NEIN! - zu Gewalt und sexualisierter Gewalt - Diözese Innsbruck
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IMPRESSUM Diözese Innsbruck Riedgasse 9 – 11, 6020 Innsbruck vertr. d. Generalvikar Dr. Florian Huber Redaktion (Hrsg.): Dr. Hannes Wechner Design: awdesign.at Druck: Druckerei Aschenbrenner 4. aktualisierte und erweiterte Auflage | Innsbruck Juni 2020
INHALT # 04 VORWORT # 06 SELBSTVERSTÄNDNIS kirchlicher Kinder- und Jugendarbeit # 07 WISSENSWERTES # 09 SEXUALISIERTE GEWALT - das Wichtigste in Kürze # 17 GEISTLICHER MISSBRAUCH – eine Annäherung # 19 MASSNAHMEN zur Prävention von sexualisierter Gewalt # 21 LEITLINIEN im Umgang mit Kindern und Jugendlichen # 24 HANDLUNGSLEITFADEN für den Umgang mit Vermutungen und Beobachtungen # 25 GESPRÄCHSHILFE für den Umgang mit Betroffenen # 28 DIÖZESANE ANLAUFSTELLEN # 30 BERATUNG UND HILFE # 34 GESETZESRAHMEN # 39 QUELLEN 3
VORWORT Missbrauch jedweder Art widerspricht Ihr Ziel ist es, für eine Haltung der Acht- dem christlichen und moralischen An- samkeit, für eine Kultur des Respekts, spruch, dem die Katholische Kirche ver- der Wertschätzung und der Übernah- pflichtet ist. Die Täter und Täterinnen me von Verantwortung auf allen kirch- verletzen die persönliche Würde und In- lichen Ebenen zu sensibilisieren. Durch tegrität von Menschen und beeinträch- professionelle Wissensvermittlung und tigen die gesunde Entwicklung und die Schulung von Priestern, Ordensleuten, Lebenschancen ihrer Opfer massiv. Ge- haupt- und ehrenamtlichen Mitarbei- rade wenn Priester, Ordensangehörige, tern und Mitarbeiterinnen sowie durch haupt- oder ehrenamtliche Mitarbeite- die Schaffung von klaren Regeln und rinnen bzw. Mitarbeiter der Kirche Ge- Strukturen können Gewalt und Miss- walt und sexualisierte Gewalt ausüben, brauch klar erkannt, benannt und ihnen erschüttert dies bei den Betroffenen konsequent begegnet werden. Fehler und ihren Angehörigen auch das Grund- der Vergangenheit, des Weg- statt des vertrauen in Gott und die Menschen. Hinschauens und der falsch verstande- nen Loyalitäten dürfen sich nicht mehr Jegliche Form von Übergriffen und Ge- wiederholen. walt, welcher Art auch immer, ist für uns als christliche Glaubensgemein- Kirche muss ein vertrauenswürdiger schaft bei der Arbeit mit Menschen nicht Ort sein, an dem grenzüberschreitendes tolerierbar! und grenzverletzendes Verhalten sowie Übergriffe keinen Platz haben und wo Als Kirche in der Nachfolge Jesu, die Kinder, Jugendliche und Erwachsene dem Auftrag zu heilen verpflichtet ist, sicher sind. tragen wir eine besondere Verantwor- tung für die uns anvertrauten Menschen, insbesondere für Kinder und Jugend- liche. Eine gute Präventionsarbeit trägt dazu bei, das Bewusstsein nachhaltig zu schärfen und dieser Verantwortung nachzukommen. Ein wichtiger Beitrag Propst Dr. Florian Huber dazu ist auch diese Broschüre. Generalvikar Diözese Innsbruck 4
Selbstverständnis kirchlicher Kinder- und Jugendarbeit Arbeit mit Kindern und Jugendlichen – ein persönlicher Begegnungsort Die kirchliche Kinder- und Jugendarbeit in der Diö- o der Aufbruch aus falscher Sicherheit zese Innsbruck eröffnet persönliche Begegnungs- o die Aufmerksamkeit für Unterdrückung räume für Glaubenserfahrung, gemeinsame Frei- o sowie ein Leben in Hoffnung und Fülle zeitgestaltung, die Entwicklung der Persönlichkeit und für politische Meinungsbildung. Alle an der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit be- teiligten Menschen – ganz gleich ob als Ehrenamt- Die Grundvoraussetzung für das Gelingen jeder per- liche oder Hauptberufliche – sind beauftragt, diesen sönlichen Begegnung sind Offenheit und Vertrauen. Geist in ihrem Handeln erlebbar werden zu lassen. Auf Nähe, in einem gewissen Rahmen auch körper- liche Nähe, kann in der Beziehungsarbeit mit Kin- dern und Jugendlichen nicht verzichtet werden. Arbeit mit Kindern und Jugendlichen – den Menschen ganzheitlich sehen Wenn Menschen Nähe suchen und Vertrauen wagen, machen sie sich verletzlich. Damit diese Verletzlich- Sexualität ist Bestandteil des Menschen in jeder Le- keit nicht von Einzelnen ausgenutzt werden kann, bensphase und sie ist ein Ausdruck der Ebenbildlichkeit braucht es klare Regeln. Gottes als Mädchen oder Bursche, als Mann oder Frau. Damit Kinder und Jugendliche in ihrer jeweiligen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen – Unterschiedlichkeit und Intimität geschützt und ge- stärkt werden, braucht es in der kirchlichen Kinder- Handeln aus dem Geist Gottes und Jugendarbeit einen respektvollen Umgang mit Kinder- und Jugendpastoral bezeichnet den Dienst Nähe und Distanz. der Kirche für junge Menschen, mit ihnen und durch sie. Im Handeln soll der lebensbejahende Geist Got- Eine gelungene ganzheitliche Pädagogik bestärkt die tes erkennbar sein. Entscheidend für das vom Geist eigene Wahrnehmung von Lust und Unlust sowie von Gottes motivierte Leben und Tun sind: Nähe- und Distanzbedürfnis. Sie unterstützt Kin- der und Jugendliche darin, mit Verunsicherung und o die Achtung vor allem Lebendigen Konfliktsituationen angemessen umzugehen und o die Förderung der Freiheit eine selbstbestimmte Körperlichkeit und Sexualität o ein Leben in Beziehung zu entfalten. In pastoralen Beziehungen zu Kindern und Jugendlichen soll der menschengemäße und lebensbejahende Geist Gottes erkennbar sein. 6
Wissenswertes zu Gewalt Was ist Gewalt? Definition und Formen von Gewalt im Überblick! Im Alltag von kirchlichen Einrichtungen kommt es immer wieder zu Verhaltensweisen von Priestern, Die umfassendste Definition von Gewalt stammt vom Ordensleuten, Diakonen, haupt- und ehrenamtlichen schwedischen Friedensforscher Galtung. Sie lautet: MitarbeiterInnen, die die persönlichen Grenzen der ihnen anvertrauten Menschen überschreiten. Kör- „Gewalt ist eine vermeidbare Beeinträchtigung perliche, psychische, geistliche und sexualisierte grundlegender menschlicher Bedürfnisse bzw. Grenzverletzungen sind grundsätzlich eine Form des Lebens. Die Androhung von Gewalt ist eben- von Gewalt. falls Gewalt.“ (vgl. Galtung, 1975.) Im Sinne eines fachlich angemessen Umgangs mit Diesem weiten Gewaltbegriff zufolge ist alles, was grenzverletzendem Verhalten wird eine Differen- Menschen daran hindert, ihre Fähigkeiten und Ta- zierung und Begriffsbestimmung der Gewaltformen lente voll zu entfalten, eine Form von Gewalt. vorgenommen. Hierunter fallen nicht nur alle Formen der Diskrimi- Obwohl die Rahmenordnung der Katholischen Kir- nierung, sondern auch die ungleiche Verteilung von che Österreichs (Verfahrungsordnung, §1) für alle(!) Einkommen, Bildungschancen und Lebenserwar- Gewalthandlungen gegenüber Minderjährigen bzw. tungen, sowie das Wohlstandsgefälle zwischen der Schutzbedürftigen oder Erwachsenen gilt, liegen die „Ersten“ und der „Dritten“ Welt. Schwerpunkte dieser Broschüre auf der sexualisier- ten Gewalt an Kindern und Jugendlichen. In dieser umfassenden Definition kann Gewalt häufig nicht mehr konkreten, personalen Akteuren zuge- Als Gewalt empfinden Menschen angstmachende und rechnet werden, sondern sie basiert auf Strukturen als bedrohlich erlebte Äußerungen und Handlungen wie Werten, Normen oder Institutionen. Diese Be- einer anderen Person. Es existieren die verschie- griffsbestimmung verzichtet auch auf die Voraus- densten Formen von Gewalt. Wobei viele Bereiche setzung, dass, um von Gewalt sprechen zu können, sehr oft verschränkt miteinander erlebt werden: eine Person oder Gruppe subjektiv Gewalt empfin- den muss. Strukturelle Gewalt werde von den Op- o Körperliche Gewalt fern oft nicht einmal wahrgenommen, da die ein- o Psychische Gewalt geschränkten Lebensnormen bereits verinnerlicht o Sexualisierte Gewalt worden sind. o Geistige Gewalt o Strukturelle Gewalt Die Definition zeigt auch auf, dass nicht nur Handlun- o Kulturelle Gewalt gen, sondern auch bestimmte Handlungsunterlas- o Gewalt gegen Sachen sungen als Gewalt zu bezeichnen sind (vgl. Aull, 2009.) o Gewalt gegen sich selbst o Gesetzliche Gewalt o usw. 7
Unter körperliche bzw. physische Gewalt fallen alle Strukturelle Gewalt äußert sich in ungleichen Formen der Körperverletzung und der körperlichen Machtverhältnissen von Systemen und geht nicht Misshandlung: von einzelnen TäterInnen aus, sondern ist die Folge gegen den Willen festhalten, stoßen, Fußtritte, (mit von gesellschaftlichen, systemischen Bedingungen. Zigaretten) verbrennen, Attacken mit Gegenstän- Beispiele für strukturelle Gewalt sind z.B. fehlende den, mit Gegenständen nach Personen werfen, Beteiligungsmöglichkeiten, Geschlechterdiskriminie- schlagen, kratzen, beißen, an den Haaren ziehen, rung, Benachteiligung bestimmter Menschengrup- sexuelle Übergriffe, bis hin zum Mordversuch oder Mord. pen, Klerikalismus, Geistiger Missbrauch, … Seelische bzw. psychische Gewalt liegt dann vor, wenn die Entwicklung von Menschen, v.a. von Kin- dern und Jugendlichen, durch folgende Formen nachhaltig beeinträchtigt wird. Sie kann in aktiver und passiver Form erfolgen: alle Formen von Beschimpfungen, Abwertungen, Erniedrigung, Diffamierung, Drohungen, Nötigun- gen und Angstmachen, verweigerte Zuwendung, Ab- lehnung und Liebesentzug, Isolierung, Erzeugen von Schuldgefühlen, Belästigung, Stalking, Mobbing, auch in Neuen Medien, … ! Körperliche Misshandlung von Kindern und Jugendlichen wird heute nicht in gleicher Weise tabuisiert wie das Thema sexuelle Gewalt! 8
SEXUALISIERTE GEWALT – das Wichtigste in Kürze Kindliche und jugendliche Sexualität Jeder Mensch ist ein sexuelles Wesen von Geburt an. am eigenen sowie am Körper der SpielpartnerInnen. Sexualität ist eine Lebensenergie, ein menschliches Kinder leben ihre Sexualität egozentrisch, auf sich Bedürfnis, ein Kernbereich der Persönlichkeit, der bezogen. Selbsterkundungen und Selbststimulation den Menschen von der Geburt bis zum Tod begleitet. ziehen sich meist durch die ganze Kindheit. In verschiedenen Alters- und Entwicklungsstufen verändert sich die Sexualität eines Menschen und Kinder erleben ihre Sexualität mit vielen Bezugs- bekommt auch je nach Lebenssituation eine unter- personen im Schmusen und Kuscheln. Sie erkun- schiedliche Bedeutung. Ebenso gibt es eine Vielzahl den, matschen, gatschen, kitzeln, lachen gerne, ha- von verschiedenen Formen von Sexualität, wie sie ben Freude am Entdecken des eigenen Körpers, der gelebt wird oder auch nicht. Körperöffnungen und Ausscheidungen. Kinder leben Sexualität selbstverständlich, spontan, neugierig Ausdrucksformen der kindlichen Sexualität und unbefangen, wenn sie dies dürfen. Diese Neugier Kindliche Sexualität ist nicht mit der Sexualität von bezieht sich aber niemals auf sexuelle Handlungen Erwachsenen gleichzusetzen! Sie ist geprägt von bzw. sexuelle Befriedigung im erwachsenen Sinn. einem ganzheitlichen Erleben, in dem es keine Tren- nung zwischen Sinnlichkeit, Zärtlichkeit und Sexuali- Interesse an sexuellen Vorgängen, das Verwenden tät gibt. Ausdrucksformen der kindlichen Sexualität sexueller Ausdrücke oder Witze kennzeichnen Kin- finden sich in sinnlichen und lustvollen Äußerungen, der erst ab dem Volksschulalter. wie Geborgenheit, Zärtlichkeit, Nähe, Wärme und Lust Jede sexuelle Beziehung eines Erwachsenen zu einem Kind ist Gewalt. Eine legitime sexuelle Beziehung zu einem Kind gibt es nicht! 9
Sexualisierte Gewalt – eine differenzierte Annäherung Kennzeichen einer jugendlichen Sexualität Sexualisierte Gewalt bei Kindern und Jugendlichen Jugendliche erleben in der Pubertät ab etwa dem ist prinzipiell durch ein Machtungleichgewicht zwi- 12. Lebensjahr einen neuerlichen Interessensschub schen TäterInnen und Opfer sowie deren völlig unter- für Sexuelles. Verliebt–Sein, erste Beziehungen, schiedlich strukturierter Sexualität charakterisiert. erste Berührungen, der sich verändernde Körper und hormonelle Prozesse beschäftigen und verun- Andere Bezeichnungen für „sexualisierte Gewalt“ sichern viele Jugendliche. sind „sexueller Missbrauch“ oder „sexuelle Gewalt“. Der Begriff „sexueller Missbrauch“ ist zwar eine gän- Kokettieren, mit sexuellen Reizen experimentieren gige gesellschaftliche Diktion. Allerdings birgt der und die Wirkung auf andere beobachten – jugend- Begriff eine gewisse sprachliche Problematik in sich, liche Mädchen und Buben tasten sich an die ge- weil es im Gegensatz zu „sexuellem Missbrauch“ schlechtliche/ genitale Sexualität heran. Das erste keinen „sexuellen Gebrauch“ geben kann. „Sexuelle Verliebt-Sein ist vielfach ein wertvoller Kontrast zur Gewalt“ könnte dazu verleiten, die psychisch-emo- entemotionalisierten Porno-Liebes-Vorstellung. Be- tionale Komponente und deren Folgen auszublenden. gleitet wird dieses von „großen Gefühlen“ und Schwärmereien für Vorbilder und Bezugspersonen, In Abstimmung mit den derzeitigen Fachmeinungen für den „lässigen“ Pfarrer, den verständnisvollen wird der Begriff „sexualisierte Gewalt“ als überge- Pastoralassistenten oder die coole Jugendleiterin. ordneter Begriff verwendet. Viele erleben ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit Sexualisierte Gewalt kennt viele Formen und Abstu- sich selbst. Sie erkunden und entdecken ihren er- fungen und beinhaltet nicht nur Körperkontakte. Sie wachsen werdenden Körper und ihr sexuelles Be- lässt sich in sogenannte „Hands-On“- und „Hands- gehren. Wer sich selbst kennt und weiß, was sich Off“-Taten unterteilen. Bei den „Hands-On“-Taten angenehm anfühlt, kann besser die Grenzen dann kommt es zum Körperkontakt zwischen Opfer und ziehen, wenn es unangenehm ist – sowohl bei ge- TäterInnen. Unter „Hands-Off“-Handlungen fällt das wollten sexuellen Aktivitäten als auch bei einem se- Vorzeigen pornografischer Materialien bzw. das Her- xuellen Übergriff. stellen pornografischer Fotos und Filmaufnahmen von Kindern, Exhibitionismus, Voyeurismus sowie alle Im Jugendalter nehmen auch die sexuellen Über- weiteren sexuell-intendierten Handlungen ohne kör- griffe unter Gleichaltrigen zu. Verbale Abwertungen, perliche Berührung zwischen Kind und TäterInnen. sexualisierte Schimpfwörter oder Anspielungen ge- hören zum Alltag der meisten Jugendlichen. Gleich- So beginnt sexualisierte Gewalt schon beim Erzäh- zeitig wissen viele sehr wenig über Sexualität, die len anzüglicher Witze, die dem Gegenüber peinlich Unterschiede zwischen Nähe und Grenzen werden oder unangenehm sind, bei unangemessenen, sexis- meist nur unzureichend bzw. gar nicht erkannt. tischen Bemerkungen, von der Person nicht gewoll- ten Berührungen und reicht zum Beispiel bis zum Die fiktive, verzerrte Darstellung von Sexualität in Zeigen von pornografischen Schriften und Filmen Pornos lässt bei Jugendlichen sehr oft ein gleicher- oder Fotografieren beim Duschen. maßen einseitiges, verzerrtes, diskriminierendes, oft frauenabwertendes Bild von Sexualität entstehen. 10
Formen sexualisierter Gewalt Die Beziehung zwischen Kindern bzw. Jugendlichen Sexualisierte Gewalt kann in vielen Abstufungen vor- und Erwachsenen ist gekennzeichnet durch Macht- kommen. Deshalb wird zum besseren Verständnis und Ressourcenunterschiede. Diese Ungleichheit zwischen angeführten Begriffen unterschieden: wird bei sexualisierter Gewalt von Erwachsenen zur Befriedigung ihrer persönlichen Bedürfnisse ausge- o Grenzverletzung nützt. Mit körperlicher Überlegenheit oder bei emo- o Übergriff tionaler Abhängigkeit kann unter Druck gesetzt und o Straftat Vertrauen missbraucht werden. Oft stehen dabei nicht sexuelle Bedürfnisse im Vordergrund, sondern Machtbedürfnisse mit dem Ziel, sich selber durch die Erniedrigung anderer besser zu fühlen. Bestehende Machtunterschiede müssen klar benannt werden, da sich sonst die Verantwortlichkeiten ver- schieben und verschleiern. Im kirchlichen Kontext besteht die besondere Gefahr der Spiritualisierung von Macht, sowie die Festigung von Abhängigkeiten durch den Missbrauch religiöser Bilder: der „all- mächtige Vater“, der „gehorsame Gottessohn“, die „demütige Gottesmutter“. Dabei wird höchst manipu- lativ vorgegangen und dadurch der Weg zur befreien- den Botschaft des Glaubens verstellt. 11
Sexuelle Grenzverletzung Beispiele für grenzverletzendes Verhalten: Als Maßstab für sexuelle Grenzverletzungen dienen o Missachten persönlicher Grenzen, z. B. tröstende nicht nur objektive Faktoren, sondern auch das sub- Umarmung, obwohl diese dem Gegenüber jektive Erleben der Betroffenen. „Das war doch nur unangenehm ist. Spaß“ ist kein Freibrief für gedankenloses Verhalten. o einmalige/ seltene Missachtung eines respekt- Wo sich andere bloßgestellt fühlen, hört der Spaß auf vollen Umgangsstils (öffentliches Bloßstellen, und eine Entschuldigung ist angebracht. Veröffentlichung von peinlichen Bildern, sexistische Bemerkungen, ...) Grenzverletzungen im Sinne der Prävention sind o einmalig/ selten grenzverletzendes, sexuali- Handlungen, die unterhalb der Schwelle der Strafbar- siertes Verhalten unter Kindern/Jugendlichen keit liegen. Sie beschreiben im Umgang mit Kindern zulassen und Jugendlichen ein einmaliges unangemessenes o einmalig/ selten persönliche bzw. intime Verhalten, das sowohl geplant als auch unbeabsich- Gespräche ohne pädagogischen Hinter- tigt geschehen kann. grund initiieren o „sexualisierte Atmosphäre“ hinnehmen Im pädagogischen Miteinander einer Gruppe, z.B. auf Kinder- oder Jugendlagern lassen sich Grenzüber- schreitungen nicht immer vermeiden („Alltagssitu- ationen“). Eine unbedachte Bemerkung, grobe Be- rührung oder ein Spiel, bei dem jemand ausgelacht wird, lässt sich kaum ganz unterbinden. Werden diese aber von den Verantwortlichen nicht erkannt und korrigiert, entwickelt sich schnell eine „Kultur“, die es in Kauf nimmt, dass gezielt beschimpft, „ge- grapscht“ oder ausgegrenzt wird. Dann wird „nor- mal“, wogegen sich niemand wehrt. Die Folge ist: Der respektvolle Umgang nimmt ab und Grenzver- letzungen nehmen zu. Schon bei einer Grenzverletzung beginnt die Pflege der Kultur des aufmerksamen Hinschauens. 12
Sexueller Übergriff Der Begriff strafbare „sexuelle Handlung“ (das Straf- Ein übergriffiges Verhalten passiert nicht zufällig gesetzbuch spricht von geschlechtlichen Handlun- und nicht aus Versehen. Vielmehr wird die abweh- gen) meint sehr unterschiedliche Aktivitäten, die man rende Reaktion Betroffener bewusst missachtet, nach Intensität, nach dem Ausmaß der körperlichen Kritik von anderen überhört und Verantwortung für Gewalt und nach Straftatbeständen unterscheiden kann: das eigene Verhalten abgelehnt. Ein sexueller Über- griff ist auch dann passiert, wenn Personen grenz- o Versuchte oder vollendete vaginale, anale verletzendes Verhalten trotz Ermahnung nicht korri- oder orale Penetration gieren, sondern wiederholen. o Opfer muss vor TäterIn masturbieren o TäterIn masturbiert vor Opfer Sexuelle Übergriffe unterscheiden sich von Grenz- o TäterIn fasst Opfer an die Genitalien verletzungen durch die Massivität und/ oder die Häu- o Opfer muss TäterIn an die Genitalien fassen figkeit der nonverbalen, verbalen oder körperlichen o Opfer muss TäterIn die Genitalien zeigen Grenzverletzungen („schwere Grenzverletzung“). o Sexualisierte Küsse, Zungenküsse o Opfer wird gezwungen oben angeführte Hand- Beispiele für übergriffiges Verhalten: lungen vor anderen Personen auszuführen o wiederholte anzügliche, sexistische Bemerkun- o Opfer wird gezwungen oben angeführte Hand- gen (Bemerkungen über die körperliche Ent- lungen gegen Entgelt auszuführen wicklung junger Menschen, …) o Exhibitionismus o Voyeurismus (z. B. Betreten von Duschräumlich- o Zeigen von Pornografie keiten, Schwimmbadbesuch mit der Gruppe, um die Mädchen/ Burschen leicht bekleidet Die letzten beiden Handlungen finden z. B. ohne Kör- bzw. nackt zu sehen, Betreten der Zimmer perkontakt (Hands-Off) statt, beschreiben aber trotz- ohne anzuklopfen, …) dem Straftatbestände, der Gesetzgeber geht hier also o „lockerer“ Umgang mit Pornografie (sexua- ebenfalls von einer beachtlichen Schädigung des Op- lisierte Manipulation von Fotos, …) fers aus. o sexistische und sexualisierte (Pfänder-) Spiele o häufiges Sprechen und/ oder nachbohrendes Für die körperlichen und psychischen Folgen bei den Ausfragen über sexuelle Intimitäten (z.B. Ge- Opfern ist u.a. auch die Häufigkeit von Bedeutung, spräche über das eigene Sexualleben, Aufforde- in vielen Fällen bleibt es nicht bei einem einmaligen rung über intime Erlebnisse zu erzählen, …) Gewaltübergriff, sondern der/die TäterIn setzt den Missbrauch über längere Zeit fort. Strafrechtlich relevante Gewalthandlungen Körperverletzung, sexuelle Nötigung und sexuelle Erpressung sind strafrechtlich relevante Gewalt- handlungen. ! Es ist strafbar, wenn Erwachsene an Kindern sexuel- le Handlungen vollziehen, oder wenn sie Kinder dazu ÜBERGRIFFIGES VERHALTEN bringen an ihnen oder anderen sexuelle Handlungen IST KEIN KAVALIERSDELIKT! auszuführen. Die Opfer können natürlich auch Jugend- Davor muss die kirchliche Kinder- und liche sein, und auch auf der TäterInnenseite finden wir Jugendarbeit auf allen Ebenen Kinder ältere oder in anderer Hinsicht überlegene Jugend- und Jugendliche schützen liche. Wenn auf beiden Seiten Kinder beteiligt sind, werden diese „nur“ als sexuelle Übergriffe bezeichnet. 13
Wo kommt sexualisierte Gewalt vor? Sexualisierte Gewalt findet zum größten Teil im so- wegs ein Kavaliersdelikt, wenn ein 16-Jähriger im zialen Nahraum von Kindern und Jugendlichen statt. Chat eine 12-Jährige sexuell belästigt, zu sexuellen Das kann zu Hause, in der Nachbarschaft, auf dem Handlungen auffordert oder ihr pornografische Fil- Schulhof, beim Vereinstreffen, in der Jugendgruppe me via Handy schickt. oder im Mini-, Jungschar- oder Jugendlager sein. Nur in seltenen Fällen sind hier die TäterInnen Fremde. Die Kinder- und Jugendarbeit in den Pfarrgemeinden findet im sozialen Nahraum statt. Eine ihrer Stärken Ein schwer eingrenzbarer Nahraum entsteht durch ist es, Vertrauen und Gemeinschaft durch persön- Kommunikation mit den sogenannten „Neuen Medi- liche Beziehung zu ermöglichen und Entwicklung en“. Hier wird sexualisierte Gewalt auch von Frem- durch ganzheitliche Methoden und Spiele anzuregen. den verübt, die sich als Vertraute ausgeben. Es geht nicht darum, jede körperlich ausgedrückte Zuneigung oder Methode an sich unter Verdacht zu Als Straftat gilt seit dem 01. Jänner 2012 in Öster- stellen oder einen Katalog an Verboten aufzustellen. reich auch jede sexuelle Handlung, die indirekt an Vielmehr soll in der kirchlichen Jugendarbeit der Minderjährigen zum Beispiel über Medien wie Inter- Blick dafür geschärft werden, wo auch in ihren Rei- net, Handy oder E-Mail verübt wird. Es ist keines- hen Grenzen verletzt werden könnten. ! Anders als bei sexuellen Handlungen zwi- schen Erwachsenen spielt bei sexualisier- ter Gewalt an Mädchen und Burschen das Einverständnis keine Rolle, unabhängig davon, welchen Willen sie äußern. 14
Blick auf die Opfer Mädchen und Burschen jeden Alters und jeder Her- oder gesellschaftlicher Stellung hinzu (LehrerInnen, kunft werden Opfer sexualisierter Gewalt. Die Zahl Erzieherinnen, Priester, Ärzte und Ärztinnen, Be- der gemeldeten und angezeigten Vorfälle spiegeln amtInnen ...). Diese beiden Aspekte machen es für nicht die Realität der Vorfälle wider. So ist davon die Umgebung schwer zu glauben, dass man es mit auszugehen, dass jedes 3. bis 4. Mädchen und jeder einem/ r SexualstraftäterIn zu tun hat. 7. bis 10. Bursche direkt von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Drei Viertel der sexuellen Übergriffe und strafrecht- lich relevanten Gewalthandlungen werden von Män- Der Versuch, Opfer mitverantwortlich zu machen mit nern und rund ein Viertel von Frauen verübt. Entschuldigungen wie „sie hat sich nicht gewehrt“, „er hat das provoziert“ oder „kein Wunder, wie die SexualstraftäterInnen zeigen nur selten Schuldein- rumläuft“, ist ein weiterer Verrat an betroffenen Kin- sicht. Im Gegenteil, sie sind sehr bemüht, sich selbst dern und Jugendlichen. als „gutmeinend“ oder gar als „Opfer“ des Vorfalles darzustellen. TäterInnen missbrauchen in der Re- Zum Schutz vor sexualisierter Gewalt gilt es daher, gel nicht nur ein Opfer, sondern verüben Wieder- nicht nur Kinder und Jugendliche in ihrer Selbstbe- holungstaten an mehreren Opfern gleichzeitig oder stimmung zu stärken, sondern vor allem Leitungen wiederkehrend über einen längeren Zeitraum. Ein- auf allen Ebenen auf ihre Verantwortung aufmerk- zeltaten sind die Ausnahme. sam zu machen. Laut Kriminalstatistik werden ein Drittel aller Se- Sexualisierte Gewalt hat für die Opfer psychische, xualstraftaten von Jugendlichen unter 18 Jahren körperliche und soziale Folgen, die sich dauerhaft verübt. Studien zeigen, dass „TäterInnenkarrieren“ auswirken können. bereits im Jugendalter beginnen. Deshalb ist über- griffiges und wiederholt grenzverletzendes Verhal- Da Gewalt vor allem im sozialen Nahraum und in Ab- ten an Kindern nichts, was sich auswächst und ge- hängigkeitsverhältnissen verübt wird, fühlen sich hört bei Jugendlichen nicht zur pubertären Phase, Kinder und Jugendliche häufig schuldig für das, die vorbei geht. Vielmehr bedarf solches Verhalten was ihnen angetan wird. Die Angst, dass niemand auch in der kirchlichen Jugendarbeit klarer Reaktio- ihnen glauben wird, der Eindruck, ihrer Wahrneh- nen und ernsthafter Konsequenzen. mung nicht mehr trauen zu können, das Gefühl, sich schmutzig und verraten zu fühlen, erhöhen den Zu einem umfassenden Schutz vor sexualisierter Druck zur Geheimhaltung. Als größtes Hindernis, Gewalt gehört daher, „TäterInnenkarrieren“ vorzu- Hilfe zu suchen, erweist sich oft ein tiefes Scham- beugen und zu unterbrechen. gefühl. Sexuelle Übergriffe oder Gewalthandlungen betreffen die intimsten Bereiche von Menschen. Wie gehen TäterInnen vor? Über derartige Verletzungen zu sprechen, setzt gro- TäterInnen verfolgen eine gezielte Strategie! Sie su- ßes Vertrauen voraus. chen die Nähe zu Kindern und Jugendlichen durch ihr ehrenamtliches Engagement oder ihre berufliche Tätigkeit. Blick auf die TäterInnen Sie zeigen sich nett, kreativ, sozial angepasst, zu- TäterInnen kommen aus allen sozialen Schichten, rückhaltend oder locker-jugendlich. Sexualisierte aus allen Altersgruppen und sind nach außen hin Gewalt findet nicht zufällig als Ausrutscher oder Ka- „normale“ Männer und Frauen. Sie führen ein „nor- valiersdelikt statt. males“ Alltagsleben (Familie, Kinder, Berufstätig- keit, Verein, ...). Zu dieser Unauffälligkeit kommt oft noch ein gewisses Ansehen aufgrund beruflicher 15
Wo wenig fachlich reflektiert und besprochen wird, kann vieles nach persönlichem Ermessen geregelt werden. o TäterInnen „testen“ gezielt durch grenz- Missbrauchszyklus: verletzendes Verhalten, manipulieren ihre Opfer und täuschen ihr Umfeld. o TäterInnen verbindet die Verleugnung, Ver- harmlosung, Schuldverschiebung und Wahr- nehmungsverzerrung in Bezug auf ihr eigenes Denken/ Phantasie/Verhalten (vor dem Missbrauch) Handeln zu Lasten der Opfer und des Umfeldes. o TäterInnen halten sich mit Vorliebe in Institu- s! Hemmungen tionen oder Organisationen auf, in denen diffuse werden durch ch Entschuldigungen/ Regeln oder Standards gelten und/ oder in Or- au Rechtfertigungen An Neue überwunden Phatasien br ganisationen, in denen Regeln und Grenzen ba Tatplanung verstärken iss sich (Probe) hn autoritär von Einzelnen aufgestellt werden. es M ng o „TäterInnenkarrieren“ beginnen bereits des Au f r e c h t h a l t u n g d Auswahl. im Kindes- und Jugendalter. Schlechte Einkreisung M i s s b ra u c h s ! Gefühle beiseite und Planung. schieben „Targeting“ TÄTERWISSEN Umwerbung Schuld/ Angst Bildung von „Komplizen- schaften“ Manipulation Manipulation zur Verhinderung von Opfer und der Aufdeckung schützenden Personen. „Grooming“ MISSBRAUCHS- HANDLUNG! OPFER- WISSEN 16
GEISTLICHER MISSBRAUCH als Nährboden für Gewalt „Geistlicher Missbrauch“ – eine Annäherung Im Zuge der Auseinandersetzung mit Gewalt gerät Von Seiten des „Seelenführers“ kann dies eine be- immer mehr der „geistliche“, „geistige“ oder auch wusste Manipulation sein oder auch unbewusst und „spirituelle“ Machtmissbrauch in den Fokus von Dis- ohne Vorsatz geschehen. kussionen. Für dieses Phänomen gibt es noch keine allgemeingültige offizielle Definition. Wie kann es gerade im Raum der Auch wenn in diesem Zusammenhang das letzte Wort Religionen zu diesem Machtmissbrauch noch nicht gesprochen ist, ist es wichtig, in dieser Broschüre auf geistlichen Missbrauch einzugehen, da kommen? dieser negative, entmündigende Folgen für die Betrof- fenen hat und auch häufig den Boden für Gewalt und Geistlicher Missbrauch basiert auf einer tieferlie- sexualisierte Gewalt im kirchlichen Kontext bereitet. genden Verwechslung von geistlichen Personen mit der „Stimme Gottes“ selbst. Drei Formen der „Ver- wechslung“ sind hier zu beobachten: Versuch einer Definition 1. Der Seelenführer verwechselt sich selbst Geistlicher Missbrauch geschieht dann, wenn Per- mit der Stimme Gottes. Wie Gott glaubt er zu sonen*, die über religiös spirituelle Autorität ver- wissen, was richtig und gut für die Suchenden fügen z.B. als geistliche Begleiter oder „Seelen- ist, besser als diese selbst. Den Anspruch des führer“, diese grenzverletzend ausnützen. Unter Absoluten, der nur Gott gebührt, beansprucht Verwendung von religiösen Motiven üben sie Macht hier ein Mensch für sich selbst. aus, die bis zur Abhängigkeit der sich ihnen anver- 2. Die geführte Seele verwechselt den Seelen- trauenden Menschen führt. Der Glaube an Gott wird führer mit der Stimme Gottes. Menschen, die instrumentalisiert, um eigene Bedürfnisse zu be- die (momentane) seelische Disposition haben, friedigen, ohne dazu das bewusste, freie und der Entscheidungen für ihr Leben anderen zu über- Entwicklung entsprechende Einverständnis des an- lassen und dazu erzogen wurden, kirchliche deren zu haben. Daraus resultierende Demütigun- Autoritäten für unhinterfragt moralisch integer gen bis hin zum sexuellen Missbrauch werden auf zu halten, sind gefährdet diesem Irrtum zu ver- perfide Weise spirituell gerechtfertigt. fallen. Womit natürlich keine Rechtfertigung eines Ausnützens dieser Situation verbunden ist. Spirituell Geführte haben nicht die Möglichkeit sich 3. Beide unterliegen zugleich dieser religiös selbständig weiter zu entfalten, was das ei- Verwechslung. gentliche Ziel geistlicher Begleitung sein sollte, son- dern ordnen sich vertrauensselig immer mehr dem sogenannten Seelenführer und seinen Vorstellungen Die bisherige Literatur zum Thema sieht hier nicht und Bedürfnissen unter. Der Mensch wird entmündigt. nur die Verfehlungen einzelner, sondern auch theo- logische und systemisch-strukturelle Kontexte. Diese Verkehrung in den Beziehungen entwickelt sich Theologien und Rollenbilder, die Priester nicht nur meist schrittweise. Die zunächst positiv erfahrene, beim Vollzug der Sakramente in der Stellvertre- nahe Beziehung, in der Raum für Suchen, Fragen und ter Christi Rolle sehen, bzw. ein Klerikalismus, der Orientieren erhofft wird, wird langsam, fast unmerk- Priester und Ordensleute über die anderen Gläubi- lich zu etwas Eingrenzendem und Manipulativem. gen stellt, leisten geistlichem Missbrauch Vorschub. * Geistlicher Missbrauch wird vornehmlich von Männern verübt, daher wird im Folgenden Beitrag die männliche Form angewandt. 17
Wenn im System Kirche, in der Hierarchie höher Mögliche Symptome geistlichen Missbrauchs: gestellte Amtspersonen ebenfalls der Selbstver- o Der religiöse Führer/die Führerin „weiß“, was wechslung mit Christus unterliegen, verlieren sie Gott von einem Menschen will, oft besser als den kritischen Blick und die Fähigkeit zur Zurück- der/die Betroffene selbst. weisung geistlichen Missbrauchs. Dies führt zu ei- o Geistliche Begleitung wird nicht zeitlich be- ner falsch verstandenen Loyalität gegenüber dem grenzt, sondern das asymmetrische Verhältnis Amtsbruder und verhindert die Aufklärung von Ab- bleibt über Jahre bis lebenslänglich aufrecht. hängigkeitsverhältnissen und deren Aufarbeitung o Der Anstoß zur geistlichen Begleitung geht nicht wird mit einer solchen Haltung erschwert oder ver- vom Suchenden aus. hindert. o Die Vorstellung der Gottesbeziehung ist oft von rigorosen Leistungsforderungen geprägt. o Verschiedene Lebensformen werden moralisch gegeneinander ausgespielt: ! o Eine bestimmte Glaubenspraxis wird als allein Alle Personen, die mit Kindern und richtig und religiös zwingend dargestellt und Jugendlichen arbeiten, sollen in ihrer nicht als Angebot verstanden. o Kritik ist nicht erlaubt und wird als religiöse Aus- und/ oder Weiterbildung für Verfehlung angesehen. eine Kultur der Grenzachtung und des aufmerksamen Hinschauens sensibilisiert werden. 18
MASSNAHMEN zur Prävention von sexualisierter Gewalt Stark machen Das Wort Prävention bedeutet „zuvorkommen“ oder und andere. Die TäterInnenforschung zeigt, dass so „verhüten“ und bezeichnet Maßnahmen, die ein uner- aktiv Prävention gelingt. Der Schutz vor Gewalt und wünschtes Ergebnis abwenden. Zum Schutz vor se- sexualisierter Gewalt wird in jeder GruppenleiterIn- xualisierter Gewalt in der Kinder- und Jugendarbeit nenausbildung thematisiert und die Leitlinien kirch- gilt der Grundsatz: Prävention muss stark machen. licher Kinder- und Jugendarbeit werden besprochen. So werden GruppenleiterInnen sensibilisiert, infor- miert und mit pädagogischem Handwerkszeug unter- Ausbildung und Schulungen stützt. Verantwortliche sollen in ihrem Arbeitsalltag mit Kindern und Jugendlichen Grenzverletzungen Ein wesentlicher Teil des Präventionskonzepts der Di- wahrnehmen und selbständig korrigieren können. Das özese Innsbruck besteht in der Durchführung von ent- erfordert Sensibilisierung und betrifft jegliche Form sprechenden Schulungen, wie etwa der verpflichten- von Grenzachtung, nicht nur in sexueller Hinsicht. den „Basisschulung Gewaltprävention“ für alle neuen kirchlichen MitarbeiterInnen, Priester und Diakone. Zudem spiegelt sich diese Thematik schon bei Je nach dem Grad an Leitungsverantwortung und der Dienstantritt wider. Jede/r MitarbeiterIn hat die Art, Dauer und Intensität des Kontakts mit Kindern spezielle „Strafregisterbescheinigung Kinder- und und Jugendlichen sowie schutz- und hilfebedürftigen Jugendfürsorge“ vorzuweisen und die Verpflich- Erwachsenen werden darüber hinaus verschiedene tungserklärung zu unterzeichnen. In den Betriebs- Schulungsformate ausgearbeitet und angeboten. ratsvereinbarungen gegen Missbrauch und Gewalt wurde ein umfassendes Präventionspaket abge- Ausbildungsstandards bieten Sicherheit und wirken sprochen. nach innen in die Jugend/ Jungschargruppen und nach außen auf Eltern, Erwachsene in der Pfarrgemeinde ! Mit der Unterzeichnung der Ver- pflichtungserklärung ergreifen hauptberufliche und ehrenamt- liche MitarbeiterInnen, Priester, Diakone und Ordensleute Partei und beziehen Position. 19
Die Verpflichtungserklärung lichen Bereich“ der Österreichischen Bischofs- konferenz ist ein verbindliches Dokument für alle Mit der Verpflichtungserklärung zeigt die Diözese MitarbeiterInnen in der katholischen Kirche. Innsbruck einen sicheren und verlässlichen Rahmen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen auf, um Ich verpflichte mich in meinem kirchlichen Dienst im aktiv Schutz vor sexualisierter Gewalt zu leisten. Sinne der Regelungen und Bestimmungen zu handeln und sie in meinem Arbeitsbereich anzuwenden und Mit der Verpflichtungserklärung werden alle haupt- einzuhalten. Besonders werde ich darauf achten, dass: und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen in der Kinder und Jugendarbeit in ihrer Rolle und Haltung ge- o meine Arbeit mit Menschen in allen Bereichen stärkt. der Kirche auf der Grundlage von Respekt und Wertschätzung geschieht. Schutz vor sexualisierter Gewalt kann nur gelingen, o ich das individuelle Grenzempfinden des jewei- wenn alle MitarbeiterInnen ihn als gemeinsames ligen Gegenübers beachte. Dies bezieht sich Anliegen sehen, gemeinsam Verantwortung über- insbesondere auf die Intimsphäre. nehmen und ihre Haltung ausdrücklich bestätigen. o ich verantwortungsvoll mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgehe und gegebene Autoritäts- Die Verpflichtungserklärung ist ein starkes Zeichen und Vertrauensverhältnisse nicht ausnütze. und darf als Präventionsinstrument nicht isoliert o ich alles tue, um die mir anvertrauten Menschen gesehen werden. vor körperlicher, seelischer, geistiger und se- xualisierter Gewalt zu schützen. Verpflichtungserklärung auf die Rahmen- o ich mich in meinem Dienst an den Verhaltens- ordnung „Die Wahrheit wird euch freima- richtlinien orientiere und danach handle. o ich mich bemühe, jede Form von Grenzverlet- chen“(im Wortlaut)*: zung und Gewalt bzw. sexualisierter Gewalt zu Die kirchliche Arbeit mit Menschen in der Diözese erkennen und dies offen zu besprechen. Innsbruck eröffnet Räume für Glaubenserfahrung, o ich mich bei Verdacht auf psychische, physische, gemeinsame Freizeitgestaltung, die Entwicklung geistige und sexuelle Übergriffe an die diöze- der Persönlichkeit und politische Meinungsbildung. sane Ombudsstelle oder den/die Dienstvorge- setzte/n oder das Ordinariat wende, um mit der Wenn Menschen Nähe suchen und Vertrauen wagen, Stelle das weitere Vorgehen abzusprechen. machen sie sich verletzlich. Damit diese Verletzlich- o ich mich laufend mit der Thematik beschäftige keit nicht von Einzelnen ausgenutzt werden kann, und mir entsprechendes Wissen aneigne. braucht es klare Regeln. Es sollen daher alle Maß- nahmen getroffen werden, um Übergriffe auf Kin- Ich bestätige, dass mir durch die/den Verantwort- der, Jugendliche und anvertraute Menschen in den liche/n die Handreichung der Diözese Innsbruck eigenen Reihen zu verhindern und sie vor sexuellen „Schutz & Sicher, NEIN! – zu Gewalt und sexualisier- Übergriffen und Gewalt zu schützen. ter Gewalt“ bzw. die Rahmenordnung „Die Wahrheit wird euch frei machen“ als eine für meine Arbeit ver- Die Rahmenordnung „Die Wahrheit wird euch frei bindliche Orientierung zur Kenntnis gebracht wurde. machen – Maßnahmen, Regelungen und Orientie- rungshilfen gegen Missbrauch und Gewalt im kirch- Unterschrift * Grundlage der angeführten Punkte sind insbesondere § 37 des Jugendwohlfahrt- Mit der Verpflichtungserklärung zeigt die gesetzes sowie einschlägige Bestimmun- gen des StGB § 92, § 201 - 220b. Diözese Innsbruck einen sicheren und ver- lässlichen Rahmen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen auf, um aktiv Schutz vor sexualisierter Gewalt zu leisten. 20
LEITLINIEN im Umgang mit Kindern und Jugendlichen Grundhaltung gegenüber Kindern und Jugendlichen o Körperliche Selbstbestimmung – Mädchen und o Schuld – Mädchen und Buben, die sexuelle Ge- Buben sollen ihren Körper als wertvoll, schön walt erlitten haben, haben niemals Schuld. und liebenswert begreifen, ihn entdecken und Das sollte Kindern und Jugendlichen deutlich erfahren dürfen. erklärt werden. Denn bei sexuellem Missbrauch o Sexualerziehung – Kinder brauchen Erwachse- fühlen sich die meisten Kinder oder Jugend- ne, die mit ihnen über Sexualität sprechen und lichen schuldig, was von TäterInnen gefördert ihr Interesse an sexuellen Fragen aufgreifen. und ausgenutzt wird. Denn kindliche Unwissenheit über Sexualität kann leicht von TäterInnen ausgenutzt werden. o Gefühle – TäterInnen manipulieren die Gefüh- Umgang mit Nähe und Distanz reflektieren le der Betroffenen und die Wahrnehmung der Bezugspersonen. Prävention bedeutet deshalb, Die Beziehung zwischen GruppenleiterInnen, Pas- die Wahrnehmungsfähigkeit von Mädchen und toralassistentInnen, Priestern, Diakonen,… und den Buben zu fördern und sie darin zu unterstützen, ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen ist ihre Gefühle auch auszudrücken. keine Beziehung, die auf gleicher Ebene stattfindet. o Widerspruch – Damit Kinder und Jugendliche Es ist eine Beziehung, in der die inhaltliche und zwi- ihr Unbehagen und ihre Abwehr bei sexuellem schenmenschliche Verantwortung in den Händen Missbrauch oder sexuellen Übergriffen ausdrü- derjenigen liegt, die mit Kindern und Jugendlichen cken können, sollten sie in ihrer Familie und von arbeiten. betreuenden Fachkräften gelernt haben, dass Erwachsene nicht immer im Recht sind. Die Wahrnehmung von Grenzen und ihrer Verlet- o Geheimnisse –„Es gibt gute und schlechte Ge- zung wird subjektiv empfunden und kann persön- heimnisse“. Kinder sollten keine Geheimnisse lich unterschiedlich erlebt werden. Damit dies nicht aufgezwungen werden, damit sich keine abstruse, dazu führt, dass Beliebigkeit siegt oder Betroffene manipulative „Geheimniskultur“ entwickelt. (Stra- sprachlos zurück bleiben, ist die Auseinanderset- tegie von TäterInnen – Geheimnisse erzwingen). zung mit Nähe und Distanz für Kinder und Jugend- o Hilfe – Damit Kinder und Jugendliche sich bei liche, aber auch für Verantwortliche unumgänglich. Missbrauch jemandem anvertrauen können, brauchen sie grundlegende Erfahrungen, dass Dazu braucht es ein feines Gespür, die richtige „Do- sich ihre Eltern, andere private, aber auch sis“ von Nähe und Distanz. Dies spielt eine zentrale professionelle Bezugspersonen für sie und ihre Rolle, verunsichert aber auch: Sorgen und Nöte interessieren. Hauptberufliche und ehrenamtliche Verantwortliche in der Kinder- und Jugendarbeit, Priester, Diakone und Ordensleute brauchen Sensibilität, um sexuelle Grenzverletzungen und Übergriffe zu erkennen und Stärke, um in ihrer Arbeit dagegen vorzugehen. 21
o Wie darf ich ein Kind trösten, wenn es sich ver- o Zu meiden sind Situationen, bei denen Kinder letzt hat oder Heimweh hat? Ist es erlaubt ein und Jugendliche isoliert (abgesondert) sind, z.B. Kind, einen Burschen, ein Mädchen zu umarmen in Autos, Büros oder anderen Räumlichkeiten, bzw. in den Arm zu nehmen? Darf ich Spiele, die so dass die jeweiligen Vorgänge nicht von Dritten mit Berührungen verbunden sind, noch einset- eingesehen werden können. Bei Unvermeidbar- zen bzw. daran teilnehmen? keit einer solchen Situation ist dies im Vorfeld o Wann ist es sinnvoll, dass GruppenleiterInnen mit den Erziehungsberechtigten, MitarbeiterIn- das Zimmer/ Zelt der Kinder oder Jugendli- nen, … zu besprechen. chen betreten und wann nicht? Wer übernimmt o Es ist sicherzustellen, dass bei fotografischen „Inspektionsgänge“? Wie wird die Intimsphäre Aufnahmen, Filmen, usw. … die Kinder und von Kindern und Jugendlichen in Waschräumen Jugendlichen korrekt gekleidet sind und dass gewahrt? sexuell suggestive Posen vermieden werden. o Ganztägige Ausfahrten und Ausflüge, mehrtägi- Diese und ähnliche Fragen mit „Das war schon im- ge Reisen, Veranstaltungen und auswärtige Auf- mer so“ zu beantworten, ist nicht ausreichend. enthalte mit Kindern und Jugendlichen beiderlei Geschlechts müssen immer mit mindestens Folgende Zusammenstellung will kein Misstrauen einer weiblichen und einer männliche Begleit- schüren und nicht zur Vermeidung von Berührung person durchgeführt werden. und Nähe oder zu einer Abwertung von Körperlich- o Bei der Auswahl von Filmen, Computersoftware, keit führen, sondern soll zu einer Auseinanderset- Spielen und schriftlichem Material ist darauf zu zung mit Nähe und Distanz und zur Reflexion eigener achten, dass diese altersadäquat erfolgt. Handlungen anregen. o Wenn eine körperliche oder/ und persönliche Anziehung bei Kindern oder Jugendlichen wahr- genommen wird, sind die Grenzen der Betreu- Denkanstöße für „alltägliche“ Situationen ungsaufgabe einzuhalten. Darüber hinaus ist so rasch wie möglich für die weitere Betreuung des/ in der Kinder- und Jugendarbeit der Minderjährigen durch eine andere geeignete In der Kinder- und Jugendarbeit muss man sich Person zu sorgen. Die Inanspruchnahme einer bewusst sein, dass das eigene Verhalten, z. B. das fachkundigen Beratung, erforderlichenfalls auch Ergreifen der Hand eines Kindes, selbst wenn dies therapeutischer Hilfe, wird empfohlen. zu seiner Beruhigung geschieht, von Drittpersonen oder vom Kind oder dem Jugendlichen selbst anders Das Tiroler Jugendschutzgesetzt ist einzuhalten. interpretiert werden kann. (Siehe Seite 35) Nicht ich, sondern mein Gegenüber entscheidet über Nähe und Distanz. Körperliche Berührungen beim Begrüßen, Ermuntern, Trösten (bei Verletzung, Traurigkeit oder Heimweh) oder Anbieten von Ge- borgenheit dürfen sich nicht an den eigenen Bedürf- nissen orientieren und müssen der Altersstufe der Kinder und Jugendlichen angemessen sein. 22
Gänzlich zu vermeidendes Verhalten Jede Art körperlicher Bestrafung oder Disziplinierung Im Rahmen von Ausflügen, Reisen oder Lagern in ist verboten! Die Aufrechterhaltung der notwendigen Mehrbettzimmern oder Schlaflagern haben die Be- Disziplin bei Gruppenveranstaltungen darf nur auf pä- gleitpersonen getrennte Betten, Campingliegen, Ma- dagogisch sinnvolle und zulässige Weise erfolgen. tratzen und Schlafsäcke zu benutzen. Körperliche Berührungen müssen der jeweiligen Zu unterlassen sind sexuell provozierende Sprache, Situation angemessen sein. Dabei ist immer die Zu- Gebärden und Handlungen sowie Aktivitäten und Tä- stimmung des Kindes, des Jugendlichen erforder- tigkeiten, die diese fördern. lich. Sollten die anvertrauten Kinder/ Jugendlichen die körperliche Berührung ablehnen, ist dieser ab- Eine exklusive freundschaftliche Beziehung mit ein- lehnende Wille unbedingt zu respektieren. zelnen Kindern oder Jugendlichen ist zu vermeiden. Aktivitäten stillschweigend zu gestatten oder gar Nicht erlaubt ist es, mit einem Kind oder Jugend- daran teilzunehmen, bei denen das Verhalten des lichen (im privaten Bereich) alleine zu übernachten Kindes oder des Jugendlichen möglicherweise zu oder sie/ ihn allein zu sich nach Hause einzuladen. gewalttätigen oder illegalen Handlungen führt, ist nicht erlaubt. Untersagt ist es bei persönlichen Tätigkeiten zu „hel- fen“, die Kinder und Jugendliche alleine erledigen In Schlaf- oder Sanitärräumen und dergleichen ist können, z. B. sich waschen, anziehen, zur Toilette der Aufenthalt alleine mit einem Kind oder Jugend- gehen, usw. lichen zu unterlassen, außer die Betreuungstätigkeit erfordert dies, z.B. wenn ein Kind oder Jugendlicher Das Recht von Kindern und Jugendlichen am eigenen traurig, krank, verletzt, ... ist. Diese besonderen Si- Bild besteht zunächst immer. Kinder, Jugendliche tuationen sind im BetreuerInnenteam zu besprechen und auch deren Eltern müssen einer Veröffent- und nach Möglichkeit vorher grundsätzlich zu klären. lichung von Bildern zustimmen. Finanzielle Zuwendungen und Geschenke an einzel- ne Kinder oder Jugendliche, die in keinem Zusam- menhang mit der Betreuungsaufgabe stehen, sind zu unterlassen. Das Beobachten oder Fotografieren von Kindern und Jugendlichen beim An- oder Auskleiden bzw. in un- bekleidetem Zustand (z. B. in Sanitärräumen o. ä.) ist zu unterlassen (Kindern beim Ausziehen der Gummi- stiefel, Anziehen der Jacke und dgl. zu helfen ist na- türlich erwünscht). 23
HANDLUNGSLEITFADEN für den Umgang mit Vermutungen und Beobachtungen Bei Verdacht auf sexualisierte Gewalt, bei Beobach- Eine Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen tungen von Übergriffen oder wenn Kinder oder Ju- ist deshalb auch auf der Ebene des BegleiterInnen- gendliche sich anvertrauen, kommen häufig massive teams bedeutsam, um handlungsfähig zu bleiben. Es Dynamiken ins Rollen, die sich bei Einzelnen und in gilt, besonnen zu reagieren und auf den Schutz von ganzen Teams niederschlagen. Kindern und Jugendlichen zu achten. Oft führt der Verdacht auf sexualisierte Gewalt auch Die folgenden Hinweise helfen, im Falle von vermu- zur Spaltung im BegleiterInnenteam. Die beiden Pole, teten oder von eindeutigen Fällen sexualisierter Ge- Dramatisieren und Bagatellisieren, zwischen denen walt gegen Kinder und Jugendliche umsichtig und im sexualisierte Gewalt immer angesiedelt ist, schlagen Interesse der (möglichen) Opfer zu reagieren. sich auch bei den GruppenleiterInnen nieder. Manche ergreifen Partei für das betroffene Kind/ den betrof- fenen Jugendlichen, andere reagieren mit der Ver- teidigung der beschuldigten Person, wieder andere erstarren in hilfloser Ohnmacht. Oft wechseln diese Gefühle auch ab. 24
GESPRÄCHSHILFE für den Umgang mit Betroffenen Die Gesprächshilfe unterstützt bei der herausfor- o Nimm die Person mit dem, was sie erzählt, ernst dernden Aufgabe, ein Gespräch mit einem (mög- und werte die Aussagen nicht mit Bemerkungen lichen) Opfer zu führen. Auf Grund der besseren wie „War ja nicht so schlimm!“ oder „Vielleicht Lesbarkeit wird an dieser Stelle die Du-Form ver- war es ja nicht so gemeint“ ab. Vor allem Kinder wendet. erfinden nicht einfach so sexuelle Gewalttaten. o Akzeptiere es, wenn das Mädchen/ der Bursche Wie reagierst du, wenn ein Mädchen oder ein Bur- nicht weiter sprechen will! sche sich dir anvertraut? o Reagiere ruhig und wertschätzend und kom- o Ruhe bewahren, nichts überstürzen! Allzu mentiere die Aussagen des Kindes mit klaren heftige und unüberlegte Reaktionen belasten und sachlichen Bewertungen: „Das war absolut betroffene Kinder und Jugendliche. Viele Opfer nicht in Ordnung! … So etwas darf niemand mit sind sehr erleichtert, wenn sie zum ersten Mal Kindern machen! … Das war gemein! …“ eine Person treffen, die die Hinweise auf die se- o Erscheinen einzelne Details der Aussagen zu- xuellen Übergriffe versteht und sie ernst nimmt. nächst unlogisch, so lass sie einfach stehen und Für dich hingegen kann diese Information sehr stelle diese in dem Gespräch nicht in Frage. Oft belastend sein. stellt sich später heraus, dass die Kernaussagen o Trotz aller heftigen, vielleicht widersprüchlichen dennoch korrekt sind. Gefühle ist es wichtig, sich der eigenen Rolle o Versprich nichts, was du nicht halten kannst! bewusst zu bleiben. Man ist nicht Mutter oder Dies betrifft oft die „Geheimhaltung“ – Hilfe Vater des Kindes, weder PrivatdetektivIn, noch holen ist kein Verrat! Gib dem Mädchen/ Bur- TherapeutIn, weder PolizistIn, noch RichterIn, schen die Zusicherung, dass du sie/ ihn über alle sondern Ansprechperson und damit mögliche weiteren Schritte informierst und dich zunächst Vertrauensperson des betroffenen Kindes, des/ einmal über Möglichkeiten der Hilfe erkundigst. der betroffenen Jugendlichen. o Biete an, gemeinsam zu einer unabhängigen o Bestärke das Mädchen/ den Burschen positiv, Beratungsstelle zu gehen, oder dass du dich weil sie/ er den Mut hat, über die belastenden bei den Ansprechpersonen in der Diözese Erfahrungen zu sprechen. erkundigst, welche weiteren Möglichkeiten o Höre dem Mädchen/ Burschen offen zu. Signali- der Hilfe es gibt (siehe dazu Seite 30-32, siere, dass es in Ordnung ist, über die Erfahrun- Pkt. Beratung und Hilfe). gen zu sprechen, aber frage das Opfer nicht aus. o Notiere das Gespräch im Anschluss möglichst Oftmals sind betroffene Kinder und Jugendliche wortgenau. Details und konkrete Formulierun- so froh, dass ihnen endlich jemand zuhört und gen können wichtig sein (Ort. Datum. Wer war sie den Mut finden über ihre Erfahrungen zu beteiligt? Was wurde gesagt? Was ist genau sprechen, dass sie am Anfang sehr viele Details passiert?). berichten. Achte deshalb darauf, wie lange du o Konfrontiere in keinem Fall die beschuldigte gut zuhören kannst und im Gespräch offen bist. Person mit den Vorwürfen. Es besteht sonst die Merkst du im Gespräch, dass es dir zu viel wird, Gefahr, dass das Mädchen/der Bursche zusätz- so biete dem Opfer an, mit ihm gemeinsam je- lich unter Druck gerät und erpresst wird. manden zu suchen, der schon öfters Betroffenen geholfen hat. Die meisten Kinder und Jugendli- chen reagieren darauf mit großer Erleichterung. 25
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