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Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems Neurobiologie und daraus folgende Homepage: pharmakologische Behandlung der www.kup.at/ Schizophrenie // Neurobiology of JNeurolNeurochirPsychiatr Schizophrenia and Resulting Online-Datenbank mit Autoren- Pharmacological Treatments und Stichwortsuche Hasler G Journal für Neurologie Neurochirurgie und Psychiatrie 2017; 18 (2), 60-64 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A /21 Preis : EUR 10,–
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Neurobiologie und daraus folgende pharmakologische Behandlung der Schizophrenie* G. Hasler Kurzfassung: Die Schizophrenie ist eine schwe- ben. Sie zeigt, dass Gen-Umwelt- und Umwelt- of schizophrenia. This hypothesis has the power re Krankheit, welche nicht nur die Lebensquali- Umwelt-Interaktionen am GAD67-Gen, das 80 % to explain both, positive and negative symptoms. tät massiv senkt, sondern auch die Lebenserwar- des zentralen GABAs produziert, zu neuronaler In addition, hypofunction of the glutamate system tung um bis zu 25 Jahre reduziert. Bis zu 80 % Enthemmung führt, welche viele Facetten schizo- may be a key factor in the disrupted brain develop- der Erkrankten sind arbeitslos. Alle verfügbaren phrener Symptome erklärt. ment leading to schizophrenia. Compounds target- und wirksamen Antipsychotika blockieren den Schlussfolgerung: Der Fortschritt bei der Ent- ing the glutamate system, including glycine reup- Dopamin-2-Rezeptor. Entsprechend geht die Do- schlüsselung der Neurobiologie und Genetik der take inhibitors, mGluR2/3 antagonists, mGluR5 pamin-Hypothese der Schizophrenie davon aus, Schizophrenie ist erfreulich groß. Er inspiriert die agonists, D-serine, N-acetylcysteine and omega-3 dass ein überaktives Dopamin-System der Krank- Entdeckung von Biomarkern und stellt vielver- fatty acids, have a huge therapeutic and preventa- heit zugrunde liegt. Diese Theorie erklärt aber sprechende Angriffspunkte für die pharmakologi- tive potential. However, none of these drugs have vorwiegend die positiven Symptome und erklärt sche Forschung zur Verfügung. shown consistent efficacy in clinical trials. Bio- kognitive und negative Symptome nicht. Es gibt markers that predict treatment response, allowing zunehmend Hinweise aus der genetischen For- Schlüsselwörter: Präzisionsmedizin, stratifi- for sample stratification, and treatment onset in schung und von pharmakologischen Modell-Psy- zierte Behandlungen, personalisierte Medizin, early stages of the illness, may considerably im- chosen, dass eine Störung des Glutamat-Systems Botenstoffe prove efficacy of glutamatergic drugs. eine zentrale und ursächliche Rolle bei der Ent- Bleuler considered schizophrenia as an inhibi- wicklung der Schizophrenie spielt. Diese Theorie Abstract: Neurobiology of Schizophrenia tory dysfunction. Recent research on epigenetic hat das Potential, positive und negative Sympto- and Resulting Pharmacological Treatments. mechanisms in the pathogenesis of schizophre- me zu erklären und zum Verständnis der Hirnent- Schizophrenia is a severe and chronic disease, nia confirm Bleuler’s hypothesis. It suggests that wicklungsstörung bei Schizophrenie maßgeblich leading to important social and physical conse- gene-environment and environment-environment beizutragen. Substanzen, die auf das Glutamat- quences. Up to 80% of individuals with schizo- interactions at the GAD67 gene (which produces System wirken, zum Beispiel Glycin-Wiederauf- phrenia are unemployed, and their life expec- 80% of central GABA) contribute to inhibitory nahme-Hemmer, D-Serin, mGLuR2/3-Antagonis- tancy is reduced by 10 to 25 years. All available dysfunction, underlying many facets of schizo- ten, mGluR5-Agonisten und Omega-3-Fettsäuren, and effective antipsychotic drugs block the dopa- phrenia symptoms. haben ein großes therapeutisches und präventi- mine D2 receptor. Consistently, the dopamine hy- In summary, there is considerable progress ves Potential. Vermutlich braucht es jedoch Bio- pothesis posits that a hyperactive dopamine sys- in the understanding of the neurobiology and marker, welche das Ansprechen auf diese Sub- tems underlies schizophrenia. However, this hy- genetics of schizophrenia. This progress offers stanzen voraussagen, sowie einen Therapiebe- pothesis mainly explains positive symptoms and promising leads for the discovery of biomarkers ginn während des Prodroms oder in frühen Krank- does not take into account the full complexi- and provides novel targets for drug development. heitsstadien, um deren Wirksamkeit konsistent ty of the disorder, including cognitive and nega- J Neurol Neurochir Psychiatr 2017; 18 (2): nachzuweisen. tive symptoms. There is growing evidence from 60–4. Bleuler betrachtete die Schizophrenie als eine genome-wide scans and pharmacological stud- Störung neuronaler Hemmungen. Neue epigene- ies using phencyclidine that the glutamate sys- Keywords: decision medicine, stratified treat- tische Forschung scheint Bleuler Recht zu ge- tem is importantly involved in the pathogenesis ment, personalized medicine, neurotransmitter Einleitung Abnahme der unerwünschten Medikamentenwirkungen. De- pot-Präparate haben das Potential, die Compliance deutlich zu Die Schizophrenie ist eine schwerwiegende Krankheit mit verbessern und das Rückfallrisiko zu senken [2]. Integrierte schweren sozialen und körperlichen Folgen. Bis zu 80 % der Behandlungsprogramme mit Psychoedukation, spezialisierter Betroffenen sind arbeitslos. Die Lebenserwartung ist 10–25 Psychotherapie und Rehabilitation verbessern das psychoso- Jahre reduziert [1]. Die persönlichen, aber auch die wirtschaft- ziale Behandlungsergebnis deutlich. lichen Kosten sind enorm, weil die Krankheit im jungen Er- wachsenenalter beginnt und viele Erkrankte eine Rente und Dopamin-Hypothese Pflege benötigen. Die pharmakologischen Untersuchungen des Wirkmechanis- Die Entdeckung antipsychotischer Medikamente hat zu ei- mus der ersten Antipsychotika, die zufällig entdeckt wurden, ner deutlichen Verbesserung der Lebensqualität der Betroffe- führten zur Einsicht, dass der Botenstoff Dopamin eine zen- nen und ihres sozialen Umfeldes geführt. Für viele ist dadurch trale Rolle bei der Schizophrenie spielt. Es wurde erkannt, ein Leben außerhalb der Klinik möglich geworden. Die Ein- dass Chlorpromazin und Haloperidol den Dopamin-D2-Re- führung atypischer Antipsychotika führte zu einer deutlichen zeptor blockieren. Spätere Studien bestätigten, dass dieser Mechanismus für die Wirkung fast aller Antipsychotika zen- * Ergänzter Nachdruck aus Clinicum Neuropsy 5/2016, mit Genehmigung der Medizin tral ist [3]. Dies führte zur ursprünglichen Dopamin-Hypothe- Medien Austria se, die besagte, dass der Schizophrenie eine Dopamin-Über- Eingelangt am 10.10.2016, angenommen am 12.10.2016 funktion zugrunde liegt. Dass die chronische Einnahme von Aus der Universitäre Psychiatrische Dienste Bern (UPD) AG und Universitätsklinik für Amphetaminen, welche die Dopamin-Ausschüttung fördern, Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Bern zu einer Psychose führen kann, bestätigte diese Ansicht. Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Gregor Hasler, Universitäre Psychiatrische Dienste Bern (UPD) und Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bern, Chefarzt und Extraordinarius, Leiter, Abteilung für Molekulare Psychiatrie, CH-3000 Molekulare Studien zeigten die Mechanismen dieser Neu- Bern 60, Bolligenstraße 111, E-mail: gregor.hasler@puk.unibe.ch rotransmitter-Störung auf: Die Dopamin-Synthese, die Do- 60 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2017; 18 (2) For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
Neurobiologie der Schizophrenie pamin-D2-Rezeptor-Dichte und die Dopamin-Ausschüttung sche Bestätigungen der Dopamin- und Serotonin-Hypothe- sind bei vielen Patienten erhöht. Schon bald wurde aber Kritik sen sind deutlich schwächer). Zudem hat der NMDA-Rezep- an dieser einfachen Hypothese bekannt, unter anderem wegen tor eine entscheidende Funktion bei der Neuroplastizität, die der Entdeckung, dass kognitive Defizite wie Störungen des bei Psychosen gestört ist. Die überzeugende Evidenz für die Arbeitsgedächtnisses und Negativ-Symptome wie Apathie, Glutamat-Hypothese hat dazu geführt, dass die pharmazeuti- Interesseverlust, Emotionslosigkeit und Spracharmut mit ei- sche Industrie viel Geld investiert, um neue Antipsychotika zu ner Dopamin-Unterfunktion einhergehen. Die erweiterte Do- entwickeln, die am Glutamat-System wirken. Dazu gehören pamin-Hypothese [4] besagt, dass Schizophrenie einer kom- Glycin-Wiederaufnahme-Hemmer und die Gabe hoher Dosen plexen Dopamin-Dysregulation entspricht, die aus mindestens von D-Serin (Glycin und Serin sind Substrate am komplexen den folgenden Elementen besteht: einer Überfunktion des me- NMDA-Rezeptor). Es gibt erste Hinweise, dass diese Pharma- solimbischen Dopamin-Systems, die Wahn und Halluzinatio- kotherapien Negativ-Symptome reduzieren können. Die Be- nen fördert, sowie einer Unterfunktion des präfrontalen Dopa- funde sind bisher jedoch noch wenig konsistent und müssen min-Systems, die kognitive und negative Symptome zur Fol- in Folgestudien bestätigt werden. Das atypische Antipsychoti- ge hat. kum Lurasidon, das auch bei der bipolaren Störung eine gute Wirksamkeit zeigt, vermag die Wirkung einer experimentellen Aktuell besteht die verbreitete Ansicht, dass diese Dopamin- NMDA-Rezeptor-Blockade aufzuheben [7]. Dysregulation nur einen kleinen Teil der Pathophysiologie psychotischer Krankheiten ausmacht. Die relativ lange Wirk- Im Rahmen der Glutamat-Hypothese werden auch metabo- latenz von Antipsychotika weist auf einen eher indirekten trope Glutamat-Rezeptoren (mGluR) beforscht, die struktu- und komplexen Zusammenhang zwischen Dopamin und schi- rell und funktionell mit dem NMDA-Rezeptor in Verbindung zophrenen Symptomen hin. Dopamin ist mit vielen anderen stehen [8]. mGLuR2/3-Antagonisten und mGluR5-Agonisten Neurotransmitter-Systemen verknüpft, insbesondere mit den scheinen besonders vielversprechend zu sein. GABA-, Glutamat- und Serotonin-Systemen. In einer Serie von Studien untersuchte meine Forschungsab- Serotonin-Hypothese teilung den mGluR5 mittels Positronen-Emissionstomogra- phie bei verschiedenen psychiatrischen Krankheiten. Wir fan- Die Entdeckung, dass Clozapin, das vorwiegend am Sero- den, dass Rauchen zu einer markanten, globalen und anhal- tonin-System wirkt, bei therapierefraktären Schizophrenien tenden Herunterregulierung dieses Rezeptors führt [9]. Bei wirksam ist, hat zur Serotonin-Hypothese der Schizophrenie schizophrenen Patienten zeigte sich eine geschlechtsspezifi- maßgeblich beigetragen. Die Forschung zu LSD und anderen sche Interaktion zwischen Rauchen und Krankheit hinsicht- Halluzinogenen bestätigte, dass eine Stimulation von Seroto- lich mGluR5-Bindung [8]. Diese Befunde legen nahe, dass nin-Rezeptoren kognitive Dysfunktionen, sensorische Störun- Komorbiditäten und Gen-Umwelt-Interaktionen bei der Ent- gen und enthemmtes Verhalten verursachen kann. Auch bei wicklung neuer Antipsychotika stärker berücksichtigt werden Negativsymptomen wurde eine übermäßige Serotonin-Neu- sollten. rotransmission gefunden. Die Entwicklung atypischer Anti- psychotika basiert auf dieser Hypothese [5]. Die Substanzen Hirnentwicklungsstörung dieser Klasse wirken am 5-HT1A-Rezeptor, sind 5-HT2A- Antagonisten (fast alle Halluzinogene sind potente 5-HT2A- Es besteht große Einigkeit darüber, dass bei der Schizophrenie Agonisten) und Antagonisten an den 5-HT6- und 5-HT7-Re- ungünstige Gen-Umwelt-Interaktionen zu einer Hirnentwick- zeptoren. Antipsychotika wie Clozapin und Aripiprazol, die lungsstörung führen [10]. Das genetische Risiko zeigt Ähn- partielle Agonisten am 5-HT1A-Rezeptor sind, haben das Po- lichkeiten mit anderen Hirnentwicklungsstörungen wie Au- tential, die Neurogenese im Hippokampus und die Dopamin- tismus, Aufmerksamkeits-Defizit / Hyperaktivitäts-Syndrom Ausschüttung im präfrontalen Kortex zu stimulieren. und Epilepsie. Seltene Mutationen und seltene Veränderungen der Gen-Kopien-Zahl („copy number variation“), die oft neu Glutamat-Hypothese oder über wenige Generationen entstanden sind, spielen bei all diesen Krankheiten eine führende Rolle. Studien an iden- Phencyclidin (PCP) erzeugt viele Schizophrenie-ähnliche tischen Zwillingen, bei welchen einer an Schizophrenie er- Symptome: Wahrnehmungsstörungen, Sprach- und Koordi- krankte, der andere aber nicht, zeigen, dass die Hirnentwick- nationsstörungen, Störungen der Motorik, Halluzinationen lungsstörung, zum Beispiel gemessen als Vergrößerung der und Aggressivität. PCP ist ein Antagonist am glutamater- Hirnventrikel, nicht genetisch, sondern als Gen-Umwelt-In- gen N-Methyl-D-Aspartat- (NMDA-) Rezeptor. Ketamin, das teraktion zu verstehen ist (d.h. der gesunde Zwilling zeigt ty- ebenfalls dissoziative und Psychose-ähnliche Symptome ver- pischerweise eine normale Ventrikel-Größe). ursachen kann, ist auch ein NMDA-Rezeptor-Antagonist [6]. Die rasche Wirkung dieser Substanzen spricht für einen rela- Zu den wichtigsten Umweltfaktoren der Hirnentwicklungs- tiv direkten Zusammenhang zwischen dem NMDA-Rezeptor störung gehören ein relativ alter Vater (> 45 Jahre), Geburts- und schizophrenen Symptomen. komplikationen, Mangelernährung, Kopfverletzungen, Infek- tionen, autoimmunologische Störungen, Cannabis-Konsum, Zentral für die Glutamat-Hypothese sind eine Vielzahl ge- Rauchen und psychosoziale Belastungen. Diese Umweltfak- netischer Studien, die konsistent zeigen, dass dieser Rezep- toren wirken vermutlich in kritischen Perioden, zum Beispiel tor und Proteine, die mit ihm assoziiert sind, ursächlich an pränatal und während der Pubertät – also in Entwicklungsab- der Pathogenese der Schizophrenie beteiligt sind (geneti- schnitten, in welchen sich das Hirn stark verändert. Die Um- J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2017; 18 (2) 61
Neurobiologie der Schizophrenie weltfaktoren interagieren nicht nur mit den Genen, sondern die entscheidend dazu beiträgt, diese Interaktionen besser zu auch über die Zeit. Frühe gesundheitliche Belastungen bedin- verstehen [14]. Epigenetik befasst sich mit der Regulation der gen vermutlich die Überempfindlichkeit auf Belastungen, die Genexpression. Diese ist komplex und findet auf mehreren später im Leben auftreten. Ebenen statt. Die Methylierung von Gen-Promotoren, die Mo- difikation von Histonen, welche die dreidimensionale Chro- Trotz Hunderter von Studien ist es bis jetzt nicht gelungen, matin-Struktur beeinflussen, Promoter-Enhancer-Loops und die Neuropathologie der Schizophrenie präzise zu beschrei- Mikro-RNA gehören zu den bekannten Mechanismen dieser ben [11]. Die Abnahme grauer Substanz ist einer der verläss- Regulation. Kodierende und nicht-kodierende DNA, das Al- lichsten Befunde, wobei diese in ganz unterschiedlichen Hirn- ter, der Zufall und Umwelteinflüsse sind die wichtigsten Ein- regionen auftreten kann. Die Abnahme des präfrontalen Kor- flussfaktoren der Epigenetik. tex wurde mit kognitiven Störungen in Verbindung gebracht. Die Abnahme im Temporallappen nimmt mit der Krankheits- Untersuchungen bei der Schizophrenie konzentrierten sich dauer zu und ist möglicherweise durch die antipsychotische zum größten Teil auf die Methylierung von Kandidatenge- Therapie mitbedingt. Zudem wurden in den Basalganglien nen wie COMT, REELIN, BDNF und GAD67, die relativ ein- Volumenveränderungen festgestellt. Funktionelle Hirnunter- fach messbar ist. Einige wenige Studien beschäftigten sich suchungen weisen auf eine gestörte Konnektivität hin, wobei mit Histon-Modifikationen in der Nähe der Promotoren dieser es bis jetzt nicht möglich war, diese eindeutig zu lokalisieren. Gene. Um die vorläufigen Befunde dieser Studien zu bestä- Neben der strukturellen und funktionellen Neuroanatomie gibt tigen, braucht es Epigenom-weite Untersuchungen. Obwohl auch die Histopathologie Rätsel auf. Es gibt zunehmend Hin- viele epigenetische Marker spezifisch für einzelne Zelltypen weise, dass nicht nur Neurone und die synaptische Plastizi- sind (sie steuern ja die Zelltypen-Differenzierung), scheint tät, sondern auch Glia-Zellen und ihre immunologische Funk- es doch eine große Übereinstimmung epigenetischer Marker tion eine wichtige Rolle im Krankheitsprozess spielen. Dass zwischen den Zelltypen zu geben, so dass epigenetische Un- es bis jetzt nicht möglich war, bestimmte Hirnregionen oder tersuchungen an weißen Blutzellen für die psychiatrische For- spezifische histopathologische Marker für die Schizophrenie schung vertretbar sind. zu identifizieren, hat vermutlich mit der großen ätiologischen und klinischen Heterogenität der Krankheit zu tun. Ein illustratives Beispiel zum enormen Potential epigene- tischer Forschung liefern die Befunde zur Regulation von Die Wirkung von Antipsychotika ist bei einer Vergrößerung GAD67, das bis zu 80 % der Hirn-GABA synthetisiert [15]. der Hirnentwicklung im Durchschnitt reduziert. Ferner ist es Die epigenetische Regulation von GAD67 ist während der unklar, ob die antipsychotische Therapie die Hirnentwick- Hirnentwicklung, aber auch später im Leben hochdynamisch, lungsstörung positiv beeinflussen kann. Dies spricht dafür, was die GAD67-Experession anfällig für Umweltfaktoren dass die aktuell verfügbaren Therapien eher einer Symptom- macht. GAD67 ist im Groß- und Kleinhirn schizophrener Pa- reduktion entsprechen und nicht oder nur ungenügend in den tienten herunterreguliert, was zur Störung der Synchronisie- primären Krankheitsprozess eingreifen. Die Fortschritte in rung neuronaler Netzwerke beiträgt und das Risiko der Gluta- der Früherkennung der Krankheit eröffnen die Möglichkeit, mat-Toxizität (und des entsprechenden Verlusts von Nerven- diesen Prozess relativ früh günstig zu beeinflussen. Aus die- gewebe) erhöht. Eine bestimmte Variation (Haplotyp) im sen Gründen werden aktuell große Anstrengungen unternom- nicht-kodierenden Genom in der Nähe des Gens, die mit Ver- men, antipsychotische Therapien zu entwickeln, welche neu- lust von grauer Substanz und Dysregulation von Dopamin und roprotektiv sind. Es gibt erste Hinweise, dass hohe Dosen von GABA assoziiert ist, führt zu lokalen, aber auch genomweiten Omega-3-Fettsäure die Gehirnentwicklung positiv beeinflus- Veränderungen der Chromatin-Struktur. Dieses Beispiel zeigt sen (z. B. Steigerung des Glutathion-Gehalts) und eine anti- auf, wie nicht-kodierende DNA lokal und auch über große Di- psychotische Wirkung haben [12]. Laufende, groß angelegte stanzen die Gen-Expression verändert und so den Einfluss ei- Studien bei Frühformen der Schizophrenie werden unser Wis- ner Reihe von Umweltfaktoren mitbestimmt. sen über diese viel versprechende präventive und praktikable Option maßgeblich verbessern. Aus Tier-Studien ist bekannt, dass eine ungenügende mütter- liche Pflege die GAD67-Expression im Hippokampus senkt, Die neuroprotektive Wirkung von Lithium ist schon lange be- und zwar vermittelt durch Histon-Deacetylierung. Rauchen, kannt und es gibt erste Hinweise, dass niedrig dosiertes Li- ein Risikofaktor für die Schizophrenie, führt zur Verände- thium bei der indizierten Prävention eine Rolle spielen könn- rungen der Methylierung des GAD67-Promoters, welche die te [13]. Schließlich gibt es Anhaltspunkte, dass entzündungs- GAD67-Experession direkt beeinflusst. Ferner beeinflussen hemmende Substanzen wie Salicylsäure, nicht-steroidale An- Zytokine und eine übermäßige Aktivierung des Immunsys- tirheumatika und Antioxidantien wie N-Acetylcystein sowohl tems die epigenetische Kontrolle der GAD67-Expression. neuroprotektiv wie auch antipsychotisch wirken. Diese Befunde zeigen einerseits, dass die epigenetische For- Epigenetik schung Methoden zur Verfügung stellt, die es ermöglichen, Gen-Umwelt- und Umwelt-Umwelt-Interaktionen über die Obwohl seit Jahrzehnten allgemein anerkannt ist, dass Gen- Zeit auf molekularer Ebene zu verstehen. Andererseits sind Umwelt-Interaktionen über die Zeit bei der Schizophrenie und die Befunde Grund zur Hoffnung hinsichtlich neuer Therapie- anderen psychiatrischen Krankheiten maßgebend sind, blie- optionen, weil es bereits jetzt möglich ist, die epigenetische ben die neurobiologischen Mechanismen dieser Interaktionen Regulation pharmakologisch zu beeinflussen. Histon-Deace- im Dunkeln. Epigenetik ist eine relativ junge Wissenschaft, tylase-Hemmer (HDACi), wie zum Beispiel die Valproinsäu- 62 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2017; 18 (2)
Neurobiologie der Schizophrenie re, können die Expression von GAD67 und anderen Genen Im Bereich der strukturellen und funktionellen Bildgebung steigern. Clozapin scheint eine direkte Wirkung auf die Me- und des EEGs besteht Hoffnung, dass komplexe Netzwerk- thylierung des GAD67-Promoters zu haben. analysen es erlauben, die weit verbreiteten und heterogenen Konnektivitätsstörungen bei der Schizophrenie zu beschrei- Die Erhellung der epigenetischen Basis der Schizophrenie ben. Methoden des Maschinenlernens werden helfen, Indivi- wird es ermöglichen, diese Substanzen gezielt einzusetzen duum-spezifische Imaging-Biomarker zu identifizieren, die und neue epigenetisch wirksame Medikamente zu entwickeln. von diagnostischem Nutzen sind. Trotz intensiver Forschung Meine Forschungsgruppe an der Universität untersucht aktuell gibt es bis jetzt keinen Biomarker, der hilft, Therapieentschei- in Zusammenarbeit mit der Icahn School of Medicine in New dungen bei der Schizophrenie zu verbessern. York die Regulation der GABA-Konzentration mittels Ge- nom- und Epigenom-weiten Untersuchungen beim Menschen. Schlussfolgerungen Biomarker Unser Wissen über die Neurobiologie der Schizophrenie hat in den letzten Jahren enorm zugenommen. Bis jetzt haben lei- Die syndromale Diagnostik der Schizophrenie, die nicht der die neuen Erkenntnisse noch keinen Durchbruch bei der auf Pathophysiologie und Genetik beruht, ist vermutlich der Behandlung zur Folge gehabt. Laufende Studien zu gluta- Hauptgrund, weshalb sich die Entwicklung neuer Therapien matergen Substanzen und Nahrungsergänzungen sind viel- als schwierig erweist. Die aktuelle Diagnostik ist zugleich zu versprechend. Die zunehmende Einsicht, dass Schizophrenien breit und zu eng. Sie schließt so unterschiedliche Symptome genetisch, epigenetisch, biologisch und klinisch heterogen wie Apathie, Sinnes-, Denk- und Gedächtnisstörungen in eine sind, ist zentral und weist darauf hin, dass die Verbesserung Krankheit zusammen, womit sie pathophysiologisch eine zu der Diagnostik mittels Biomarker entscheidend sein könnte, geringe Spezifität aufweist. Andererseits beinhaltet sie Symp- um neue wirksamere Therapien zu entwickeln. Da die Schizo- tome wie Apathie und kognitive Störungen, die auch bei ei- phrenie eine Hirnentwicklungsstörung ist, sind Verbesserun- ner Reihe anderer psychiatrischer Krankheiten wie der bipola- gen bei der Risikovermeidung, der Früherkennung und der in- ren Störung, der Depression und dem Aufmerksamkeits-Defi- dizierten Prävention besonders erfolgversprechend. zit / Hyperaktivitäts-Syndrom vorkommen. Damit ist sie über- mäßig spezifisch. Der Versuch, die Schizophrenie in klinische Subtypen einzuteilen, die ein spezifisches Risikoprofil aufwei- Relevanz für die Praxis sen, ist wiederholt gescheitert. Deshalb hat man diese Sub- Alle verfügbaren antipsychotischen Medikamente blo- typen aus dem DSM-5 gestrichen. Ferner leiden bis zu 8 % ckieren den Dopamin-D2-Rezeptor. Sie sind erfreulich der Bevölkerung an psychotischen Symptomen wie paranoi- wirksam in der Behandlung positiver Symptome bei der den Überzeugungen und akustischen Halluzinationen, was da- Schizophrenie. Bei kognitiven und negativen Sympto- rauf hinweist, dass die Abgrenzung zwischen krank und ge- men fehlen uns entsprechende Behandlungsoptionen. Das sund eine ungelöste Herausforderung ist. Glutamat-System ist ein attraktiver Angriffspunkt für die Entwicklung neuer antipsychotischer Substanzen. Solche Jüngste Befunde aus der genetischen Forschung legen nahe, Substanzen haben das Potential, wirksamer als herkömm- dass es ein weiter Weg zur genetischen Diagnose der Schizo- liche Substanzen bei negativen und kognitiven Sympto- phrenie sein wird. Viele ursächliche, genetische Faktoren ent- men zu sein. Klinische Studien zu glutamatergen Substan- sprechen neuen Mutationen, die spezifisch für ein Individuum zen waren leider bis jetzt durchwegs negativ. Dies weist oder eine Familie sind [16]. Der Effekt bekannter genetischer daraufhin, dass die Entdeckung von Biomarkern eine sehr Varianten ist derart gering, dass man vom Zusammenwirken hohe Priorität in der psychiatrischen Forschung haben von über 20.000 verschiedenen Polymorphismen ausgehen sollte. Die Abstimmung von Therapien auf spezifische muss. Ob es möglich sein wird, mittels komplexer genetischer Krankheitsprozesse – sprich Präzisionsmedizin – wird Risiko-Scores das Schizophrenie-Risiko verlässlich voraus- in der Psychiatrie und Psychotherapie der Zukunft eine zusagen, ist unklar, zumal die meisten bekannten genetischen wichtige Rolle spielen. Risikofaktoren für die Schizophrenie unspezifisch sind [17]. Große Hoffnung wird in die Entdeckung von Biomarkern ge- Interessenkonflikt setzt, welche in Zusammenhang mit wesentlichen Krankheits- prozessen stehen und den Verlauf sowie das Ansprechen auf Es besteht kein Interessenkonflikt. Behandlungen voraussagen können. Weil es nicht möglich ist, Hirngewebe bei Patienten zu untersuchen, fokussiert die Forschung auf biologische Messungen im Blut. Entsprechend Literatur: der bekannten Neurobiologie der Krankheit sind Moleküle im 1. Laursen TM, Munk-Olsen T, Vestergaard M. 4. Berridge KC. 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