % höhere Artenzahl baumarten sind. „Diese Tatsache ist kein Artenzahlen innerhalb eines Gebietes zu als vitale Eichen (Müller 2005). Entschei- Mangel, sondern ein wesentliches Kenn- maximieren, ist ein Missverständnis. Sie dend für den Naturschutz ist also, dass zeichen, das für die Erhaltung einer typi- können vielmehr dazu beitragen, ergän- Eichen sehr alt werden, und dies gelingt in schen Lebensgemeinschaft von großer zend zu dem Schutz der Kulturlandschaften Hessen in der Regel nur bei Nutzungsver- Bedeutung ist“ (Ammer & Utschick 2004 durch den Schutz spezifischer, waldgebun- zicht in Naturwäldern (Abb. 3, Jedicke & in Meyer & Schmidt 2008). Große Natur- dener Arten (Winter et al. 2016) die Ar- Hakes 2005). Nach einem Reisebericht von wälder werden aber aufgrund ihrer Stand- tenvielfalt in Deutschland insgesamt zu Georg Sperber aus den Buchen-Urwäldern ortvielfalt auch die Baumartenvielfalt erhöhen. Viele im Wirtschaftswald vorkom- im Iran ist Eichennachwuchs zwar rar, aber bewahren. Jeder vom Wind geworfene mende Arten sind bezüglich ihrer Lebens- offenbar ausreichend, um den Arterhalt zu oder abgestorbene Baum schafft Licht und raumansprüche flexible Arten, die auch im sichern. Angesichts eines Baumalters von Raum für Naturverjüngung. Offenland vorkommen. Andere, vor allem vielen hundert Jahren können auch kurze Im hessischen Nationalpark Kellerwald- lichtliebende Arten, sind die Folge forst- Phasen der Verjüngung zum Erhalt der Ei- Edersee (5 745 ha) geht man davon aus, wirtschaftlicher Maßnahmen, wie der An- che genügen. Zur Förderung der Eiche dass sich andere Waldgesellschaften auf lage und Pflege von Forstwegen oder der verbleiben zudem noch viele Möglichkeiten azonalen und extrazonalen Standorten Auflichtung von Wäldern (vgl. auch Stör- auf 95 % der Waldfläche, die weiter bewirt- sogar von 83 ha auf über 180 ha ausweiten und Stickstoffzeiger, Schmidt 2013). Sie schaftet wird. werden. Die Krautschicht ist sehr vielge- sind also weder waldtypisch, noch bedür- staltig und 24 andere einheimische Bau- fen sie dort des Schutzes (Abb. 2). 4 Volkswirtschaftliche Verluste? marten wie Traubeneiche (Quercus pet- Die Bechsteinfledermaus hat nichts zu raea), Hainbuche (Carpinus betulus), Esche befürchten, denn sie ist nicht von Eichen Manche Autoren beschwören dramatische (Fraxinus excelsior) und Bergahorn (Acer abhängig, sondern eine typische Art der volkswirtschaftliche Kosten durch natürli- 196 Naturschutz und Landschaftsplanung 49 (6), 2017, 195-201, ISSN 0940-6808
Mark Harthun, Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, g efährlich, unmoralisch? che Waldentwicklung. Demnach stelle Na- Originalarbeit turschutz „auch eine Bewirtschaftung von Wald dar“. Daher müsste für Naturschutz zwingend eine Bestimmung der „Verzichts- kosten“ erfolgen (Seintsch 2014). Bei dieser Argumentation wird also von einem Recht zur Naturnutzung ausgegangen. Es stellt sich dann die Frage, ob dann auch für den Nutzungsverzicht anderer Ressourcen, wie die Abkehr von der Atomenergie, von der Kohlenutzung, bei Beschränkungen der Überfischung der Meere oder beim Schutz der Tropischen Regenwälder jeweils „Ver- zichtskosten“ durch die Gesellschaft zu erbringen sind? Und offen ist die Frage, wer den Anspruch auf eine Entschädigung haben soll. Obwohl der Staatswald Eigen- tum der Bürger ist und die Gesellschaft den Waldaufbau seit über hundert Jahren auch schon finanziert hat, müssen in einigen Bundesländern die Bürger nun erneut Ent- schädigung für das Stehenlassen der Bäu- me zahlen. Abb. 2: Durch hohe Nutzungsansätze stark aufgelichtete Bestände (hier: Dünsberg in Mittelhessen) bieten Bei einer Betrachtung über scheinbar anspruchsvollen Waldarten keine Heimat mehr. Nur in natürlichen Wäldern behalten alte Bestände ihre Ge- entgangene Einnahmen bei einem Nut- schlossenheit und Ruhe für störungsempfindliche Arten. © NABU/Mark Harthun zungsverzicht muss berücksichtigt werden, Heavily harvested forests fail to provide habitats for rather rare forest species. Only within near-natural or dass trotz der in den letzten Jahren aus der natural forests old stands keep their closeness and quiescence for species sensitive to disturbance. Nutzung genommenen Wälder die Hol- zernte gar nicht gesunken ist. Auch der Vorrat nahm in den letzten zehn Jahren zu. finanzieren (Baukosten 282 Mio. €, HNA Eine natürliche Waldentwicklung dient Der Holzzuwachs liegt in Hessen um 10 % 31.05.2016). daher dem Gemeinwohl. Anderswo werden höher als die im Staatswald geerntete Holz- Die Forstwirtschaft hat in Europa mit im Gemeinwohlinteresse hohe Summen menge von 1,97 Mio. m³. Auch bundesweit Ausnahme der skandinavischen Länder investiert: Für den Landesstraßenbau ver- stieg die Holzernte trotz der Ausweisung eine eher untergeordnete wirtschaftliche ausgabt Hessen jährlich 90 Mio. € (www. von Naturwaldentwicklungsflächen von 50 und gesellschaftliche Bedeutung. Laut dem finanzen.hessen.de, 14.11.2016). Den Er- Mio. m³/Jahr (BWI²) auf 75,6 Mio. m³/Jahr Hessischen Statistischen Landesamt be- halt der Agrarlandschaft lassen wir uns (BWI³) bei gleichzeitiger Zunahme des trägt der Anteil von Land-, Forstwirtschaft bundesweit jährlich sogar 6,8 Mrd. € an Vorrats von 3,4 Mrd. m³ auf 3,6 Mrd. m³ und Fischerei zusammen an der Brutto- Subventionen kosten (2015). Der Erhalt weiter an. wertschöpfung in Hessen nur 0,26 % (Sta- natürlicher Wälder aber darf nichts kosten, Zweck eines Landesbetriebs sollte auch tistische Berichte, März 2016). Selbst wenn ja nicht einmal die potenzielle Steigerung gar nicht der maximale Gewinn sein: Das es davon eine geringfügige Abweichung von Einnahmen mindern? Bundesverfassungsgericht stellte am 30. durch die Entwicklung natürlicher Wälder Der Bund Deutscher Forstleute befürch- Mai 1990 heraus: „Die Bewirtschaftung gäbe, hätte dies kaum messbare volkswirt- tet, „bei Segregation stillgelegter Flächen des … Staatswaldes …dient der Umwelt- schaftliche Effekte. Auch stehen dem zahl- und bleibender Gewinnerwartung gibt es und Erholungsfunktion des Waldes, nicht reiche nicht monetarisierbare Ökosystem- auf der verkleinerten Fläche für die Forst- der Sicherung von Absatz und Verwertung dienstleistungen (Bodenschutz, Trinkwas- wirtschaft keine Alternative zur Intensivie- forstwirtschaftlicher Erzeugnisse“. Der ser, Klimaschutz, Hochwasserschutz, Ero- rung“ (BDF 2016). Dazu stellte das hessi- Beitrag zum hessischen Landeshaushalt sionsschutz, Artenschutz, Erholung …) sche Umweltministerium aber klar: „Aus durch die forstwirtschaftlichen Erlöse gegenüber. dem Landeshaushalt werden [dem Landes- (HessenForst-Überschuss 2014: 8 Mio. €, Gegner natürlicher Waldentwicklung betrieb HessenForst für die 5 950 ha Kern- 2015: 5,5 Mio. Euro) ist, gemessen an den verspotten das Bedürfnis nach natürlicher flächen der 2. Tranche, Anm. d. Autors] Gesamtausgaben von 25,9 Mrd. € (2016), Waldentwicklung manchmal als „naiv- jährlich 1,3 Mio. € zur Verfügung gestellt, gering und reicht gerade einmal, um das verklärte Waldsicht eines Großteils der um die entgangenen Erlöse zu kompensie- jährliche Betriebsdefizit des sinnfreien großstädtischen Bevölkerung“ (FAZ-Kom- ren. Damit stellen wir sicher, dass kein Flughafens Kassel-Calden zu decken. Bei mentar 27.05.2016). Dabei wird ausge- ökonomischer Druck auf die verbleibenden einem vorgegebenen Konsolidierungsbei- blendet, dass inzwischen in Hessen eine Flächen im Staatswald entsteht“ (HMUKLV, trag für den Landeshaushalt von insgesamt Bevölkerungsmehrheit (53 %) in Städten Pressemitteilung 25.05.2016). Einerseits 50 Mio. € bis 2019 (HMUKLV-Erlass, 19. mit über 20 000 Einwohnern lebt (atlas. darf man kritisch hinterfragen, warum das Juli 2016), bzw. 10 Mio. €/Jahr (Hessen- umwelt.hessen.de, 28.10.2016). Die Er- Land Entschädigung für Nutzungsverzicht Forst 2015), wird der Landesbetrieb Hes- wartungen an den Wald sind heute nicht in seinem eigenen Wald zahlen soll. An- sen-Forst allein 28 Jahre unter Druck ge- mehr dieselben wie vor 50 Jahren. Der derseits ist eine Verschiebung von Geld setzt, um die politische Fehlentscheidung Erholungs- und Erlebniswert hat erheb- zwischen Land und Landesbetrieb mit sei- zum Bau des Flughafens Kassel-Calden zu lich an Bedeutung gewonnen (Mues 2015). nen Landesbediensteten auch nicht wirk- Naturschutz und Landschaftsplanung 49 (6), 2017, 195-201, ISSN 0940-6808 197
Mark Harthun, Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, g efährlich, unmoralisch? Originalarbeit Abb. 3: In Wirtschaftswäldern werden Eichen zwar gepflegt, aber nicht ge- Abb. 4: Fichtenwälder im Vogelsberg. Ein Klimaschutzgutachten für das BMEL schützt. Ein hohes Alter können sie nur in Naturwäldern erreichen. (2016b) empfiehlt den Anbau von bis zu 70 % Nadelholz, auch stärker mit nicht- © NABU/Mark Harthun heimischen Arten wie Douglasie, Küstentanne und Schwarzkiefer. In cultivated forests oak trees are maintained but they are not protected. Only with- © NABU/Berthold Langenhorst in natural forests they can become really old. Spruce forests in the mountains of the Vogelsberg. The climate report for a German ministry recommends a share of up to 70% of conifers, and additionally suggests non-native species like Douglas fir, Giant fir and Austrian pine. lich eine neue Ausgabe. In Nordrhein- zicht (FAZ 27.05.2016) beziehen sich auf künftig für ganz Deutschland angeblich 7,6 Westfalen erhält der Landesbetrieb Wald Berechnungen zum Cluster „Forst und Mio. Erntefestmeter pro Jahr, so Schulze und Holz allerdings nur etwa die Hälfte an Holz“. Allein in Hessen werden diesem et al. (2016). Dass diese Rechnung absurd Entschädigung (120 €/ha, Woike & Kaiser Cluster 57 000 Arbeitnehmer in 11 000 Un- ist, zeigt das Beispiel Hessen, wo trotz des 2014). ternehmen zugerechnet. Davon entfallen Nutzungsverzichts die geerntete Holzmen- Laut dem Bund Deutscher Forstleute allerdings lediglich 5 300 auf das Holzge- ge im Staatswald in den letzten zehn Jah- bedeuten 100 ha stillgelegter Wald den werbe. Der große Rest mit einem Anteil ren nicht abnahm, sondern von einer Verlust von vier bis sechs Arbeitsplätzen von gut 90 % arbeitet im Verlags- und sturmbedingten Ausnahme abgesehen (BDFaktuell 11/2016). Dann müssten Druck-, Möbel-, Schmuck-, Musikinstru- recht konstant bei ca. 2 Mio. Efm lag. durch die hessischen Kernflächen 1 000 bis mente-, Sportgeräte-, Spielwaren- oder Insbesondere die Säge- und Holzindus- 1 500 Arbeitsplätze verloren gegangen sein Papiergewerbe (www.umweltministerium. trie befürchtet eine Holzknappheit durch – einen Beleg dafür liefert der BDF nicht. hessen.de, 13.09.2016). Flächenstilllegung. Dabei verfügt Deutsch- Da die Holzernte nicht sinkt und Entschä- Der Cluster umfasst also eine sehr hete- land über die größten Holzressourcen in digungen an den Landesbetrieb Hessen- rogene Branche und vereinnahmt auch Europa (www.finanzen.net). Wenn das Forst gezahlt werden, sind Aussagen, dass viele Betriebe, die nicht zwingend auf Holz 5-%-Ziel vollständig umgesetzt wird, ver- eine große Zahl von Arbeitsplätzen durch angewiesen sind. Laut dem Hessischen bleiben immer noch 788 500 ha Wirt- natürliche Waldentwicklung verloren ge- Statistischen Landesamt hat die Land-, schaftswald in Hessen. Das ist immer noch hen würde, nicht nachvollziehbar. Zudem Forstwirtschaft und Fischerei zusammen deutlich mehr als in Sachsen, Thüringen, ist der Personalhaushalt des Landesbetriebs lediglich einen Anteil von 0,89 % aller Er- Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen- bereits auf einen hohen Anteil kaum ge- werbstätigen in Hessen (2015: 29 700, Anhalt oder in ganzen Staaten wie Däne- nutzter Grenzwirtschaftswälder (W.a.r.B. https://statistik.hessen.de). mark, Irland und Belgien, die teilweise im hessischen Staats-, Körperschafts- und Gerade große natürliche Wälder bieten sogar selbst den Nutzungsverzicht von Gemeinschaftswald 38 670 ha!) und gänz- aber auch Potenzial für neue Arbeitsplätze, Waldanteilen vorantreiben. Es ist daher lich nutzungsfreien Wald mit geringerer z.B. durch fachliche und pädagogische Be- unglaubwürdig, wenn der Eindruck er- Beschäftigungsintensität eingestellt. Laut sucherbetreuung, Umweltbildungsangebo- weckt wird, es drohe der Niedergang der Aussage des Leiters des Landesbetriebs, te, Umweltforschung, Monitoring, Touris- Säge- und Holzindustrie, wenn der nutz- Michael Gerst, führt die Ausweisung von mus und Gastronomie. bare Waldanteil um wenige Prozentpunk- Kernflächen nicht zu Kündigungen, da Per- te sinkt. sonalabbau nur mittelfristig im Rahmen 5 Versorgungsnotstand? Auch in Zukunft bleibt das Rohholzpo- einer ohnehin vorgesehenen Umstruktu- tenzial laut einer Studie des Bundesland- rierung erfolgt (mdl. Mitt., 16.03.2016). Schwer nachvollziehbar ist die Angst um wirtschaftsministeriums (Thünen-Institut Bei der Frage der Sicherung von Arbeits- die Versorgungssicherheit, wenn nur noch für Waldökosysteme) bis 2052 bei durch- plätzen in der Forstwirtschaft sollten daher auf 95 % der Waldfläche Holzernte möglich schnittlich 77,7 Mio. m³ auf dem gleichen eher die Reformprozesse innerhalb des sei. Da wird angekündigt, künftig müssten Niveau, wie in den letzten Jahren – und Landesbetriebs und die Vergabepraxis an wir Brennholz „aus Südamerika oder Sibi- das, obwohl diese Studie bereits 450 000 ha ausländische Unternehmen kritisch hinter- rien kommen lassen“ (Schutzgemeinschaft Wälder ohne Nutzung und 489 000 ha mit fragt werden. Deutscher Wald Nidda, Rundschreiben eingeschränkter Nutzung eingerechnet hat. Häufig genannte hohe Zahlen von Ar- 1/16). Der Ernteverlust durch Flächenstill- Es wird bis 2027 deutlich mehr Buche zur beitsplatzverlusten durch Nutzungsver- legung und FSC-Referenzflächen betrage Verfügung stehen (+59 %), als laut BWI³ 198 Naturschutz und Landschaftsplanung 49 (6), 2017, 195-201, ISSN 0940-6808
Mark Harthun, Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, g efährlich, unmoralisch? bisher genutzt wurde. Auch im Fallbeispiel tung würde also die Konkurrenz zwischen des Vorratsaufbaus der Zuwachs stagniere Originalarbeit Hessen steht bis 2052 mehr Buchenholz Holzindustrie und Naturschutz vermin- und sich ein Gleichgewicht zwischen zur Verfügung, als vor 2012 genutzt wurde dern. Wachstum und Verrottung einstellen wür- (BMEL 2016a). Der Holzvorrat der Laub- Ein Problem entsteht erst bei starker de (Old-Growth-Equilibrium-Hypothese bäume nahm in Deutschland in der Zeit Steigerung des Holzverbrauchs: Manche von Odum 1969, Krug & Köhl 2010). Zahl- von 2002 bis 2012 laut Bundeswaldinven- Schätzungen gehen davon aus, dass 2020 reiche Analysen haben aber inzwischen tur um 14,1 % zu (Hennenberg et al. 2015) am Holzmarkt durch steigenden Verbrauch belegt, dass Naturwälder Kohlenstoffsen- und wird weiter zunehmen: Insgesamt eine „Versorgungslücke“ von rund 30 Mio. ken darstellen, weil sie Kohlenstoffdioxid wird auch von einem weiter ansteigenden m³ pro Jahr in Deutschland entstehen wird binden und für mehrere hundert Jahre als Vorrat der Holzartengruppe Buche um 9 % (DBFZ 2011 in Umweltbundesamt 2016). Holzvorrat und im Boden festlegen (Luys- bis 2052 ausgegangen (Holz gesamt: von Daher weist auch die Waldstrategie 2020 saert et al. 2008). In Niedersächsischen 345 Vfm/ha auf 364 Vfm/ha, BMEL 2016a). der Bundesregierung eine gewünschte Nut- Naturwaldreservaten zeigt sich sehr rasch, Eine Studie der TU München zeigte, dass zungssteigerung auf rund 100 Mio. m³/ wie schnell der Holzvorrat in Naturwäldern die Bäume seit den 1960er-Jahren durch Jahr aus. Eine Verschärfung der Konflikte zunimmt: Die über 40 Jahre bestehenden Klimawandel und längere Vegetationszeit ist durch eine wachsende Bioökonomie Gebiete haben häufig Vorratshöhen zwi- sowie durch steigende CO2- und Stickstoff- (Bsp. Bioraffinerie-Anlagen) zu erwarten. schen 600 und 800 m³ je Hektar (NW-FVA konzentration in der Luft deutlich schneller So sind die im September 2016 von einem 2015). wachsen: Buchenbestände um 30 %, Fich- Beratungsgremium der Bundesregierung In einer aktuellen Meta-Analyse konn- tenbestände um 10 % (Natur in NRW 4/14, vorgelegten Forderungen zur Verringerung ten Stephenson et al. (2014) zeigen, dass S. 4). des Nutzungsalters und der Absenkung der die Wachstumsgeschwindigkeit und damit „Aktuell wird etwa ein Drittel des in Holzvorräte (Bioökonomierat 2016) mit die Rate der Kohlenstoffbindung mit zu- Deutschland geschlagenen Holzes ver- der nationalen Strategie zur biologischen nehmendem Baumalter steigt. Als Folge brannt. Werden Sägenebenprodukte, Rest- Vielfalt und dem Grundsatz der Nachhal- davon können Bäume auch in späten Wald- und Althölzer mitbetrachtet, erhöht sich tigkeit unvereinbar. Statt einer Intensivie- entwicklungsphasen wesentlich mehr at- der Anteil der energetischen Verwendung rung der Waldnutzung und einer Subven- mosphärischen Kohlenstoff in der Biomas- auf etwa die Hälfte des Holzaufkommens tionierung der energetischen Holzverwer- se binden als jüngere Bäume (Jacob et al. in Deutschland“ (Bioökonomierat 2016, tung muss die Energieeffizienz gesteigert 2013). Die Verweildauer des Kohlenstoffs Mantau 2012). Aus der anderen Hälfte und die langlebige, stoffliche Nutzung ist in natürlichen Wäldern bei weitem län- werden zu großen Teilen kurzlebige und gefördert werden. ger als in Wirtschaftswäldern (Luyssaert Verpackungsprodukte erzeugt. Solange wir Die Sägeindustrie hat in erster Linie ein et al. 2008). Hingegen stellt eine zuneh- uns solch eine Vergeudung von Rohstoff Interesse an Nadelholz. In den Naturwald- mende Intensivierung der Waldnutzung erlauben können, ist Holz nicht knapp. Entwicklungsflächen werden aber ganz eine Gefahr für die gegenwärtige Leistung Insgesamt wird mittelfristig eine leicht stei- überwiegend Laubwälder aus der Nutzung als Kohlenstoff-Senke dar (Schulze et al. gende Nachfrage erwartet. Dies führt trotz genommen: 87,3 % der hessischen Kern- 2012). Nach Krug & Köhl (2010) ist die leicht sinkender Zuwächse zu keinen star- flächen sind Laubholz (HessenForst, Senkenleistung aus Waldbewirtschaftung ken Veränderungen des Rohholzpotenzials schriftl. Mitt. 07.07.2016). Und selbst die seit 1990 kontinuierlich gesunken. Prog- von Laubholz (Dunger & Rock 2009). Wer geringen Nadelholzanteile können in man- nosen gehen davon aus, dass die Wälder behauptet, Laubholz sei knapp, sollte zu- chen Kernflächen in einem Übergangszeit- in Deutschland in naher Zukunft aufgrund nächst den Export hinterfragen. Denn raum noch entnommen werden. Es gibt der weiter steigenden Holznutzung von Deutschland ist Netto-Exporteur von Laub- daher keine Konkurrenzsituation zwischen einer CO2-Senke zu einer CO2-Quelle wer- holz (Seintsch & Weimar 2013). 2015 lag dem Nutzungsinteresse an Buche als Bau- den. der Import von Laubschnittholz bei oder Möbelholz und natürlicher Waldent- Die CO2-Bindung in Holzprodukten 402 000 m³, der Export bei 684 000 m³ wicklung. Wer Holzmangel durch Natur- wird oft idealisiert dargestellt, denn die (www.forstpraxis.de, Holzmarktinfo nach wälder beklagt, hat daher entweder ein CO2-Freisetzung wird hier nur zeitlich ver- Statistischem Bundesamt, 11.03.2016). Interesse an einer gesteigerten energeti- schoben. Das in Holzprodukten gebundene Diese exportierte Menge übertrifft die ge- schen Verwertung (Verbrennung) von Holz CO2 wird nach relativ kurzer Zeit wieder samte Laubholz-Nutzung von Mecklen- oder er wünscht sich in den potenziellen freigesetzt (mittlere Verweilzeit ca. 10-20 burg-Vorpommern (2015: 624 390 m³, Schutzgebieten den Umbau von Buche zu Jahre; Mund & Schulze 2006). Nach Holzeinschlagsstatistik https://de.statista. Nadelholz (Abb. 4). Für die Erhöhung von Profft et al. (2009) zeigten Untersuchun- com, 27.09.2016). Nadelwaldanteilen bestehen aber auf den gen in Thüringen, dass nur 22 % der Hol- Dem von Forstseite manchmal formu- übrigen 95 % der Waldfläche noch genü- zernte als langlebiges Konstruktionsholz lierten Anspruch „Wir müssen die Bedürf- gend Möglichkeiten. Die Entwicklung na- (> 50 Jahre) genutzt wurden. Buchenholz, nisse der Weltbevölkerung befriedigen“ türlicher Wälder stellt also keine Bedro- das ja ganz überwiegend in den für Hessen wird ein kleines Land wie Deutschland hung unseres heutigen Lebensstils dar. ausgewählten und vorgeschlagenen hessi- niemals gerecht werden können. Volkswirt- schen Naturwäldern wächst, wird nur zu schaftlich ist der Export von Laubholz als 6 Verschärfung des Klimawandels? einem sehr geringen Anteil im Bausektor Rohstoff und der Reimport der veredelten, oder für Möbel verwendet. Laubholz wird teuren Endprodukte fragwürdig. Nach Aus- Es greift auch nicht das gern genutzte Ar- zu über 70 % verbrannt (Seintsch 2011). sage der Deutschen Säge- und Holzindus- gument, natürliche Waldentwicklung wür- Die Bedeutung des nachwachsenden Roh- trie werden durch den Rundholzexport und de den Klimawandel verschärfen. Demnach stoffs für den Klimaschutz ist diesbezüglich die fehlende Weiterverarbeitung rund sei eine langfristige CO2-Reduzierung nur sehr begrenzt: Selbst wenn wir unser ge- 6 000 Arbeitsplätze nach Asien verlagert durch mehr Holzprodukte möglich, da im samtes Holz verbrennen würden, würde (DESH 2013). Eine standortnahe Verwer- natürlichen Wald nach einer kurzen Phase dies beim derzeitigen hohen Energiebedarf Naturschutz und Landschaftsplanung 49 (6), 2017, 195-201, ISSN 0940-6808 199
Mark Harthun, Natürliche Wälder: Unnötig, zu teuer, g efährlich, unmoralisch? nur zu einem Anteil von 5 % der Gesamt- weit knapp 4 Mio. m³, Seintsch & Weimar Barrier Reaf. So wie wir von anderen Län- Originalarbeit energieproduktion (Wärme, Strom, Treib- 2013), die in den hessischen Naturwald- dern den Schutz von tropischen Regenwäl- stoff) beitragen. Daher ist es wirksamer, entwicklungsgebieten mit nur 12 % Flä- dern oder Savannen einfordern, so ist es den Energiebedarf zu senken und das ge- chenanteil enthalten sind. Ein vermehrter ein Gebot der globalen Gerechtigkeit, dass erntete Holz zu dauerhaften, hochwertigen Einschlag heimischer Laubwälder würde auch Deutschland als eines der reichsten Produkten zu verarbeiten. deshalb nicht zu geringeren Holzimporten Länder auf die wirtschaftliche Nutzung Klimaschutzrelevant ist daher in erster aus borealen Nadelwäldern führen. Auch eines kleinen Anteils seines Landes verzich- Linie die Substitution anderer, energiein- Tropenwaldzerstörung hat nichts mit dem tet (SRU 2016). Die Glaubwürdigkeit tensiver Bauprodukte (wie Aluminium, Nutzungsverzicht von Buchenwäldern zu Deutschlands in Sachen Naturschutz steht Stahl, Kunststoff) oder fossiler Brennstoffe. tun. Hauptverursacher der Tropenwaldzer- hier auf dem Spiel. Ab einer Größe von über Laut dem Deutschen Forstwirtschaftsrat störung sind die Palmöl- und Sojaproduk- 1 000 ha können Gebiete auch in Deutsch- bedeutet ein Nutzungsverzicht auf 5 % der tion und die „Landgewinnung“ für die land die Mindestkriterien für Wildnisge- deutschen Waldfläche den Verzicht auf Viehwirtschaft. biete (Finck et al. 2015) erfüllen. Mit dem 4 Mio. m³ Holz pro Jahr. Daraus folgert er, Von 2004 bis 2010 war Deutschland Anstoß der Entwicklung großer natürlicher dass dann etwa 3 Mio. Tonnen des klima- Netto-Exporteur von Holz und Holzproduk- Wälder (Harthun 2017a, b) geben wir schädlichen Treibhausgases CO2 nicht ge- ten. 2011 und 2012 überwogen geringfügig künftigen Generationen die Chance zum bunden würden (Engel et al. 2016). An- die Importe (2012 Importe: 124,4 Mio. m³, Erleben einer biologischen Vielfalt, von gesichts von bundesweit allein 745 Mio. Exporte: 122,8 Mio. m³, Rohholzäquiva- natürlichen Prozessen und Ökosystemleis- Tonnen energiebedingten CO2-Emissionen lente, Seintsch & Weimar 2013). Schulze tungen, die unserer Generation in Deutsch- (2014, www.umweltbundesamt.de) ist et al. (2016) rechnen vor, dass Holzimpor- land leider verwehrt geblieben ist. diese Bindung von Kohlendioxid jedoch te verwerflich seien, weil dort wegen nicht der entscheidende Schritt zum Kli- schlechter forstwirtschaftlicher Standards Literatur maschutz. Viel effektiver wäre die Vermei- nur eine Ernte von 50-100 Efm pro Hektar Abiy, M., Ullrich, T. (2013): Die neuen Wuchszo- dung des CO2-Ausstoßes durch die Abschal- den Holzmarkt erreichen würden, bei uns nen- und Klimafeuchtekarten für Hessen. FENA- tung von Kohlekraftwerken: So setzte das deutlich mehr. Nicht begründet wird dabei, Jahresber. 2012/2013, 22-25. Kraftwerk Neurath in Nordrhein-Westfalen wie denn andere Regierungen dazu ge- BDF (2016): Offener Brief des BDF Hessen an die 32 Mio. Tonnen CO2 im Jahr 2015 frei. Da bracht werden sollen, auf naturgemäßen hessische Staatsministerin Hinz. BDFaktuell (5), 26. ein Raummeter Buche 844 kg CO2 freisetzt Waldbau umzuschwenken, wenn wir un- Beierkuhnlein, C., Jentsch, A., Reineking, B., (Ammer mdl. Göttingen 27.11.2014), sere Holzimporte beenden. Nicht die In- Schlumprecht, H., Ellwanger, G. (2014): Aus- müssten 38 Mio. Festmeter Holz jährlich tensivierung der Waldnutzung in Deutsch- wirkungen des Klimawandels auf Fauna, Flora genutzt werden, um nur dieses eine Koh- land dient dem Schutz von Urwäldern und und Lebensräume sowie Anpassungsstrategien lekraftwerk zu kompensieren, also dreimal der Verbesserung von forstwirtschaftlichen so viel Buchenholz, wie heute deutschland- Standards im Ausland, sondern eine vor- Fazit für die Praxis weit geerntet wird. Die politische Halbher- bildliche, glaubwürdige Entwicklung na- zigkeit beim „Klimaschutzplan 2050“ der türlicher Wälder bei uns, eine wirklich Natürliche Waldentwicklung stellt keine Bundesregierung insbesondere bezüglich nachhaltige Nutzung der bewirtschafteten Gefahr dar – weder für die Natur, noch für des Kohleausstiegs kann nicht mit einer Wälder und aufgeklärte Verbraucher. Denn unseren Wohlstand. Angesichts des Klima- intensivierten Forstwirtschaft zu Lasten der es liegt in unserer Hand, welches Holz aus wandels sind ungenutzte Wälder wichtig, Biodiversität aufgefangen werden. welchen Standards wir importieren. um natürliche Veränderungen der Baum artenzusammensetzung beobachten zu 7 Tropenwaldzerstörung und 8 Wildnis nicht erreichbar? können. Für eine Steigerung der Artenviel- Raubbau durch Importe aus falt in Deutschland ist es nötig, Buchen Manche Kritiker legen hohe Maßstäbe an: wälder in Naturschutzgebieten uralt werden dem Ausland? zu lassen und auf forstliche Eingriffe zu Wildnis wie in Amerika mit Bären und Wi- verzichten. Naturwaldentwicklung kann so Argumentiert wird auch, die Zulassung von senten sei in Deutschland nicht erreichbar über Jahrhunderte zur CO2-Bindung und natürlicher Waldentwicklung in Deutsch- und damit eine natürliche Waldentwick- damit zum Klimaschutz beitragen. Gemein- land würde zum Import von Holz aus dem lung bei uns generell sinnlos. Guttenberg sam mit Maßnahmen zur Dekarbonisierung Ausland mit schlechten Standards führen. (2016) sagt: „Urwald bei uns ist künstlich“, lässt sich Klimaschutz so effizienter um Jahrzehntelang hätte die Forstwirtschaft dabei trifft diese Beschreibung wohl eher setzen als durch intensivere Holznutzung auf Autarkie hingearbeitet und werde nun auf die Forstwirtschaft zu. Dabei wird ver- (Substitution). Die Politik sollte diese Chance durch den Naturschutz zu Importen mit kannt, dass wir eine globale Verantwortung ergreifen: Bäume wachsen heute durch CO2, umweltbelastenden Transportwegen ge- für die Entwicklung und Erhaltung von NOx und höhere Temperaturen schneller als zwungen. So beklagt die Schutzgemein- natürlichen Ausprägungen der Rotbuchen- früher. Die Holzernte ist in den letzten Jah- schaft Deutscher Wald Hessen: „Wir sollten wälder haben, deren Verbreitungsareal zu ren trotz der Ausweisung von Naturwäldern aufhören immer mehr Wald stillzulegen einem Viertel in Deutschland liegt. Nicht gestiegen, nicht gesunken. Die Holzvorräte und somit den Raubbau an den Wäldern nur gegenüber der Welt, sondern auch ge- nehmen zu. Allerdings muss die Gesell- der Tropen und der borealen Nadelwälder genüber nachfolgenden Generationen. schaft auch gegensteuern: Statt einer Stei- zu forcieren“ (UnserWald 4/2014). „Hier Nicht umsonst gibt es das UNESCO-Welt- gerung des Holzverbrauchs auf 100 Mio m3/ wäre dann ein Raubbau in Urwäldern zu naturerbe „Buchenurwälder der Karpaten Jahr sollte die Subventionierung der ener befürchten“ (HessenForst 2012, Schulze und Alte Buchenwälder Deutschlands“, getischen Holzverwertung vermindert, die et al. 2016). welches deutlich macht, dass wir für unse- Energieeffizienz gesteigert und die lang Importiert werden aber in erster Linie re Buchenwälder die gleiche Verantwor- lebige, stoffliche Nutzung gefördert werden. Nadelhölzer (Rohholzimport 2012 bundes- tung haben wie Australien für das Great 200 Naturschutz und Landschaftsplanung 49 (6), 2017, 195-201, ISSN 0940-6808
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