Mehr Tempo, mehr Flexibilität, mehr Kooperation - Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke

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Mehr Tempo, mehr Flexibilität, mehr Kooperation - Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke
1/2018                                                             REHAvision

Chancen und Perspektiven
der Beruflichen Rehabilitation

Mehr Tempo, mehr Flexibilität, mehr Kooperation
Was eine zukunftsfeste berufliche Rehabilitation braucht
Die Faktenlage ist grundsätzlich gut: In den kommenden Jahren kann Deutschland mit einer Ausdehnung der Lebens-
arbeitszeit und einer Zunahme von älteren Erwerbstätigen rechnen. Der medizinische Fortschritt ermöglicht es zudem
Menschen, die noch vor wenigen Jahren aufgrund einer Erkrankung wie beispielsweise Krebs mit dem beruflichen
„Aus“ rechnen mussten, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Doch der Fortschritt birgt auch Herausforderungen für
die berufliche Rehabilitation. REHAVISION wirft einen Blick auf die zentralen Aufgaben der Zukunft. Seite 3

                               „Vielzahl von innovativen                                               Arbeitslos und
                               Modellideen entwickelt“                                                 mehrfach-krank
                               Interview mit Brigitte Gross,                                           Früher war der Fall klar: Der
                               Direktorin der Deutschen                                                Dachdecker, der vom Dach
                               Rentenversicherung Bund,                                                fiel, war ein „typischer” Reha-
                               über nahtlose Übergänge                                                 Fall. Heute gibt es immer mehr
                               und neue Wege in der                                                    Rehabilitanden mit multiplen
                               beruflichen Rehabilitation.                                             Vermittlungshemmnissen.
                               Seite 7                                                                 Seite 9

                                                               Die REHAVISION wird herausgegeben vom
Mehr Tempo, mehr Flexibilität, mehr Kooperation - Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke
VORWORT

                 Liebe Leserin, lieber Leser,
                 im Januar 1968 haben sich zunächst acht Berufsför-           Bis heute ist es vor allem der stete Wandel, der die
                 derungswerke in Heidelberg zur „Arbeitsgemeinschaft          Berufsförderungswerke über all die Jahre geprägt
                 Deutscher Berufsförderungswerke“ zusammenge-                 hat und auf den sie reagiert haben. Wir wollen daher
                 schlossen. 50 Jahre später ist daraus der Bundesver-         unser 50-jähriges Jubiläum auch zum Anlass nehmen,
                 band Deutscher Berufsförderungswerke geworden,               um den Blick in die Zukunft zu richten: Nachdem sich
                 der mit 28 BFW-Hauptstandorten, etwa 100 Regio-              die letzte Ausgabe mit den rasanten Veränderun-
                 nalzentren, 12.000 Ausbildungs- und Umschulungs-             gen am Arbeitsmarkt befasst hat, stellen wir in der
                 plätzen ein bundesweites Kompetenznetzwerk für               REHAVISION 1/2018 die konkreten Herausforderun-
                 Gesundheit und Arbeit bildet.                                gen für die berufliche Rehabilitation der Zukunft in
                                                                              den Mittelpunkt. Lesen Sie in dieser Ausgabe, welche
                 In den vergangenen fünf Jahrzehnten waren die                zentralen Aufgaben auf die moderne berufliche Reha
                 Berufsförderungswerke und ihr Verband immer aktiv            zukommen und welche Lösungsansätze die BFW
                 bei der Entwicklung von beruflichen Reha-Leistungen          bereits verfolgen.
                 und der Ausgestaltung des gesetzlichen Rahmens von
                 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beteiligt.
                 Ein goldenes Verbandsjubiläum ist deswegen ein be-           Ihre
                 deutender und willkommener Anlass, um auf politi-
                 sche Meilensteine und das Erreichte zurückzublicken.
                 Im Jubiläumsjahr 2018 haben wir deshalb eine Reihe           Dr. Susanne Gebauer
                 von Aktivitäten geplant, über die Sie sich im Web            Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes
                 und der REHAVISION informieren können.                       Deutscher Berufsförderungswerke

                 Inhaltsverzeichnis
                 Schwerpunkt Zukunftsfeste Reha . . . . . . . .       . 3     Aktuelles aus den BFW . . . . . . . . . . . . . . 13
                 Mehr Tempo, mehr Flexibilität,                               Personalpolitik gemeinsam demografiefest
                 mehr Kooperation . . . . . . . . . . . . . . .       .   3   gestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
                 „Vielzahl von innovativen Modellideen entwickelt“    .   7   Neue Qualifizierung . . . . . . . . . . . . . . . 13
                 „Behinderung ist nicht gleich Behinderung“ . . .     .   8
                 Arbeitslos und mehrfach-krank . . . . . . . . .      .   9   Namen und Nachrichten . . . . . . . . . . .          . 14
                 Bessere Chancen für psychisch                                Vom Wandel der Berufe und BFW-Ausbildungen           . 14
                 erkrankte Menschen. . . . . . . . . . . . . . .      . 10    Kurz notiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   . 14
                 Gestern Inklusion, heute Digitalisierung, morgen…?   . 11    Personalia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   . 15
                 Strategien für die Zukunft entwickeln . . . . . .    . 12    Veranstaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . .    . 15

                    Impressum

                    Redaktion:                                                Gestaltung:
                    Dr. Susanne Gebauer, Frank Gottwald,                      zeichensetzen medienagentur GmbH
                    Hans-Dieter Herter, Ellen Krüger,                         GDA Kommunikation − Gesellschaft für Marketing
                    Frank Memmler, Niels Reith, Astrid Hadem                  und Service der Deutschen Arbeitgeber mbH
                    (V.i.S.d.P.)
                                                                              Leserservice:
                    Fotonachweise (Seite):                                    Kontakt: Ellen Krüger
                    iStockphoto.com (1, 3, 4, 9);                             Knobelsdorffstraße 92, 14059 Berlin
                    BV BFW/Kruppa (2, 10, 12);                                Tel.: 030 3002-1253, Fax: 030 3002-1256
                    DRV Bund (7); BA (8);                                     E-Mail: rehavision@bv-bfw.de
                    Deutsche Bahn AG/Oliver Lang (13);
                                                                              Herausgeber:
                    alamy stock photo (14/oben);
                                                                              Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke e. V.
                    BV BFW/Simone Neumann (14/unten);
                    Nikolauspflege (15/Hohler);                               Druck:
                    Stephan Floss/DGUV (15/Breuer)                            Königsdruck – Printmedien und digitale Dienste GmbH

2   REHAVISION
Mehr Tempo, mehr Flexibilität, mehr Kooperation - Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke
SCHWERPUNKT ZUKUNFTSFESTE REHA

Mehr Tempo, mehr Flexibilität, mehr Kooperation
Was eine zukunftsfeste berufliche Rehabilitation braucht

D   ie Veränderungen in Gesellschaft, Gesundheit
    und Arbeitswelt sind rasant, allerdings nicht
überraschend. Die Megatrends werden bereits seit
                                                          Nachfrage-Situation nach Arbeitskräften Betriebe
                                                          deutlich bereiter machen für eigenständige betrieb-
                                                          liche Reha-Maßnahmen. Dennoch ist damit zu rech-
langem diskutiert: Die demografische Entwicklung,         nen, dass die Anzahl der Personen, die aus gesund-
verzahnte Prozesse und neue Krankheitsbilder gehö-        heitlichen Gründen ihre Berufstätigkeit nicht mehr
ren ebenso dazu wie Technisierung und Digitalisie-        ausüben können, zunehmen wird.
rung mit ihren Folgen für Arbeit und Qualifizierung.
Diese Trends erfordern auch von den Berufsförde-              Eine Entwicklung, die auch die Experten aus der
rungswerken (BFW) als Kompetenzzentren für Arbeit         beruflichen Rehabilitation erwarten – und die neue
und Gesundheit Antworten darauf, wie wirksame             Lösungen braucht. „Das wirft Probleme auf“; er-
Reha-Angebote der Zukunft aussehen müssen. Fest           klärt Jörg Barlsen, Geschäftsführer der drei nieder-
steht, dass im Zentrum stets der Mensch steht. Auch       sächsischen Berufsförderungswerke. Die Personen,
er unterliegt Veränderungen, das belegen die Teil-        die einen Bedarf an Leistungen zur Teilhabe am
nehmerstrukturen in den bundesdeutschen Reha-Ein-         Arbeitsleben haben, werden älter. Die Folge: Der
richtungen eindrucksvoll. Die Herausforderungen           Kreis derjenigen, die zwar ihren alten Beruf nicht
mögen groß sein. Für die Berufsförderungswerke            mehr ausüben, aber altersbedingt nicht mehr um-
gehört ihre Bewältigung zum Alltag. Sie haben eine        geschult werden können und wollen, wird größer.
jahrzehntelange Erfahrung in der Weiterentwicklung        Für diese Personengruppe gilt es, adäquate Ange-
der beruflichen Rehabilitation und wissen, dass in der    bote im Bereich der beruflichen Rehabilitation zu
Gestaltung von Umbrüchen neue Chancen liegen.             entwickeln, die an den vorhandenen Erfahrungen
Rehavision listet die großen Trends und die damit         und Qualifikationen ansetzen.
verbundenen Herausforderungen auf.
                                                          Schnell und verzahnt durch MBOR
Mehr ältere Rehabilitanden
                                                          Um auch mit steigendem Alter die Beschäftigung zu
Der demografische Wandel mit der steigenden Zahl          sichern, kommt es vor allem auf schnelle und inein-
der 50- bis 60-Jährigen führt zu einem quantitativen      ander verzahnte Reha-Maßnahmen an. Die Deutsche
und qualitativen Anstieg des Fachkräftebedarfs, das       Rentenversicherung hat darauf mit der Einführung
bestätigen viele Studien, so das Institut der deutschen   der Medizinisch-Beruflich-Orientierten Rehabilitation
Wirtschaft Köln. Der Bedarf ist da. Was bleibt, ist       (MBOR) reagiert. Durch eine stärkere Ausrichtung der
die Aufgabe, die älteren Mitarbeiter bis zum Ein-         medizinischen Rehabilitation auf die Wiedereinglie-
tritt in die Rente beschäftigungsfähig zu halten. Die     derung in Arbeit gelingt es zunehmend besser, ihre
Deutsche Gesellschaft für medizinische Rehabilitati-      Patienten wieder arbeitsfähig zu machen. Der Bedarf
on (DEGEMED) erwartet daher, dass der Bedarf an           an klassischen beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen
Maßnahmen zur Prävention und Rehabilitation stei-         für Menschen mit einfachen Problemlagen verringert
gen wird. Anders als in der Vergangenheit wird die        sich in der Folge immer weiter, schätzen Experten.

                                                                                                                  REHAVISION   3
Mehr Tempo, mehr Flexibilität, mehr Kooperation - Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke
SCHWERPUNKT ZUKUNFTSFESTE REHA

                                                                                                                          Bundesverbandes Deutscher Berufsförderungswerke.
                                                                                                                          Während die „typischen“ Reha-Fälle heute aufgrund
                                                                                                                          des Fachkräftemangels innerbetrieblich rehabilitiert
                                                                                                                          werden, steigt in den Berufsförderungswerken der
                                                                                                                          Anteil an Menschen in schwierigen Lebenslagen, die
                                                                                                                          weit über eine diagnostizierte Erkrankung hinaus um-
                                                                                                                          fänglich beeinträchtigt sind. „Wir haben heute mehr
                                                                                                                          Personen mit multiplen Vermittlungshemmnissen“, un-
                                                                                                                          terstreicht auch Jörg Barlsen die Veränderungen der
                                                                                                                          Teilnehmerstruktur. Oftmals handele es sich um Men-
                                                                                                                          schen, die sozial isoliert und von negativen Erfah-
                                                                                                                          rungen geprägt sind. Hinzu kommen steigende Fall-
                                                                                                                          zahlen psychisch Erkrankter, wie auch die Daten der
                                                                                                                          gesetzlichen Krankenkassen belegen.

                                                                                                                              Die Angebote der beruflichen Rehabilitation müs-
                                                                                                                          sen für diesen Personenkreis neu konzipiert sein: „Ei-
                                                                    „Die MBOR leistet einen wichtigen Beitrag zur Si-     nen neuen Beruf zu erlernen, ist dabei keine Lösung,
                                                               cherung der Beschäftigungsfähigkeit und zur berufli-       denn damit werden die bestehenden Problemlagen
                                                               chen und sozialen Teilhabe der Betroffenen“, bestä-        nicht behoben“, so Barlsen. Vielmehr brauche es psy-
                                                               tigt Christoph Lawall, Geschäftsführer der DEGEMED.        chosoziale Hilfen zur Überwindung ihres Grundmiss-
                                                               Bislang werde MBOR aber regelhaft nur in den Indi-         trauens. Um diese Menschen fit für das Arbeitsleben
                                                               kationen Orthopädie und Psychosomatik angeboten.           zu machen, müssen neue Kompetenzen gefördert
                                                               „Wir wünschen uns deshalb, dass alle Rehabilitanden        werden wie Entscheidungs- und Problemlösungskom-
                                                               mit einer besonderen beruflichen Problemlage die           petenz oder Stressresistenz, so beschreibt Dr. Susan-
                                                               Möglichkeit erhalten, eine MBOR durchzuführen.“ Es         ne Gebauer die Lösungsansätze. Das brauche eine
                                                               sei davon auszugehen, dass das die Erfolge der me-         verstärkte Einzelfallbetrachtung und interdisziplinäre
                                                               dizinischen Reha noch erhöhen würde.                       Teams. „Komplexe Problemlagen erfordern Multipro-
                                                                                                                          fessionalität“, sagt Gebauer. Das wiederum bedeute
                                                               Mehr schwere Problemlagen                                  eine enge Zusammenarbeit mit Partnern.

                                                               Und die Zahl der Betroffenen wächst: Dass immer                Ein Beispiel dafür ist die Kooperation zwischen
                                                               mehr Teilnehmer mit schwerwiegenden beruflichen            dem BFW Nürnberg und der ERPEKA Nürnberg,
                                                               Problemlagen in der Rehabilitation zu verzeichnen          einer Rehabilitationseinrichtung für psychisch kran-
                                                               sind, wird von allen Dienstleistern in der Reha-Land-      ke und behinderte Menschen. Im engen Dialog von
                                                               schaft bestätigt. „Die Ausgangssituationen der Reha-       Fachdiensten und auf Ausbildungsebene werden ER-
                                                               bilitanden werden differenzierter und komplexer“,          PEKA-Teilnehmer, die den Übergang in ein Berufsför-
                                                               sagt Dr. Susanne Gebauer, Vorstandsvorsitzende des         derungswerk schaffen, gezielt begleitet. Teilweise sind

                Entwicklung von Arbeitsunfähigkeitsfällen und -tagen
                aufgrund psychischer Erkrankungen in Deutschland in den Jahren 2006 bis 2016
                                                         200

                                                         180
                                Indexwert (2006 = 100)

                                                         160

                                                         140

                                                         120
     2008     2009     2010     2011     2012      2013     2014    2015                           2016
2009     2010     2011     2012     2013      2014     2015    2016
                     AU-Fälle              AU-Tage
                                             100
                                                                     2006     2007      2008      2009       2010       2011     2012      2013      2014      2015        2016
     AU-Fälle        AU-Tage
                                                                                                                                                                  Quelle: Statista 2017
                                                                                                          AU-Fälle       AU-Tage

                 4     REHAVISION
Mehr Tempo, mehr Flexibilität, mehr Kooperation - Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke
SCHWERPUNKT ZUKUNFTSFESTE REHA

zudem bereits während der ERPEKA die Angebote                                        Neue Chancen, um auch Teilnehmer mit selteneren
des BFW nutzbar, wie beispielsweise ein berufliches                              Krankheitsbildern beruflich zu rehabilitieren, bietet die
Training, das zur Steigerung der Belastbarkeit, Sozi-                            weiterentwickelte Technisierung in der Medizin. So ist
alkompetenz und zur beruflichen (Re)Qualifizierung                               man in Dortmund beispielsweise eine telemedizinische
dient. Die unmittelbare Nachbarschaft erleichtert es                             Kooperation mit dem Epilepsie-Zentrum der Uni-Klinik
Teilnehmern bei Überforderung oder erneuter Erkran-                              in Erlangen eingegangen und plant die Zusammenar-
kung zudem, ihre Therapie in die berufliche Rehabili-                            beit mit dem Schlafmedizinischen Zentrum der Uni-Kli-
tation zu integrieren und Abbrüche zu vermeiden.                                 nik Münster. „Über Telemedizin können neue zielgrup-
                                                                                 penspezifische Angebote in die berufliche Rehabilitation
Kooperationen bei kleineren Fallzahlen                                           eingephast werden.” Das heißt, eine indikationsbezoge-
                                                                                 ne medizinische Unterstützung wird in die berufliche Re-
Kooperationsmodelle sind gerade in der Rehabilitation                            habilitation integriert, um krankheitsbedingte Abbrüche
neuer Zielgruppen gefragt, ebenso wie Netzwerke mit                              zu vermeiden und den Integrationserfolg zu erhöhen.
Kliniken. Das gelte sowohl bei Menschen mit psychischen                          Die Berufliche Reha wird durchlässiger und effektiver.
Erkrankungen als auch bei Rehabilitanden in kleineren
Fallzahlen, die aufgrund telemedizinischer Ansätze gut                               Die Reha-Konzepte bei kleinen Fallzahlen und Re-
zu behandeln sind, wie beispielsweise Epilepsie- oder                            habilitanden mit multiplen Vermittlungshemmnissen ma-
Adipositas-Patienten. Darauf verweist Prof. Dr. Andreas                          chen deutlich, worauf es zunehmend ankommt, wenn
Weber. Der Leiter des medizinischen Dienstes des                                 die Rückkehr in den Beruf gelingen soll: „Es braucht
BFW Dortmund hat in den vergangenen Jahren rund                                  individuelle Konzepte und eine hohe Flexibilität bei der
50 Teilnehmer mit schwerem Übergewicht begleitet,                                Gestaltung der Leistungsangebote“, so die BFW-Exper-
die in Kooperation mit dem Excellenzzentrum für Adi-                             ten. Unumgänglich sei es zudem, die Ausbilder für den
positas-Chirurgie des Klinikum Vest in Recklinghausen                            Umgang mit schwierigen Menschen zu qualifizieren, die
erfolgreich in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden                             psychosozialen Unterstützungsbedarf haben.
konnten. „Wir haben immer mehr stark übergewichti-
ge Menschen“, so seine Erfahrung. Mehr als 200 Kilo-                             Andere Kompetenzen erforderlich
gramm sind dabei keine Ausnahme. „Eine Reduzierung
des Körpergewichts durch Bewegung und Umstellung                                 Zu den aktuell am meisten diskutierten Herausforde-
der Ernährung ist ab einem bestimmten Gewicht nur                                rungen gehört der technologische Fortschritt mit sei-
begrenzt mit nachhaltigem Erfolg realisierbar. Zudem                             nen Auswirkungen auf die Arbeitswelt: Anforderungen
stellt eine ausgeprägte Adipositas im Regelfall auch ein                         an Berufe und Kompetenzen der Mitarbeiter ändern
wesentliches Integrationshemmnis dar“, erklärt Weber.                            sich. Insgesamt sprechen die Befunde dafür, dass Jobs
Hier bietet die Adipositas-Chirurgie mit der Möglichkeit                         der Zukunft weniger körperlich anstrengend, da-
einer Magenverkleinerung eine wirksame Hilfe. „Kom-                              für anspruchsvoller werden. So die Ergebnisse eines
biniert mit Verhaltens- und Bewegungstherapie haben                              IAB-Forschungsberichtes zu Wirtschaft 4.0. Danach
die Teilnehmer anschließend eine realistische Chance                             steigen die Anforderungen vor allem im Bereich des
auf Vermittlung in Arbeit“, so der Mediziner nach sechs                          Prozess-Knowhows sowie im Hinblick auf eine interdis-
Jahren Zusammenarbeit mit dem Adipositaszentrum.                                 ziplinäre Arbeitsweise und überfachliche Fähigkeiten.

Ansprüche an Fachkräfte steigen
Hinsichtlich dieser Faktoren stellen Fachkräfte eine Zunahme im Arbeitsalltag fest

100 %
                         Anforderungen des
                         Unternehmens
          Arbeitstempo

                                                                                    Berufliche Nutzung

 80 %
                                                             Änderung interner
                                             von Projekten

                                                                                                                             Anzahl der E-Mails
                                                                                                         Personenkontakten
                                             Komplexität

                                                                                                                                                                                  Tägliche Arbeitszeit
                                                                                    des Internets

 60 %
                                                             Prozesse

                                                                                                                                                                                                         Zeit für Meetings
                                                                                                         Anzahl von

                                                                                                                                                              Arbetisalltag
                                                                                                                                                              Konflikte im

 40 %

 20 %

           54                54                  47               42                     41                  33               33                                 30                 29                      25
  0%

                                                                                                                                                  Quelle: QZ-online.de
                                                                                                                                                           Quelle: QZ-online.de

                                                                                                                                                                                            REHAVISION                       5
Mehr Tempo, mehr Flexibilität, mehr Kooperation - Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke
SCHWERPUNKT ZUKUNFTSFESTE REHA

                     Gefragt sind dann vor allem soziale Kompetenzen wie             stehende Qualifizierungsformen immer wieder an neue
                     etwa beim Kundenmanagement oder Kreativität, das                Rahmenparameter anzupassen. Ein Beispiel dafür sind
                     heißt Kompetenzen, in denen Menschen nach wie vor               Qualitätsfachleute, die unter anderem seit über 40
                     einen Vorteil gegenüber Maschinen haben. Zu den                 Jahren im BFW München ausgebildet werden: „Der
                     Nebenwirkungen dieser Entwicklungen gehört jedoch               Beruf des geprüften Qualitätsfachmannes Fertigungs-
                     auch eine zunehmend hohe mentale Belastung. So ge-              prüftechnik ist ein Beruf mit Zukunft“, sagt Ralf Ewe-
                     ben laut Risikobeobachtungsstelle für die Unfallversi-          ring, Qualitätsmanagementbeauftragter im BFW
                     cherungsträger zwei Drittel der Beschäftigten an, dass          München und Ausbildungsverantwortlicher in diesem
                     technologische Neuerungen zu einer „Verdichtung der             Bereich. „Unsere Absolventen werden sehr vielfältig in
                     Arbeit“ führen und immer mehr Aufgaben gleichzeitig             Unternehmen eingesetzt.“ Die Integration der Rehabili-
                     erledigt werden müssen. Arbeitnehmer müssen ihre                tanden gelinge, weil sie auf modernste Messtechnik vor-
                     Fähigkeiten kontinuierlich weiterentwickeln, um den             bereitet werden – und damit auf die zunehmende Au-
                     gestiegenen Anforderungen Rechnung zu tragen. Das               tomatisierung im Zuge von Industrie 4.0: „Unsere neu
                     Tempo der Veränderungen nimmt zu und die Arbeitsin-             gestalteten Unterrichtsräume und Messlabore sind nach
                     halte werden vielfältiger und komplexer.                        höchstem Industrie-Standard ausgestattet“, so Ewering.

                         Hier sind angepasste Qualifikationsinhalte und              Expertise für Veränderungen
                     -methoden erforderlich, um den rasch wechselnden
                     Anforderungen des technologischen und insbesondere              Die Veränderungen sind weitreichend. Dass die Berufs-
                     digitalen Wandels gerecht zu werden, aber auch den              förderungswerke Experten in der Gestaltung von Ver-
                     veränderten Arbeitsformen, die zudem mehr Flexibilität          änderungen sind, daran erinnert Ulrich Wittwer, der
                     von den Beschäftigten verlangen: „Informelles Lernen,           frühere Vorstandsvorsitzende des heutigen BV BFW an-
                     mobiles Lernen, arbeitsintegriertes Lernen oder alterns-        lässlich des 50-jährigen Jubiläums, das der Bundesver-
                     gerechtes Lernen“, so beschreibt die Deutsche Ge-               band in diesem Jahr feiert. Dazu gehörten im Übrigen
                     setzliche Unfallversicherung in ihrem Kommentar zum             nicht selten finanzielle Engpässe aufgrund politischer
                     Grünbuch „Arbeiten 4.0“ Beispiele, die die zukünftigen          Entwicklungen, wie dem 20. Rentenanpassungsgesetz
                     qualifikationsbezogenen Aufgaben wiedergeben.                   (RAG), in dem die Zuständigkeit für die berufliche Reha-
                                                                                     bilitation weitgehend auf die damalige Bundesanstalt
                     Qualifizierungsangebot muss sich am                             für Arbeit übertragen wurde, oder den „Gesetzen für
                     Fachkräftebedarf orientieren                                    moderne Dienstleistungen“ (Hartz-Gesetze). „Die BFW
                                                                                     haben immer mit konstruktiven Maßnahmen reagiert.
                     Dass es zukünftig nicht nur um neue Fachkenntnisse              Sie haben die Struktur sowie die Methodik und Di-
                     geht, sondern auch um die Fähigkeit mit Veränderun-             daktik weiterentwickelt, zum Beispiel durch Einführung
                     gen und neuem Wissen umzugehen, wirkt sich auch                 der ‘Handlungsorientierten Ausbildung’“, sagt Wittwer.
                     auf die Berufsbilder aus. Manche fallen ganz weg,               Nicht zuletzt haben die BFW durch Qualitätssteigerung
                     neue kommen hinzu und andere werden an die ver-                 und Verbesserung ihres Angebotes überzeugt. Dabei
                     änderten Anforderungen angepasst. Arbeitsnah und                waren sie vielfach Vorreiter: Schon 1990 gab es spezi-
                     zukunftsfest auszubilden, heißt daher nicht nur, in neue        elle Angebote für psychisch behinderte Menschen und
                     Qualifizierungen zu investieren. Fachkräftebedarf be-           auch bei den Unternehmenskooperationen gehörten
                     steht zukünftig auch in bewährten Berufen – vor allem           die BFW zu den ersten Reha-Dienstleistern, nachdem
                     in der Gesundheitsbranche und im technischen Bereich,           sie auch für die erfolgreiche Vermittlung ihrer Rehabi-
                     so prognostizieren es Untersuchungen. Hier gilt es, be-         litanden in den ersten Arbeitsmarkt zuständig waren.

                                                                                                             Und der wesentliche Gelin-
    Top 10: Entwicklungen der Arbeitswelt auf Sicherheits- und                                          gensfaktor einer berufliche Reha-
            Gesundheitsrisiken – Untersuchungen der RIBEO UV*                                           bilitation? Sie lebt auch in Zukunft
                                                                                                        von der Zusammenarbeit. Denn
                                                                                                        gerade im Reha-Prozess kommt
      1.   Arbeitsverdichtung und längere Arbeitszeiten
                                                                                                        es auf die reibungslose Gestal-
      2.   Zunehmender Anteil älterer Menschen                                                          tung an den Schnittstellen an.
      3.   Vernetzung, Erreichbarkeit und Kontrolle durch Computer und IT                               Das gilt insbesondere bei einem
      4.   Mobilitätsanforderungen/Verkehrsdichte                                                       Wechsel zwischen unterschiedli-
                                                                                                        chen, spezialisierten Leistungs-
      5.   Langanhaltende und/oder einseitige Belastungen des Muskel-Skelett-Systems
                                                                                                        anbietern oder der Beteiligung
      6.   Zunehmende Verantwortungsausweitung                                                          zusätzlicher Rehabilitationsträ-
      7.   Mangel an Fachkräften                                                                        ger. Vor diesem Hintergrund hat
      8.   Arbeitsplatzunsicherheit und zunehmende prekäre Arbeitsverträge                              die Politik mit dem Bundesteilha-
                                                                                                        begesetz eine der Weichen für
      9.   Exposition gegenüber Lärm
                                                                                                        eine zukunftsfeste Rehabilitation
      10. Mangel an körperlicher Aktivität in der Freizeit                                              gestellt. Es bleibt zu hoffen, dass
                                       *Risikobeobachtungsstelle für die Unfallversicherungsträger      die neue Bundesregierung hieran
                                                                                                        anknüpfen wird.

6    REHAVISION
Mehr Tempo, mehr Flexibilität, mehr Kooperation - Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke
SCHWERPUNKT ZUKUNFTSFESTE REHA

„Vielzahl von innovativen Modellideen entwickelt“
Interview mit Brigitte Gross, Direktorin der Deutschen Rentenversicherung Bund

REHAVISION: Primär- und Sekundärprävention wer-            und/oder Lebensstilrisiken
den mit Blick auf älter werdende Belegschaften             frühzeitig erkannt werden,
wichtiger. Welche Ansätze gibt es hier?                    so dass eine notwendige
                                                           Intervention bei Bedarf
Brigitte Gross: Die DRV erbringt Präventionsleistungen     rechtzeitig eingeleitet wer-
an Versicherte, die unter ersten gesundheitlichen Beein-   den kann, wenn der Versi-
trächtigungen leiden. Diese sollen sie dazu befähigen,     cherte dies wünscht.
eigenverantwortlich einen gesundheitsförderlichen Le-
bensstil zu entwickeln und beizubehalten. Hierfür wer-     Beratung spielt künftig eine
den zu den Themen Bewegung, Ernährung, Stressma-           noch wichtigere Rolle. Wie
nagement, psycho-edukative und praktische Trainings-       erreicht die DRV Firmen?
inhalte vermittelt. Die Versicherten nehmen über meh-
rere Wochen berufsbegleitend an den Trainingseinhei-       Eine gute Beratung über
ten teil und üben, ihren neuen Lebensstil im Alltag dau-   gesetzliche      Ansprüche
erhaft umzusetzen. Ziel ist es, der Entwicklung chroni-    und Gestaltungsmöglich-
scher Krankheiten vorzubeugen, die insbesondere bei        keiten war schon immer
Risikofaktoren wie Bewegungsarmut, Über- und Fehl-         Auftrag und Anliegen der DRV. Für die Beratung der         Brigitte Gross,
ernährung sowie übermäßiger Stressbelastung auftreten.     Beschäftigten zu Fragen der Rehabilitation unterhält       Mitglied des
                                                           die DRV ein bundesweites Netz an Auskunfts- und            Direktoriums bei der
Nahtlose Übergänge sind gefragt: Welche An-                Beratungsstellen und Reha-(Fach)-Beratungsdiens-           Deutschen Renten-
gebote gibt es an der Schnittstelle zwischen Reha          ten. Um speziell auf die Bedürfnisse von Betrieben         versicherung Bund
und Arbeitsleben?                                          einzugehen, hat die DRV den Firmenservice ge-
                                                           schaffen, ein umfassendes Beratungs- und Informa-
Die DRV hat ihre Reha-Leistungen unter anderem durch       tionsangebot über Prävention und Rehabilitation. Die
die Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation       Firmenberater der DRV kommen bei Bedarf auch di-
(MBOR) noch stärker auf die berufliche Integration aus-    rekt in die Firma und vermitteln auch den Kontakt zu
gerichtet. Leitgedanke ist dabei die Orientierung an       anderen Leistungsträgern. Der Beratungsservice ist
den Anforderungen der Arbeitswelt und besonders den        kostenfrei und soll insbesondere kleine und mittlere
aktuellen Arbeitsplatz. Über die spezifische Reha-Diag-    Unternehmen unterstützen, die in der Angebotsviel-
nostik und Reha-Therapie kann die MBOR gezielt auf         falt des gegliederten Systems Orientierung benötigen.
gesundheitlich bedingte berufliche Problemlagen ein-
gehen. Ergeben sich dabei Anhaltspunkte dafür, dass        Das BTHG setzt auf Modellvorhaben, um die Er-
diese Problemlagen zur Sicherstellung der Erwerbsfä-       werbsfähigkeit der Betroffenen zu sichern. Wie
higkeit Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA)      können neue Wege aussehen?
erfordern, dokumentiert die Reha-Einrichtung das im
Entlassungsbericht. Der Rentenversicherungsträger          Mit der Initiative zur Erprobung innovativer Modellvor-
prüft auf Grundlage dieser Empfehlung, ob und wel-         haben in der Neufassung des Bundesteilhabegesetzes
che LTA erforderlich sind. Dieses Vorgehen sichert         (BTHG) wird ein wichtiger Impuls gesetzt, die Rehabili-
einen reibungslosen Übergang an der Schnittstelle          tation weiterzuentwickeln und zu stärken. Gerade die in
zwischen medizinischer und beruflicher Rehabilitation.     den letzten Jahren zunehmenden psychischen Störungen
                                                           sind besonders häufig für einen vorzeitigen Ausstieg aus
    Ein zweiter wichtiger Ansatz ist die Entwicklung ei-   dem Erwerbsleben verantwortlich. Im Rahmen des För-
nes Konzepts für ein bedarfsorientiertes Fallmanage-       derprogramms „rehapro“ sollen innovative Konzepte er-
ment. Damit möchte die DRV Versicherte unterstützen,       probt werden, die einer Chronifizierung von psychischen
bei denen herkömmliche Leistungen für eine erfolgrei-      Erkrankungen frühzeitig entgegenwirken sollen. Die Ren-
che berufliche Wiedereingliederung nicht ausreichen.       tenversicherungsträger haben bereits im Vorfeld der
Kernelemente sind eine personenorientierte Beratung        Förderung eine Vielzahl von innovativen Modellideen ent-
sowie Planung und Begleitung des Reha-Prozesses. In        wickelt. Dabei geht es vor allem um den frühzeitigen Zu-
einem koordinierten Verfahren sollen die verschie-         gang zu Reha-Leistungen sowie um Personengruppen mit
denen Akteure bei der beruflichen Eingliederung            besonderen Bedarfslagen. Über die Weiterentwicklung
zusammenarbeiten. Mit dem Flexirentengesetz hat            der Reha-Nachsorge kann auch die Nachhaltigkeit ver-
der Gesetzgeber zudem zur Stärkung der Prävention          bessert werden. Ein wesentliches Ziel der Fördermaß-
eine berufsbezogene Vorsorgeuntersuchung einge-            nahme ist die Vernetzung der Akteure. Hier zeichnen
führt, eine freiwillige, individuelle Gesundheitsunter-    sich bereits verschiedene Kooperationen der DRV mit
suchung für Versicherte ab dem 45. Lebensjahr. Hier-       Jobcentern ab. Wir hoffen, dass die ersten Modellpro-
durch sollen erste gesundheitliche Beeinträchtigungen      jekte Mitte 2018 beginnen können.

                                                                                                                      REHAVISION         7
SCHWERPUNKT ZUKUNFTSFESTE REHA

„Behinderung ist nicht gleich Behinderung“
Interview mit Eva Strobel, Geschäftsführerin der Bundesagentur für Arbeit

                                             REHAVISION: Welche Verän-            zustellen und die Betroffenen mit in den Reha-Prozess
                                             derungen kommen auf die              einzubinden. Unsere Fachdienste, der Ärztliche Dienst
                                             berufliche Rehabilitation zu?        und der Berufspsychologische Service, führen sozial-
                                                                                  medizinische und berufseignungsdiagnostische Begut-
                                             Eva Strobel: Durch die Globa-        achtungen nach der ICF durch. Individualität, Perso-
                                             lisierung, die Digitalisierung der   nenzentrierung und Partizipation sind dabei wichtige
                                             Arbeitswelt und die Folgen der       Grundsätze. Im Beratungsgespräch werden deshalb
                                             demografischen Entwicklung           gemeinsam mit dem Menschen mit Behinderungen
                                             befindet sich die Arbeitswelt im     Förderangebote auf den individuellen Bedarf abge-
                                             Umbruch. Vor allem die Tech-         stimmt und so betriebsnah wie möglich umgesetzt.
                                             nisierung und Digitalisierung        Unsere Erfahrung zeigt, dass das die Aussichten auf
                                             durch barrierefreie Software         nachhaltige Beschäftigung spürbar erhöht.
                                             und neuartige Hilfsmittel er-
                                             möglichen auch Menschen mit          Welche Herausforderungen gibt es bei einer psychi-
                                             schweren Beeinträchtigungen          schen Behinderung?
                                             eine Teilhabe am Arbeitsleben.
Eva Strobel,        Besonders hoch qualifizierte Menschen können davon            Auch hier gilt: Psychische Behinderungen sind viel-
Geschäftsführerin   profitieren. Gleichzeitig sind Menschen mit kognitiven        schichtig – zum Beispiel Psychosen, Depression, Essstö-
der Bundesagentur   oder psychischen Beeinträchtigungen in einer sich ver-        rungen oder durch Drogen induzierte Behinderungen.
für Arbeit          ändernden Arbeitswelt davon bedroht, durch die stei-          Menschen mit einer psychischen Behinderung können
                    genden Anforderungen an Qualifikation, Reaktions-             in der Regel nicht mehr wie gewohnt am gesellschaft-
                    schnelligkeit und Konzentrationsfähigkeit abgehängt           lichen Leben teilnehmen. Sich selbst zu versorgen
                    zu werden. Hinzu kommt, dass in einer immer älter             kann Menschen mit einer psychischen Behinderung
                    werdenden Gesellschaft Behinderungen zunehmen.                schwerfallen oder gar nicht gelingen. Die Bereitschaft
                                                                                  zur Arbeit zu gehen, kann abnehmen. Der Kontakt zu
                    Welche Auswirkungen haben diese Veränderungen?                anderen Menschen gestaltet sich schwierig. Manche
                                                                                  Menschen verlieren den Bezug zur Realität. Sie hören
                    In einigen Branchen zeichnet sich schon jetzt ein Fach-       oder sehen Dinge, die nicht da sind. Andere fühlen sich
                    kräftemangel ab. Menschen mit Behinderungen ver-              verfolgt. Während eine Körperbehinderung mit Hilfs-
                    fügen oft über gute Qualifikationen und besondere             mitteln wie einem Rollstuhl oder einer Prothese ausge-
                    Fähigkeiten. Viele Arbeitgeber sind hier inzwischen           glichen werden kann, ist das bei psychischen Behinde-
                    sensibilisiert und betrachten Vielfalt in ihrer Beleg-        rungen nur begrenzt möglich. Hinzu kommt, dass ein
                    schaft als Chance. Die Beschäftigung von Menschen             dem Krankheitsbild entsprechender Rückfall sehr häu-
                    mit Behinderungen gelingt dennoch nicht immer und             fig die Integration in den Arbeitsmarkt erschwert. Hier
                    überall. Nach wie vor ist es wichtig, Vorurteile zu besei-    kann die Teilhabebegleitung bestehende Hemmnisse
                    tigen und Barrieren abzubauen. Aus diesem Grund en-           mindern. Sie ist eine individuelle und bedarfsorientierte
                    gagieren wir uns seit langem als Mitinitiator des Inklusi-    Begleitung zur Anbahnung und Stabilisierung einer be-
                    onspreises. Wir wollen gute Beispiele sichtbar machen.        trieblichen Umschulung oder einer sozialversicherungs-
                                                                                  pflichtigen Beschäftigung. Das ist ein Gewinn, sowohl
                    Wie ist die Entwicklung der Behinderungsarten?                für den Menschen mit einer psychischen Behinderung,
                                                                                  als auch für den Arbeitgeber.
                    Als Bundesagentur für Arbeit sind wir einer von meh-
                    reren Reha-Trägern im Bereich der beruflichen Rehabi-         Welche Verbesserungen bringt das BTHG?
                    litation. In der Wiedereingliederung sind unverändert
                    Körperbehinderungen des Stütz- und Bewegungsap-               Ziel des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) ist es, die
                    parates vordergründig. Bei gut einem Drittel der Re-          Selbstbestimmung und Partizipation von Menschen mit
                    habilitanden werden psychische oder neurologische             Behinderungen zu stärken. Die Reha-Träger stehen in
                    Behinderungen erfasst.                                        der Verantwortung, die individuellen Leistungen „wie
                                                                                  aus einer Hand“ zu erbringen. Dies erfordert bei kom-
                    Was zeichnet eine berufliche Rehabilitation aus?              plexen Bedarfssituationen eine trägerübergreifende
                                                                                  Abstimmung. Der neue Teilhabeplan und die Teilhabe-
                    Behinderung ist nicht gleich Behinderung. Berufliche          plankonferenz sollen das unterstützen. Wenn es zum
                    Teilhabeleistungen sind darauf ausgerichtet, die in-          Beispiel um eine Kombination von medizinischer und
                    dividuell sehr verschiedenen Hemmnisse abzubauen              beruflicher Rehabilitation geht, müssen die Reha-Trä-
                    und nach Möglichkeit zu beseitigen. Wichtig ist, sehr         ger nun viel enger zusammen arbeiten. Für Menschen
                    frühzeitig den persönlichen individuellen Bedarf fest-        mit Behinderungen ist das ein Vorteil.

 8    REHAVISION
SCHWERPUNKT ZUKUNFTSFESTE REHA

Arbeitslos und mehrfach-krank
Immer mehr Teilnehmer mit multiplen Vermittlungshemmnissen

Früher war der Fall klar: Der Dachdecker, der vom Dach fiel, der Installateur mit Verschleißerkrankung oder die Friseurin, die eine
Allergie hatte – wer eine berufliche Rehabilitation absolvierte, litt meist unter „klassischen“ Erkrankungen des Muskel- und Skelett-
systems oder an den Folgen eines Unfalls. Das hat sich in den vergangenen Jahren geändert. Es gibt heute weitaus mehr Erkrankungen,
die dazu führen, dass Menschen ihren erlernten Beruf nicht mehr ausüben. Oft kommen zudem Mehrfach-Diagnosen hinzu.

D     ie Ursachen der Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbs-
      minderung haben sich in Richtung der psychi-
schen Erkrankungen verschoben, das belegen Sta-
tistiken der Deutschen Rentenversicherung. Mit über
31.000 ist ihre Fallzahl fast dreimal so hoch wie
die nachfolgende Gruppe mit Kreislauferkrankun-
gen (11.423). Aber nicht nur die Krankheitsbilder
haben sich verändert. „Der Bedarf an Förderung
von Menschen mit multiplen Beeinträchtigungen
im Rahmen der Rehabilitation ist gestiegen“ – das
bestätigt die Vorstandsvorsitzende der Bundesar-
beitsgemeinschaft der medizinisch-beruflichen Re-
habilitation Andrea Nordmann. Die Gründe sind
mehrschichtig. Die veränderten Anforderungen des
Arbeitsmarktes, die demografischen Entwicklungen              Dass die Vermittlungschancen von Menschen
mit zunehmend älteren und chronisch erkrankten            mit gesundheitlichen Mehrfachbeeinträchtigungen
Arbeitnehmern sowie die steigende Anzahl psychi-          sich auch deshalb verringern, weil die komplexe
scher Erkrankungen stellt die Reha-Experten dabei         Reha-Landschaft sowie Zugangs- und Zuständig-
vor vielfältige Herausforderungen.                        keitshürden viele Betroffene überfordern, ist eine
                                                          weitere Erkenntnis der Dienstleister in der beruflichen
Mehrfacherkrankungen nehmen zu                            Rehabilitation. Hier besteht Optimierungsbedarf.
                                                          Rolf Limbeck: „Es gibt immer noch eine zu geringe
Diagnostiziert werden immer mehr komorbide Er-            Verzahnung der medizinischen und der beruflichen
krankungsbilder, d. h. zusätzliche Erkrankungen im        Rehabilitation, was dazu führt, dass eventuelle Fort-
Rahmen einer definierten Grunderkrankung. Das             schritte und Änderungsansätze aus der medizinischen
stellen alle Reha-Dienstleister gleichermaßen fest. Vor   Rehabilitation durch zu lange Übergangszeiten in
allem ist die „Zunahme von körperlichen zusätzlich zu     die berufliche Rehabilitation wieder verloren gehen.“
psychischen Erkrankungsbildern zu beobachten“, so         Dass ein erfolgreiches Zusammenspiel der Schlüssel
der Vorstandsvorsitzende der Bundesarbeitsgemein-         zur Wiedereingliederung ist, bestätigt Andrea Nord-
schaft der beruflichen Trainingszentren Rolf Limbeck.     mann: „Die guten Beispiele der engen Verzahnung im
Erschwerend sei, dass immer mehr Teilnehmer schon         Rahmen der medizinisch-beruflichen Rehabilitation
länger aus dem Arbeitsprozess herausgefallen seien.       belegen, dass berufliche Teilhabe für Menschen mit
Ein Teufelskreislauf, erklärt Limbeck: „Die Teilnehmer    multiplen Einschränkungen nachweisbar gelingt, wenn
sind zunehmend länger aus dem Arbeitsprozess her-         wir sektorenübergreifend und engmaschig agieren.“
aus, was zu einer Zunahme von psychischen und kör-        Allerdings seien die Hürden oft sehr hoch gesteckt
perlichen Störungen führt.“ Das wiederum erschwere        und kosteten enormen Kraftaufwand.
die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt.
                                                          Reha-Wege vereinfachen
    Eine Feststellung, die Dr. Susanne Gebauer teilt.
Auch in den Berufsförderungswerken nimmt die              Komplexität erfordere daher eine Vereinfachung der
Zahl der Teilnehmer mit multiplen Vermittlungs-           Reha-Wege sowie eine enge Zusammenarbeit der An-
hemmnissen zu. „Es gibt mehr Menschen, die lang-          bieter. „Die besten Chancen haben wir, wenn alle – Be-
zeitarbeitslos sind und schwere Brüche in ihrer Le-       troffene, Leistungsanbieter, Kostenträger, Arbeitgeber
bens- und Erwerbsbiographie erlebt haben“, sagt           – ihre Möglichkeiten fallbezogen und lösungsorientiert
die Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes der          ausschöpfen“, ist Andrea Nordmann überzeugt. Zu-
Berufsförderungswerke. Diese Teilnehmer wieder fit        gangs- und Handlungshürden könnten bereits an der
für das Berufsleben zu machen, erfordere neue und         Basis abgebaut werden – über verständliche Kommu-
kombinierte Ansätze. „Wir fördern heute verstärkt         nikationswege und gut funktionierende Netzwerke.
andere Kompetenzen – wie Stressresistenz oder die         Hier müssen Lösungen ansetzen, die berufliche Rehabi-
Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen“, erklärt sie.       litation für die Herausforderungen der Zukunft rüsten.

                                                                                                                    REHAVISION     9
SCHWERPUNKT ZUKUNFTSFESTE REHA

Bessere Chancen für psychisch erkrankte Menschen
Kooperation zwischen BFW Birkenfeld und Mittelrhein-Klinik Bad Salzig
Rehabilitation bedeutet, Menschen wieder fit für das Berufsleben zu machen. Der Erfolg der Wiedereingliederung hängt dabei
oft von zwei Faktoren ab: Dem schnellen Übergang der verschiedenen Reha-Phasen und der frühzeitigen Berücksichtigung der
beruflichen Aspekte. Das gilt in besonderer Weise bei psychischen Erkrankungen. Hier setzt „RehaTrail“ an, eine Zusammenar-
beit zwischen der Mittelrhein-Klinik in Bad Salzig, einer Fachklinik für psychosomatische Rehabilitation, und dem BFW Birkenfeld.

                     D    ie Zahl der Frühverrentungen aufgrund der Di-
                          agnose psychische Erkrankung wächst seit Jah-
                      ren: Zwischen 1993 und 2015 stieg ihr Anteil an
                                                                                 zeitig bei der Entwicklung von beruflichen Perspektiven
                                                                                 zu unterstützen. Dieses MBOR-Angebot wurde mittler-
                                                                                 weile erweitert: „Ganz entscheidend für den Verlauf
                      allen Renten wegen Erwerbsminderung von 15,4 auf           der Rehabilitation von psychisch erkrankten Menschen
                      42,9 %. Die Renten wegen Erwerbsminderung wer-             ist nicht nur, wie schnell der Patient eine neue Perspek-
                      den in der Regel zeitlich befristet, wegen der soge-       tive aufgezeigt bekommt, sondern vor allem, wie eng-
                      nannten „Heilungsbewährung“, also der Hoffnung,            maschig er begleitet wird“, so die Erfahrung von Dr.
                      dass der Betreffende wieder arbeiten gehen kann.           Frank Matthias Rudolph. Um möglichst schnell die Wei-
                      „Die Return-to-Work-Quote ist bei Menschen mit             chenstellung für die beruflichen Möglichkeiten des Pati-
                      psychischen Störungen im Gegensatz zu Menschen             enten vorzunehmen, gibt es inzwischen ein Beratungs-
                      mit somatischen Erkrankungen eher gering“, sagt            angebot der DRV direkt in der Klinik. Ein Reha-Berater
                      Dr. Frank Matthias Rudolph, Ärztlicher Direktor der        informiert dabei jeden Rehabilitanden über konkrete
                      Fachklinik. Die Gründe liegen auf der Hand: Wer an         Maßnahmen und übernimmt die Antragsstellung für
                      einem Mangel an psychosozialer Belastbarkeit leidet,       die berufliche Rehabilitation, damit der Übergang in
                      Probleme beim Abgrenzen sowie eine geringe Frus-           die nächste Reha-Phase nahtlos erfolgen kann. Doch
                      trationstoleranz hat und nur wenig konfliktfähig ist,      eine engmaschige Begleitung für psychisch Erkrankte
                      nimmt seine Probleme an jeden neuen Arbeitsplatz           muss mehr sein. Sie muss eng verzahnt mit dem Berufs-
                      mit. Allein mit einem Wechsel der Tätigkeit und des        förderungswerk erfolgen, in dem der Rehabilitand an-
                      Arbeitgebers ist es daher nicht getan. Im Gegenteil.       schließend seine berufliche Qualifizierung absolviert.
                                                                                 Wie das aussehen kann, zeigt ab 2018 RehaTrail, eine
                                                                                 Kooperation zwischen der Mittelrhein-Klinik und dem
                                                                                 Berufsförderungswerk Birkenfeld.

                                                                                 BFW Birkenfeld: Spezielles Know-how

                                                                                 Dass das BFW Birkenfeld Kooperationspartner wurde,
                                                                                 kam nicht von ungefähr. „Wir haben eine spezielle und
                                                                                 sehr erfolgreiche Reha-Vorbereitung für psychisch er-
                                                                                 krankte Menschen entwickelt“, erklärt Franz Hermann
                                                                                 Semrau, Leiter des Fachdienstes im BFW Birkenfeld.
                                                                                 Dieses auf die Zielgruppe zugeschnittene Angebot hat
                                                                                 deutlich dazu beigetragen, dass die Zahl der Abbrüche
                      „Bei den meisten Menschen führt die Empfehlung             aufgrund psychischer Überforderungen gesenkt wer-
                      einer beruflichen Neuorientierung zu Ängsten, die          den konnte. Das neue Angebot RehaTrail setzt nun noch
                      aus Unsicherheit resultieren“, erklärt Dr. Frank Mat-      vorzeitiger an – und schafft eine enge Zusammenarbeit
                      thias Rudolph, „bei Menschen mit psychosomatischen         mit den Klink-Ärzten. Sofern der Teilnehmer einverstan-
                      Erkrankungen gilt das um ein Vielfaches mehr.“ Das         den ist und die Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbin-
                      erschwert die Wiedereingliederung ins Arbeitsleben.        det, legen die BFW-Experten in Abstimmung mit den
                                                                                 Ärzten ein Trainingsangebot fest, das auf den indivi-
                      DRV: Angebote für psychisch Erkrankte                      duellen Bedarf des Rehabilitanden ausgerichtet ist. Ein
                                                                                 wichtiges Element ist dabei die Arbeit in Kleingruppen.
                      Für die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Rhein-
                      land-Pfalz und ihre Kliniken hat die Suche nach wirk-          Das Training soll auf ausbildungstypische Situa-
                      samen Wegen zur Re-Integration von Menschen mit            tionen vorbereiten und psychosoziale Kompetenzen
                      psychischen Erkrankungen daher einen hohen Stellen-        steigern. „Die Maßnahme ist flexibel gestaltbar und
                      wert. Vor diesem Hintergrund hat die DRV-Mittelrhein-      am Ende ergebnisoffen“, sagt Semrau. Je nach Bedarf
                      klinik in Bad Salzig bereits vor einigen Jahren die me-    des Teilnehmers kann am Ende ein Eingliederungszu-
                      dizinisch-berufliche Orientierung (MBOR) eingeführt:       schuss stehen, eine Integrationsmaßnahme erfolgen
                      Sie zielt darauf, Patienten mit langen Krankheitszeiten,   oder eine Ausbildung im BFW. Dass der Bedarf an
                      chronischer Überlastung, Konflikten im Berufsleben,        dieser Maßnahme groß ist, zeigen die Anmeldungen:
                      Burnout-Risiken oder drohender Arbeitslosigkeit früh-      Noch vor dem Start waren alle Plätze belegt.

10   REHAVISION
SCHWERPUNKT ZUKUNFTSFESTE REHA

Gestern Inklusion, heute Digitalisierung, morgen…?
Die Herausforderungen in der beruflichen Bildung gestalten
Berufsbilder unterliegen schon immer dem Wandel der Zeit. Neue Tätigkeitsprofile und steigende Anforderungen
führen dazu, dass bewährte Berufsausbildungen angepasst werden müssen. Das gilt nicht erst seit der Digitalisierung.
Ein Gastbeitrag von Kirsten Vollmer vom Bundesinstitut für Berufsbildung, Stabstelle Berufliche Bildung behinderter
Menschen, über aktuelle Diskussionen und Herausforderungen einer effektiven Weiterentwicklung beruflicher Bildung.

F  ormeln und Begriffe finden mit zu-
   nehmender Beschleunigung und in
immer kürzeren Intervallen Eingang
                                               „Bildungspolitische
in bildungspolitische Diskussionen.            Leitideen sollten
Dort werden sie vorübergehend zu
vielthematisierten Leitsternen, um             als Brillen dienen”
dann innerhalb kürzester Zeit von             Kirsten Vollmer,
anderen abgelöst zu werden. Ihr Auf-          Bundesinstitut für Berufsbildung,
stieg zu Schlagwörtern ist meist be-          Stabstelle Berufliche Bildung
gleitet von Absichten und Forderun-           behinderter Menschen
gen. Wäre weniger manchmal mehr?
Denn nicht selten taucht bereits die
nächste Leitidee auf und dominiert
Diskurse und Debatten, bevor entscheidende Verän- Kontinuierliche Modernisierung
derungen umgesetzt sind. Für die berufliche Bildung
aber ist kurzatmiges Adhoc-Vorgehen ungeeignet.              In der manchmal besorgt-angespannten Aufgeregtheit,
                                                             in der momentan insbesondere Digitalisierung themati-
Ein ständiger Prozess                                        siert wird, geht dabei oft unter, dass das duale Berufs-
                                                             bildungssystem in Deutschland durch kontinuierliche Mo-
Die Weiterentwicklung der beruflichen Bildung ist ein dernisierung geprägt ist. Die Anpassung von Berufsprofi-
ständiger Prozess und bedarf der kontinuierlichen len an relevante Entwicklungen – und damit konkret von
Aufmerksamkeit. Bildungspolitische Leitideen sollten Ausbildungsrahmenplänen für den betrieblichen Part und
als Brillen dienen, mit Hilfe derer bestimmte Blickwin- von Rahmenlehrplänen für den berufsschulischen Teil –
kel eingenommen werden. So können Fragen gestellt wird in einem eingeführten Verfahren praktiziert: Prakti-
und beantwortet werden wie z. B.: Wie zeigt sich die ker wie Sachverständige der Arbeitgeber- und Arbeitneh-
Berufsbildung unter dem Fokus Inklusion? Wie stellt sie merorganisationen erarbeiten dabei zusammen mit Ver-
sich unter dem Fokus Digitalisierung dar? Wie unter tretern der zuständigen Bundesministerien im BIBB neue
dem Fokus Anschlussfähigkeit und Durchlässigkeit? Aus- und Fortbildungsberufe und „Up-
Wo bieten diese Konzepte und Entwicklungen Ansatz- dates“. Dieses bewährte Zusammen-
punkte für die ständige Aufgabe, die berufliche Bildung wirken trägt wesentlich dazu bei, ein             ➝ Das Bundesinstitut
weiterzuentwickeln? Zugleich gilt es bei der Fokussie- Auseinanderdriften zwischen den An-                   für Berufsbildung
rung auf aktuelle Leitideen nicht zu übersehen, dass forderungen des Arbeitsmarktes und
Wandel und Herausforderungen in der Berufsausbil- der Berufsausbildung zu vermeiden.                      Das BIBB ist anerkanntes Kom-
dung per se berücksichtig sind. An herausgehobener Darüber hinaus bzw. als Grundlage                      petenzzentrum zur Erforschung
Stelle ist sowohl im Berufsbildungsgesetz als auch in für diese orientierungsstiftende „Ord-              und Weiterentwicklung der
der Handwerksordnung eine „berufliche Handlungsfä- nungsarbeit“ bedarf es differenzier-                   beruflichen Aus- und Weiter-
higkeit“ für die Berufsausbildung verankert, für die eine ter Untersuchungen und regelmäßi-               bildung in Deutschland. Seine
klare Orientierung besteht, die ausdrücklich von einer ger Beobachtung von Entwicklungen                  Aufgabe ist es, die Ausbildungs-
sich wandelnden Arbeitswelt ausgeht.                         mit Auswirkungen auf Qualifikations-         pläne  an die neuen Anforde-
                                                             anforderungen in den unterschiedli-          rungen  anzupassen.
     Gewiss stellen die Beschleunigungsprozesse insbeson-     chen, spezifischen Berufsfeldern.          www.bibb.de
dere der technologischen Entwicklungen und in deren Fol-
ge die Veränderungen von Arbeits- und Geschäftsprozessen           Qualifikationsfragen und Her-         ➝ Ausführlicher Beitrag unter
Herausforderungen für die Berufsausbildung dar. Schließ-      ausforderungen stellen sich übrigens       bv-bfw.de > Publikationen >
lich ist es – neben anderen Dimensionen der Bildung – ihre    auch für das Berufsbildungsperso-          Rehavision > Aktuelle Ausgabe
Aufgabe, den Arbeitsmarkt mit qualifizierten Fachkräften      nal. Auch hier sind Qualifikationsan-
zu versorgen. Mit Blick auf Industrie 4.0 und ihre Bedeu-     forderungen insbesondere mit Blick
tung für Unternehmen und für die Rekrutierung geeigneter      auf Heterogenität, Inklusion und re-
Fachkräfte setzt das BIBB daher auch einen Schwerpunkt        levanter werdender Kompetenzen
auf die „Digitalisierung der Arbeitswelt” und die sich dar-   im Bereich Kommunikation und Ko-
aus ergebenden Konsequenzen für die Berufsbildung.            operation zu identifizieren.

                                                                                                                         REHAVISION      11
SCHWERPUNKT ZUKUNFTSFESTE REHA

Strategien für die Zukunft entwickeln
BFW Bundesvorstand gibt Einblick in Schwerpunktthemen
Im Juni 2017 wurde die Geschäftsführerin des Berufsförderungswerks Nürnberg, Dr. Susanne Gebauer, zur neuen Vorsit-
zenden des Bundesverbandes Deutscher Berufsförderungswerke (BV BFW) gewählt. In REHAVISION skizziert sie kommende
Herausforderungen für die Berufsförderungswerke und die berufliche Rehabilitation und gibt einen Einblick in geplante Aktivi-
täten und Schwerpunktthemen des Verbandes.

                      D   ie Art unseres Zusammenlebens und die Welt, in
                          der wir arbeiten, verändern sich immer rascher.
                      Unterschiedliche Megatrends wie beispielsweise
                                                                               Zusammen mit unseren Mitgliedern haben wir ver-
                                                                               schiedene Schwerpunktthemen identifiziert, an de-
                                                                               nen wir unsere künftige Verbandsarbeit strategisch
                      der demografische Wandel, die Digitalisierung, der       ausrichten werden: Wir arbeiten beispielsweise
                      Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft,       weiter intensiv daran, die BFW als enge Partner
                      aber auch zunehmende Individualisierung oder der         der Unternehmen zu etablieren und werden neue
                      wachsende Stellenwert der persönlichen Gesundheit        Kooperationen auf den Weg bringen. Wir werden
                      prägen schon heute zahlreiche Lebensbereiche und         uns auch neuen Zukunftsthemen stellen und planen
                      sind ständiger Teil unseres Alltags geworden.            zum Beispiel eine Reihe von Workshops für unse-
                                                                               re Mitglieder, die sich mit den weitläufigen Feldern
                          Alle Reha-Leistungserbringer im medizinischen        Arbeitswelt 4.0, Digitalisierung und demografischer
                      und beruflichen Sektor müssen sich intensiv mit die-     Wandel befassen werden. Gemeinsam möchten wir
                      sen Megatrends und ihren Auswirkungen befassen,          Chancen und Risiken bewerten und künftige Hand-
                      um auf immer schnellere Veränderungen reagieren          lungsfelder definieren.
                      zu können. Sie sind gefordert, Konsequenzen für
                      ihr unternehmerisches Handeln abzuwägen und              Handlungsfelder der BFW
                      moderne, inklusive Reha-Leistungen für Menschen
                      anzubieten. Dort, wo es notwendig ist, müssen sie        Die BFW sind hier in mehrfacher Hinsicht ge-
                      sich anpassen und dort, wo es möglich ist, sollten sie   fragt: 1.) Als potenzielle Partner der Wirtschaft,
                      Zukunft aktiv mitgestalten.                              die als Experten Lösungen zur Bewältigung von
                                                                               demografischen Herausforderungen und zur Si-
                                                                               cherung der Fachkräftebasis beitragen können.
                                                                               2.) Als betroffene Unternehmen benötigen wir eben-
                                                                               so eigene Konzepte, wie wir perspektivisch qualifizier-
                                                                               te Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen oder
                                                                               wie sich unsere Qualifizierungen angesichts neuer
                                                                               Arbeitsmarktanforderungen verändern müssen.

                                                                                   Weitere Themen, die wir in den kommenden
                                                                               Jahren voranbringen möchten, sind die verbes-
                                                                               serte Zusammenarbeit an den Schnittstellen medi-
                                                                               zinisch-beruflicher Rehabilitation und die bessere
                                                                               Versorgung von speziellen Zielgruppen, die bisher
                                                                               nur selten oder erschwert Zugänge zur beruflichen
                                                                               Rehabilitation erhalten – zum Beispiel Suchterkrank-
                                                                               te, Onkologiepatienten oder Menschen mit Rheu-
                                                                               maerkrankungen. Das neue Bundesteilhabegesetz
Dr. Susanne Gebauer       Angesichts unseres 50-jährigen Jubiläums, das        und die Mittel zur Förderung von Modellvorhaben
ist Vorsitzende des   wir als BV BFW im Jahr 2018 begehen, befassen            bieten hier die Möglichkeit, neue Wege auszuloten.
Bundesverbandes       wir uns aktuell intensiv mit der Vergangenheit unse-
Deutscher Berufs-     res Verbandes. Die letzten Jahrzehnte haben dabei            Darüber hinaus wird sich der BV BFW mit der
förderungswerke       deutlich gezeigt, dass die BFW sehr erfolgreich da-      Weiterentwicklung der BFW-Leistungsqualität befas-
                      rin waren, auf neue Anforderungen des Arbeits-           sen und den Dialog mit den Rehabilitationsträgern
                      marktes oder veränderte politische Rahmenbedin-          zu verschiedenen Qualitätssicherungsinstrumenten
                      gungen zu reagieren. Angesichts des zunehmenden          fortsetzen. Als Einrichtungen im Sinne des neuen
                      Tempos der eingangs skizzierten Veränderungen,           § 51 SGB IX unterliegen wir hier bereits sehr hohen
                      wollen wir das goldene Jubiläum des Verbandes            Standards, die wir fortlaufend den Veränderungen
                      gleichzeitig auch nutzen, um aus der Vergangenheit       im Reha-Prozess anpassen wollen. Um Teilhabe und
                      zu lernen. Außerdem wollen wir den Blick in die Zu-      Inklusion zu realisieren, muss dieser Prozess sich künf-
                      kunft richten, um gemeinsam mit allen Partnern der       tig noch mehr am Individuum orientieren und dabei
                      BFW den Wandel aktiv zu gestalten.                       passgenau und nachhaltig wirksam sein.

12    REHAVISION
AKTUELLES AUS DEN BFW

Personalpolitik gemeinsam demografiefest gestalten
Kooperation von DB JobService und BFW stärkt Beschäftigungsfähigkeit
Beschäftigung sichern und Personalpolitik demografiefest gestalten: Um diese Herausforderung zu meistern, hat die Deutsche
Bahn 2013 den DemografieTarifvertrag abgeschlossen. Er garantiert Mitarbeitern des Bahnkonzerns Beschäftigungsschutz in
schwierigen betrieblichen oder persönlichen Situationen, wie z. B. bei Untauglichkeit oder schwerwiegenden Erkrankungen.
Zur Unterstützung der beruflichen Neuorientierung der Mitarbeiter wurde die Kooperation mit dem BV BFW geschlossen.

S   eit bald fünf Jahren arbeitet die DB JobService
    GmbH, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft
der Deutschen Bahn AG, mit den Deutschen Berufsför-
derungswerken zusammen. Als Bahn-interner Dienstleis-
ter unterstützt die DB JobService Mitarbeiter, die vom
Beschäftigungswegfall bedroht sind, bei der Entwicklung
neuer beruflicher Perspektiven. „Viele der Mitarbeiter
blicken auf eine lange Betriebszugehörigkeit zurück. Sie
übten meist Tätigkeiten des Eisenbahnbetriebs aus, die
hohe Anforderungen an ihre Tauglichkeit und gesund-
heitliche Fitness erfordern. Nach langen oder schwer-
wiegenden Erkrankungen ist diese auf Dauer nicht mehr
gegeben. Dann bringen die Mitarbeiter auch ihre ganz       heit über seine künftigen beruflichen Chancen. Und nicht
persönlichen, manchmal auch konfliktbeladenen Ge-          nur das: Er bekommt auch verlässliche Empfehlungen
schichten mit“, erklärt Mandy Mandery-Mross, Leiterin      für die nächsten Schritte – seien es Qualifizierungsvor-
des Kompetenzzentrum berufliche Rehabilitation bei         schläge, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder
der DB JobService GmbH. Für diese Mitarbeiter gilt es,     konkrete Jobangebote. Mit der Partnerschaft ist man bei
Perspektiven zu entwickeln und abzuklären, wie ihre be-    der DB JobService mehr als zufrieden: „Wir schätzen die
rufliche Zukunft aussehen kann. Dabei bedient sich die     BFW als neutralen, externen Spezialisten für berufliche
DB JobService der Expertise der BFW.                       Neuorientierung, Qualifizierung und Wiedereingliede-
                                                           rung“, so Mandy Mandery-Mross. Das gilt im Übrigen
Erfolgsfaktor Diagnostik                                   auch für die Mitarbeiter, die sich stets auf freiwilliger Ba-
                                                           sis im BFW testen und beraten lassen. Für sie schafft die
„Die BFW ermitteln im Rahmen von eignungsdiagnosti-        Zusammenarbeit mit einem externen Dienstleister das
schen Tests und einer individuellen Berufsberatung das     Vertrauen in die notwendigen Veränderungsprozesse.
Eignungsprofil des Mitarbeiters“, erklärt Dr. Kerstin      Dass das so bleibt, daran arbeiten die beiden Koope-
Brandt, Bereichsleiterin RehaAssessment im BFW Berlin-     rationspartner intensiv: Einmal jährlich trifft man sich zu
Brandenburg. Am Ende der 14-tägigen Abklärung zur          gemeinsamen Workshops. Schließlich kann die Zusam-
beruflichen Neuorientierung hat der Mitarbeiter Sicher-    menarbeit immer noch verbessert werden.

Neue Qualifizierung                                           Kooperation II:
Kaufleute für E-Commerce                                      DB-Auszubildende im BFW Koblenz
                                                              Die Trainings zu sozialen und methodischen Kompetenzen
Der technische Fortschritt schafft neue Berufsbilder.         im Ausbildungskonzept der Deutschen Bahn AG finden ab
Zu ihnen gehören die Kaufleute für E-Commerce,                sofort auch im CJD Berufsförderungswerk Koblenz statt.
die nun erstmalig in den BFW ausgebildet werden.
                                                              Die fünftägigen Trainings, die jeder der jährlich rund 3.400
                                                              neuen Auszubildenden absolviert, setzen den Fokus auf
Kaufleute für E-Commerce erstellen und betreuen die
Online-Shops von morgen, sie haben ein Gefühl für             handlungsorientierte In- und Outdoorübungen und unter-
Statistiken und Softwaretechnik. Das neue Berufsbild ist      stützen die Auszubildenden dabei, ihre Sozial- und Methoden-
nun als Ausbildungsangebot im Qualifizierungsportfo-          kompetenzen auszubauen.
lio der BFW zu finden. Den Anfang machen das BFW
Köln und das BFW Thüringen. Hier wird der Kaufmann            Jede Woche werden bis zu 50 DB-Azubis im BFW Koblenz
für E-Commerce ab Januar 2019 qualifiziert – „der             analog und digital für ihren Arbeitsalltag und die Zusammen-
erste neue kaufmännische Beruf der Digitalisierung im         arbeit im Team fit gemacht. Für den Ausbau der seit 2015 be-
Handel und ein konkretes Umsetzungsbeispiel zur De-           stehenden Kooperation zum „Trainingszentrum SMK-Seminare“
batte um „Wirtschaft 4.0“, so die Geschäftsführerin des       wurden die Räumlichkeiten im BFW bedarfsgerecht angepasst.
BFW Thüringen Dr. Maria Heinelt.

                                                                                                                           REHAVISION   13
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