NICARAGUA ZEITUNG - Nicaragua Verein Hamburg eV

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NICARAGUA ZEITUNG - Nicaragua Verein Hamburg eV
NICARAGUA
ZEITUNG
März 2008

                          UN-Ziele – Migration
                          und Entwicklungspolitik
                          Die Ursachen der ständig wachsenden           kriminalisiert. Es gilt, den Kampf gegen
                          Migrationsströme auf der Welt und             die kalkulierte Verarmung ganzer Gesell-
                          besonders deren unterschiedliche As-          schaften aufzunehmen und sich gegen die
                          pekte sind vielfältig und verwirrend.         systematische Vorenthaltung individueller
                          Wir befassen uns schwerpunktmässig            Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten ein-
                          mit den ArbeitsmigrantInnen, die ihre         zusetzen.
                          Heimat verlassen müssen, um in den            Vor gut sieben Jahren wurden die ent-
                          reichen Staaten Arbeit zu finden.             wicklungspolitischen Millenniumsziele der
                                                                        Vereinten Nationen bis zum Jahr 2015
                          "Sich in einem anderen Land niederzulas-      verabschiedet. Als entwicklungspolitisch
                          sen" ist für die Menschen der Industrielän-   arbeitender Verein sind wir an ihrer Umset-
                          der oftmals nur eine - mehr oder weniger      zung interessiert.
                          komplizierte - formale Sache. Für Men-
                          schen aus Entwicklungsländern bedeutet        In unterschiedlichen Beiträgen versuchen
                          es dagegen, angesichts der brutalen Ab-       wir, eine erste Bilanz des weltumspannen-
                          schottung der Einreiseländer, eine Reise      den Vorhabens zu ziehen. Der erste Arti-
                          ins Ungewisse und den Kampf ums Über-         kel präsentiert ein niederschmetterndes
                          leben. Es werden kaum Pläne gemacht;          Zwischenergebnis. Seit Jahren wird in der
                          meistens beschränken sich die vagen Zie-      staatlichen Entwicklungspolitik darüber
                          le darauf, irgendwo unterzukommen, Ar-        debattiert, welchen Nutzen die Überwei-
                          beit zu finden und Papiere zu bekommen.       sungen (im spanischen Sprachraum ‚re-
                          Rassismus und Integrationsversessenheit       mesas’) der MigrantInnen in ihre Heimat-
                          in unserer Gesellschaft machen aber das       länder haben. In einem Artikel geht es um
                          Leben hier nicht gerade angenehm. Und         die immensen Auswirkungen der Remesas
                          es bleibt in jedem Fall für Menschen ohne     auf die Menschen, die sie erarbeiten, auf
                          Aufenthaltsstatus ein Leben ohne Sicher-      diejenigen, die sie erhalten, auf Heimatge-
                          heiten. Mittlerweile sind Menschen im Zeit-   meinden und Heimatländer sowie um Ein-
                          alter des globalisierten Kapitalismus zu      fluss und Begehrlichkeiten der Politik. Ein
                          einem der wichtigsten "Exportgüter" (die-     weiterer Beitrag hinterfragt, was Migration
                          ses Unwort wird tatsächlich oft gebraucht)    mit Entwicklungspolitik zu tun hat.
Nicaragua                 geworden. Egal ob als ungelernte Hilfsar-
                          beiterInnen oder als AkademikerInnen, Zu-     Außerdem stellen wir das umfangreiche
Verein                    wanderung wird nicht (nur) durch Staaten
                          reguliert, sondern durch die Interessen des
                                                                        und vielseitige Programm der diesjährigen
                                                                        Romero-Tage vom 24. März bis zum 20.

Hamburg
                          Arbeitsmarktes und der Preispolitik. Durch    April vor. Und in "Ortegas zweiter Versuch"
                          die globalisierte Wirtschaft wird Migration   ist Neues und Interessantes aus Nicara-
                          hervorgerufen, kontrolliert, begünstigt und   gua zu erfahren.

                          Spendenkonto:
                          Nicaragua Verein Hamburg e.V.
                          Postbank Hamburg BLZ: 200 100 20 Kontonr.: 51137-205
www.nicaragua-verein.de
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Zwischenbilanz der UN-Entwicklungsziele
Auf dem Millenniumsgipfel der Ver-          Staaten sind die Menschen heute ärmer        liefen sich die Kosten für Militärausgaben
einten Nationen im September 2000           und in 25 Staaten leiden mehr Menschen       der reichen Länder auf 616 Mrd. Dollar,
wurden von den führenden Industrie­         Hunger als damals. Insbesondere in Sub-      weltweite Werbeausgaben auf 446 Mrd.
nationen acht Millenniumsziele für          sahara-Afrika können wichtige Millenni-      Dollar, Agrarsubventionen der reichen
die Entwicklung vereinbart:                 umsziele, wie die universelle Beschulung     Länder betrugen 245 Mrd. Dollar. Die
                                            im Bereich der Primarschulbildung und        jährlichen Kosten des Irakkriegs belie-
• Die Zahl der Menschen, die hungern        die Senkung der Kindersterblichkeit um       fen sich für die USA auf 180 Mrd. Dol-
  oder von weniger als einem Dollar pro     zwei Drittel, bei Beibehaltung des aktuel-   lar und weltweite Ausgaben für Parfüm
  Tag leben, soll bis zum Jahr 2015 hal-    len Tempos erst in etwa 100-120 Jahren       und Kosmetik betrugen 33 Mrd. Dollar.
  biert werden.                                                                          Das Entwicklungshilfebudget der USA
• Alle Kinder sollen bis 2015 eine                                                       des Jahres 2003 betrug 16 Mrd. Dollar,
  Grundschulausbildung erhalten, insbe­                                                  während die erforderliche Summe, um in
  sondere soll die Benachteiligung der                                                   Afrika die Millenniumsziele bis zum Jahr
  Mädchen bei der Schulbildung bis                                                       2015 zu erreichen, 25 Mrd. Dollar um-
  2005 und in allen anderen Bildungsbe-                                                  fasst.
  reichen bis 2015 beseitigt werden.                                                     Einer der größten Kritikpunkte an den
• Die Gleichstellung und der größere                                                     Millenniumszielen ist, dass sie den be-
  Einfluss der Frauen soll gefördert wer-                                                troffenen Ländern keine Wahl lassen,
  den.                                                                                   welche Maßnahmen sie zu ergreifen
• Die Sterblichkeit von Kindern unter                                                    haben, sondern ihnen ökonomische
  fünf Jahren soll bis 2015 um zwei Drit-                                                Maßnahmen aufzwingen, die überall
  tel fallen.                                                                            dort, wo sie gewissenhaft als Mittel zur
• Die Sterblichkeitsrate bei Müttern soll                                                Armutsbekämpfung umgesetzt wurden,
  bis 2015 um drei Viertel fallen.                                                       gescheitert sind. Aus diesem Blickwinkel
• Die Ausbreitung von HIV/Aids, Malaria                                                  sind die Millenniumsziele Teil der neolibe-
  und anderen Krankheiten soll gestoppt                                                  ralen Versuche, die Ökonomien für die
  oder eingedämmt werden.                                                                transnationalen Unternehmen und das
• Die ökologische Nachhaltigkeit soll                                                    internationale Kapital zu öffnen. Neben
  gesichert werden.                         erreicht werden. Bei drei weiteren Zielen    ihrem spektakulären Scheitern ist bei
• Eine globale Partnerschaft für Entwick-   – Hunger, Armut und Trinkwasserver-          den Millenniumszielen die Vorspiegelung
  lung soll aufgebaut werden.               sorgung – lässt sich noch kein Datum         falscher Tatsachen zu konstatieren: Sie
Die Zwischenbilanz nach dem Bericht         festlegen, denn die Lage in der Region       können, was von Anfang an klar war, gar
des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP)         verbessert sich nicht nur nicht, sondern     nicht erreicht werden, denn sie stellen
aus dem Jahr 2004 ist enttäuschend:         sie verschlechtert sich.                     die heutigen ökonomischen Rahmenbe-
Unabhängig vom regionalen Durchschnitt      Für sich sprechend ist in diesem Zusam-      dingungen, die sie erst nötig gemacht
sind tragische Rückschritte in zahlrei-     menhang ein Blick auf die Milliardensum-     haben, in keiner Weise in Frage. (Quelle:
chen Ländern zu beobachten. In 46           men für Großbudgets: Im Jahr 2003 be-        Atlas der Globalisierung 2006)
                                                                                                                       Uta Wellmann

Migration in der Entwicklungspolitik:
Problem oder Chance?
Die ständig wachsende Migration             ganisationen, die auf staatliche/offizi-     sammenhang in den ersten Jahren nach
von Menschen aus dem Süden in               elle Fördermittel angewiesen sind. Die       Verabschiedung der MDG aber immer so
den Norden wurde lange Zeit nur als         Milleniumsziele wurden im Jahr 2000          hergestellt: Die durch Verwirklichen der
problematisch für die Entwicklung           auf Grundlage einer breiten Zustimmung       Millenniumsziele herbeigeführte Entwick-
der Herkunftsländer gesehen. Seit           von der Vollversammlung der Vereinten        lung soll „die Ursachen der Migration
einigen Jahren finden aber auch             Nationen verabschiedet und definieren        bekämpfen und den Menschen Perspek-
Ideen in die entwicklungspolitische         konkrete Entwicklungsziele und zugehö-       tiven in ihrer Heimat eröffnen“. Migration
Debatte Eingang, die hierin eine            rige Indikatoren, die den Fortschritt bei    wurde vor allem als negative Folge der
Chance sehen. KritikerInnen hin-            der Erreichung dieser Ziele messbar ma-      fehlenden Entwicklung und zugleich als
gegen sehen darin eine Vereinnah-           chen sollen.                                 Hemmnis für die weitere Entwicklung ge-
mung der Migration durch die Ent-                                                        sehen. Als Hemmnis vor allem durch das
wicklungspolitik.                           Die ständig zunehmende weltweite Mi-         Abwandern von „Humankapital” aus dem
                                            gration aus wirtschaftlich schwachen         „Süden” in den „Norden” (ausgebildete
Ohne Zweifel stellen die entwicklungspo-    Ländern in die Industrienationen sowie       Arbeitskräfte und Kenntnisse vor allem
litischen Millenniumsziele der UN (Mille-   innerhalb der Länder selbst, vom Land in     im Gesundheits- und Bildungsbereich),
nium Development Goals/MDG) zur Zeit        die Städte, wird in den Millenniumszielen    Landflucht und Verwaisung ländlicher
die Grundlage jeder Art von offizieller     nicht direkt thematisiert. Aus Sicht der     Gebiete innerhalb der ärmeren Länder,
Entwicklungstätigkeit dar, eingeschlos-     Industrieländer und der von ihnen betrie-    Auflösung von sozialen Strukturen und
sen die Arbeit vieler Nichtregierungsor-    benen Entwicklungshilfe wurde der Zu-        wachsende Hoffnungslosigkeit. In den

Nicaragua-Zeitung März 2008 Seite 2
NICARAGUA ZEITUNG - Nicaragua Verein Hamburg eV
Zielländern wurde Migration einerseits
als Bedrohung für Sicherheit und Wohl-
stand aufgefasst, andererseits aber
auch die Einwanderung ‚auserwählter’
MigrantInnen als Ausgleich der eigenen
vergreisenden Gesellschaft und Stüt-
zung der sozialen Sicherungssysteme
begrüßt.

Eine ganz neue Sicht auf das Verhältnis
von Migration und Entwicklung eröffnete
vor allem die ständig wachsende wirt-
schaftliche Bedeutung der sogenannten
Rücküberweisungen der MigrantInnen
an ihre Angehörigen in den Herkunfts-
ländern. Die Summe der Rücküberwei-
sungen übersteigt mittlerweile die auf-
gewandten Mittel der offiziellen Entwick-
lungshilfe um ein Vielfaches. In vielen
Herkunftsländern stellen die Rücküber-
weisungen die bedeutendste Devisen-
quelle dar.
Darüber hinaus versuchten in den letzten
fünf Jahren verschiedene internationale
Organisationen, darunter die Internatio-
nale Arbeitsorganisation (ILO) und die
Internationale Organisation für Migration,
die positiven Möglichkeiten der Migra-                                                                     Arbeitsbeginn in der Màquila
tion für Entwicklung und damit für das
Erreichen der Millenniumsziele auch in       • Umkehren des „Brain Drain” (Abwan-           men oft zu Wucherpreisen oder über
anderen Bereichen in umfassender Wei-          derung von Wissenschaftlern) in einen        informelle Kanäle, häufig mit dem Risi-
se auszuloten.                                 „Brain Gain” (Gewinn an Wissen und           ko des Totalverlusts, abgewickelt.
                                               Fachkräften). Der Fluss von Qualifi-       • Minderung des Risikos für MigrantIn-
Die in diesem Zusammenhang entstehen­          kationen und Know-how zurück in die          nen. Die Ärmsten unter den MigrantIn-
den Konzepte sehen die Aufgabe von             Herkunftsländer ist zu fördern. Neues        nen sind dem Risiko des Menschenhan-
Herkunfts- und Empfängerländern darin,         Wissen, Technologien, Kontakte sol-          dels, der ökonomischen und sexuellen
die Migration zum Vorteil beider Seiten        len von emigrierten Fachkräften durch        Ausbeutung am meisten ausgesetzt.
auszugestalten. MigrantInnen erschei-          Vermittlung transnationaler Netzwerke        Der Mangel an legalen Migrationsmög-
nen hierbei als mögliche AgentInnen der        der Entwicklung in den Ursprungslän-         lichkeiten bzw. die Kriminalisierung von
Entwicklung, die in vielfältiger Weise die     dern zugute kommen, im besten Fall           Migration erhöht dieses Risiko wesent-
ökonomische und auch soziale Entwick-          werden zurückgekehrte MigrantInnen           lich. Gefordert ist die Schaffung von
lung im Herkunftsland fördern könnten:         schließlich als Multiplikatoren ihrer im     Möglichkeiten für die legale Migration
Durch Investitionen und Rücküberwei-           Ausland hinzuerworbenen Fähigkeiten          nicht qualifizierter Menschen. Hierfür
sungen, Transfer von Fähigkeiten und           tätig. Das Studium im Ausland ist zu         sind gezielte und umfassende Program­
Kenntnissen, unternehmerische Tätig-           fördern und Anreize für die Rückkehr         me unter Einbeziehung von Herkunfts-
keit, Förderung von Demokratisierung           der AbsolventInnen sind zu schaffen.         und Empfängerländern notwendig.
und Menschenrechten.                           Auf der anderen Seite ist das Abwer-       • Förderung von Rückkehr und Rein-
                                               ben von Fachkräften ins Ausland              tegration. In RückkehrerInnen liegt
Von Seiten der Iinternationalen Mi-            besonders im Gesundheits- und Bil-           besonderes Potenzial für die Entwick-
grations-Organisationen wurden bei-            dungssektor zu regulieren.                   lung: Sie können Kenntnisse, Berufs-
spielsweise folgende Perspektiven            • Bildung und Förderung transnationa-          erfahrung, Kontakte oder Kapital ins
aufgezeigt und darauf abzielende               ler Netzwerke. Sie nehmen die ent-           Land bringen. Ein aktives Einbinden
Politikaufgaben formuliert:                    scheidende Mittlerrolle zwischen den         der RückkehrerInnen nicht nur in den
• Integration der Migration in die Ent-        MigrantInnen und ihren Herkunftslän-         Privatsektor, sondern auch in öffent-
  wicklungspolitik und Armutsbekämp-           dern ein und ermöglichen den effizien-       liche Institutionen soll dafür sorgen,
  fung. Migration soll in geordnetere          ten Transfer z.B. von Wissen, Kontak-        dass der maximale Nutzen aus ihrem
  Bahnen gelenkt, produktiver und von          ten oder Geldmitteln.                        „Sozial- und Humankapital” gewonnen
  größerem Nutzen für alle ausgestal-        • Maximierung des Nutzens der Rück-            wird. Die Regierungen der Herkunfts-
  tet werden. Hierzu sind nationale,           überweisungen für die Entwicklung.           länder könnten hierfür Anreize wie
  regionale und multilaterale Rahmenab-        Dies bedeutet zunächst einmal die            Steuererleichterungen,       Startkapital
  kommen zu treffen, die einen Interes-        Schaffung von einfachen, kostengün-          oder Bürgerrechte für Familienmitglie-
  sensausgleich aller beteiligten Länder       stigen und sicheren Möglichkeiten            der schaffen. Angemerkt wird dabei
  ermöglichen sollen. Migration ist dort       des Geldtransfers. Da Banktransfers          jedoch, dass solche Ziele schwierig zu
  zu fördern, wo sie am effizientesten         umständlich und langwierig sind und          verwirklichen sind, wenn die ökonomi-
  die Armut bekämpft, und zugleich ist         zudem gerade die Armutsbevölkerung           schen bzw. politischen Lebensbedin-
  für den Schutz gerade der ärmsten            davon ausgeschlossen ist, wird der           gungen im Herkunftsland nicht attrak-
  MigrantInnen vor Missbrauch und Aus-         Geldtransfer gegenwärtig hauptsäch-          tiv genug sind.
  beutung zu sorgen.                           lich über spezialisierte Privatunterneh-

                                                                                                   Nicaragua-Zeitung März 2008 Seite 3
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Es liegt auf der Hand, dass diese Vision   schritt hinsichtlich des wichtigsten und      Ungeachtet solcher Vereinnahmungsver-
einer entwicklungsförderlichen Migration   ersten Millenniumsziels , der Beseitigung     suche bleibt aber die Tatsache bestehen:
zum Wohle aller mit der gegenwärtig        der extremen Armut und des Hungers,           Migration findet hier und jetzt statt, sie
herrschenden Realität wenig gemein hat     erreicht wird. Vollkommen unzulässig wä-      wächst weiter und daran wird sich wohl
– einmal abgesehen von dem allerdings      re es, wenn sich die internationale Ent-      auch in absehbarer Zeit nichts ändern.
bedeutenden Effekt der Rücküberwei-        wicklungspolitik nur diesen positiven Ef-     Aus diesem Grund ist eine konstrukti-
sungen. Zu Recht wird kritisiert, dass     fekt der Migration zugute hielte, ohne die    ve Auseinandersetzung darüber gefor-
hier die Gefahr der Vereinnahmung des      Schattenseiten der Migration umfassend        dert, anstatt sich etwa mit dem Hinweis
Phänomens Migration durch die interna-     und wirksam zu bekämpfen. Arbeitsmi-          zu begnügen, dass mit den Ursachen
tionalen Entwicklungsagenturen besteht,    gration ist in den allermeisten Fällen eine   der Migration dann auch die Migration
wie Martina Backes in einem Beitrag        Strategie, die der MigrantIn bzw. ihrer       schon von selbst verschwinden werde.
der Zeitschrift iz3w vom März/April        Familie das Überleben in einer Situation,     Entscheidend wird dabei sein, wie sich
2007 darstellt. Diese Agenturen konn-      die keine anderen Perspektiven mehr bie-      Konzepte finden und umsetzen lassen,
ten bislang wahrhaftig nicht häufig mit    tet, ermöglichen soll. Das Risiko und die     welche die Situation der MigrantInnen
durchschlagenden Erfolgen aufwarten,       Kosten tragen die MigrantInnen selbst,        verbessern und zugleich positive Sei-
weshalb auch - und gerade ihnen - sehr     die gescheiterten Migrationsversuche          teneffekte auf die Entwicklung im Her-
gelegen kommen dürfte, dass durch die      werden nicht etwa gegen die Rücküber-         kunftsland haben.
Rücküberweisungen ein messbarer Fort-      weisungen gerechnet.                                                  Alexander Laarmann

Länder am Geldtropf der ArbeitsmigrantInnen
Remesas - Rücküberweisungen aus dem Ausland – sichern Millionen Familien das
Überleben und stützen die nationalen Ökonomien

Abermillionen Menschen in Latein-          Wenn soviel Geld der kleinen Leute von
amerika und in anderen Gegenden            Nord nach Süd transferiert wird, dann
unseres Planeten können nur des-           weckt das Begehrlichkeiten. Dann lässt
halb überleben, weil Familienan-           das auch die Weltbank nicht ruhen! Sie
gehörige als Arbeitsmigranten und          hat in den Dollars der Armen ein „Ent-
Arbeitsmigrantinnen in den reichen         wicklungspotential“ entdeckt , das sie
Staaten unter oft widrigsten Bedin-        – wie manche Heimatländer der Arbeits-
gungen schuften und das verdiente          migrantInnen auch – für die nationalen
Geld regelmäßig an ihre Familien           Wirtschaften nutzen möchte. So eine Art
zu Hause senden. Diese Geldüber-           Entwicklungshilfe von Unten also, von
weisungen (spanisch: remesas) be-          den eigenen Landsleuten.
trugen laut Weltbank 2006 weltweit
199 Milliarden Dollar – eine Verdop-       Der „Export von Arbeitskraft“, eine neue
pelung binnen fünf Jahren! Davon           Wortschöpfung der Globalisierung, hat
erhielten die Menschen in Latein-          im Laufe der Jahre ein ungeheures Aus-
amerika und der Karibik 53 Milli-          maß angenommen. Einige Zahlen ver-
arden Dollar. Aktuelle Schätzungen         deutlichen dies. So hat in Nicaragua,
für 2007 nennen für Lateinamerika          dem zweitärmsten Land auf dem ameri-
inzwischen einen Betrag von 70 Mil-        kanischen Kontinent, fast ein Viertel der
liarden Dollar an Remesas.                 arbeitsfähigen Bevölkerung die Heimat
                                           verlassen, vor allem in Richtung USA und
Diese immensen Geldtransfers (in jeweils   Costa Rica. Über dreizehn Prozent der
kleinen Summen von 150, 200, 300           6,8 Millionen Honduraner leben der Ar-        hält jetzt fast ein Fünftel der Gesamtbe-
oder auch 400 Dollar monatlich) sind für   beit wegen im Ausland. Schätzungswei-         völkerung regelmäßige Überweisungen
die Empfänger-Familien zunächst einmal     se zehn Millionen Mexikaner haben ihre        aus dem Ausland, die inzwischen die
im Wortsinn ein Überlebensmittel. Dar-     Angehörigen auf der Suche nach Brot-          – nach dem Erdöl – zweitwichtigste Ein-
über hinaus sind sie oft auch die einzi-   erwerb in Richtung USA verlassen und          nahmequelle des Landes darstellen. Die
ge Chance auf Teilhabe der Kinder und      jährlich kommen ( trotz der verschärften      Untersuchung einer mexikanischen Uni-
Jugendlichen an schulischen und beruf-     Grenzkontrollen) etwa 500.000 hinzu.          versität hat ergeben, dass die Armut in
licher Bildung und der Familienangehö-     Aus dem kleinen El Salvador versuchen         Mexiko um weitere 30 Prozent steigen
rigen an einer basismedizinischen Ver-     mindestens eine Million Menschen, in den      würde, wenn die regelmäßigen Remesas
sorgung. Die Remesas wirken aber weit      USA – meist illegal – für sich und ihre An-   ausblieben.
über den familiären Rahmen hinaus. So      gehörigen daheim Geld zu verdienen.           Wie Mexiko hängen auch zahlreiche an-
manche nationale Ökonomie steht und                                                      dere lateinamerikanische Länder wirt-
fällt mit dem Export von Arbeitskraft.     Immer mehr Familien sind auf die Re-          schaftlich am Geldtropf ihrer Arbeitsmi-
So manche staatliche Wirtschaft eines      mesas ihrer Angehörigen angewiesen,           grantInnen. El Salvador beispielsweise ist
Landes der sogenannten „Dritten Welt”      vor allem eine Folge der gnadenlosen          mit einem Rücküberweisungsanteil von
wäre ohne die Geldüberweisungen ihrer      wirt­schaftlichen Liberalisierung und Glo-    16 Prozent am Bruttoinlandprodukt (BIP)
im Ausland schaffenden und schuftenden     balisierung und der dadurch unentwegt         eines der Länder, in denen die Geldtrans-
BürgerInnen zusammen gebrochen, wie        weiter auseinander klaffenden Schere          fers volkswirtschaftlich am bedeutesten
Volkswirtschaftler erklären.               zwi­schen Arm und Reich. In Mexiko er-        sind. Aber auch in den Staaten Guatema-

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la, Honduras und Nicaragua sind die Re-       seit langem und
mesas mit weit über zehn Prozent Anteil       zunehmend Kritik
am BIP für die Volkswirtschaft essentiell.    daran, dass das
Nach offiziellen Angaben liegen in Nica-      Geld der Remesas
ragua die Rücküberweisungen höher als         hauptsächlich für
die Summe der gesamten Exporte des            die grundlegenden
Staates. In zahlreichen Ländern über-         Lebensbedürfnisse
steigen die Geldtransfers der eigenen         der Menschen ver-
Leute die von den Ländern des Nordens         wendet wird und
erbrachte Entwicklungshilfe um ein Viel-      nicht primär in den
faches.                                       ‚produktiven Sek-
                                              tor’ investiert wird.
Für welche Bedürfnisse oder Zwecke            Gemeint sind damit
geben die Angehörigen im Heimatland           Industrialisierungs-
das Geld der Rücküberweisungen aus?           maßnahmen        und
„Vor allem für Nahrungsmittel“ lautet         Infrastrukturprojek-
die generelle Antwort. Eine Studie in der     te (beispielsweise
mexikanischen Stadt León ergab, dass          Straßenbau, Ener-
dort 77 Prozent der Remesas für den           gie) der Länder.
Kauf von Lebensmitteln verwendet wur-         Dahinter steht die
den; 70 Prozent sind weitgehend Stan-         alte, aber weitgehend widerlegte These,         dann wiederum Remesas zum Überleben
dard. Im Allgemeinen werden die Über-         dass nur durch Industrialisierung und die       an ihre Familien schicken. Ein Teufels-
weisungen vorrangig dazu genutzt, den         ihr entsprechende Infrastruktur die Ar-         kreis! Menschengerechte und umwelt-
Lebensunterhalt der Familien zu sichern,      mut sozusagen zwangsläufig beseitigt            verträgliche Entwicklung und verantwor-
ein Mindestmaß an gesundheitlicher Ver-       werde. Wirtschaftliches Wachstum führt          tungsvolle Maßnahmen zur Bekämpfung
sorgung der Familie und die Ausbildung        nicht unausweichlich und gradlinig auch         der Arbeitslosigkeit und der strukturellen
der Kinder zu gewährleisten. Oft auch         zu sozialem Fortschritt für die arme Be-        Armut sehen anders aus.
gilt es, vorhandene Schulden abzubauen        völkerungsmehrheit. Das Gegenteil ist
oder die kleinen Häuser und Unterkünfte       fast immer der Fall, wie z.B. die Umset-        Es gibt aber noch ganz andere Konstella-
zu renovieren; seltener wird in beschei-      zung des Plan Puebla - Panamá (PPP)             tionen im Zusammenhang mit den Rück-
denem Rahmen neu gebaut. Manchmal             in ganz Mittelamerika von Mexiko bis            überweisungen: „Die Remesas werden
wird auch versucht, das Geld – wenn es        Panamá beweist: Gigantische Infrastruk-         als Mittel der Armutsbekämpfung gese-
denn reicht – als Grundlage für einen klei-   turmaßnahmen nehmen der Bevölkerung             hen und als Hilfsmittel zum Erreichen der
nen Laden, meist im informellen Sektor,       ihre verbliebene bescheidene Existenz           von den Vereinten Nationen gesetzten
zu nutzen. Mit all den dazu gehörenden        in der Subsistenzwirtschaft (Eigenver-          Millenniumsziele“, kritisiert Karen Bähr
Risiken.                                      sorgung und Kleinhandel z.B. in der             Caballero in einem Artikel in den Latein-
                                              Landwirtschaft), verhindern regionale ei-       amerika Nachrichten das Vorhaben von
Ökonomen, Finanzierungsfachleute so-          genständige Entwicklung, zerstören die          Weltbank & Co.. Danach rechnen Welt-
wie die Strategen der Weltbank und an-        Umwelt und schaffen so ein neues Heer           bank-Experten vor, dass eine Lockerung
dere Globalisierungsbefürworter üben          von ArbeitsmigrantInnen. Diese müssen           der restriktiven Grenzkontrollen in den
                                                                                              hochentwickelten Ländern des Nordens
                                                                                              den Anteil von MigrantInnen der erwerbs-
Remesas als Hilfe zum Aufpolieren                                                             fähigen Bevölkerung des Südens erheb-
                                                                                              lich steigern würde und folglich auch die
der Entwicklungshilfe-Bilanzen?                                                               Summe der Remesas, die jetzt schon
                                                                                              weit über der Entwicklungshilfe liegt. Im
Anfang Februar meldete der internationa­      Entwicklungshilfe auszugeben, ha­ben 38         Klartext heißt das doch wohl: Viel mehr
le Pressedienst IPS, dass Regierungen         Jahre später mal gerade fünf Staaten er-        Menschen als bisher – sowohl ungelern-
reicher Industriestaaten die Idee ver­        reicht: Dänemark (mit 1,06 Prozent Spit-        te wie auch vor allem gut ausgebildete
folgen, Rücküberweisungen (Remesas)           zenreiter), die Niederlande, Schweden,          – sollen ihre „entwicklungsbedürftige”
der Arbeitsmigranten als Gelder der           Norwegen und Luxemburg. Die Bundes-             Heimat verlassen, im Norden fehlen-
Ent­wicklungshilfe anzurechnen. Der pa­       republik dümpelte 2006 bei 0,36 Prozent         de Arbeitskräfte ersetzen und meist zu
kistanische Botschafter bei den Vereinten     herum.                                          Dumpinglöhnen arbeiten. Und dann das
Nationen, Munir Akram, hatte gegenüber                                                        erarbeitete Geld in die Heimatländer
einem IPS-Korrespondenten von Bemü-           Allerdings denkt die Bundesregierung            überweisen, damit dort die Entwicklung
hungen einzelner Industrieländer gespro-      nicht daran, Remesas als Entwicklungs-          vorangetrieben wird – gemäß den Vor-
chen, sich diese Auslandsüberweisungen        hilfe zu verbuchen. Auf Anfrage der             stellungen der Industriestaaten und der
als Entwicklungshilfe gut schreiben zu        Nicaragua-Zeitung erklärte das Bundes­          multinationalen Wirtschaftsinteressen.
lassen. Namen nannte er nicht, betonte        ministerium für wirtschaftliche Zusam-          (Siehe die Auswirkungen von PPP – Plan
aber: “Sie versuchen das zu tun.“             menarbeit und Entwicklung (BMZ), dass           Puebla-Panamá!) Wird das Ergebnis dann
                                              es „vollkommen ausgeschlossen ist, die          lauten: Millenniumsziele dank Investitions-
Verwundern würde eine solch perver-           Leistungen von Privatpersonen als Ent-          remesas erreicht?
se Aktion zur Aufpolierung der eigenen        wicklungshilfe zu verbuchen.“ Öf­fent­liche
Entwicklungshilfe-Bilanzen bei einigen rei-   Entwicklungszusammenarbeit kön­­ne ihrer        Die sozialen, gesellschaftlichen und wirt-
chen Nationen des Nordens nicht. Denn         Definition nach „nicht von Privat­personen      schaftlichen Folgen der Migration bleiben
das von den Vereinten Nationen 1970 (!)       erbracht werden“. Dem BMZ seien auch            gegenüber den finanziellen Konsequen-
formulierte Ziel, mindestens 0,7 Prozent      keine derartigen Pläne anderer Geberlän-        zen im öffentlichen Bewusstsein oft im
des Bruttosozialproduktes für öffentliche     der bekannt, wurde mitgeteilt.           b.f.   Hintergrund. Ob in Nicaragua, El Salva-

                                                                                                       Nicaragua-Zeitung März 2008 Seite 5
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dor oder Mexiko – in ganz Lateinamerika         oder ihr Leben. Auf die gesellschaftli-          dass beispielsweise viel zuviel medizini-
gibt es unzählige ländliche Gemeinden,          chen Probleme, die sich auch aus der fa-         sches Personal aus den Entwicklungs-
die „ausbluten“, wie Soziologen sagen. In       miliären Desintegration ergeben, gibt es         ländern auswandere. Besonders Kinder
Mexiko gibt es Landgemeinden, in denen          bisher kaum adäquate Antworten oder              würden unter dem Brain  Drain genannten
die Zahl der zurückgebliebenen Einwoh-          unterstützende Maßnahmen in den Ge-              Exodus der klugen Köpfe leiden, während
ner niedriger ist als die der ausgewander-      meinden und Staaten. Zweifelsohne be-            die reichen Nationen davon profitierten.
ten Männer und Frauen. Zurückbleiben            stimmt die Migration auch den sozialen           In Ghana verlassen beispielsweise inner-
die Kinder und die Alten. Oft müssen die        Charakter eines Landes.                          halb von zehn Jahren nach Ausbildungs-
Großeltern ihre Enkel erziehen und fühlen                                                        abschluss 75 Prozent des medizinischen
sich nicht selten damit überfordert. Sie        Ein anderer Aspekt im Zusammenhang               Personals das Heimatland.
sind auch vielfach nicht in der Lage, die       mit den Remesas und ihren Auswirkungen
Jugendlichen auf Gefahren wie Drogen,           auf die Heimatländer betrifft die Migration      Fazit: Die wenigen Beispiele und Infor-
Waffenhandel oder kriminelle Jugendban-         von teils hochqualifizierten Männern und         mationen zeigen, wie zwiespältig die
den vorzubereiten. So belegt z.B. eine          Frauen. Ihre Rücküberweisungen sind be-          Auswirkungen der Arbeitsmigration und
aktuelle Studie aus El Salvador, dass           achtlich, aber gleichzeitig fehlen vieler-       des Geldflusses sind. Frei von politischer
die Väter vieler Jugendlicher, die zu den       orts in der Heimat Menschen mit genau            Erpressung sind sie auch nicht. Drohten
kriminellen Jugendbanden – den marás –          diesen beruflichen Qualifikationen. Zum          doch einschlägige Kreise der USA vor
gehören, Arbeitsemigranten sind.                Beispiel in Nicaragua: 30 Prozent der Ni-        den Präsidentschaftswahlen in El Salva-
                                                caraguanerInnen mit einem Universitäts-          dor und in Nicaragua offen damit, bei ei-
Familien zerbrechen                             abschluss leben und arbeiten laut einer          nem Wahlsieg der linksgerichteten FMLN
Die Familien zerfallen immer rascher,           aktuellen Untersuchung nicht im eigenen          bzw. FSLN, die Überweisungen der Mi-
auch weil die ausgewanderten Väter              Land. Ihr Wissen und Können kommt der            grantInnen zu unterbinden!
und Mütter wegen der immer brutaleren           Wirtschaft eines anderen Staates zugute,
Grenzabschottung der USA keine Mög-             nicht aber der Entwicklung ihres Heimat-         Der Wille, zur Entwicklung der Länder
lichkeit zu einem Besuch bei der Familie        landes. In seinem jüngsten Jahresbericht         des Südens beizutragen, sieht Anders
mehr sehen, ohne Gefahr für ihre Freiheit       beklagt das Weltkinderhilfswerk UNICEF,          aus.                       Bruni Franke

Ein Jahr nach der Amtsübernahme des Präsidenten Daniel Ortega war Matthias Schindler im Januar 2008 wieder einmal in Nicara­
gua. Seit 25 Jahren bereist er dieses Land. Hier schildert er einige Eindrücke seiner letzten Reise:

Ortegas zweiter Versuch
Impressionen aus Nicaragua nach einem Jahr FSLN Regierung

                                                                                                 ga normalerweise drei oder vier Stun-
                                                                                                 den auf sich warten lässt. Jetzt aber
                                                                                                 kamen mir erst einzelne Leute mit den
                                                                                                 rot-schwarzen Fahnen der FSLN (Natio-
                                                                                                 nale Sandinistische Befreiungsfront)
                                                                                                 entgegen, dann schon ganze Gruppen.
                                                                                                 Meine nervöse Frage, ob die Kundge-
                                                                                                 bung schon zu Ende sei, verneinten sie
                                                                                                 allerdings und zogen ruhig weiter.
                                                                                                 Ich kam gerade rechtzeitig zum Beginn
                                                                                                 der Rede Ortegas. Der gut 100 Meter
                                                                                                 mal 100 Meter große Platz war nur
                                                                                                 deswegen voll, weil er im Gegensatz
                                                                                                 zu sonstigen Veranstaltungen dieses
                                                                                                 Mal komplett mit Stühlen bestückt war.
                                                                                                 Der Präsident sprach kaum über die
                                                                                                 Maßnahmen seiner Regierung in ihrem
                                                                                                 ersten Jahr. Nach der obligaten Anru-
                                                                                                 fung von Gott und Papst verteidigte er
                                                                                                 vor allem die Gründung der umstritte-
                                 Daniel Ortega am 10. Januar 2008 auf dem Platz der Revolution   nen CPC und zog über die Parteien der
                                                                                                 Opposition her.
10. Januar 2008 auf der Plaza …                 ner erneuten Präsidentschaft ablegen.            Er stellte sich gegen eine Amnestie-In-
Für 17.00 Uhr war der Bericht des Prä-          Aber zwei Tage vorher entschloss er              itiative der beiden rechten Parteien PLC
sidenten Ortega vor den Vertretern der          sich doch dazu, seinen Bericht auch vor          (Liberal Konstitutionalistische Par­tei)
Volksräte CPC angekündigt. Eigentlich           dem Parlament abzugeben, wie es die              und ALN (Liberale Allianz Nicaraguas).
wollte er einzig und allein vor den CPC         Verfassung des Landes verlangt.                  Diese Amnestie soll vor allem Arnoldo
(Consejos del Poder Ciudadano, wört-            Gegen 19.00 Uhr näherte ich mich dem             Alemán begünstigen, des wegen Kor-
lich: Räte der Staatsbürgerlichen Macht)        Platz der Revolution vor der alten Kathe-        ruption zu 20 Jahren Gefängnis verur-
Rechenschaft über das erste Jahr sei-           drale, denn ich wusste schon, dass Orte-         teilten Ex-Präsidenten und Chef der PLC.

Nicaragua-Zeitung März 2008 Seite 6
NICARAGUA ZEITUNG - Nicaragua Verein Hamburg eV
Obwohl die dritte Oppositionskraft MRS          in Managua anwe-
(Bewegung zur Erneuerung des San-               senden diploma-
dinismus) sich dieser Initiative immer          tischen Chors mit
entgegen gestellt hatte, wurde sie von          Namen und Funk-
Ortega erneut als Mitinitiatorin dieser         tion, gefolgt von
Amnestie angegriffen. Da die MRS als            jeweils lang anhal-
einzige größere Partei nicht in Korrupti-       tendem Applaus.
onsaffären verwickelt ist und von vielen        Nach 20 Minuten
prominenten Sandinisten unterstützt             habe ich wieder
wird, ist sie sicherlich der schwierigste       abgestellt,    das
politische Gegner Ortegas.                      war einfach nicht
Im letzten Punkt seiner Rede griff die-         mehr auszuhalten.
                                                                                                               Leere Stühle auf der Plaza
ser den ALN-Vorsitzenden Eduardo                Später erfuhr ich,
Montealegre an, dem vorgeworfen wird,           dass diese Begrü-
sich bei betrügerischen Banken-Sanie-           ßung über eine Stunde gedauert hat.         Er strahlte an diesem Abend eine Glück-
rungen mit Millionen Dollars bereichert                                                     seligkeit aus, die in einem absurden
zu haben.                                       Ortega wollte sich vielleicht durch die     Gegensatz dazu stand, dass er nach wie
Während der Rede kam nur einmal kurz            Nennung all dieser Persönlichkeiten         vor ein Gefangener ist und seine Freiheit
Stimmung auf, als Ortega versprach,             – wobei er natürlich Kardinal Obando        in weiter Ferne liegt.
sich für die Landarbeiter einzusetzen,          y Bravo allen voran gestellt hatte – die
die Opfer des auf Plantagen eingesetz-          Anerkennung verschaffen, die das Parla-     … Krise schon nach einem Tag
ten Giftes Nemagón geworden sind.               ment ihm verweigerte. Denn die gesam-       Mitten in der Rede, die Ortega am näch-
Ansonsten wirkte die Veranstaltung              te oppositionelle Mehrheit blieb dieser     sten Tag im Parlament hielt, unterbrach
eher wie eine Mischung aus Pflicht-             Sitzung aus Protest fern.                   ihn ein Bote des Obersten Gerichtsho-
übung und Familienausflug. Während              Sie hatte im Dezember 2007 gegen            fes, um ihm einige Beschlüsse dieses
Ortega sprach, redeten die Menschen             die Fraktion der FSLN gemeinsam ein         Gremiums vom Vortag zu überreichen.
miteinander, trafen sich an den Essen-          Gesetz beschlossen, das es dem Prä-         Obwohl Ortega den Überraschten spiel-
ständen oder gingen schon nach Hause.           sidenten untersagt, per Dekret hoheit-      te, konnte er sofort die für ihn wichtigen
Die Stühle wurden schon aufgestapelt,           liche Aufgaben des Staates auf die          Passagen vorlesen, die unter anderem
als er noch lange nicht fertig war. So          Volksräte CPC zu übertragen oder sie        ausdrücklich erlaubten, dass der Prä-
sieht keine Versammlung eines Volkes            mit staatlichen Geldern auszustatten.       sident per Dekret Organe wie die CPC
aus, das von sich glaubt, die Macht im          Durch einen fragwürdigen juristischen       bilden darf. Unterzeichnet war dieser
Lande in den eigenen Händen zu haben.           Trick wurde jedoch die Veröffentlichung     Spruch von jedem einzelnen der 16 Rich-
Unweigerlich musste ich an die Massen-          dieses Gesetzes verboten. Es wurde          ter dieses Gremiums, die alle entweder
kundgebung zurück denken, die zum               von sandinistischen Parlamentariern         zur FSLN oder zur PLC gehören. Dass
10. Jahrestag des Sturzes der Somoza-           sogar angekündigt, so auch mit jedem        dann auch der Hausarrest Alemáns
Diktatur einige hundert Meter entfernt          anderen Gesetz zu verfahren, dem sie        wieder aufgehoben wurde, konnte nie-
auf dem Platz des Glaubens stattge-             nicht zustimmen. Damit würden Geset-        manden mehr überraschen. Nun war
funden hatte, den heute höchstens               ze der parlamentarischen Mehrheit           auch klar, warum dieser am Vorabend
noch der Papst füllen kann: Am 19. Juli         niemals gegen den Willen der FSLN-          tatsächlich so vollmundig in die Kame-
1989 kamen mehrere Hunderttausend               Fraktion in Kraft treten können, da dies    ras gelacht hatte: Er wusste zu der Zeit
begeisterte Menschen dort zusammen,             immer erst nach deren Veröffentlichung      bereits, was alle anderen erst am näch-
Fahnen schwenkend, unter sengender              möglich ist. Damit wurde das Parlament      sten Tag erfahren sollten. Die Nach-
Sonne und es gab kaum etwas zu essen            durch Gerichte, die unter der Kontrolle     richt an seinen Rivalen und neuen Ver-
oder zu trinken, kämpferisch, bereit für        Ortegas stehen, vollständig entmachtet      bündeten Montealegre ist: Noch habe
ihr Land und ihre Revolution alles zu           – was nicht nur die Opposition im Parla-    ich einen guten und direkten Draht zu
geben … ein Unterschied wie Tag und             ment aufbrachte.                            Ortega, und wenn es meinen Interessen
Nacht!                                                                                      dient, werde ich auch in Zukunft davon
                                                Neues Bündnis PLC-ALN …                     Gebrauch machen!
… und im Parlament                              Zu den Kommunalwahlen im November
Am gleichen Vormittag hörte ich im              dieses Jahres wollen die ALN und PLC        Am Grab von P. Joaquín Chamorro
Radio die Rede Ortegas vor dem Parla-           zusammen antreten, denn nur gemein-         Dieser Tag war aber noch durch ein
ment. Er begrüßte jeden einzelnen der           sam haben sie gute Chancen, die FSLN        weiteres Ereignis geprägt: 30 Jahre
geladenen Ehrengäste des gesamten               zu schlagen. Am 9. Januar prokla-           vorher wurde der Zeitungsverleger
                                                mierten die beiden Parteien Eduardo         Pedro Joaquín Chamorro Cardenal am
                                                Montealegre (ALN) zum gemeinsamen           10. Januar 1978 ermordet. Er war als
                                                Bürgermeisterkandidaten für die Haupt-      Herausgeber der Zeitung „La Prensa”
                                                stadt Managua. Kurz vor Unterzeich-         die wichtigste öffentliche Stimme gegen
                                                nung dieses Abkommens betrat vor            die Diktatur Somozas in Nicaragua. Sein
                                                den laufenden Kameras Arnoldo Alemán        Tod, der mit einem massiven politischen
                                                (PLC) – gefolgt von einer Schar "Arnoldo!   Generalstreik beantwortet wurde, war
                                                Arnoldo!" rufender Anhänger – den Saal,     der entscheidende Zünder für die Auf-
                                                obwohl er eigentlich unter Hausarrest       standsbewegung des ganzen Volkes,
                                                stand. Wie sich später herausstellte,       die schließlich zum Sturz des Diktators
                                                hatte er die richterliche Genehmigung       und zur Machtübernahme der Sandini-
 Der Bote des Obersten Gerichtshofes übergibt   erhalten, für diese Versammlung seine       sten am 19. Juli 1979 führte.
        die beiden Urteilssprüche während der   Villa zu verlassen. Natürlich hatte er      Am Grab Chamorros fanden sich an
                            Parlamentssitzung   damit Montealegre die Show gestohlen.       diesem Morgen neben seiner Familie

                                                                                                     Nicaragua-Zeitung März 2008 Seite 7
NICARAGUA ZEITUNG - Nicaragua Verein Hamburg eV
eine besser bezahlte Position in einer
                                                                                             Behörde, finanzielle Unterstützung für
                                                                                             die Ausbildung der Kinder, oder sonst
                                                                                             etwas von all dem, was für die Mehr-
                                                                                             heit der Nicaraguaner in unerreichbarer
                                                                                             Ferne scheint. Statt Solidarität heißt es
                                                                                             heute: Rette sich wer kann!

                                                                                             Auf Grund der massiven Unterstützung
                                                                                             aus Venezuela kann Präsident Ortega
                                                                                             diese Karte gegenwärtig gut spielen.
                                                                                             Aber durch das Bündnis mit der katho-
                                                                                             lischen Kirchenhierarchie (und auch mit
                                                                                             evangelikalen Sektierern) werden die
                                                                                             elementarsten Frauenrechte mit Füßen
                                                                                             getreten. Durch die totale Machtkon-
                                                                                             zentration in den Händen des Präsiden-
                                                                                             tenpaars Ortega und Murillo wird jedes
                                                                                             kreative und verantwortungsvolle Han-
                                                                                             deln im Staatsapparat erstickt. Wegen
                                 Die Frauenbewegung war am Grab von Pedro Joaquin Chamorro   der eigenen politischen Schwäche setzt
                                                                                             die Regierung darauf, die unabhängigen
                                                                                             Presseorgane unter Druck zu setzen.
viele Repräsentanten der Presse, des              und die Lebensbedingungen der städ-        Der Alleinvertretungsanspruch der mit
kulturellen und politischen Lebens ein.           tischen und ländlichen Bevölkerung         Ortega verbundenen Gewerkschaften
Die FSLN fehlte vollständig. Hingegen             verbessern will.                           und Verbände führt dazu, alle anderen
war die Präsenz der Frauenbewegung,            Es sieht so aus, als ob Daniel Ortega zu      Formen von Selbstorganisation zu mar-
die sich als Zielscheibe einer neuen           Beginn seiner zweiten Regierungsperi-         ginalisieren – insbesondere die vielfäl-
politischen Unterdrückung durch die            ode alles unternimmt, um diese gesell-        tigen Frauenorganisationen im Lande.
Regierung sieht, besonders deutlich.           schaftlichen Kräfte dieses Mal nicht noch     Wer aufmuckt, wird bedroht. Und das
Nach Christiana Chamorro, der Toch-            einmal gegen sich zu haben:                   nicht nur bei der politischen Konkurrenz,
ter des Ermordeten, sprach ihr Bruder          • mit Ausnahme gelegentlicher halb-           sondern auch innerhalb der eigenen Rei-
Carlos Fernando, der Herausgeber der              radikaler Äußerungen gegenüber der         hen der FSLN, bis hin zu den engsten
kritischen Wochenzeitschrift Confiden-            Imperialmacht USA gibt es nichts mehr      und langjährigsten Weggefährten Orte-
cial und Leiter eines sehr erfolgreichen          in seiner aktuellen Regierungspolitik,     gas. Angst vor Repression ist wieder
politischen Magazins im Fernsehen. Er             was sich den wesentlichen wirtschaftli-    ein Thema in Nicaragua.
verlas einen Aufruf zur Verteidigung              chen Vorgaben Washingtons entgegen
der Pressefreiheit, der mit den Worten            stellt – vom Aufbau einer alternativen,    Die besten sozialen und politischen
seines Vaters schließt: "Nicaragua wird           nicht-kapitalistischen      Gesellschaft   Absichten der Sandinistischen Revoluti-
wieder eine Republik werden!"                     ganz zu schweigen;                         on hat Ortega dem Ziel geopfert, noch
                                               • Kardinal Miguel Obando y Bravo, der         einmal Präsident des Landes zu werden.
Zwischenbilanz nach einem Jahr                    wichtigste politische Gegenspieler der     Aber die negativsten Züge jener Zeit –
Die Sandinistische Revolution hatte               Sandinisten in den 80er Jahren, ist        der Paternalismus der Regierenden, der
zwischen 1979 und 1990 verschiedene               inzwischen zum immer wieder öffent-        überzogene Zentralismus, die politische
Feinde, an denen sie schließlich auch             lich zelebrierten Privatpriester und       Entmündigung der Basis, die fehlende
zerbrochen ist:                                   strategischen Bündnispartner Ortegas       freie und demokratische Diskussion,
• die massive, unmoralische und absolut           avanciert;                                 die mangelnden Rechte der Frauen
  völkerrechtswidrige Aggression durch         • der ehemalige Verhandlungsführer der        und anderer benachteiligter Sektoren,
  den Imperialismus der USA;                      Contras, Morales Carazo, ist der aktu-     die Verharmlosung von physischer und
• die reaktionäre katholische Kirchen-            elle Vize-Präsident Nicaraguas;            sexueller Gewalt in der Gesellschaft,
  hierarchie im eigenen Lande;                 • die bekanntesten Führer des indigenen       die Vermengung von Staat und Partei,
• die CIA-finanzierte Contra, die sich            Widerstandes der 80er Jahre – Stead-       Zwangsmaßnahmen statt politischer
  aber wesentlich aus der nicaraguani-            man Fagoth Müller und Brooklyn Rive-       Überzeugung und der damals schon auf-
  schen Kleinbauernschaft rekrutierte             ra – sind Teil des aktuellen Regierungs-   kommende mit Macho-Gehabe gekop-
  und die von Ex-Offizieren der somo-             bündnisses;                                pelte Personenkult – prägen heute um
  zistischen Nationalgarde und einigen         • und die historische Machtelite des Lan-     ein Vielfaches verstärkt die politische
  ultra-rechten Politikern geführt wurde;        des versucht Ortega durch eine Politik      Kultur der Regierung.
• die indigenen Gemeinschaften der               ruhig zu halten, die deren wirtschaftli-
  Atlantikküste, deren kulturelle und wirt-      che Macht nicht antastet, dafür aber        Rosario Murillo sagte, dass die jetzige
  schaftliche Interessen ebenfalls von           politische Ruhe von ihr erwartet – was      Präsidentschaft Ortegas die in den 80er
  der US-Administration instrumentali-           bisher jedoch nur teilweise gelingt.        Jahren begonnene Revolution fortsetzen
  siert wurden;                                Der Enthusiasmus der 80er Jahre ist           würde. Das mag vielleicht fern ab von
• und natürlich die kleine traditionelle       einem Pragmatismus gewichen, in dem           Mittelamerika je nach Sichtweise mit
  nicaraguanische Bourgeoisie, die sich        die Menschen den Caudillo (Führer)            neuen Hoffnungen oder auch mit neuen
  vom Sturz des despotischen Diktators         unterstützen, von dem sie für sich und        Befürchtungen aufgegriffen werden – in
  Somoza mehr wirtschaftliche Entwick-         ihre Familie am ehesten Vorteile erhof-       Nicaragua selbst glaubt das niemand
  lungsmöglichkeiten erhoffte aber keine       fen: Begünstigte Nahrungsmittel, etwas        mehr.
  Revolution, die vor allem die Rechte         Saatgut oder Vieh, einen Arbeitsplatz,                    Matthias Schindler, Februar 2008

Nicaragua-Zeitung März 2008 Seite 8
NICARAGUA ZEITUNG - Nicaragua Verein Hamburg eV
„ÜberLebensWelten“ in Nicaragua
Eine Ausstellung gibt Einblick in die Lebenswirklichkeit
Wenn man noch nie über die Köhlbrand-      An insgesamt 15 Schautafeln konnte           die desolate wirtschaftliche Situation
brücke durch das Hamburger Hafenge-        der Besucher in die nicaraguanische          sehr deutlich zeigen, so hat man trotz-
biet gefahren ist, dann kann man als von   Lebenswirklichkeit eintauchen. Für           dem das Gefühl, dass die Frauen auf-
Lastern eingequetschter PKW-Fahrer         Nichtkenner oder zur Auffrischung gibt       grund ihrer Einbindung in ein Netzwerk
zwischen den riesigen Containerhaufen      die Ausstellung zuerst einen kurzen          stark sind und eine Perspektive entwic-
rechts und links doch schon den Ein-       Abriss über die Geschichte des Landes        kelt haben. Ganz mutig erzählen sie, wie
druck gewinnen, man betrete ein frem-      und führt dann zu den einzelnen Darstel-     sie anfangen, für ihre eigenen Rechte
des Land: Wilhelmsburg, mittlerweile ein   lungen anhand von Bildern und Texten         einzustehen und nicht mehr bereit sind,
Stadtteil im Aufwind, nachdem der Ham-     der individuellen Lebensgeschichten. Es      Demütigungen der Partner oder Arbeit-
burger Senat eingesehen hatte, dass        werden Menschen vorgestellt, die auf         geber weiterhin zu ertragen. Ganz tat-
er sich um ihn kümmern müsse. Nichts       dem Land, in der Máquila, im informel-       kräftig erzählen sie z.B. von ihrem Weg
desto trotz leben dort viele Menschen      len Sektor der Städte oder im Ausland        aus der ausbeuterischen Máquila hin zu
in unsicheren Lohnarbeitsverhältnissen     als Migrantin (hier Costa Rica) ihrer har-   ihrem eigenen Kleinstunternehmen.
und ohne sichere Lebensperspektive.        ten Arbeit nachgehen.
                                                                                        In den Interviews wird erschreckend
                                                              Am        Eröffnungsa­    deutlich, wie wenig Vertrauen die Men-
                                                              bend wurden diese         schen in die Regierung haben (die Inter-
                                                              In­terviews     zusätz-   views wurden in 2005 aufgenommen!).
                                                              lich als Film gezeigt,    Ganz desillusioniert und frustriert
                                                              so dass man sich          berichten sie, dass nur im Rahmen von
                                                              noch besser in die        Wahlkampagnen Verbesserungen ver-
                                                              Lebenswelten       ein-   sprochen werden, dass die Machtinha-
                                                              finden und einen          ber nur in die eigene Tasche wirtschaf-
                                                              di­rekteren    Zugang     ten und kein Interesse am Wohlergehen
                                                              zu den einzelnen          des Volkes haben.
                                                              Le­­­­bensschicksalen
                                                              bekommen konnte.          Ein Fazit bei der Betrachtung dieser
                                                              Die Interviews gingen     Lebensschicksale könnte sein, dass
                                                              sehr zu Herzen und        es uns hier im Norden doch noch ver-
                                                              noch Wochen später        gleichsweise gut geht. Jedoch sollte
                                                              denke ich an diese        man auch nicht zu dem Schluss kom-
                                                              mutigen und tapferen      men, dass deshalb weiterer Sozialabbau
                                                              Menschen, wo jedes        möglich ist, denn ein „gutes Leben“ dort
                                                              Gejammer in mir ver-      wie hier sieht eben anders aus.
                                                              stummt und sich Ehr-
                                                              furcht breit macht.       Dem Informationsbüro Nicaragua aus
                                                                                        Wuppertal gebührt Dank für die Erarbei-
                                                              Allerdings gibt die       tung und Zusammenstellung dieser ein-
                                                              Aus­stellung   keinen     drucksvollen Ausstellung.
                                                              Quer­schnitt der Be­­
                                                              völkerung wieder, da                             Stephanie Sturmhoebel
                                                              einerseits größten­
                                                              teils Frauen befragt      Die Ausstellung ist über das Informa­
                                                              wurden, weil sie die      tionsbüro Nicaragua ausleihbar.
                                                              Hauptlast bei der         Näheres: www.ueberlebenswelten.de
                                                              Versorgung der Kin-
                                                              der und bei der Ver-
                                                              antwortung für die
                                                              Familie tragen und
                                                              sie weniger Zugang
Hier also liegt das Wilhelmsburger Bür-    zu gesichertem Einkommen, zu Kapital
gerhaus, in dem wir die Wander-Ausstel-    und vor allem zu Landbesitz haben als
lung „ÜberLebensWelten“ vom 4. bis 13.     Männer und andererseits, weil die Inter-
Dezember 2007 zeigten. Vor diesem          viewten größtenteils in politisch-soziale
örtlichen Hintergrund wollten wir die      Organisationen eingebunden sind, die
Absicht des Informationsbüros Nicara-      Par­tnerorganisationen der Ausstellungs-
gua, über das wir die Ausstellung aus-     macher sind.
geliehen hatten, unterstreichen, nämlich
die Lebensrealitäten in Nicaragua in       Diese Frauen haben durch ihre politi-
einen bundesdeutschen Kontext zu set-      sche Arbeit einen Entwicklungsprozess
zen, der von Arbeitslosigkeit, prekärer    durchlebt, in dessen Rahmen sie Selbst-
Beschäftigung und Sozialabbau geprägt      achtung und Selbstwertgefühl entwic-
ist.                                       kelt haben. Auch wenn die Geschichten                  Die Ausstellung zeigt viele Gesichter

                                                                                                Nicaragua-Zeitung März 2008 Seite 9
NICARAGUA ZEITUNG - Nicaragua Verein Hamburg eV
Romero Tage 2008:
                                                                                      Levántate por tus derechos!
                                                                                      Steh auf für
                                                                                      Menschenrechte!
                                                                                      Unter diesem Motto stehen die diesjäh-
                                                                                      rigen Romero Tage, die in der Zeit vom
                                                                                      24. März bis zum 20. April 2008 durch-
                                                                                      geführt werden.
                                                                                      Erzbischof Oscar Romero ist für viele
                                                                                      Menschen in Lateinamerika eine Sym-
                                                                                      bolfigur des Widerstandes und der Hoff-
                                                                                      nung. In den siebziger Jahren erhob er
                                                                                      mutig seine Stimme gegen die repres-
                                                                                      sive Politik in El Salvador. In Gottesdien-
                                                                                      sten, Radioansprachen und bei Demon-
                                                                                      strationen forderte er die Regierenden
                                                                                      auf, die Rechte der Bevölkerung einzu-
                                                                                      halten. Sein Engagement hat ihm am 24.
                                                                                      März 1980 den Tod gebracht. Er wurde
                                                                                      während einer Messe erschossen.
                                                                                      Dennoch ermutigt sein Beispiel noch
                                                                                      heute viele Gruppen, für die Einhaltung
                                                                                      ihrer Rechte aufzustehen. So wenden
                                                                                      sich soziale Bewegungen in vielen latein-
                                                                                      amerikanischen Ländern gegen die Kri-
                                                                                      minalisierung ihres Protestes und gegen
                                                                                      die Aushöhlung von demokratischen
                                                                                      Rech­ten. Sie stehen auf für Gerechtig-
                                                                                      keit, die grundlegend ist für die innere
                                                                                      Sicherheit.
                                                                                      Während der Romero Tage rufen Solida-
                                                                                      ritätsgruppen und kirchliche Einrichtun-
                                                                                      gen dazu auf, sich von lateinamerikani-
                                                                                      schen Basisbewegungen zu Solidarität
                                                                                      und Engagement für die Menschenrech-
                                                                                      te inspirieren zu lassen.

                                                                                      Bitte die Hinweise auf besondere
                                                                                      Veranstaltungen in dieser Zeitung
                                                                                      beachten.

Der Flyer mit dem Gesamtprogramm der Romero Tage 2008 liegt
dieser Zeitung bei. Alle Infos unter: www.romerotage.de

   Öffentliche UnSicherheit in El Salvador, Nicaragua und Costa Rica
                 Vortrag und Diskussion mit Dr. Anika Oettler (GIGA - Institut Hamburg)
Weltweit wird über Terrorismus und innere Sicherheit gesprochen und von den Medien werden
Unsicherheiten herbei geschrieben. Diese Diskussion wird nicht nur in Deutschland von Politiker­
Innen angefeuert und dazu genutzt, neue Gesetze in Kraft zu setzen bzw. alte aus den Angeln
zu heben und die Rechtsstaatlichkeit zu unterhöhlen. Auch in mittelamerikanischen Ländern wie
El Salvador, Nicaragua und Costa Rica finden vor dem Hintergrund einschneidender sozialer und
ökonomischer Veränderungen ähnliche Prozesse statt.
Dr. Anika Oettler vom GIGA - Institut Hamburg zeigt auf, wie in El Salvador, Nicaragua und
Costa Rica die Diskurse über Gewalt, Kriminalität und Unsicherheit geführt werden und welche
Konsequenzen das nach sich zieht.
Mittwoch, 16.April 2008, 19 Uhr, Nordelbisches Missionszentrum (NMZ),
Agathe-Lasch-Weg 16 (Othmarschen), Eintritt: 2.-  €
Veranstalter: Nicaragua Verein e.V. und Lateinamerikareferat des NMZ

Nicaragua-Zeitung März 2008 Seite 10
Romero Tage 2008:
  "Meer-Bananen-Republiken"                                                                        Fiesta Romero
     Literarisch-politisch-musikalischer Banana Boat Trip                                                Es spielt die Gruppe
                 durch den Hamburger Hafen                                                                  "Resistencia"
                                      Texte und Musik auf einer Barkasse rund                    Eine Fiesta beendet wie in jedem Jahr
                                      um Anbau, Handel und Kulturgeschichte der                             die Romerotage.
                                      gelben Frucht. Mit "an Bord": Miguel Angel                   Die Musik der Gruppe "Resistencia"
                                      Asturias, Gabriel García Márquez, Eduardo                  schlägt einen Bogen zum Thema der
                                      Galeano, John Dos Passos, Harry Belafonte                    Reihe "Levántate por tus derechos"
                                      u.v.m. Es geht um Dollarbananen, "Deut-                     und nimmt uns mit auf eine musikali-
                                      sche Kamerunbananen", Vereinigungsbana-                       sche Reise durch Lateinamerika.
                                      nen und andere krumme Früchte.                               Lateinamerikanische Spezialitäten
 Vom Baumwall führt die Tour durch den Zollkanal vorbei am "Fruchthof" zum Gross-                   runden den Abend kulinarisch ab.
   markt Hamburg und weiter in den Freihafen und zum Fruchtterminal der HHLA.                    Samstag, 19. April 2008, 20 Uhr
                            Sonntag, 6.April 2008                                                    Cafe Eins, Altonaer Straße 63,
                      Abfahrt: 15 Uhr am Anleger Vorsetzen                                                    Veranstalter:
   (City-Sporthafen), U-Bahn Baumwall, Ausgang Überseebrücke, Kosten: 8.-  €                              Deutsch-chilenisches
                       Veranstalter: Hafengruppe Hamburg                                                   Kulturzentrum e.V.

      Romero-Filmtage                                                                           Mo 31.3. - 19.00:
25. März bis 2. April 2008                                                                      Das Interview. Deutschland 2007,
                                                                                                OmdtVoiceover, 42 min. Regie: B. Merz.
Zu den Romero Tagen hat der Nicaragua
                                                                                                Ein Dokumentarfilm über die aktuelle Situa-
Verein wieder ein Filmprogramm zusam-
                                              sich mit den Armen, er gab ihnen Hoffnung         tion in Kolumbien. Der ehemalige Lehrer
mengestellt: Sechs Spiel- und Dokumen-
                                              auf Veränderung. Am 24. März 1980 wurde           Ricardo berichtet in einem Interview von
tarfilme zeigen Menschen in verschiede-
                                              er während einer Messe von Todesschwa-            Menschenrechtsverletzungen wie Vertrei-
nen lateinamerikanischen Ländern, die auf
                                              dronen ermordet. Die Namen der Mörder             bungen und Massakern. Der Film stellt den
unterschiedlichste Weise für ihre Rechte
                                              sind bekannt, aber ein ‚Fall Romero’ wurde        Zusammenhang mit den Präsidentschafts-
aufstehen und unter zum Teil lebensbe-
                                              bisher noch nicht verhandelt.                     wahlen 2006 und der Außenpolitik Europas
drohlichen Bedingungen Menschenrechte
                                              Do 27.3. - 19.00:                                 und der USA her.
einfordern. Wir zeigen Filme aus oder über
                                                                                                Gast: Blanca Merz (Save the planet)
El Salvador, Guatemala, Mexiko und Kolum-     „Für den Wald und für das
bien.                                                                                           Di 1.4. - 19.00:
                                              Leben!“ Mexikanische Bauern im
Di 25.3. - 19.00:                             Fadenkreuz der Holzmafia. Deutsch­                Bajo Juárez – La ciudad
Romero. USA 1989, DF, 94 min. Regie:          land 2007, 44 min. Regie: Michael Enger.          devorando sus hijas. Mexiko
John Duigan, mit Raul Julia, Richard Jor­     Uraufführung                                      2007, spanOmenglU, 95 min. Regie: Ale­
dan, Ana Alicia                                                                                 jandra Sánchez u. José Antonio Cordero
Der Film erzählt die Geschichte Oscar                                                           Die Morde an jungen Frauen in Ciudad
Romeros, der sich als Erzbischof von San                                                        Juárez an der Nordgrenze Mexikos neh-
Salvador vom unpolitischen Menschen zum                                                         men trotz der internationalen Proteste kein
scharfen Kritiker der Militärdiktatur wan-                                                      Ende. Der Film stellt auf bewegende Weise
delte. Trotz Morddrohungen verkündete                                                           das Schicksal von Opfern dar, den Kampf
er das Evangelium, bis er während einer                                                         ihrer Familien und Unterstützer gegen die
Messe am Altar ermordet wurde. Mit fas-                                                         Straflosigkeit und die Verstrickung von
zinierenden Bildern und den Mitteln eines                                                       Behörden in die sexuellen Gewalttaten.
politischen Thrillers, der Charakterstudie                                                      Diskussion mit der Initiative Mexiko
und des Melodrams zeichnet er die persön-                                                       Mi 2.4. - 19.00:
liche Entwicklung Romeros glaubhaft nach.
                                                                                                Estrellas de la línea. Spanien
Mi 26.3. - 17.00:                                                                               2006, spanOmenglU, 90 Min., Regie:
Romero - Tod eines                                                                              Chema Rodríguez.
Erzbischofs. Deutschland 2003, 52                                                               Ein Film über die Prostituierten an der
min. Regie: Thomas und Rena Giefer                                                              Bahnlinie in Guatemala City. Sie wollten
Ein Dokumentarfilm über Oscar Romero,         Holz ist Ob­­jekt der Be­­gier­de von in­­        nicht mehr hinnehmen, dass sie täglich
den Erzbischof von San Salvador, dessen       ternationa­len Kon­­­­zernen. Bauern in Guer-     Opfer von Gewalt sind und dass regelmäßig
Tod nicht unerwartet kam. Er solidarisierte   rero/Mexiko widersetzten sich dem Kahl-           Frauen verschwinden. Um auf ihre Situati-
                                              schlag. Sie or­ga­­nisierten sich und blockier-   on aufmerksam zu machen, gründeten sie
                                              ten den Abtransport der Bäume. Seitdem            ein Fußballteam. Die Dokumentation zeigt
                                              sind sie der Verfolgung durch Profiteure          den harten Alltag der Prostituierten, ohne
                                              und ihre 'Pistoleros' sowie den Staats-           zu schockieren. Ein eindringliches und sehr
                                              apparat ausgesetzt. Der Film bringt den           persönliches Bild jeder einzelnen Frau.
                                              Kampf der 'campesinos ecologistas' um             Alle Filme werden im Metropolis
                                              ihre Lebensgrundlagen in eindrucksvollen          Kino, Dammtorstraße 30a gezeigt.
                                              Szenen nahe.                                      Eintritt: 6.- €/(erm.) 4.- €
                                              Zu Gast: Michael Enger                                                           Gerda Palmer

                                                                                                        Nicaragua-Zeitung März 2008 Seite 11
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