Nutz- und Bedienbarkeit einer App zur Überwindung von Sprachbarrieren im Rettungsdienst
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Originalien Notfall Rettungsmed https://doi.org/10.1007/s10049-021-00913-w Angenommen: 20. Mai 2021 Nutz- und Bedienbarkeit einer © Der/die Autor(en) 2021 App zur Überwindung von Sprachbarrieren im Rettungsdienst Frank Müller · Eva Hummers · Jennifer Schulze · Eva Maria Noack Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsmedizin Göttingen, Göttingen, Deutschland Zusammenfassung Hintergrund: Im Rettungsdienst können, im Gegensatz zum stationären Setting, adäquate Dolmetscher häufig nicht ohne Weiteres hinzugezogen werden. Gleichzeitig erfordern Notfallsituationen aber eine rasche Anamnese und ein Assessment als Basis für jedes therapeutische Handeln. Material und Methoden: Eine Smartphone-App, die auf 18 Sprachen eine basale Kommunikation mittels 600 fest eingesprochener unterschiedlicher Phrasen auf 20 Sprachen ermöglicht, wurde über 6 Monate in vier Rettungswachen pilotiert. Abschließend wurde die Nutzbarkeit der App durch das gesamte Rettungsdienstpersonal in einer Fragebogenstudie unter Verwendung des System Usability Scores und des AttrakDiff-Fragebogens bewertet. Ergebnisse: Die Rücklaufquote betrug 48,5 % und n = 48 Fragebögen wurden ausgewertet. Das Durchschnittsalter der Befragten betrug 36 Jahre und fast zwei Drittel waren männlichen Geschlechts. Der System Usability Score zeigte im Median 67,5 Punkte, was eine grenzwertig gute Nutzbarkeit zeigte. Im AttrakDiff- Fragebogen zeigte sich die pragmatische Qualität mit durchschnittlich 0,69 (SD 0,86), die hedonische Qualität mit 0,59 (SD 0,58) und die Attraktivität (ATT) mit 0,64 Punkten (SD 0,83). Die Durchschnittswerte zeigen zufriedenstellende Werte jeweils oberhalb der neutral markierenden Grenze von 0. Auffällig zeigte sich, dass in wesentlichen Bewertungskriterien diejenigen Rettungsdienstkräfte, die angaben, die App bereits aktiv im Einsatz mit Patienten genutzt zu haben, die App signifikant besser einschätzten. Diskussion: Vor dem Hintergrund, dass es sich bei der untersuchten App um ein komplexes Arbeitswerkzeug handelt, werden die Nutzbarkeit und Attraktivität als insgesamt gut eingeschätzt, wobei in der Nutzung erfahrene Rettungskräfte diese noch positiver einschätzten. Dies könnte auf eine Art Schwellenangst hindeuten, einer bereits durch Sprach- und kulturelle Barrieren geprägten Rettungssituation mit einer ebenfalls recht komplexen Intervention zu begegnen. Schlüsselwörter Rettungsdienst · Migration · Geflüchteter · Benutzerfreundlichkeit · Smartphone Hintergrund cue wurde in einem partizipativen Prozess eine App entwickelt, die in Notfallsitua- Rettungskräfte treffen zunehmend auf tion eine Basiskommunikation mit nicht nichtdeutschsprechendePatienten:jüngst deutschsprechenden Patienten ermög- Geflüchtete und andere Migranten, die licht [3–5]. Die App wurde danach auf erst wenig Deutsch können, Touristen, Sai- vier Rettungswachen in Ostniedersachsen sonarbeitskräfte oder Durchreisende [1]. über ein halbes Jahr auf den Rettungs- und Bei diesen Einsätzen können Sprachbarrie- Notfalleinsatzfahrzeugen pilotiert. Nutz- ren die Ersteinschätzung und Behandlung barkeit, Bedienbarkeit und Attraktivität der QR-Code scannen & Beitrag online lesen erschweren [2]. Im Projekt DICTUM Res- App sind dabei entscheidende Kriterien Notfall + Rettungsmedizin 1
Originalien Abb. 1 8 Kategorienansicht (links),AufrufeneinerKategorie zeigt relevante Abb. 2 8 Protokollansichten (links: Ansicht Verlaufsprotokoll, rechts: An- Fragen an (rechts, hier auszugsweise Fragen an eine erwachsene Person zu sicht nach SAMPLER-Schema) einem [möglichen] Sturzereignis) für eine erfolgreiche Implementation und Zusätzlich gibt es für eine strukturierte gerichtet werden, z. B. an Verwandte oder Nutzung im Rettungsdienstbereich. Dieser Ersteinschätzung nach dem ABCDE-Sche- an Eltern erkrankter Kinder. Dies ist et- Artikel stellt die Ergebnisse einer Evalua- ma („airway, breathing, circulation, dis- wa hilfreich, wenn der Patient selbst nicht tion der App durch Rettungskräfte vor. ability, exposure/environment”) eine eige- ansprechbar ist. ne Kategorie. Eine weitere Kategorie wid- Dabei bietet die App sowohl Unter- Material und Methoden met sich der Abfrage von Beschwerden stützung zur Verständigung in alltäglichen und Symptomen, wenn beim Eintreffen Einsatzsituationen als auch für besondere Die App an der Rettungsstelle der subjektive Alar- kommunikative Situationen, z. B. im Um- mierungsgrund unklar ist. gang mit Angehörigen Verstorbener oder Mithilfe der entwickelten App können Ret- Die App unterstützt dabei 600 feste wenn Verdacht auf häusliche Gewalt be- tungssanitäter fremdsprachigen Patienten Phrasen, die in 18 Sprachen übersetzt wur- steht. situations- und symptombezogene Fragen den und deren Auswahl sich an den Er- Über einen Schnellzugriff sind Fragen stellen bzw. Informationen über den Ret- fordernissen im Rettungsdienst orientiert. und Informationen zu erreichen, die in vie- tungseinsatz, z. B. zu Untersuchungen oder Alle Phrasen können per Sprachausgabe len Einsätzen benötigt werden, beispiels- getroffenen Maßnahmen, vermitteln. Die – eingesprochen von professionellen Dol- weise die Ankündigung, eine körperliche Fragen und Informationen wurden spezi- metschern – wiedergegeben oder als Text Untersuchung durchzuführen, das Einho- ell für den Einsatz im Rettungsdienst ent- angezeigt werden. Letzteres erlaubt die len des Einverständnisses für einen ve- wickelt (. Abb. 1). Die Inhalte sind nach Verständigung mit Patienten, die schlecht nösen Zugang oder die Frage nach der Symptomen, Verdachtsdiagnosen, Organ- hören können, oder bei sehr lauten Umge- Krankenversichertenkarte. komplexen und Rettungssituationen (z. B. bungsgeräuschen sowie das Stellen sen- Der gesamte Gesprächsverlauf kann Unfall, Sturz) gruppiert und innerhalb der sibler Fragen im Beisein Dritter. Um die protokolliert werden und chronologisch Kategorien nach Häufigkeit und Dringlich- Antworten verstehen zu können, sind die in der sog. Chat-Ansicht oder sortiert nach keit, mit der im Einsatz eine Information Fragen so formuliert, dass sie mit Ja- oder SAMPLER-Schema („symptoms, allergies, erhoben werden soll, geordnet. Dies soll Nein-Gesten oder Mimik zu beantworten medication, past medical history, last eine schnelle Auffindbarkeit und eine am sind, oder sie fordern auf, etwas zu tun oral intake, events prior to incident, risk Rettungsablauf orientierte Bedienung er- oder zu zeigen, beispielsweise auf Körper- factors“) eingesehen werden (. Abb. 2). möglichen. Dabei können Fragen, die bei regionen. mehreren Versorgungsszenarien relevant Die Inhalte der Phrasen berücksichtigen Fragebögen sind (beispielsweise die Frage nach Fie- Geschlecht und Alter der Hilfesuchenden. ber), in mehreren Kategorien verzeichnet Für Kinder als Patienten stehen kindge- Zur Testung der Nutzbarkeit („usability“) sein. rechte Formulierungen zur Verfügung. Fra- und zur Einschätzung von Bedienung und gen über Patienten können auch an Dritte 2 Notfall + Rettungsmedizin
allen hauptamtlichen Rettungskräften und Auszubildenden der Wachen aus- n=109 Fragebögen an alle fest angestellte geteilt bzw. in die Postfächer gelegt. Mitarbeiter der beteiligten Wachen ausgeteilt Die anonymen Fragebögen sollten durch Rettungskräfte ausgefüllt und in bereit- n=4 erkrankt / gekündigt gestellte verschlossene Briefkästen bzw. versiegelte Briefumschläge gelegt werden. Die Teilnahme war freiwillig und es wurde n=52 (48,6%) Fragebögen zurückerhalten keine Aufwandsentschädigung geboten. Die Ausgabe der Fragebögen erfolgte zu einem Zeitpunkt, zu dem die App seit n=4 haben App nicht hin- reichend in Augenschein 6 Monaten auf den jeweiligen Diensttele- genommen fonen der Wachen bzw. auf Smartphones in den Rettungs- und Notfalleinsatzfahr- zeugen installiert und im Einsatz war. Alle n=48 Fragebögen ausgewertet Abb. 3 9 Flussdia- Fragebögen wurden bis zum 13.10.2020 gramm Datenauf- eingesammelt, der Ausfüllzeitraum wurde nahme mit über drei Monaten so gewählt, dass alle infrage kommenden Mitarbeiter un- Qualitäten der untersuchten App wurde Attraktivitätsbeurteilung als zwei vonein- ter Berücksichtigung von Urlaubszeiten, eine Fragebogenstudie konzipiert. ander unabhängige und ähnlich starke Schichtarbeit, Krankheit oder Teilzeittätig- Der Fragebogen umfasst drei Teile: Dimensionen. keit ausreichend Chance bekamen, den Der erste Teil besteht aus dem Attrak- Als Zweites wurde die System Usability Fragebogen zu beantworten. Diff-Fragebogen [6], einem etablierten Scale [7] zur Nutzung der App eingesetzt, und validierten Fragebogen zur Testung die häufig für eine grobe Evaluation der Auswertung vier unterschiedlicher Beurteilungsdimen- (subjektiv wahrgenommenen) Gebrauchs- sionen: Die Dimension „pragmatische tauglichkeit von Apps und Software her- Die Ergebnisse der Fragebögen wurden Qualität“ (PQ) zeigt dabei die Benutz- angezogen wird. Dieser validierte Frage- zu Punktscores zusammengefasst und mit barkeit eines Produkts oder einer neuen bogen enthält 10 Fragen, die jeweils auf korrespondierendem Median und Inter- Technologie, insbesondere wie ein Nut- einer fünfstufigen Likert-Skala beantwor- quartilsabstand (IQR) angegeben. Sozio- zer seine Ziele mithilfe dieser erreichen tet werden („stimme voll zu“ – „stimme demografische Faktoren wurden mit ab- kann. Mit der Dimension „hedonische gar nicht zu“). Erfragt wird beispielsweise soluten und relativen Werten dargestellt. Qualität – Stimulation“ (HQ-S) lässt sich die Bereitschaft, die App häufig zu nut- Einzelne Fragebogenitems des AttrakDiff- nachvollziehen, wie ein Produkt oder eine zen, oder die Notwendigkeit, Support in Fragebogens wurden ferner mit Mittelwert Technik mit neuartigen, interessanten, an- Anspruch nehmen zu müssen. und Standardfehler des Mittelwerts bzw. regenden Funktionalitäten und Inhalten Im dritten Teil des Fragebogens wur- in den Abbildungen mit 95 %-Konfidenz- das Bedürfnis nach persönlicher Weiter- den soziodemografische Basisinformatio- intervallen angegeben. Die interne Kon- entwicklung befriedigt. Die Dimension nen der Befragten (Alter, Geschlecht, Be- sistenz der verwendeten Fragebögen wur- „Hedonische Qualität – Identität“ (HQ-I) rufsqualifikation) erhoben. Zudem enthielt de mittels Cronbachs α geprüft. Punkts- misst, ob sich Nutzer mit einem neuen der Teil die Fragen, ob die App bereits in cores einzelner Items zwischen Rettungs- Produkt identifizieren. Der Fragebogenteil Augenschein genommen wurde und ob kräften, die bereits die App im Einsatz mit umfasst 28 Items, die jeweils durch zwei sie bereits vom Befragten im Einsatz mit Patienten verwendet haben, und jenen, gegensätzliche Adjektive (z. B. „zurück- einem Patienten verwendet wurde. Ab- die dies noch nicht taten, wurden mitein- weisend – einladend“) gebildet und auf schließend gab es ein mehrzeiliges Feld, ander verglichen. Dafür wurde die Varia- einer siebenstufigen Skala angekreuzt um Freitextkommentare oder Hinweise zur ble zur Frage „App bereits im Einsatz ge- werden. Für die vier unterschiedlichen Verbesserung oder Problemen zu beschrei- nutzt?“ als Dummy-Variable mit den Wer- Dimensionen wird ein jeweiliger Score ben. ten 0 (nicht verwendet) und 1 (verwendet) errechnet, der in seinen Ausprägungen codiert und mittels Rangkorrelation nach zwischen –3 (sehr negative Bewertung) Ablauf Spearman überprüft, ob diese mit dem und +3 (sehr positive Bewertung) lie- erzielten Punktscore korrelierten. Korrela- gen kann. Alle Items sind in . Abb. 5 Die Befragung wurde in den Rettungswa- tionskoeffizienten (r) und p-Werte wurden dargestellt. Der Fragebogen testet somit chen der Malteser in Braunschweig, Kö- angegeben, p-Werte ≤ 0,05 wurden als sig- nicht nur die Nutzbarkeit, sondern be- nigslutter, Wendhausen sowie in der Ret- nifikant gewertet. sonders das Erleben der Bedienung, die tungswache des Landkreises in Helmstedt Alle statistischen Berechnungen wur- sog. „user experience“. Pragmatische und durchgeführt. Die Fragebögen wurden den mit SPSS 26 durchgeführt, Abbildun- hedonische Qualität gelten dabei in der zwischen dem 06.07.2020 und 08.07.2020 Notfall + Rettungsmedizin 3
Originalien gen wurden mit GraphPad Prism 8.3 er- App noch nicht mit stellt. Patient genutzt zu selbstorientiert selbstorientiert begehrt App bereits mit Patient Ethik und Datenschutz genutzt hedonische Qualität Die Untersuchung erfolgte als Unterpro- neutral jekt des DICTUM-Rescue-Projekts [1, 4]. handlungsorientiert Es besteht ein Ethikvotum der Ethikkom- mission der Universitätsmedizin Göttingen (9/9/18) sowie eine Übereinkunft über Da- tennutzung und -schutz mit den beteilig- überflüssig zu ten Gebietskörperschaften sowie den Ret- handlungsorientiert tungsdiensten. pragmatische Qualität Ergebnisse Stichprobe Abb. 4 8 Portfolio mit durchschnittlichen Ausprägungen der Dimensionen „pragmatische Qualität“ und „hedonische Qualität“ Insgesamt wurden 109 Fragebögen an alle fest angestellten Rettungsdienstmitarbei- ter und Auszubildenden der im Projekt beteiligten vier Wachen ausgegeben. Vier Mitarbeiter kündigten unmittelbar nach Ausgabe der Fragebögen bzw. waren wäh- rend des gesamten Rückmeldezeitraums erkrankt. 52 Fragebögen wurden zurück- übermittelt, was einer Rücklaufquote von 48,6 % entspricht. Die Rücklaufquote aus den einzelnen Wachen variierte zwischen 25,6 und 83,3 %. Eine Übersicht zeigt . Abb. 3. Befragte Rettungsdienstmitarbeiter waren häufiger männlich (65,2 %), im Schnitt 36 Jahre alt. Über die Hälfte der Befragten gab an, die untersuchte App bereits selbst im Einsatz mit Patienten verwendet zu haben. Weitere Informatio- nen zu soziodemografischen Aspekten der Befragten sind in . Tab. 1 wiedergegeben. Ergebnisse der Befragung – AttrakDiff-Fragebogen Die pragmatische Qualität (PQ) wurde mit einem durchschnittlichen Wert von 0,69 (SD 0,86) eingeschätzt, die hedonische Qualität „Stimulation“ (HQ-S) mit 0,40 (SD 0,56), die hedonische Qualität „Identität“ (HQ-I) mit durchschnittlich 0,78 Punkten (SD 0,80) und die Attraktivität (ATT) mit 0,64 Punkten (SD 0,83). Die Durchschnitts- werte zeigen insgesamt zufriedenstellen- Abb. 5 8 Mittlere Ausprägungen der Wortpaare des AttrakDiff-Fragebogens de Werte jeweils oberhalb der neutral markierenden Grenze von 0. Die interne Konsistenz des Fragebogens zeigte sich als sehr gut (Cronbachs α = 0,933). 4 Notfall + Rettungsmedizin
Tab. 1 Charakteristika der teilnehmenden Rettungsdienstmitarbeiter der Nutzung der App sehr sicher gefühlt“: N (%) Dieser Aussage stimmten signifikant mehr Geschlechta Männlich 30 (65,2) Frauen als Männer zu (r = 0,32, p = 0,029). Weiblich 16 (34,8) Alter (Jahre)b 20–29 10 (29,4) Ergebnisse Freitextkommentare 30–39 12 (35,3) 40–49 9 (26,5) Insgesamt haben drei Befragte die Mög- lichkeit zu Freitextkommentaren genutzt. 50–59 3 (8,8) Dabei wurde die Einführung einer Funktion Rettungswache Braunschweig 7 (14,6) zur Spracherkennung gewünscht, ein an- Königslutter 16 (33,3) derer Kommentar empfahl die Ausweitung Wendhausen 9 (18,8) der App-Nutzung auf Krankenhausnotauf- Helmstedt 16 (33,3) nahmen, da hier ebenfalls ein großer Be- Berufsqualifikationc Rettungsassistent/-in 9 (27,3) darf bestände. Ein dritter Kommentar be- Notfallsanitäter/-in 15 (45,5) richtete darüber, dass die App einmal nicht Rettungssanitäter/-in 5 (15,2) startete. Der Fehler wurde zwischenzeit- Auszubildende 4 (12,1) lich per Softwareupdate behoben. App bereits mit Patienten eingesetzt? Ja 27 (56,3) Nein 21 (43,8) Diskussion a n = 2 ohne Angabe; b n = 14 ohne Angabe, c n = 15 ohne Angabe Die Ergebnisse zeigen, dass die untersuch- te App insgesamt als gut nutzbar und at- In der von den Entwicklern des At- Ergebnisse der Befragung – System traktiv eingeschätzt wird. Insbesondere vor trakDiff-Fragebogens vorgeschlagenen Usability Scale dem Hintergrund, dass es sich letztlich um Portfoliodarstellung zeigt sich, dass die ein „Arbeitswerkzeug“ und nicht um ein App zwischen neutral, begehrt und selbst- Die berechnete interne Konsistenz des ver- Konsumgut oder eine App mit Unterhal- orientiert rangiert (. Abb. 4). Zwar fluk- wendeten Erhebungsinstruments war ins- tungspotenzial handelt, die typischerwei- tuieren die Einzelwerte teilweise deutlich, gesamt gut (Cronbachs α = 0,844). Der se mit dem verwendeten AttrakDiff-Fra- jedoch zeigte sich bei keinem Befragten gesamte Medianpunktwert der SUS war gebogen getestet werden, erscheint die eine Bewertung, die nahelegen würde, 67,5 Punkte (IQR 25), was nach Bangor hedonische Qualität verhältnismäßig be- dass die App als überflüssig oder einseitig et al. im Grenzbereich zwischen durch- merkenswert. selbst- oder handlungsorientiert einge- schnittlicher und guter Nutzbarkeit liegt Bei den Ergebnissen sollten dabei die schätzt wurde. Teststatistisch zeigten sich [8]. Hingegen attestierten Rettungsdienst- Situationen, in denen eine solche App keine signifikanten Zusammenhänge zwi- mitarbeiter, die die App bereits in der Pati- Verwendung finden kann, stets vor Au- schen Punktwerten der unterschiedlichen entenversorgung aktiv eingesetzt haben, gen geführt werden: Medizinische Not- getesteten Dimensionen und soziodemo- eine durchweg gute Nutzbarkeit (Median fallsituationen sind häufig einschneiden- grafischen Faktoren der befragten Ret- 72,5, IQR 30). Diese Gruppen unterschie- de und gleichsam emotional belastende tungssanitäter. Rettungskräfte, die die den sich insbesondere bei der Beantwor- Momente für Patienten und deren An- App bereits im Einsatz mit Patienten ge- tung der Fragen „Ich finde die App als gehörige. Da Rettungskräfte bei der Ver- nutzt hatten, tendierten jedoch dazu, die unnötig komplex“ (r = –0,40, p = 0,005), sorgung nochmals in besonderem Maße App in der HQ-S-Skala deutlich besser zu „Ich kann mir vorstellen, dass die meisten darauf angewiesen sind, Symptomdarstel- bewerten (r = 0,62, p < 0,001). Kollegen die App schnell zu beherrschen lungen, Auffindeumfeld, gesprochene Pa- In der feineren Untersuchung auf Ebe- lernen“ (r = 0,29, p = 0,047), „Ich habe mich tientenaussagen, Gestik, Mimik u. v. m. zu ne einzelner Items konnte dieser Befund beim Einsatz der App sehr sicher gefühlt“ beachten und sich ein möglichst umfas- weiter differenziert werden. Befragte mit (r = 0,62, p < 0,001) und „Ich musste eine sendes und stimmiges Situationsbild zu praktischer Nutzungserfahrung empfan- Menge Dinge lernen, bevor ich mit der App verschaffen, lässt sich annehmen, dass die den die App signifikant häufiger als über- arbeiten konnte“ (r = 0,35, p = 0,018). In Notfallversorgung und die Kommunikati- sichtlicher, fachmännischer, wertvoller, ori- all diesen Aspekten schätzten die aktiven onüber Sprach- und Kulturgrenzenhinweg gineller, kreativer, innovativer, fesselnder, App-Nutzer das neue Werkzeug signifikant als besonders herausfordernd gelten kön- neuartig und besser als diejenigen, die die positiver ein als diejenigen, die die App nen. Die App kann dabei diese Grenzen App noch nicht im Einsatzkontext nutzten. noch nicht selbst im Einsatz am Patien- nicht auflösen und quasi einen kommu- Eine Übersicht der einzelnen Punktscores ten genutzt haben. Alter und Geschlecht nikativen „Normalfall“ herstellen, sondern zeigt . Abb. 5. der Befragten hatten hingegen keinen si- lediglich über den „Umweg“ eines digita- gnifikanten Einfluss auf die Einschätzung. len Tools eine bessere Möglichkeit für das Dies traf auch auf alle einzelnen Items zu, Gelingen von Kommunikation bieten. Die- mit Ausnahme von „Ich habe mich bei ser Umweg kann verständlicherweise, wie Notfall + Rettungsmedizin 5
Originalien auch einzelne Befragte äußerten, eher als Limitierend muss herausgestellt wer- Korrespondenzadresse technisch und umständlich wahrgenom- den, dass die Intervention nach einem men werden, gerade weil eine solche App kurzen Erprobungszeitraum von sechs Mo- Frank Müller Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsme- zunächst einmal mehr Komplexität in diese naten evaluiert wurde und daher ein nicht dizin Göttingen sowieso durch kommunikative Unsicher- unerheblicher Teil der befragten Rettungs- Humboldtallee 38, 37073 Göttingen, heit geprägte Situation bringt. Diese zu- kräfte noch nicht die Möglichkeit hatte, Deutschland sätzliche Komplexität lässt sich illustrieren die App im Einsatz zu testen. Wahrschein- frank.mueller@med.uni-goettingen.de an den 600 möglichen auswählbaren und lich konnten nur wenige Rettungskräfte nach Symptomgruppen und Einsatzszena- die App in mehreren Einsätzen mit unter- rien gegliederten Phrasen, die Rettungs- schiedlichen Erkrankungsbildern nutzen Danksagung. Die Autoren danken dem Malteser kräften mit der App prinzipiell zur Verfü- und so weitere Erfahrungen sammeln. Hilfsdienst e. V., dem Landkreis Helmstedt und der gung stehen. Diese Anzahl erschien im Ent- Entsprechend zeigt die vorliegende Un- Stadt Braunschweig für die Zusammenarbeit sowie den Mitarbeitern der Rettungswachen in Königslut- wicklungsprozess als hinreichend, um eine tersuchung ein erstes Bild, wobei weitere ter, Wendhausen, Helmstedt und Braunschweig für Vielzahl von Kommunikation in Einsatzsze- Untersuchungen notwendig sein werden, ihre Unterstützung. Wir danken Frau Sybille Schmid narien abdecken zu können, inklusive sel- um auch mögliche positive patientensei- von der Berufsfeuerwehr Braunschweig, die wich- tige Ideen zu diesem Manuskript beigetragen hat. tener, aber potenziell gefährlicher Grenz- tige Effekte zu bemessen. Ebenso danken wir Herrn Thomas Wächter vom Kreis fälle. Diese hohe Anzahl sorgt auch dafür, Trotz dieser insgesamt ermutigenden Helmstedt für die Unterstützung in der Projektdurch- dass es für Rettungskräfte unmöglich sein Befunde zeigt sich auch Optimierungsbe- führung im Landkreis sowie Iris Pingel und Luise Wehl vom Institut für Allgemeinmedizin für ihre kann, über alle Frage- oder Informations- darf: Eine weitere Verbesserung der Be- Unterstützung bei der Datenaufnahme. inhalte der App Bescheid zu wissen. Umso dienbarkeit ist ein nächstes Entwicklungs- mehr ist es notwendig, dass Rettungskräfte ziel, wobei wir durch die detaillierte Aus- Förderung. Diese Arbeit wurde gefördert durch das Bundesministerium für Ernährung und Land- sich ein Gefühl über den Nutzungsumfang wertung von Nutzungsdaten etwa heraus- wirtschaft auf Grundlage eines Beschlusses des verschaffen und sich letztlich eine Gewiss- finden möchten, welche Inhalte schwer Deutschen Bundestags (2818LD007), durch das Nie- heit darüber einstellt, in einem Einsatzfall aufzufinden waren oder welche Phrasen dersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung (5SL1.4-48104MTV16/19) und eine sonst selten angewendete, aber nun besonders häufig genutzt wurden, und durch das Programm „Soziale Innovationen“ mit dringend notwendige Phrase sicher aufzu- entsprechend Anpassungen in den Phra- Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF; ZAM finden. Gerade in Anbetracht dieser Funk- sengruppierungen vornehmen. 85037964). tionsfülle ist das Umfrageergebnis gerade Gegenwärtig wird eine Funktion er- Funding. Open Access funding enabled and organi- im Hinblick auf das entwickelte User-In- gänzt, durch die die App Daten an digitale zed by Projekt DEAL. terface als positiv zu werten. Rettungsdienstprotokollsysteme übermit- Auffällig ist der deutliche Unterschied teln kann. Somit besteht die Möglichkeit, in der Bewertung der App zwischen Ret- Kommunikationsverläufe (inklusive Auf- Einhaltung ethischer Richtlinien tungsdienstmitarbeitern, die die App be- klärungen) mit fremdsprachigen Patienten Interessenkonflikt. F. Müller, E. Hummers, J. Schulze reits im Einsatz nutzten, und jenen, die verlässlich zu dokumentieren. Wir gehen und E.M. Noack geben an, dass kein Interessenkonflikt dies noch nicht taten. Erstere fühlten sich davon aus, dass sich prognostisch die besteht. Die Förderer hatten keinen Einfluss auf Da- sicherer in der Nutzung und empfanden Nützlichkeit der App daher noch deutlich tenerhebung, Auswertung der Ergebnisse und deren Publikation. Die benannte App wurde von aidminutes sie einfacher zu bedienen. Es lässt sich fol- erhöht. Ferner ist die Lizenzierung als GmbH zusammen mit den Autoren entwickelt. Die gern, dass die App im Patientenkontakt, Medizinprodukt geplant. Autoren haben keine über das wissenschaftliche Pro- wenn sie als Werkzeug sicher eingesetzt Die Nichtstudienversion der App ist als jekt hinausgehenden finanziellen oder anderweitigen Verbindungen zu aidminutes GmbH. wurde, die Rettungssituation zu vereinfa- „aidminutes.rescue COVID-19“ in App-Sto- chen und abzusichern vermochte. res für Android- und iOS-Betriebssysteme Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Gleichzeitig deutet die Bewertung auf verfügbar. Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort eine Art „Schwellenangst“ derjenigen hin, angegebenen ethischen Richtlinien. die die App noch nicht nutzten. Diese Fazit für die Praxis könnte sich in Befürchtungen, Ängsten Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative 4 Die untersuchte App wurde insgesamt als Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz und abwartender Skepsis äußern. Es un- gut nutzbar und attraktiv eingeschätzt. veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, terstreicht die Notwendigkeit, gerade bei 4 Rettungskräfte, die die App bereits im Pa- Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jegli- digitalen Lösungen, die Funktionen be- tienteneinsatz einsetzten, schätzten Nutz- chem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die barkeit und Attraktivität in wesentlichen ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsge- reitstellen, die in der Regel nicht alltäglich mäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz Punkten positiver ein. gebraucht werden, diese Schwellenängste 4 Um Schwellenängsten bei der Verwen- beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenom- abzubauen: Wir haben dazu etwa zu An- men wurden. dung von neuen digitalen Techniken zu fang Kurzeinführungen während Teamsit- begegnen und Bereitschaft zur Nutzung Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges zungen angeboten, bei denen Rettungs- zu erhöhen, bieten sich spielerische Ein- Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten kräfte in Kleingruppen spielerisch unter- führungen an. Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbil- dungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das be- schiedliche Funktionen kennenlernen und treffende Material nicht unter der genannten Creative die App erkunden konnten. 6 Notfall + Rettungsmedizin
Abstract Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für Usability of an app to overcome language barriers in paramedic care die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Ma- terials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers Background: Communication with foreign-speaking patients in emergency medical einzuholen. situations can be challenging. In contrast to the inpatient setting, adequate interpreters are often not readily available in emergency services. At the same time, however, Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/ emergency situations require rapid assessment as the basis for any treatment. licenses/by/4.0/deed.de. Materials and methods: A smartphone app that enables basic communication in 18 languages using 600 different phrases was piloted over a period of 6 months in four emergency medical service stations. Finally, the usability of the app was evaluated by Literatur the whole rescue service staff in a questionnaire study using the System Usability Score 1. Müller F, Hummers E, Noack EM (2020) Medical and the AttrakDiff questionnaire. characteristics of foreign language patients in Results: The response rate was 48.5% and n = 48 questionnaires were evaluated. The paramedic care. Int J Environ Res Public Health average age of the respondents was 36 years and almost two-thirds were male. The 17(17):6306 System Usability Score showed a median of 67.5 points, indicating borderline good 2. Stegmann Y, Lauer D (2020) Übersetzungshilfen im Rettungsdienst: Können Sie mich verstehen? usability. The AttrakDiff questionnaire showed pragmatic quality with an average Rettungsdienst 43(5):28–33 of 0.69 (SD 0.86), hedonic quality with 0.59 (SD 0.58), and attractiveness (ATT) with 3. Müller F, Schulze J, Geisler P et al (2020) 0.64 points (SD 0.83). The average values show satisfying results above the neutral Sprachbarrieren im Rettungsdienst in Zeiten von limit of 0. It was observed that those rescue workers who stated that they had already Covid-19: Kann eine App helfen? Rettungsdienst 43(11):20–24 actively used the app with patients rated the app significantly better. 4. Noack EM, Kleinert E, Müller F (2020) Overcoming Discussion: Given that the app studied is a complex work tool, its usability and language barriers in paramedic care: a study attractiveness were rated as overall good, and paramedics who had already used the protocol of the interventional trial ‘DICTUM rescue’ evaluating an app designed to improve app rated it even more positively. This could indicate a hesitancy by some paramedics communication between paramedics and foreign- to use a complex digital tool in complex situations that are already characterized by language patients. BMCHealth Serv Res 20(1):223 language and cultural barriers. 5. Noack EM, Schulze J, Müller F (2021) Designing an app to overcome language barriers in the delivery Keywords of emergency medical services: participatory development process. JMIR Mhealth Uhealth Emergency medical service · Language proficiency · Multilingual · Migrant · Smartphone 9(4):e21586 6. Hassenzahl M, Burmester M, Koller F (2003) AttrakDiff: Ein Fragebogen zur Messung wahr- genommener hedonischer und pragmatischer Qualität. In: Szwillus G, Ziegler J (Hrsg) Mensch & Computer 2003: Interaktion in Bewegung. Vieweg + Teubner, Stuttgart, Leipzig, Wiesbaden, S 187–196 7. Bangor A, Kortum PT, Miller JT (2008) An empirical evaluation of the system usability scale. Int J Hum Comput Interact 24(6):574–594 8. Bangor A, Kortum PT, Miller JT (2009) Determining what individual SUS scores mean: adding an adjective rating scale. J Usability Stud 4:114–123 Notfall + Rettungsmedizin 7
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