Neue Ansätze für die europäische Verkehrs- und Infrastrukturpolitik - BBSR
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Informationen zur Raumentwicklung Heft Heft 7/8.2012 339 Neue Ansätze für die europäische Helmut Adelsberger Verkehrs- und Infrastrukturpolitik 1 Überblick und Einleitung Das Jahr 2011 war ein Meilenstein der euro- meinsamen Nutzen aller EU-Mitgliedstaa- päischen Verkehrs- und Verkehrsinfrastruk- ten eine rasche, koordinierte Realisierung turpolitik: des Kernnetzes ermöglichen. Diese Korri- dore wurden innerhalb des Kernnetzes un- Am 28. März stellte die Europäische Kom- ter Beachtung räumlicher und funktionaler mission das Weißbuch „Fahrplan zu einem Zusammenhänge und unter Einschluss von einheitlichen europäischen Verkehrsraum – Abschnitten festgelegt, die besonders kom- hin zu einem wettbewerbsorientierten und plexe – vor allem grenzüberschreitende – ressourcenschonenden Verkehrssystem“ der Öffentlichkeit vor, einen verkehrspoliti- Projekte umfassen. schen Handlungsrahmen bis 2050, der un- ter anderem auch grundsätzliche Ziele der europäischen Infrastrukturplanung vorgibt 2 Das EU-Weißbuch zum Verkehr (European Commission 2011a). In Übereinstimmung mit den Vorgaben Am 19. Oktober folgten die Vorschläge des EU-Vertrags und der EU-2020-Strate- der Kommission für die Verordnungen gie sieht das Weißbuch zehn Ziele vor, die über grundlegend überarbeitete Leitlinien sich auf deutlich geringere Schadstoff- und für die Transeuropäischen Verkehrsnetze CO2-Emissionen des Verkehrs, zugleich aber (TEN-T) (European Commission 2011b) auch auf wesentliche Effizienzsteigerungen und einen entsprechenden Finanzrahmen, beziehen, die zu einer Stärkung des Binnen- die „Connecting Europe Facility“ (European markts, verbesserter Kohäsion und erhöhter Commission 2011c), die neben dem Ver- Wettbewerbsfähigkeit der EU auf dem Welt- kehrsbereich auch Energie und Telekom- markt beitragen sollen. munikation abdeckt. Diese Vorschläge sind miteinander abgestimmt und entsprechen Konkret gibt das Weißbuch folgende Ziele den Vorgaben des Weißbuchs. vor, wobei die Schwerpunkte auf der Ent- wicklung und Einführung neuer und nach- Schwerpunkt davon ist ein TEN-T-Kern- haltiger Kraftstoffe und Antriebssysteme netz, das den Bürgern und der Wirtschaft (1–2), der Optimierung der Leistung multi- der EU bis spätestens 2030 zur Verfügung modaler Logistikketten (3–6) sowie der Stei- stehen soll. Die einheitliche, sachlich be- gerung der Effizienz des Verkehrs und der gründete und nachvollziehbare Planungs- Infrastrukturnutzung (7–10) liegen: methode, die eigens für die Identifizierung dieses Kernnetzes entwickelt wurde, steht (1) Stufenweise Reduktion der Nutzung im Einklang mit den Oberzielen eines ge- von konventionellen Kraftstoffen im städti- meinsamen EU-Raums hinsichtlich des schen Verkehr und der Stadtlogistik territorialen, wirtschaftlichen und sozialen (2) Reduktion des Anteils an CO2-armen Zusammenhangs, des Binnenmarkts und Kraftstoffen im Flugverkehr auf 40 % und eines wirksamen Umwelt- und Klimaschut- der CO2-Emissionen der Seeschifffahrt um zes sowie mit den verkehrspolitischen Zie- 40 % len des Weißbuchs. Die Methode beruht auf einem gemischt geografisch-verkehrspla- (3) Aufgrund effizienter Güter verkehrs Dr. Helmut Adelsberger nerischen Ansatz und nimmt auch Bedacht korridore sollen Güterverkehre über 300 km Europäische Kommission bis 2030 zu 30 %, bis 2050 zu 50 % auf der Generaldirektion Mobilität und auf eine dauerhaft umwelt- und klimaver- Verkehr (DG Move) trägliche Nutzung der Infrastrukturen.1 Schiene oder Wasserstraße stattfinden. Abt. B.1 Trans-European (4) Fertigstellung des europäischen Hoch- Transport Networks Sog. Kernnetzkorridore sollen in Verbin- Rue Demot 28 dung mit geeigneten Organisationsstruk- geschwindigkeitsschienennetzes bis 2050, 1040 Brüssel, Belgien turen jeweils unter der politischen Ägide aber Verdreifachung der Netzlänge schon E-Mail: helmut.adelsberger@ eines „Europäischen Koordinators“ zum ge- bis 2030 ec.europa.eu
340 Helmut Adelsberger: Neue Ansätze für die europäische Verkehrs- und Infrastrukturpolitik (5) Fertigstellung eines multimodalen TEN- dem Europäischen Parlament und Rat zur T-Kernnetzes bis 2030 und des Gesamtnet- gemeinsamen Beschlussfassung übergeben. zes bis 2050 in der erforderlichen hohen Die bisherigen, zurzeit noch gültigen Qualität EN-T-Leitlinien stammen aus dem Jahr T (6) Anschluss aller wichtigen Flughäfen an 1996, als ein relativ dichtes Grundnetz „bot- das Schienennetz bis 2050 sowie der See- tom-up“ zusammengestellt wurde (Euro- häfen an das Schienen- und möglichst auch pean Parliament/European Council 1996). Wasserstraßennetz Damals wurden auch 14 „vorrangige Vor- (7) Ausstattung aller Verkehrsträger mit in- haben“ mit eingeschlossen, die schon 1994 telligenten Verkehrsmanagementsystemen beim Europäischen Rat von Essen festgelegt bis 2020 und Realisierung eines gemeinsa- worden waren. men europäischen Luftverkehrsraums Den politischen Veränderungen von 1989 (8) Vorhaltung eines multimodalen Ver bis Anfang der 1990er Jahre wurde erst- kehrsinformationssystems ebenfalls bis mals Rechnung getragen, indem 1994 in 2020 Kreta zunächst neun (I–IX) und 1997 in (9) Reduktion der Anzahl der Verkehrstoten Helsinki zehn Paneuropäische Korridore bis 2020 auf die Hälfte, bis 2050 auf Null (I–X) aus der Taufe gehoben wurden, um die Hauptachsen Mittel- und Osteuropas (10) Kostenanlastung gemäß dem Verursa- an die TEN-T anzubinden. Aufbauend auf cherprinzip und Verwendung der Erträge aus dem Infrastrukturbetrieb zur Finanzie- diesen Korridoren als „backbone“ fand rung künftiger Verkehrsinvestitionen. der TINA (Transport Infrastructure Needs Assessment)-Prozess statt; der entspre- Diese Ziele sind quantifiziert und erlau- chende Schlussbericht lag 1999 vor (TINA ben durch die Vorgabe von Zwischenzielen 1999). Darauf beruhen die TEN-T der 12 ein Monitoring. Dazu sollen bis 2020 40 neuen EU-Mitgliedsländer. Initiativen umgesetzt werden. Angespro- chen sind vor allem Verkehrspolitik, Inf- Die TEN-Leitlinien wurden 2004 revidiert rastruktur, Betrieb sowie Technologie und (European Parliament/European Council Innovation, aber auch eine entsprechende 2004), wobei die Anzahl der „vorrangigen Bewusstseinsbildung ist eingeschlossen. Vorhaben“ auf der Grundlage der Arbeit ei- Interessant ist die Tatsache, dass dieses ner Hochrangigen Gruppe unter Karel van Weißbuch neben technologischen Maß- Miert von 14 auf nunmehr 30 erhöht wurde nahmen auch eine optimale Verknüpfung (Abb.1). Die TEN-Finanzierung konzentrier- der Verkehrsträger und insbesondere auch te sich fortan auf diese vorrangigen Vorha- eine Verlagerung des Verkehrs auf umwelt- ben; zudem sollten in Einzelfällen „europäi- freundlichere und emissionsärmere Ver- sche Koordinatoren“ die Realisierung dieser kehrsträger vorsieht. Die erwähnten 40 Ini Achsen erleichtern. tiativen sollten die dazu nötigen Anreize bieten, vor allem eine vollständige Interna- Basierend auf den Empfehlungen einer wei- lisierung der externen Kosten auf allen Ver- teren Hochrangigen Gruppe unter Loyola kehrsträgern. de Palacio erfolgte 2007 die Identifizierung der Hauptverkehrsachsen in die Nach- barländer der EU (European Commission 3 Die Neuerstellung der Leitlinien für 2007), denen aber darüber hinaus kaum das Transeuropäische Verkehrsnetz rechtliche Bedeutung zukommt. Alle bisherigen Revisionen der TEN-Leitlini- In diesem vom Weißbuch abgesteckten en wurden zusammengefasst und im Zuge Rahmen wurde eine grundlegende Neu- strukturierung der Transeuropäischen Ver- einer Neuverlautbarung 2010 noch einmal kehrsnetze (TEN-T) vorgenommen. Der veröffentlicht (European Parliament/Eu- entsprechende Vorschlag der Kommission, ropean Council 2010). Trotz dieser laufen- begleitet vom Vorschlag für eine Finanzie- den Weiterentwicklung und Anpassung des rungsverordnung für die Finanzperiode Konzepts der TEN-T wurde zunehmend die (1) Vgl. hierzu den Beitrag von 2014–2020 („Connecting Europe Facility“), Notwendigkeit einer grund sätzlichen Neu- Korzhenevych i.d.H. wurde am 19. Oktober 2011 vorgestellt und konzeption erkennbar:
Informationen zur Raumentwicklung Heft Heft 7/8.2012 341 Abbildung 1 Vorrangige Transeuropäische Verkehrsachsen und -projekte (2004) Quelle: European Parliament/European Council 2004 Erstens hat sich seit 1996 das geopolitische • Sie genügen nicht hinreichend den Effi- Umfeld wesentlich verändert, unter ande- zienz- und Nahhaltigkeitszielen der EU, rem durch indem sie großteils modale Achsen statt multimodaler Korridore sind. Es mangelt • die zunehmende Globalisierung der Wirt- auch an hinreichender Interoperabilität, schaft insbesondere auf der Schiene, sowie an • die EU-Erweiterungen von 2004 und 2007 innovativer technologischer Ausstattung (z. B. Intelligent Transport System – ITS, • sich verschärfende Herausforderungen European Railway Transport Manage- des Umwelt- und Klimaschutzes ment System – ERTMS, River Information • geänderte verkehrspolitische Rahmenbe- Services – RIS etc.) und Infrastruktur für dingungen (z. B. Liberalisierung und De- alternative Antriebe zur Reduktion des regulierung). CO2-Ausstoßes. Zweitens zeigen die bestehenden 30 vorran- • Sie bilden kein zusammenhängendes gigen Vorhaben trotz beachtlicher Umset- Netz und folgen in vielen Fällen nicht den zungserfolge auch gewisse Mängel: realen oder potenziellen Verkehrsflüssen, • Großteils fehlt eine gesamteuropäische eben weil sie zum Teil eher die Investi Planungsperspektive. Die Vorhaben ent- tionswünsche der Mitgliedstaaten abbil- sprechen vielfach eher den Investitions- den. wünschen der Mitgliedsländer als den • Sie sind nicht hinreichend mit den Ein- Transport-, Erschließungs- und Umwelt- gangspunkten der EU (Häfen, Flughäfen) schutzbedürfnissen Europas.
342 Helmut Adelsberger: Neue Ansätze für die europäische Verkehrs- und Infrastrukturpolitik sowie den Nachbarländern der EU ver- mission Staff 2011). Seither gab es entspre- knüpft. chend den Erfahrungen aus der Anwen- dung noch geringfügige Anpassungen, die • Es gibt mittlerweile ein unübersichtliches jedoch nur Details der Planung betreffen Nebeneinander verschiedener Achsen- und von den Mitgliedstaaten ebenfalls ak- und Korridor konzepte (Paneuropäische zeptiert wurden. Korridore, vorrangige Vorhaben, de Pala- cio-Achsen, Schienen-Güterverkehrskor- Parallel dazu wurde das Grundnetz revi- ridore, usw.). diert, wobei hinsichtlich der Netzstruktur auf räumliche und modale Ausgewogenheit • Die Umsetzung folgt in der Regel nicht insbesondere zwischen alten und neuen europäischen, sondern nationalen Pri- Mitgliedstaaten geachtet wurde. Durch Ein- oritäten. Vor allem in der Realisierung führung geeigneter Schwellenwerte (Min- von grenzüberschreitenden Abschnitten destvolumina und -distanzen) wurde die kommt es häufig zu Verzögerungen. Anzahl der Häfen und Flughäfen auf ein Im Rahmen des „TEN-T Policy Reviews“ Maß reduziert, das eine gezieltere Prioritä- wurden alle diese Aspekte angesprochen. tensetzung zulässt. Dies betrifft vor allem die aus dem EU- Wesen des mittels der erwähnten Planungs- Vertrag hergeleiteten wirtschaftlichen und methode identifizierten Kernnetzes (Abb. 2) verkehrlichen Ziele wie Stärkung des Bin- ist, dass es in besonderer Weise der Im- nenmarkts und der globalen Wettbewerbs- plementierung und Stärkung des Binnen- fähigkeit, Verbesserung der Erreichbarkeit markts und der territorialen, wirtschaft- und der territorialen, wirtschaftlichen und lichen und sozialen Kohäsion dient und sozialen Kohäsion sowie die Schwerpunkt- daher mit hoher Priorität, nämlich bis 2030 legung auf Umwelt- und Klimaschutz. operativ sein soll. Das Ziel lautet: „Weg vom Patchwork, hin zum Network!“. Durchführungsschritte der Revision des TEN-Netzes Diese Schritte wurden hinsichtlich der Zielerreichung in einem Impact Assessment Die Durchführung dieser Revision erfolgte bewertet. Die Beschlussfassung durch die in folgenden Schritten: Kommission wurde in einer Interservice- 2009 stellte ein Grünbuch (European Com- Consultation vorbereitet. mission 2009) mehrere Varianten zur Aus- Der Kommissionsvorschlag für die neuen wahl. Die darauffolgende öffentliche Erör- TEN-Leitlinien samt Kartenanhang wur- terung zeigte eine klare Bevorzugung eines de am 19. Oktober 2011 veröffentlicht, zu- zweilagigen Netzes: ein dichtes Grundnetz, gleich mit der Präsentation des Vorschlags im Wesentlichen entsprechend den schon für die Finanzperiode 2014–2020 („Connec- seit 1996 bzw. 2004 bestehenden TEN-T, und ting Europe Facility“). – als Teilmenge hiervon – ein multimodales Kernnetz der strategisch wichtigsten Ele- Seither wird der Vorschlag im Rat und Par- mente dieses Grundnetzes. Dieses Kernnetz lament diskutiert. Beide gemeinsam wer- soll die bestehenden 30 vorrangigen Vorha- den dann im Rahmen eines „Mitentschei- ben ablösen und bis 2030 realisiert sein. dungsverfahrens“ die neuen TEN-Leitlinien in der vorgelegten oder einer abgeänderten Sechs Expertengruppen wurden engesetzt, Form beschließen. Dies wird ein bis zwei um die Kommission in Detailfragen des Jahre beanspruchen. Somit sollten die neu- „TEN-T Policy Reviews“ zu beraten (Euro- en Vorschriften rechtzeitig vor Beginn der pean Commission 2010). Dabei wurde ins- Finanzperiode 2014–2020 vorliegen. besondere der Vorschlag für eine rationale Kernnetz-Planungsmethode erarbeitet, die Die Kernnetz-Planungsmethode eine nachvollziehbare Netzplanung erlaubt. Die bereits erwähnte Kernnetz-Planungs- Diese wurde 2010 aufgrund einer weiteren methode ist zweistufig. Sie beruht auf öffentlichen Erörterung mit den Mitglied- einem gemischt geographisch-verkehrs- staaten und anderen Stakeholdern wei- planerischen Ansatz und trennt zwischen terentwickelt und feinjustiert. Beim Infor- Personen- und Güterverkehr: mellen Verkehrsministerrat in Gödöllö im Februar 2011 wurde darüber Einvernehmen Zunächst wurden die Hauptknoten des mit den Mitgliedstaaten hergestellt (Com- Kernnetzes festgelegt: (1) städtische Knoten,
Informationen zur Raumentwicklung Heft Heft 7/8.2012 343 Abbildung 2 Transeuropäisches Kernnetz für den Güterschienenverkehr (2009) Quelle: European Commission 2009 so die Hauptstädte aller EU-Mitgliedstaaten Verbindungen jedenfalls dem Gesamtnetz (auch um alle Mitgliedstaaten einzuschlie- zugehören mussten. Als benachbart gelten ßen), und weitere wichtige und/oder gro- dabei jene Knoten, zu denen – vom be- ße Städte und Agglomerationen (samt ih- trachteten Knoten ausgehend – (im Plan- ren Flughäfen, See- und Binnenhäfen und fall) der überwiegende Teil des jeweiligen sonstigen multimodalen Platt formen); (2) Verkehrsstroms fließen würde, ohne dritte, die wichtigsten Häfen, die entweder auf- dem Ausgangsknoten näher liegende städti- grund ihres Waren umschlags oder ihrer sche Hauptknoten zu berühren. Soweit die räumlichen Verteilung ausgewählt wurden; Verkehrsflüsse dem folgen würden, waren (3) in Anlehnung an die „de Palacio-Achsen“ die Strecken abschnittsweise zu bündeln. Grenzübertrittspunkte zu den Nachbarlän- Außerdem waren sämtliche Landgrenzen dern der EU, die ebenfalls als Hauptknoten zwischen benachbarten EU-Mitgliedstaa- der Netzbildung fungieren. ten vom zumindest einer multimodalen Kernnetzverbindung zu queren. Zwischen den städtischen Hauptknoten wurde, zunächst getrennt für Personen- Sich derart ergebende Verbindungen wur- und Güterverkehr, das Kernnetz aufge- den jedoch weggelassen, wenn ihre Rea- spannt: Jeder städtische Hauptknoten wur- lisierung mit den vorgeschriebenen An- de mit seinen benachbarten städtischen lagenverhältnissen oder Ausstattungen Hauptknoten verbunden, wobei diese zumindest bis 2030 nicht zu erwarten war.
344 Helmut Adelsberger: Neue Ansätze für die europäische Verkehrs- und Infrastrukturpolitik Da diese Bedingung für die einzelnen Ver- derlichen Quantität und Qualität operativ kehrsträger getrennt anwendbar ist, war da- ist, werden besonders kritische Abschnit- mit eine modale Differenzierung möglich. te zu multi modalen Kernnetzkorridoren (Abb.3) zusammengefasst. Dabei wird hin- Kernnetzhäfen werden entsprechend den sichtlich der Routenwahl auch auf bisheri- vorherrschenden Verkehrsstörungen mit ge Korridore und Achsen Rücksicht genom- dem jeweils relevanten Hinterlandknoten men, soweit diese im Kernnetz enthalten verbunden, ebenso die Grenzübertritts sind (Abschnitte vorrangiger Vorhaben, punkte. Paneuropaeische Korridore, ERTMS- Kor- Da die Anwendung dieser Planungsmetho- ridore, Schienen-Güterverkehrskorridore de auf das EU-Binnenwasserstraßennetz usw.). Dies betrifft z. B. den Straßburg–Do- eine nahezu vollständige Einordnung ins nau-Korridor mit bisherigen prioritären Kernnetz ergeben hätte, wurde es zur Gän- Projekten (PP) wie TEN-T PP 17, TEN-T ze im Kernnetz verankert. PP18, TEN-T PP 22), den Genua–Rotter- Ergänzend zu den Landverkehrsträgern stel- dam-Korridor (u. a. TEN-T PP 24) oder den len die „Motorways of the Sea“ die maritime Hamburg–Lefkosia-Korridor (u. a. TEN-T Dimension der TEN-T dar. Sie verbinden die PP 7, TEN-T PP 22).3 Dieser Korridoran- Inselstaaten der EU sowie weitere größere satz ist nicht als zusätzliche strategische und kleinere Inseln, die zu EU-Mitgliedstaa- Planungsebene, sondern als Werkzeug für ten gehören, mit dem Kontinent, bilden aber eine möglichst effiziente Implementierung auch Abkürzungen über Buchten und küs- des Kernnetzes und insbesondere seiner tenparallele Alternativen zum Landverkehr.2 Schlüsselabschnitte zu verstehen. Der endgültige Kommissionsvorschlag für Innerhalb des Kernnetzes könnten die- das Kernnetz ergab sich aus der Superpo- se multimodalen Korridore auch eine sition der für den Personen- und Güterver- Vorreiterrolle in der Verringerung des CO2- kehr ermittelten Anteile. Die Unterschei- Ausstoßes spielen. Dazu soll auch eine be- dung zwischen diesen Verkehrsarten wirkt sonders ausgeprägte Multimodalität durch sich nur im Schienenbereich aus, da das eine entsprechend gute Verknüpfung der Straßennetz uneingeschränkt beiden und Verkehrsträger (auch mittels intelligenter die Binnenwasserstraße – abgesehen von Informations- und Leitsysteme) beitragen. touristischer Nutzung – fast ausschließlich Bis 2030 sollte sich das gesamte Kernnetz dem Güterverkehr dient. aus vernetzten „Green Corridors“ aufbauen, also eine Art „Green Network“ darstellen.4 Die bestehenden vorrangigen Vorhaben fin- den sich in dem Ausmaß im Kernnetz, als Wie die Realisierung des Kernnetzes bis sie bzw. ihre Abschnitte den Kriterien der 2030 eine Verpflichtung der Mitgliedstaa- Kernnetz-Planungsmethode entsprechen. ten sein soll, so soll es insbesondere auch entsprechende Vereinbarungen für die Um- Realisierung des Kernnetzes bis 2030 setzung der multimodalen Korridore geben. Sie sollen auch die Finanzierung mit ein- Technisch unterscheidet sich das Kernnetz schließen und von je einem „Europäischen vom Grundnetz in vieler Hinsicht nur durch Koordinator“ gesteuert und angetrieben seine prioritäre Fertigstellung bis 2030. In werden. einigen Belangen gibt es, entsprechend der höheren Verkehrsbedeutung seiner Ab- Gemäß dem aktuellen Vorschlag der Kom- schnitte, auch besondere technische Anfor- mission würde die EU mit der „Connecting derungen, die vor allem auf eine uneinge- Europe Facility“ in der Finanzperiode 2014– schränkte Interoperabilität über nationale 2020 zum Ausbau der TEN-T, vor allem des Grenzen hinweg abzielen, also auf ein wirk- Kernnetzes, insgesamt 31,7 Mrd. € beitragen. (2) lich europäisches Verkehrssystem: So sind Dieser Betrag schließt 10,0 Mrd. € aus dem Vgl. den Beitrag von Matczak bis 2030 z. B. auf der Schiene Zuglängen von Kohäsionsfonds ein, die für das TEN-T-Kern- i.d.H. 750 m, Achslasten von 22,5 t, elektrischer netz der Kohäsionsländer reserviert sind. (3) Betrieb und ERTMS-Ausstattung vorzuse- Vgl. in diesem Kontext auch Zu rund 80 bis 85 % sollen die Mittel der die Beiträge zu einzelnen Kor- hen; für den Güterverkehr sollte die Längs- „Connecting Europe Facility“ als Zuschüs- ridoren i.d.H. neigung 15 ‰ möglichst nicht übersteigen. se für den Ausbau der Wasserstraßen und (4) Vgl. hierzu insbesondere den Um sicherzustellen, dass das Kernnetz tat- Schienenwege des Kernnetzes sowie für Beitrag von Sauer i.d.H. sächlich in diesem Zeitrahmen in der erfor- diverse „horizontale Prioritäten“ wie Ver-
Informationen zur Raumentwicklung Heft Heft 7/8.2012 345 Abbildung 3 Transeuropäische Kernnetze und Kernnetzkorridore (2011) T E N - T C O R E N E T W O R K & C O R R I D O R S R A I L W A Y S A N D / O R I N L A N D W A T E R W A Y S B A L T I C - A D R I A T I C M E D I T E R R A N E A N B U R G A S / T R B O R D E R / H E L S I N K I - V A L E T T A M A R S E I L L E S T R A S B O U R G - D A N U B E O T H E R C O R E N E T W O R K S E C T I O N S © European Commission, DG MOVE, TENtec Information System 2011 Ref. EC Proposal COM(2011) 665 October 2011 incl. corrigendum Quelle: European Commission/DG Move 2011 kehrsinformations- und -leitsysteme oder zu einem wahrhaft europäischen Netz. Mit die Versorgungsinfrastruktur für alternative erhöhten Zuschüssen (auf bis zu 40 % des Treibstoffe zur Reduktion der CO2-Emissio- Investitionsvolumens) versucht die „Con- nen zur Verfügung stehen. Der Rest könnte necting Europe Facility“ hier einzuhaken: in alternative Projektfinanzierungen wie Um diese Beträge geringere nationale In- PPP-Modelle fließen, die auch dem Ausbau vestitionsvolumina verbessern das Nutzen- des Straßennetzes zugute kommen wür- Kostenverhältnis derartiger Projekte und den. Überdies sieht der Budgetvorschlag bewirken, dass diese in den nationalen für den Kohäsionsfonds weitere 24 Mrd. € Prioritätenreihungen nach vorn rücken. vor, die für die TEN-T in den Kohäsions ländern zweck gebunden sind. Dieser Be- trag schließt alle Verkehrsträger auch im 4 Die räumlichen Wirkungen von TEN-T-Grundnetz ein. Kernnetz und Kernnetzkorridoren Während grenzüberschreitende Abschnitte in Bezug auf den einzelnen Mitgliedstaat Schon der gemischt geographisch-ver- häufig relativ geringen Quell- und Zielver- kehrsplanerische Ansatz der Planungsme- kehr und einen dementsprechend gerin- thode entspricht dem Gedanken, nicht nur geren nationalen Nutzen aufweisen, liegt die künftige Verkehrsnachfrage auf nach- der besondere europäische Mehr wert im haltige, sozial- und umweltverträgliche Wei- Zusammenwachsen der nationalen Netze se zu bewältigen, sondern auch gezielt, im
346 Helmut Adelsberger: Neue Ansätze für die europäische Verkehrs- und Infrastrukturpolitik Sinne der Ziele des EU-Vertrags, die Raum- netz wesentlich verbessert. Aber auch die und Erreichbarkeitsstruktur Europas zu ge- zentralen Gebiete der EU werden durch die stalten. Über den territorialen Zusammen- Verkürzung der Transport- und Reisezeiten halt der EU-Mitgliedstaaten hinaus, der in die peripheren Länder innerhalb und die weitgehend schon durch die Einbindung Nachbarländer außerhalb der EU gestärkt.5 aller Hauptstädte erreicht wird, geht es da- Durch die Verknüpfung mit der „Connec- bei auch um die Außenverbindungen der ting Europe Facility“ sollen die wichtigsten EU: zu den benachbarten Ländern im Os- Abschnitte des Kernnetzes, darunter auch ten und Südosten auf Straße und Schiene, ein Großteil der Kernnetzkorridore, bereits zum Rest der Welt über die Häfen für den in der unmittelbar bevorstehenden Finan- Güter-, über die Flughäfen für den Perso- zierungsperiode 2014–2020 ausgebaut wer- nenverkehr. den. Es ist somit durchaus realistisch, dass Darüber hinaus bildet das TEN-T-Kernnetz die Standortaufwertung schon vor 2030 das Rückgrat der Erreichbarkeitsstruktur quer durch alle Mitgliedstaaten spürbar Europas im Landverkehr. Im Zusammen- wird. wirken mit dem Grundnetz werden die Er- Die TEN-Kernnetzkorridore, wie sie der An- reichbarkeitseffekte des Kernnetzes auch hang der „Connecting Europe Facility“ auf- in die Räume transportiert, die von diesem listet, sind vor allem als Werkzeug für eine nicht unmittelbar tangiert werden. Insbe- koordinierte Implementierung des Kern- sondere betrifft dies den Zugang zum Kern netz auch aus peripheren Regionen und netzes gedacht. Sie können aber auch als aus solchen innerhalb seiner „Maschen“. Prototypen sog. „Green Corridors“ dienen. Entsprechende multimodale Verknüpfungs- Die räumliche Integration durch die TEN-T punkte (für den Güterverkehr See- und Bin- bezieht sich nicht nur auf die EU als gan- nenhäfen, Straße-Schiene-Terminals und zes, sondern auch auf die verschiedenen für den Personenverkehr der Anschluss Makroregionen, die Ziel von makroregiona- von Flughäfen an das Schienennetz) kön- len Strategien der EU sind. Es ergeben sich nen in Verbindung mit innovativen Ver- zahlreiche Synergien mit diesen Regionen, kehrsmanagementsystemen und geeigne- nicht zuletzt könnten die bestehenden Ko- ten Anreizen für die bevorzugte Nutzung operationsplattformen auch Funktionen der umweltverträglichsten Verkehrsträger im Zusammenhang mit der Umsetzung des sowohl die Effizienz der Infrastruktur stei- Kernnetzes, insbesondere der Kernnetzkor- gern als auch zu einer Reduktion von um- ridore übernehmen. welt- und klimarelevanten Emissionen bei- Erreichbarkeit ist das Maß, das die Zugäng- tragen. Überdies sieht das Weißbuch auch lichkeit eines Ortes, einer Region zu den ein „Greening“ der einzelnen Verkehrsträ- Rohstoff-, Erzeuger- und Verbrauchermärk- ger vor, zum Beispiel durch Low-Carbon- ten kennzeichnet. Eine verbesserte Erreich- Technologien wie umfassende Elektrifizie- barkeit oder ein erleichterter Marktzugang rung nicht nur des Schienenverkehrs und verringern Transport- und Reisezeiten und Einsatz alternativer Treibstoffe. Die vorran- sparen dadurch Kosten. gige Anwendung dieser Maßnahmen auf das Kernnetz lässt wegen der gerade dort Geringere Transportkosten innerhalb Eu- bestehenden Konzentration der Fernver- ropas und zu den wichtigen Import- und kehrsströme eine besonders hohe Effizienz Exporthäfen steigern die Wettbewerbsfä- auch im Hinblick auf den Umwelt- und Kli- higkeit und die Gewinnchancen der Un- maschutz erwarten. ternehmen in der EU. Dies begünstigt die Schaffung neuer Arbeitsplätze weit über die Ein gutes Verkehrssystem, das den Bedürf- unmittelbaren konjunkturellen Effekte der nissen von Mensch, Wirtschaft und Umwelt Investitionstätigkeit hinaus und ermöglicht gleichermaßen dient, ist ein wesentliches Zuwächse an Wertschöpfung und Kauf- „Asset“ im globalen Wettbewerb. Noch liegt kraft – ein Umstand, dem gerade in Zeiten Europa gerade in dieser Hinsicht weltweit zunehmender Globalisierung wachsende an der Spitze. Die Umsetzung des TEN-T- Bedeutung zukommt. Besonders wirkt sich Kernnetzes bis 2030 und des Grundnetzes (5) das in peripheren oder isolierten Lagen bis 2050 soll dazu beitragen, dass Europa Vgl. hierzu den Beitrag von Buthe, Pütz und Spangenberg aus, wenn sich deren Erreichbarkeit durch noch enger zusammenwächst und diesen i.d.H. die Anbindung an das Grund- und Kern- wichtigen Vorsprung ausbaut.
Informationen zur Raumentwicklung Heft Heft 7/8.2012 347 Literatur Commission Staff, 2011: The New Trans-European European Commission, 2007: Extension of the major Transport Network Policy – Planning and Implemen- trans-European transport axes to the neighbouring tation Issues, Working Document SEC(2011)101 fi- countries – Guidelines for transport in Europe and nal, 19.1.2011. neighbouring regions. Communication from the European Commission COM(2007) 32 final to the European Commission, 2011a: White Paper on Trans- Council and the European Parliament, 31.1.2007. port „Roadmap to a single European Transport Area – towards a competitive and resource efficient trans- European Parliament/Council, 2010: Decision No. port system”. Brüssel, 28.3.2011. 661/2010/EU of the European Parliament and the Council on Union guidelines for the development of European Commission, 2011b: Proposal for a Regulati- the trans-European transport network, 7.7.2010. on of the European Parliament and of the Council on Union guidelines for the development of the trans- European Parliament/Council, 2004: Decision No. European transport network, COM (2011) 650/2, 884/2004/EC of the European Parliament and the 19.10.2011. Council amending Decision No. 1692/96/EC on Community guidelines for the development of the European Commission, 2011c: Proposal for a Regula- trans-European transport network, 29.4.2004. tion of the European Parliament and of the Coun- cil establishing the Connecting Europe Facility, European Parliament/Council 1996: Decision No. COM(2011) 665, 19.10.2011. 1692/96/EC of the European Parliament and the Council on Community guidelines for the deve- European Commission, 2010: TEN-T Trans-European lopment of the trans-European transport network, Transport Network: „Report of the Expert Groups“, 23.7.1996. European Commission, Directorate General for Mo- bility and Transport (DG MOVE), June 2010. TINA Sekretariat, 1999: Transport Infrastructure Needs Assessment: Final Report. Wien. European Commission, 2009: Green Paper „TEN-T a policy review – towards a better integrated trans-Eu- ropean transport network at the service of the com- mon transport policy”, COM(2009)44 final, 4.2.2009.
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