Szenarien nach den US-Zwischenwahlen: Sieg der Demokraten im Abgeordneten haus könnte Trump sogar nützen
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DGAPanalyse Nr. 4 / September 2018 Szenarien nach den US-Zwischenwahlen: Sieg der Demokraten im Abgeordneten haus könnte Trump sogar nützen Josef Braml Am 6. November können die USA zwar nicht unmittelbar den Präsidenten bestä- tigen oder abwählen. Aber über die Kongresswahlen haben die Wähler eine mit- telbare Möglichkeit, den Handlungsspielraum ihres Staatschefs mitzubestimmen. Sollte sich die Machtkonstellation in beiden Kongress-Kammern grundsätzlich ändern, droht Präsident Trump sogar ein Amtsenthebungsverfahren. Doch Trump könnte auch gestärkt aus den Wahlen hervorgehen. Deutschland und Europa können mit fünf möglichen Szenarien rechnen, auf die sie ihre künftige Außenpolitik ausrichten müssen.
DGAPanalyse / Nr. 4 / September 2018
Inhalt Szenarien nach den US-Zwischenwahlen: Sieg der Demokraten im Abgeordnetenhaus könnte Trump sogar nützen von Josef Braml 4 Macht-Architektur der US-amerikanischen Verfassung 4 Horizontale Gewaltenkontrolle 5 Präsident und Administration: die Exekutive 7 Die „Macht der Geldbörse“: die Legislative 9 Die Judikative: Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze 10 Mögliche und wahrscheinliche Szenarien 11 „Rally around the flag“: Ein Kriegsszenario als mögliche Wahlkampfhilfe 12 Ohnmacht-Szenario verhindern, als Bollwerk Senatsmehrheit verteidigen 14 Für Trump weniger problematisch: Verlust der Mehrheit im Abgeordnetenhaus 15 Fazit und Ausblick 17 Anmerkungen DGAPanalyse / Nr. 4 / September 2018
2 DGAPanalyse / Nr. 4 / September 2018
3 Szenarien nach den US-Zwischenwahlen: Sieg der Demokraten im Abgeordnetenhaus könnte Trump sogar nützen Josef Braml Die Zwischenwahlen in den USA sind vor allem eine würde das „Impeachment“-Verfahren, wie seinerzeit Abstimmung über den amtierenden Präsidenten Donald schon gegen Bill Clinton, abgewendet werden können. Trump. Die neuen Machtverhältnisse in Abgeordneten- Szenario drei: Die Republikaner verlieren nur die haus und Senat stellen die Weichen für eine mögliche Senatsmehrheit, verteidigen aber ihre Mehrheit im Ab- Wiederwahl Trumps. Selbst der erwartete Verlust der re- geordnetenhaus. Die Demokraten könnten den Gesetzge- publikanischen Mehrheit des Abgeordnetenhauses könnte bungsprozess stärker kontrollieren und bei Bedarf auch Trump helfen: Mit einer demokratischen Mehrheit wäre blockieren. Trump hätte in diesem Fall auch größere es für ihn einfacher, sein kostspieliges Infrastrukturpro- Schwierigkeiten, Personal für Ministerien und Gerichte gramm zu finanzieren. Dies ist jedoch nur eines von fünf über die parlamentarischen Kontrollinstanzen, die rele- möglichen Szenarien, auf das sich deutsche Entschei- vanten Senatsausschüsse und das Plenum, zu schleusen. dungsträger in Politik und Wirtschaft einstellen sollten. Szenario vier: Die Republikaner verlieren die Mehr- Szenario eins: Die Republikaner behalten die Mehr- heiten im Abgeordnetenhaus und im Senat. Die Mehrheit heiten in beiden Kammern des Kongresses, also im Abge- der Abgeordneten könnte ein „Impeachment“-Verfahren ordnetenhaus und im Senat. Damit wäre Donald Trump gegen Trump einleiten und er könnte dann von zwei Drit- gelungen, was in der US-amerikanischen Geschichte teln der (anwesenden) Senatoren seines Amtes enthoben wenige Präsidenten vor ihm geschafft haben: nach zwei werden. Auch wenn es nicht soweit kommen sollte, würde Jahren ihrer Amtszeit bei den Zwischenwahlen, wenn nur der Präsident zumindest dabei gebremst, die Weltmacht Abgeordnete und Senatoren zur Wahl stehen, nicht Sitze Amerika weiter und auch weit über seine Amtszeit hinaus und Mehrheiten im Kongress zu verlieren. Trump würde radikal zu verändern: Etwa durch parlamentarische Kon- gestärkt aus den Kongresswahlen hervorgehen – auch trolle seiner (Außen-)Politik und Personalbenennungen, mit Blick auf seine weitere Regierungsführung und eine nicht zuletzt bei der Besetzung von Richtern auf Lebens- mögliche Wiederwahl in zwei Jahren. zeit. Szenario zwei: Die Republikaner verlieren nur das Ein fünftes Szenario würde eintreten, wenn Gefahr Abgeordnetenhaus, verteidigen aber ihre Senatsmehrheit. in Verzug ist: sei es durch eine internationale Krise oder Trump hätte dann größere Schwierigkeiten, seine Wahl- wenn Oberbefehlshaber Trump selbst einen präventiven versprechen umzusetzen, etwa eine „große Grenzmauer Waffengang befehlen sollte, etwa gegen Nordkorea oder zu Mexiko zu bauen“. Zumal werden diese Vorhaben auch den Iran. Dann würde die institutionell eigentlich starke mit US-Steuergeldern finanziert und müssen damit von Position des Kongresses ausgehebelt – ungeachtet der beiden Kongress-Kammern bewilligt werden. Hingegen Mehrheitsverhältnisse in den beiden Kammern. dürfte es für Trump mit einer demokratischen Mehrheit Sollte dieses Kriegsszenario bereits vor den Wahlen im Abgeordnetenhaus sogar etwas einfacher werden, eintreten, würden die Chancen steigen, dass Trump, ähn- seine kostspieligen Infrastrukturpläne durch den Kon- lich wie es zuvor bereits Georg W. Bush durch Instrumen- gress zu bringen, der über die Budgethoheit verfügt. Falls talisierung des globalen Krieges gegen den Terrorismus die Sonderermittlungen in der Russland-Causa auch ihn gelang, ein historisch etabliertes Muster durchbricht, persönlich belasten sollten, könnte eine neue demokrati- wonach Präsidenten bei den ersten Zwischenwahlen Sitze sche Mehrheit im Abgeordnetenhaus zwar ein Amtsent- und Mehrheiten im Kongress verlieren. Mit anderen Wor- hebungsverfahren gegen Trump einläuten. Aber mangels ten: Angesichts einer nationalen Sicherheitsbedrohung einer Mehrheit in der dafür entscheidende Senatskammer könnten die US-Wählerinnen und -Wähler im Zuge einer „rally around the flag“, einer patriotischen Sammelbewe- DGAPanalyse / Nr. 4 / September 2018
4 Szenarien nach den US-Zwischenwahlen: Sieg der Demokraten im Abgeordnetenh aus könnte Trump sogar nützen gung um den Oberbefehlshaber der Streitkräfte, auf ihre Tabelle 1: Strukturmerkmale parlamentarischer und Möglichkeit der Gewaltenkontrolle durch die Kongress- präsidentieller Regierungssysteme wahlen verzichten. Merkmal parlamentarisch präsidentiell (z.B. Um die Plausibilität dieser Szenarien zu verdeutlichen, (z.B. Deutschland) USA) werden im Folgenden der institutionelle Rahmen und Legitimation nur Parlament direkt Präsident und gewählt Parlament mit jeweils die Machtarchitektur des politischen Systems der USA eigener Legitimation skizziert.1 Organisation der Gewalten Trennung von Gewaltenkontrolle verschränkung Regierung und Parlament Macht-Architektur der US-amerikanischen Politische ja nein Abberufbarkeit (nur verfassungsrecht- Verfassung der Regierung lich „Impeachment“) Um einen Machtmissbrauch zu verhindern, haben die Parlaments ja nein auflösungsrecht Architekten der US-amerikanischen Verfassung mehre- der Exekutive re Kontrolldimensionen verankert: Erstens verleiht der Regierungsman vereinbar unvereinbar Souverän, das heißt der wahlberechtigte Bürger, die dat und Parlaments Macht an seine Repräsentanten nur auf Zeit (temporale mandat Machtkontrolle), damit diese ihm Rechenschaft schul- Partei- und stark schwach dig bleiben. Zweitens verlangt die föderale Struktur, Fraktionsdisziplin die Machtbefugnisse der den Bürgern näherstehenden Quellen: Walter Bagehot, The English Constitution, Ithaca (1867) 1966; Ernst Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, Köln/Opladen 1960; Winfried Steffani, Parlamentarische Einzelstaaten mit jenen des Gesamtstaates in Einklang zu und präsidentielle Demokratie: Strukturelle Aspekte westlicher Demokratien, Opladen 1979, bringen (vertikale Machtkontrolle) – die jedoch hier nicht S. 39-104. weiter erörtert wird. Drittens gibt es sowohl auf einzel- ren und sich gegenseitig kontrollieren (vgl. Abb. 1).4 Der staatlicher Ebene als auch auf der Ebene des Gesamtstaa- US-amerikanische Kongress übernimmt somit nicht tes eine Teilung der Gewalten in Legislative, Exekutive automatisch die politische Agenda der Exekutive bzw. des und Judikative (horizontale Machtkontrolle). Präsidenten, selbst wenn im aktuellen Fall des „unified government“ das Weiße Haus (Sitz des Präsidenten) und Horizontale Gewaltenkontrolle Capitol Hill (Sitz des Kongresses) von der gleichen Partei Der zentrale Unterschied zwischen dem US-amerikani- „regiert“ werden. Noch weniger ist dies der Fall, wenn bei schen (Präsidialsystem) „checks and balances“-System einem „divided government“ Präsident und Kongress von und parlamentarischen Regierungssystemen wie dem unterschiedlichen Parteien „kontrolliert“ werden,5 was in der Bundesrepublik Deutschland liegt in der unter- den Kongresswahlen am 6. November eintreten könnte: schiedlichen Beziehung zwischen der Legislative und der wenn etwa im eingangs skizzierten Szenario vier die Exekutive begründet (vgl. Tabelle 1).2 Anders als der US- Mehrheiten beider Kammern oder in den Szenarien zwei Präsident, der durch eine landesweite Wahl persönlich und drei in einem sogenannten „split Congress“ eine der gewählt wird und damit eigene Legitimation beanspru- beiden Kammern an die Demokraten gehen sollten. chen kann, wird die deutsche Kanzlerin mittelbar von der Während im US-System die Legislative als Ganzes Mehrheit im Parlament bestimmt. Auch in der politischen mit der Exekutive um Machtbefugnisse konkurriert,6 Auseinandersetzung muss die Spitze der deutschen Exe- ist die „Opposition“ im parlamentarischen System auf kutive darauf vertrauen können, dass ihre politischen In- die Minderheit im Parlament beschränkt, die nicht itiativen von ihrer Fraktion bzw. Koalition im Bundestag die Regierung trägt (vgl. Abb. 1). Insbesondere für die mitgetragen werden. Die Stabilität sowohl der Regierung/ Regierungspartei/-koalition sind Partei- bzw. Fraktions- der Exekutive als auch die der Parlamentsmehrheit hängt disziplin grundlegend erforderlich, um die Funktionsfä- von einer engen und vertrauensvollen Kommunikation higkeit der eigenen Regierung, ja des parlamentarischen zwischen beiden ab.3 Diese „Gewaltenverschränkung“ Regierungssystems insgesamt zu gewährleisten. Da charakterisiert parlamentarische Regierungssysteme. Exekutive und Parlamentsmehrheit in einer politischen Legislative und Exekutive sind im politischen System Schicksalsgemeinschaft verbunden sind, haben einzelne der USA nicht nur durch verschiedene Wahlakte stärker Abgeordnete ein Eigeninteresse, bei wichtigen Abstim- voneinander „getrennt“. Das System der „checks and mungen nicht von der Parteilinie abzuweichen und sich balances“ ist darüber hinaus dadurch gekennzeichnet, der Fraktionsdisziplin zu fügen. Wahlverfahren, Partei- dass die politischen Gewalten miteinander konkurrie- enfinanzierung, Kandidatenrekrutierung und die hohe DGAPanalyse / Nr. 4 / September 2018
Szenarien nach den US-Zwischenwahlen: Sieg der Demokraten im Abgeordnetenh aus könnte Trump sogar nützen 5 Abb. 1: Vergleich der politischen Systeme der USA und Deutschlands „Checks and Balances“-System der USA Parlamentarisches System Deutschlands Legislative Exekutive Exekutive Kanzlerin Partei-/Fraktionsdisziplin Kongress (als Ganzes Opposition) gegenüber Präsident Bundestag Abgeordneten- Regierungs- Senat (100) Opposition haus (435) fraktion Legislative jeweils direkte Legitimation durch die Wähler Exekutive hat nur indirekte Legitimation durch die Wähler. Quelle: Josef Braml, Politisches System der USA, Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung, 2013, S. 8. Arbeitsteilung im Parlament geben weitere Anreize für tionell fundierte Machtstellung gegenüber der Exekutive parteidiszipliniertes Verhalten.7 – insbesondere auch durch ihre Aufsicht („oversight“) und Dagegen ist in den USA die politische Zukunft einzel- Organisationsgewalt gegenüber der Administration, dem ner Abgeordneter und Senatoren weitgehend unabhängig Verwaltungsapparat des Präsidenten. von der des Präsidenten; ihre (Wieder-) Wahlchancen hängen vorrangig vom Rückhalt im eigenen Wahlkreis Präsident und Administration: die Exekutive bzw. Einzelstaat ab. Aufgrund des Wahlsystems und der Im Vergleich zur überschaubaren und hierarchisch orga- Politikfinanzierung sind sie als „politische Einzelunter- nisierten deutschen Ministerialbürokratie erscheint die nehmer“ („political entrepreneurs“) in den USA primär US-Behördenstruktur als unübersichtlicher Wildwuchs selbst für ihre Wiederwahl verantwortlich und haften von Organisationseinheiten. Die deutsche Kanzlerin steht gegebenenfalls auch persönlich für ihr Abstimmungs- an der Spitze des Kabinetts, sie gibt das Regierungshan- verhalten im Kongress, weil sie sich gegenüber Interes- deln vor (Artikel 65 Grundgesetz: Richtlinienkompetenz sengruppen und Wählerschaft nicht hinter einer Partei- des Bundeskanzlers) und ihr sind unter Berücksichtigung disziplin verstecken können. Den US-Parteien fehlen in des Ressortprinzips auch die Ministerien und deren der legislativen Auseinandersetzung Ressourcen und Bürokratie untergeordnet. Dagegen hat der US-Präsident Sanktionsmechanismen, um den Gesetzgebungsprozess viel größere Schwierigkeiten, seine Exekutive zu leiten. im Sinne einer Parteidisziplin zu gestalten.8 Enorme Anstrengungen, um die eigene Linie in einem Ebenso wenig kann der US-Präsident auf Parteidis- Interessengeflecht rivalisierender Ministerien und Re- ziplin zählen. Der Kopf der Exekutive kann selbst keine gierungsstellen durchzusetzen, gehören zum mühsamen Gesetzesvorlagen einbringen und benötigt bei Initiativen Tagesgeschäft des Chefs der Bundesverwaltung. Die ein- gleichgesinnte Abgeordnete und Senatoren. Daher ist er zelnen Behörden wurden oftmals ad hoc aus politischen im Gesetzgebungsprozess laufend gefordert (und gele- Anlässen oder infolge von Krisen gegründet und nicht gentlich überfordert), im Kongress durch Anreize für die etwa in das bestehende Organigramm eingegliedert, son- Zustimmung zu seiner Politik zu werben. Je nach Politik dern hinzugefügt. Die daraus entstandene fragmentierte initiative muss er unterschiedliche und zumeist partei- Struktur ist gewollt, denn sie bietet Außenstehenden übergreifende Ad-hoc-Koalitionen schmieden. vielfältige Möglichkeiten der Einflussnahme. Kongressabgeordnete und Senatoren haben im poli- Die US-Verwaltung ist geprägt durch ein intensives tischen System der Vereinigten Staaten, anders als die Kompetenzgerangel zwischen Exekutive und Legislative, parteidisziplinierten Abgeordneten in parlamentarischen wenn es darum geht, wichtige Positionen zu besetzen, die Regierungssystemen, allgemein eine sehr starke, institu- Behörden finanziell auszustatten sowie deren Aufgaben DGAPanalyse / Nr. 4 / September 2018
6 Szenarien nach den US-Zwischenwahlen: Sieg der Demokraten im Abgeordnetenh aus könnte Trump sogar nützen vorzugeben bzw. zu kontrollieren. Zwar liegt die exeku- sehr sie die Partikularinteressen in ihren Wahlkreisen tive Gewalt beim Präsidenten. Laut Verfassung (Artikel bzw. Einzelstaaten bedienen können, insbesondere jene III, Abschnitt 1) muss er dafür sorgen, dass die Gesetze von ihnen nahestehenden Interessengruppen, die ihre „gewissenhaft“ vollzogen werden. Er kann dazu unter immer teurer werdenden Wahlkämpfe finanzieren. anderem auch die Führungsspitzen der Ministerien und Jeder Präsident ist deshalb gut beraten, einen eige- Bundesbehörden nominieren. Doch müssen diese von der nen nur ihm gegenüber loyalen Beraterstab um sich zu Legislative, namentlich vom Senat, gebilligt werden. Dem scharen, um in diesem Interessengeflecht seine politische Kongress obliegt auch die Organisationsgewalt, sprich Linie durchzusetzen – nicht zuletzt auch gegenüber der die Befugnis, die Bundesbehörden zu errichten und zu Verwaltung „seiner“ Exekutive. Denn die Auseinander- finanzieren. setzungen in den Reihen der Exekutive sind nicht minder Diese „Macht der Geldbörse“ („power of the purse“) heftig. Auf der einen Seite versuchen die sogenannten führt seit jeher zu informellen Absprachen zwischen den „Männer und Frauen des Präsidenten“, also der Regie- Geldgebern im Kongress und den Empfängern in der rungsapparat, die Politikinitiativen des Weißen Hauses Verwaltung (vgl. Abb. 2). voranzutreiben. Auf der anderen Seite bremst der Verwal- tungsapparat sie immer wieder aus. Die relativ autono- Abb. 2: Eisernes Dreieck („Iron Triangle“) men Ministerien und Behörden versuchen, unabhängig vom jeweiligen Präsidenten und von der jeweiligen par- teipolitischen Konstellation ihre eigenen institutionellen Kongress Besitzstände zu wahren. Das tun sie umso mehr, seitdem Trumps damaliger Chefstratege Stephen Bannon den „Rückbau des Ver- waltungsstaates“ („deconstruction of the administrative 2 state“) angekündigt hatte.9 Dazu wurde vom Weißen 6 Haus eine Art Schattenkabinett eingerichtet und vertrau- te Mitarbeiter wurden eingesetzt, die auf höchster Ebene 1 in die Arbeitsabläufe der Ministerien eingebunden sind. 5 Sie sind aber nicht dem jeweiligen Minister, sondern nur einem Aufsichtskoordinator weisungsgebunden, zunächst dem damaligen stellvertretenden Stabschef im Weißen 4 Haus, Rick Dearborn.10 Dass Trumps Regierungsmaschine nicht reibungs- Interessengruppe 3 Bürokratie und geräuschlos läuft, darauf verweisen nunmehr auch seriöse Abhandlungen, etwa Bob Woodward in seinem 1 Wahlkampfinanzierung und Information aktuellen Buch „Fear“: Demnach arbeiten selbst hoch- 2 Finanzierung und politische Unterstützung rangige Kabinettsangehörige, etwa der Stabschef im 3 Regierungsaufträge und lockere Regulierung/Deregulierung 4 Lobbyarbeit, um Unterstützung des Kongresses zu mobilisieren Weißen Haus, John Kelly, sowie Verteidigungsminister 5 Wohltaten für Wahlkreise und Einzelstaaten James Mattis, gegen die „Neigungen“ des Präsidenten, um 6 Zugang und wohlwollende Gesetzgebung/Aufsicht Schlimmeres zu verhindern.11 Quelle: Josef Braml, Politisches System der USA, Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung, Trumps Misstrauen ist umso größer geworden, seitdem 2013, S. 14. ein Unbekannter in einem Gastbeitrag in der New York Times schrieb: „Ich bin Teil des Widerstands innerhalb Unabhängig vom Ausgang der anstehenden Kon- der Regierung Trump. Ich arbeite für den Präsidenten, gresswahlen und der jeweiligen Parteizugehörigkeit hat aber gleichgesinnte Kollegen und ich haben gelobt, Teile diese systematisch angelegte Interessenverquickung seiner Agenda und seine schlimmsten Neigungen zu Auswirkungen auf das Verhalten der Kongressmitglieder. vereiteln.“12 Insbesondere die für die Finanzierung verantwortlich Schon seit längerem sieht sich Trump von vermeintli- zeichnenden Abgeordneten und Senatoren zuständiger chen „Verrätern“ und „Spionen“ umgeben. Ende Mai 2018 Kongressausschüsse bewachen mit Argusaugen ihre verlangte er sogar, dass das Justizministerium untersucht, Pfründe, die auch ihre Wiederwahl sichern helfen. Denn ob der Geheimdienst FBI oder das Ministerium selbst sein ihr politisches Schicksal hängt letztlich davon ab, wie Wahlkampfteam „aus politischen Gründen infiltriert oder DGAPanalyse / Nr. 4 / September 2018
Szenarien nach den US-Zwischenwahlen: Sieg der Demokraten im Abgeordnetenh aus könnte Trump sogar nützen 7 überwacht“ hätten. Schnell war bei Trumps Anhängern auch bei der Besetzung der Ministerämter dann umso von einer Verschwörung die Rede13 – auch Trump selbst mehr die Machtkalküle der „anderen politischen Gewalt“, glaubt an solche Theorien.14 Trump spricht den eigenen also die Interessen des Kongresses, berücksichtigen. Geheimdiensten öffentlich sein Misstrauen aus, bezeich- net sie als „deep state“, als unkontrollierten Staat im Die „Macht der Geldbörse“: die Legislative Staate, die ihm das Handwerk legen wollen, weil er zum Die Legislative und ihre Befugnisse sind in der US-Ver- Wohle seiner Bewegung gegen das Washingtoner Estab- fassung – noch vor dem Präsidenten und dessen Aufga- lishment und die Bürokratie vorgehe.15 ben – an erster Stelle angeführt. Artikel I, Abschnitt 1 Bislang sind jedoch alle Vorhaben misslungen, den Ver- bestimmt: „Die gesetzgebende Gewalt ruht im Kongress waltungsapparat merklich zu verkleinern. So scheiterte der Vereinigten Staaten, der aus einem Senat und einem Anfang der 1970er-Jahre Präsident Richard Nixon (1969- Abgeordnetenhaus besteht.“ 1974) mit seinem Versuch, durch einen radikalen Umbau „anti-präsidiale Nischen“ in der Exekutive zu eliminieren. Der Kongress Mit seinem Dezentralisierungsprogramm des „New Aufgaben und Befugnisse: Federalism“ wollte eine Dekade später Präsident Ronald Reagan (1981-1989) das „Big Government“ in Washington ..Gesetzgebung mit Zustimmung beider Kammern verkleinern – ohne nachhaltigen Erfolg. Trumps Vorgän- ..Ausgabenbewilligung ger Barack Obama war ebenso bemüht, den Regierungs- ..Untersuchungsrecht der ständigen Ausschüsse apparat schlanker und effizienter zu machen. Bereits im ..Amtsanklage gegen den Präsidenten Januar 2012 hatte der Präsident den Kongress ersucht, ..Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge die handelspolitischen Aufgaben von sechs Regierungs- durch den Senat einheiten, darunter des Handelsministeriums und des ..Besetzung hoher Staatsämter und Büros des Handelsbeauftragten, in einer neuen Behörde des Obersten Bundesgerichts erfordern zusammenzufassen. Doch die symbiotischen Dreiecks- Zustimmung des Senats beziehungen, das „eiserne Dreieck“ (vgl. Abb. 2, S. 6), zwischen den betroffenen Einheiten der Exekutive, der Der Kongress ist das zentrale Verfassungsorgan bei der Wirtschafts- und Handelslobby und den federführenden Gesetzgebung – auch wenn die beiden anderen politi- Ausschüssen im Kongress haben auch Obamas ehrgeizige schen Gewalten mitwirken: der „Supreme Court“ durch Neuorganisation vereitelt. die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen Die persönlichen Mitarbeiter des Präsidenten – die er und der Präsident durch sein Vetorecht. Der Präsident ohne Zustimmung des Senats frei auswählen kann – sind hat zwar selbst kein Initiativrecht und kann nur mit- seine engsten Vertrauten in den Machtkämpfen, die telbar über gleichgesinnte Abgeordnete und Senatoren mit dem Begriff „bureaucratic politics“ verharmlosend Gesetzesvorlagen auf den Weg bringen. Er hat jedoch umschrieben werden. Die Getreuen und einflussreichsten das „letzte“ Wort: Damit eine Vorlage („bill“) zum Gesetz Berater des Präsidenten – unter anderem Donald Trumps („law“) wird, muss der Präsident sie unterzeichnen. Er Tochter Ivanka und sein Schwiegersohn Jared Kushner – kann auch auf den laufenden Gesetzgebungsprozess sind im „White House Office“ zu finden. Sie genießen ein Einfluss nehmen, indem er sein suspensives (aufschie- „exekutives Privileg“, das heißt, sie sind der Legislative bendes) Veto ausspricht oder damit droht. Sein Einspruch keine Rechenschaft schuldig und können es auch verwei- kann nur von jeweils einer Zweidrittelmehrheit in beiden gern, vor Kongressausschüssen angehört zu werden. Kammern des Kongresses überstimmt werden – was sehr Die anderen, dem Präsidenten ebenso nahestehenden selten möglich ist. Leiter der Einheiten des „Executive Office of the Presi- Auch die Legislative hat Möglichkeiten, die ausführen- dent“ müssen jedoch vom Senat abgesegnet werden und de Gewalt zu kontrollieren, also ihr Recht auf „oversight“ der Legislative auch nach ihrer Bestätigung laufend Rede auszuüben: Bei schweren Verfehlungen, sogenannten und Antwort stehen. Dazu hätten sie reichlich Gelegen- „high crimes and misdemeanors“, kann der Senat nach heit, wenn es den Demokraten bei den Kongresswahlen Aufnahme eines Verfahrens durch das Abgeordnetenhaus gelingt, wie in den Szenarien drei und vier eingangs sogar den Präsidenten seines Amtes entheben („impeach- skizziert, die dafür entscheidende Kongresskammer, na- ment“). Völkerrechtlich bindende Vertragsunterzeich- mentlich den Senat für sich zu entscheiden. Ebenso wie nungen des Präsidenten gelten erst, wenn sie vom Senat bei diesen Personalentscheidungen müsste der Präsident ratifiziert worden sind. Der Senat muss ferner präsidenti- DGAPanalyse / Nr. 4 / September 2018
8 Szenarien nach den US-Zwischenwahlen: Sieg der Demokraten im Abgeordnetenh aus könnte Trump sogar nützen Tabelle 2: Gewicht legislativer Hauptfunktionen bei möglichen Wahlausgangsszenarien Mögliche Szenarien nach Gesetzgebung Personalbestätigung Kontrolle, Kongresswahlen (nur für den Senat relevant) bis hin zur Amtsenthebung Szenario 1: H: R / S: R Noch weniger Mitsprache und Der Senat wird präsidentiellen Noch weniger „Oversight“, sprich Die Republikaner behalten die „innerer Widerstand“ bei Repu- Personalernennungen für höhere Untersuchungsausschüsse gegen Mehrheiten im Abgeordnetenhaus blikanern, besonders nach dem Ämter wie Richter, Botschafter, Präsident Trump und seine Kabi- und im Senat. Ausscheiden von Speaker Paul Minister und weitere Spitzen- nettsmitglieder als bisher Ryan im Abgeordnetenhaus und beamte wie bisher mehr oder Trumps Widersachern im Senat: weniger vorbehaltlos zustimmen. Jeff Flake und Bob Corker Szenario 2: H: D / S: R Größere Schwierigkeiten, etwa Wie bisher, da Abgeordneten- Mehr Untersuchungsausschüsse Die Republikaner verlieren nur das eine Grenzmauer zu finanzieren; haus bei Personalernennungen im Abgeordnetenhaus gegen Abgeordnetenhaus, verteidigen aber leichteres Spiel, die Demo- irrelevant ist Trump und sein Kabinett aber ihre Senatsmehrheit. kraten im Abgeordnetenhaus für kreditfinanzierte Infrastrukturpro- Zwar ist die Einleitung eines Amts- jekte zu gewinnen enthebungsverfahrens durch das Abgeordnetenhaus möglich; doch die Beschließung durch den Senat unwahrscheinlich. Szenario 3: H: R / S: D Schwierigkeiten bei der Grenz- Blockade vieler Personaler- Mehr Untersuchungsausschüsse Die Republikaner verlieren nur mauer-Finanzierung mit Demokra- nennungen des Präsidenten; im Senat gegen Trump und sein die Senatsmehrheit, vertei- ten im Senat sowie bei kreditfinan- insbesondere bei Richternominier- Kabinett digen aber ihre Mehrheit im zierten Infrastrukturmaßnahmen ungen für das Oberste Gericht Abgeordnetenhaus. mit dem weiterhin von libertären Eröffnung eines Amtsenthebungs- Republikanern kontrollierten verfahrens gegen Trump wenig Abgeordnetenhaus wahrscheinlich Szenario 4: H: D / S: D „Gridlock“: Blockade sämtlicher Blockade vieler Personaler- Mehr Untersuchungsausschüsse Die Republikaner verlieren die Gesetzesvorhaben – mit Ausnah- nennungen des Präsidenten; beider Kammern gegen Trump Mehrheiten im Abgeordnetenhaus me des Infrastrukturprogramms; insbesondere bei Richternominier- und sein Kabinett und im Senat. bei Haushaltsstreits ist ein Still- ungen für das Oberste Gericht stand der Regierungsgeschäfte Erfolgreiches „Impeachment“ („Government Shutdown“) möglich möglich, falls Sonderermittler Mueller noch Belastendes gegen Trump vorbringt ellen Personalernennungen für höhere Ämter wie Richter, gress verfügt (vgl. Übersicht möglicher Szenarien nach Botschafter, Minister und weitere Spitzenbeamte zustim- den Kongresswahlen in der Tabelle 2). men. Während der Präsident im Falle einer geeinten Re- Zwar kann der Präsident den Rat und die Zustimmung gierung („unified government“) im Sprecher des Abge- („advice and consent“) des Senats umgehen, indem er ordnetenhauses („speaker of the house“) meistens einen Kandidaten außerhalb der Sitzungsperiode, das heißt Verbündeten hat, der ihm hilft, Mehrheiten für seine über ein sogenanntes „recess appointment“, ernennt. politischen Initiativen zu organisieren, ist dieser im Falle Doch deren Amtszeiten enden dann mit der jeweiligen eines „divided government“ sein schärfster Widersacher. Legislaturperiode und sie bekommen bei ihrer Amtsaus- Sollten die Demokraten die Mehrheit im Abgeordne- übung den Unmut der Senatoren zu spüren. Denn das tenhaus zurückerobern, könnte Nancy Pelosi wieder „Ma- wirksamste politische Kontrollmittel ist die Macht der dame Speaker“ werden – eine Rolle die sie schon von 2007 Geldbörse („power of the purse“). Das heißt, der Kongress bis 2011 ausfüllte und mit der sie als erste Frau in diesem muss bzw. darf die Haushaltsmittel insbesondere auch wichtigen Amt amerikanische Geschichte schrieb. Ihre jene für Exekutivorgane bewilligen. Kandidatur wäre nicht unumstritten, zumal eine Reihe Die unterschiedlichen Wahlzyklen des Präsidenten jüngerer Demokratinnen bereits eine jüngere Parteifüh- und des Kongresses ermöglichen eine weitere Facette rung angemahnt haben. der Machtkontrolle, nämlich eine „geteilte Regierung“. Seitdem Paul Ryan, der aktuelle Sprecher des Abge- Mit den Kongresswahlen 2018 könnte einmal mehr eine ordnetenhauses, bekanntgab, dass er nicht mehr zur solche Konstellation („divided government“) etabliert Wiederwahl antritt, wird auch bei den Republikanern um werden. Das heißt, dass die Partei, die den Amtsinhaber die Rangordnung gekämpft. Der Wettbewerb zwischen im Weißen Haus stellt, nicht über Mehrheiten im Kon- den Nächstplatzierten, dem Mehrheitsführer („majority leader“) Kevin McCarthy und dem Fraktionsvorsitzenden DGAPanalyse / Nr. 4 / September 2018
Szenarien nach den US-Zwischenwahlen: Sieg der Demokraten im Abgeordnetenh aus könnte Trump sogar nützen 9 („majority whip“) Steve Scalise sowie Jim Jordan, dem gen – ein Unterfangen, das gerne ironisch mit der Rede- Kopf des libertären Tea-Party-Flügels, würde sich zu wendung beschrieben wird: „It’s like herding cats“. einem Machtkampf steigern, falls die Republikaner wider Die historisch tradierte, die Machtposition jedes Erwarten doch ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus einzelnen der Senatoren aufwertende hohe Hürde von 60 verteidigen. Stimmen, um eine Blockade aufzuheben, gilt immer noch Zwar verfügt der Sprecher des Abgeordnetenhauses für das normale Gesetzgebungsverfahren. Diese parla- wegen der fehlenden Partei- und Fraktionsdisziplin nicht mentarische Kontrollmöglichkeit besteht jedoch nicht über die enormen Sanktionsmittel eines Fraktionschefs mehr bei Personalbenennungen des Präsidenten, etwa für in einem parlamentarischen Regierungssystem wie in Ministerämter oder das Oberste Gericht. Deutschland. Der US-Präsident kann sich mit entspre- Seitdem die – wenig strategisch handelnden – Demo- chenden Hilfen für die Wahlkreise oder Einzelstaaten kraten im November 2013 mit ihrer einfachen Mehrheit der umworbenen Abgeordneten und Senatoren sogar kurzerhand die Geschäftsordnung des Senats veränder- Kongressmitglieder der anderen Partei „kaufen“. Doch ten – sich für die von den Republikanern sogenannte hat auch der „speaker“ Mittel zur Verfügung, um die „nukleare Option“ entschieden –, können Blockademanö- Mehrheit seiner Parteifreunde auf Linie zu halten: Er ver bei Personalbenennungen nunmehr mit einer einfa- kann die für Interessengruppen und deren Zuwendungen chen Mehrheit von 51 Stimmen aufgehoben werden. Das besonders attraktiven Vorsitzenden von Ausschüssen und war nur solange von Vorteil für die Demokraten, als sie Unterausschüssen bestimmen, über einen Verfahrensaus- selbst in der Mehrheit waren und ihrem Parteifreund und schuss, das „rules committee“, regeln, ob und in welchen Präsidenten Barack Obama im Weißen Haus ermöglichen Ausschüssen bzw. Unterausschüssen ein Gesetz behan- konnten, die Blockade seiner Personalbenennungen delt wird und festlegen, inwieweit Änderungsanträge aufzuheben. („amendments“) zulässig sind und welche Prozeduren zu Als sich bei den Wahlen im November 2014 jedoch das erfolgen haben. Die Geschäftsordnung des Abgeordne- Blatt wendete, hat die neue Mehrheit der Republikaner tenhauses gibt dem Sprecher also wirksame Machtinstru- – dem Vorbild der vorherigen Mehrheit der Demokraten mente an die Hand. folgend – dann ihrerseits und umso weitgehender die Erheblich schwieriger ist es, den Senat zu führen. In Kontrollmöglichkeiten der jetzt demokratischen Minder- dieser Kammer kann ein einziger Senator mit Dauerreden, heit eingeschränkt. Nun haben sie selbst bei den noch einem sogenannten „filibuster“, den Geschäftsbetrieb wichtigeren Nominierungen für das Oberste Gericht aufhalten – solange ihm nicht eine qualifizierte Dreifünf- keine Möglichkeit mehr, durch Dauerreden („filibuster“) telmehrheit von 60 Senatoren den Mund verbietet. „To aus ihrer Sicht unqualifizierte und radikale Kandidaten invoke cloture“ lautet das Manöver, um ein „filibuster“ zu verhindern. abzuwenden. Deshalb gilt es, im Senat Anreize zu geben, um mög- Die Judikative: Wenn die Waffen sprechen, lichst alle 100 Senatorinnen und Senatoren zufriedenzu- schweigen die Gesetze stellen. Mit Druck würde man hingegen wenig bewirken. Jede Neubesetzung von Richterämtern am „Supreme Nach der „Macht“ des Mehrheitsführers im Senat gefragt, Court“ durch den Präsidenten kann sich mit einer mögli- erwiderte der ehemalige demokratische Senator und „ma- chen Veränderung der Mehrheitsverhältnisse auch grund- jority leader“ George J. Mitchell: „Man hat die Macht, 99 legend auf Entscheidungen auswirken, die die Qualität Hintern zu küssen.“16 der amerikanischen Demokratie und Gesellschaft bestim- Um dieses schwierige Amt ist der aktuelle Mehrheits- men. So konnten die Obersten Richter auch eine der größ- führer im Senat, Mitch McConnell, nicht zu beneiden, ten Verfassungskrisen der jüngsten US-amerikanischen zumal sich die meisten seiner Kollegen ohnehin für eine Geschichte entschärfen, indem sie im Fall Bush vs. Gore höhere Aufgabe, nämlich für die Präsidentschaft, beru- am 12. Dezember 2000 den Ausgang der heftig umstritte- fen fühlen und dieses Amt mit Donald Trump von einem nen Präsidentschaftswahl zugunsten des Republikaners ebenso Machtbewussten besetzt ist. Sollten die Demo- George W. Bush und damit gegen seinen Herausforderer kraten, die beim Wahlgang am 6. November mehr Sitze Al Gore entschieden. zu verteidigen haben, wider Erwarten doch die Mehrheit Trotz dieses hoch umstrittenen Urteils genießt das zurückgewinnen, hätte der derzeitige Minderheitenfüh- Oberste Gericht in der US-Bevölkerung höchste Autori- rer („minority leader“) Charles Schumer die schwierige tät. Seine Zustimmungsraten übertreffen bei Weitem die Aufgabe, die Senatoren auf eine politische Linie zu brin- DGAPanalyse / Nr. 4 / September 2018
10 Szenarien nach den US-Zwischenwahlen: Sieg der Demokraten im Abgeordnetenh aus könnte Trump sogar nützen Werte der anderen politischen Gewalten, namentlich des zu werden drohen. Kenntnisse der amerikanischen Kongresses und des Präsidenten (vgl. Abb. 3). Geschichte begründen diese Befürchtungen: In einer ein- gehenden Analyse mit dem Titel „All the Laws but One: Abb. 3: Zustimmungsraten (in Prozent) für Civil Liberties in Wartime“ warnte William Rehnquist, bis Oberstes Gericht, Präsident und Kongress zu seinem Tode Anfang September 2005 Oberster Richter („Chief Justice“) des „Supreme Court“, bereits 1998 vor der Gefahr, dass der Oberste Befehlshaber in Kriegszeiten 60 53 durch zusätzliche Machtbefugnisse dazu verleitet wird, 50 43 den konstitutionellen Rahmen zu überdehnen. 40 Die Frage, ob die Rechtsprechung der Exekutive ihre 30 Grenzen aufzeigen könnte, beurteilte der Oberste Richter skeptisch: „Wenn die (höchstrichterliche) Entscheidung 20 17 getroffen wird, nachdem die Kriegshandlungen been- 10 det sind, ist es wahrscheinlicher, dass die persönlichen Freiheitsrechte favorisiert werden, als wenn sie getroffen Oberstes Präsident Kongress wird, während der Krieg noch andauert“, erkläre Rehn- Gericht quist.18 Quelle: Gallup, Mitte Juli 2018 Rehnquists Lehren aus der amerikanischen Rechts- Doch sind auch die Rechtsprechungen des Obersten geschichte sind sehr bedenklich, weil auch der Kongress Gerichts nicht in Stein gemeißelt. Im Laufe der Entwick- im Laufe der amerikanischen Geschichte immer wieder lung der USA von einer Agrar- über eine Industrie- hin dabei versagt hat – zuletzt beim Irakkrieg –, die militä- on zu einer Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft rische Gewalt des Präsidenten als Oberbefehlshaber der ati or m mussten die Richter immer wieder neue Realitäten mit Streitkräfte zu kontrollieren. I nf den (interpretierbaren) Verfassungsgrundsätzen in Ein- Denn die Sorge der Legislative um die institutionelle nd klang bringen. Machtbalance tritt in den Hintergrund, wenn Gefahr im gu un Gleichwohl ist die Interpretationsfähigkeit des Ver- Verzug ist. In Krisen- und Kriegszeiten steht der Präsident r zie fassungstextes bis heute umstritten. Während die einen als Oberbefehlshaber im Mittelpunkt der Aufmerksam- an ffin den Text der Verfassung nur gemäß der „ursprünglichen keit. Ihm kommt die Rolle des Schutzpatrons zu. Der mp lka Absicht“ („original intent“) ihrer Gründerväter auslegen patriotische Sammlungseffekt („rally around the flag“) h Wa wollen, sehen die anderen im Verfassungstext ein „leben- bedeutet einen immensen Machtgewinn und Vertrauens- des Dokument“ („living document“). Dementsprechend vorsprung für den Präsidenten und die Exekutive. Nicht fordern erstere juristische Zurückhaltung („judicial zuletzt symbolisiert das Präsidentenamt die nationale restraint“) und verurteilen den Standpunkt der anderen Einheit, gilt das Weiße Haus als Ort der Orientierung, an Gruppe, die weite rechtliche Auslegung, als Aktionismus dem in Krisenzeiten die Standarte hochgehalten wird. („judicial activism“). US-Präsidenten konnten immer wieder nationale Wenig Interpretationsspielraum haben die Gerich- Krisen dazu nutzen, ihre Kompetenzen auch auf Kosten te, wenn Gefahr in Verzug ist: Vor allem in Krisen- und der beiden anderen politischen Gewalten auszuweiten, Kriegszeiten hält sich das Oberste Gericht als nicht‑politi- die Struktur des Regierungsapparats und der Verwaltung sche Instanz eher zurück; es will dem Obersten Befehls- grundlegend zu verändern und auch politisches Kapital haber nicht in den Arm fallen. Solange der Krieg gegen daraus zu schlagen. den Terrorismus andauert – und Amerika sieht sich auch wieder von „revisionistischen Mächten“ wie Russland und China bedroht –, wird im politischen System der Vereinig- Mögliche und wahrscheinliche Szenarien ten Staaten wohl weiterhin die römische Maxime gelten: Ein mögliches Kriegsszenario und die damit verbundene „Inter arma silent leges“ („Unter Waffen schweigen die patriotische Sammlungsbewegung hinter dem Präsiden- Gesetze.“).17 ten und Oberbefehlshaber würde einmal mehr in der Nicht wenige Beobachter sehen in dieser Praxis aus US-amerikanischen Geschichte eine enorme Machtfülle verfassungsrechtlicher Warte ein gefährliches Wagnis, und Wahlkampfhilfe für den Präsidenten bedeuten: Um bei dem die im politischen System der USA fest veran- der externen Bedrohung zu begegnen, ist der Präsident kerten Prinzipien der „checks and balances“ ausgehebelt auf inneren Zusammenhalt, also auch auf ein „unified DGAPanalyse / Nr. 4 / September 2018
Szenarien nach den US-Zwischenwahlen: Sieg der Demokraten im Abgeordnetenh aus könnte Trump sogar nützen 11 government“, angewiesen. Die dominante Rolle des Ober- publikaner votieren würden: 81 Prozent versus 19 Prozent befehlshabers der Streitkräfte in einer nationalen Krise für einen Kandidaten der Demokraten.22 würde Trump auch vor seinem persönlichen Ohnmachts- Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die natio- szenario schützen: Verlöre er am 6. November beide nale Sicherheitsbedrohung dem Präsidenten in seiner Rol- Kammern im Kongress, könnte ein mögliches Amtsenthe- le als Oberstem Befehlshaber eine historische Gelegenheit bungsverfahren gegen ihn Erfolg haben. Zwischen diesen bot, auch im Kongresswahlkampf 2002 für die Unterstüt- beiden im Folgenden ausgeführten möglichen Extremen, zung seiner Politik gegen den Terrorismus zu werben. Vor dem Allmachts- und dem Ohnmachtsszenario, sind zwei allem in den letzten zwei Wochen vor den Wahlen war weitere Szenarien möglich. Das weniger wahrscheinliche George W. Bush in den entscheidenden Wahlkämpfen ist, dass die Demokraten nicht die Mehrheit im Abge- involviert. Allein in den fünf Tagen vor dem Wahltag war ordnetenhaus gewinnen, aber die weitaus schwierigere Bush in 15 sorgfältig ausgewählten Bundesstaaten vor Senatsmehrheit erreichen. Viel wahrscheinlicher und Ort. Er machte dabei deutlich, dass er die Mehrheiten im deshalb hier ausgeführt ist, dass die Demokraten die Kongress benötige, um mit einem „united government“ Mehrheit im Abgeordnetenhaus, aber nicht die Senats- Amerika besser verteidigen zu können. mehrheit gewinnen. Innerhalb der letzten zehn Tage wendete sich dann auch das Blatt. Hatten sich in der Gallup-Umfrage vom „Rally around the flag“: Ein Kriegsszenario als 21./22. Oktober noch 49 Prozent der Wähler für einen mögliche Wahlkampfhilfe Kandidaten der Demokraten ausgesprochen und nur 46 Trumps neuer Nationaler Sicherheitsberater, John Bolton, Prozent einen Republikaner befürwortet, war das Kräfte- der bereits unter George W. Bush diente, wird sich noch verhältnis im Meinungsbild der Umfrage vom 31. Okto- an den Erfolg erinnern, den der „Global War on Terror“ ber bis 3. November umgekehrt: 51 Prozent bekundeten seinerzeit seinem Präsidenten und Obersten Befehlshaber ihre Absicht, einen Republikaner zu wählen, und nur 45 bei den Zwischenwahlen 2002 bescherte.19 Prozent gaben an, ihre Stimme einem Demokraten geben Dieser Wahlerfolg wäre ohne äußere Bedrohung zu wollen. wenig wahrscheinlich gewesen: Legt man historische Der Wahlakt am 5. November 2002 bestätigte diese Analysen zugrunde, so büßt die Partei des Präsidenten Tendenz. Präsident George W. Bush hatte danach die bei Zwischenwahlen in der Regel an Wählerstimmen ein Möglichkeit, mit republikanischen Mehrheiten in beiden – tendenziell umso weniger, je höher die Zustimmungsra- Kammern des Kongresses zu regieren, also mit erweiter- te für den Präsidenten ist. Selbst bei der hohen Zustim- ten Handlungsoptionen. mungsrate („job approval“) für Bush von 63 Prozent war Für den amtierenden Präsidenten Trump mit seinen zu erwarten, dass seine Partei immerhin noch sieben bis historisch niedrigen Zustimmungswerten wäre eine zehn Sitze im Repräsentantenhaus verlieren würde. Die internationale Krise ebenso eine Chance, sich als Ober- Zustimmungsrate des Präsidenten allein vermochte also befehlshaber profilieren zu können. Ähnlich wie George nicht den Erfolg zu erklären. W. Bush nach den Terroranschlägen würde auch Trump Der 11. September 2001 hat sicherlich nicht nur die einen Vertrauensvorschuss erhalten. Zur Erinnerung: Zustimmung für den Präsidenten verstärkt, sondern Obwohl es George W. Bush bei den heftig umstrittenen auch die Ausgangslage und Dynamik bei den Wahlen Präsidentschaftswahlen 2000 ebenso wenig wie Trump beeinflusst. Neben der Wirtschaft hat sich im Verlauf des gelungen war, die Mehrheit der abgegebenen Wähler- Wahljahres der Kampf gegen den Terrorismus bzw. die stimmen („popular vote“) zu erzielen, und obwohl auch nationale Sicherheit als der dringendste Problembereich seine Amtsführung in der Bevölkerung auf geteilte in den Köpfen der Amerikaner verfestigt. Zustimmung und zunehmend kritische Meinungen stieß, Nicht signifikant für das Ergebnis dieser Zwischen- konnte sich der Präsident nach den Terroranschlägen auf wahlen war letztendlich der Faktor Wirtschaft.20 Beim ein großes Zutrauen seiner Landsleute stützen. zweiten, entscheidenden Thema, der Terrorismusbe- Der 11. September 2001 war für die Dynamik des innen- kämpfung, fühlten sich die Amerikaner weitaus besser politischen Machtgefüges kein konstituierendes Ereig- bei den Republikanern aufgehoben.21 So war es auch nis – wohl aber ein katalysierender und legitimierender nicht überraschend, dass diejenigen, die den Terrorismus Faktor.23 Schon unmittelbar nach dem Amtsantritt ließen als wichtigsten Themenbereich identifizierten, mit einer Präsident Bush und seine Entourage keinen Zweifel daran, überwältigenden Mehrheit angaben, dass sie für die Re- dass sie die Position der Exekutive auf Kosten der Macht- befugnisse des Kongresses zu stärken beabsichtigten. Die- DGAPanalyse / Nr. 4 / September 2018
12 Szenarien nach den US-Zwischenwahlen: Sieg der Demokraten im Abgeordnetenh aus könnte Trump sogar nützen se offensive Strategie des Weißen Hauses, den vor allem die eigene militärische Stärke und die Verwundbarkeit in der Amtszeit des Vorgängers Bill Clinton erstarkten amerikanischer Truppen in der Region kann die nord- Kongress wieder in eine untergeordnete Rolle zu drängen, koreanische Führung der Weltmacht die Stirn bieten. erhielt mit den Terroranschlägen ihre Legitimation: Die Wenn man die jüngste Geschichte sieht, etwa Trumps amerikanische Bevölkerung war überzeugt, dass dies an- unilaterale Aufkündigung des Nukleardeals mit dem Iran, gesichts der nationalen Bedrohung rechtens, ja notwendig hat Pjöngjang ohnehin keinen Anreiz, mit Washington war. Im weltweiten Krieg gegen den Terrorismus konnte wirklich ernsthaft darüber zu verhandeln, seine Nuklear- der Präsident nunmehr die dominante Rolle des Obersten waffen aufzugeben. Befehlshabers spielen. Anders sieht die Lage mit Blick auf das iranische Re- Aber auch in der innenpolitischen Diskussion gelang gime aus: Die USA könnten, nachdem sie das Nuklearab- es Präsident Bush, seine Diskurshoheit zu etablieren und kommen mit dem Iran aufgekündigt haben, alsbald weite- sich als Schutzpatron zu gerieren, der die traumatisierte re Konsequenzen folgen lassen. Sollten Trump und seine Nation vor weiteren Angriffen bewahrt. „Man kann die Sicherheitsberater zu der Einschätzung kommen, dass der Tatsache nicht ignorieren, dass sich Amerika seit dem Iran Atombomben baut, werden sie schnell reagieren und 11. September verändert hat [...] und ich denke, dass dies Präventivschläge gegen den Iran führen oder zunächst auch einen Einfluss auf die Wahlentscheidung hatte“, Israel oder Saudi-Arabien dazu freie Hand lassen. sagte der damalige Mehrheitsführer im Senat, Trent Lott, Dafür spricht auch ein neues mögliches Kriegskabinett unmittelbar nach dem Wahlerfolg vom 5. November 2002. in Washington: Trumps aktueller Außenminister Mike Er leitete daraus den eindeutigen Appell an den Kongress Pompeo ist, anders als sein Vorgänger Rex Tillerson, in ab: „unseren Präsidenten als den commander in chief zu der Iran-Frage ebenso ein Hardliner. Ex-Außenminister unterstützen und mit ihm zu kooperieren“.24 Tillerson hatte bis zu seiner Entlassung durch eine Twit- In Kriegszeiten ist jeder einzelne sonst in seinem politi- ter-Meldung des Präsidenten am Nuklearabkommen mit schen Handeln überwiegend sich selbst und seinen Wäh- dem Iran festgehalten. An seiner Seite wusste er dabei die lern verantwortliche Abgeordnete aufgerufen, Partei für Mehrheit seiner europäischen Amtskollegen. die nationale Sicherheit zu ergreifen. Obwohl amerikani- Trumps neuer Sicherheitsberater John Bolton fordert sche Abgeordnete grundsätzlich keine Parteisoldaten sind, hingegen schon seit Längerem, mit Bomben die iranische stehen auch sie an der Seite des Obersten Befehlshabers, Atombome zu verhindern: „To Stop Iran’s Bomb, Bomb wenn es darum geht, ihm „patriotische Befugnisse“ im Iran“.26 Nachdem Bolton selbst im Kriegskabinett von Krieg gegen äußere Feinde an die Hand zu geben und ihn Bush noch von besonneneren Köpfen wie Condoleezza bei der Verteidigung des „Heimatlandes“ zu unterstützen. Rice und Colin Powell in Schach gehalten werden konnte, In dieser Lage wäre die Legislative schlecht beraten, scheint nun die Stunde des Hardliners an der Seite des ihr institutionelles Gegengewicht in die politische Waag- ebenso risikofreudigen Präsidenten gekommen zu sein. schale zu werfen, um ihre Oppositionsrolle auszufüllen. Der Kongress hat in einer solchen Ausnahmesituation Ohnmachtsszenario verhindern, nicht das politische Gewicht, den Präsidenten im Krieg als Bollwerk Senatsmehrheit verteidigen gegen einen äußeren Feind herauszufordern, würde er Ein weiteres alternatives Szenario wäre für Trump auch doch damit den Garanten der nationalen Einheit und die nicht ohne Risiko: Sollte Mueller bei seinen aktuellen Handlungsfähigkeit in Frage stellen. Sonderermittlungen stichhaltige Beweise vorlegen kön- Wer Donald Trumps Kriegsrhetorik ernst nimmt, muss nen, dass Trumps Wahlkampfteam und der US-Präsident annehmen, dass er als Präsident und Oberbefehlshaber von den russischen Aktivitäten gewusst oder sogar gezielt ebenso alles in seiner Macht stehende unternehmen wür- mit russischen Agenten zusammengearbeitet haben, de, um Amerika vor (potentiellen) Gefahren zu schützen, müssten auch die Abgeordneten und Senatoren im Kon- etwa eine nukleare Bedrohung durch den Iran zu beseiti- gress ernsthaft ein Amtsenthebungsverfahren erwägen. gen. Der erfahrene Sonderermittler Mueller – er war von Schließlich hat man aus dem Nordkorea-Konflikt 2001 bis 2013 Direktor des Federal Bureau of Investigation eine Lehre gezogen:25 Wenn man zu lange wartet, gibt (FBI) – hält es für erwiesen, dass sich Russlands Agen- es keine Handlungsalternativen mehr. Für Nordkorea ten mit Hackerangriffen bei Trumps Wahl eingemischt heißt das: Trump kann das nordkoreanische Regime nur haben.27 Trump bezweifelt das: „Es könnten auch andere noch eindämmen und dessen Nuklearkapazitäten nicht Leute gewesen sein. Es gibt viele Leute da draußen.“ Mit mehr mit Präventivschlägen verhindern. Im Wissen um dieser vagen Andeutung eröffnete sich Trump weitere DGAPanalyse / Nr. 4 / September 2018
Szenarien nach den US-Zwischenwahlen: Sieg der Demokraten im Abgeordnetenh aus könnte Trump sogar nützen 13 rhetorische Auswege und gab den Verschwörungstheori- Im Sinne der Waffen-Lobby, der Wall Street sowie en seiner Anhänger erneut Nahrung.28 Für den Fall, dass der Öl- und Gasindustrie, deren Zuwendungen für seine ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet wird, drohten mögliche Wiederwahl hilfreich sind, hat Trump bereits Trumps publizistische Scharfmacher bereits unverhohlen ganze Arbeit geleistet. Trump engagierte als Finanzmi- mit Gewalt und prophezeiten einen Bürgerkrieg.29 nister Steven Mnuchin, der sein politisches Handwerk als Hedgefonds-Manager und politischer Fundraiser bei der Amtsenthebungsverfahren („Impeachment“) Investmentbank Goldman Sachs lernte. Dieser baut die ohnehin behutsamen Regulierungen der Obama-Regie- Verfassung der Vereinigten Staaten: rung im Finanzsektor über den Gesetzesweg wieder ab. Artikel II, Abschnitt 4: Auch in der Energie- und Umweltpolitik verfolgt „Der Präsident, der Vizepräsident und alle Zivilbeamten Trump systematisch eine Strategie von Deregulierung der Vereinigten Staaten werden ihres Amtes entho- und Demontage: Das Energieministerium leitet mit Rick ben, wenn sie wegen Verrats, Bestechung oder anderer Perry ausgerechnet der Mann, der es als Kandidat im Verbrechen und Vergehen unter Anklage gestellt und für Präsidentschaftswahlkampf abschaffen wollte. Zuvor schuldig befunden worden sind.“ diente er als Gouverneur von Texas; es war die Erdölin- dustrie, die seine Wahl auf diesen Posten finanziert hatte. Das Repräsentantenhaus hat das alleinige Recht, In der Umweltschutzbehörde gab zunächst Scott Pruitt Amtsanklage gegen den Präsidenten zu erheben. Es den Ton an. Auch er ist ein ehemaliger Lobbyist, der in beschließt mit einfacher Mehrheit über die Einleitung Zusammenarbeit mit Energieunternehmen die von ihm eines „Impeachment“-Verfahrens. geleitete Behörde mehrfach verklagt hatte, um Umwelt- schutzbestimmungen über den Rechtsweg auszuhebeln. Der Senat ist zuständig für die Durchführung des Sein Nachfolger ist sein bisheriger Vize Andrew Wheeler, Verfahrens. Bei einer Anklage gegen den Präsidenten ein ehemaliger Lobbyist für die Kohle- und Bergbau- tagt der Senat unter Vorsitz des Obersten Bundesrichters Branche. Zuvor war er langjähriger Berater des republika- („Chief Justice“). Für eine Verurteilung ist eine Zweidrit- nischen Senators James Inhofe und unterstützte dessen telmehrheit der anwesenden Senatoren erforderlich. Sie Gesetzesvorhaben, die den Klimawandel als Angstmache hat die sofortige Amtsenthebung zur Folge. unseriöser Wissenschaftler brandmarkten. Auch er will Obamas Umweltregulierungen mit allen Mitteln rückgän- gig machen. Laut Steve Bannon, der gleich nach der Amtsübernah- Allen voran investieren Charles und David Koch, die me Trumps einen „Krieg“ mit dem „deep state“ prognosti- milliardenschweren Erben eines Öl- und Chemiekon- zierte, geht es nun um alles oder nichts. Dem ehemaligen glomerats, seit Jahrzehnten enorme Summen, um den Chefstrategen Trumps ist es gelungen, eine Gruppe ano- besteuernden und regulierenden Staat möglichst kleinzu- nymer Spender zu mobilisieren,30 um das aus seiner Sicht halten. Dazu leisten sie Wahlkampfspenden und finanzie- Schlimmste zu verhindern: Sollten die Republikaner die ren ein Netz von Dutzenden von Organisationen, Think Mehrheiten im Abgeordnetenhaus und im Senat verlieren, Tanks und Wahlkampfkomitees, sogenannte Political Ac- wäre auch das Weiße Haus vorzeitig in Gefahr und es tion Committees, PACs. Auch die von ihnen finanzierten könnte für Trump eng werden, warnt Bannon. Tea-Party-Aktivisten sind davon beseelt, den regulieren- Trump und die Republikaner werden alles daransetzen, den Einfluss des Staates auf Wirtschaft und Gesellschaft vor allem die Mehrheit im Senat zu verteidigen. Denn sie zu unterbinden. ist letztendlich mitentscheidend für Trumps Agenda des Um die ihren Interessen entsprechenden libertären radikalen Staatsabbaus, die von Interessengruppen mas- Ideen einer radikal-freien Marktwirtschaft in die Tat siv unterstützt wird, und damit auch für Trumps Wieder- umzusetzen, mischt sich das Koch-Netzwerk auch immer wahl. Schließlich würde eine demokratische Senatsmehr- wieder mit „siebenstelligen Beträgen“ in das politische heit Trump nicht nur über die Gesetzgebung, sondern Geschäft ein, um gefällige Richternominierungen zu auch über die Judikative daran hindern, Amerika im unterstützen. Aktivisten von „Americans for Prosperity“ Sinne staatskritischer Interessengruppen weit über seine (AFP), einer von den Koch-Brüdern initiierten und finan- vier- oder achtjährige Amtszeit hinaus radikal zu verän- zierten Organisation, rufen in Anzeigenkampagnen und dern, indem er weitere Richter auf Lebenszeit einsetzt. bei Veranstaltungen die Wähler dazu auf, ihre Senatoren DGAPanalyse / Nr. 4 / September 2018
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