Gefangen in quälenden Gedanken - Posttraumatische Belastungsstörung - Stiftung Katastrophen-Nachsorge
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Zertifizierte Fortbildung Posttraumatische Belastungsstörung Gefangen in quälenden Gedanken A. Jatzko, A. Hinckers Werden Menschen Opfer von Gewalt, sexuellen Missbrauchs oder Unfällen, kann das Ereignis so einschneidend sein, dass die Selbst- kontrolle und das Sicherheitsgefühl erschüttert werden. Ist das Erlebte allein nicht zu bewältigen und leiden die Betroffenen unter den immer wiederkehrenden, belastenden Erinnerungen, sind effektive therapeutische Strategien gefragt. D ie posttraumatische Belastungs- und facettenreiche Schilderung dieses störung (PTBS) gilt nach DSM Krankheitsbildes findet sich im 8. Jahr- IV (309.81) und ICD 10 (F43.1) hundert vor Christus in Homers Epos als eine „funktionelle“ psychische Störung Ilias im Zusammenhang mit den Kämp- [1], die durch ein im Anschluss an ein fen um Troja [7]. Gegenstand inten- traumatisches Lebensereignis auftretendes siveren wissenschaftlichen Interesses Hyperarousal, intrusives Wiedererleben, wurde die PTBS Ende des 19. Jahrhun- Vermeidungsverhalten, emotionale Taub- derts unter anderem durch Hermann heit und Beeinträchtigung im alltäglichen Oppenheim (1889–1919), Jean-Martin Daten einer neueren Studie mit Leben charakterisiert ist (s. Tab. 1, S. 51: Charcot (1825 – 1893) und Sigmund 1.200 repräsentativ ausgewählten Viet- Diagnostische Kriterien). Die Diagnose Freud (1856 – 1939). Das damalige Er- namveteranen belegen eine Lebenszeit- kann in der ICD 10 – anderslautend als klärungsmodell legte intrapsychische, vor prävalenz für PTBS von 18,7 % sowie in der DSM IV – nach Abklingen der aku- allem „hysterische“ Vorgänge zugrunde eine Punktprävalenz von 9,1 % [11]. ten Belastungsreaktion schon zwei Tage [7]. Seit den 50er-Jahren war man der Hoge et al. beschrieben, dass 19,1 % der nach dem Ereignis gestellt werden. Die Auffassung, dass seelische Störungen Kriegsheimkehrer aus dem Irak und DSM IV geht von einem anderen Ansatz, weitgehend unabhängig von fassbaren 11,3% aus Afghanistan psychisch auffäl- der prognostischen Gliederung, aus: Der Vorgängen im Gehirn betrachtet werden lig waren; von ihnen litten 9,8 % (Irak) Erkrankungsverlauf ist hierbei unterteilt müssten. Erst ab den 70er-Jahren des und 4,7 % (Afghanistan) unter einer in eine akute Belastungsstörung und eine vergangenen Jahrhunderts wurden neu- PTBS [12]. akute sowie eine chronische posttrauma- robiologisch orientierte pathogenetische Nicht alle Personen nach einem tische Belastungsstörung. Jede dieser drei Modelle in Erwägung gezogen [8]. Trauma hatten eine voll ausgeprägte Stufen, vor allem die letzte, verschlechtert PTBS, dennoch können diese Betrof- die Langzeitprognose. Eine Remittierung Epidemiologie fenen in ihrer Lebensanpassung deutlich innerhalb der ersten drei Monate ist die In einer Querschnittsstudie von 5.788 beeinträchtigt sein. Blanchard et al. be- Regel [2], der natürliche Verlauf der Re- Personen zeigte sich eine PTBS-Präva- schrieben das Vorkommen einer subsyn- mittierung ist aber auch bis zu einer Zeit lenz von 7,8% (5% für Männer, 10,4% dromalen PTBS in einer Gruppe von von sechs Monaten beschrieben [3]. Ein für Frauen) [4]. Eine deutsche Stichpro- Unfallopfern mit 20 % im Vergleich zu Drittel aller PTBS-Betroffenen zeigt einen be geht von einer Prävalenz von 1% bei 46% mit Vollbild einer PTBS [13]. chronischen Verlauf [4]. Männern und 2,2 % bei Frauen aus [9]. Bei Überlebenden eines Herzstillstandes Kosten Historie konnte in 27 % der Fälle eine PTBS Auf die gesamten medizinischen Kosten Die früheste klinische Beschreibung der nachgewiesen werden, wobei weder An- bezogen ist die PTBS die teuerste PTBS geht auf das Jahr 4000 vor Chris- algesie noch Sedation einen Einfluss Angsterkrankung [14]. Chan und Mit- tus zurück [6]. Eine erste ausführliche hatten [10]. arbeitern berechneten anhand einer Stu- 46 NeuroTransmitter 10·2006
einer zuvor erlebten Gewalterfahrung um rate bei bis zu 19 % der PTBS-Betrof- © PixelQuelle.de das neun- bis zehnfache erhöht [20, 21], fenen verantwortlich [35, 36]; auch ein um das zweifache für Frauen [4]. Es ist ausgeprägtes Hyperarousal, Impulsivität ebenso vergrößert bei einer zuvor erlit- und Ärger [37] tragen dazu bei . tenen schweren depressiven Episode [4, 22, 23], bei Neurasthenie [22] und bei Neurobiologische Befunde einer narzisstischen Persönlichkeitsak- Bei Betroffenen mit PTBS wurden – an- zentuierung [24]. ders als bei der Depression – erniedrigte Es wurde in vielen Studien versucht, Kortisolwerte [38, 39] bei erhöhter Kor- Parameter für die Entwicklung einer tisolsuppression im Dexamethasontest PTBS zu erkennen. Folgende Befunde beschrieben [40, 41]. In psychologischen wiesen direkt nach dem Trauma auf eine Stresstests zeigte sich eine erhöhte Kor- höhere Wahrscheinlichkeit hin, eine tisolantwort [42]. Eine andere Kompo- PTBS zu entwickeln: psychologische nente der HPA-Achse, das Corticotropin- Marker wie peritraumatisches dissoziati- Releasing Homon (CRH), war bei nor- ves Erleben [25], emotionale Taubheit malen Kortisolwerten erhöht, wozu der oder Hyperarousal [26] als auch biolo- Autor bemerkte, dass eine solche Kons- gische Marker wie erniedrigter Kortisol- tellation bei keiner anderen psychia- spiegel [27] oder erhöhter Kortisol- und trischen Erkrankung gefunden worden Noradrenalinspiegel [28], eine erhöhte sei [43]. Erniedrigte Kortisolspiegel wur- Herzrate [29] oder ein erniedrigter Plas- den auch bei erwachsenen Kindern mit ma-GABA-Spiegel [30]. und ohne PTBS von Holocaustüberle- Bei einem Drittel der Betroffenen benden dokumentiert, wobei sich die verläuft die PTBS chronisch über viele niedrigsten Werte bei erwachsenen Kin- Jahre [4]. In einer deutschen Studie bei dern mit PTBS fanden [44]. Das adren- Jugendlichen und jungen Erwachsenen erge System ist aktiviert, die Noradenalin- mit PTBS wurde eine Chronifizierungs- werte im 24-Stunden-Urin sind erhöht rate von 48% bei 125 Betroffen beschrie- [45]. In einer anderen Studie wurde vor ben [31]. Diese Daten zeigen, dass PTBS allem eine gesteigerte nächtliche Norad- die an 391 Verkehrsopfern PTBS-bezo- eine Erkrankung mit einem hohen Chro- renalinexkretion nachgewiesen, die Aus- gene ökonomische Kosten von Aus $ nifizierungsrisiko ist. wirkungen auf die bei PTBS immer vor- 6.369.519,52 (ca. 3.375.845 EUR) [15]. kommenden Schlafstörungen hat [46]. Die zirka 3,1 –4,7 Millionen Gewaltop- Komorbidität Blutdruck und Noradrenalinkonzentra- fer in den USA im Jahr 1991, die eine Patienten mit PTBS haben in bis zu 80% tion im Liquor korrelierten bei gesunden psychische Behandlung erhielten, verur- der Fälle weitere DSM IV-Diagnosen [4]. Probanden, jedoch nicht bei PTBS-Pa- sachten Kosten von 8,3–9,7 Mrd. $ [16]. 85,2% der Männer und 79,7% der Frau- tienten [47]. Dieses zeigt, ähnlich wie Allein die Verkürzung der Zeit bis zur en zeigten eine weitere Achse-1-Störung, die Kortisolbefunde, dass die sonst nor- richtigen Diagnose bei traumatisierten 60% der Männer und 50 % der Frauen malen Regelmechanismen bei einer Frauen mit dissoziativer Störung (Redu- auch zwei und mehr. Die häufigsten ko- PTBS verändert sind. zierung von den festgestellten 98,77 Mo- morbiden Störungen waren (Männer/ Auch veränderte Immunparameter nate auf zwölf Monate) könnte Einspa- Frauen) Depression (51 %/65 %), gene- wie beispielsweise erhöhte IgM- [33] und rungen von 250.000 $ ergeben [17]. Laut ralisierte Angsterkrankung (40 %/22 %) veränderte Interleukinspiegel [48, 49] Frommberger haben unbehandelte Pati- und Alkoholmissbrauch oder -abhängig- wurden beschrieben. Ferner zeigte sich enten mit PTBS nach Unfällen zudem keit (37%/12%) [32]. In vielen Studien in leukozytären Funktionstests eine ver- längere Krankenhausaufenthalte [18]. wurden auch vermehrte chronische so- mehrte Aktivierung der Immunantwort matische Erkrankungen wie kardiovas- [50–52]. Andere Untersuchungen konn- Prädisposition, Verlauf kuläre- und Autoimmunerkrankungen, ten eine vermehrte Koagulationsneigung und Prognose rheumatoide Arthritis, Psoriasis, Hypo- belegen [53]. Diese Befunde könnten Etwa 50–90% der Bevölkerung werden thyreose [33], gastrale Ulzera, und Asth- insgesamt Grundlage für die vermehrten mindestens einmal in ihrem Leben mit ma [34] beschrieben. körperlichen Erkrankungen bei PTBS einem potenziell traumatischen Ereignis Insgesamt haben PTBS-Patienten sein. konfrontiert [4, 19]. Das höchste Risiko ein erhöhtes Risiko, vorzeitig zu verster- Dass eine PTBS nicht mit einer an- eine PTBS zu entwickeln haben Men- ben [33]. Neben somatischen Erkran- deren Angststörung wie zum Beispiel schen, die zuvor bereits ein traumatisches kungen ist dafür auch eine mindestens einer Panikstörung gleichzusetzen ist, Erlebnis hatten. Das PTBS-Risiko ist bei um das sechsfach erhöhte Suizidversuchs- zeigt eine Vergleichsstudie, in der PTBS- NeuroTransmitter 10·2006 47
Posttraumatische Belastungsstörung Krankheitsmodell Schaubild: Konnektivitätsveränderungen beim Hyperarousol-Typ Im Moment des Traumas kann es durch Aktivierung entweder kortikaler (disso- ziativer Typ) oder amygdalärer Struktu- ren (Hyperarousal-Typ) [62] (vgl. auch Abb.) zu Funktionsstörungen thala- mischer Synchronisationsprozesse kom- men [63]. Es bildet sich eine Dissozia- tion im Zusammenspiel zwischen fron- talem Kortex und Gyrus Cingulum auf der einen Seite und Amygdala und Hip- pocampusformation auf der anderen Seite aus [64]. Durch diese Netzwerk- störung können Abspeicherungen im unteren limbischen Bereich ablaufen, ohne dass hierbei höhere kortikale Are- ale regulierend eingreifen können. Aus diesem Grund werden die Abspeiche- rungen nicht in einem normalen Kon- text eingebettet, da höhere kortikale Areale an der amygdalären-hippocampa- len Abspeicherung nicht mitwirken kön- nen [59]. Werden diese dissoziativ ab- gespeicherten Gedächtnisspuren in Patienten auf einen CO2-Reiz nicht mit la, Thalamus, Insel, parietalem und tem- Amygdala und Hippocampus im Anpas- vermehrten Panikattacken wie Panikpa- poralem Kortex gefunden [59, 60]. Hier- sungsprozess nach dem Ereignis nicht tienten reagierten, sondern ein Reakti- bei war die Aktivierung höherer kogni- durch kortikale Areale wieder geregelt onsmuster ähnlich gesunden Kontroll- tiver, kortikaler Strukturen, die auf beeinflusst, kann sich eine PTBS ausbil- patienten hatten [54]. Dieses Resultat limbische Areale wie die Amygdala inhi- den. Hierbei spielen viele neuropsycho- weist auf veränderte biologische Mecha- bierend wirken könnten, vermindert logische und neurohumorale Einfluss- nismen der PTBS in Gegensatz zu ande- gegenüber einer vermehrten parietalen faktoren eine Rolle, die im Einzelnen ren Angsterkrankungen hin. und niederen limbischen Aktivierung bislang noch nicht ausreichend unter- [60]. In drei Studien wurde eine Deak- sucht sind [65]. Bildgebende Befunde tivierung des Broca-Zentrums bei Symp- In drei Metaanalysen wurden verminder- tomprovokation nachgewiesen, was die Diagnostik der PTBS te hippocampale Volumina nachgewiesen verminderte sprachliche Ausdrucksweise Zur Diagnosestellung einer PTBS wer- [55 –57]; in einer Analyse flossen dabei der Patienten erklären könnte [60]. Auch den semi-strukturierte Interviewleitfäden jedoch nur Ergebnisse aus neun, in einer bei positiven emotionalen Inhalten zeigt wie beispielsweise das „Strukturierte Kli- anderen nur aus 13 Studien ein. Insge- sich eine veränderte funktionelle Akti- nische Interview für DSM“ (SKID) [66] samt zeigen 20 Studien verminderte vierung hin zu unemotionaleren parieta- und das Diagnostische Interview bei hippocampale Volumina, in 13 Studien len Verarbeitungswegen, welche die bei psychischen Störungen (DIPS) [67] vor- konnte diese Abnahme jedoch nicht be- PTBS beschriebene emotionale Taubheit geschlagen. Diese Verfahren können stätigt werden. In zwei Studien wurde erklären könnte [61]. ebenfalls zur Erfassung einer komorbi- eine Zunahme eines zuvor verminderten Dass zwischen dem Hyperarousal- den Symptomatik genutzt werden. Zur hippocampalen Volumens bei Patienten und dem dissoziativen Typ neurophysi- Erfassung des Schweregrades einer PTBS mit PTBS unter Therapie mit Paroxetin ologische Unterschiede bestehen, wird dient die Clinician Administered PTSD und Phenytoin beschrieben [58]. Auch zunehmend deutlicher. So wurden nicht Scale (CAPS) [68] in Form eines Inter- Volumenveränderungen im anterioren nur verminderte Herzraten bei Trauma- viewleitfadens. Der Therapieverlauf kann Cingulum und in der Amygdala sind konfrontation beim dissoziativen Typ im über zwei selbst-rating Fragebögen er- publiziert [56]. Gegensatz zu erhöhten Raten beim Hy- fasst werden. Mittels der Impact of Event In funktionellen Untersuchungen perarousal-Typ gefunden, sondern auch Scale Revised (IES-R) [69] werden die wurden veränderte Aktivierungen in veränderte kortikale und subkorticale Subskalen Intrusion, Vermeidung und Symptomprovokationstests, vor allem im Aktivierungen [59]. Somit kann von min- Übererregung erfasst, außerdem kann anterioren Cingulum, medialem präfron- destens zwei verschiedenen PTBS-Reak- ein Summenwert zur Intensität der er- talen Kortex, Broca-Zentrum, Amygda- tionstypen ausgegangen werden. fassten Symptome errechnet werden. 48 NeuroTransmitter 10·2006
Posttraumatische Belastungsstörung Stärker an der DSM-IV und am ICD 10 Medikamentöse Therapie Wirksamkeitsnachweise wurden für Flu- orientiert ist jedoch die Posttraumatic Adrenerge Inhibitoren: Zurzeit existie- oxetin (20 – 80 mg), Paroxetin (20 – 50 Stress Diagnostic Scale (PDS) [70], mit ren noch keine Studien, die eine Wirk- mg) und Sertralin (50–200 mg, mittlere der neben einem Summenwert zur In- samkeit einer medikamentösen Therapie Dosen zwischen 100 – 150 mg) gezeigt, tensität der Symptome Subskalen zur zur Verhinderung einer posttrauma- unter deren Behandlung eine Symptom- Intrusion, Vermeidung und Übererre- tischen Belastungsstörung belegen. Es reduktion nach zwei bis vier Wochen gung gebildet werden können. gibt erste Hinweise, dass der ß-Blocker beschrieben wurde. Eine Wirkung auf Propranolol die Ausbildung der Erkran- die Symptome Ärger und Reizbarkeit Therapie kung abschwächen oder verhindern wurde bereits in der ersten Woche nachg- Die effektive Behandlung der PTBS, vor könnte [73]. Prazosin zeigte in Fallbe- wiesen [76]. Fluvoxamin hatte in einer allem in den akuteren Stadien, umfasst richten eine Verminderung des Hypera- offen Studie auch positive Effekte auf drei Strategien: rousals und der Albträume / Schlafstö- Schlaf und Albträume [77]. Zirka 30 % 1. supportive Maßnahmen und Psycho- rungen [74]. der Betroffenen zeigen innerhalb der ers- edukation, SSRI: Als Mittel der Wahl der akuten ten 12 Wochen eine Remittierung der 2. medikamentöse Therapie, Therapie als auch der Langzeitbehand- Symptome [78], wobei bei 20 – 40 % 3. Psychotherapie [71]. lung gelten heute die SSRI [75]. Sie wir- keine durchgreifende Besserung mittels Hierbei ist anzumerken, dass das The- ken auf die drei Hauptsymptome der alleiniger Behandlung mit SSRI beschrie- rapiekonzept des Debriefings bisher PTBS, auf die häufigen komorbiden Stö- ben wurde [79]. Für SSRI konnte auch keinen präventiven Nutzen für die Aus- rungen (z. B. Depression, Angst-, gezeigt werden, dass sie Rückfälle min- bildung einer PTBS gezeigt hat, im Zwangserkrankungen), auch auf impul- dern können (48% Rückfälle für Plazebo, Gegenteil diese eher verschlechterte sives, aggressives und suizidales Verhalten 16 % für Sertralin [79]). Die Therapie- [72]. und haben wenig Nebenwirkungen [71]. empfehlungen besagen, dass eine Behand- lung mit SSRI mindestens über drei Mo- nate erfolgen und bei positivem Ergebnis Tabelle 1 ein Jahr weitergeführt werden sollte [79]. Definition und diagnostische Kriterien der PTBS In Deutschland hat bisher nur Paroxetin (modifiziert nach ICD-10 und [5]) als einziges Medikament die Zulassung Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) ist eine mögliche Folgereaktion des zur Behandlung der PTBS erhalten. direkten Erlebens eines oder mehrerer traumatischer Ereignisse (wie z. B. Erleben von Antipsychotika: In mehreren Studien körperlicher, psychischer und sexualisierter Gewalt, Entführung, Krieg, Natur- oder durch hatten Olanzapin (5–20 mg), Risperidon Menschen verursachte Katastrophen, Unfälle). In vielen Fällen kommt es zu Gefühlen von (0,5 – 8 mg), Quetiapin und in jeweils Hilflosigkeit, intensiver Angst und Entsetzen und/oder zum emotionalen Eingefrorensein einem Fallbericht Ziprasidon und Aripi- und dissoziativer Symptomatik. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte zwanghafte, prazol positive Effekte auf die PTBS- narzisstische oder asthenische Persönlichkeitszüge und neurotische Krankheiten in der Symptomatik. Diese Substanzen konnten Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und in allen drei Bereichen und besonders bei seinen Verlauf erschweren. Letztere Faktoren sind weder notwendig, noch ausreichend, Schlafstörungen mit Albträumen eine um das Auftreten der Störung zu erklären. Besserung erzielen [80, 81]. Die Indika- Das syndromale Störungsbild ist geprägt durch: tion dieser Medikamentengruppe um- • sich aufdrängende, belastende Gedanken und Erinnnerungen an das Trauma fasst zum einen psychotische Symptome (Intrusionen) bis hin zu Wiedererleben (Flashbacks), Alpträume als auch die Add-on- oder Monotherapie • Übererregungssymptome (vegetative Übererregtheit, Hypervigilanz, Schlafstörungen, bei nicht genügender Wirksamkeit der Schreckhaftigkeit, vermehrte Reizbarkeit oder Wutausbrüche, Konzentrationsstörungen) SSRI [71]. Andere Antidepressiva: Es existieren • Vermeidungsverhalten (Vermeidung traumaassoziierter Stimuli) zurzeit nur kleine Open-Label-Studien zusätzliche Symptome: für Mirtazapin, Bupropion und Tra- • emotionale Taubheit (allgemeiner Rückzug, Interessenverlust, innere Teilnahmslosig- zodon, in denen positive Effekte auf die keit, gedämpfte Freudfähigkeit) PTBS beschrieben wurden. Venlafaxin • dissoziative Symptome (z.B. Derealisationserleben, Erinnerungslücken bei partieller (mittlere Dosis 225 mg) konnte in einer Amnesie) Pazebo-kontrollierten Studie eine ähnli- Die Symptomatik kann unmittelbar oder auch mit (z. T. mehrjähriger) Verzögerung nach che Wirkung wie Sertralin (mittlere Do- dem traumatischen Geschehen auftreten (late-onset PTSD). sis 151mg) entfalten [82]. Im Kindesalter teilweise veränderte Symptomausprägungen (z. B. wiederholtes Durch- Antikonvulsiva / Stimmungsstabili- spielen des traumatischen Erlebens, Verhaltensauffälligkeiten, zum Teil aggressive sierer: Open-Label-Studien existieren Verhaltensmuster) für Valproat, Carbamazepin, Topiramat, Lamotrigin, Gabapentin, Tiagabin und NeuroTransmitter 10·2006 51
Posttraumatische Belastungsstörung Tabelle 2 ist dadurch nicht mehr ein Teil der Ver- SSRI-Therapie bei PTBS (Dosierungsbeispiel nach Davidson JR [79]) gangenheit, sondern gehört zur Gegen- Woche Sertralin [mg/dl] Paroxetin [mg/dl] wart und bedroht die Zukunft („Es kann 1 25 10 jederzeit wieder geschehen.“, „Ich werde verrückt.“). Mit Hilfe verschiedener ko- 2 50 20 gnitiver Strategien können diese Kogni- 3 100 30 tionen bearbeitet werden. 4–6 150 40 Eye Movement Desensitization and 8 200 50 Reprocessing (EMDR): Die EMDR-Me- thode folgt einem Vorgehen in acht um- schriebenen Phasen, die eine Detailierung des üblichen phasenbezogenen Vorgehens Lithium. Deren Wirksamkeit wurde zu- Kognitiv-behaviorale Psychotherapie bei psychisch Traumatisierten darstellen meist nur auf Teilsymptome beschrieben, (CBT): In der Therapie sollten die beiden (Stabilisierung, Traumabearbeitung, Neu- sodass diese Substanzen als Add-on-Op- Komponenten je nach Bedürftigkeit des orientierung). Neben sehr fokussiertem tionen zu betrachten sind. Beispielsweise Patienten balanciert eingesetzt werden. Vorgehen während der Traumabearbei- zeigte Gabapentin positive Effekte so- Dabei ist vor allem die Abwägung zwi- tung ist der Einsatz bilateraler Stimulation wohl auf Schlafstörungen und Albträume schen Motivation zu Berichten gegen- (z.B. Augenbewegungen, Fingerberührun- als auch auf Flashbacks [83], Lamotrigin über der notwendigen Kontrolle des gen oder akustische Signale) während des auf die Wiedererlebenssymptomatik Patienten wichtig, je nachdem welche Wiedererinnerungsprozesses ein besonde- [84]. Symptomatiken und auch Möglichkeiten rer Punkt der EMDR [90]. Hierbei wer- Trizyklische Antidepressiva: Für Ami- der Verarbeitung vorhanden sind. Das den kortiko-limbische Prozesse unterstützt, triptylin und Imipramin konnten mode- Gefühl von Kontrollverlust ist eines der sodass dysfunktionale zerebrale Netzwer- rate Wirksamkeitsnachweise erbracht häufigsten belastenden Erfahrungen von kimbalancen korrigiert und dadurch die werden [85], jedoch nicht für Desipra- Patienten mit PTBS. Symptomatik mit Einsichts- und Einstel- min. Die Vertreter diser Medikamenten- Behaviorale Komponente: Ziel dieser Kom- lungsänderungen verbessert werden kann gruppe zeigten keine positiven Auswir- ponente ist ein Abbau der Vermeidung [Jatzko et al., unveröffentlicht]. kungen auf Schlafstörungen bei PTBS mit gleichzeitiger Habituation. Die Pa- [81]. tienten werden mit Reizen konfrontiert, Benzodiazepine: Benzodiazepine konn- die an das Trauma erinnern oder den Fazit ten bisher keine positive Wirkung weder Bedingungen während der Traumatisie- Die PTBS ist in der Gruppe der für die Prävention noch für die Therapie rung ähneln. Die Wirksamkeit der Kon- traumaassoziierten Erkrankungen die der PTBS zeigen [71], sodass diese Grup- frontationen scheint umso größer zu sein, für den Betroffenen einschneidenste pe in der Behandlung der PTBS nur als je größer die subjektive Belastung und je Störung. Sie beeinträchtigt nicht nur Notfallmedikation ihre Berechtigung stärker der mimische Furchtausdruck zu die Lebensqualität des Einzelnen hat. Beginn der Konfrontationssitzungen ist erheblich, sondern ist auch volkswirt- [87]. Es muss jedoch genauestens darauf schaft eine sehr ernst zu nehmende Psychotherapie Erkrankung. Die Lebenszeitprävalenz geachtet werden, dass Patienten nicht von 7 – 8 % und eine Chronifizierungs- Bisher konnte für die zwei folgenden psy- überfordert werden. Dissoziiert beispiels- rate von einem Drittel der initial Be- chotherapeutische Verfahren eine ausrei- weise ein Patient während der Konfron- troffenen unterstreicht die Wichtigkeit chende Wirksamkeit für die Behandlung tationssitzungen, so ist eine Habituation dieser Erkrankung. Zukünftig sollte des PTBS nachgewiesen werden: nicht möglich. die PTBS nicht nur stärkere Beachtung 1. kognitiv-behaviorale Psychotherapie Kognitive Komponente: Hier liegen die finden, es sollten auch suffizientere (CBT), Annahmen zugrunde, dass das Trauma Behandlungsmöglichkeiten entwickelt werden. 2. Eye-Movement-Desensitization and grundlegende kognitive Schemata er- Reprocessing (EMDR) [71, 86]. schüttert und sie in dysfunktionaler Wei- Für beide Therapien gilt, dass der Patient se verändert („Das Böse kann jederzeit bereit sein muss, eine Konfrontation aus- geschehen.“) oder es werden latent vor- Dr. med. Alexander Jatzko zuhalten, andernfalls sind diese Verfah- handene dysfunktionale Schemata akti- Westpfalz-Klinikum, Psychosomatische ren im Erkrankungsverlauf noch zu früh. viert und bestätigt („Ich bin schmutzig Abteilung, Hellmut-Hartert-Str. 1, In solchen Fällen wären unterstützende und wertlos.“) [88]. Angstsymptome 67653 Kaiserslautern Maßnahmen eher indiziert. Bei Patienten werden als eine Wahrnehmung einer zu- E-Mail: jatzko@online.de mit komplexer PTBS ist es ratsam, diese künftigen oder gegenwärtigen Bedrohung Dr. rer. medic. Dipl.-Psych. Anne Hinckers, in die Hände von sehr erfahrenen The- verstanden [89]. Dadurch erhält das Mannheim rapeuten zu geben. Trauma seine herausragende Qualität. Es Zentralinstitut für Seelische Gesundheit 52 NeuroTransmitter 10·2006
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