Oktober 2020 - Exkursionsbericht Lammertal Bergeidechsen als Nestlingsnahrung Allochthone Schildkröten in Österreich Pathogene Pilze auch bei ...
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Nr. 56 Oktober 2020 Exkursionsbericht Lammertal Bergeidechsen als Nestlingsnahrung Allochthone Schildkröten in Österreich Pathogene Pilze auch bei Schlangen P-ISSN 1605-9344, E-ISSN 1605-8208
ÖGH-Vorstand Präsident: Dr. Andreas MAletzky: andreas.maletzky@sbg.ac.at Vizepräsidentin: Dr. Silke Schweiger: silke.schweiger@nhm-wien.ac.at generalsekretärin: karin erNSt: karin.ernst@nhm-wien.ac.at Schatzmeister: georg gASSNer: georg.gassner@nhm-wien.ac.at Schriftleitung (herpetozoa): Doz. Dr. günter gOllMANN: editor@herpetozoa.at Schriftleitung Stellvertreter (Ögh-Aktuell): richard geMel: richard.gemel@nhm-wien.ac.at Beirat (reptilien): Dipl.ing. thomas BADer: thomas.bader@herpetofauna.at Beirat (Amphibien): thomas wAMPulA: t.wampula@zoovienna.at Beirat (Feldherpetologie): Johannes hill: johannes.hill@herpetofauna.at Beirätin (Arten- und Naturschutz): Mag. Maria SchiNDler: maria.schindler@sumpfschildkroete.at Beirat (terraristik): gerhard egretzBerger: gerhard.egretzberger@herpetozoa.at Beirat (Projektkoodination & Öffentlichkeitsarbeit): Dipl.ing. christoph riegler: christoph.riegler@herpetofauna.at impressum Ögh-Aktuell, Mitteilungen der Österreichischen gesellschaft für herpetologie heft 56 P-iSSN 1605-9344, e-iSSN 1605-8208 redaktion: richard geMel, layout: christoph riegler redaktionsbeirat: Mag. Sabine greSSler, georg gASSNer, Dr. günther karl kuNSt, Mag. Franz wielAND, Mario Schweiger, Dr. Silke Schweiger Anschrift Burgring 7 A-1010 wien tel.: + 43 1 52177 331; Fax: + 43 1 52177 286 e-mail: oegh-aktuell@herpetozoa.at homepage: http://www.herpetozoa.at gefördert durch Basis.kultur.wien wiener Volksbildungswerk Für unaufgeforderte Bilder, Manuskripte und andere unterlagen übernehmen wir keine Ver- antwortung. die redaktion behält sich kürzungen und journalistische Bearbeitung vor. Mit Verfassernamen gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der redaktion und/oder der Ögh wieder. Nachdruck, auch auszugsweise, ist nur mit genehmigung des he- rausgebers gestattet. Druck: www.onlineprinters.at titelbild: Steinrötel (Monticola saxatilis) mit Bergeidechse, Foto: leANDer khil Seite 3: Bergeidechse (Zootoca vivipara) - Niederösterreich, Foto: gerald OchSeNhOFer rückseite: laubfrosch (Hyla arborea) - Salzburg, Foto: gerald OchSeNhOFer 2 ÖGH-Aktuell Nr. 56 Oktober 2020
Inhaltsverzeichnis Johannes HILL: Vorwort Leander KHIL: Bergeidechsen als Nestlingsnahrung des Steinrötels 04 Andreas MALETZKY: Ögh-exkursion an die lammer 05 Richard GEMEL & Maria SCHINDLER: Bemerkenswerte wandlung des zeichnungs 09 musters einer wildlebenden, adulten weiblichen europäischen Sumpfschildkröte im 13 Nationalpark Donauauen. Richard GEMEL & Günther WÖSS: Neue bemerkenswerte Beobachtungen zu alloch- thonen Schildkröten in Österreich 16 Silke SCHWEIGER: Pathogene Pilze auch bei Schlangen nachgewiesen Patrick LEMELL & Christian BEISSER: Die wiener turtlegroup - 40 Jahre Studien 21 über die Nahrungsaufnahme von Amphibien und reptilien an der universität wien 23 (teil 1) ÖGH-Aktuell Nr. 56 Oktober 2020 3
der vermehrte Stickstoffeintrag aus der luft in den Boden als grund für den Bestandsein- Liebe ÖGH-Mitglieder! bruch zu nennen. Dadurch verkrauten und ver- filzen bodennahe Schichten und beeinflussen Als Beirat für Feldherpetologie möchte so das Mikroklima, was sich negativ auf den diese Gelegenheit nutzen, um über unsere reproduktionserfolg auswirken dürfte. Aktivitäten innerhalb der Arbeitsgruppe zu berichten. Seit dem Jahr 2007 wählen wir in Bedingt durch die Maßnahmen im freundschaftlicher kooperation mit der Deut- rahmen der coronakrise wird die zaunei- schen gesellschaft für herpetologie (Dght) dechse ausnahmsweise auch 2021 „reptil des das Amphib oder reptil des Jahres. wurde Jahres“ bleiben. Somit wird es voraussichtlich diese initiative anfänglich auch innerhalb des erst 2022 wieder ein tier des Jahres geben und Vorstandes der Ögh mit etwas Skepsis be- –so viel kann schon verraten werden – es wird trachtet, so hat diese sich seither als wichtiges wieder eine Art sein, die in der jüngsten Ver- Aushängeschild unserer gesellschaft etabliert. gangenheit von starken rückgängen betroffen Meine intention ist es, den jeweiligen Öster- ist. Als Fachgruppe Feldherpetologie veran- reich-Beitrag in der diese Aktion begleitenden stalten wir regelmäßige treffen, die in der Publikation von einer mit dieser Art vertrauten regel ende Oktober und vor der Jahrestagung und mit ihr arbeitenden Person schreiben zu im Jänner stattfinden. unsere themen be- lassen. Vordergründiges ziel ist es, einer brei- schäftigen sich mit vielen Aspekten der erfor- ten Öffentlichkeit jeweils eine Art vorzustel- schung der heimischen Amphibien- und len, auf ihre lebensgewohnheiten einzugehen reptilienfauna und deren Schutz. resultat un- sowie gefährdung und Schutzmaßnahmen serer treffen waren in den letzten Jahren ei- aufzuzeigen. So ist in diesem Jahr die zaunei- nige Publikationen, u. a. zum Amphibien- dechse – ein Beispiel für eine in Österreich schutz an Straßen und empfehlungen zum weit verbreitet und in der Bevölkerung gut be- Monitoring von Amphibien- und reptilienar- kannt Art –, die allerdings wie keine andere ten der Fauna-Flora-habitat-richtlinie in heimische reptilienart von massiven Be- Österreich. Nachgelesen werden können die standseinbrüchen betroffen ist. während ei- einzelnen Artikel auf unserer homepage in den nige wärmeliebenden und in Österreich als entsprechenden Ausgaben von Ögh-Aktuell. stark gefährdet eingestufte Arten wie Sma- ragdeidechse, Äskulapnatter oder würfelnatter ein wichtiges ziel unserer gruppe ist eindeutige und gut dokumentierte Ausbrei- es gegenwärtig, Mindeststandards für die tungstendenzen zeigen, ist die „Allerweltsart“ quantitative erfassung von Amphibien und zauneidechse das aktuelle Sorgenkind unter reptilien zu formulieren. Vor allem bei größe- unseren reptilien. ren Bauprojekten fällt oftmals auf, dass erhe- bungen von wenig qualifizierten Personen Als gebürtiger weinviertler (Nieder- ohne einschlägige kenntnisse und zu ungüns- österreich) war sie das erste reptil, das ich tigen Jahreszeiten durchgeführt werden. Die rund um mein elternhaus regelmäßig beobach- Aussagen lassen daher dann auch nur unbefrie- ten konnte und bei Ausflügen mit meiner Fa- digende rückschlüsse auf die jeweilige Situa- milie so gut wie immer fand. während der tion der Bestände zu und führen oftmals zu letzten 20 Jahre hat sich diese Situation aller- einer falschen einschätzung. eine entspre- dings massiv verändert. Dort wo ich in meiner chende Publikation zu diesem heiklen thema kindheit und Jugend noch innerhalb kurzer ist von uns angedacht und soll in der nächsten zeit 50 bis 100 individuen antraf, sind heute, zeit erscheinen. falls überhaupt, nur mehr einzelne tiere zu fin- den. Bedenklich ist dies vor allem in seit da- in diesem Sinne wünsche ich ihnen alles gute mals weitestgehend unveränderten lebens- in diesen schwierigen zeiten, räumen. herzliche grüße, Die ursachen des rückganges sind vielfältig und oft nur zu vermuten. Neben der immer höheren Anzahl an hauskatzen ist auch johannes.hill@herpetofauna.at Hannes HILL 4 ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020
Bergeidechsen als Nestlingsnahrung des Steinrötels leANDer khil Text und Bilder Bei der Beobachtung eines Brutpaares von Steinröteln (Monticola saxatilis) oberhalb von Anras, Osttirol gelang ein interessanter Einblick zur Rolle der Bergeidechse (Zoo- toca vivipara) als Nestlingsnahrung dieses Fliegenschäpperverwandten. Die beiden Altvögel fütterten am 18. und 19. Juli 2020 vier, höchstens eine woche alte küken auf 2270 m Seehöhe. Der Neststandort war ein mit Felsbändern durch- setzter, südexponierter grashang. Die Nest- mulde lag in einer gut geschützten, kleinen höhle deren eingang von der Vegetation stark verdeckt war (Abb. 1-2). zur Jagd wur- den die direkte Nestumgebung (Abb. 3), Abb. 1: Nestlinge des Steinrötels in der Brutnische aber auch zumindest etwa 50 höhenmeter tiefer liegende, sanftere und weniger stei- wurden nicht zerkleinert, sondern lediglich nige grasfluren genutzt. Die nahrungssu- auf Felsen in der Nähe des Nests totgeschla- chenden und fütternden Vögel wurden am gen (Abb. 4-6) und dann in die Brutnische Vor- und Nachmittag beider tage, zusam- gebracht. einerseits scheint erstaunlich, dass men mit M. & r. Bateman, aus einer Distanz die küken diese großen Beutetiere verschlu- von 50-200 m mit Fernglas und Spektiv (8x cken können. zum anderen überrascht die bzw. 25x Vergrößerung) beobachtet. Bei ins- Dominanz der Bergeidechse im Nahrungs- gesamt mindestens sieben notierten Fütte- spektrum während der (kurzen) Beobach- rungen, sowohl des Männchens als auch des tungszeit und der offensichtlich hohe weibchens, wurden ausschließlich einzelne Jagderfolg der Steinrötel. Mit Ausnahme der Bergeidechsen eingetragen. Die eidechsen von den Vögeln erbeuteten wurden keine ei- Abb. 2: Der Nesteingang liegt knapp oberhalb der rechten rhododendron-Blüten ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020 5
Abb. 3: Steinrötel, Männchen auf der Nahrungssuche in der umgebung des Nests dechsen wahrgenommen. es konnte aber (2007) geben als Nahrung auch bis zu 10 cm auch keine Jagd in der Nestumgebung beob- lange eidechsen, darunter auch die Bergei- achtet werden. Möglicherweise wurden die dechse an. Angaben zum Aktionsradius füt- Bergeidechsen also in größerer entfernung ternder Altvögel finden sich ebendort: erbeutet. Demnach kann Nahrung aus bis zu einem kilometer entfernung vom Nest herbeige- Vergleichbare Angaben sind in der schafft werden, wobei mitunter große hö- literatur spärlich. glutz VON BlOtzheiM & henunterschiede überwunden werden. Das BAuer (1988) führen als Nahrung (auch für Beobachtungsdatum erscheint für so kleine die Nestlinge) “vorwiegend bodenlebende Nestlinge recht spät. S chÖNeNBerger & oder nicht fliegende insekten”, sowie tau- BAuer (2002) weisen aber darauf hin, dass sendfüßer, Schnecken, verschiedene eidech- fütternde Steinrötel zwischen Mitte Juli und senarten (nicht aber die Bergeidechse), Anfang August in alpinen lagen Vorarlbergs kleine Amphibien sowie Früchte an. eidech- nicht ungewöhnlich seien. Ob diese späten sen sollen bisweilen auch zerteilt in zwei Bruten tatsächlich zweitbruten, auf erfolg- Stücken ins Nest gebracht werden. Diese lose Brutversuche folgende Nachgelege oder Praxis konnte beim gegenständlichen Paar gar späte erstbruten sind, lassen die Autoren nicht beobachtet werden. MAuMAry et al. offen. (Alle Fotos: 19. Juli 2020) 6 ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020
Abb. 4: Steinrötel, Männchen mit erbeuteter Bergeidechse Abb. 5: Steinrötel, weibchen schlägt Bergeidechse auf Fels ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020 7
Abb. 6: Steinrötel, weibchen mit erbeuteter Bergeidechse Literatur: glutz VON BlOtzheiM, u. & k. BAuer (1988): handbuch der Vögel Mitteleuropas. Band 11/i Passeriformes (2. teil). Aula-Verlag, wiesbaden. SchÖNeNBerger, A. & h.-g. BAuer (2002): Bruthabitat und -phänologie des Steinrötels Mon- ticola saxatilis im Bregenzerwald (Vorarlberg, Österreich) - Vogelwelt 123: 1-7. MAuMAry, l., l. VAllOttON & P. kNAuS (2007): Die Vögel der Schweiz. Schweizerische Vo- gelwarte, Sempach, und Nos Oiseaux, Montmollin. www.leanderkhil.com Leander KHIL, MSc 8 ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020
An die Lammer nach dem Lockdown: die Exkursion der ÖGH und der HerpAG zum Reptil des Jahres 2020 Andreas MAletzky dung in die Salzach konnten wir innerhalb we- niger Minuten zahlreiche reptilienbeobach- Aus den allen wohl bekannten Gründen tungen dokumentieren. Schnell war der konnte der Großteil der ÖGH-Exkursionen entschluss gefasst, die Salzburger exkursion im Frühjahr 2020 leider nicht stattfinden. zum reptil des Jahres 2020 hierhin, entlang Unter anderem wäre das Reptil des Jahres der lammer, zu organisieren. 2020 (KLEPSCH 2020) die Zauneidechse (La- certa agilis) Zielart zahlreicher Outdoor- Als wenige tage vor dem exkursi- Veranstaltungen der ÖGH und Ihrer onsdatum klar wurde, dass gemäß der locke- Partnerorganisationen gewesen. Umso rung der corona-Verordnungen eine mehr freute es uns, dass die dritte gemein- Durchführung möglich sein würde und immer same Exkursion von ÖGH und Herpetolo- mehr Anmeldungen eintrudelten, war klar, gischer AG am Haus der Natur Salzburg dass zahlreiche naturinteressierte Personen am 6. Juni 2020 wie geplant stattfinden schon äußerst exkursionshungrig waren. Der konnte. Man kann durchaus behaupten: Parkplatz am treffpunkt an der B162 lammer- Das Warten hat sich gelohnt! Am heimweg unserer vorjährigen talstraße bei griesau war schon einige Minuten exkursion zum Ameisensee (MAletzky 2019) vor der vereinbarten zeit überfüllt. Schluss- im Bundesland Salzburg machten wir einen endlich starteten 50 teilnehmerinnen und teil- kurzen zwischenhalt an der unteren lammer nehmer, darunter zahlreiche Nachwuchs- bei unterscheffau am tennengebirge (Bezirk herpetologinnen, am rechten lammerufer in hallein). wenige kilometer vor deren Mün- richtung Osten (Abb. 1). Abb. 1: Die exkursionsroute vom 06. Juni 2020 ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020 9
Foto: Andreas Maletzky Abb. 2: Blick auf die lammer bei Oberscheffau in richtung westen Die lammer, ein rund 41 kilometer langer im wesentlichen war das ziel der exkursion, rechter Nebenfluss der Salzach, entspringt auf die fünf in diesem Naturraum vorkommenden der Südseite des tennengebirges, fließt in reptilienarten und ihre lebensräume vorstel- einem großen Bogen östlich um diesen kalk- len zu können. erfahrungsgemäß genügt es, gebirgssstock herum und mündet bei golling die ufer- bzw. waldrandstukturen entlang des in die Salzach. Auf den letzten Flusskilome- Fußgänger- und radweges abzusuchen. Das tern, im gemeindegebiet von Scheffau am wetter meinte es gut mit uns, die Sonne kam tennengebirge, verringert sich das gefälle am Beginn der exkursion zum Vorschein und deutlich, der Fluss ist hier breit, weist teils na- so konnten wir bereits nach wenigen Metern turnahe ufer und ausgedehnte Schotterbänke auf Baumstümpfen am Flussufer die ersten auf (Abb. 2). So brütet in diesem Bereich unter drei sich sonnenden ringelnattern (Natrix na- anderem der Flussuferläufer (Actitis hypole- trix) bestaunen (Abb. 3). ein exemplar wurde cos) regelmäßig. Auch der umgebende Natur- gefangen und näher in Bezug auf Bestim- raum ist vergleichsweise naturnah und mungsmerkmale und Biologie erläutert. Diese strukturreich ausgeprägt (Buchen-Mischwäl- Art sollte uns im zuge der wanderung noch der, Magerwiesen, strukturreiche gärten, mehrmals begegnen. Fischteiche, Steinbrüche). in Bezug auf reptilienvorkommen sind die talbereiche an der lammer im ge- meindegebiet von Scheffau gut untersucht. Fünf von sieben im Bundesland Salzburg vor- kommenden autochthonen Arten konnten dort bislang, in zum teil großen Dichten, nachge- Foto: Andreas Maletzky wiesen werden. es handelt sich nicht nur um den südlichsten Bereich des geschlossenen Verbreitungsareals der Äskulapnatter in Salz- burg (hArtwig 2012, MitterlehNer 2012; es bestehen noch einige isolierte einzelfunde in- nergebirg), sondern auch um ein gebiet mit stellenweise sehr individuenreichen Beständen Abb. 3: ringelnatter (Natrix natrix) in situ auf Baum- der zauneidechse. stumpf sonnend neben der Brücke in griesau 10 ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020
Am weiteren weg flußaufwärts konnten wir war nicht von erfolg gekrönt. um auch noch bald die ersten exemplare des reptils des Jah- Amphibien vorstellen zu können, überquerten res, der zauneidechse (Lacerta agilis), aufspü- wir die lammer richtung kuchlbach und such- ren (Abb. 4). ein Männchen wurde gefangen, ten ein kleines Stillgewässer am hangfuss auf, bestaunt und von den kindern im wahrsten wo zahlreiche larven des Feuersalamanders ge- Sinne des wortes vorsichtig begriffen. Auch die sichtet werden konnten. wiederum wurde ein erste westliche Blindschleiche (Anguis fragilis) exemplar gefangen, stellvertretend vorgestellt ließ nicht lange auf sich warten. unser etappen- und daraufhin wieder zurückgesetzt. ziel auf dieser Seite der lammer war ein lager- platz mit zahlreichen holzstapeln, wo in den vergangenen Jahren immer wieder Äskulapnat- tern (Zamenis longissimus) gefunden wurden. Diesmal hatten wir leider kein glück. Die holz- stapel waren sehr frisch und für Schlangen nicht ideal abgedeckt. So wanderten wir zurück in richtung Foto: Andreas Maletzky Parkplatz, diesmal mit der nunmehr besonnten Nordseite des weges und den angrenzenden Böschungen im Fokus. weitere zauneidechsen ließen sich geduldig beobachten. unweit des Parkplatzes wurden wir mit der ersten stattli- chen Äskulapnatter belohnt (Abb. 5). lediglich die intensive Suche nach der Schlingnatter (Co- Abb. 6: gestreifte Quelljungfer (Cordulegaster ronella austriaca) an einem bekannten Fundort bidentata) am waldrand am linken lammerufer Foto: Andreas Maletzky Foto: Peter kaufmann Abb. 4: Das reptil des Jahres Abb. 5: Adulte Äskulapnatter (Zamenis longissimus) ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020 11
hoch zufrieden gingen wir in richtung unseres ein schöner Abschluss einer durchwegs erfreu- Ausgangspunktes zurück, nicht ohne direkt am lichen Ögh-Veranstaltung. wir freuen uns wegesrand in der Strauchschicht noch eine schon auf die exkursionen im kommenden Jahr, große Äskulapnatter auf Augenhöhe und die die dann hoffentlich wieder ohne einschränkun- seltene gestreifte Quelljungfer (Cordulegaster gen stattfinden können. bidentata), eine auf sehr kleine Fließgewässer spezialisierte libellenart beobachten zu können (Abb. 6). andreas.maletzky@sbg.ac.at Andreas MALETZKY Foto: Peter kaufmann Abb. 7: Die exkursionsteilnehmer bestaunen das reptil des Jahres Literatur: hArtwig, S. (2012): radiotelemetrische untersuchungen zu lebensraumnutzung und kartierung der Äs- kulapnatter (Zamenis longissimus laurenti, 1768) im Salzachtal zwischen Salzburg-Süd und kuchl (Bun- desland Salzburg). – unveröffentlichte Masterarbeit, universität Salzburg, 133 S. klePSch, r. (2020): reptil des Jahres 2020. Die zauneidechse in Österreich. – Ögh-Aktuell 55: 22–25. MAletzky, A. (2019): zum Ameisensee: eine fast länderübergreifende exkursion der Ögh und der herpAg zum lurch des Jahres 2019. – Ögh-Aktuell 52: 32–39. MitterlehNer, B. (2012): radiotelemetrie und Populationsstruktur der Äskulapnatter (Zamenis longissimus laurenti, 1768) im untersuchungsgebiet Salzburg Süd bis kuchl. - unveröffentlichte Masterarbeit, uni- versität Salzburg, 129 S. 12 ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020
Bemerkenswerte Wandlung des Zeichnungsmusters einer wildlebenden, adulten weiblichen Europäischen Sumpfschildkröte im Nationalpark Donauauen richard geMel & Maria SchiNDler ben radiär verlaufenden Strich- und Punktrei- hen sechs Jahre später deutlich intensiver her- Langjährige Fotodokumentation und Mar- vortreten. es wäre vielmehr zu erwarten, dass kierung von Europäischen Sumpfschildkrö- Färbung und zeichnung mit zunehmendem ten im Nationalpark Donauauen Alter verblassen und sich merklich verdüstern, ermöglichen die Identifizierung von einzel- wie das auch bei anderen adulten weibchen nen Individuen selbst nach mehreren Jah- dieser Population festgestellt werden konnte. ren. Die Identifizierung eines Individuums Als Beispiel dafür und zum Vergleich haben erfolgt mit Hilfe verschiedener individueller wir die Fotodokumente des weibchens 119 Eigenheiten, die sich vor allem an den ausgewählt: Abb. 3 aus dem Jahr 2008 und Hornschilden erkennen lassen, teilweise zu- Abb. 4 aus dem Jahr 2020. Deutlich sind bei sätzlich auch durch Einkerbungen des Pan- diesem tier die vermehrten, durch Algenbe- zers im Zuge früherer Markierungen. wuchs verursachten korrosionsspuren auf dem Dieser Umstand ermöglicht neben der Do- ehemals glatten Panzer zu erkennen, sowie ein kumentation und Erforschung der Brutbio- im laufe der zwölf Jahre praktisch komplett logie weitere interessante Beobachtungen. eine solche Beobachtung konnte un- verblasstes gelbes Strahlenmuster. längst bei einem adulten weibchen gemacht werden. es wies im Jahr 2013 ein weniger in- wie kann man sich diesen besonde- tensives zeichnungsmuster auf (Abb. 1) als ren umstand erklären? Alte Schildkröten ten- sechs Jahre später bei einer kontrolle 2019 dieren dazu, entweder Altersmelanismus zu (Abb. 2). Da das weibchen bereits 2013 ein zeigen (hauptsächlich bei Männchen zu beob- hohes Alter erreicht hatte, ist es erstaunlich, achten) oder in einzelnen Fällen auch Alters- dass die schwarzen Pigmente wie auch die gel- flavismus. Dieses Phänomen kann bei Fotos: Maria Schindler. (l.), heinrich Frötscher (r.) Abb. 1: erstaufnahme des weibchens 390 am 3. Juli 2013 Abb. 2: weibchen 390 am 1. Juli 2019 in eckartsau ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020 13
Fotos: Maria Schindler Abb. 3: weibchen 119 am 30. Mai 2008 in eckartsau Abb. 4: weibchen 119 am 10. Juni 2020 in eckartsau manchen Schildkrötenarten regelmäßig auftre- kröten sind von der Struktur her wie die horn- ten, bei anderen kaum oder gar nicht. Abgese- schuppen der übrigen reptilien zu betrachten hen davon ist der Panzer von wasser lebenden und werden von der epidermis gebildet, die Schildkröten oft mit Algen überzogen. in den sich zwischen dem knochenpanzer und den Donauauen können etliche Schildkröten al- hornschilden befindet. in dieser Schicht sind leine nach der Ausbreitung der Algen auf dem Malpighische zellen enthalten, die sich am Panzer individuell wiedererkannt werden. in rand der hornschilde fortpflanzen, wodurch anderen gewässern können die Panzer dieser der knochenpanzer stets von hornschilden be- anpassungsfähigen Art (zusätzlich zum Algen- deckt ist. Auch die Dicke der hornschilde aufwuchs) von mineralischen Ausfällungen, nimmt im laufe des wachstums zu, denn die etwa auch kalksinter, überzogen sein und da- hornschilde wachsen durch graduelle Ablage- durch eine Fremdfärbung erhalten. rung von neuem hornmaterial über die ge- samte unterseite der hornplatten. ein weiteres Phänomen, auf das hier nicht näher eingegangen werden muss, ist das Bei manchen Schildkröten, vor allem „Paarungskleid“ einzelner Schildkrötenarten, in regionen mit kalten wintermonaten, gibt es etwa der männlichen südasiatischen Batagur- wachstumszyklen, die sich in wachstumsrin- Schildkröten. Dieser Vorgang, hervorgerufen gen an den hornschilden niederschlagen. durch chromatophoren und deren Verteilung, Somit kann vor allem bei jungen individuen, ist bereits untersucht und trifft in der weise für wo die ringe noch deutlich sichtbar sind, auf die europäische Sumpfschildkröte nicht zu. das Alter geschlossen werden. Bei etlichen aquatischen Schildkröten lösen sich teile oder kann die Abschuppung der grund für sogar ganze hornschilde im zuge des wachs- die leuchtendere Färbung sein? Frisch gehäu- tums einfach ab. Solche Abschuppungen sind tete echsen und Schlangen erstrahlen förmlich etwa bei Schmuckschildkröten zu finden, in ihren Farben. Die hornschilde der Schild- wobei sich von der mehrlagigen hornschicht 14 ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020
die oberste ablöst. in einem solchen Fall tritt im Schlamm zusammen mit mechanischer Ab- dann die Färbung deutlicher hervor. Bei weni- reibung während der winterstarre bewirkt, dass gen Arten tritt sogar die so genannte Oblitera- auf dem Panzer Algen und korrosionsspuren tion auf, etwa bei den genannten der Algen zurückgehen oder verschwinden. Vo- Batagur-Schildkröten und der tabasco-Schild- raussetzung dazu ist, dass die beiden weibchen kröte („Tortuga blanca“ - die weiße Schild- an verschiedenen Stellen überwintert haben. kröte), wo die hornschicht so dünn ist, dass Das „Peeling“ der oberen hornschicht lässt man den darunterliegenden knochenpanzer dann die Pigmente deutlicher hervortreten. sieht. eine weitere ursache könnte im verschiedenen Sonnenbadverhalten liegen, indem die Algen wir schließen es aus, dass das oben absterben, wenn sich das weibchen entspre- genannte weibchen der europäischen Sumpf- chend lange sonnt; so könnten sich die Algen schildkröte durch Abschuppung die kräftigeren bei weibchen 390 nur an der hinteren Panzer- und kontrastreicheren Farben erlangt hat. hälfte erhalten haben, da sich dieser teil des kaum jemals konnte das gleichmäßige, kom- Panzers beim Sonnen stets im wasser befunden plette Abschuppen der hornschilde bei gesun- haben könnte. eine wissenschaftliche erklä- den tieren dieser Art beobachtet werden, auch rung ist das freilich nicht, da entsprechende finden wir bei dem genannten weibchen (390) untersuchungen dazu fehlen, aber immerhin ist keine Anhaltspunkte, die diesen Vorgang als es eine Spekulation. möglich erscheinen lassen. Da sich in der einschlägigen literatur was ist der grund für die leuchtende- keine hinweise dazu finden, wären wir für die ren Farben im Alter? zunächst mussten wir si- Mitteilung von entsprechenden Beobachtungen chergehen, dass dieser effekt nicht durch das oder auch für erklärungen dankbar, die dazu Abwaschen des Panzers vor dem Fotografieren gegeben werden können. zustanden gekommen sein könnte. unsere Ver- suche mit einzelnen tieren, die wir abgewa- schen und danach wieder fotografiert haben gezeigt, dass das nicht die ursache für die deut- richard.gemel@nhm-wien.ac.at Richard GEMEL licheren Farben gewesen sein konnte. Als er- klärung sehen wir zunächst das spezielle Milieu und den ph-wert, der möglicherweise maria.schindler@sumpfschildkroete.at Maria SCHINDLER Foto: Maria Schindler habitat der europäischen Sumpfschildkröte im Nationalpark-Donau-Auen - Narrischer Arm bei witzelsdorf ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020 15
Neue bemerkenswerte Beobachtungen zu allochthonen Schildkröten in Österreich richard geMel & günther wÖSS Mit besonderer Aufmerksamkeit widmet Wien, 22. Bezirk Das vollständige gelege einer rotwangen- sich die Österreichische Gesellschaft für Schmuckschildkröte (Trachemys scripta ele- Herpetologie (ÖGH) dem Thema der al- gans) konnte am 11. Juni 2019 in wien 22, lochthonen Schildkröten in Österreich Mühlgrundweg, geborgen werden. Das ge- (GEMEL et al. 2005, KLEEWEIN & WÖSS lege befand sich auf der südseitigen Böschung 2009, HASSL et al. 2011, KLEEWEIN 2014, des Oberen Mühlwassers, etwa 40 Meter vom KLEEWEIN & WÖSS 2017). Nachfolgend be- ufer entfernt auf einem Privatgrundstück in- richten wir von neuen Beobachtungen aus mitten eines rasens etwa sechs Meter von der Österreich und widmen uns den Meldun- terrasse eines hauses entfernt. Die eiablage gen, die über die nach wie vor häufigen Ein- des weibchens fand am 4. Juni 2019 statt und zelsichtungen der „üblichen“ Taxa wurde fotografisch dokumentiert (Abb. 1). Das hinausgehen. Mittlerweile ist die Verord- gelege, bestehend aus zehn eiern, wurde nach nung (EU) Nr. 1143/2014 über die Präven- der Bergung entsprechend der oben genannten tion und das Management der Einbringung eu-Verordnung konserviert und der Samm- und Ausbreitung invasiver gebietsfremder lung des Naturhistorischen Museums wien zu- Arten vom 22. Oktober 2014 in Kraft getre- geführt (inventarnummer NMw 40645). ten. In dieser ist die Buchstaben-Schmuck- Dasselbe(?) weibchen wurde auch im Jahr schildkröte (Trachemys scripta) als einzige 2020 auf dem genannten grundstück gesichtet Reptilienart als „invasive Art“ gelistet und (Abb. 2), eine eiablage konnte dabei nicht be- damit den entsprechenden Regelungen un- obachtet werden. terworfen. um dem Personen- und Datenschutz zu ent- sprechen, können zu etlichen Meldungen keine Allochthone Arten wurden in der näheren Angaben zu Personen und den ge- Lobau im zuge der erhebung von Schildkrö- naueren Fundumständen (Ortsangaben) ge- tenvorkommen bereits 2012 registriert macht werden. (SchiNDler 2012). eine genauere Analyse er- Foto: A. uxa Abb. 1: rotwangen-Schmuckschildkröte bei der eiablage am 4. Juni 2019 in wien 22, Mühlgrundweg 16 ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020
folgte dann sieben Jahre später: Mit dem Pro- abgewaschen, fotografiert (Abb. 4, 5, 6) und jekt (SchiNDler 2019) sollte eine Beweissi- in das nahe gelegene wasser gesetzt. Die be- cherung für die europäische Sumpfschildkröte sonderen Fundumstände lassen keinen zweifel (Emys orbicularis) durchgeführt werden, um daran, dass es sich hierbei um eine bemerkens- eine aktuelle einschätzung hinsichtlich Ver- werte „Naturbrut“ gehandelt haben muss. breitung und Bestand der Art im Vorfeld der technisch erforderlichen Maßnahmen für die vorgesehene Dotation der Oberen lobau tref- fen zu können. im rahmen der erhebung des Sumpfschildkröten-Bestandes in der Oberen lobau konnten dabei erwartungsgemäß wei- tere Vorkommen von allochthonen Schildkrö- ten in wiener gewässern dokumentiert werden. Dabei wurden an sieben Begehungs- tagen im April und Mai 2019 in den gewäs- serabschnitten Panozzalacke, Fasangartenarm, tischwasser sowie im Verbindungs- gewässer tischwasser-Mühlwasser neben europäischen Sumpfschildkröten auch rotwangen- und gelbwangen-Schmuckschildkröten in allen Altersstadien angetroffen. zur Überraschung konnten unter den „exotischen“ individuen auch zierschildkröten (Chrysemys picta) iden- tifiziert werden (Abb. 3). Die Sichtungen er- gaben an den Begehungstagen einen Mindestbestand von 17 E. orbicularis und 25 allochthonen tieren (T. scripta und C. picta). Foto: A. uxa Am 23. April 2020 wurde im Natu- ristenpark Lobau, geländeteil körberstraße, ein Schlüpfling der cumberland-Schmuck- Abb. 2: Dasselbe weibchen (?) der rotwangen- schildkröte in einer wiese entdeckt. Das tier Schmuckschildkröte von 2019 im Jahr 2020 in war von zahlreichen Ameisen übersät, wurde wien 22, Mühlgrundweg Foto: kathrin heissenberger Abb. 3: Allochthone Schildkröten in der Oberen lobau: Neben Schmuckschildkröten ist im Bild links eine zierschildkröte zu erkennen ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020 17
Fotos: gerald Becher Abb. 4, 5, 6: Schlüpfling einer cumberland-Schmuckschildkröte, entdeckt am 23. April 2020 im Naturistenpark lobau. Deutlich ist die eischwiele zu erkennen, ein zeichen, dass der Schlüpfling soeben das gelege verlassen hat einem gartenteich gemeldet mit ein bis zwei Jungtieren pro Jahr. Niederösterreich Aus Amstetten werden regelmäßige Nach- zuchten von rotwangen-Schmuckschild- kröten in einem gartenteich gemeldet. im Burgenland Frühling 2020 wurde aus dem Kierling- An einer uferstelle des Neusiedler Sees wur- bach/Klosterneuburg eine adulte Schnapp- den regelmäßig acht weibchen von Schmuck- schildkröte (Chelydra serpentina) geborgen schildkröten beim Sonnen beobachtet. im und dem Verein respekturtle übergeben. in heurigen Jahr (2020) wurden an dieser Stelle Groß-Enzersdorf östlich von wien wurde zunächst drei Männchen abgefischt, davon im Mai 2017 eine weibliche Buchstaben- eine zierschildkröte (C. picta bellii), eine Schmuckschildkröte auf einer wiese bei der gelbwangen-Schmuckschildkröte (T. scripta eiablage beobachtet. Den Belegfotos nach scripta) und eine rotwangen-Schmuckschild- zu urteilen dürfte es sich um einen unterar- kröte (T. scripta elegans). zusätzlich konnten thybriden zwischen Trachemys scripta ele- acht Schlüpflinge geborgen werden, von denen gans und T. scripta troostii gehandelt haben. zwei Bissspuren aufwiesen, die vermutlich leider wurde die entwicklung der eier von den Alttieren stammen, sowie weitere nicht weiter beobachtet, sondern sie wurden Jungtiere (etwa zwei bis vier Jahre alt), die als vermutlich entsorgt. T. scripta-hybriden identifiziert werden konn- ten. Oberösterreich Aus Linz werden regelmäßige Nachzuchten Steiermark von rotwangen-Schmuckschildkröten in regelmäßige Nachzuchten von zierschildkrö- 18 ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020
ten im Freiland werden aus der Südsteiermark etwa Trachemys scripta elegans. Sie wurden gemeldet. Nachdem bereits 2005 über die „Na- in den zoo-Abteilungen von Baumärkten als turbrut“ von rotwangen-Schmuckschildkröten „teichbesatz“ wiederholt angeboten, darunter in einem gartenteich im raum Leibnitz be- auch in wien 22. richtet worden ist (geMel et al. 2005), werden vom selben gewässer nunmehr regelmäßige Nachzuchten von E. orbicularis und C. picta Europäische Sumpfschildkröten registriert. Die elterntiere verbringen das ge- zu den gebietsfremden Arten sind auch euro- samte Jahr im teich und überwintern auch päischen Sumpfschildkröten (E. orbicularis) darin. Die gelege bleiben über den winter im zu zählen, die von anderen Fundorten ihres garten, die Schlüpflinge erscheinen danach im weiträumigen Verbreitungsgebietes hierher ge- kommenden Jahr im April und Mai. Bei den bracht worden sind und seit vielen Jahren an zierschildkröten handelt es sich um C. picta verschiedenen Stellen immer wieder ausge- picta und um unterarthybriden von C. picta setzt wurden und werden (vgl. geMel 2001). picta x C. picta marginata. im heurigen Jahr Sie scheinen in unserem Bericht nicht unter al- (2020) wurden 20 Schlüpflinge beider Arten lochthonen Schildkröten auf, obwohl solche gemeldet. tiere als gebietsfremd gelten. eine Vermi- schung der tiere unterschiedlicher herkunft kann Auswirkungen auf die Überlebensrate und den Fortpflanzungserfolg der autochtho- Vorarlberg Am 26. August 2018 wurde ein bereits geöff- nen Bestände der europäischen Sumpfschild- netes Schildkrötengelege am rheindamm am kröte haben (vgl. SchiNDler 2006, PÖlz et al. rande des Naturschutzgebietes Rheindelta 2014). eine haplotypen-untersuchung zeigte, in hard entdeckt. Nachdem die eier aus dem dass sich gerade im stadtnahen gebiet der gelege entnommen worden waren, wurden sie lobau mehrere exemplare der europäischen anschließend künstlich inkubiert (SchelliNg Sumpfschildkröte mit unterschiedlicher her- 2018). Aus allen neun eiern schlüpften hiero- kunft feststellen ließen (SchiNDler 2004, glyphen-Schmuckschildkröten (Pseudemys 2012). concinna); die Schlüpflinge wurden danach einer Auffangstation übergeben. es handelte sich in diesem Fall um die erste registrierte "Sauregurkenzeit" „Naturbrut“ der hieroglyphen-Schmuck- gebietsfremde Schildkröten schafften es wie schildkröte in Österreich. in den vergangenen Jahren auch 2020 wieder in der "Sauregurkenzeit" in die Boulevard- presse, indem Behauptungen kolportiert wer- den, die ohne ein objektives Abwägen von Diskussion gibt es absehbare trends? Auch wenn die Da- entsprechenden Studien ungeprüft übernom- tenlage keine sicheren Aussagen über die ent- men und verbreitet werden (vgl. Perry & lAu- wicklung der Bestände von allochthonen Ber 2020). Schildkröten in Österreich zulässt, seien einige Bemerkungen hinzugefügt: insgesamt werden So wurden konkurrenzbeziehungen mehr Meldungen von „Naturbruten“ als in frü- zwischen E. orbicularis und T. scripta bereits heren Jahren übermittelt, was als Folge der mehrfach untersucht – jedoch mit unterschied- klimaerwärmung interpretiert werden könnte. lichen ergebnissen. kleeweiN (2015) befasste Auffallend sind zudem die vermehrten Mel- sich in seiner Dissertation eingehend mit der dungen von zierschildkröten (Chrysemys sp.), rolle der allochthonen wasserschildkröten in etwa aus der Oberen lobau in wien, die hier Österreich – seine untersuchungen und ergeb- von kleeweiN & wÖSS (2009) noch nicht re- nisse werden bei den kolportierten Stellung- gistriert wurden. nahmen ebenso wenig berücksichtigt wie z.B. eine entsprechende Studie von MAcchi et zierschildkröten sind in der Verord- al. (2008). Doch ob Sauregurkenzeit oder nung (eu) Nr. 1143/2014 nicht als invasive Sommerloch – immerhin zeigt dies die allge- Arten geführt und sind ebenso wenig in der meine Beliebtheit der Panzerträger und deren eu-VO 101/2012 im Anhang B gelistet wie unterhaltungswert. ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020 19
Dank wir danken herzlich folgenden kolleginnen und kollegen für informationen, ohne die der Bericht in dieser Form nicht hätte gemacht werden können: gerald Becher, Julia eDer, Sabine greSSler, Andreas kleeweiN, Monika richard.gemel@nhm-wien.ac.at Richard GEMEL MArOlt, Peter PrASchAg, Markus Putzgru- Ber, ursula SchelliNg, Maria SchiNDler und Andreas uxA. g.woess@gmail.com Günther WÖSS Literatur geMel, r. (2001): zum Vorkommen der europäischen Sumpfschildkröte: 716 - 736. – in cABelA, A., h. grillitSch, F. tieDeMANN (hrsg.): Atlas zur Verbreitung und Ökologie der Amphibien und reptilien in Österreich. – umweltbundesamt, wien, 880 S. geMel, r., MArOlt, M. & OchSeNhOFer, g. (2005): ungewöhnliche „Naturbrut“ einer rotwangen- Schmuckschildkröte (Trachemys scripta elegans) in der Südsteiermark. – Ögh-Aktuell 15: 9–11. gOllMANN, g., cABelA, A. & SchiNDler, M. (2006): erhebung und einschätzung des erhaltungszustandes der in Anhang ii und iV der FFh-richtlinie genannten und in wien vorkommenden streng geschützten reptilien-Arten. – Projektbericht MA 22 – umweltschutz, 18 S. hASSl, A., kleeweiN, A. & geMel, r. (2011): rechtliche Aspekte des Freisetzens von im –Süßwasser le- benden Schildkröten in wien und Niederösterreich. – Ögh-Aktuell 26: 4–18. kleeweiN, A. & wÖSS, g. (2009): Das Vorkommen von allochthonen wasserschildkröten in wien. – Ögh- Aktuell 22: 4–8. kleeweiN, A. (2014): Natural reproduction of Trachemys scripta troostii (holbrook, 1836) x Trachemys scripta scripta (Schoepff, 1792) in Austria. – herpetozoa 26(3/4): 183–185 (Short Note). kleeweiN, A. (2015): interaction between Emys orbicularis and allochthonous turtles of the family Emy- didae at basking places. – hyla 1: 11–17. kleeweiN, A. & wÖSS, g. (2017): Allochthone wasserschildkröten im Bundesland Vorarlberg und Über- legungen zum syntopen Vorkommen mit Amphibien. – Ögh-Aktuell 44: 4–10. MAcchi, S., BAlzAriNi, l.l.M., ScAli, S., MArtiNOli, A. & tOSi, g. (2008): Spatial competition for basking sites between the exotic slider Trachemys scripta and the european Pond turtle Emys orbicularis. - in: cOrti, c. (hrsg.): herpetologia Sardiniae. – edizioni Belvedere, latina: 338–340. PÖlz, e., trAuNer D., FuNk A., weigelhOFer g. & heiN, t. (2014): Fachbericht Sumpfschildkröten. Be- richt zum Projekt gewässervernetzung (Neue) Donau – untere lobau (Nationalpark Donau-Auen). im Auftrag der MA 45, wien, 28 S. Perry, M. & lAuBer, t. (2020): uS rotwangen „verbeißen“ gelben Schildkröten (sic!). – kronen zeitung Niederösterreich 31.7.2020 SchelliNg, u. (2018): eiablagen von Pseudemys concinna in freier wildbahn in Vorarlberg. – Sacalia 16(4): 34–35. SchiNDler, M. (2004): Die europäische Sumpfschildkröte in Österreich: untersuchung der genetischen Variabilität (zwischenbericht) sowie aktiver Artenschutz im Nationalpark Donau-Auen. – Sacalia 4(2): 24–31. SchiNDler, M. (2012): gewässervernetzung (Neue) Donau – untere lobau (Nationalpark Donau-Auen). europäische Sumpfschildkröte 2012. – Magistratsabteilung 45 wiener gewässer, 29 S., unpubl. Bericht. SchiNDler, M. (2019): erhebung des Sumpfschildkröten-Bestandes 2019. Projekt Dotation Panozzalacke Planung.– Magistratsabteilung 45 wiener gewässer, 14 S. unpubl. Bericht. 20 ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020
The times they are a changin'………. Pathogene Pilze auch bei Schlangen nachgewiesen Silke Schweiger werden konnte, bedeutet aber keinesfalls, dass er nicht schon länger für hauterkrankungen In diesen Tagen sind wir alle mit unter- und somit auch für todesfälle bei Schlangen schiedlichsten Krankheitsszenarien kon- verantwortlich war. Anhand von aufbewahrten frontiert. Leider haben nicht nur wir gewebeproben konnte der Pilz bereits für das Menschen mit Viren und anderen pathoge- Jahr 1985, anhand eines im terrarium gehal- nen Erregern zu kämpfen. Seit Jahren sind tenen königspythons (Python regius), nachge- weltweit Amphibienbestände durch die wiesen werden (Sigler et al. 2013). Hautpilze Batrachochytrium dendrobatidis (Froschlurche) und B. salamandrivorans Der Pilz, der auch als "Snake fungal (Schwanzlurche) bedroht (CRAWFORD et. al disease" (SFD) bezeichnet wird, konnte mitt- 2010; OLSON et al. 2013, SPITZEN-VAN DER lerweile auch bei europäischen Schlangen SLUIJS et al. 2016). Bisher konnten patho- nachgewiesen werden. im Jahr 2017 konnten gene Hautpilzerkrankungen vor allem bei Forscher den Pilz bei 24 ringelnattern (Natrix diversen Amphibienarten beobachtet wer- helvetica) in großbritannien sowie bei einer den. Mit Sorgen las ich vor einigen Jahren, exuvie einer würfelnatter (Natrix tessellata) dass im Jahr 2009 im Osten der USA eine in tschechien diagnostizieren (FrANkliNOS et neuartige Pilzerkrankung bei Schlangen al. 2017). Der keratinophile Pilz befällt vor nachgewiesen werden konnte (RAJEEV et al. allem die haut der Schlangen und führt zu lo- 2009, ALLENDER et al. 2015, BERG 2018). Der "Schlangenpilz" (Ophidiomyces kalen entzündungen, er kann aber auch zu er- ophiodiicola) wurde erstmals an einer erkrank- krankungen der Augen, Muskeln und der ten erdnatter (Pantherophis alleghaniensis) di- lunge führen (lOrch et al. 2015). Die krank- agnostiziert. Die tatsache, dass dieser hautpilz heitsverläufe sind extrem unterschiedlich und im Jahr 2009 wissenschaftlich beschrieben reichen von einem milden Verlauf bis zum tod Fotos: Marietta hengl Beprobung einer würfelnatter (Natrix tessellata) längenmessung einer hornviper (Vipera ammodytes) ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020 21
der Schlange (lOrch et al. 2015, FrANkliNOS und extra beprobt. Auch eine Beprobung der et al. 2017). umwelteinflüsse und der gesund- Fundstelle wird vorgenommen. Nach jeder heitszustand der einzelindividuen dürften Probennahme wurden unsere hände desinfi- dabei eine entscheidende rolle spielen. ziert. Die Proben werden gesammelt, tiefge- froren und später in einem amerikanischen im Jahr 2020 wurde in kooperation labor ausgewertet. mit der amerikanischen Studentin gaelle BlANVillAiN (Virginia Polytechnic institute keine der bisher beprobten Schlan- and State university) im rahmen ihrer Disser- gen zeigte eine hautläsion. wir sind auf die tation ein "Schlangenpilz Projekt" gestartet. ergebnisse der untersuchung gespannt und Das Projekt soll 2020 und 2021 auch in Öster- werden im nächsten Jahr über die resultate be- reich durchgeführt werden. richten. Bisher konnten im Bundesgebiet 21 Mein Dank gilt allen helfern im Feld, Schlangen (4 Arten) beprobt werden. Die tiere insbesondere karin erNSt, rainer FeSSer, Mi- werden gefangen, gewogen und abgemessen chael FrANzeN, Marietta heNgl, yurii kOrNi- (kopf-rumpflänge und Schwanzlänge), an- leV, Markus MOSSAuer & werner StANgl. schließend wird die körpertemperatur gemes- sen und die Schlangen werden mit Probestäbchen auf der körperoberseite und - unterseite beprobt. Falls hautläsionen sichtbar sind, werden diese fotografisch dokumentiert silke.schweiger@nhm-wien.ac.at Silke SCHWEIGER Literatur AlleNDer, M. c., rAuDABAugh, D. B., gleASON, F. h.& A. N. Miller (2015): the natural history, ecology, and epidemiology of Ophidiomyces ophiodiicola and its potential impact on free-ranging snake popula- tions. - Fungal ecology 17: 187–196. Berg, P. (2018): ein Schlangenpilz auf dem Vormarsch in Nordamerika und europa. - elaphe / terraria 69: 70-77 crAwFOrD, A. J., liPS, k. r. & BerMiNghAM, e. (2010): epidemic disease decimates amphibian abundance, species diversity, and evolutionary history in the highlands of central Panama. - Proceedings of the Na- tional Academy of Sciences of the united States of America 107: 13777–13782. FrANkliNOS, l.h.V., lOrch, J.M., BOhuSki, e. et al. (2017): emerging fungal pathogen Ophidiomyces ophiodiicola in wild european snakes. - Scientific reports 7: 3844 (2017). https://doi.org/10.1038/s41598- 017-03352-1. lOrch, J.M., lANktON, J., werNer, k., FAleNDySz, e. A., Mccurley, k. & D. S. Blehert (2015): expe- rimental infection of snakes with Ophidiomyces ophiodiicola causes pathological changes that typify Snake Fungal Disease. mBio 6(6): e01534-15. https://DOi: 10.1128/mBio.01534-15. OlSON, D.h, AANeNSeN, D.M, rONNeNBerg, k.l, POwell, c.i, wAlker S.F, BielBy J., et al. (2013): Map- ping the global emergence of Batrachochytrium dendrobatidis, the Amphibian chytrid Fungus. - PloS ONe 8(2): e56802. https://doi.org/10.1371 rAJeeV, S., SuttON, D.A., wickeS, B.l., Miller, D. l., giri, D. et al. (2009): isolation and characterization of a new fungal species, Chrysosporium ophiodiicola, from a mycotic granuloma of a black rat snake (Elaphe obsoleta obsoleta). - Journal of clinical microbiology 47(4): 1264–1268. Sigler, l., hAMBletON, S. & J.A. Paré (2013): Molecular characterization of reptile pathogens currently known as members of the chrysosporium anamorph of Nannizziopsis vriesii complex and relationship with some human-associated isolates. - Journal of clinical microbiology 51(10): 3338–57. SPitzeN-VAN Der SluiJS, A. et al. (2016): expanding distribution of lethal Amphibian fungus Batrachochyt- rium salamandrivorans in europe. - emerging infectious diseases 22(7): 1286–1288. 22 ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020
Die Wiener Turtlegroup - 40 Jahre Studien über die Nahrungsaufnahme von Amphibien und Reptilien an der Universität Wien Teil 1 Patrick leMell & christian BeiSSer phologie des instituts für zoologie unter der leitung der Professoren Anneliese StreNger Am 16.11.1849 wurde erstmals eine eigene und heinz SPlechtNA. Josef weiSgrAM - ge- Lehrkanzel für Zoologie an der Universität wissermaßen die keimzelle der turtlegroup - Wien eingerichtet (SALVINI-PLAWEN & MIZ- war an dieser Abteilung der erste, der sich im ZARO 1999). Im Laufe des Jahres 1982 er- rahmen seiner Dissertation der gruppe der folgte der Umzug vom Hauptgebäude der Schildkröten zugewendet und die Nahrungs- Universität am Ring in das Biologie-Zen- aufnahme einer klappschildkrötenart, der trum Althanstraße 14 im 9. Bezirk. Nächs- großkopf-kreuzbrustschildkröte (Claudius tes Jahr wird die Biologie weiterziehen in angustatus), mittels röntgenkinematographie die Schlachthausgasse 43, in den 3. Bezirk, untersucht hatte (weiSgrAM, 1982 – wissen- wodurch sich für diesen Statusbericht ein schaftlicher Film). in weiterer Folge verglich runder Zeitrahmen von etwa 40 Jahren der Josef weiSgrAM in seiner Dissertation (1985) herpetologischen Forschung am Biozen- Vertreter aus den Familien Emydidae (Trache- trum ergibt. Der Bericht bezieht sich dabei nur auf mys scripta elegans), testudinidae (Testudo die Forschung der Arbeitsgruppe rund um hermanni) und die bereits bearbeitete Art Josef weiSgrAM (der sogenannten turtle- Claudius angustatus aus der Familie der ki- group) und nimmt nicht Bezug auf die Arbei- nosternidae miteinander. ten anderer gruppen, etwa rund um walter hÖDl. Überblicksmäßig soll somit hier über in den Anfängen dieser funktions- die Arbeiten der turtlegroup berichtet werden, morphologischen Arbeiten war der Standort die sich anfangs auf funktionsmorphologische wien international hoch angesehen für seine Arbeiten über Nahrungsaufnahme-Mechanis- wirbeltierforschung in der Abteilung für Ver- men bei Schildkröten spezialisiert hatte. in den gleichende Anatomie & Morphologie, was letzten Jahren sind aber auch Studien über auch in der Ausrichtung einiger kongresse sei- knochenfische, Salamander und Frösche, nen Niederschlag fand. So wurde der zweite sowie Säuger dazugekommen, die turtlegroup große wirbeltierkongress (icVM, 1986) am beschäftigt sich also mittlerweile mit jeder Biozentrum abgehalten, kleinere kongresse großen wirbeltiergruppe. der führenden funktionsmorphologischen For- scher europas (etwa der ccS – "cranio cer- vical Systems") fanden abwechselnd in leiden, tübingen und wien statt. Diese Ver- Der Anfang Den Anfang nahmen diese Studien an der Ab- bindung brachte Josef weiSgrAM auch dazu, teilung für Vergleichende Anatomie und Mor- im Anschluss an seine Dissertation im rahmen Fotos: J. weisgram Abb. 1: halsberger Testudo hermanni und halswender Chelodina novaeguineae ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020 23
eines erwin-Schrödinger-Auslandsstipendi- rungsaufnahmeapparates von aquatischen tie- ums bei Professor gart zweerS zwei Jahre in ren und kamen zu dem Schluss, dass insbeson- leiden (Niederlande) zu verbringen. Dort lag dere Schildkröten eine geeignete gruppe für der Forschungsschwerpunkt bei der Nahrungs- derartige Studien darstellen können. So zeigen aufnahme von Vögeln, wobei hier vor allem aquatische Formen einen gut ausgeprägten, die halsbewegungen untersucht wurden. Josef großteils verknöcherten hyoidapparat mit ver- weiSgrAM blieb nach seiner rückkehr 1987 gleichsweise kleiner zunge, wohingegen ter- aber den Schildkröten treu und untersuchte als restrische Arten ein eher kleines, flexibles Forschungsassistent von heinz SPlechtNA die zungenbein mit großer zunge aufweisen. Die halsbewegung diverser Schildkröten (Abb. 1): typische aquatische ernährungsweise ist bei Als Objekte dienten die Starrbrust-Pelomeduse Schildkröten vor allem das Saugschnappen (gattung Pelomedusa) und die griechische ("Suction Feeding"). hier wird durch rasche landschildkröte, also halswender (Pleurodira) Absenkung des hyoidapparates der Mund- im Vergleich zu halsberger (cryptodira) raum erweitert, wodurch ein unterdruck im (weiSgrAM & SPlechtNA 1990). 1992 wurde Mundraum entsteht und die Beute mit dem zusätzlich auch die Neuguinea-Schlangenhals- einströmenden wasser eingesaugt wird. Je grö- schildkröte Chelodina novaeguinaeae, eine ßer die zunge ist, desto eher kommt es zu stö- weitere pleurodire Art, untersucht (weiSgrAM renden turbulenzen, die einen effektiven & SPlechtNA 1992). wasserstrom behindern würden. Das Prinzip ist im grunde ähnlich der Nahrungsaufnahme von Fischen, der große Die erste Diplomandengeneration christian BeiSSer war der erste Diplomand, unterschied bei sekundär aquatischen wirbel- der 1993 bei Josef weiSgrAM, nunmehr Assis- tieren besteht allerdings darin, dass das einge- tenzprofessor am institut für zoologie, bzw. saugte wasser nicht wie bei den Fischen weiter bei heinz SPlechtNA (Abteilung Anatomie hinten bei den kiemen wieder ausströmen und Morphologie) vorstellig wurde, gefolgt kann. es liegt also ein bidirektionales System von Patrick leMell 1995 und robert wOcheS- vor, bei dem das wasser wieder beim Maul lÄNDer 1996. christian BeiSSerS methodi- ausgestoßen werden muss (lAuDer & ShAF- sches interessensgebiet war die histologie und Fer 1986, 1993). Neben dem "Suction Fee- Mikroanatomie, er untersuchte die dorsale ding" gibt es bei aquatischen Schildkröten zungenmorphologie diverser Schildkrötenar- auch das sogenannte zustoßen ("ram Fee- ten und die Anpassung des zungenepithels der ding"), bei dem durch rasches Ausstrecken des einzelnen Arten an das jeweilige Medium, in halses bei gleichzeitigem Absenken des hyo- dem der Fressakt stattfindet, also unterschiede idapparates die Beute geschnappt wird. An zwischen aquatischer und terrestrischer Nah- land gibt es ebenso zwei Möglichkeiten der rungsaufnahme. Nahrungsaufnahme, entweder Aufnahme der Nahrung mit den kiefern ("Jaw Prehension"), Patrick leMell trat in die Fußstapfen oder das Aufpicken der Nahrung mit der von Josef weiSgrAM und beleuchtete mittels zunge ("lingual Prehension"), das bisher nur highspeed-kinematographie in zusammenar- bei der Familie der testudinidae nachgewiesen beit mit dem Österreichischen wissenschaftli- werden konnte. chen Film (ÖwF) sowie mit Sektionen die funktionelle Seite. Dafür wurden aquatisch le- bende Schildkröten ausgewählt wurden, wäh- Welche Methoden kamen und kommen rend robert wOcheSlÄNDer analoge zum Einsatz? untersuchungen an einer terrestrischen Art einerseits wurden die Nahrungsaufnahme-Me- vornahm. chanismen mittels lichtoptischer (anfangs mit bis zu 3-facher zeitdehnung) und röntgen- film-Aufnahmen (normal-frequent) dokumen- tiert, andererseits war es auch notwendig, die Der Forschungsansatz und die wissen- Anatomie des Schädelbereiches mittels Sek- schaftlichen Fragestellungen Bereits frühere Studien (BrAMBle & wAke tionen zu erfassen. Die Methoden von damals 1985) untersuchten optimale Designs des Nah- sind immer noch Stand der technik, das heißt, 24 ÖGH-Aktuell Nr. 56 - Oktober 2020
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