Nazareth Brief Diakonische Gemeinschaft - UND - Diakonische Gemeinschaft Nazareth

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Nazareth Brief Diakonische Gemeinschaft - UND - Diakonische Gemeinschaft Nazareth
Nr. 1/2022
                                                          www.nazareth.de

              Nazareth
              Brief            Diakonische Gemeinschaft
                               Nazareth                   UND

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Nazareth Brief Diakonische Gemeinschaft - UND - Diakonische Gemeinschaft Nazareth
INHALT

      VORAB                                     26   ... und dann kam die Flut
                                                     Kathrin Sundermeier
      3       Und …
              Wolfgang Roos-Pfeiffer            28   Pale Blue Dot
                                                     Nina Schmidt
      6       ... und siehe, wir leben!
              Jutta Beldermann
                                                AUS DER
      10      ... und der Frieden
              Wolfgang Roos-Pfeiffer
                                                GEMEINSCHAFT
                                                32   Neubesetzung
      13      Frieden ist …
                                                     der Direktionsmandate
              Schreibwerkstatt des Kollegiums
              der Ev. Bildungsstätte            33   … und wusstet ihr schon?
                                                     Milena Bock
      15      Gericht und Gnade
              Jutta Beldermann                  34   Profilprogramm
                                                     von Sarepta und Nazareth
      UND …                                          Patrick Quack

      17      Nazareth wir müssen reden …       36   Liebe Geschwister...
              Nina Schmidt                           Tobias Petzoldt

      19      Der Blick
              Wolfgang Roos-Pfeiffer
                                                INFOS
      20      Ankommen
                                                39   Termine/Impressum
              in einem fremden Land
              Sabine Prybylski

      22      Ein wohlwollender Blick
              schaut auf mich!
              Regine Buschmann

      23      Ich lebe!
              Hannah Wolf

      2

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VORAB

      UND …
      Nichts Besonderes so ein Und, und doch ist     Und es fordert unsere Solidarität und unse-
      an diesem kleinen Worträdchen so viel zu       re Gastfreundschaft und unser Eintreten für
      drehen und zu wenden. Lohnt sich so ein        Demokratie und Freiheit und Menschen-
      Und für einen ganzen Nazareth Brief? Naja,     rechte und unseren entschiedenen Protest
      mal sehen und lesen. Wir laden Sie und         und die kritische Reflexion neu angefachter
      Euch dazu ein!                                 Hochrüstungsgelüste … und immer wieder
                                                     unser Gebet.
      Was hat uns auf das Und gebracht? Eigent-
      lich die Vielzahl der unterschiedlichen The-   Und … das Und ist ja zunächst mal in der
      men, die sich in diesem Nazareth Brief wie-    deutschen Sprache nicht mehr oder weniger
      derfinden. Und irgendwie drückt das Und        als ein Bindewort, ein Fügewort und stellt
      auch ein Lebensgefühl dieser Tage aus: erst    syntaktische Verbindungen zwischen Wör-
      hatten wir Corona und jetzt kommt dieser       tern, Satzteilen oder Sätzen her (Wikipedia).
      Krieg. Eine Katastrophe reiht sich an die      Und kann auch zur Verstärkung, Steigerung
      nächste und wir stecken ja noch mitten in      eingesetzt werden (es regnete und regnete).
      der ersten. Ich schreibe dieses Vorwort ei-    Synonym können Worte wie sowie, sowohl,
      nige Wochen bevor der Nazareth Brief bei       plus, neben, nebst, wie auch, zuzüglich ver-
      Ihnen und Euch auf dem Tisch liegt.            wendet werden. Und „unde“ gab es schon
                                                     im Mittelhochdeutschen, im Althochdeut-
      Ich mag mir nicht ausmalen, zu welchen         schen wurde „unta“ oder „ante“ gesagt,
      Schrecklichkeiten sich das alles noch ent-     die sprachliche Vergangenheit reicht sehr
      wickelt haben wird. Und jetzt auch noch        weit zurück. Entwicklungsstränge zum eng-
      ein Krieg mitten in Europa – niemals hätten    lischen „and“ sowie zum lateinischen „et“,
      wir uns das vorstellen können, dass nach all   französischen „et“, italienischen „e“ liegen
      dem Leid in Europa durch die beiden Welt-      auf der Hand. Wie der Spanier daraus ein
      kriege jemand den Krieg wieder als legiti-     „y“ machen konnte, bleibt schleierhaft.
      mes politisches Mittel ansehen kann, noch
      dazu im atomaren Zeitalter. Es ist schreck-
      lich und unverantwortlich und menschen-
      verachtend und demokratiefeindlich und
      freiheitsraubend und gewalttätig und
      verabscheuungswürdig.

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Nazareth Brief Diakonische Gemeinschaft - UND - Diakonische Gemeinschaft Nazareth
VORAB

      Und wird wohl nicht das erste gesprochene      Und? Kann in Ostwestfalen auch als durch-
      Wort der Menschheit gewesen sein, aber         aus knappe aber freundliche Frage zum Er-
      der Bedarf, so ein Bindewort zu haben, lässt   gehen des Anderen genutzt werden, zumal
      mit der zunehmenden Differenzierung von        wenn dieser oder diese gerade eine beson-
      Sprache erahnen, dass das Und bzw. seine       dere Herausforderung zu meistern hatte.
      Vorgängermodelle in den Top 100 der ers-       Nach abgeschlossener Prüfung ersetzt das
      ten Wörter zu finden sind. In der Liste der    Und? (vielsagend mit betontem „?“) die
      heutzutage meistgenutzten Wörter belegt        ausführliche Version von „ich wollte mal
      Und einen hervorragenden vierten Platz.        wissen, wie es dir ergangen ist und wie es
                                                     dir jetzt geht und was du jetzt brauchst und
      Wir haben gelernt, dass in längeren Aus-       ob ich was für dich tun kann“ … wer will
      zählungen das Und das Ende der Aufzäh-         das alles hören oder sagen? In Und? Steckt
      lung vor dem letzten Teil markiert. Wer eine   das alles und noch viel mehr drin. Und ist
      Aufzählung ins Unendliche steigern will,       eben auch eine Beziehungsaussage. Wir
      sagt und, und, und. Vor dem Und kommt          alle können sehr genau unterscheiden, mit
      kein Komma, es sei denn, ein neuer Haupt-      welchem Zungenschlag ein Und gespro-
      satz folgt dem Und. Dann stellt dieses den     chen wird. Geht es um Zuneigung oder um
      Sinnzusammenhang zum Vorhergesagten            kritische Distanzierung? Geht es um Zustim-
      her. Dem Mathematiker ist das Und ein          mung (und ob!) oder um Geringschätzung
      Dorn im Auge, weil es umgangssprachlich        (na und?)? Mit oder ohne verbale oder mi-
      in der Addition eingesetzt wird, aber wenig    mische Zusätze wissen wir ein Und zumeist
      präzise die Rechenart beschreibt. Und kann     sehr genau einzusetzen und zu verstehen.
      sogar die Beziehung einer Person zu einer
      Sache oder zu anderen Menschen beschrei-       „Und überhaupt“ ist am Ende einer langen
      ben (Luther und die Reformation, Schnee-       Aufzählung vieler guter Gründe das Signal,
      wittchen und die sieben Zwerge).               dass einem weitere Gründe nicht mehr ein-
                                                     fallen wollen und diese auch überflüssig
                                                     zu erwähnen sind. „Und so weiter“ wird
                                                     so oft eingesetzt, dass schriftlich und zum
                                                     Teil sogar mündlich die verbreitete Abkür-
                                                     zung usw. genutzt wird. Wer allerdings das
                                                     „und so weiter“ besonderes herausstellen
                                                     möchte, kann dieses verlängern mit „und
                                                     so fort“.

      4

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Nazareth Brief Diakonische Gemeinschaft - UND - Diakonische Gemeinschaft Nazareth
VORAB

      So sind wir auch auf das Und für den Na-      Was für ein Geschenk und was für eine Ver-
      zareth Brief gekommen. Es gibt viel zu be-    pflichtung!
      richten, zu erzählen. Sehr unterschiedliche
      Dinge, vom Frieden, von Krieg, Flucht und     Und wenn die Welt voll Teufel wär
      geflüchteten Menschen, von Rassismus und      und wollt uns gar verschlingen,
      Integration, von Bildung, social media und    so fürchten wir uns nicht so sehr,
      personellen Veränderungen in Gemein-          es soll uns doch gelingen.
      schaft und Stiftung. Da hilft uns das Und     Martin Luther, EG 362, Strophe 3
      als Brücke ganz gut aus.
                                                    ... und – hoffnungsstur,
      Und schließlich: Und kann auch die glau-
      benstrotzige, hoffnungssture Variante des
                                                                    Ihr/Euer
      Christenmenschen sein, der den Zerwürf-
      nissen und Gefährdungen des Lebens eine
      Glaubensgewissheit entgegenzusetzen ver-
      mag. Tod und Auferstehung – das ist in der
      Passions- und Osterzeit das zentrale Motiv,
      das ist unser wichtigstes Credo: wir sind                     Wolfgang Roos-Pfeiffer
      und bleiben in Gottes Hand, wir sind die
      durch alle Notlagen und Ausweglosigkeiten
      hindurch Getragenen, wir sind die in aller
      Not und Bedrängnis Aufgefangenen, wir
      sind die Wertgeschätzten, Gewürdigten,
      mit Gnade, Erlösung und Auferstehungs-
      hoffnung Beschenkten. Wie anders sollte es
      in schlimmster Not möglich sein, sich zum                 Solange die Erde steht,
      frohen Gesang, Gebet und Gemeinschaft                         soll nicht aufhören
      zu versammeln?
                                                                        Saat und Ernte,
                                                                       Frost und Hitze,
                                                                  Sommer und Winter,
                                                                         Tag und Nacht
                                                                                  1. Mose 8,22

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      ... UND SIEHE, WIR LEBEN!
      Predigt Jutta Beldermann Sonntag Invokavit, 06.03.2022

      In allem erweisen wir uns als Die-            Hätte er gefragt, ich bin überzeugt, der Arzt
      ner Gottes: in großer Geduld, in Be-          hätte gesagt: „Dann beten wir auch!“ Als
      drängnissen, in Nöten, in Ängsten, 5 in       die Sterbenden, und siehe, wir leben;
      Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhr,        als die Gezüchtigten und doch nicht ge-
      in Mühen, im Wachen, im Fasten, 6 in          tötet; 10 als die Traurigen, aber allezeit
      Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut,        fröhlich; als die Armen, die doch viele
      in Freundlichkeit, im Heiligen Geist, in      reich machen;
      ungefärbter Liebe, 7 in dem Wort der
      Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den        ... und siehe, sie leben
      Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten
      und zur Linken, 8 in Ehre und Schande; in     Die Sätze des Apostels Paulus scheinen für
      bösen Gerüchten und guten Gerüchten,          genau diese Zeiten geschrieben. Wie ge-
      als Verführer und doch wahrhaftig; 9 als      storben erscheinen uns die Gesichter der
      die Unbekannten und doch bekannt; als         Geflüchteten – und siehe, sie leben. Inmit-
      die Sterbenden, und siehe, wir leben;         ten großer Trauer – und doch: sie finden die
      als die Gezüchtigten und doch nicht ge-       Kraft, andere zu trösten. Familien in Ungarn
      tötet; 10 als die Traurigen, aber allezeit    oder in Polen, die selbst nicht viel haben: als
      fröhlich; als die Armen, aber die doch        die Armen machen sie viele reich, und sei
      viele reich machen; als die nichts haben      es nur mit einem Sofa. Paulus schreibt seine
      und doch alles haben. (2. Kor 6, 4-10)        eindrücklichen Worte an seine Gemeinde in
                                                    Korinth. Sie kennen das Leiden, das Gezüch-
      Tagesschau am ersten Freitag des Krie-        tigt Werden, die Armut. Und sie glauben.
      ges zwischen Russland und der Ukraine:        Paulus weiß, dass diese jungen Christen ge-
      Ein Arzt aus Kiew spricht. Er berichtet von   rade dafür verlacht werden, manchmal so-
      einem vollen Krankenhaus, dass sie Not-       gar in ihrer eigenen Gemeinde. So wie der
      aggregate haben und dass alle Mitarbeiter     Arzt in Kiew vielleicht verlacht wird: „Beten!
      ihr Bestes geben. Am Schluss sagt er: „Wir    An Gott glauben! Das tu mal! Mal sehen,
      beten, dass unser Krankenhaus nicht bom-      ob es hilft! Wenn es einen Gott gibt, dann
      bardiert wird.“ Dem Moderator scheint auf     müsste er das alles doch verhindern …“ Wir
      der Zunge zu liegen: „Und was machen Sie,     kennen diese Spottsätze auch! Sie tun weh!
      wenn doch?“ Das sagt er nur nicht.

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      ... und glauben                                 Für die Korinther braucht er nur Stichwor-
                                                      te zu nennen, dann wissen sie schon, was
      Paulus weiß aus eigener Erfahrung, dass der     er meint: in Bedrängnissen, in Nöten, in
      Glaube an Christus dann zur großen Kraft        Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen,
      und Stärke wird, wenn wir Menschen das          in Aufruhr, in Mühen, im Wachen, im
      Scheitern erleben. So fing das christliche      Fasten, wenn er mal wieder vor Hunger
      Leben des Apostels Paulus an, als er vor        und Angst nicht schlafen konnte.
      Damaskus niedergestreckt und blind war
      und erkennen musste, dass sein ganzes bis-      Gerade in solchen Situationen hat Paulus
      heriges Leben gescheitert war.                  gemerkt, dass ihn der Glaube trug. Davon
                                                      legt er den Korinthern – und uns – Zeug-
      Genau in solchen Nöten fangen Menschen          nis ab. Er hält keinen großen theologischen
      an, am Glauben zu verzweifeln: „Das kann        Vortrag, sondern er spricht ganz persönlich.
      Gott doch nicht zulassen. Gäbe es einen         Sehr emotional. Er erzählt in diesen Stich-
      Gott, wäre er doch auf meiner Seite!“ Und       worten von seinem Leben und berührt da-
      wissen wir, wie sehr Paulus damals an sei-      mit ihres und unseres heute.
      nem Glauben gezweifelt hat? Genau da,
      mitten drin aber, da erlebte er die Verge-      Seine Stichworte lassen den Korinthern
      bung Christi als das, was ihn durch die Krise   Raum, sich selbst darin wiederzufinden.
      trug, und den Glauben an Christus als das,      Und sie geben uns heute Raum, unsere
      was ihn für sein Leben wieder stark mach-       Bedrängnisse und Sorgen darin zu lesen,
      te. Er erlebte, dass die Not seinem Glauben     die Nöte und Schläge der Menschen in der
      nicht widersprach. Ganz im Gegenteil, er        Ukraine, die Angst und Enttäuschung der
      erlebte Leiden und Glauben, Schwachheit         Protestierenden in Russland.
      und Stärke, Hoffnungslosigkeit und Hoff-
      nung, Versagen und Liebe. Er erlebte Leben
      in dieser Welt und Glauben an Gott ganz
      neu! Und so ging es in seinem Leben weiter.

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UND

      ... und ...                                    ... und wir!

      So erweisen wir uns als Diener Christi, sagt   Es ist Passionszeit. Wochen, in denen wir
      Paulus. Es sind Viele, die den Menschen in     uns vor Ostern konzentrieren auf unseren
      der Not beistehen. Es sind die Mitarbeiten-    Glauben an den Christus, der wie wir gelit-
      den der Diakonie in der Ukraine, die keiner    ten hat und gestorben ist und der von Gott
      beachtet und die doch Großes leisten: Aus-     auferweckt wurde.
      gebombte versorgen, Medikamente vertei-
      len. Es sind die Geschwister in Lobetal und    So erzählt Paulus von dem großen Und des
      bei AGAPE in Rumänien, die Hilfsgüter an       christlichen Glaubens. Beides ist real, sagt
      die Grenze bringen und Flüchtlinge mit-        er: Wir gelten als Betrüger – weil wir eben
      nehmen. Es sind Glaubende, die sich in der     nicht den strahlenden Heldengott predigen
      Bedrängnis – wie Paulus sagt – als Diener      – und wir sagen damit die Wahrheit Gottes.
      Gottes erweisen: in Langmut, in Freund-        Wir sind die, die keiner kennen will und wir
      lichkeit, im Heiligen Geist, in ungefärb-      sind vollständig erkannt von Gott.
      ter Liebe – ich bin überwältigt, wie viele     Und auch das ist beides wahr:
      Menschen sich engagieren. 6 in Lauter-
      keit, in Erkenntnis, in bösen Gerüchten        Wir sterben und wir leben durch die Aufer-
      und guten Gerüchten, in dem Wort der           stehung Jesu. Wir werden gezüchtigt und
      Wahrheit – ja, auch damals war wie             selbst wenn wir umkommen, wir werden
      heute wichtig, die Wahrheit von der            nicht getötet. Wir sind wie alle Menschen
      Lüge zu unterscheiden! 8 in Ehre und           traurig. Natürlich sind wir traurig und hilf-
      Schande, in der Kraft Gottes, mit den          los, wenn wir sehen, was die Menschen
      Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten           in der Ukraine erleben müssen. Natürlich
      und zur Linken – auch Paulus wusste,           sind wir wütend über das, was Machtha-
      wie wichtig es ist, bei aller Ungerech-        ber ihren und anderen Völkern antun. Auch
      tigkeit selbst bei der Gerechtigkeit zu        das, was wir persönlich manchmal aushal-
      bleiben und anderen die Kraft Gottes in        ten müssen, lässt uns schwach werden. Wir
      der Schwachheit zu bezeugen.                   sind traurig – und – so verrückt es klingen
                                                     mag – wir freuen uns an Gottes Liebe.

      8

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Nazareth Brief Diakonische Gemeinschaft - UND - Diakonische Gemeinschaft Nazareth
UND

      Wir leiden und – so erstaunlich es wirkt –
      wir erleben Gottes Stärke. Wir sind sprach-
      los und trösten unsere Kolleginnen und Kol-
      legen, die als Russen beschimpft werden,
      obwohl sie selbst diesen Krieg nicht woll-
      ten. Wir sind handlungsunfähig und zeigen
      auf den Straßen, dass Krieg keine Option
      für den Frieden ist. Es gilt, wie Paulus sagt,
      im Glauben immer beides: wir haben Angst
      und siehe, wir trauen Gottes Heil.

      ... und jetzt!

      Der Arzt im Krankenhaus in Kiew betet. Wir       UND wenn ich wüsste,
      in Bethel stellen Wohnraum zur Verfügung.          dass morgen
      Die reformierte Kirche in Ungarn beherbergt           die Welt unterginge,
      Flüchtlinge aus der Ukraine. Sie sind es ge-             würde ich heute noch
      meinsam mit den Geflüchteten, die nichts                   mein Apfelbäumchen
      haben und alles haben.                                        pflanzen.

                                                                      Martin Luther
      Genau das meint Paulus, wenn er uns dazu
      aufruft, uns als Diener Gottes zu erweisen.
      Wir sollen den Menschen das Und bezeu-
      gen. Und zwar gerade dann, wenn dieses
      Und gebraucht wird. Wie jetzt! Amen.

                               Jutta Beldermann

                                                                                      9

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Nazareth Brief Diakonische Gemeinschaft - UND - Diakonische Gemeinschaft Nazareth
VORAB

      ... UND DER FRIEDEN
      Empörend ist dieser durch die russische Re-      Aufrüstung, milliardenschwer, so lautet die
      gierung angezettelte Krieg in der Ukraine        derzeit einzige politische Antwort auf diese
      mit schlimmsten Folgen für das Land und          Situation. Weder ein gerechtes Bildungs-
      die Menschen! Am Ende werden zahllose            system noch das belastete Klima haben je
      Städte in der Ukraine schwer geschädigt          so einen finanziellen Kraftakt erlebt. Ist das
      sein, wesentliche Teile der Infrastruktur zer-   alles richtig? Auch die christlichen Kirchen
      stört, tausende Menschen (auch russische         sind mit ihren Verlautbarungen eher bei den
      Soldaten) getötet, verletzt oder geflohen        Planungen der Bundesregierung, als mah-
      sein. Am Ende nimmt die halbe Welt Scha-         nend ihre Stimme zu erheben. Krieg ist nie-
      den, weil wichtige Weizenlieferungen aus-        mals ein akzeptables Mittel der Politik!
      bleiben, Sonnenblumenöl zur Mangelware
      wird, Energiepreise steigen ... in dieser hoch   Mir persönlich sind die zurückhaltenden
      vernetzten und globalisierten Welt ist es        Stimmen zu leise, die mahnenden und
      nicht egal, wenn in einer Ecke Krieg geführt     bremsenden Impulse zu schwach – ich sehe
      wird. Wer hätte je gedacht, dass wir im          uns aufgefordert, alles, was dem Frieden
      durch zwei große Weltkriege noch so sehr         dient, mit aller Macht und allen erdenkli-
      gezeichneten Europa so etwas noch ein-           chen Mitteln in den Vordergrund zu stellen.
      mal erleben müssen? Stehen wir am Rande          Ich weigere mich zu glauben, dass es keine
      eines dritten Weltkrieges mit nie dagewe-        Chance auf Verständigung und für einen
      sener atomarer Zerstörung? Wer oder was          gerechten Frieden gibt.
      kann dem Einhalt gebieten?

                                  FRIEDE                                               SREIC
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       FRIEDENSREICH, so haben wir es spontan           Zur gesellschaftlichen Reflexion des Main-
       auf eine neue Postkarte geschrieben, die         streams aufrufen, der zurzeit nur die Ant-
       dem Nazareth Brief beiliegt. Friedensreich,      wort der Aufrüstung kennt. Bitte hängt
       so sehen und bekennen wir Gottes Zukunft         Euch die Karte an den Kühlschrank oder
       mit allen Menschen. Dieses Reich ist grö-        einen anderen alltäglichen Ort. Die Karte er-
       ßer als alle Länder, ist umfassender als alles   innert uns alle daran, dass Gottes Friedens-
       Trennende, was uns Menschen entzweit.            gebot weiter reicht, als allzu menschliche
                                                        Rachegelüste und Ohnmachtsgefühle.
       FRIEDENSREICH bedeutet einen „neuen
       Himmel und eine neue Erde“. Daran glau-          FRIEDENSREICH ist ein mahnendes Stopp-
       ben wir als Christen, daran richten wir uns      schild und eine freundliche Einladung, sich
       aus und auf.                                     zu erinnern an das, was uns in dieser Welt
                                                        geschenkt und aufgetragen ist.
       FRIEDENSREICH ist die Botschaft des Evan-
       geliums: „Selig sind die Sanftmütigen; denn      FRIEDENSREICH. Gib Frieden, Herr, wir bit-
       sie werden das Erdreich besitzen.“ UND           ten! Das Gebet. Das Gebet bleibt uns, um
       „Selig sind die Frieden stiften, denn sie wer-   unserer Verzweiflung, unserer Ohnmacht,
       den Gottes Kinder heißen“ (Matthäus 5,           unserer Angst und unserem Zorn einen Aus-
       5+9). Frieden ist das oberste aller Gebote,      druck und Richtung zu geben. Das Gebet
       der höchste Auftrag, zu dem Jesus uns in         ist manchmal der letzte Ausweg für Chris-
       die Nachfolge ruft. Was an Sanftmütigkeit        tenmenschen, wenn weltliche Adressaten
       wäre jetzt zu tun?                               und Bezüge verloren gehen oder unpassend
                                                        erscheinen. Es ist wichtig, das Unfassbare,
       Geflüchtete Menschen freundlich willkom-         das Unsägliche auszudrücken, im Beten und
       men heißen und wie Gäste aufnehmen.              manchmal auch im Schweigen. Das Gebet
       Den Unmut über das kriegerische Gesche-          ist auch eine Stimme des Widerstands, der
       hen äußern und öffentlich zeigen.                inneren Distanzierung aus weltlichen Ge-
                                                        und Befangenheiten und eine Ausrichtung
                                                        auf Gottes Wort.

EICH
                                                                                                  11

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      So war auch das Gebet der Abschluss           Gott, wir bringen dir die Not der Kinder,
      unserer digitalen „Nazareth-Wir-müssen-       die in Kriegs- und Pandemiezeiten so viel
      reden-Veranstaltung“ zum Kriegsausbruch       zurückstecken müssen, die Freiheit und Un-
      in der Ukraine.                               bekümmertheit verlieren, die sich schon so
                                                    früh um Leben und Zukunft sorgen müssen
      Die Schwestern und Brüder haben               Gott, wir bringen dir die Not der Frauen, die
      diese Bitten zusammengetragen:                so Vieles leisten müssen in Familie und in
                                                    den Kriegsgebieten, die sich häufig allein
      Gott, wir bringen dir unsere Sprach- und      mit den Kindern auf den Weg in sichere Län-
      Ratlosigkeit. Wir bringen dir unsere Angst    der machen oder sich in U-Bahn-Schächten
      um uns selbst und unsere Lieben.              verbergen müssen vor den Grausamkeiten
                                                    der Bomben und der russischen Armee.
      Gott, wir bringen dir unsere Ohnmacht und
      Hilflosigkeit – was sollen wir bloß tun, um   Gott, wir bringen dir auch die Not der Män-
      dem Krieg Einhalt zu gebieten?                ner, die ihre Familie allein lassen müssen,
                                                    um für ihr Land in den Krieg zu ziehen. Wir
      Gott, wir bringen dir unsere Erschöpfung.     bringen dir die Angst der russischen Solda-
      Noch stehen wir mit beiden Beinen in der      ten, die vielfach gar nicht wissen, wofür und
      Corona-Krise und müssen schon mit dieser      wogegen sie in den Krieg geschickt werden.
      Bedrohung und Anforderung klarkommen.         Gott, wir bringen dir unsere Bitten um die
      Jetzt auch noch Krieg in unserer europä-      politischen Entscheidungsträger nahe. Stär-
      ischen Nachbarschaft?                         ke sie in allem, was dem Frieden dient und
                                                    den Krieg beenden hilft.

      Gib Frieden, Herr, wir bitten!                Alles Gott, bringen wir vor dich und vertrau-
      Die Erde wartet sehr.                         en auf deinen segen- und friedenspenden-
                                                    den Geist.
      Es wird so viel gelitten,
      die Furcht wächst mehr und mehr. [...]
      Gib Mut zum Händereichen,
      zur Rede, die nicht lügt,
      und mach aus uns ein Zeichen,
      dafür, dass Friede siegt.
                                                                   Wolfgang Roos-Pfeiffer
      Jürgen Henkys, EG 430,2+4
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                    FRIEDEN IST …
                    … wie ein Sonnenaufgang nach einer dunklen,
                    kalten, gefühlt auf jeden Fall zu langen Nacht

                    … wie eine Sonnenblume: aus ihr kann man Nahrung gewinnen,
                    sie ist wunderschön und richtet sich zum Licht.

                    …wie Sommerabende; nach mancher Anstrengung und Mühe
                    lässt er uns schließlich aufatmen.

                    … wie frischer Butterkuchen, dessen Teig süß und saftig
                    durchdrungen ist und jeden schlimmen Gedanken erlahmen lässt

                    ... wie Linsensuppe – wer sie umsonst bekommt,
                    braucht einen anderen dafür nicht zu töten.

                    … wie Waschmittel, das alles sauber und rein macht
                    und manchmal überschäumt

                    ... wie Mohnblüten – sie wachsen auf Schlachtfeldern
                    und mahnen jedes Jahr: nie wieder Krieg.

                    ... wie eine Kiefer – zwei Kinder pflanzen sie mitten auf die Grenze.

                    Kleine Friedenserträge einer Schreibwerkstatt des Kollegiums der
                    Ev. Bildungsstätte mit Susanne Niemeyer, Texte von Jutta Beldermann,
                    Thomas Roth, Nina Schmidt, Kathrin Sundermeier

                                                                                                 13

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                            Friede den Menschen, die bösen Willens sind,
                            und ein Ende aller Rache
                            und allen Reden über Strafe und Züchtigung.
                            Die Grausamkeiten spotten allem je Dagewesenen,
                            sie überschreiten die Grenzen menschlichen Begreifens,
                            und zahlreich sind die Märtyrer.
                            Daher, o Gott,
                            wäge nicht ihre Leiden auf den Schalen
                            deiner Gerechtigkeit,
                            fordre nicht grausame Abrechnung,
                            sondern schlage sie anders zu Buche:
                            Lass sie zugute kommen allen Henkern,
                            Verrätern und Spionen
                            und allen schlechten Menschen,
                            und vergib ihnen
                            um des Mutes und der Seelenkraft der andern willen.
                            All das Gute sollte zählen, nicht das Böse.
                            Und in der Erinnerung unserer Feinde
                            sollten wir nicht als ihre Opfer weiterleben,
                            nicht als ihr Alptraum und grässliche Gespenster,
                            vielmehr ihnen zu Hilfe kommen,
                            damit sie abstehen mögen von ihrem Wahn.
                            Nur dies allein wird ihnen abgefordert,
                            und dass wir, wenn alles vorbei sein wird,
                            leben dürfen als Menschen unter Menschen,
                            und dass wieder Friede sein möge auf dieser armen Erde
                            den Menschen, die guten Willens sind,
                            und dass dieser Friede auch zu den andern komme. AMEN.

                            Gebet aus dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück

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VORAB

      GERICHT UND GNADE
      Blühende Kirschbäume säumen meinen            Schon sehe ich sie vor mir, die Orte und
      Weg hinauf. Da ist ein Haus, davor eine       Menschen meiner Kindheit. Ach so. So ha-
      Bank, da kann ich mich ausruhen.              ben sie das gemeint ... Jetzt verstehe ich ...

      Gott sitzt auf der Bank. Er schaut über das   Dann der Teenager. Ja, da habe ich Mist
      Tal. Komm, sagt Gott. Er klopft mit seiner    gebaut. Da konnte ich nicht anders. Jetzt
      Hand auf den Platz neben ihm. Mein rech-      verstehe ich mich besser ... Und schon bin
      ter, rechter Platz ist frei!                  ich erwachsen. So viele Fehler, so viele Ver-
                                                    säumnisse. Was ich sehe, tut weh! Schau
      Ich setze mich zu ihm. Er legt seinen Arm     mal genau hin, sagt Gott. Da kommen
      um meine Schultern und sagt: Jetzt schauen    Menschen den Hügel herauf. Sie lächeln
      wir uns mal gemeinsam dein Leben an!          mich an. Dem Himmel sei Dank!

                                                    Komm, sagt Gott, wir gehen rein!

                                                    Jutta Beldermann

                                                                                              15

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UND ...

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UND ...

      NAZARETH WIR MÜSSEN REDEN …
      über Rassismus – diakonisch:
      diskriminierungskritisch – und, und, und…

      Wir sehen Menschen, wir denken uns Ge-          Manche Geschwister treffen sich auch pri-
      schichten zu ihnen aus, vermuten, wer sie       vat, um zu zweit vor dem Bildschirm zu
      sind, wie sie sind, was sie sind. Wir haben     sitzen, denn eins ist klar: das Thema macht
      eine Vorstellung von der perfekten Gesell-      nachdenklich, weil sich jeder und jede von
      schaft und glauben zu wissen, mit wem wir       uns mit den eigenen Denkmustern ausei-
      uns umgeben wollen. So funktioniert unser       nandersetzen muss. Leslie Froböse nimmt
      Alltag. Das passiert automatisch.               uns auf eine behutsame Art und Weise mit,
                                                      die es uns leicht macht, uns selbst auf die
      Leslie Froböse nimmt uns Nazareth-Ge-           Schliche zu kommen. Spielerisch, im Ge-
      schwister derzeit mit auf Spurensuche zu        spräch, fragend.
      unseren eigenen Vorurteilen. „Nazareth wir
      müssen reden … über Rassismus – diako-          Diakon Jonas Meine war beim ersten unse-
      nisch: diskriminierungskritisch“.               rer Treffen dabei und fasst es so zusammen:
                                                      „Bewusstes Nachdenken über Rassismus ist
      Wir treffen uns im digitalen Raum, damit        wie eine Brille, die man aufsetzt. Im Grunde
      wir keinen Einschränkungen unterliegen,         weiß man wie die Welt aussieht, aber mit
      die ein Treffen verhindern könnten. Das         einer (guten) Brille sieht man die Details.
      findet Diakonin Dorothea Kruse großartig:       Genauso ist es mir nach dem Abend ergan-
      „Ein Glück, wir können reden, und zwar          gen. Natürlich ist mir der Alltagsrassismus
      ohne die 300 km bis Bielefeld zurücklegen       bewusst, aber durch die Abende habe ich
      zu müssen.“ schreibt sie. Der eine oder die     erneut meine ‚Brille’ geputzt und sehe wie-
      andere wird vielleicht denken: „Ein digitales   der klarer die Dinge, die ich immer wieder
      Treffen bedeutet für mich sehr wohl Ein-        hinterfragen will und muss.“
      schränkungen, denn ich kann technisch gar
      nicht daran teilnehmen.“ Und genau diese
      Hürden umgehen wir dadurch, dass wir uns
      mit einem kleinen Kreis im Haus Nazareth
      treffen und uns gemeinsam in die Video-
      konferenz einwählen.

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UND ...

      Diakonin Kirsten Mattheis war am zweiten        zur „hybriden“ Teilnahme. Die Überschrift
      Abend dabei und hatte folgenden Eindruck:       unserer vorerst letzten Einheit lautet: „Soli-
      „Ich war ja nur an einem der Abende da-         darisch und verbündet handeln – was heißt
      bei, habe aber trotzdem schon Veränderun-       das?“
      gen im Alltag bemerkt. Ich erwische mich
      schneller dabei, wie schnell ich manchmal       Eine Fortsetzung soll es aber auf jeden Fall
      Menschen auf den ersten Blick in eine           geben, denn eine Auseinandersetzung mit
      Schublade stecke und wie früh ich eigent-       dem eigenen Vorurteilsbewusstsein ist eine
      lich beginne, diskriminierend zu denken. Es     lebenslange Auseinandersetzung.
      ist gut, dass mir das häufiger bewusst wird,
      so dass ich dieses fast schon automatisier-
      te Denkschema immer wieder aufbrechen
      kann.“

      Das ergänzt Dorothea Kruse noch: „Wie
      gut, dass es nicht nur ein Treffen dazu gab.                     Nina Schmidt
      Es funktioniert ja nicht, sich ein paar Para-
      meter politische Korrektheit anzueignen. Es
      geht um nicht mehr und nicht weniger als        Eine weitere Möglichkeit der Ausei-
      meine Sicht auf Menschen: Sie funktioniert      nandersetzung wird von Diakonin
      schlichtweg gar nicht ohne Vorurteile, aber     Kerstin Schachtsiek im Rahmen der
      den damit verbundenen Bewertungen und           Bielefelder Aktionswoche gegen Ras-
      Abwertungen komme ich gerne auf die             sismus organisiert: Am 28. April 2022
      Spur. Sehr spannend!“ Es gab nicht nur ein      liest Sarah Vecera im Haus der Kirche
      Treffen. Bisher gab es zwei Treffen und ein     (Markgrafenstr. 7, 33602 Bielefeld) aus
      Treffen steht vor Redaktionsschluss am 5.       ihrem Buch „Wie ist Jesus weiß ge-
      April an. Wer aber Interesse bekommen hat,      worden?: Mein Traum von einer Kirche
      kann zum vierten Treffen von „Nazareth wir      ohne Rassismus“. Nähere Informati-
      müssen Reden …“ auch ohne die Teilnahme         onen und Anmeldung unter: https://
      an den anderen Terminen dazu kommen.            interkulturelles-bielefeld.de/pl/
      Wir schließen die Reihe ab am Dienstag,         aktionswochen/wie-ist-jesus-weiss-
      den 3. Mai 2022, von 19 – 20 Uhr. Herzliche     geworden-autorinnenlesung/
      Einladung in den digitalen Raum (https://       oder bei Kerstin Schachtsiek (kerstin.
      bit.ly/3F4W0H1) oder ins Haus Nazareth          schachtsiek@kirche-bielefeld.de)

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UND ...

                                DER BLICK
                                Wollen mal sehen,
                                sagte der Blick,
                                ehe er auch schon wieder verschwand.

                                Für einen Moment nur nahm er Maß,
                                von oben nach unten,
                                von rechts nach links
                                und sah.

                                Als der Blick auf mir ruhte
                                Wurde ich ruhig
                                Und konnte mich anschauen lassen.

                                Die Fülle des Lebens lag in diesem Moment,
                                klar wie Kloßbrühe,
                                wie ein Spiegelbild:
                                zwinkernd und freundlich,
                                funkelnd und spielerisch,
                                verträumt und wach.

                                Der Blick war ein Geschenk des Himmels,
                                ein Blitzbesuch der Freundlichkeit,
                                ein sehend Date der Wertschätzung,
                                ein Überraschungsmoment.

                                Hast du ihn gesehen, den Blick?
                                Hast du seine freundliche Wärme
                                wahrgenommen?
                                Schon ist er wieder weg
                                und bleibt woanders hängen.

                                Wolfgang Roos-Pfeiffer, aus der
                                Schreibwerkstatt des Gemeinschaftsrates

                                                                               19

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UND ...

      ANKOMMEN
      IN EINEM FREMDEN LAND
      10. Februar 2022. Endlich ist es soweit,         Maismehl, getrocknete Bohnen und Erbsen
      die Familie aus dem Süd-Sudan, auf die wir       und Mangosaft? Zum Glück ist es möglich,
      (die NesT-Mentorengruppe* aus Bielefeld)         sich auf englisch und zur Not mit Überset-
      seit Mitte November warten, wird endlich         zungs-App zu verständigen.
      ankommen! Welche Aufregung auf beiden
      Seiten. Davor lagen drei Termine, die immer      Am Sonntag nimmt die Familie zum ersten
      wieder abgesagt wurden, erst hatte die           Mal an einem deutschen katholischen Got-
      Familie noch keine vollständigen, gültigen       tesdienst teil.
      Ausreisepapiere, dann scheiterte die Ausrei-
      se an den Kapazitäten am Flughafen Nairo-        Danach beginnt der Weg durch die bürokra-
      bi, der nächste Termin an Corona unter den       tischen Instanzen. Es werden biometrische
      Ausreisenden.                                    Fotos benötigt, es geht zur Bürgerberatung,
                                                       zum Ausländeramt, zum Jobcenter, zur
      Aber am 10. Februar war es dann so weit,         Schulanmeldung. Es wird eine Krankenver-
      drei Menschen aus unserer Gruppe waren           sicherung und ein Bankkonto benötigt. Wir
      um 5.30 Uhr pünktlich am Flughafen in            fühlten uns sehr wie in dem alten Lied von
      Frankfurt. Sie trafen auf eine Familie, Vater,   Reinhard Mey „Einen Antrag auf Erteilung
      Mutter und drei Kinder im Alter von 10, 5        eines Antragsformulars“. Doch wir trafen
      und 2 Jahren sowie deren 19-jährige Nichte.      in den Behörden auf viele freundliche und
      Alle kannten sich vorher nicht, da es keine      hilfsbereite Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
      Möglichkeit der Kontaktaufnahme in das           ter.
      Flüchtlingslager Kakuma in Kenia gab.
                                                       Mittlerweile ist vieles auf den Weg gebracht,
      Von Frankfurt aus ging es dann nach Bie-         der älteste Sohn geht zur Schule und fühlt
      lefeld-Bethel in die mit vielen Spenden          sich dort wohl, für die Eltern haben Integra-
      eingerichtete Wohnung. Nach einem Be-            tionskurse begonnen, die beiden jüngeren
      grüßungsessen war erst einmal zur Ruhe           Kinder haben ab Anfang April einen Kinder-
      kommen und Ausschlafen angesagt. Am              gartenplatz. Die Nichte wartet noch auf den
      Samstag bin ich mit den Eltern zum ersten        Beginn ihres Integrationskurses.
      Mal in Deutschland einkaufen gewesen. Es
      war sehr aufregend. Wie funktioniert das         Dazwischen gab es viele nette Begegnun-
      mit dem Einkaufswagen, dem Chip und              gen zwischen uns, der Mentorengruppe
      der Rolltreppe? Wo finden wir im Geschäft        und der Familie aus dem Südsudan. Bei

      20

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UND ...

      kleinen Ausflügen wurde die nähere Umge-
      bung erkundet. An einem Sonntag trafen
      wir uns zum Brunch im Gemeindehaus der        *NesT heißt Neustart im Team. In die-
      katholischen Gemeinde mit vielen deut-        sem Programm des Bundesinnenminis-
      schen Leckereien von Bratwürstchen bis        teriums werden geflüchtete Menschen
      Pumpernickel. Oder es gab Einladungen         aus nicht-europäischen Flüchtlingsla-
      zur Teilnahme am Essen bei der Familie, es    gern nach Deutschland geholt. Vor-
      gibt meistens sehr schmackhafte Soßen mit     aussetzung ist, dass sich vor Ort eine
      getrockneten Erbsen oder Bohnen und Reis      ehrenamtliche Mentorengruppe (Team)
      oder Nudeln dazu. Hände waschen vor dem       bildet und beim „Neustart“ in Deutsch-
      Essen ist wichtig, nur hier kommt einer der   land hilft. In der Bielefelder Gruppe en-
      Erwachsenen mit einer Schüssel und einer      gagieren sich neben unseren Schwes-
      Karaffe mit Wasser zu jedem am Tisch, das     tern Sabine Prybylski und Uta Braune
      ist erst einmal sehr ungewohnt.               Krah Mitglieder der Dietrich-Bon-
                                                    hoeffer-Gemeinde, der katholischen
      Ich bin sehr gespannt auf unsere weiteren     Heilig-Geist-Gemeinde sowie zwei
      Erlebnisse auf dem Weg des Kennenlernens.     Menschen muslimischen Glaubens,
                                                    die vor einigen Jahren selbst nach
                                                    Deutschland geflüchtet sind. Weitere
                                                    Informationen zum NesT-Programm
                                                    gibt es hier: www.neustartimteam.de.
                                                    Wer die Finanzierung der Wohnung
                                                    durch Spenden unterstützen möchte,
                            Sabine Prybylski        ist herzlich willkommen: Kirchenkreis
                                                    Bielefeld, IBAN DE42 3506 0190 2006
                                                    6990 68, BIC: GENPDED1DKD, Verwen-
                                                    dungszweck: W515C-NesT (sehr wich-
                                                    tig, um das Geld zuordnen zu können!)

                                                                                          21

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UND ...

                                EIN WOHL-
                                WOLLENDER BLICK
                                SCHAUT AUF MICH!

                                Warme braune Augen,
                                von Lachfältchen umrandet.
                                Dein liebevolles Schauen
                                fühlt sich vertraut an.
                                Geborgen und sicher sein.
                                Ich bin aufgehoben.

                                Deine Stärke tut mir gut.
                                Ich darf einfach SEIN:
                                Ohne Wenn und Aber.
                                Ohne leisten zu müssen.
                                Nur sein. Es ist warm, angenehm warm.
                                Ich kann den Gedanken nachgehen.
                                Dein Blick motiviert mich.
                                Ich bin ganz ruhig.

                                Meine Gedanken wandern. Zweifel
                                schleicht sich ein. Ich schiebe ihn weg.
                                Dein Blick will mir Wohl! Nur Wohl!
                                Vertrauen ist schwer.
                                Meine Gedanken wandern.

                                Jetzt schau mal wieder weg!
                                Das dauert schon zu lange.
                                Warum halte ich das nicht aus?

                                Regine Buschmann
                                aus der Schreibwerkstatt
                                des Gemeinschaftsrates

      22

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UND ...

      ICH LEBE!
      Philippinische Menschenrechtsverteidigerin im Exil in Deutschland

      Acht Monate ist es her, dass Clarizza         Die Menschenrechtsorganisation Karapa-
      Dagatan mit ihrer Familie nach Deutsch-       tan zählte allein auf der Insel Negros 106
      land kam. Als Aktivistin und Menschen-        Aktivistinnen und Aktivisten, die unter der
      rechtsverteidigerin hat sich Clarizza zu-     Präsidentschaft Dutertes ermordet wurden.
      sammen mit ihrem Mann für die Rechte
      von Landarbeiterinnen und Frauen auf          Die heute 42-jährige Clarizza Dagatan ist in
      der Insel Negros sowie für politische         der Gemeinde Isabela auf der Insel Negros
      Veränderung in den Philippinen einge-         aufgewachsen. Während ihres Studiums an
      setzt, bis sie sich gezwungen sahen zu        der University of the Philippines Miagao auf
      fliehen.                                      der Insel Panay in den 1990er Jahren schärf-
                                                    te sich ihr Bewusstsein für soziale Fragen.
      Seit 2016 regiert Präsident Rodrigo Roa       Die Universität beanspruchte Land für sich,
      Duterte die Philippinen. International be-    das zuvor Bauern und Bäuerinnen bewirt-
      kannt durch seine ausfallende Sprache so-     schafteten. Die Menschen wurden vertrie-
      wie seinen blutigen „Krieg gegen die Dro-     ben und ihrer Lebensgrundlage beraubt.
      gen“, regiert Duterte mit autoritärer Hand    Viele von ihnen begannen Gelegenheitsjobs
      und setzt vor allem auf militärische Lösun-   im Campus der Universität zu übernehmen.
      gen. So auch im Konflikt zwischen der phil-   Zusammen mit anderen Studentinnen und
      ippinischen Regierung und der kommunisti-     Studenten stand Clarizza mit den Betroffe-
      schen Neuen Volksarmee (NPA). Seitdem die     nen für ihre Rechte und ihr Überleben ein.
      Friedensverhandlungen im Dezember 2017        Sie machte die Erfahrung, dass durch diese
      scheiterten, verfolgt Duterte eine massive    Solidarität eine Gemeinschaft entstand, die
      militärische Kampagne, die keinen Unter-      bald nicht nur zu ihrem Antrieb, sondern
      schied zwischen bewaffnetem Widerstand        auch zu ihrem Traum von einer gerechten
      und friedlichem Aktivismus macht. Wer sich    Gesellschaft wurde.
      kritisch gegenüber der Regierung äußert,
      läuft Gefahr, zur Zielscheibe von Repressa-   Seit 2014 stand Clarizza als Generalse-
      lien zu werden.                               kretärin der Menschenrechtsorganisation
                                                    Karapatan-Negros vor. Ihre Arbeit war nie
      Zwischen Juni 2016 und Dezember 2021          ungefährlich. Doch seit der Ermordung ih-
      wurden mindestens 245 Menschenrechts-         rer Kollegin und Freundin, der Menschen-
      verteidigerinnen und -verteidiger sowie       rechtsverteidigerin Zara Alvarez, im August
      Journalistinnen und Journalisten ermordet.    2020 nahmen die Bedrohungen massiv zu.

                                                                                             23

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UND ...

                                     Clarizza Dagatan,
                       Aktivistin und Menschenrechts-
                                           verteidigerin

      Zara Alvarez hatte seit Jahren mit Anfein-
      dungen, Bedrohungen und Verfolgung auf-
      grund ihrer Menschenrechtsarbeit gelebt.
      Sie wurde angeklagt, auf der Grundlage
      von konstruierten und haltlosen Anklagen
      inhaftiert, als Terroristin gebrandmarkt und
      schließlich ermordet. Clarizza und Zara ar-          „Wir leben! Wir leben länger. Wären wir
      beiteten eng zusammen. Sie unterstützten             nicht gegangen, wissen wir nicht, ob wir
      Betroffene von Menschenrechtsverletzun-              noch am Leben wären“, sagt Clarizza mit
      gen, besuchten politische Gefangene im               traurigen Augen und einem herzhaften La-
      Gefängnis, hielten Dialoge mit Polizei und           chen.
      Militär und richteten ein Radioprogramm
      aus, in dem sie über Menschenrechte und
      Rechtsverletzungen informierten. Zara, Cla-
      rizza und ihr Mann standen zusammen auf
      der sog. Abschussliste des Militärs und nur                        Hannah Wolf
      wenige Minuten nach Zaras Ermordung                                Bildungsreferentin
      erhielt Clarizza die Nachricht, sie sei die                        beim Philippinenbüro e.V.
      nächste.

      „Unser Handlungsspielraum hat sich ge-               Über ihr Spendenkonto Mission und
      schlossen. Wir konnten kaum noch aus dem             Ökumene hat die Diakonische Gemein-
      Haus gehen“, erinnert sich Clarizza. Auch            schaft Nazareth dazu beigetragen, dass
      weitere Kolleginnen und Freunde wurden in            Clarizza und ihr Mann in Köln eine
      ihrem nächsten Umfeld bedroht, angegrif-             Bleibe gefunden und mit einer Erstaus-
      fen und ermordet. Clarizza und ihr Mann              stattung unterstützt werden konnten.
      sahen sich gezwungen, das Land zu verlas-            Die VEM ist ebenfalls auf den Philippi-
      sen, und bewarben sich für ein Schutzpro-            nen engagiert, trotz aller Bedrohungen
      gramm der Elisabeth-Selbert-Initiative. Das          durch die Regierung.
      Philippinenbüro im Asienhaus in Köln hat
      die Familie aufgenommen.

      24

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UND ...

                                Einer macht Licht,
                                wenn ich stolpre,
                                nimm meine Hand im Dunkeln
                                und –
                                ich komme an.

                                Einer schließt Frieden,
                                wenn ich hasse,
                                lächelt meinen Zorn in den Wind
                                und –
                                ich komme an.

                                Einer gibt Trost,
                                wenn ich leide
                                nimmt mein Herz fest in die Hand
                                und –
                                ich komme an.

                                Einer kommt an,
                                wenn ich fehle,
                                nimmt sein Kreuz auf die Schulter
                                und –
                                er kommt an.

                                Sybille Fritsch,
                                Ev. Gesangbuch, neben Nr. 383

                                                                          25

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UND ...

      ... UND DANN KAM DIE FLUT
      „Ich konnte in keinen Gottesdienst               Er fühlte sich von Gott getragen
      mehr gehen. Ich konnte kein Gebet                und begleitet.
      mehr sprechen. Ich wollte von diesem
      Gott nichts mehr wissen.“                        Und dann kam die Flut im Sommer 2021.
                                                       Herr I. wurde unbeschadet gerettet. Die
      So sagte Herr I. in einem unserer Baustein       Häuser und die Autos in seiner Wohnumge-
      III-Seminare für neue Mitarbeitende der vBS      bung sind mehr oder weniger stark beschä-
      Bethel, als es um den persönlichen Bezug         digt worden. Und natürlich kennt er wie
      zum christlichen Glauben geht.                   jeder in der Stadt auch Menschen, die alles
                                                       verloren haben. Die Bilder der Verwüstung
      Herr I. ist ein aufgeschlossener Mann, der       sind immer noch präsent.
      seit kurzem am Empfang des Hotels am
      Weinberg arbeitet, dem integrativen Hotel,       Nicht nur äußerlich herrschte Verwüstung,
      das Bethel nun in Bad Neuenahr betreibt. Er      sondern ebenso innerlich. Was eben noch
      ist glücklich, dass er mit seiner körperlichen   Halt gab, Lebensgrundlage war, trägt nicht
      Behinderung nun ein selbstverständlicher         mehr, wurde zerstört. Der Glaube war hin.
      Teil des Teams ist.
                                                       „Was soll das für ein Gott sein, der das
      Eindrucksvoll erzählt er, wie wichtig ihm der    zulässt, der uns so im Stich lässt, der
      christliche Glaube immer war. Dass Gott          hinnimmt, dass hier alles kaputt ist,
      ihn liebt, hat ihn immer bestärkt, wenn er       dass Menschen so verzweifelt sind?“
      z. B. Diskriminierungserfahrungen machen
      musste. Und es hat ihn beglückt, wenn er         Herr I. hat viele Menschen getroffen, die
      als Teamer bei Jugendfreizeiten der Kirchen-     verzweifelt waren, und er hat viele Gesprä-
      gemeinde gemeinsam mit den Jugendlichen          che geführt. Er war mit seinem Rolli bei den
      Andachten gefeiert hat und wenn sie sich         Aufräumarbeiten handlungsunfähig und er
      alle als christliche Gemeinschaft erlebt ha-     hat den Menschen zugehört, war für sie da.
      ben – mit und ohne Behinderung.                  Ihm fehlten die Worte und er hat Trost ge-
                                                       spendet. Er erlebte Hoffnungslosigkeit und
                                                       Mutlosigkeit und bestärkte andere.

      26

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UND ...

      Und er war einer von vielen. Alle Teilneh-   Mich hat dieses Seminar in Bad Neuenahr
      menden des Seminars sagen, dass sie          sehr bewegt und herausgefordert. Der
      überwältigt waren, wie viele wildfremde      standardisierte Seminarablauf und die Flut-
      Menschen zum Helfen kamen und sich en-       katastrophe. Zerstörung und Neubeginn in
      gagierten. Leiden und Stärke. Resignation    einem integrativen Team. Die Geschichte
      und Tatkraft.                                vom barmherzigen Samariter und Alltagser-
                                                   fahrungen mit wildfremden Helfenden.
      „Durch diese Erfahrungen von gegen-
      seitigem Beistand“, sagt Herr I. ab-
      schließend, „habe ich mich nach vielen
      Wochen und Monaten allmählich mit
      Gott versöhnt. Ich habe keine Antwort
      auf die Frage nach dem WARUM, aber
      ich habe die Erfahrung gemacht, dass                        Kathrin Sundermeier
      ich doch und gerade in dieser schlim-
      men Zeit von Gott getragen bin. Und
      jetzt sprechen wir auch wieder mitein-
      ander.“

                                                                                           27

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UND ...

      PALE BLUE DOT
      Ein winziger Fleck im Großen UND Ganzen

      Darf ich mich einmal vorstellen? Mein Name    In 6,4 Mil-
      ist Voyager: Voyager 1. Ich bin eine Raum-    liarden Kilo-
      sonde und ich wurde bereits in Teilen ab-     metern Entfer-
      geschaltet. Ich bin sozusagen im Ruhestand    nung blickte ich
      und komme dazu, mir so meine Gedanken         auf die Erde, den
      zu machen.                                    „blassen blauen Punkt
                                                    im All“. Es war im Jahr
      Mein Traum war es immer, den Menschen,        1990 und meine Kameras
      die mich ja zum Leben erweckt haben zu        waren kurz davor, ausgeschal-
      zeigen, was für ein Wunder sie sind. Aber     tet zu werden. Wäre es möglich,
      darauf musste ich lange warten. Mein Weg      mir als Raumsonde würden heute
      führte mich seit meinem Start im Jahr 1977    noch vor Rührung die Tränen kommen.
      einmal quer durch das Sonnensystem. Seit-     Ich habe aus einer unfassbaren Entfernung
      dem durfte ich z. B. Jupiter erkunden. Ich    die Erde gesehen und ich habe sie so un-
      habe seine Monde und Ringe entdeckt, die      fassbar klein gesehen. So viele Sterne und
      noch niemand vorher bemerkt hatte. Es         Planeten drum herum und ich frage mich:
      war unbeschreiblich, aber ich habe davon      Ist es den Menschen gar nicht bewusst, was
      Fotos gemacht. Und als auch meine Erkun-      für ein Geschenk sie da bekommen haben?
      dung des Saturn abgeschlossen war, durfte     Einen winzigen Fleck zum Leben. Einen
      ich mich endlich der Erde zuwenden. Das       winzigen Fleck, auf dem aber Leben mög-
      war ein wahrer Kraftakt. Ich hatte gerade     lich ist. Einen winzigen Fleck im Großen und
      Neptun erreicht, da kam der Befehl: „Um-      Ganzen, den sie gestalten dürfen und was
      drehen, Kameras ausrichten, die Planeten      machen die Menschen? Sie ziehen Grenzen,
      erfassen!“                                    führen Kriege und bauen Waffen und Ma-
                                                    schinen, mit denen sie alles zerstören kön-
      Ich war geblendet. Von der Sonne und von      nen. Grenzen sind aus meinem Blickwinkel
      meinem Traum. Ich habe alles gegeben, da-     übrigens nicht erkennbar.
      mit die Sonne mich nicht blind macht, habe
      so viele Mitglieder der Planetenfamilie wie   Wenn sich alle Menschen einmal mein letz-
      möglich im Bild eingefangen und dann das      tes Bild für ein paar Minuten ernsthaft an-
      Foto gemacht, über das ich bis heute nach-    sehen würden, würde ihnen klar, dass es
      denke: „Pale Blue Dot“.                       überhaupt keinen Sinn ergibt, so miteinan-
                                                    der umzugehen.

      28

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UND ...

                        Oben links im Bild sieht man einen
              Teil des Saturn mit seinen Ringen, die Erde
                   ist der helle blaue Punkt in der oberen
                Öffnung des Et-Zeichens. Quelle: NASA/
                        JPL-Caltech/Space Science Institute

                Es gibt in einer Entfernung von 6,4           Es gibt keine Alternative. Kapiert das end-
                  Milliarden Kilometern nämlich kei-          lich! Denn: „Wer von euch kann dadurch,
                     ne Lebensalternative für sie.            dass er sich Sorgen macht, sein Leben nur
                                                              um eine Stunde verlängern?“
                        Ich würde gerne den Men-
                          schen zurufen: Tut euch             Meine Kameras sind bereits abgeschaltet
                          zusammen. Erzählt euch              und bald werde ich auch keine Kraft mehr
                         eure Geschichten, hört               für die Wissenschaft haben. Aber ich weiß,
                       euch gegenseitig zu. Ihr               was ich gesehen habe. Ich habe es für euch
                      alle habt Ängste und Sor-               festgehalten. Schaut es euch an und denkt
                          gen, aber auch Lösun-               mal darüber nach, ihr Menschen auf dem
                            gen dafür. Kocht fürei-           „Pale Blue Dot“, dem blassen blauen Punkt.
                            nander und atmet den              Mehr ist eure Erde nämlich nicht, aber für
      Duft der unterschiedlichen Kulturen ein,                euch ist darauf so viel möglich. Macht euch
      denn ihr könnt es nur miteinander schaffen.             keine Sorgen um Grenzen. Ihr könnt es nur
      In meiner Entstehungszeit auf der Erde habe             gemeinsam schaffen. Alles, was je gesche-
      ich einen Bibelvers gehört und auch den                 hen ist, was die Menschheit je erlebt hat –
      möchte ich den Menschen zurufen: „Wer                   Schreckliches und Wunderbares – hat auf
      von euch kann dadurch, dass er sich Sorgen              diesem blassen blauen Punkt im All stattge-
      macht, sein Leben nur um eine Stunde ver-               funden. Was auch passiert: Ich, Voyager 1,
      längern?“ (Mt 6,27)                                     bleibe eure Botschafterin im All, aber wartet
                                                              nicht darauf, dass fremde Völker kommen,
      Ich, Voyager 1, habe euch aus der Ferne ge-             um euch zu retten. Da war bereits einer, der
      sehen. Ich habe die Gewissheit – und die                kam und hat euch das Leben und euren Pla-
      habe ich für euch mit – dass Gott sein Wun-             neten geschenkt. Macht was draus.
      der an euch und eurem Leben ernst gemeint
      hat. Behandelt euch mit Respekt. Jeder und
      jede sich selbst und seine Mitmenschen.

                                                                             Nina Schmidt – inspiriert
                                                                             von Carl Sagan

                                                                                                         29

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AUS DER GEMEINSCHAFT

      NEUBESETZUNG
      DER DIREKTIONSMANDATE
      in den Stiftungen Sarepta und Nazareth

      Liebe Schwestern und Brüder, wie Sie und       Zugleich hat der Vorstand in diesem Beru-
      Ihr alle wisst, ist Diakon Werner Arlabosse    fungsverfahren auch bereits die Nachfolge
      zum 1.2.2022 aus der Direktion der Stif-       von Wilfried Wesemann, der zum 1. Juli
      tungen Sarepta und Nazareth in die neue        2023 in den Ruhestand gehen wird, gere-
      Stabsstelle Personal des Vorstands der v.      gelt. Auch hier ist der Vorstand dem kla-
      Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel           ren Votum der Gemeinsamen Sitzung ge-
      gewechselt. Dadurch wurde ein Nachberu-        folgt. Als neues Direktionsmitglied mit dem
      fungsverfahren erforderlich. Hieran waren      Schwerpunkt Hilfefelder hat der Vorstand
      Vorstand, Direktion und die beiden Gemein-     Frau Linda Bulthaup, die derzeitige Leiterin
      schaften Nazareth und Sarepta beteiligt.       des Hospizes Haus Zuversicht, in die Direkti-
                                                     on berufen. Sie wird ihren Dienst im Hospiz
      Als neues Direktionsmitglied mit dem           bis zum Jahresende 2022 weiter wahrneh-
      Schwerpunkt Bildung und Theologie/             men. Danach wird Sie im Verbund der vBS
      Diakonie und Personal hat der Vorstand         Bethel und extern die Gelegenheit nutzen,
      der vBS Bethel am 8.3.2022 Herrn Diakon        die Arbeit anderer Stiftungsbereiche und
      Wolfgang Roos-Pfeiffer berufen. Der Vor-       anderer Träger kennenzulernen. Ab dem 1.
      stand folgt damit dem klaren Votum der         April 2023 wird sie in enger Abstimmung
      Gemeinsamen Sitzung des Schwesternra-          mit Herrn Wesemann Aufgaben für die Di-
      tes der Sarepta Schwesternschaft und des       rektion wahrnehmen, um dann zum 1. Juli
      Gemeinschaftsrates der Diakonischen Ge-        2023 das Mandat in der Direktion zu über-
      meinschaft Nazareth. Bruder Roos-Pfeif-        nehmen.
      fer wird sein derzeitiges Amt des Ältesten     Die Direktion freut sich auf eine gute
      bis zum 31.8.2022 wahrnehmen. Bis zum          und erfolgreiche Zusammenarbeit!
      Dienstantritt einer Nachfolgerin/eines Nach-
      folgers wird das Amt vakant sein. Der Ge-      Wolfgang         Linda
      meinschaftsrat hat bereits einen Wahlaus-      Roos-Pfeiffer    Bulthaup
      schuss berufen, der die Ausschreibung und
      Durchführung der Wahl einer/eines neu-
      en Ältesten organisieren wird. Mitglieder
      des Wahlausschuss sind Sandra Neubauer,
      Margit Hullmeine, Robin Hawerkamp und
      Carsten Böhrnsen.

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AUS DER GEMEINSCHAFT

      … UND WUSSTET IHR SCHON?
      Herzliche Einladung zur Vernetzung

      Die Diakonische Gemeinschaft Nazareth            aktiver und lebendiger wird es, und desto
      nutzt viele Wege, um Menschen zusam-             mehr ist dort zu finden. Wir planen gerade,
      menzubringen und ihre Mitglieder auf             das Forum umzugestalten und übersichtli-
      dem Laufenden zu halten. Neben Veran-            cher zu machen, damit die Nutzung noch
      staltungen und Räumen zur Begegnung              mehr Freude macht. Neugierig geworden?
      (online wie offline) gibt es den monatli-        Meldet euch bei Milena Bock unter milena.
      chen Versand von Nazareth aktuell und            bock@bethel.de.
      die Vernetzung von Mitgliedern mit Hilfe
      des Mitgliederverzeichnisses. Aber das ist       Auch auf den Sozialen Medien Facebook
      noch nicht alles! Hinter der Internetadresse     und Instagram sind wir zu finden, bei einer
      www.dgn.diakonie-netz.de verbirgt sich           Suche nach „Gemeinschaft Nazareth“ tau-
      ein Mitgliederforum, für alle Mitglieder         chen wir direkt auf! Auf diesen Plattformen
      der DGN. Einige Mitglieder sind dort schon       berichten wir von Dingen, die innerhalb und
      zu finden, aber längst nicht alle.               außerhalb der DGN passieren, und weisen
                                                       auf Veranstaltungen hin. Gerne würden
      Diejenigen, die noch nicht Teil des Forums       wir dort Reihen starten, an denen sich Mit-
      sind, fragen sich jetzt vielleicht: „Was habe    glieder beteiligen. Wie lautet euer Einseg-
      ich denn davon?“ Nun, das kann ich beant-        nungs- oder Kursusspruch und was verbin-
      worten. Im Mitgliederforum sind zum Einen        det ihr damit? Teilt es uns gerne mit! Ihr seid
      alle Dokumente hinterlegt, die für die Ge-       mit Geschwistern unterwegs und postet da-
      meinschaft wichtig sind: Ordnungen, das          von auf Instagram oder Facebook ein Foto?
      aktuelle Mitgliederverzeichnis, Jahresberich-    Nutzt gerne den Hashtag #dgnazareth, und
      te, die Nazareth Briefe, die Protokolle des      vielleicht verlinkt ihr uns ja sogar!
      Gemeinschaftsrates, und vieles mehr. Also        Ihr seht: Es ist ganz schön was los!
      ganz viele Dinge, die interessant sein könn-     Wir freuen uns, euch auch an diesen
      ten! Zum Anderen, und der Name verrät es         „Orten“ zu sehen!
      vielleicht schon, ist es ein Forum. Es ist ein
      Ort, an dem Mitglieder sich austauschen
      können, an dem sie zu Veranstaltungen ein-
      laden können, an dem sie auf aktuelle The-                       Milena Bock
      men hinweisen und um Hilfe bitten können.                        Referentin
      Je mehr Menschen das Forum nutzen, desto                         der Gemeinschaft

                                                                                                  33

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AUS DER GEMEINSCHAFT

      PROFILPROGRAMM
      VON SAREPTA UND NAZARETH
      für das Jahr 2022

      Ein Satzungsauftrag der Stiftungen Sarepta     Die Internetseite bündelt unsere Ange-
      und Nazareth ist es, den Dienst von Dia-       bote in vier inhaltliche Abschnitte:
      koninnen und Diakonen sowie Diakonis-
      sen und Diakonischen Schwestern zu för-
      dern. Hieran wirken in den Stiftungen die
      Stabsstelle Personal & Bildung, die Ev. Bil-
      dungsstätte für Diakonie und Gemeinde           profilieren
      sowie die Gemeinschaften mit. Mit dem           Unter dem Abschnitt „profilieren“ finden
      Profilprogramm 2022 halten wir gemein-          sich Angebote zur Personalentwicklung.
      sam verschiedene Angebote der Bildungs-         Hierbei handelt es sich um ein Spektrum
      und Personalentwicklung sowie aktuelle          von individuellen Beratungsangeboten
      Informationen für die beruflich aktiven         bis zu gezielten Angeboten der Weiter-
      Mitglieder der Gemeinschaften bereit. Die       entwicklung.
      Programmangebote für das Jahr 2022 fin-
      den Sie auf der Homepage mit dem Titel
      www.diakonisch-profiliert.de.

      Hier stellen wir das Programm in vier Ka-       bilden
      tegorien vor und bieten zugleich eine ein-      Im Abschnitt „bilden“ finden sich
      fache Möglichkeit, sich für die Veranstal-      verschiedene Angebote zur Fort- und
      tungen anzumelden und Kontakt mit uns           Weiterbildung.
      aufzunehmen.

                                                      vernetzen
                                                      Im Kapitel „vernetzen“ finden sich
                                                      verschiedene Angebote zum Austausch
                                                      und der Vernetzung der Gemeinschaften
                                                      Sarepta/Nazareth, der Personalarbeit und
                                                      der Verbände im Diakonat und aus dem
                                                      Raum der Kirche.

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AUS DER GEMEINSCHAFT

                                                   Eine kleine Auswahl
                                                   der kommenden Veranstaltungen:

                                                   Diakonisches
         informieren                               Standortbestimmungsseminar
         Hier gelangen Sie zu unserem internen     13. – 14.05.2022
         – nicht öffentlichen – Online-Forum mit   Den beruflichen Standort
         Stellenangeboten, Materialen und aktu-    im diakonischen Kontext bestimmen
         ellen Informationen für den Dienst von
                                                   Seelsorge in Notfällen
         Diakoninnen, Diakonen und Diakonissen
                                                   29.05.2022
         sowie weiteren Mitgliedern im aktiven
                                                   Was tun in akuten Krisensituationen?
         Dienst der Gemeinschaften von Sarepta
         und Nazareth.                             Regionales Netzwerktreffen
                                                   im Norden (Bezirk Nord-Ost)
      Neu ist eine Übersicht aller Veranstaltun-   10.06.2022
      gen, die Ihnen einen chronologischen Ge-     „Diakon/-in – Ach, du auch?“
      samtüberblick ermöglicht (Reiter „Alle An-
                                                   „Man muss mit allem
      gebote“).
                                                   rechnen, auch mit dem Guten…“
                                                   25.06.2022
      Mit Fragen und Ideen zum Programm kön-
                                                   Ein Resilienz Workshop
      nen Sie sich gerne an Jutta Beldermann,
      Joachim Hood oder Patrick Quack wenden.      Umgang mit „sexualisierter Gewalt“
      Wir hoffen, dass unsere Angebote Ihren       20.08.2022
      Dienst und Ihre Entwicklung fördern und      Seminar zur Sensibilisierung
      freuen uns auf vielfältige Begegnungen!      bei Verletzungen der sexuellen
                                                   Selbstbestimmung

                                                   Zwischen „mühsam
                                                   hoffnungsstur und freudenleicht“
                                                   27.08.2022
                                                   Seminartag
                            Patrick Quack
                            Diakon

                                                                                            35

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