Miteinander.leben - Ulrich Stoebe in den Ungleichheit zwischen
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Das Magazin der Diakonie Himmelsthür miteinander.leben be Ulrich Stoe geht in den Ruhestand Seite 14 Ungleichheit zwischen Eingliederungs- und Jugendhilfe Aushilfe in Rotenburg Seite 4 Seite 21 MÄRZ JUNI 2021 2021
INHALT GEDANKEN MENSCHEN 3 Beihilfe zum Suizid? 12 Herr Stoebe geht in 24 Aktion Mensch dreht Film Grußwort den Ruhestand bei der Gemeinschaftswäscherei Himmelsthür 4 Inklusive Kinder- und Jugendhilfe – jetzt! 14 »Die Diakonie Himmelsthür ist Die Ungleichheit zwischen nicht austauschbar.« Eingliederungs- und Jugendhilfe Ulrich Stoebe geht in den Ruhestand PINNWAND 25 Ein digitaler Spieltisch für 6 Nächs | ten | lie | be, die den Klosterhof Angedacht 20 »Eine sinnvolle Idee« Die Firma Hilti überreicht einen Eine Kundin berichtet über Ihre Spendenscheck Impf-Erfahrung NEUIGKEITEN 25 Bequem und umweltfreundlich 21 Hilfe, wo sie gebraucht wird über den Campus 7 Digitalisierung in Dorothee von Saldern hat der Diakonie Himmelsthür 14 Tage bei den Rotenburger 26 Neue Laptops für die Was die Mitarbeitenden dazu sagen Werken ausgeholfen Bewohnervertretungen 8 Inklusion im Fokus 22 Besonderes und Alltägliches 26 Impressum Die Angebote in Hannover Bericht über ein Freiwilliges stellen sich neu auf Soziales Jahr (FSJ) im Atelier 27 Service & Kontakt Widerers 22 Jubiläen LESERBRIEFE 23 Konzert im Wenn Sie zu Artikeln dieser Wohnzimmer Ausgabe Stellung nehmen oder selbst einen Artikel veröffentlichen möchten, schreiben Sie uns an die EREIGNISSE Redaktionsanschrift: 10 Online-Kunstworkshop 24 Bundeswehrsoldaten Diakonie Himmelsthür statt analoger Teambildungs- im Haus Triangel Unternehmenskommunikation Maßnahme Willkommene Unterstützung bei Stadtweg 100 • 31139 Hildesheim Atelier Wilderers geht Corona-Testungen redaktion@dh-himmelsthuer.de digitale Wege Redaktionsschluss der nächsten Ausgabe Anfang September 2021 11 Ein Garten für alle Sinne ist der 15.07.2021. Tagesförderstätte Drakenburg Die Redaktion behält sich den will sich selbst versorgen Abdruck der eingesendeten Beiträge und eine redaktionelle Überarbeitung vor. 2 Juni 2021 miteinander.leben
GEDANKEN ULRICH STOEBE VORSTAND BEIHILFE ZUM SUIZID? GRUSSWORT Liebe Leserinnen, liebe Leser, ich werde diesen Tag nie vergessen. Nachmittags um drei Uhr In einem Rechtsstaat müssen Urteile eines obersten Ge- klingelten zwei Polizeibeamte an der Tür meiner Studenten- richtes selbstverständlich akzeptiert werden, auch wenn sie wohnung. Sie teilten mir mit, ein Mitbewohner und enger falsch sind. Diakonische Einrichtungen allerdings sollten sich Freund von mir habe sich das Leben genommen. Ob ich be- unzweideutig dem Schutz des Lebens verpflichtet wissen und reit sei, den Verstorbenen zu identifizieren? Ich stimmte zu, nicht einem noch so gut gemeinten Regelwerk zur Suizidassis- obwohl ich eigentlich wie betäubt war. Noch heute kann ich tenz. Niemand wird bestreiten, dass es Ausnahmesituationen nicht begreifen, was ihn zu diesem Schritt getrieben hat, und gibt, die mit keinen Maßstäben zu erfassen sind und die sich wie groß seine innere Verzweiflung gewesen sein muss. jeder moralischen Bewertung entziehen. Menschen können in ein unauflösbares Dilemma geraten. Das ist sehr belastend, Seit diesem Erlebnis steht für mich fest, Christenmenschen aber es soll und darf die christliche Sicht auf das Leben als sollten alles tun, was in ihrer Macht steht, um zu verhindern, uneingeschränktes Geschenk Gottes nicht in Frage stellen. dass jemand in eine solche Situation der Ausweglosigkeit ge- rät. Gerade in schwerer Krankheit oder am Ende des Lebens Ich möchte allen Menschen Mut machen, ihr Leben bis zu- benötigen Menschen gute und liebevolle und palliative Be- letzt in Gottes Hände zu legen. Gerade in der jetzigen Corona gleitung, die ihnen einen behüteten und würdevollen letzten Pandemie, wo wir von so vielen ungewollt Abschied nehmen Lebensabschnitt ermöglicht. Niemand sollte aus Angst vor müssen, brauchen wir solche Zuversicht wie die Luft zum Schmerzen oder mangelnder Fürsorge seinem Leben ein Atmen. Ende setzen müssen. Niemand sollte das Gefühl haben, an- deren nicht länger zur Last fallen zu dürfen. Mit diesen Gedanken, die mir wichtig und trotz des ernsten Themas ein fröhliches und dankbares Bekenntnis zum diako- Aus Gründen, die mir nicht nachvollziehbar sind, hat nun nischen Auftrag sind, sage ich allen Leserinnen und Lesern allerdings das Bundesverfassungsgericht gemeint, nicht das der miteinander.leben nach langen Jahren der Verbundenheit Recht zur Hilfe im Sterben oder in verzweifelten Lebens- ein herzliches Ade. lagen müsse gestärkt werden, sondern das Recht auf Beihilfe zur Selbsttötung. Ein sehr fragwürdiges Verständnis von auto- nomer Selbstbestimmung haben die Richter ihrem Urteil zugrunde gelegt. Das isolierte Individuum wird losgelöst von allen sozialen und menschlichen Beziehungen zum wichtigs- ten Maßstab der Menschenwürde erklärt. miteinander.leben Juni 2021 3
GEDANKEN von Daniel Kiene und Ute Quednow INKLUSIVE KINDER- UND JUGENDHILFE – JETZT! DIE UNGLEICHHEIT ZWISCHEN EINGLIEDERUNGS- UND JUGENDHILFE S chon seit Längerem fordern die Fachverbände 1 für die Frühförderung. In der Jugendhilfe sind die Möglichkeiten Menschen mit Behinderung: Es darf keinen Unter- aber breiter aufgestellt, sogar bevor überhaupt über eine sta- schied machen, ob Kinder und Jugendliche im Rah- tionäre Unterbringung nachgedacht wird. Kinder können in- men der Jugendhilfe oder im Rahmen der Eingliederungshilfe tensiver gefördert und Familien intensiver entlastet werden, gefördert werden! Vor Kurzem nun ist das entsprechende auch im eigenen Haushalt. Gesetz, das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG), be- schlossen worden. Es bringt einige Verbesserungen für die Bei einer stationären Unterbringung bleiben die Ungleich- Betroffenen. Das ist gut! Zum Beispiel wird auch die Be- heiten leider erhalten. Nach der Jugendhilfe geförderte nachteiligung von jungen Menschen mit Behinderung endlich Kinder und Jugendliche haben die Chance, sich in kleinen aufgehoben – allerdings erst ab 2027. Das sind sechs weitere Gruppengrößen (meist vier bis zehn Personen) zu entwickeln Jahre, die ohne Gleichberechtigung verstreichen. und zu reifen. Die Jugendhilfe in der Diakonie Himmelsthür bietet zum Beispiel am Hohnsen in Hildesheim Platz für acht Denn bisher gestaltet sich der Zugang zu Leistungen für Jugendliche in der Wohngruppe und für drei Jugendliche im Kinder und Jugendliche mit seelischen und körperlichen be- Verselbständigungsbereich. Hier sind eine engmaschige Be- ziehungsweise geistigen Einschränkungen sehr unterschied- gleitung und Förderung möglich. Die ruhige Atmosphäre lich, ebenso der Umfang an möglicher Unterstützung. wirkt sich positiv auf die jungen Menschen aus. Die Fach- kraftquote 2 liegt bei 100%. Bereits in den frühen Hilfen, noch vor der stationären Unter- bringung, werden zwar auch in der Eingliederungshilfe unter- Kinder und Jugendliche mit körperlichen und geistigen Be- stützende Hilfen vom Sozialamt finanziert. Da geht es zum hinderungen werden nach der Eingliederungshilfe gefördert. Beispiel um den Familien entlastenden Dienst (FED) oder Aufgrund wesentlich geringerer finanzieller Mittel, die zur Blick in einen Gemeinschaftsraum der Wohngruppe am Hohnsen in Hildesheim (Jugendhilfe). 1 Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e. V., Caritas Behindertenhilfe, Bundesverband anthroposophisches Sozialwesen e. V., Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e. V., Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V. 2 Fachkraftquote = Anzahl der Mitarbeitenden, die einen Berufsabschluss zum Beispiel in Pädagogik oder Heilerziehungspflege haben 4 Juni 2021 miteinander.leben
GEDANKEN Das schon etwas in die Jahre gekommene Haus Christophorus beherbergt Kinder und Jugendliche, deren Unterbringung von der Behindertenhilfe finanziert wird. Verfügung gestellt werden, leben sie in weitaus größeren dem Haus Micha oder Christophorus für längere Zeit keine Häusern. Im Haus Christophorus der Diakonie Himmelsthür Taschengelder zur Verfügung. Denn neue Anträge schlucken wohnen 20 Kinder und Jugendliche, im Haus Micha sind es Zeit. Und die Bewilligung verzögert sich durch die recht lang- sogar 30 junge Menschen. Der Personalschlüssel ist gleich- same Bearbeitung der Behörden oft erheblich. Einige zusätz- zeitig um einiges geringer als in der Jugendhilfe. liche Möglichkeiten ergeben sich aber durch Spenden. Im Haus Christophorus konnte zum Beispiel im letzten Jahr ein Für die Förderung der Entwicklung der jungen Bewohner und Kletterturm errichtet werden (siehe Bild oben). Bewohnerinnen bleibt dort also weniger Zeit, und Einzelange- bote können nur sehr begrenzt stattfinden. Denn die Fach- Das neue Gesetz ist nun inklusiver ausgestaltet. Inklusive kraftquote liegt bei nur 50%. Lösungen sollten aber auch schon vor der „großen Lösung“ umsetzbar sein und finanziert werden. Die Möglichkeiten Neben dieser Ungerechtigkeit gibt es auch massive Unter- dazu bestünden bereits über Einzelvereinbarungen. Beson- schiede in den verfügbaren Mitteln zur individuellen Versor- ders für so genannte „Grenzgänger 3“ hat es sich bewährt, im gung und Ausstattung in den Häusern. Einzelfall die jeweils andere Hilfe in Anspruch zu nehmen. In der Jugendhilfe sind viele der benötigten Mittel bereits Die Diakonie Himmelsthür wird strategisch in künftigen über die Pauschalen abgedeckt. Die Taschengelder sind zum Projekten den Weg einschlagen, inklusive Angebote im Beispiel fester Bestandteil in den Kostensätzen. Weitere Kinder- und Jugendbereich zu entwickeln. Bereits im Vor- Bedarfe wie ein eigenes Fahrrad können problemlos beim feld sollen die kommenden Veränderungen integriert werden. Jugendamt beantragt werden. Kleine Rücklagen, die entstan- Die Erfahrungen aus den Bereichen beider Hilfen bieten hier den sind, können für die häusliche Ausstattung oder Verschö- eine gute Grundlage. In Emmerke (Haus Micha) wird zurzeit nerung der Zimmer genutzt werden. Der Allgemeinzustand schon an möglichen inklusiven, bewohnerorientierten Ange- lässt sich leichter auf einem gepflegt wohnlichen Niveau boten gearbeitet. halten. Wenn solche inklusiven Angebote schneller als im Gesetz In der Eingliederungshilfe fließen die meisten Mittel über geplant Realität und Normalität werden könnten, wäre das Anträge. Nicht selten haben die Kinder und Jugendlichen aus großartig! 3 Grenzgänger = Menschen, die zwischen der Einstufung in die Jugend- bzw. die Eingliederungshilfe stehen miteinander.leben Juni 2021 5
GEDANKEN ANGEDACHT von Inka Stute NÄCHS | TEN | LIE | BE, DIE Substantiv, (feminin) Innere Einstellung, aus der heraus jemand bereit ist, seinen Mitmenschen zu helfen, Opfer für sie zu bringen; etwas aus christlicher Nächstenliebe tut* V on dem Gebot „Du sollst deinen Nächsten lieben ich schütze vor allem meine Nächsten, meine Mitmenschen. wie dich selbst“ haben wir wohl alle schon einmal Durch mein Handeln sorge ich dafür, dass es anderen nicht gehört. Doch wie genau sieht Nächstenliebe im schlecht geht, sie sicher sind – ganz uneigennützig. 21. Jahrhundert aus, in dem auch das eher gegenteilige Motto „Jeder ist sich selbst der Nächste“ weit verbreitet ist? Wird Erfreulicherweise kann ich genau dieses Handeln „seit Co- Nächstenliebe von der heutigen Gesellschaft noch (vor)ge- rona“ wieder vermehrt beobachten. Die meisten Menschen lebt oder ist sie ein Relikt aus vergangenen Zeiten? Diese halten sich an die Abstands- und Hygieneregeln und ver- Frage beschäftigt mich schon länger, da ich im Alltag immer zichten seit über einem Jahr größtenteils auf soziale Kontak- wieder Handlungen und Szenarien erlebte, die nicht gerade te, geselligen Austausch, Kultur- und Freizeitangebote so- von Nächstenliebe geprägt sind. wie vieles mehr. Sie lassen sich impfen, sind hilfsbereit und engagieren sich in verschiedenen Bereichen – sie agieren zum Als Nächstenliebe wird ein uneigennütziges, am Wohle der Wohle der Gesellschaft. Mitmenschen orientiertes Handeln bezeichnet. Der Wortteil „Liebe“ impliziert hier jede, zugunsten der Mitmenschen vor- Und so kann ich den schwierigen Umständen, die die Pan- genommene, selbstlose Gefühls-, Willens- oder Tathandlung. demie mit sich bringt, dennoch ein Gutes abgewinnen: Ich Foto: Andrey Popov / stock.adobe.com Ich denke, exakt diese Handlungen sind aktuell angebrachter stelle fest, es gibt sie noch, die Nächstenliebe! Auch in der und wieder sichtbarer denn je: heutigen Zeit, in der oft zu viel an sich selbst gedacht wird, ist sie glücklicherweise ein fester Bestandteil der Gesellschaft. In Zeiten, in denen wir verantwortungsvoll handeln, indem wir Wir denken wieder vermehrt an andere, an unsere Nächsten. uns nicht nahekommen, lohnt es sich, mal darüber nachzu- denken, dass es hier nicht nur um Verantwortung, sondern In diesem Sinne: Lassen Sie uns miteinander füreinander auch um Nächstenliebe geht. Ich schütze nicht nur mich, da sein! *Definition Oxford Languages 6 Juni 2021 miteinander.leben
NEUIGKEITEN von Ute Quednow DIGITALISIERUNG IN DER DIAKONIE HIMMELSTHÜR WAS DIE MITARBEITENDEN DAZU SAGEN D a sich die Diakonie Himmelsthür auf Beteiligung den Weg gemacht hat, die digitalen 660 Personen haben sich an der Befragung beteiligt, davon 601 aus dem Möglichkeiten im Unternehmen zu Verein (Mutterunternehmen) und 59 aus den Tochtergesellschaften. Für verbessern, hat das Unternehmen auch seine den Verein bedeutet das einen Beteiligungsquote von 28%, immerhin mehr Mitarbeitenden befragt, was sie zu dem Thema als ein Viertel der Mitarbeitenden. Das ist ein vergleichsweise guter Wert. sagen. Und das sind einige interessante Auswer- Überdurchschnittlich haben sich die Verwaltungsmitarbeitenden beteiligt tungsergebnisse: (81%) sowie die Leitungskräfte (75%). Beide Bereiche umfassen jedoch ins- gesamt eine eher kleine Gruppe im Unternehmen. Zugang Computer-Arbeitsplatz Es ist sehr deutlich geworden, dass die meisten Mitarbeitenden in der Assistenz (91% im Woh- Zugang Computer-Arbeitsplatz Zugang Computer nach Tätigkeit nen und 81% in der Tagesförderung) nur Zugang 100,0% 97,5% zu einem Gemeinschafts-Computer haben. Das 91,0% erschwert natürlich seine Nutzung zum Beispiel 90,0% 81,1% zum Dokumentieren. In der Werkstatt haben 80,0% 75,0% 70,0% 66,7% dagegen 75% der Mitarbeitenden Zugang zu ei- nem eigenen Computer. 60,0% 50,0% 40,0% 36,2% Nutzung digitaler Medien 30,0% 27,8% Dienstlich gibt es erwartungsgemäß keine gro- 20,0% ßen Altersunterschiede bei der Nutzung. Es 20,0% 15,4% spielt aber wieder der Bereich eine entscheiden- 10,0% 2,1% 3,3% 2,8% 3,8% 1,0% 0,0% de Rolle, in dem jemand arbeitet. Die Mitarbei- 0,0% Assistenz Assistenz Verwaltung Werkstatt Sonstige tenden in der Assistenz geben an, zu gut 60% Wohnen Tagesförderung Tätigkeiten digitale Geräte und Medien in ihrer täglichen Arbeit zu nutzen, in der Verwaltung sind es wie kein PC-Arbeitsplatz Gemeinschafts-PC Eigener PC-Arbeitsplatz zu erwarten fast 100%. Privat nutzen fast alle Mitarbeitenden digitale Medien. Das bedeutet, Einschätzung Digitalisierungsgrad dass man darauf im Berufsalltag in der Regel nach Tätigkeit aufbauen kann. 100 90 Einschätzung Digitalisierungsgrad 80 Durchgängig durch alle Altersgruppen, Ar- 70 beitsbereiche und Tätigkeiten wurde der Digi- 60 51 52 50 47 talisierungsgrad der Diakonie Himmelsthür mit 50 46 rund 50% eingeschätzt (Abweichungen nach 40 oben oder unten 2-4%). Bei der Bewertung der 30 derzeitigen EDV-Ausstattung in der Diakonie 20 Himmelsthür sind die jüngeren Kolleginnen und 10 Kollegen etwas kritischer als die älteren. Sie set- 0 zen die Bedeutung der Digitalisierung für das Assistenz Assistenz Verwaltung Werkstatt Sonstige Unternehmen gleichzeitig etwas höher an. Wohnen Tagesförderung Tätigkeiten Ergebnis Die Befragung zeigt, dass die vorhandene digitale Grundausstattung in der Diakonie Himmelsthür von den Mitarbeitenden durchaus gesehen wird. Und sie bestätigt die Notwendigkeit, sich für weitere Verbesserungen in der digitalen Entwicklung des Unternehmens zu engagieren. Da passt es gut, dass eine Arbeitsgruppe bis zur nächsten Jahresplanung prüfen wird, welche Verbesserungsschritte kurzfristig geplant und dann auch umgesetzt werden können. miteinander.leben Juni 2021 7
NEUIGKEITEN Servicehaus Läuferweg Wohnen List Tagesförderung Bothfeld HANNOVER Wohnen Döhren INKLUSION IM FOKUS DIE ANGEBOTE IN HANNOVER STELLEN SICH NEU AUF von Jan Niklas Lück S eit mehr als zehn Jahren ist die Diakonie Himmelsthür durch inklusive Wohn- und Arbeitsangebote für Menschen mit einer Doppeldiagnose im Stadtgebiet von Hannover vertreten. In den Stadtteilen Döhren und List kann man inklusiv und eigenständig mit der notwendigen Assistenz wohnen. Wer es noch selbständiger möchte, kann ambulant in der eigenen Wohnung betreut werden. Vor drei Jahren kam noch die Tagesförderstätte Hannover hinzu, die für diesen Personen- kreis individuelle Beschäftigungsmöglichkeiten bietet. Pionierarbeit in der Inklusion Im September 2010 hat in Döhren alles begonnen. Durch die hebliche Schwierigkeiten, eine regelmäßige Tagesstruktur auf- Anmietung von Wohnungen im Stadtteil konnte für Men- zubauen. Hier setzt die Tagesförderung für Menschen mit schen, die wegen einer intellektuellen und psychosozialen Doppeldiagnosen mit niederschwelligen Angeboten an, Beeinträchtigung ihr Leben nicht ganz ohne Unterstützung wie zum Beispiel die gemeinsame Tagesstrukturierung mit meistern können, ein neues Wohnangebot geschaffen werden. Kochen und Beschäftigungsangeboten, Arbeiten im Klein- Das Konzept dafür basiert darauf, die starren Strukturen garten bis hin zu Bewerbertraining und dem Organisieren von des stationären Wohnens aufzubrechen und eine Brücke Praktika in Betrieben. Darüber hinaus ist eine Vermittlung zwischen dem stationären und dem Ambulant Betreuten in eine Werkstatt für behinderte Menschen, in Inklusions- Wohnen (ABW) zu schlagen. Wer mag, kann hier selbstbe- betriebe oder in weitere berufliche Rehabilitationsmaßnahmen stimmt, eigenständig und so normal wie möglich leben und möglich. wird dabei, zugeschnitten auf die eigenen Bedürfnisse, unterstützt. Wichtig ist hierbei auch die gute Einbindung des Bei allen Angeboten wird individuell auf die Leistungsfähigkeit Wohnangebotes in den Stadtteil. Für einen immer stärker jedes und jeder Einzelnen eingegangen. Klares Ziel ist es, wachsenden Personenkreis stellt das Angebot in Hannover eine Tagesstruktur zu schaffen, die Erfolgserlebnisse und die die ideale Wohnform dar. Entdeckung und Entwicklung eigener Kompetenzen ermög- licht. Das Angebot wird aktuell vergrößert und neue Ansätze So wurde in Hannover-Döhren Pionierarbeit geleistet und im Bereich des digitalen Lernens werden implementiert. damit für die Entwicklung und Schaffung aller anderen An- gebote in Hannover ein wichtiger Grundstein gelegt. Durch Ab Mai werden neue Räumlichkeiten bezogen, in denen eine die steigende Nachfrage konnte vier Jahre später im Stadtteil Arbeitsküche zum Kaffeemahlen und Brotbacken sowie ein Hannover-List ein ähnliches Wohnangebot geschaffen und Zukunftsraum für individuelle Zukunftsplanung entstehen. das Ambulant Betreute Wohnen entwickelt werden. Des Weiteren wurde ein Kleingarten als Arbeits- und Naher- holungsbereich gepachtet, in dem vielfältige Projekte mit Tagesförderung Hannover dem Fokus auf Umwelt und Nachhaltigkeit sowie gemein- Immer mehr Personen, die in Döhren oder in der List wohnen, schaftliche Aktivitäten mit therapeutischem Aspekt ihren gehen keiner regelmäßigen Tätigkeit nach oder haben er- Platz finden. 8 Juni 2021 miteinander.leben
NEUIGKEITEN Wohnen und Arbeiten in enger Abstimmung für eine maß- zu moderner Assistenzarbeit. Auch im Bereich der Tages- geschneiderte Inklusion förderung wird die Digitalisierung in Form von digitalem Die Dynamik, neue und individuelle Angebote für den Lernen umgesetzt. Die Kundinnen und Kunden stehen Personenkreis der Menschen mit Doppeldiagnosen im Stadt- diesem Thema ebenfalls sehr aufgeschlossen gegenüber. In gebiet Hannover zu schaffen, nimmt immer stärker zu. Durch einer der nächsten Ausgaben unseres Magazins wird darüber die enge Kooperation von stationärem und ambulantem Woh- noch ausführlicher berichtet werden. nen sowie Tagesförderung kann individuell und ganzheitlich ein passendes Angebot für Bewohnerinnen und Bewohner Wie geht es weiter mit den Angeboten für Menschen mit erstellt und jederzeit angepasst werden. Eigenständigkeit und einer Doppeldiagnose? Da die Nachfrage in Hannover Selbstbestimmung stehen dabei im Vordergrund. weiterhin sehr stark ist, wird sich der Bereich Hannover- Döhren vergrößern. Vielleicht gibt es auch bald einen wei- Im Laufe der Jahre hat sich das Konzept der Angebote in teren Standort in Hannover, der inklusive Wohnanagebote Hannover immer weiterentwickelt und sich an Bedarfe bietet. Die Tagesförderung wird sich sicherlich ebenfalls der zu betreuenden Personen angepasst. So verkörpert die erweitern und ein neues Leistungsangebot schaffen. Und Digitalisierung in der Assistenz, wie sie im Wohnverbund natürlich wächst das Ambulant Betreute Wohnen ebenfalls. Hannover-List schon angefangen hat, die Entwicklung hin Man kann gespannt auf die nächsten zehn Jahre blicken. Foto: Friederike Jahnel miteinander.leben Juni 2021 9
NEUIGKEITEN ATELIER WILDERERS GEHT DIGITALE WEGE ONLINE-KUNSTWORKSHOP 1 STATT ANALOGER TEAMBILDUNGS-MASSNAHME von Almut Heimann dem Leitspruch und schafften die un- terschiedlichsten Formen und Gedan- kengänge, die die Teilnehmenden auf ihren Kunstwerken verewigten. Ab- schließend konnten alle Teilnehmenden ihre Kunstwerke vorstellen. Mit den Arbeiten waren alle Beteilig- ten glücklich und zufrieden. Einige be- richteten, dass sie nach dem Workshop weiter an dem Kunstwerk arbeiten wer- den. Viele erzählten, dass sie seit Jahren nicht mehr so kreativ waren und es toll S war, dies wieder zu erleben. eit Dezember 2020 werden im Kindergottesdienst im Michaeliskloster Niedersächsischen Ministerium Hildesheim, unterstützt, in dem der Nicht nur den Teilnehmenden hat der für Bundes- und Europaange- Online-Kunstworkshop geprobt wurde. Workshop viel Spaß bereitet, son- legenheiten und Regionale Entwick- dern auch Almut Heimann und Pat- lung mehrere Kunstwerke des Ateliers Im März 2021 kamen dann 14 Mit- rick Premke erlebten ein ganz neues Wilderers ausgestellt. Die Ausstellung arbeitende des Referats, einschließlich und aufregendes Format. „Obwohl es wurde von Ministerin Birgit Honé initi- des Referatsleiters Herrn Mennecke, das erste Mal war, dass wir ein Online- iert, die die Künstlerinnen und Künstler mit Almut Heimann und Patrick Seminar durchgeführt haben, hat es gut noch aus ihrer Zeit als Senatsmitglied Premke über eine Videokonferenz-Platt- funktioniert und Spaß gemacht. Ich bin des Niedersächsischen Landesrech- form zusammen. Während die Teil- stolz“, so Patrick Premke. nungshofs kennt. nehmerinnen und Teilnehmer sich von Zuhause aus zuschalteten, hatten sich Durch die positive Erfahrung wurde Die Mitarbeitenden eines Referats 2 im Almut Heimann und Patrick Premke im Atelier Wilderers entschieden, das Ministerium konnten ihre geplanten unter Einhaltung der Corona-Vorgaben Format beizubehalten und weiterhin Teambildungs-Maßnahme aufgrund der einen Arbeitsplatz im Atelier Wilderers Online-Kunstworkshops anzubieten. zu dem Zeitpunkt geltenden Kontakt- eingerichtet. beschränkungen nicht durchführen und kamen daher auf die Idee, stattdessen Motto des Workshops war das Zitat des mit dem Atelier Wilderers einen On- römischen Kaisers und Philosophen INFO line-Workshop zu planen. Marc Aurel (121-180 nach Christus): „Nicht den Tod sollte man fürchten, Haben Sie Lust, einen Die Leiterin der Kunstwerkstatt Al- sondern dass man nie beginnen wird zu Online-Kunstworkshop mit dem mut Heimann und der Künstler Pat- leben“. Atelier Wilderers umzusetzen? rick Premke hatten sich ausgiebig auf Dann melden Sie sich gern! das Online-Format vorbereitet. Da- Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungs- bei wurden sie durch Susanne Paet- übungen unterstützten die künstlerische Kontakt: Almut Heimann zold, Referentin des Arbeitsbereiches und intuitive 3 Auseinandersetzung mit almut.heimann@ pth-himmelsthuer.de 1 in Workshop ist eine Bildungsveranstaltung, bei der intensiv an einem Thema gearbeitet wird. E 2 Ein Referat ist eine Fachabteilung. 3 Intuitiv bedeutet "aus dem Bauch heraus", also gefühlsmäßig. 10 Juni 2021 miteinander.leben
NEUIGKEITEN EIN GARTEN FÜR ALLE SINNE TAGESFÖRDERSTÄTTE DRAKENBURG WILL SICH SELBST VERSORGEN von Sylvia Wulf-Kostrzewa D urch eine geplante Erweiterung steht der Tagesför- derstätte Drakenburg ein größeres Außengelände zur Verfügung. Hier soll ein Garten der Sinne ent- stehen mit vielfältigen Anregungen, Fördermöglichkeiten, Arbeitsangeboten und Ruheoasen. Dank einer großzügigen Erbschaftsspende konnten ein Gewächshaus, eine Matschan- lage und rollstuhlgerechte Wege verwirklicht werden. Die Gartenanlage hat einen ganz besonderen Stellenwert, da die Tagesförderstätte als geschlossene Einrichtung den Be- schäftigten jederzeit die Möglichkeit anbieten möchte, sich im Freien zu bewegen. Der Anreiz zur Bewegung wird un- terstützt durch ein Trampolin, eine Schaukel und befahrbare Wege, zum Beispiel für Rollstühle. Ergänzt wird das Bewe- gungsangebot durch Gruppen- und Einzelförderung im Frei- en. Dadurch wird das Training der Gangsicherheit (Sturzpro- phylaxe) ermöglicht und die Stimmungslage bei zu Depression neigenden Beschäftigten hebt sich. Die Bewegung wirkt sich positiv auf die Beschäftigten aus. Der akustische Sinn erfährt Impulse durch Klangelemente und Naturgeräusche. Insekten summen um das Insektenhotel und die Blumenwiese, Vögel zwitschern und der Wind weht. Ein Barfuß-Pfad lädt zum Entdecken verschiedener Unter- gründe mit den Füßen ein. Eine Matschanlage, ein Sandkas- ten und ein Buddelbeet mit Erde ergänzen das Angebot. Wie bereits in der Vergangenheit erprobt, soll auch im neuen Garten gemeinsam gesät, gepflanzt, geerntet und verarbeitet werden. Dabei eröffnet das Gewächshaus ganz neue Mög- lichkeiten: Tomatenpflanzen, Gurken, Kartoffeln, Kräuter und Blumen können nun selber gezogen werden und müssen nicht mehr ausschließlich gekauft werden. Die Obstbäume und Sträucher laden zum Naschen ein und bereichern den Nachtisch und das Kuchenangebot. Auch das Arbeitsangebot „Marmeladenherstellung“ kann nun mit den selbstgeernteten Früchten umgesetzt werden. Der tägliche Speiseplan wird mit frischen Kräutern und weiteren leckeren Zutaten ergänzt, die die Beschäftigten zuvor geerntet haben. Doch nicht nur Arbeit und Anregung bietet der Garten: Der Pavillon ist eine wunderbare Oase für Ruhezeiten und Erho- lung und der Grillplatz bietet Raum für ein geselliges Beisam- mensein. miteinander.leben Juni 2021 11
MENSCHEN von Sebastian Stein Herr Stoebe geht in den Ruhe·stand Pastor Ulrich Stoebe ist seit 17 Jahren der Direktor von der Diakonie Himmelsthür. Im August 2021 hört er auf und geht in den Ruhe·stand. Der Anfang von seiner Arbeit bei der Diakonie Himmelsthür war nicht leicht. Die Diakonie Himmelsthür hatte eine schwere Zeit. Das bedeutet zum Beispiel: Es gab nur wenig Geld in der Diakonie Himmelsthür. Deswegen hat Herr Stoebe viel verändert. Er sagt: • Wir haben die Arbeit in den verschiedenen Bereichen neu aufgeteilt. Wir haben neue Wohnungs·angebote gemacht. Wir haben neue Arbeits·angebote gemacht. •W ir haben einen neuen Tarif·vertrag für die Bezahlung von den Mitarbeitern gemacht. •W ir haben viele Tochter·gesellschaften gemacht. Eine Tochter·gesellschaft ist ein eigenes Unternehmen. Aber das Unternehmen gehört noch zu einem großen Unternehmen dazu. Zum Beispiel die Werkstatt vom proTeam Himmelsthür. • Wir haben mit dem Thüm ein neues Logo gemacht. Der Thüm ist die kleine Figur in unserem Logo. 12 Juni 2021 miteinander.leben
MENSCHEN Diese Veränderungen haben dem Unternehmen viel geholfen. Jetzt ist die Diakonie Himmelsthür wieder sehr erfolgreich. Herr Stoebe freut sich: Denn jetzt haben viele Menschen erkannt: Jeder soll mitmachen können. Immer und überall. Auch Menschen mit Behinderung. Aber dafür muss sich die Gesellschaft ändern. Herr Stoebe möchte im Ruhe·stand lernen: Wie kann ich Verantwortung an andere Menschen abgeben? Und er möchte segeln. Und sich um sein Haus und Garten kümmern. Und er möchte Zeit mit seinen 3 Enkeln verbringen. METACOM Symbole © Annette Kitzinger. European Easy-to-Read-Logo: Inclusion Europe. Viele Menschen haben mit Herrn Stoebe zusammen in der Diakonie Himmelsthür gearbeitet. Er möchte sich bei diesen Menschen bedanken: „In meiner Arbeit habe ich viel Vertrauen und Zusammenhalt erlebt. Wir haben mit Freude für die gemeinsame Sache gearbeitet. Das ist das Schönste für mich.“ miteinander.leben Juni 2021 13
MENSCHEN »DIE DIAKONIE HIMMELSTHÜR IST NICHT AUSTAUSCHBAR.« ULRICH STOEBE GEHT IN DEN RUHESTAND N ach 17 Jahren als Vorstandsvorsitzender wird Ulrich Stoebe Ende Juli in den Ruhestand gehen. Im Gespräch mit Björn Mänken, Regionalgeschäftsführer der Region Niedersachsen Mitte, spricht er über seine Amtszeit. Björn Mänken: Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Arbeitstag? dem zu nahe treten, aber auch nicht teilnahmslos erscheinen. Ich habe die Fachleute vor Ort gefragt, wie ich mich verhal- Ulrich Stoebe: Nein nicht genau, außer, dass es ein Montag ten sollte und lernte, dass ich einfach unbefangen agieren war. Aber ich kann mich an das Ankommen im Unternehmen muss. Rückblickend ist es für mich überraschend, wie schnell erinnern. Es war für mich eine fremde Welt. Aus meiner vor- die Begegnung mit beeinträchtigten Menschen Normalität herigen zehnjährigen Tätigkeit als Superintendent in Hildes- wurde. Sie haben es mir meist sehr leicht gemacht und mir heim kannte ich natürlich die Diakonie Himmelsthür. Aber gezeigt, dass es letztlich immer nur um eine Begegnung von was dort tagtäglich im Einzelnen passierte, entzog sich doch Mensch zu Mensch geht, unabhängig von unserer jeweiligen meiner Kenntnis. Verfassung und unseren Eigenschaften. Erste Besuche auf Wohngruppen brachten dann aber schnell Darum war die neue Welt auch kein „Kulturschock“, son- die Begegnung mit Menschen mit Behinderung. Anfangs war dern eine Entdeckungsreise, bei der ich „Normalität“ in ich immer wieder unsicher, wie ich mich richtig verhalten sollte. einem viel tieferen und weiteren Sinne zu verstehen ge- Ich hatte Angst, etwas falsch zu machen. Ich wollte nieman- lernt habe. 14 Juni 2021 miteinander.leben
MENSCHEN Was war Ihr Antrieb zur Diakonie zu wechseln? Ich war damals Ende 40 und stellte mir die Frage, ob die Tätigkeit als Superintendent tatsächlich das sein soll, was ich noch weitere 17 Jahre bis zum Ruhestand fortführen will. Diakonische Aufgaben hatten mich schon als Gemeinde- pastor und Superintendent erheblich beschäftigt. Die Mög- lichkeit, konkret etwas zu gestalten, den Glauben praktische Realität werden zu lassen, hat mich dabei angetrieben und fasziniert. Die Diakonie Himmelsthür war auch damals eine angesehene Einrichtung, die gute Arbeit geleistet hat. Sind Sie damals als Erhalter oder als Reformer angetreten? Das Unternehmen war wirtschaftlich angeschlagen, da musste natürlich etwas getan werden in Zusammenarbeit mit dem damaligen Vorstandskollegen, Rolf-Dieter Strudthoff. Zudem wurde von mir erwartet, die bewährte inhaltliche Ar- beit zu erhalten und fortzuführen. In der damaligen Zeit richtete sich der Blick weniger auf die Gesellschaft insgesamt, sondern es wurde vor allem dafür ge- sorgt, dass Menschen mit Behinderung ein Zuhause hatten Ulrich Stoebe mit dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Prof. und gut leben konnten. Dr. Udo Wilken 2004 vor dem Eingang der Hauptverwaltung in Sorsum Quasi praktizierte Nächstenliebe Ja, richtig. Die Mitarbeitenden, die ich nach und nach kennenlernen durfte, haben nicht nur einen Job erfüllt, sondern das getan, was sie aus innerer Motivation für richtig und wichtig hielten. Und das ist auch heute noch so. Ich glaube, dass wir Mitarbeitende haben, die mit hohem Engagement ihren Dienst ausüben, sich mit der Diakonie Himmelsthür identifizieren und Verantwortung übernehmen. Das hat sich auch ganz aktuell in der Corona-Pandemie noch einmal sehr deutlich gezeigt. Natürlich gab und gibt es da auch immer wieder Konflikte – unter den Mitarbeitenden und auch zwischen Mitarbeitenden und Leitungsverantwortlichen. Aber dadurch wurde niemals die Arbeit der Diakonie Himmelsthür grundsätzlich in Frage gestellt. Anfangs habe ich an einigen Standorten zu hören bekom- men: „Wir sind hier eine große Familie.“ Das ist zwar häufig gut, führt manchmal aber auch dazu, dass sich festgefahrene Strukturen und Abläufe entwickeln. Mitunter muss man auch einmal aus seiner Familienrolle herauswachsen, um sich weiter zu entwickeln und neue Perspektiven zu ergreifen. Die wirtschaftliche Entwicklung hat sicherlich eine gewichtige Rolle in Ihrer Amtszeit gespielt, oder? Man kann diakonische Arbeit nur nachhaltig leisten, wenn man auch die wirtschaftlichen Aspekte ernst nimmt. Gerade als Theologe wollte und musste ich auch einen qualifizierten Beitrag zur wirtschaftlichen Konsolidierung leisten. Anfangs haben wir in der bestehenden Krisensituation vor allem nach wirtschaftlichen Stellschrauben gesucht. Das war nötig, um die Lage kurzfristig zu stabilisieren. Sehr schnell wurde aber deutlich, dass inhaltliche und konzeptionelle Ver- änderungen wichtiger waren. Nur so kann man langfristig Ulrich Stoebe mit der damaligen Landesbischöfin Margot auch die Wirtschaftlichkeit sicherstellen. Käßmann auf dem Kirchentag in Hannover 2005 miteinander.leben Juni 2021 15
MENSCHEN Und so kam es dann zum Konversionsprozess, der ja auch prägend war. Die neue Aufbauorganisation mit den Regionen und Service- Centern wurde Anfang 2009 eingeführt und in den ein bis zwei Jahren zuvor vorbereitet. Ende 2009 wurden dann die Konversionsvereinbarungen für Sorsum und Wildeshausen mit der Aktion Mensch abgeschlossen. Ja, das war in der Tat prägend – nicht nur für meine Amtszeit, sondern für das Unternehmen insgesamt. Im Zuge dieses Prozesses sind natürlich auch Fehler passiert: Mal wurde bei der Schaffung neuer dezentraler Angebote die Nachbarschaft nicht ausreichend abgeholt, ein anderes Mal war die Zahl der Personen, die gleichzeitig in ein neues An- gebot zog, zu groß. Trotzdem hat sich dieser Weg insgesamt Bei Festen und Veranstaltungen (wie hier 2008 beim Martins- sehr bewährt. markt in Sorsum) war Ulrich Stoebe ein gern gesehener Gast. Es freut mich, dass wir heute an so vielen Orten vertreten sind und die Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft und in ihrem jeweiligen Umfeld präsenter geworden sind. Wir erhalten inzwischen oft die Rückmeldung, dass dies auch in »Den Startschuss für den Wandel in den jeweiligen Nachbarschaften als Bereicherung empfunden der Diakonie Himmelsthür gab wird. Herr Stoebe 2009 mit dem Beginn der »Veränderung ist immer Zumutung und Konversion, also seiner Unterschrift Chance zugleich.« unter die Konversionsvereinbarungen. Ulrich Stoebe, Vorstand Heute sind wir ein dezentral geführtes und zukunftsfähiges diakonisches Gibt es weitere große, wichtige Themen aus Ihrer Amtszeit? Unternehmen.« Ines Trzaska, Vorstand Wichtig war zum Beispiel auch der neue arbeitsrechtliche Weg, den wir nach zwei Sanierungsvereinbarungen mit einem eigenen Anwendungstarifvertrag für die Diakonie Himmelsthür und dann mit dem Tarifvertrag der Diakonie in Niedersachsen gegangen sind. Die Diakonie Himmelsthür hat den Tarifver- tragsweg der Diakonie in Niedersachsen insgesamt maßgeb- lich mit initiiert und beeinflusst. Das Stichwort „Veränderung“ hat sicherlich meine gesamte Amtszeit in vielfältigen Formen und Inhalten geprägt. Verän- derung ist immer Zumutung und Chance zugleich. Ich bin dankbar, dass sehr viele Mitarbeitende und Führungs- kräfte sich darauf eingelassen und selbst tolle Beiträge ge- leistet haben. Durch die Konversion wurden natürlich gera- de auch lang jährige Mitarbeitende hier und da verunsichert. Wir haben uns aber bemüht, alle auf diesem Weg mitzuneh- men, sie abzuholen und mitgestalten zu lassen. Hinzu kam für mich in den letzten gut zehn Jahren die intensi- ve Mitarbeit an der Entwicklung und Umsetzung des Bundes- teilhabegesetzes. Diese Aufgabe habe ich auch lange Jahre als 2009: Ulrich Stoebe (rechts) und sein damaliger Vorstandskollege Vorsitzender des Fachverbandes Diakonische Behinderten- Rolf-Dieter Strudthoff (4. von links) mit den meisten Leitungen hilfe in Niedersachsen mit großer Freude wahrgenommen. der neu eingeführten Aufbauorganisation 16 Juni 2021 miteinander.leben
MENSCHEN Anfangs gab es aber auch viel Gegenwind bei den Veränderungen. Die Schließung von Schwimmhalle und Reithalle in Sorsum zum Beispiel oder die Veränderungen hin von tagesfördernden Angeboten nicht mehr im ersten Milieu des Wohnbe- reiches, sondern in einem eigenständigen zweiten Milieu. Da waren auch viele sauer. Aber das waren ja keine speziell wirtschaftlichen Entscheidungen. Doch, weil dadurch ja an bestimmten Stellen Personal abgebaut wurde. Einige Schließungen von Wohnangeboten kamen dann hinzu. Rein wirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen gab es nach meiner Einschätzung tatsächlich nur wenige und die hatten zudem auch nur einen geringen Erfolg. Nicht refinanzierte Angebote und Leistungen lassen sich natürlich nicht auf Dauer durchhalten. Wichtiger als die wirtschaftliche Sanie- rung aber war die inhaltliche Neuausrichtung. Heute ist unser Angebot qualitativ und inhaltlich wesentlich breiter und bes- ser aufgestellt. Bis auf ein Jahr ist die Zahl der Mitarbeitenden stetig ge- wachsen. 2004 waren im Verbund der Diakonie Himmelsthür circa 2.200 Menschen tätig, 2020 sind es fast 3.500 gewe- sen. Der Umsatz stieg von damals rund 84 Millionen Euro auf heute circa 184 Millionen Euro. Eine wichtige Veränderung stellte auch die Gründungen der 2014: Mit der Aufarbeitung ihrer Geschichte durch Prof. Dr. Tochtergesellschaften und die Einführung des Unterneh- Hans-Walter Schmuhl und Dr. Ulrike Winkler beschäftigte sich mensverbundes dar. die Diakonie Himmelsthür unter Ulrich Stoebe auch intensiv mit ihrer Vergangenheit. Ja, das stimmt. Anfangs hatten wir nur zwei Tochtergesell- schaften: Die Wäscherei (GWH) und die Diakonischen Wohnheime (DWH). Beide Gesellschaften agierten völlig ei- »Miteinander haben wir einige genständig, quasi unabhängig von der Diakonie Himmelsthür. Es kam dann der ambulante Pflegedienst Lambertinum herausfordernde Themen angefasst (LAH) hinzu. Kurze Zeit später wurde die interne Bauab- und so Veränderungen bewirkt. teilung als eigenständige Tochtergesellschaft ausgegründet (ISH), es folgten die Küche (CGH) und die Werkstatt für Und gemeinsam ist es uns gelungen, Menschen mit Behinderungen (PTH). 2014 übernahmen wir wirtschaftliche Stabilität für die die Wohnungslosenhilfe „Herberge zur Heimat“ (HZH). Diakonie Himmelsthür zu erreichen. Unser Ziel war und ist es, durch den Unternehmensverbund Inzwischen sind wir so gut aufgestellt, die fachliche Kompetenz und Arbeitsteilung zu stärken sowie einzelne Bereiche stärker auf eigene Füße zu stellen. Dadurch dass wir sicher und positiv auf die gelang eine Konzentration auf das Kerngeschäft der Diakonie Herausforderungen in der Zukunft Himmelsthür. Die Töchter wurden zu eigenständigen Akteu- ren, die untereinander und mit der Mutter eng zusammen- schauen können.« arbeiten, aber nicht nur von ihr abhängig sind, sondern eigene Ines Trzaska, Vorstand Geschäftsfelder entwickeln und bearbeiten. Mit der Diakonischen Altenhilfe (DAH) kam nun im vergangenen Jahr noch ein weiterer großer Arbeitsbereich hinzu, was aber folgerichtig war. Denn Eingliederungshilfe und Pflege wachsen immer stärker zusammen. Die Kooperation mit Bethel im Norden hat sich hier sehr bewährt und die Entwicklung eines Fortführungskonzeptes aus der Insolvenz ermöglicht. Der Dachmarkenprozess gehörte ja ebenfalls zu diesen Veränderungen. Seit 2007 hat die Diakonie Himmelsthür ein neues Gesicht. Mit der Einführung des „Thüms“, dieser Figur eines Menschen, miteinander.leben Juni 2021 17
MENSCHEN die Hilfe und Umarmung symbolisiert und gleichzeitig an den Wir sind alle mit betroffen und dazu aufgerufen, diese Ge- segnenden Christus erinnert, haben wir uns von den „Diako- sellschaft so zu gestalten, dass niemand ausgeschlossen wird. nischen Werken Himmelsthür in Hildesheim“ verabschiedet. Wir blieben „Diakonie“, aber eben nicht irgendeine Diakonie, Gibt es Dinge, die Sie gerne noch zu Ende geführt hätten? sondern Himmelsthür. Die Diakonie Himmelsthür ist nicht austauschbar. Die Nachnutzungsperspektiven für unsere Gelände in Sorsum und Wildeshausen hätte ich gern noch ein Stück weiter vor- 2009 haben wir unser 125-jähriges Jubiläum gefeiert. Die angebracht. Ich hätte gerne das Entstehen von neuen, in- damalige Landesbischöfin Margot Käßmann hat eine tolle klusiven Stadtquartieren auf unseren ehemaligen Diakonie- Bibelarbeit zum Thema „Menschsein: Umgang mit Stärken geländen beobachtet. Aber ich habe gelernt, dass manche und Schwächen“ gehalten. Später haben wir uns dann auch Entwicklungen Zeit brauchen und Geduld erfordern. Meine mit den problematischen Seiten der Geschichte des Unter- Nachfolger werden das engagiert weiterverfolgen. Mit meiner nehmens auseinandergesetzt und sie wissenschaftlich aufar- Vorstandskollegin Ines Trzaska hat mich in den letzten Jahren beiten lassen. Als Vertreter der Diakonie Himmelsthür habe eine sehr große inhaltliche und menschliche Übereinstim- ich bei Betroffenen für erfahrenes Leid um Entschuldigung mung verbunden. Ich wünsche ihr und Herrn Florian Moitje, gebeten. Um verantwortlich nach vorne zu gehen, muss man dass sie die noch offenen Themen gut fortführen und neue sich eben auch mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen. Herausforderungen erfolgreich aufnehmen können. Zusätzlich haben wir uns in den letzten Jahren intensiv mit dem Leitbild sowie einer neuen Haltung und Kultur im Unter- Außerdem hätte ich mir gewünscht, dass die BTHG-Umset- nehmen befasst. zung rechtlich und inhaltlich weiter wäre. Das Bundesteilha- begesetz ist formal in Kraft getreten, aber es muss an vielen Stellen den Anspruch noch erfüllen, den es erhebt. »Die Gesellschaft insgesamt muss sich verändern, Was geben Sie Ihrem Nachfolger mit auf den Weg? damit alle dabei sein können.« Mit Ratschlägen soll man zu Recht vorsichtig sein. Ich würde Ulrich Stoebe, Vorstand mich freuen, wenn das Erreichte fortgesetzt und vertieft wer- den könnte. Aus meiner Sicht haben wir einen guten Stand In den letzten Jahren hat sich die gesellschaftliche Wahr- erreicht, auf dem sich aufbauen lässt. Wahrnehmung, Acht- nehmung von Menschen mit Behinderung gewandelt. samkeit, menschliches Miteinander bilden dabei ein entschei- dendes Fundament. Ich bin sehr dankbar und sehe es als Privileg an, dass ich in ei- ner Zeit die Geschicke der Diakonie Himmelsthür mit lenken Und wenn er alles anders macht? durfte, in der sich ein tiefgreifender Wandel in der Wahrneh- mung von Behinderung und im Verhältnis zu Menschen mit Das wäre nicht schlimm. Die Zukunft muss anders sein als die Behinderungen vollzogen hat, beziehungsweise immer noch Gegenwart. Aber die innere Haltung sollte bestehen bleiben. Stück um Stück vollzieht. Lange ging es vor allem darum, Man braucht natürlich auch einen nüchternen Realitätssinn, Menschen mit Behinderungen zu unterstützen, damit sie ein damit man nicht Luftschlösser baut, sondern nachhaltige möglichst gutes Leben führen können. Das ist ja auch richtig. Ergebnisse erzielt. Getragen wird das alles aber von einer be- Inzwischen aber haben wir erkannt: Die Gesellschaft insge- lastbaren Grundhaltung. samt muss sich verändern, damit alle dabei sein können. Das jährliche Freundesmahl des Freundevereins Sorsum gehört zu den festen Terminen im Kalender des Vorstands. Hier 2017 bei einer Bildübergabe an die Festrednerin Dr. Irmgard Schwaetzer, damalige Vorsitzende der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (2. Von rechts) mit dem lang jährigen Vorsitzenden des Freunde- vereins, Walter Meyer-Roscher, dessen Nachfolger Michael Siegers und der Künstlerin Nicole Lorenz vom Atelier Wilderers. 18 Juni 2021 miteinander.leben
MENSCHEN »Ich hätte Corona nicht gebraucht!« Ulrich Stoebe, Vorstand Die letzten 1,5 Jahre waren geprägt durch die Corona- »Herr Stoebe hat ein besonderes Pandemie. Das haben Sie sich zum Ende Ihrer Amtszeit doch sicherlich auch anders vorgestellt. Gefühl für Gerechtigkeit, dies nicht ausschließlich im juristischen Ich hätte mir das anders gewünscht, ja. Um es klar zu sagen: Ich hätte Corona nicht gebraucht! Sinne. Im Kern geht es ihm um die umfassende und selbstbestimmte Ich empfinde es als sehr belastend, dass wir uns separieren und isolieren müssen, dass nicht Nähe und Vertrauen, sondern Teilhabe von Menschen. Dafür Angst voreinander und vor Begegnungen mit anderen Men- setzt er sich mit viel Engagement und schen den Alltag prägen. Corona mutet unserer Gesellschaft und nicht zuletzt den Menschen mit Behinderungen viel zu. Langmut ein.« Ines Trzaska, Vorstand Corona hat uns ausgebremst und vieles gestoppt, was wir auf- gebaut haben. Ich wünsche mir, dass diese Phase bald vorbei ist und wir das auch verarbeiten können. Denn das gemeinsame und das un- befangene Miteinander ist doch das eigentlich Schöne und Wertvolle im Zusammenleben von Menschen. »Es gibt nichts Schöneres als Vertrauen und Zusammenhalt und Leidenschaft für die gemeinsame Sache.« Ulrich Stoebe, Vorstand Was planen Sie für Ihren Ruhestand? Was haben Sie sich vorgenommen? Mein Start in den Ruhestand fällt in die Sommerferien. Da meine Frau Lehrerin ist, werden wir das direkt nutzen und erst Ines Trzaska, Ulrich Stoebe und Florian Moitje einmal segeln gehen. Aber ich will auch gar nicht zu viel planen für den Ruhestand. Ich möchte erleben, was es heißt, Verantwortung abzugeben. Außerdem gibt es in Haus und Garten etliche Dinge, bei INFO denen ich mir in den letzten Jahren gesagt habe, das hebst du dir auf für den Ruhestand. Und ich möchte natürlich die Anfang August rückt Pastor Florian Moitje in Zeit mit meinen drei Enkeln genießen. Und etliche Hobbys den Vorstand nach und löst somit Ulrich Stoebe ab. gibt es auch noch… Natürlich möchte ich auch den Kontakt Ines Trzaska übernimmt dann den Posten der zur diakonischen Arbeit nicht ganz verlieren. Ehrenamt kann Vorstandsvorsitzenden. auch eine feine und nützliche Sache sein. Die offizielle Verabschiedung von Ulrich Stoebe wird Lassen Sie mich dieses Interview nicht beschließen, ohne aufgrund der Corona-Beschränkungen erst im all den Menschen herzlich zu danken, die mich in diesen Herbst stattfinden, ebenso wie die Einführung von 17 Jahren begleitet, unterstützt und herausgefordert haben. Florian Moitje. Es gibt nichts Schöneres als Vertrauen und Zusammenhalt und Leidenschaft für die gemeinsame Sache. Davon habe ich Eine ausführliche Vorstellung von Florian Moitje sehr viel erfahren. lesen Sie in der nächsten Ausgabe unseres Magazins. Lieber Herr Stoebe, vielen Dank für das Gespräch. miteinander.leben Juni 2021 19
MENSCHEN EINE KUNDIN BERICHTET ÜBER IHRE IMPF-ERFAHRUNG »EINE SINNVOLLE IDEE« von Julia Kreft M aike Rüter ist 25 Jahre Vor der zweiten Impfung hat Maike Rüter laut eigener Aussage nun keine Sorgen alt und zog mitten in der mehr. Denn wie sie erfahren hat, sollen bei der zweiten Impfung die Nebenwirkun- Pandemie in ihre eigene gen geringer ausfallen. Außerdem ist es ihr wichtig, vollständig geschützt zu sein, Wohnung in das Servicehaus Läuferweg schon allein deshalb möchte sie die zweite Impfung in Anspruch nehmen. in Hannover. Dort lebt sie seit August 2020 und wird durch den ambulanten Nach all den Erfahrungen, die Maike Rüter gemacht hat, würde sie sich rück- Pflegedienst der Diakonie Himmelsthür blickend dennoch wieder für die Impfung entscheiden, da ist sie sich sicher, auch und das Ambulant Betreute Wohnen wenn sie bei dem Impfstoff AstraZeneca nochmal überlegen müsste. unterstützt. Doch die Pandemie hat sie ziemlich ausgebremst. „Meinen Start in Hannover hatte ich mir anders überlegt“, erzählt Maike Rüter. Soziale Kontakte seien ihr wichtig, „aber diese sind total eingeschränkt und insgesamt schlägt Corona auf die Psyche.“ Von Minden nach Hannover sei sie ge- zogen, um mehr in ihrer Freizeit unter- nehmen zu können. Als leidenschaftli- che Konzert-Besucherin hatte sie sich schon gefreut und auch viele Tickets gekauft. Allein jetzt hat sie noch vier Tickets, die immer noch ausstehen. Dies war auch einer der Gründe, der sie dazu bewegt hat, sich für die Impfung gegen das Coronavirus zu entscheiden. Dazu sieht Frau Rüter sich selbst als Teil ei- ner Risikogruppe und für sie ist es eine „sinnvolle Idee, sich impfen zu lassen.“ Somit war auch klar, dass sie sich als eine der Ersten im Servicehaus Läufer- weg hat impfen lassen. Die Impfung an sich verlief problemlos, allerdings be- kam Maike Rüter starke Nebenwirkun- gen. „Es war mir schon bewusst, dass ich Nebenwirkungen bekommen würde, denn sonst bin ich generell wenig krank. Dass sie aber so stark werden, das hätte ich nicht gedacht.“ Maike Rüter hatte starken Schüttelfrost, leichtes Fieber und war insgesamt sehr abgeschlagen. Nach ungefähr drei Tagen waren die Nebenwirkungen jedoch abgeklungen und es blieb nur noch ein kleiner Schmerz an der Einstichstelle. 20 Juni 2021 miteinander.leben
MENSCHEN von Sebastian Stein HILFE, WO SIE GEBRAUCHT WIRD DOROTHEE VON SALDERN HAT 14 TAGE BEI DEN ROTENBURGER WERKEN AUSGEHOLFEN N achdem es auch in der Diakonie Himmelsthür einige Corona- Ausbrüche in Wohnangeboten gegeben hatte, wurde ein Corona-Ein- satz-Team gebildet, welches in solchen Notfallsituationen die Mitarbeitenden vor Ort tatkräftig unterstützen und plötzlich entstehende Personallücken füllen kann. Als hierfür Freiwillige gesucht wurden, war Dorothee von Saldern überzeugt, dass sie dafür bestimmt nicht in Frage käme. Die 59-Jährige ist Mitarbeiterin in der Assistenz in Osterwald, unter- stützt Kundinnen und Kunden in der Pflege und in der Tagesförderung. „Ich dachte, dass es dafür doch viel besser ausgebildete, qualifiziertere Kolleginnen und Kollegen gibt“, erzählt sie rückbli- ckend. Sie meldete sich daher vorerst nicht für das Corona-Einsatz-Team. „Als ich später hörte, dass es bislang nur zehn Freiwillige gebe, war ich wirk- lich enttäuscht.“ Und so ließ sie sich doch noch für das Team eintragen. „Ich war schon immer der helfende Typ, wollte anderen ein Vorbild zum Helfen sein“, sagt die kontaktfreudige Frau, die auch Besitzerin einer Reitschule mit zehn Pferden ist. Mitte Februar kam dann die entschei- dende Anfrage – aber gar nicht von ei- nem Angebot der Diakonie Himmels- die Arbeit sehr anstrengend gewesen. Von den 30 Personen auf ihrer Etage waren thür, sondern aus den Rotenburger zuvor 20 positiv auf das Corona-Virus getestet worden. „Ich trug während der Werken. Dort war nach mehreren Co- Arbeit durchgängig Schutzkleidung, die regelmäßig gewechselt werden musste“, rona-Infektionen ein personeller Eng- so Dorothee von Saldern. „Aber diese Schutzausrüstung ermöglichte es auch, dass pass entstanden, den man selbst nicht ich Beziehungen zu den Bewohnerinnen und Bewohnern aufbauen konnte. Ich Foto: Rotenburger Werke / Hendrik Pröhl vollständig auffangen konnte. Dorothee konnte so auch mal jemanden anfassen und umarmen.“ von Saldern überlegte nicht lange und trat nur wenige Tage später ihren 14- Nach der Arbeit ging es immer direkt in die nächste Jugendherberge. Dort stand tägigen Dienst an. ihr ein Zimmer zur Verfügung, auch die Verpflegung bekam sie gestellt. „Fernsehen gab es nicht und die Internetverbindung war eher schlecht“, erzählt sie. „Letztlich „Ich wurde wirklich herzlich aufge- durfte ich das Zimmer aus Schutzgründen auch nur für die Arbeit verlassen. Die nommen. Man kümmerte sich toll um Isolation war auf Dauer schon bedrückend.“ Auch die Pausen während ihres Einsat- mich und fragte regelmäßig, wie es zes musste sie immer allein verbringen. Dennoch halte sie bis heute Kontakt nach mir ginge“, berichtet sie. Dennoch sei Rotenburg. „Ich würde das jederzeit wieder tun“, sagt sie. miteinander.leben Juni 2021 21
Sie können auch lesen