NEIN! - zu Gewalt und sexualisierter Gewalt - Diözese Innsbruck

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NEIN! - zu Gewalt und sexualisierter Gewalt - Diözese Innsbruck
NEIN!
– zu Gewalt und
  sexualisierter Gewalt
NEIN! - zu Gewalt und sexualisierter Gewalt - Diözese Innsbruck
IMPRESSUM
Diözese Innsbruck
Riedgasse 9 – 11, 6020 Innsbruck
vertr. d. Generalvikar Dr. Florian Huber
Redaktion (Hrsg.): Dr. Hannes Wechner

Design: awdesign.at
Druck: Druckerei Aschenbrenner

4. aktualisierte und erweiterte Auflage | Innsbruck Juni 2020
NEIN! - zu Gewalt und sexualisierter Gewalt - Diözese Innsbruck
INHALT
                                           # 04
VORWORT

                                           # 06
SELBSTVERSTÄNDNIS
kirchlicher Kinder- und Jugendarbeit

                                           # 07
WISSENSWERTES

                                           # 09
SEXUALISIERTE GEWALT
- das Wichtigste in Kürze

                                           # 17
GEISTLICHER MISSBRAUCH
– eine Annäherung

                                           # 19
MASSNAHMEN
zur Prävention von sexualisierter Gewalt

                                           # 21
LEITLINIEN
im Umgang mit Kindern und Jugendlichen

                                           # 24
HANDLUNGSLEITFADEN
für den Umgang mit Vermutungen
und Beobachtungen

                                           # 25
GESPRÄCHSHILFE
für den Umgang mit Betroffenen

                                           # 28
DIÖZESANE ANLAUFSTELLEN

                                           # 30
BERATUNG UND HILFE

                                           # 34
GESETZESRAHMEN

                                           # 39
QUELLEN

                                                  3
NEIN! - zu Gewalt und sexualisierter Gewalt - Diözese Innsbruck
VORWORT

    Missbrauch jedweder Art widerspricht       Ihr Ziel ist es, für eine Haltung der Acht-
    dem christlichen und moralischen An-       samkeit, für eine Kultur des Respekts,
    spruch, dem die Katholische Kirche ver-    der Wertschätzung und der Übernah-
    pflichtet ist. Die Täter und Täterinnen    me von Verantwortung auf allen kirch-
    verletzen die persönliche Würde und In-    lichen Ebenen zu sensibilisieren. Durch
    tegrität von Menschen und beeinträch-      professionelle Wissensvermittlung und
    tigen die gesunde Entwicklung und die      Schulung von Priestern, Ordensleuten,
    Lebenschancen ihrer Opfer massiv. Ge-      haupt- und ehrenamtlichen Mitarbei-
    rade wenn Priester, Ordensangehörige,      tern und Mitarbeiterinnen sowie durch
    haupt- oder ehrenamtliche Mitarbeite-      die Schaffung von klaren Regeln und
    rinnen bzw. Mitarbeiter der Kirche Ge-     Strukturen können Gewalt und Miss-
    walt und sexualisierte Gewalt ausüben,     brauch klar erkannt, benannt und ihnen
    erschüttert dies bei den Betroffenen       konsequent begegnet werden. Fehler
    und ihren Angehörigen auch das Grund-      der Vergangenheit, des Weg- statt des
    vertrauen in Gott und die Menschen.        Hinschauens und der falsch verstande-
                                               nen Loyalitäten dürfen sich nicht mehr
    Jegliche Form von Übergriffen und Ge-      wiederholen.
    walt, welcher Art auch immer, ist für
    uns als christliche Glaubensgemein-        Kirche muss ein vertrauenswürdiger
    schaft bei der Arbeit mit Menschen nicht   Ort sein, an dem grenzüberschreitendes
    tolerierbar!                               und grenzverletzendes Verhalten sowie
                                               Übergriffe keinen Platz haben und wo
    Als Kirche in der Nachfolge Jesu, die      Kinder, Jugendliche und Erwachsene
    dem Auftrag zu heilen verpflichtet ist,    sicher sind.
    tragen wir eine besondere Verantwor-
    tung für die uns anvertrauten Menschen,
    insbesondere für Kinder und Jugend-
    liche. Eine gute Präventionsarbeit trägt
    dazu bei, das Bewusstsein nachhaltig
    zu schärfen und dieser Verantwortung
    nachzukommen. Ein wichtiger Beitrag        Propst Dr. Florian Huber
    dazu ist auch diese Broschüre.             Generalvikar Diözese Innsbruck

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NEIN! - zu Gewalt und sexualisierter Gewalt - Diözese Innsbruck
Es gilt, die „Mauer des Schweigens“ aufzubrechen

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NEIN! - zu Gewalt und sexualisierter Gewalt - Diözese Innsbruck
Selbstverständnis
                       kirchlicher Kinder- und Jugendarbeit

Arbeit mit Kindern und Jugendlichen –
ein persönlicher Begegnungsort

Die kirchliche Kinder- und Jugendarbeit in der Diö-     o der Aufbruch aus falscher Sicherheit
zese Innsbruck eröffnet persönliche Begegnungs-         o die Aufmerksamkeit für Unterdrückung
räume für Glaubenserfahrung, gemeinsame Frei-           o sowie ein Leben in Hoffnung und Fülle
zeitgestaltung, die Entwicklung der Persönlichkeit
und für politische Meinungsbildung.                     Alle an der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit be-
                                                        teiligten Menschen – ganz gleich ob als Ehrenamt-
Die Grundvoraussetzung für das Gelingen jeder per-      liche oder Hauptberufliche – sind beauftragt, diesen
sönlichen Begegnung sind Offenheit und Vertrauen.       Geist in ihrem Handeln erlebbar werden zu lassen.
Auf Nähe, in einem gewissen Rahmen auch körper-
liche Nähe, kann in der Beziehungsarbeit mit Kin-
dern und Jugendlichen nicht verzichtet werden.          Arbeit mit Kindern und Jugendlichen –
                                                        den Menschen ganzheitlich sehen
Wenn Menschen Nähe suchen und Vertrauen wagen,
machen sie sich verletzlich. Damit diese Verletzlich-   Sexualität ist Bestandteil des Menschen in jeder Le-
keit nicht von Einzelnen ausgenutzt werden kann,        bensphase und sie ist ein Ausdruck der Ebenbildlichkeit
braucht es klare Regeln.                                Gottes als Mädchen oder Bursche, als Mann oder Frau.

                                                        Damit Kinder und Jugendliche in ihrer jeweiligen
Arbeit mit Kindern und Jugendlichen –                   Unterschiedlichkeit und Intimität geschützt und ge-
                                                        stärkt werden, braucht es in der kirchlichen Kinder-
Handeln aus dem Geist Gottes
                                                        und Jugendarbeit einen respektvollen Umgang mit
Kinder- und Jugendpastoral bezeichnet den Dienst        Nähe und Distanz.
der Kirche für junge Menschen, mit ihnen und durch
sie. Im Handeln soll der lebensbejahende Geist Got-     Eine gelungene ganzheitliche Pädagogik bestärkt die
tes erkennbar sein. Entscheidend für das vom Geist      eigene Wahrnehmung von Lust und Unlust sowie von
Gottes motivierte Leben und Tun sind:                   Nähe- und Distanzbedürfnis. Sie unterstützt Kin-
                                                        der und Jugendliche darin, mit Verunsicherung und
o die Achtung vor allem Lebendigen                      Konfliktsituationen angemessen umzugehen und
o die Förderung der Freiheit                            eine selbstbestimmte Körperlichkeit und Sexualität
o ein Leben in Beziehung                                zu entfalten.

                               In pastoralen Beziehungen zu Kindern und
                               Jugendlichen soll der menschengemäße und
                               lebensbejahende Geist Gottes erkennbar sein.

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Wissenswertes
                      zu Gewalt

Was ist Gewalt?                                        Definition und Formen
                                                       von Gewalt im Überblick!
Im Alltag von kirchlichen Einrichtungen kommt es
immer wieder zu Verhaltensweisen von Priestern,        Die umfassendste Definition von Gewalt stammt vom
Ordensleuten, Diakonen, haupt- und ehrenamtlichen      schwedischen Friedensforscher Galtung. Sie lautet:
MitarbeiterInnen, die die persönlichen Grenzen der
ihnen anvertrauten Menschen überschreiten. Kör-        „Gewalt ist eine vermeidbare Beeinträchtigung
perliche, psychische, geistliche und sexualisierte     grundlegender menschlicher Bedürfnisse bzw.
Grenzverletzungen sind grundsätzlich eine Form         des Lebens. Die Androhung von Gewalt ist eben-
von Gewalt.                                            falls Gewalt.“ (vgl. Galtung, 1975.)

Im Sinne eines fachlich angemessen Umgangs mit         Diesem weiten Gewaltbegriff zufolge ist alles, was
grenzverletzendem Verhalten wird eine Differen-        Menschen daran hindert, ihre Fähigkeiten und Ta-
zierung und Begriffsbestimmung der Gewaltformen        lente voll zu entfalten, eine Form von Gewalt.
vorgenommen.
                                                       Hierunter fallen nicht nur alle Formen der Diskrimi-
Obwohl die Rahmenordnung der Katholischen Kir-         nierung, sondern auch die ungleiche Verteilung von
che Österreichs (Verfahrungsordnung, §1) für alle(!)   Einkommen, Bildungschancen und Lebenserwar-
Gewalthandlungen gegenüber Minderjährigen bzw.         tungen, sowie das Wohlstandsgefälle zwischen der
Schutzbedürftigen oder Erwachsenen gilt, liegen die    „Ersten“ und der „Dritten“ Welt.
Schwerpunkte dieser Broschüre auf der sexualisier-
ten Gewalt an Kindern und Jugendlichen.                In dieser umfassenden Definition kann Gewalt häufig
                                                       nicht mehr konkreten, personalen Akteuren zuge-
Als Gewalt empfinden Menschen angstmachende und        rechnet werden, sondern sie basiert auf Strukturen
als bedrohlich erlebte Äußerungen und Handlungen       wie Werten, Normen oder Institutionen. Diese Be-
einer anderen Person. Es existieren die verschie-      griffsbestimmung verzichtet auch auf die Voraus-
densten Formen von Gewalt. Wobei viele Bereiche        setzung, dass, um von Gewalt sprechen zu können,
sehr oft verschränkt miteinander erlebt werden:        eine Person oder Gruppe subjektiv Gewalt empfin-
                                                       den muss. Strukturelle Gewalt werde von den Op-
o   Körperliche Gewalt                                 fern oft nicht einmal wahrgenommen, da die ein-
o   Psychische Gewalt                                  geschränkten Lebensnormen bereits verinnerlicht
o   Sexualisierte Gewalt                               worden sind.
o   Geistige Gewalt
o   Strukturelle Gewalt                                Die Definition zeigt auch auf, dass nicht nur Handlun-
o   Kulturelle Gewalt                                  gen, sondern auch bestimmte Handlungsunterlas-
o   Gewalt gegen Sachen                                sungen als Gewalt zu bezeichnen sind (vgl. Aull, 2009.)
o   Gewalt gegen sich selbst
o   Gesetzliche Gewalt
o   usw.

                                                                                                          7
Unter körperliche bzw. physische Gewalt fallen alle       Strukturelle Gewalt äußert sich in ungleichen
    Formen der Körperverletzung und der körperlichen          Machtverhältnissen von Systemen und geht nicht
    Misshandlung:                                             von einzelnen TäterInnen aus, sondern ist die Folge
    gegen den Willen festhalten, stoßen, Fußtritte, (mit      von gesellschaftlichen, systemischen Bedingungen.
    Zigaretten) verbrennen, Attacken mit Gegenstän-           Beispiele für strukturelle Gewalt sind z.B. fehlende
    den, mit Gegenständen nach Personen werfen,               Beteiligungsmöglichkeiten, Geschlechterdiskriminie-
    schlagen, kratzen, beißen, an den Haaren ziehen,          rung, Benachteiligung bestimmter Menschengrup-
    sexuelle Übergriffe, bis hin zum Mordversuch oder Mord.   pen, Klerikalismus, Geistiger Missbrauch, …

    Seelische bzw. psychische Gewalt liegt dann vor,
    wenn die Entwicklung von Menschen, v.a. von Kin-
    dern und Jugendlichen, durch folgende Formen
    nachhaltig beeinträchtigt wird. Sie kann in aktiver
    und passiver Form erfolgen:
    alle Formen von Beschimpfungen, Abwertungen,
    Erniedrigung, Diffamierung, Drohungen, Nötigun-
    gen und Angstmachen, verweigerte Zuwendung, Ab-
    lehnung und Liebesentzug, Isolierung, Erzeugen von
    Schuldgefühlen, Belästigung, Stalking, Mobbing,
    auch in Neuen Medien, …

!
     Körperliche Misshandlung von Kindern
     und Jugendlichen wird heute nicht in
     gleicher Weise tabuisiert wie das
     Thema sexuelle Gewalt!

      8
SEXUALISIERTE GEWALT –
das Wichtigste in Kürze

Kindliche und jugendliche Sexualität

Jeder Mensch ist ein sexuelles Wesen von Geburt an.     am eigenen sowie am Körper der SpielpartnerInnen.
Sexualität ist eine Lebensenergie, ein menschliches     Kinder leben ihre Sexualität egozentrisch, auf sich
Bedürfnis, ein Kernbereich der Persönlichkeit, der      bezogen. Selbsterkundungen und Selbststimulation
den Menschen von der Geburt bis zum Tod begleitet.      ziehen sich meist durch die ganze Kindheit.
In verschiedenen Alters- und Entwicklungsstufen
verändert sich die Sexualität eines Menschen und        Kinder erleben ihre Sexualität mit vielen Bezugs-
bekommt auch je nach Lebenssituation eine unter-        personen im Schmusen und Kuscheln. Sie erkun-
schiedliche Bedeutung. Ebenso gibt es eine Vielzahl     den, matschen, gatschen, kitzeln, lachen gerne, ha-
von verschiedenen Formen von Sexualität, wie sie        ben Freude am Entdecken des eigenen Körpers, der
gelebt wird oder auch nicht.                            Körperöffnungen und Ausscheidungen. Kinder leben
                                                        Sexualität selbstverständlich, spontan, neugierig
Ausdrucksformen der kindlichen Sexualität               und unbefangen, wenn sie dies dürfen. Diese Neugier
Kindliche Sexualität ist nicht mit der Sexualität von   bezieht sich aber niemals auf sexuelle Handlungen
Erwachsenen gleichzusetzen! Sie ist geprägt von         bzw. sexuelle Befriedigung im erwachsenen Sinn.
einem ganzheitlichen Erleben, in dem es keine Tren-
nung zwischen Sinnlichkeit, Zärtlichkeit und Sexuali-   Interesse an sexuellen Vorgängen, das Verwenden
tät gibt. Ausdrucksformen der kindlichen Sexualität     sexueller Ausdrücke oder Witze kennzeichnen Kin-
finden sich in sinnlichen und lustvollen Äußerungen,    der erst ab dem Volksschulalter.
wie Geborgenheit, Zärtlichkeit, Nähe, Wärme und Lust

                                                                        Jede sexuelle Beziehung
                                                                        eines Erwachsenen zu
                                                                        einem Kind ist Gewalt.
                                                                        Eine legitime sexuelle
                                                                        Beziehung zu einem Kind
                                                                        gibt es nicht!

                                                                                                       9
Sexualisierte Gewalt –
                                                         eine differenzierte Annäherung

Kennzeichen einer jugendlichen Sexualität                Sexualisierte Gewalt bei Kindern und Jugendlichen
Jugendliche erleben in der Pubertät ab etwa dem          ist prinzipiell durch ein Machtungleichgewicht zwi-
12. Lebensjahr einen neuerlichen Interessensschub        schen TäterInnen und Opfer sowie deren völlig unter-
für Sexuelles. Verliebt–Sein, erste Beziehungen,         schiedlich strukturierter Sexualität charakterisiert.
erste Berührungen, der sich verändernde Körper
und hormonelle Prozesse beschäftigen und verun-          Andere Bezeichnungen für „sexualisierte Gewalt“
sichern viele Jugendliche.                               sind „sexueller Missbrauch“ oder „sexuelle Gewalt“.
                                                         Der Begriff „sexueller Missbrauch“ ist zwar eine gän-
Kokettieren, mit sexuellen Reizen experimentieren        gige gesellschaftliche Diktion. Allerdings birgt der
und die Wirkung auf andere beobachten – jugend-          Begriff eine gewisse sprachliche Problematik in sich,
liche Mädchen und Buben tasten sich an die ge-           weil es im Gegensatz zu „sexuellem Missbrauch“
schlechtliche/ genitale Sexualität heran. Das erste      keinen „sexuellen Gebrauch“ geben kann. „Sexuelle
Verliebt-Sein ist vielfach ein wertvoller Kontrast zur   Gewalt“ könnte dazu verleiten, die psychisch-emo-
entemotionalisierten Porno-Liebes-Vorstellung. Be-       tionale Komponente und deren Folgen auszublenden.
gleitet wird dieses von „großen Gefühlen“ und
Schwärmereien für Vorbilder und Bezugspersonen,          In Abstimmung mit den derzeitigen Fachmeinungen
für den „lässigen“ Pfarrer, den verständnisvollen        wird der Begriff „sexualisierte Gewalt“ als überge-
Pastoralassistenten oder die coole Jugendleiterin.       ordneter Begriff verwendet.

Viele erleben ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit      Sexualisierte Gewalt kennt viele Formen und Abstu-
sich selbst. Sie erkunden und entdecken ihren er-        fungen und beinhaltet nicht nur Körperkontakte. Sie
wachsen werdenden Körper und ihr sexuelles Be-           lässt sich in sogenannte „Hands-On“- und „Hands-
gehren. Wer sich selbst kennt und weiß, was sich         Off“-Taten unterteilen. Bei den „Hands-On“-Taten
angenehm anfühlt, kann besser die Grenzen dann           kommt es zum Körperkontakt zwischen Opfer und
ziehen, wenn es unangenehm ist – sowohl bei ge-          TäterInnen. Unter „Hands-Off“-Handlungen fällt das
wollten sexuellen Aktivitäten als auch bei einem se-     Vorzeigen pornografischer Materialien bzw. das Her-
xuellen Übergriff.                                       stellen pornografischer Fotos und Filmaufnahmen
                                                         von Kindern, Exhibitionismus, Voyeurismus sowie alle
Im Jugendalter nehmen auch die sexuellen Über-           weiteren sexuell-intendierten Handlungen ohne kör-
griffe unter Gleichaltrigen zu. Verbale Abwertungen,     perliche Berührung zwischen Kind und TäterInnen.
sexualisierte Schimpfwörter oder Anspielungen ge-
hören zum Alltag der meisten Jugendlichen. Gleich-       So beginnt sexualisierte Gewalt schon beim Erzäh-
zeitig wissen viele sehr wenig über Sexualität, die      len anzüglicher Witze, die dem Gegenüber peinlich
Unterschiede zwischen Nähe und Grenzen werden            oder unangenehm sind, bei unangemessenen, sexis-
meist nur unzureichend bzw. gar nicht erkannt.           tischen Bemerkungen, von der Person nicht gewoll-
                                                         ten Berührungen und reicht zum Beispiel bis zum
Die fiktive, verzerrte Darstellung von Sexualität in     Zeigen von pornografischen Schriften und Filmen
Pornos lässt bei Jugendlichen sehr oft ein gleicher-     oder Fotografieren beim Duschen.
maßen einseitiges, verzerrtes, diskriminierendes, oft
frauenabwertendes Bild von Sexualität entstehen.

 10
Formen
                                                      sexualisierter Gewalt

Die Beziehung zwischen Kindern bzw. Jugendlichen      Sexualisierte Gewalt kann in vielen Abstufungen vor-
und Erwachsenen ist gekennzeichnet durch Macht-       kommen. Deshalb wird zum besseren Verständnis
und Ressourcenunterschiede. Diese Ungleichheit        zwischen angeführten Begriffen unterschieden:
wird bei sexualisierter Gewalt von Erwachsenen zur
Befriedigung ihrer persönlichen Bedürfnisse ausge-    o Grenzverletzung
nützt. Mit körperlicher Überlegenheit oder bei emo-   o Übergriff
tionaler Abhängigkeit kann unter Druck gesetzt und    o Straftat
Vertrauen missbraucht werden. Oft stehen dabei
nicht sexuelle Bedürfnisse im Vordergrund, sondern
Machtbedürfnisse mit dem Ziel, sich selber durch
die Erniedrigung anderer besser zu fühlen.

Bestehende Machtunterschiede müssen klar benannt
werden, da sich sonst die Verantwortlichkeiten ver-
schieben und verschleiern. Im kirchlichen Kontext
besteht die besondere Gefahr der Spiritualisierung
von Macht, sowie die Festigung von Abhängigkeiten
durch den Missbrauch religiöser Bilder: der „all-
mächtige Vater“, der „gehorsame Gottessohn“, die
„demütige Gottesmutter“. Dabei wird höchst manipu-
lativ vorgegangen und dadurch der Weg zur befreien-
den Botschaft des Glaubens verstellt.

                                                                                                      11
Sexuelle Grenzverletzung                                 Beispiele für grenzverletzendes Verhalten:
Als Maßstab für sexuelle Grenzverletzungen dienen        o Missachten persönlicher Grenzen, z. B. tröstende
nicht nur objektive Faktoren, sondern auch das sub-         Umarmung, obwohl diese dem Gegenüber
jektive Erleben der Betroffenen. „Das war doch nur          unangenehm ist.
Spaß“ ist kein Freibrief für gedankenloses Verhalten.    o einmalige/ seltene Missachtung eines respekt-
Wo sich andere bloßgestellt fühlen, hört der Spaß auf       vollen Umgangsstils (öffentliches Bloßstellen,
und eine Entschuldigung ist angebracht.                     Veröffentlichung von peinlichen Bildern,
                                                            sexistische Bemerkungen, ...)
Grenzverletzungen im Sinne der Prävention sind           o einmalig/ selten grenzverletzendes, sexuali-
Handlungen, die unterhalb der Schwelle der Strafbar-        siertes Verhalten unter Kindern/Jugendlichen
keit liegen. Sie beschreiben im Umgang mit Kindern          zulassen
und Jugendlichen ein einmaliges unangemessenes           o einmalig/ selten persönliche bzw. intime
Verhalten, das sowohl geplant als auch unbeabsich-          Gespräche ohne pädagogischen Hinter-
tigt geschehen kann.                                        grund initiieren
                                                         o „sexualisierte Atmosphäre“ hinnehmen
Im pädagogischen Miteinander einer Gruppe, z.B. auf
Kinder- oder Jugendlagern lassen sich Grenzüber-
schreitungen nicht immer vermeiden („Alltagssitu-
ationen“). Eine unbedachte Bemerkung, grobe Be-
rührung oder ein Spiel, bei dem jemand ausgelacht
wird, lässt sich kaum ganz unterbinden. Werden
diese aber von den Verantwortlichen nicht erkannt
und korrigiert, entwickelt sich schnell eine „Kultur“,
die es in Kauf nimmt, dass gezielt beschimpft, „ge-
grapscht“ oder ausgegrenzt wird. Dann wird „nor-
mal“, wogegen sich niemand wehrt. Die Folge ist:
Der respektvolle Umgang nimmt ab und Grenzver-
letzungen nehmen zu.

                                                     Schon bei einer Grenzverletzung
                                                     beginnt die Pflege der Kultur des
                                                     aufmerksamen Hinschauens.

 12
Sexueller Übergriff                                       Der Begriff strafbare „sexuelle Handlung“ (das Straf-
Ein übergriffiges Verhalten passiert nicht zufällig       gesetzbuch spricht von geschlechtlichen Handlun-
und nicht aus Versehen. Vielmehr wird die abweh-          gen) meint sehr unterschiedliche Aktivitäten, die man
rende Reaktion Betroffener bewusst missachtet,            nach Intensität, nach dem Ausmaß der körperlichen
Kritik von anderen überhört und Verantwortung für         Gewalt und nach Straftatbeständen unterscheiden kann:
das eigene Verhalten abgelehnt. Ein sexueller Über-
griff ist auch dann passiert, wenn Personen grenz-        o Versuchte oder vollendete vaginale, anale
verletzendes Verhalten trotz Ermahnung nicht korri-         oder orale Penetration
gieren, sondern wiederholen.                              o Opfer muss vor TäterIn masturbieren
                                                          o TäterIn masturbiert vor Opfer
Sexuelle Übergriffe unterscheiden sich von Grenz-         o TäterIn fasst Opfer an die Genitalien
verletzungen durch die Massivität und/ oder die Häu-      o Opfer muss TäterIn an die Genitalien fassen
figkeit der nonverbalen, verbalen oder körperlichen       o Opfer muss TäterIn die Genitalien zeigen
Grenzverletzungen („schwere Grenzverletzung“).            o Sexualisierte Küsse, Zungenküsse
                                                          o Opfer wird gezwungen oben angeführte Hand-
Beispiele für übergriffiges Verhalten:                      lungen vor anderen Personen auszuführen
o wiederholte anzügliche, sexistische Bemerkun-           o Opfer wird gezwungen oben angeführte Hand-
   gen (Bemerkungen über die körperliche Ent-               lungen gegen Entgelt auszuführen
   wicklung junger Menschen, …)                           o Exhibitionismus
o Voyeurismus (z. B. Betreten von Duschräumlich-          o Zeigen von Pornografie
   keiten, Schwimmbadbesuch mit der Gruppe,
   um die Mädchen/ Burschen leicht bekleidet              Die letzten beiden Handlungen finden z. B. ohne Kör-
   bzw. nackt zu sehen, Betreten der Zimmer               perkontakt (Hands-Off) statt, beschreiben aber trotz-
   ohne anzuklopfen, …)                                   dem Straftatbestände, der Gesetzgeber geht hier also
o „lockerer“ Umgang mit Pornografie (sexua-               ebenfalls von einer beachtlichen Schädigung des Op-
   lisierte Manipulation von Fotos, …)                    fers aus.
o sexistische und sexualisierte (Pfänder-) Spiele
o häufiges Sprechen und/ oder nachbohrendes               Für die körperlichen und psychischen Folgen bei den
   Ausfragen über sexuelle Intimitäten (z.B. Ge-          Opfern ist u.a. auch die Häufigkeit von Bedeutung,
   spräche über das eigene Sexualleben, Aufforde-         in vielen Fällen bleibt es nicht bei einem einmaligen
   rung über intime Erlebnisse zu erzählen, …)            Gewaltübergriff, sondern der/die TäterIn setzt den
                                                          Missbrauch über längere Zeit fort.
Strafrechtlich relevante Gewalthandlungen
Körperverletzung, sexuelle Nötigung und sexuelle
Erpressung sind strafrechtlich relevante Gewalt-
handlungen.

                                                            !
Es ist strafbar, wenn Erwachsene an Kindern sexuel-
le Handlungen vollziehen, oder wenn sie Kinder dazu                   ÜBERGRIFFIGES VERHALTEN
bringen an ihnen oder anderen sexuelle Handlungen                     IST KEIN KAVALIERSDELIKT!
auszuführen. Die Opfer können natürlich auch Jugend-                  Davor muss die kirchliche Kinder- und
liche sein, und auch auf der TäterInnenseite finden wir
                                                                      Jugendarbeit auf allen Ebenen Kinder
ältere oder in anderer Hinsicht überlegene Jugend-
                                                                      und Jugendliche schützen
liche. Wenn auf beiden Seiten Kinder beteiligt sind,
werden diese „nur“ als sexuelle Übergriffe bezeichnet.

                                                                                                           13
Wo kommt sexualisierte Gewalt vor?

    Sexualisierte Gewalt findet zum größten Teil im so-    wegs ein Kavaliersdelikt, wenn ein 16-Jähriger im
    zialen Nahraum von Kindern und Jugendlichen statt.     Chat eine 12-Jährige sexuell belästigt, zu sexuellen
    Das kann zu Hause, in der Nachbarschaft, auf dem       Handlungen auffordert oder ihr pornografische Fil-
    Schulhof, beim Vereinstreffen, in der Jugendgruppe     me via Handy schickt.
    oder im Mini-, Jungschar- oder Jugendlager sein. Nur
    in seltenen Fällen sind hier die TäterInnen Fremde.    Die Kinder- und Jugendarbeit in den Pfarrgemeinden
                                                           findet im sozialen Nahraum statt. Eine ihrer Stärken
    Ein schwer eingrenzbarer Nahraum entsteht durch        ist es, Vertrauen und Gemeinschaft durch persön-
    Kommunikation mit den sogenannten „Neuen Medi-         liche Beziehung zu ermöglichen und Entwicklung
    en“. Hier wird sexualisierte Gewalt auch von Frem-     durch ganzheitliche Methoden und Spiele anzuregen.
    den verübt, die sich als Vertraute ausgeben.           Es geht nicht darum, jede körperlich ausgedrückte
                                                           Zuneigung oder Methode an sich unter Verdacht zu
    Als Straftat gilt seit dem 01. Jänner 2012 in Öster-   stellen oder einen Katalog an Verboten aufzustellen.
    reich auch jede sexuelle Handlung, die indirekt an     Vielmehr soll in der kirchlichen Jugendarbeit der
    Minderjährigen zum Beispiel über Medien wie Inter-     Blick dafür geschärft werden, wo auch in ihren Rei-
    net, Handy oder E-Mail verübt wird. Es ist keines-     hen Grenzen verletzt werden könnten.

!
     Anders als bei sexuellen Handlungen zwi-
     schen Erwachsenen spielt bei sexualisier-
     ter Gewalt an Mädchen und Burschen das
     Einverständnis keine Rolle, unabhängig
     davon, welchen Willen sie äußern.

     14
Blick auf die Opfer

Mädchen und Burschen jeden Alters und jeder Her-          oder gesellschaftlicher Stellung hinzu (LehrerInnen,
kunft werden Opfer sexualisierter Gewalt. Die Zahl        Erzieherinnen, Priester, Ärzte und Ärztinnen, Be-
der gemeldeten und angezeigten Vorfälle spiegeln          amtInnen ...). Diese beiden Aspekte machen es für
nicht die Realität der Vorfälle wider. So ist davon       die Umgebung schwer zu glauben, dass man es mit
auszugehen, dass jedes 3. bis 4. Mädchen und jeder        einem/ r SexualstraftäterIn zu tun hat.
7. bis 10. Bursche direkt von sexualisierter Gewalt
betroffen sind.                                           Drei Viertel der sexuellen Übergriffe und strafrecht-
                                                          lich relevanten Gewalthandlungen werden von Män-
Der Versuch, Opfer mitverantwortlich zu machen mit        nern und rund ein Viertel von Frauen verübt.
Entschuldigungen wie „sie hat sich nicht gewehrt“,
„er hat das provoziert“ oder „kein Wunder, wie die        SexualstraftäterInnen zeigen nur selten Schuldein-
rumläuft“, ist ein weiterer Verrat an betroffenen Kin-    sicht. Im Gegenteil, sie sind sehr bemüht, sich selbst
dern und Jugendlichen.                                    als „gutmeinend“ oder gar als „Opfer“ des Vorfalles
                                                          darzustellen. TäterInnen missbrauchen in der Re-
Zum Schutz vor sexualisierter Gewalt gilt es daher,       gel nicht nur ein Opfer, sondern verüben Wieder-
nicht nur Kinder und Jugendliche in ihrer Selbstbe-       holungstaten an mehreren Opfern gleichzeitig oder
stimmung zu stärken, sondern vor allem Leitungen          wiederkehrend über einen längeren Zeitraum. Ein-
auf allen Ebenen auf ihre Verantwortung aufmerk-          zeltaten sind die Ausnahme.
sam zu machen.
                                                          Laut Kriminalstatistik werden ein Drittel aller Se-
Sexualisierte Gewalt hat für die Opfer psychische,        xualstraftaten von Jugendlichen unter 18 Jahren
körperliche und soziale Folgen, die sich dauerhaft        verübt. Studien zeigen, dass „TäterInnenkarrieren“
auswirken können.                                         bereits im Jugendalter beginnen. Deshalb ist über-
                                                          griffiges und wiederholt grenzverletzendes Verhal-
Da Gewalt vor allem im sozialen Nahraum und in Ab-        ten an Kindern nichts, was sich auswächst und ge-
hängigkeitsverhältnissen verübt wird, fühlen sich         hört bei Jugendlichen nicht zur pubertären Phase,
Kinder und Jugendliche häufig schuldig für das,           die vorbei geht. Vielmehr bedarf solches Verhalten
was ihnen angetan wird. Die Angst, dass niemand           auch in der kirchlichen Jugendarbeit klarer Reaktio-
ihnen glauben wird, der Eindruck, ihrer Wahrneh-          nen und ernsthafter Konsequenzen.
mung nicht mehr trauen zu können, das Gefühl,
sich schmutzig und verraten zu fühlen, erhöhen den        Zu einem umfassenden Schutz vor sexualisierter
Druck zur Geheimhaltung. Als größtes Hindernis,           Gewalt gehört daher, „TäterInnenkarrieren“ vorzu-
Hilfe zu suchen, erweist sich oft ein tiefes Scham-       beugen und zu unterbrechen.
gefühl. Sexuelle Übergriffe oder Gewalthandlungen
betreffen die intimsten Bereiche von Menschen.            Wie gehen TäterInnen vor?
Über derartige Verletzungen zu sprechen, setzt gro-       TäterInnen verfolgen eine gezielte Strategie! Sie su-
ßes Vertrauen voraus.                                     chen die Nähe zu Kindern und Jugendlichen durch
                                                          ihr ehrenamtliches Engagement oder ihre berufliche
                                                          Tätigkeit.
Blick auf die TäterInnen
                                                          Sie zeigen sich nett, kreativ, sozial angepasst, zu-
TäterInnen kommen aus allen sozialen Schichten,           rückhaltend oder locker-jugendlich. Sexualisierte
aus allen Altersgruppen und sind nach außen hin           Gewalt findet nicht zufällig als Ausrutscher oder Ka-
„normale“ Männer und Frauen. Sie führen ein „nor-         valiersdelikt statt.
males“ Alltagsleben (Familie, Kinder, Berufstätig-
keit, Verein, ...). Zu dieser Unauffälligkeit kommt oft
noch ein gewisses Ansehen aufgrund beruflicher

                                                                                                            15
Wo wenig fachlich reflektiert
                                                                                                                 und besprochen wird, kann
                                                                                                                 vieles nach persönlichem
                                                                                                                 Ermessen geregelt werden.

o TäterInnen „testen“ gezielt durch grenz-                                                             Missbrauchszyklus:
  verletzendes Verhalten, manipulieren ihre
  Opfer und täuschen ihr Umfeld.
o TäterInnen verbindet die Verleugnung, Ver-
  harmlosung, Schuldverschiebung und Wahr-
  nehmungsverzerrung in Bezug auf ihr eigenes                                                                    Denken/ Phantasie/Verhalten
                                                                                                                    (vor dem Missbrauch)
  Handeln zu Lasten der Opfer und des Umfeldes.
o TäterInnen halten sich mit Vorliebe in Institu-
                                                                                        s!
                                                                                                                         Hemmungen
  tionen oder Organisationen auf, in denen diffuse                                                                      werden durch
                                                                                ch

                                                                                                                      Entschuldigungen/
  Regeln oder Standards gelten und/ oder in Or-
                                                                               au

                                                                                                                       Rechtfertigungen
                                                                                                                                                                             An

                                                                                                       Neue              überwunden             Phatasien
                                                                               br

  ganisationen, in denen Regeln und Grenzen
                                                                                                                                                                             ba

                                                                                                    Tatplanung                                  verstärken
                                                                         iss

                                                                                                                                               sich (Probe)
                                                                                                                                                                              hn

  autoritär von Einzelnen aufgestellt werden.
                                                            es M

                                                                                                                                                                                  ng

o „TäterInnenkarrieren“ beginnen bereits
                                                                                                                                                                                  des
                                              Au f r e c h t h a l t u n g d

                                                                                                                                                                Auswahl.
  im Kindes- und Jugendalter.                                                      Schlechte                                                                  Einkreisung
                                                                                                                                                                                   M i s s b ra u c h s !

                                                                                Gefühle beiseite                                                              und Planung.
                                                                                   schieben                                                                    „Targeting“

                                                                                                                      TÄTERWISSEN
                                                                                                                                                              Umwerbung
                                                                                    Schuld/ Angst                                                             Bildung von
                                                                                                                                                              „Komplizen-
                                                                                                                                                               schaften“

                                                                                                  Manipulation                                Manipulation
                                                                                                zur Verhinderung                              von Opfer und
                                                                                                 der Aufdeckung                           schützenden Personen.
                                                                                                                                               „Grooming“
                                                                                                                     MISSBRAUCHS-
                                                                                                                      HANDLUNG!

                                                                                                                          OPFER-
                                                                                                                          WISSEN

 16
GEISTLICHER MISSBRAUCH
als Nährboden für Gewalt

„Geistlicher Missbrauch“ –
eine Annäherung

Im Zuge der Auseinandersetzung mit Gewalt gerät                             Von Seiten des „Seelenführers“ kann dies eine be-
immer mehr der „geistliche“, „geistige“ oder auch                           wusste Manipulation sein oder auch unbewusst und
„spirituelle“ Machtmissbrauch in den Fokus von Dis-                         ohne Vorsatz geschehen.
kussionen. Für dieses Phänomen gibt es noch keine
allgemeingültige offizielle Definition.
                                                                            Wie kann es gerade im Raum der
Auch wenn in diesem Zusammenhang das letzte Wort
                                                                            Religionen zu diesem Machtmissbrauch
noch nicht gesprochen ist, ist es wichtig, in dieser
Broschüre auf geistlichen Missbrauch einzugehen, da                         kommen?
dieser negative, entmündigende Folgen für die Betrof-
fenen hat und auch häufig den Boden für Gewalt und                          Geistlicher Missbrauch basiert auf einer tieferlie-
sexualisierte Gewalt im kirchlichen Kontext bereitet.                       genden Verwechslung von geistlichen Personen mit
                                                                            der „Stimme Gottes“ selbst. Drei Formen der „Ver-
                                                                            wechslung“ sind hier zu beobachten:
Versuch einer Definition
                                                                            1.    Der Seelenführer verwechselt sich selbst
Geistlicher Missbrauch geschieht dann, wenn Per-                                  mit der Stimme Gottes. Wie Gott glaubt er zu
sonen*, die über religiös spirituelle Autorität ver-                              wissen, was richtig und gut für die Suchenden
fügen z.B. als geistliche Begleiter oder „Seelen-                                 ist, besser als diese selbst. Den Anspruch des
führer“, diese grenzverletzend ausnützen. Unter                                   Absoluten, der nur Gott gebührt, beansprucht
Verwendung von religiösen Motiven üben sie Macht                                  hier ein Mensch für sich selbst.
aus, die bis zur Abhängigkeit der sich ihnen anver-                         2.    Die geführte Seele verwechselt den Seelen-
trauenden Menschen führt. Der Glaube an Gott wird                                 führer mit der Stimme Gottes. Menschen, die
instrumentalisiert, um eigene Bedürfnisse zu be-                                  die (momentane) seelische Disposition haben,
friedigen, ohne dazu das bewusste, freie und der                                  Entscheidungen für ihr Leben anderen zu über-
Entwicklung entsprechende Einverständnis des an-                                  lassen und dazu erzogen wurden, kirchliche
deren zu haben. Daraus resultierende Demütigun-                                   Autoritäten für unhinterfragt moralisch integer
gen bis hin zum sexuellen Missbrauch werden auf                                   zu halten, sind gefährdet diesem Irrtum zu ver-
perfide Weise spirituell gerechtfertigt.                                          fallen. Womit natürlich keine Rechtfertigung
                                                                                  eines Ausnützens dieser Situation verbunden ist.
Spirituell Geführte haben nicht die Möglichkeit sich                        3.    Beide unterliegen zugleich dieser
religiös selbständig weiter zu entfalten, was das ei-                              Verwechslung.
gentliche Ziel geistlicher Begleitung sein sollte, son-
dern ordnen sich vertrauensselig immer mehr dem
sogenannten Seelenführer und seinen Vorstellungen                           Die bisherige Literatur zum Thema sieht hier nicht
und Bedürfnissen unter. Der Mensch wird entmündigt.                         nur die Verfehlungen einzelner, sondern auch theo-
                                                                            logische und systemisch-strukturelle Kontexte.
Diese Verkehrung in den Beziehungen entwickelt sich                         Theologien und Rollenbilder, die Priester nicht nur
meist schrittweise. Die zunächst positiv erfahrene,                         beim Vollzug der Sakramente in der Stellvertre-
nahe Beziehung, in der Raum für Suchen, Fragen und                          ter Christi Rolle sehen, bzw. ein Klerikalismus, der
Orientieren erhofft wird, wird langsam, fast unmerk-                        Priester und Ordensleute über die anderen Gläubi-
lich zu etwas Eingrenzendem und Manipulativem.                              gen stellt, leisten geistlichem Missbrauch Vorschub.

* Geistlicher Missbrauch wird vornehmlich von Männern verübt, daher wird im Folgenden Beitrag die männliche Form angewandt.
                                                                                                                              17
Wenn im System Kirche, in der Hierarchie höher       Mögliche Symptome geistlichen Missbrauchs:
    gestellte Amtspersonen ebenfalls der Selbstver-      o Der religiöse Führer/die Führerin „weiß“, was
    wechslung mit Christus unterliegen, verlieren sie      Gott von einem Menschen will, oft besser als
    den kritischen Blick und die Fähigkeit zur Zurück-     der/die Betroffene selbst.
    weisung geistlichen Missbrauchs. Dies führt zu ei-   o Geistliche Begleitung wird nicht zeitlich be-
    ner falsch verstandenen Loyalität gegenüber dem        grenzt, sondern das asymmetrische Verhältnis
    Amtsbruder und verhindert die Aufklärung von Ab-       bleibt über Jahre bis lebenslänglich aufrecht.
    hängigkeitsverhältnissen und deren Aufarbeitung      o Der Anstoß zur geistlichen Begleitung geht nicht
    wird mit einer solchen Haltung erschwert oder ver-     vom Suchenden aus.
    hindert.                                             o Die Vorstellung der Gottesbeziehung ist oft von
                                                           rigorosen Leistungsforderungen geprägt.
                                                         o Verschiedene Lebensformen werden moralisch
                                                           gegeneinander ausgespielt:

!
                                                         o Eine bestimmte Glaubenspraxis wird als allein
     Alle Personen, die mit Kindern und                    richtig und religiös zwingend dargestellt und
     Jugendlichen arbeiten, sollen in ihrer                nicht als Angebot verstanden.
                                                         o Kritik ist nicht erlaubt und wird als religiöse
     Aus- und/ oder Weiterbildung für
                                                           Verfehlung angesehen.
     eine Kultur der Grenzachtung und
     des aufmerksamen Hinschauens
     sensibilisiert werden.

     18
MASSNAHMEN
                       zur Prävention von sexualisierter Gewalt

Stark machen

Das Wort Prävention bedeutet „zuvorkommen“ oder         und andere. Die TäterInnenforschung zeigt, dass so
„verhüten“ und bezeichnet Maßnahmen, die ein uner-      aktiv Prävention gelingt. Der Schutz vor Gewalt und
wünschtes Ergebnis abwenden. Zum Schutz vor se-         sexualisierter Gewalt wird in jeder GruppenleiterIn-
xualisierter Gewalt in der Kinder- und Jugendarbeit     nenausbildung thematisiert und die Leitlinien kirch-
gilt der Grundsatz: Prävention muss stark machen.       licher Kinder- und Jugendarbeit werden besprochen.
                                                        So werden GruppenleiterInnen sensibilisiert, infor-
                                                        miert und mit pädagogischem Handwerkszeug unter-
Ausbildung und Schulungen                               stützt. Verantwortliche sollen in ihrem Arbeitsalltag
                                                        mit Kindern und Jugendlichen Grenzverletzungen
Ein wesentlicher Teil des Präventionskonzepts der Di-   wahrnehmen und selbständig korrigieren können. Das
özese Innsbruck besteht in der Durchführung von ent-    erfordert Sensibilisierung und betrifft jegliche Form
sprechenden Schulungen, wie etwa der verpflichten-      von Grenzachtung, nicht nur in sexueller Hinsicht.
den „Basisschulung Gewaltprävention“ für alle neuen
kirchlichen MitarbeiterInnen, Priester und Diakone.     Zudem spiegelt sich diese Thematik schon bei
Je nach dem Grad an Leitungsverantwortung und der       Dienstantritt wider. Jede/r MitarbeiterIn hat die
Art, Dauer und Intensität des Kontakts mit Kindern      spezielle „Strafregisterbescheinigung Kinder- und
und Jugendlichen sowie schutz- und hilfebedürftigen     Jugendfürsorge“ vorzuweisen und die Verpflich-
Erwachsenen werden darüber hinaus verschiedene          tungserklärung zu unterzeichnen. In den Betriebs-
Schulungsformate ausgearbeitet und angeboten.           ratsvereinbarungen gegen Missbrauch und Gewalt
                                                        wurde ein umfassendes Präventionspaket abge-
Ausbildungsstandards bieten Sicherheit und wirken       sprochen.
nach innen in die Jugend/ Jungschargruppen und nach
außen auf Eltern, Erwachsene in der Pfarrgemeinde

                                                          !
                                                                    Mit der Unterzeichnung der Ver-
                                                                    pflichtungserklärung ergreifen
                                                                    hauptberufliche und ehrenamt-
                                                                    liche MitarbeiterInnen, Priester,
                                                                    Diakone und Ordensleute Partei
                                                                    und beziehen Position.

                                                                                                         19
Die Verpflichtungserklärung                             lichen Bereich“ der Österreichischen Bischofs-
                                                        konferenz ist ein verbindliches Dokument für alle
Mit der Verpflichtungserklärung zeigt die Diözese       MitarbeiterInnen in der katholischen Kirche.
Innsbruck einen sicheren und verlässlichen Rahmen
im Umgang mit Kindern und Jugendlichen auf, um          Ich verpflichte mich in meinem kirchlichen Dienst im
aktiv Schutz vor sexualisierter Gewalt zu leisten.      Sinne der Regelungen und Bestimmungen zu handeln
                                                        und sie in meinem Arbeitsbereich anzuwenden und
Mit der Verpflichtungserklärung werden alle haupt-      einzuhalten. Besonders werde ich darauf achten, dass:
und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen in der Kinder
und Jugendarbeit in ihrer Rolle und Haltung ge-         o meine Arbeit mit Menschen in allen Bereichen
stärkt.                                                   der Kirche auf der Grundlage von Respekt und
                                                          Wertschätzung geschieht.
Schutz vor sexualisierter Gewalt kann nur gelingen,     o ich das individuelle Grenzempfinden des jewei-
wenn alle MitarbeiterInnen ihn als gemeinsames            ligen Gegenübers beachte. Dies bezieht sich
Anliegen sehen, gemeinsam Verantwortung über-             insbesondere auf die Intimsphäre.
nehmen und ihre Haltung ausdrücklich bestätigen.        o ich verantwortungsvoll mit Mitarbeiterinnen und
                                                          Mitarbeitern umgehe und gegebene Autoritäts-
Die Verpflichtungserklärung ist ein starkes Zeichen       und Vertrauensverhältnisse nicht ausnütze.
und darf als Präventionsinstrument nicht isoliert       o ich alles tue, um die mir anvertrauten Menschen
gesehen werden.                                           vor körperlicher, seelischer, geistiger und se-
                                                          xualisierter Gewalt zu schützen.
Verpflichtungserklärung auf die Rahmen-                 o ich mich in meinem Dienst an den Verhaltens-
ordnung „Die Wahrheit wird euch freima-                   richtlinien orientiere und danach handle.
                                                        o ich mich bemühe, jede Form von Grenzverlet-
chen“(im Wortlaut)*:
                                                          zung und Gewalt bzw. sexualisierter Gewalt zu
Die kirchliche Arbeit mit Menschen in der Diözese         erkennen und dies offen zu besprechen.
Innsbruck eröffnet Räume für Glaubenserfahrung,         o ich mich bei Verdacht auf psychische, physische,
gemeinsame Freizeitgestaltung, die Entwicklung            geistige und sexuelle Übergriffe an die diöze-
der Persönlichkeit und politische Meinungsbildung.        sane Ombudsstelle oder den/die Dienstvorge-
                                                          setzte/n oder das Ordinariat wende, um mit der
Wenn Menschen Nähe suchen und Vertrauen wagen,            Stelle das weitere Vorgehen abzusprechen.
machen sie sich verletzlich. Damit diese Verletzlich-   o ich mich laufend mit der Thematik beschäftige
keit nicht von Einzelnen ausgenutzt werden kann,          und mir entsprechendes Wissen aneigne.
braucht es klare Regeln. Es sollen daher alle Maß-
nahmen getroffen werden, um Übergriffe auf Kin-         Ich bestätige, dass mir durch die/den Verantwort-
der, Jugendliche und anvertraute Menschen in den        liche/n die Handreichung der Diözese Innsbruck
eigenen Reihen zu verhindern und sie vor sexuellen      „Schutz & Sicher, NEIN! – zu Gewalt und sexualisier-
Übergriffen und Gewalt zu schützen.                     ter Gewalt“ bzw. die Rahmenordnung „Die Wahrheit
                                                        wird euch frei machen“ als eine für meine Arbeit ver-
Die Rahmenordnung „Die Wahrheit wird euch frei          bindliche Orientierung zur Kenntnis gebracht wurde.
machen – Maßnahmen, Regelungen und Orientie-
rungshilfen gegen Missbrauch und Gewalt im kirch-       Unterschrift

* Grundlage der angeführten Punkte sind
  insbesondere § 37 des Jugendwohlfahrt-        Mit der Verpflichtungserklärung zeigt die
  gesetzes sowie einschlägige Bestimmun-
  gen des StGB § 92, § 201 - 220b.             Diözese Innsbruck einen sicheren und ver-
                                              lässlichen Rahmen im Umgang mit Kindern
                                               und Jugendlichen auf, um aktiv Schutz vor
                                                         sexualisierter Gewalt zu leisten.
 20
LEITLINIEN
                      im Umgang mit Kindern und Jugendlichen

Grundhaltung gegenüber
Kindern und Jugendlichen

o Körperliche Selbstbestimmung – Mädchen und          o Schuld – Mädchen und Buben, die sexuelle Ge-
  Buben sollen ihren Körper als wertvoll, schön         walt erlitten haben, haben niemals Schuld.
  und liebenswert begreifen, ihn entdecken und          Das sollte Kindern und Jugendlichen deutlich
  erfahren dürfen.                                      erklärt werden. Denn bei sexuellem Missbrauch
o Sexualerziehung – Kinder brauchen Erwachse-           fühlen sich die meisten Kinder oder Jugend-
  ne, die mit ihnen über Sexualität sprechen und        lichen schuldig, was von TäterInnen gefördert
  ihr Interesse an sexuellen Fragen aufgreifen.         und ausgenutzt wird.
  Denn kindliche Unwissenheit über Sexualität
  kann leicht von TäterInnen ausgenutzt werden.
o Gefühle – TäterInnen manipulieren die Gefüh-        Umgang mit Nähe und Distanz reflektieren
  le der Betroffenen und die Wahrnehmung der
  Bezugspersonen. Prävention bedeutet deshalb,        Die Beziehung zwischen GruppenleiterInnen, Pas-
  die Wahrnehmungsfähigkeit von Mädchen und           toralassistentInnen, Priestern, Diakonen,… und den
  Buben zu fördern und sie darin zu unterstützen,     ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen ist
  ihre Gefühle auch auszudrücken.                     keine Beziehung, die auf gleicher Ebene stattfindet.
o Widerspruch – Damit Kinder und Jugendliche          Es ist eine Beziehung, in der die inhaltliche und zwi-
  ihr Unbehagen und ihre Abwehr bei sexuellem         schenmenschliche Verantwortung in den Händen
  Missbrauch oder sexuellen Übergriffen ausdrü-       derjenigen liegt, die mit Kindern und Jugendlichen
  cken können, sollten sie in ihrer Familie und von   arbeiten.
  betreuenden Fachkräften gelernt haben, dass
  Erwachsene nicht immer im Recht sind.               Die Wahrnehmung von Grenzen und ihrer Verlet-
o Geheimnisse –„Es gibt gute und schlechte Ge-        zung wird subjektiv empfunden und kann persön-
  heimnisse“. Kinder sollten keine Geheimnisse        lich unterschiedlich erlebt werden. Damit dies nicht
  aufgezwungen werden, damit sich keine abstruse,     dazu führt, dass Beliebigkeit siegt oder Betroffene
  manipulative „Geheimniskultur“ entwickelt. (Stra-   sprachlos zurück bleiben, ist die Auseinanderset-
  tegie von TäterInnen – Geheimnisse erzwingen).      zung mit Nähe und Distanz für Kinder und Jugend-
o Hilfe – Damit Kinder und Jugendliche sich bei       liche, aber auch für Verantwortliche unumgänglich.
  Missbrauch jemandem anvertrauen können,
  brauchen sie grundlegende Erfahrungen, dass         Dazu braucht es ein feines Gespür, die richtige „Do-
  sich ihre Eltern, andere private, aber auch         sis“ von Nähe und Distanz. Dies spielt eine zentrale
  professionelle Bezugspersonen für sie und ihre      Rolle, verunsichert aber auch:
  Sorgen und Nöte interessieren.

        Hauptberufliche und ehrenamtliche Verantwortliche in der Kinder-
           und Jugendarbeit, Priester, Diakone und Ordensleute brauchen
            Sensibilität, um sexuelle Grenzverletzungen und Übergriffe zu
            erkennen und Stärke, um in ihrer Arbeit dagegen vorzugehen.

                                                                                                        21
o Wie darf ich ein Kind trösten, wenn es sich ver-    o Zu meiden sind Situationen, bei denen Kinder
  letzt hat oder Heimweh hat? Ist es erlaubt ein        und Jugendliche isoliert (abgesondert) sind, z.B.
  Kind, einen Burschen, ein Mädchen zu umarmen          in Autos, Büros oder anderen Räumlichkeiten,
  bzw. in den Arm zu nehmen? Darf ich Spiele, die       so dass die jeweiligen Vorgänge nicht von Dritten
  mit Berührungen verbunden sind, noch einset-          eingesehen werden können. Bei Unvermeidbar-
  zen bzw. daran teilnehmen?                            keit einer solchen Situation ist dies im Vorfeld
o Wann ist es sinnvoll, dass GruppenleiterInnen         mit den Erziehungsberechtigten, MitarbeiterIn-
  das Zimmer/ Zelt der Kinder oder Jugendli-            nen, … zu besprechen.
  chen betreten und wann nicht? Wer übernimmt         o Es ist sicherzustellen, dass bei fotografischen
  „Inspektionsgänge“? Wie wird die Intimsphäre          Aufnahmen, Filmen, usw. … die Kinder und
  von Kindern und Jugendlichen in Waschräumen           Jugendlichen korrekt gekleidet sind und dass
  gewahrt?                                              sexuell suggestive Posen vermieden werden.
                                                      o Ganztägige Ausfahrten und Ausflüge, mehrtägi-
Diese und ähnliche Fragen mit „Das war schon im-        ge Reisen, Veranstaltungen und auswärtige Auf-
mer so“ zu beantworten, ist nicht ausreichend.          enthalte mit Kindern und Jugendlichen beiderlei
                                                        Geschlechts müssen immer mit mindestens
Folgende Zusammenstellung will kein Misstrauen          einer weiblichen und einer männliche Begleit-
schüren und nicht zur Vermeidung von Berührung          person durchgeführt werden.
und Nähe oder zu einer Abwertung von Körperlich-      o Bei der Auswahl von Filmen, Computersoftware,
keit führen, sondern soll zu einer Auseinanderset-      Spielen und schriftlichem Material ist darauf zu
zung mit Nähe und Distanz und zur Reflexion eigener     achten, dass diese altersadäquat erfolgt.
Handlungen anregen.                                   o Wenn eine körperliche oder/ und persönliche
                                                        Anziehung bei Kindern oder Jugendlichen wahr-
                                                        genommen wird, sind die Grenzen der Betreu-
Denkanstöße für „alltägliche“ Situationen               ungsaufgabe einzuhalten. Darüber hinaus ist so
                                                        rasch wie möglich für die weitere Betreuung des/
in der Kinder- und Jugendarbeit
                                                        der Minderjährigen durch eine andere geeignete
In der Kinder- und Jugendarbeit muss man sich           Person zu sorgen. Die Inanspruchnahme einer
bewusst sein, dass das eigene Verhalten, z. B. das      fachkundigen Beratung, erforderlichenfalls auch
Ergreifen der Hand eines Kindes, selbst wenn dies       therapeutischer Hilfe, wird empfohlen.
zu seiner Beruhigung geschieht, von Drittpersonen
oder vom Kind oder dem Jugendlichen selbst anders     Das Tiroler Jugendschutzgesetzt ist einzuhalten.
interpretiert werden kann.                            (Siehe Seite 35)

Nicht ich, sondern mein Gegenüber entscheidet
über Nähe und Distanz. Körperliche Berührungen
beim Begrüßen, Ermuntern, Trösten (bei Verletzung,
Traurigkeit oder Heimweh) oder Anbieten von Ge-
borgenheit dürfen sich nicht an den eigenen Bedürf-
nissen orientieren und müssen der Altersstufe der
Kinder und Jugendlichen angemessen sein.

 22
Gänzlich zu vermeidendes Verhalten

Jede Art körperlicher Bestrafung oder Disziplinierung     Im Rahmen von Ausflügen, Reisen oder Lagern in
ist verboten! Die Aufrechterhaltung der notwendigen       Mehrbettzimmern oder Schlaflagern haben die Be-
Disziplin bei Gruppenveranstaltungen darf nur auf pä-     gleitpersonen getrennte Betten, Campingliegen, Ma-
dagogisch sinnvolle und zulässige Weise erfolgen.         tratzen und Schlafsäcke zu benutzen.

Körperliche Berührungen müssen der jeweiligen             Zu unterlassen sind sexuell provozierende Sprache,
Situation angemessen sein. Dabei ist immer die Zu-        Gebärden und Handlungen sowie Aktivitäten und Tä-
stimmung des Kindes, des Jugendlichen erforder-           tigkeiten, die diese fördern.
lich. Sollten die anvertrauten Kinder/ Jugendlichen
die körperliche Berührung ablehnen, ist dieser ab-        Eine exklusive freundschaftliche Beziehung mit ein-
lehnende Wille unbedingt zu respektieren.                 zelnen Kindern oder Jugendlichen ist zu vermeiden.

Aktivitäten stillschweigend zu gestatten oder gar         Nicht erlaubt ist es, mit einem Kind oder Jugend-
daran teilzunehmen, bei denen das Verhalten des           lichen (im privaten Bereich) alleine zu übernachten
Kindes oder des Jugendlichen möglicherweise zu            oder sie/ ihn allein zu sich nach Hause einzuladen.
gewalttätigen oder illegalen Handlungen führt, ist
nicht erlaubt.                                            Untersagt ist es bei persönlichen Tätigkeiten zu „hel-
                                                          fen“, die Kinder und Jugendliche alleine erledigen
In Schlaf- oder Sanitärräumen und dergleichen ist         können, z. B. sich waschen, anziehen, zur Toilette
der Aufenthalt alleine mit einem Kind oder Jugend-        gehen, usw.
lichen zu unterlassen, außer die Betreuungstätigkeit
erfordert dies, z.B. wenn ein Kind oder Jugendlicher      Das Recht von Kindern und Jugendlichen am eigenen
traurig, krank, verletzt, ... ist. Diese besonderen Si-   Bild besteht zunächst immer. Kinder, Jugendliche
tuationen sind im BetreuerInnenteam zu besprechen         und auch deren Eltern müssen einer Veröffent-
und nach Möglichkeit vorher grundsätzlich zu klären.      lichung von Bildern zustimmen.

Finanzielle Zuwendungen und Geschenke an einzel-
ne Kinder oder Jugendliche, die in keinem Zusam-
menhang mit der Betreuungsaufgabe stehen, sind
zu unterlassen.

Das Beobachten oder Fotografieren von Kindern und
Jugendlichen beim An- oder Auskleiden bzw. in un-
bekleidetem Zustand (z. B. in Sanitärräumen o. ä.) ist
zu unterlassen (Kindern beim Ausziehen der Gummi-
stiefel, Anziehen der Jacke und dgl. zu helfen ist na-
türlich erwünscht).

                                                                                                            23
HANDLUNGSLEITFADEN
                       für den Umgang mit Vermutungen
                       und Beobachtungen

Bei Verdacht auf sexualisierte Gewalt, bei Beobach-     Eine Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen
tungen von Übergriffen oder wenn Kinder oder Ju-        ist deshalb auch auf der Ebene des BegleiterInnen-
gendliche sich anvertrauen, kommen häufig massive       teams bedeutsam, um handlungsfähig zu bleiben. Es
Dynamiken ins Rollen, die sich bei Einzelnen und in     gilt, besonnen zu reagieren und auf den Schutz von
ganzen Teams niederschlagen.                            Kindern und Jugendlichen zu achten.

Oft führt der Verdacht auf sexualisierte Gewalt auch    Die folgenden Hinweise helfen, im Falle von vermu-
zur Spaltung im BegleiterInnenteam. Die beiden Pole,    teten oder von eindeutigen Fällen sexualisierter Ge-
Dramatisieren und Bagatellisieren, zwischen denen       walt gegen Kinder und Jugendliche umsichtig und im
sexualisierte Gewalt immer angesiedelt ist, schlagen    Interesse der (möglichen) Opfer zu reagieren.
sich auch bei den GruppenleiterInnen nieder. Manche
ergreifen Partei für das betroffene Kind/ den betrof-
fenen Jugendlichen, andere reagieren mit der Ver-
teidigung der beschuldigten Person, wieder andere
erstarren in hilfloser Ohnmacht. Oft wechseln diese
Gefühle auch ab.

 24
GESPRÄCHSHILFE
                      für den Umgang mit Betroffenen

Die Gesprächshilfe unterstützt bei der herausfor-      o Nimm die Person mit dem, was sie erzählt, ernst
dernden Aufgabe, ein Gespräch mit einem (mög-            und werte die Aussagen nicht mit Bemerkungen
lichen) Opfer zu führen. Auf Grund der besseren          wie „War ja nicht so schlimm!“ oder „Vielleicht
Lesbarkeit wird an dieser Stelle die Du-Form ver-        war es ja nicht so gemeint“ ab. Vor allem Kinder
wendet.                                                  erfinden nicht einfach so sexuelle Gewalttaten.
                                                       o Akzeptiere es, wenn das Mädchen/ der Bursche
Wie reagierst du, wenn ein Mädchen oder ein Bur-         nicht weiter sprechen will!
sche sich dir anvertraut?                              o Reagiere ruhig und wertschätzend und kom-
o Ruhe bewahren, nichts überstürzen! Allzu               mentiere die Aussagen des Kindes mit klaren
   heftige und unüberlegte Reaktionen belasten           und sachlichen Bewertungen: „Das war absolut
   betroffene Kinder und Jugendliche. Viele Opfer        nicht in Ordnung! … So etwas darf niemand mit
   sind sehr erleichtert, wenn sie zum ersten Mal        Kindern machen! … Das war gemein! …“
   eine Person treffen, die die Hinweise auf die se-   o Erscheinen einzelne Details der Aussagen zu-
   xuellen Übergriffe versteht und sie ernst nimmt.      nächst unlogisch, so lass sie einfach stehen und
   Für dich hingegen kann diese Information sehr         stelle diese in dem Gespräch nicht in Frage. Oft
   belastend sein.                                       stellt sich später heraus, dass die Kernaussagen
o Trotz aller heftigen, vielleicht widersprüchlichen     dennoch korrekt sind.
   Gefühle ist es wichtig, sich der eigenen Rolle      o Versprich nichts, was du nicht halten kannst!
   bewusst zu bleiben. Man ist nicht Mutter oder         Dies betrifft oft die „Geheimhaltung“ – Hilfe
   Vater des Kindes, weder PrivatdetektivIn, noch        holen ist kein Verrat! Gib dem Mädchen/ Bur-
   TherapeutIn, weder PolizistIn, noch RichterIn,        schen die Zusicherung, dass du sie/ ihn über alle
   sondern Ansprechperson und damit mögliche             weiteren Schritte informierst und dich zunächst
   Vertrauensperson des betroffenen Kindes, des/         einmal über Möglichkeiten der Hilfe erkundigst.
   der betroffenen Jugendlichen.                       o Biete an, gemeinsam zu einer unabhängigen
o Bestärke das Mädchen/ den Burschen positiv,            Beratungsstelle zu gehen, oder dass du dich
   weil sie/ er den Mut hat, über die belastenden        bei den Ansprechpersonen in der Diözese
   Erfahrungen zu sprechen.                              erkundigst, welche weiteren Möglichkeiten
o Höre dem Mädchen/ Burschen offen zu. Signali-          der Hilfe es gibt (siehe dazu Seite 30-32,
   siere, dass es in Ordnung ist, über die Erfahrun-     Pkt. Beratung und Hilfe).
   gen zu sprechen, aber frage das Opfer nicht aus.    o Notiere das Gespräch im Anschluss möglichst
   Oftmals sind betroffene Kinder und Jugendliche        wortgenau. Details und konkrete Formulierun-
   so froh, dass ihnen endlich jemand zuhört und         gen können wichtig sein (Ort. Datum. Wer war
   sie den Mut finden über ihre Erfahrungen zu           beteiligt? Was wurde gesagt? Was ist genau
   sprechen, dass sie am Anfang sehr viele Details       passiert?).
   berichten. Achte deshalb darauf, wie lange du       o Konfrontiere in keinem Fall die beschuldigte
   gut zuhören kannst und im Gespräch offen bist.        Person mit den Vorwürfen. Es besteht sonst die
   Merkst du im Gespräch, dass es dir zu viel wird,      Gefahr, dass das Mädchen/der Bursche zusätz-
   so biete dem Opfer an, mit ihm gemeinsam je-          lich unter Druck gerät und erpresst wird.
   manden zu suchen, der schon öfters Betroffenen
   geholfen hat. Die meisten Kinder und Jugendli-
   chen reagieren darauf mit großer Erleichterung.

                                                                                                      25
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