Niederländische Wandkarten - Bibliotheksforum Bayern

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Niederländische
Wandkarten

Die Europakarte

                                                                       Blatt, die in zwei Reihen zu je vier Blatt montiert
Drei niederländische Wandkarten von Ameri-                             wurden. Sie sind koloriert und mit Randbordüren
ka, Asien und Europa bereichern die Karten-                            und Kartuschen dekorativ ausgestattet. Im Einzel-
                                                                       nen handelt es sich um eine Europa-, eine Asien-
sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek.                             und eine Amerikakarte.

                  Gegen Ende 2019 gelang für die Kartensammlung        Wandkarten
                  der Bayerischen Staatsbibliothek der Ankauf von      Als früheste Beispiele für großformatige, an Wän-
                  drei äußerst seltenen niederländischen Wandkar-      den hängende Karten können Radkarten wie die
                  ten. Die Stücke aus einer Privatsammlung stammen     ,Ebsdorfer Karte‘ oder die ,Hereford-Karte‘ aus dem
                  von Cornelis Claesz (ca. 1551–1609), einem der be-   Hochmittelalter angesehen werden. Im 16. Jahrhun-
                  deutendsten niederländischen Drucker und Verle-      dert wurden Wandkarten als Fresken dargestellt,
                  ger des Goldenen Zeitalters der Kartografie in den   wie sie noch heute in der ‚Galleria Geografica‘ im
                  nördlichen Niederlanden, und ergänzen nunmehr        Vatikan-Palast oder im Dogenpalast von Venedig
                  die Kartensammlung der BSB von bis dato vier nie-    überliefert sind. Neben großformatigen Weltkarten
                  derländischen Wandkarten des 17. Jahrhunderts.       wie z. B. der von Martin Waldseemüller (1507) sowie
                  Die 105 x 145 cm großen Karten bestehen aus acht     großen Städtebildern ist hier auch die erste große
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Bibliotheksforum Bayern                                                                                       53

              Karte von Bayern, die Philipp Apian im Auftrag Her-      erste gedruckte Segelhandbuch mit Karten, und
              zog Alberts V. von Bayern 1563 fertigstellte, hinzu-     das ‚Itinerario‘ von Jan H. van Linschoten aus dem
              zuzählen. Mit ihren 6 x 6 Metern schmückte sie die       Jahr 1596.
              Hofbibliothek, aus der die Bayerische Staatsbiblio-
              thek hervorging. Wie viele großformatige Werke           Druckorte/Verleger/Künstler
              ­jener Zeit ist sie nicht erhalten.                      Cornelis Claesz war aufgrund seiner zahlreichen
                                                                       Veröffentlichungen im Bereich der Kartografie,
            Das eigentliche Zentrum für die Produktion von             ­Navigation oder von Reiseberichten um 1600 einer
            Wandkarten waren jedoch die nördlichen Nieder-              der bedeutendsten niederländischen Drucker und
            lande im 17. Jahrhundert. Wandkarten – so der nie-          Verleger, der an der Entwicklung Amsterdams zum
            derländische Kartograf Cornelis Koeman – sind das           wichtigsten Zentrum der Kartografie im 17. Jahrhun-
            „wichtigste Charakteristikum der holländischen              dert (‚Golden Age of Cartography‘) maßgeblich be-
            ­Kartografie zwischen 1600 und 1603.“ Führende              teiligt war. Der Aufstieg der Niederlande zur Han-
             Amsterdamer Verlage produzierten die begehrten             dels- und Seemacht, führte zu einer Hochkonjunktur
             Stücke, die über den Kunsthandel vertrieben wur-           der Kartenproduktion mit Amsterdam als Zentrum.
             den. Ihre Herstellung war aufwendig, waren doch
             Vermesser, Zeichner, Stecher, Drucker und gegebe-         Zunächst war Antwerpen das Zentrum der nieder-
             nenfalls Künstler für die Kolorierung daran beteiligt.    ländischen Druckkunst, berühmt für seine Kartogra-
             Sie dienten neben Gemälden als luxuriöser und re-         fen wie Abraham Ortelius (1527–1598), dessen ‚Thea­
             präsentativer Wandschmuck in privaten und öffent-         trum Orbis Terrarum‘ 1570 die erste Sammlung von
                                          lichen Gebäuden und          Landkarten in Buchform darstellte, sowie den in
                                          verwiesen auf den sozi-      Flandern geborenen Gerhard Mercator (1516–1595).
Ihre Herstellung war auf-                 alen Status ihrer Eigen-     Die Stadt verlor jedoch diesen Status, als aufgrund
                                          tümer. Aufgrund ihrer        der spanischen Besetzung Flanderns und der südli-
wendig, waren doch Ver-                   Größe und ursprüngli-        chen Provinzen die protestantischen Land- und See-
messer, Zeichner, Stecher,                chen Fragilität sind nur     kartenverleger sowie große Teile der Bevölkerung
                                          wenige Exemplare er-         aus Furcht vor Repressalien aus Antwerpen flüchten
Drucker und gegebenen-                    halten. Auch war infol-      mussten. Als Antwerpen 1585 von Spanien einge-
falls Künstler für die Kolo- ge des Seehandels und                     nommen wurde und infolgedessen der Zugang zur
                                          der zahlreichen Entde-       Nordsee versperrt wurde, verlor die Stadt weiter an
rierung daran beteiligt.                  ckungsreisen ihre Ak­        Bedeutung.
Claudia Bubenik                           tualität von größter ­Be­-
                                          deutung, verdeutlichten      Auch der Buchdruck und das Verlagswesen erlebten
            sie doch das sich ständig erweiternde und geänder-         eine Blüte, nachdem sich der Schwerpunkt der niede­r­
            te geografische Wissen der Welt. Bereits ab 1615/18        ländischen Druckproduktion von Antwerpen nach
            gehen sie in die holländischen Interieur-Darstellun-       Leiden und Amsterdam als neue Druckzentren ver-
             gen in Gemälde ein, man denke hier nur an Jan Ver-        lagert hatte. Dort waren es neben Cornelis Claesz
             meers ‚Lautenspie­lerin‘ oder ‚Die Malkunst‘.             die Verleger Jodocus Hondius (1562–1612), Pieter
                                                                       van den Keere (1570–1630), Claes Janszoon Visscher
              Mit mehr als 400.000 Karten – darunter mehr als          (1587–1652), Johann Janssonius (1588–1664) und
              85.000 sog. Altkarten aus der Zeit vor 1850 – zählt      Willem Blaeu, die schon bald die Produktion von At-
              die Kartensammlung der Bayerischen Staatsbiblio-         lanten dominierten und eine stetig wachsende Zahl
              thek zu den größten in einer deutschen öffentlichen      von Landkarten produzierten. Amsterdam wurde so
              Bibliothek. Sie verfügt nicht nur über eine ausge-       zum Zentrum der Karten- und Globenproduktion.
              zeichnete und umfangreiche Sammlung der her­
              ausragenden Kartenwerke dieser Epoche, sondern           Wenig ist über Cornelis Claesz‘ Leben bekannt: Ge-
              besitzt auch vier niederländische Wandkarten des         boren wohl um 1551 in Leuven, emigrierte die Fami-
              17. Jahrhunderts aus den berühmten Druckereien           lie vermutlich um 1560 nach Emden, wo Claesz eine
              von Willem J. Blaeu (1571–1638), Peter Verbiest und      Ausbildung zum Buchbinder absolvierte. Sein weite-
              Justus Danckerts. Eine Wandkarte von Cornelis            rer Weg führte ihn nach Köln, einem der damaligen
              Claesz war bislang noch nicht im Bestand nachweis-       Handelszentren des Buchdrucks, von dort nach Enk-
              bar, so dass es also gute Gründe gab, die drei Wand-     huizen, wo er sich als Buchbinder niederließ und
              karten zu erwerben. Aus der Offizin von Cornelis         auch als Buchhändler tätig war (s. hierzu und im
              Claesz verwahrt die BSB zudem den ‚Spiegel der           weiteren G. Schilder, Monumenta Cartographica
              Seefahrt‘ (Lucas Janszoon Waghenaer, 1589), das          Neerlandica VII, Alphen aan den Rijnbis 2003). Hier
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                 stand er nicht nur in Geschäftsbeziehung zu dem        Cornelis Claesz‘, existiert weltweit nur ein weiteres
                 bedeutenden Drucker und Verleger Christoph Plan-       Exemplar im Niederländischen Schifffahrtsmuseum
                 tin (ca. 1520–1589), sondern knüpfte wohl auch erste   in Amsterdam. Sie war Bestandteil eines Sets von
                 Kontakte zu Kartografen in den nördlichen Nieder-      vier Karten zu den vier Kontinenten und wird – wie
                 landen wie z. B. Lucas Janszoon Waghenaer (ca.         die anderen Karten auch – umrandet und geschmückt
                 1534–1606) oder Cornelis Doedsz, dessen Werk und       von Stadtansichten und verschiedenen Abbildun-
                 Karten er später verlegte. Als sich die politische     gen, die durch Textpassagen ergänzt werden; eine
               ­L age 1578 für Amsterdam änderte, zählte Claesz         Präsentationsform, die vor allem niederländische
                ­offenbar zu den ersten, die sich nach 1578 dort nie-   Karten auszeichnet.
                 derließen und den Reichtum und die Machtstellung
                 der Stadt begründeten.                                  Geografisch lehnt sich die Darstellung stark an
                                                                         Plancius‘ Welt-Wandkarte von 1592 an, die Zeich-
                Als Verleger wurde Claesz zunächst mit einem             nungen der Küsten am Indischen Ozean und des
                Psalmbuch 1581 tätig, dem bald schon zahlreiche         ­Fernen Ostens basieren hauptsächlich auf Karten
                Bücher, Karten und Drucke folgen sollten. Hierbei        in Van Linschotens ‚Itinerario‘.
                kooperierte er mit zahlreichen Kartografen, wie
                z. B. Petrus Plancius (1552–1622), und Verlegern         Die Darstellungen links und rechts des Titels beru-
               ­sowie den besten Kupferstechern seiner Zeit und          hen auf Illustrationen aus dem zweiten Band von
                baute sich so ein weitgespanntes Netzwerk auf. In        Theodore De Brys (1528–1598) ‚Petits Voyages‘, die
                den Bereichen der Geografie und Kartografie nahm         spiegelbildlich gestochen wurden. Der 1601 ge-
                Claesz mit seinen Publikationen zunehmend Ein-           druckte und von Claesz veröffentlichte Reisebericht
                fluss auf das zeitgenössische Wissen und den Markt.      ‚Het Tweede boek journaal of dag-register‘ von Jacob
                Eines der bedeutendsten Druckerzeugnisse aus sei-        Corneliszoon van Neck und Wybrand van Warwijk
                ner Offizin war jedoch Jan Huygen van Linschotens        lieferte die Erläuterungen und bildlichen Darstel-
                (1563–1611) ‚Itinerario: Voyage ofte schipvaert …        lungen in den Randverzierungen. Die Bilder zeigen
                naar Oost ofte Portugaels Indien 1579–1592‘, 1596        überwiegend Darstellungen, die auf China Bezug
                gedruckt, in dem die strategisch wichtigen Informa-      nehmen. Die allegorische Darstellung Asiens in der
                tionen über die portugiesischen Seerouten nachzu-        rechten oberen Ecke stellt eine weibliche Figur in
                lesen waren und das zu einem der wichtigsten Wer-       ­einer Kutsche dar, die von Kamelen gezogen wird.
                ke des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts wurde.
                                                                        Die Amerikakarte
               Die Asienkarte                                           Die Wandkarte ‚Americae tabula nova multis locis‘
               Von der Wandkarte Asiens ‚Asiae tabula nova multis       ist gleichermaßen eine Rarität und weltweit nur noch
               locis‘, 1602 gedruckt in der Amsterdamer Offizin         in einem Exemplar in der Bibliothèque nationale de
                                                                                        France in Paris nachgewiesen. Der
                                                                                        Verleger wird nicht genannt, auch ist
                                                                                        nicht bekannt, wer diese Karte ge-
                                                                                        stochen hat.

                                                                                        Wie die Asien-Karte weist auch die
                                                                                        Karte Amerikas eine Randbordüre
                                                                                        mit Moresken auf. Die Darstellung
                                                                                        dieses Kontinents erstreckt sich von
                                                                                        der Meeresenge der Baffininsel und
                                                                                        Grönland, der Davisstraße hin zur
                                                                                        Magellanstraße, die das südameri-
                                                                                        kanische Festland von Feuerland
                                                                                        trennt, und von der Nordwestpassa-
                                                                                        ge und den Salomoninseln bis nach
                                                                                        Island. In der linken oberen Ecke
                                                                                        wird die allegorische Darstellung
                                                                                        Amerikas in Gestalt einer Frau prä-
                                                                                        sentiert, die in einer von Bären ge-
                                                                                        zogenen Kutsche sitzt. Die weiteren
Die Amerikakarte
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                                                                        ­ ekannt ist. Finanziert wurde der Druck wohl von
                                                                        b
                                                                        Cornelis Claesz, gestochen wurde sie von zwei der
                                                                        bedeutendsten Graveure des beginnenden 17. Jahr-
                                                                        hunderts: Josua van den Ende (ca. 1584–1634) sowie
                                                                        Pieter van den Keere (1570–1630).

                                                                        Die Karte bildet den Kontinent Europa vom Schwar-
                                                                        zen Meer über Island und Teile Grönlands bis nach
                                                                        Nordafrika und den Kanarischen Inseln ab. Die
                                                                        ­Darstellungen lehnen sich an die 1592 publizierte
                                                                         Wandkarte von Petrus Plancius an. 1605 bot Claesz
                                                                         sie auf der Frankfurter Buchmesse zum ersten Mal
                                                                         zum Verkauf an.

                                                                        Im Gegensatz zu den Wandkarten von Asien und
                                                                        Amerika, in denen die allegorischen Darstellungen
Die Asienkarte
                                                                        sich rechts oder links oben befinden, zeigt die deut-
                                                                        lich auf der Karte gesetzte allegorische Szene eine
                 Szenen am oberen Bildrand wurden wiederum De           überlegene Europa auf dem Thron, umringt von den
                 Brys ‚Grands Voyages‘ entnommen. Neben der Nie-        personifizierten anderen Kontinenten. Wie im Text
                 derlage König Atabalibas von Peru gegen die Spani-     der Kartusche rechts unten auf der Karte dem Leser
                 schen Eroberer wird der Kampf der sagenumwobe-         erläutert wird, nimmt Europa nicht nur in den Küns-
                 nen Könige Outina und Saturioa in Florida gezeigt.     ten und Wissenschaften, sondern aufgrund seiner
                 Der Text in der Kartusche am rechten unteren Bild­     zahlreichen Entdeckungen auch in der Seefahrt eine
                 rand informiert den Leser über den vierten Konti-      Vormachtstellung ein.
                 nent, neben Afrika, Asien und Europa. Seine Na-
                 mensgebung durch Amerigo Vespucci wird ebenso          Nach Claesz‘ Tod (1609) gelangten die Druckplatten
                 erwähnt wie die vorhergehende Entdeckung durch         in den Besitz von Joannes Janssonius, der 1612 die
                 Christoph Kolumbus im Jahr 1492. Der amerikani-        Tochter von Jodocus Hondius, dem langjährigen
                 sche Kontinent wird von allen entdeckten Ländern       ­Geschäftspartner und Nachlassverwalter Claesz‘,
                 als reichster an Gold, Silber und weiteren Schätzen     heiratete und sich nach der Hochzeit in Amsterdam
                 geschildert, mit reichen Ernten und einer Vielzahl      als Kartenverleger etablierte.
                 an Tieren. Seine Einwohner wären einerseits friedli-
                 che Handelstreibende, andererseits würde Polyga-       Die Karten wurden gleich nach der Übergabe digi­
                 mie herrschen sowie Kannibalismus. Alle wären je-      talisiert und vom Institut für Bestandserhaltung und
                 doch gute Schwimmer. Darunter informiert eine          Restaurierung konservatorisch betreut und mit
                 ovale Kartusche über die Berechnung der Entfer-        Schutzhüllen versehen.
                 nungen der Karte. Oberhalb der Kartusche wird die
                 Figur eines Kriegers aus Florida abgebildet.           Von Dr. Claudia Bubenik
                                                                        und Dr. Cornelia Jahn
                 Die Europakarte                                        Dr. Claudia Bubenik ist Leiterin
                 Die Wandkarte Europas ‚Europae tabula nova multis      des Referats Alte und seltene Drucke
                 locis‘ entstand 1604 in Antwerpen in Kooperation mit   Dr. Cornelia Jahn ist Leiterin
                 dem Verleger Joan Baptista Vrients, dessen Adresse     der Abteilung Karten und Bilder
                 sich unterhalb einer freigebliebenen Kartusche auf
                 der linken Kartenseite findet. Die Karte ist ein
                 ­Unikat, von der weltweit kein weiteres Exemplar

                 Die niederländischen
                 Wandkarten in den Digitalen
                 Sammlungen der Bayerischen
                 Staats­bibliothek

                                               Amerikakarte             Asienkarte                 Europakarte
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