Opern - SERGEJ PROKOFJEW - Boosey & Hawkes
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INHALT 1 VORBEMERKUNG 2 GRUSSWORT VON DAVID POUNTNEY 4 SO FACETTENREICH WIE CHARAKTERISTISCH: DIE OPERN SERGEJ PROKOFJEWS VON RITA McALLISTER 11 WERKÜBERSICHT 28 IMPRESSUM | KONTAKT Cover: Prokofjew im Jahr 1918
VORBEMERKUNG ZU DIESER PUBLIKATION Der ganze Prokofjew unter einem Dach SEIT KURZEM SIND DIE TRADITIONSUNTERNEHMEN BOOSEY & HAWKES UND SIKORSKI VEREINT Die zuvor gültige Unterscheidung der Vertriebsgebiete Wir freuen uns, dass wir einige renommierte entfällt. Zu den Komponistengrößen des 20. Jahrhun- Prokofjew-Kennerinnen und -Kenner für dieses derts, deren komplettes Schaffen nun von unserem Vorhaben gewinnen konnten. Ihre eigens verfassten internationalen Verlagsteam gemeinsam vertreten Beiträge werden durch Kurzeinführungen und wird, zählt Sergej Prokofjew. detaillierte Angaben zu einzelnen Werken ergänzt. Wir nehmen den Zusammenschluss zum Anlass, Den Auftakt zur Heftreihe macht die Gattung Oper. Prokofjews Werk in einer umfänglichen, mehrteiligen Wir wünschen eine anregende Lektüre! Publikation zu präsentieren. Dabei lenken wir den Blick sowohl auf beliebte Klassiker als auch auf solche Ihre seiner Kompositionen, die noch einer stärkeren Boosey & Hawkes | Sikorski Beachtung auf den Bühnen und Konzertpodien harren. Promotion Vollständiges Prokofjew- Aufführungsrechte: Werkverzeichnis & Infos: © Boosey & Hawkes, London, www.boosey.com/downloads/ für alle Länder ProkofjewWerkverzeichnis.pdf © Sikorski, Berlin, für D, CH, E, GR, IL, IS, www.boosey.com/Prokofjew NL, P, DK, N, S, TR, PL, H, CZ, HR, SLO; Boosey & Hawkes, London, für UK, das British Commonwealth (ohne CAN), IRL, ZAF 1
GRUSSWORT VON DAVID POUNTNEY „Keine Oper Prokofjews ist wie die andere“ Während meines Studiums in Cambridge ging ich oft in in Umfang und Stil so stark voneinander unterschei- Second-Hand-Schallplattenläden und erstand damals den. Der Spieler, seine erste große Oper, zeugt von der auch eine Aufnahme von Krieg und Frieden in einer sehr nervösen Genialität seiner frühen Jahre als enfant ter- schicken Aufmachung mit Prägung, doch ohne Beiheft. rible, ist aber wohl in der Tat sein erfolgreichstes Büh- So begleitete mich dieses Stück durch jene Zeit, ohne nenwerk – obwohl auch viel dafür spräche, der Liebe zu dass ich genau verstand, worum es darin überhaupt den drei Orangen diesen Rang zuzuweisen. Im Spieler ging. Aber die Musik drang in mein Innerstes, und ei- präsentieren sich die schillerndsten Persönlichkeiten nige Zeit später sah ich eine großartige Inszenierung sowie ein getriebener, hektischer Held, dessen Tem- an der English National Opera. perament bestens zum widerspenstigen Trotz des frü- hen Prokofjew passt. Und die vor Energie vibrierende Glücklicherweise erhielt ich 1969 nach Beendigung Glücksspielszene ist ein hervorragendes Beispiel für meines Studiums ein Stipendium für einen Aufenthalt den motorischen Elan Prokofjews. Für die Rolle und in Ost-Berlin. Dort erwarb ich einen sehr schönen Kla- den Charakter der Polina hätte man sich vielleicht et- vierauszug des Spielers mit dem Text in drei Sprachen. was mehr Tiefe gewünscht – ein so betörendes Wesen Dieser legte quasi den Grundstein für mein seitdem würde man gern genauer kennenlernen. Sie ist eine der bestehendes Interesse an den Opern Prokofjews. In Opernfiguren, der ich am liebsten persönlich begegnen Ost-Berlin sah ich auch ungefähr zwei Drittel einer würde. Vorstellung der Liebe zu den drei Orangen – nicht, dass ich vorzeitig gegangen wäre, es gab nur ein techni- Der feurige Engel müsste wahrscheinlich seine erfolg- sches Problem mit den Hubpodien, und die Vorstellung reichste Oper sein, weil ihre makabre Mystik so hervor- musste abgebrochen werden. ragend zu Prokofjews Auslandsperiode passt, die von Hektik, Dissonanzen und Dämonie geprägt war. Sie ist 1972 wurde ich von Brian Dickie, dem künstlerischen aber relativ schwer zu inszenieren – nicht zuletzt, weil Leiter des Wexford Festivals, gefragt, ob ich Janáčeks die männliche Hauptrolle im Vergleich zu der hysteri- Katja Kabanowa inszenieren wolle. Ich konnte ihn da- schen Renata – eine der Figuren, der ich lieber nicht von überzeugen, im Jahr darauf den Spieler auf die Büh- persönlich begegnen möchte – eher blass erscheinen ne zu bringen, den ich dafür ins Englische übersetzte muss. Auf Wunsch von Lord Harewood durfte ich den – mein erster Versuch in diesem Metier. In der genialen Feurigen Engel mit der göttlichen Josephine Barstow Glücksspielszene gibt es einen besonderen Moment, für das Adelaide Festival inszenieren. Die Szene mit wenn die beiden Tenöre, die jeweils nur sehr wenig zu Agrippa ist problematisch, denn wenn das Orchester singen haben, auf die Bühne stürmen und ihr Staunen auch nur annähernd so wild spielt, wie vom Komponis- über Alexejs Meisterleistung am Spieltisch zum Aus- ten verlangt, hört man den Sänger nicht mehr, wodurch druck bringen: Die Tenöre waren Graham Clark und viel von der Kraft und dem bedrohlichen Charakter sei- Dennis O’Neill – zwei angehende Stars. Den Spieler habe ner Rolle verloren geht. Viel größere Wirkung erlangt ich später in größerem Rahmen noch öfter inszeniert – diese Passage in ihrer rein instrumentalen Fassung in auf Niederländisch (!) in Amsterdam – und natürlich der Dritten Sinfonie. auf Englisch an der ENO, wieder mit dem grandiosen Graham Clark, nun aber in der Hauptrolle als Alexej, in Wenn Der feurige Engel die dämonische, obsessive Sei- der er beim Singen einen perfekten Handstand vollführ- te Prokofjews widerspiegelt, passt Die Liebe zu den drei te! Später habe ich meine englische Übersetzung für Orangen perfekt zum eher lebhaften, verschrobenen Richard Jones am Royal Opera House Covent Garden Teil seines Charakters. Ihre leuchtend farbige Partitur überarbeitet. Somit war ich dem Spieler über viele Jahre gibt den Exotismus von Carlo Gozzis Märchen aufs verbunden – oder er mir. Schönste wieder und streicht Prokofjews künstlerische Verbindung zu der äußerst stilisierten, zirkusartigen Prokofjews Vermächtnis als Opernkomponist lässt sich Virtuosität von Meyerholds konstruktivistischem The- nur sehr schwer zusammenfassen, da sich seine Opern ater heraus. 2
Kommen wir nun zu seinen „sowjetischen“ Opern, die einen klaren Bruch zu den vorherigen Werken darstel- len. Und hier wäre ehrlich zu sagen: Er sah sich – was wenig überrascht – nie in der Lage, die Lebensumstän- de in der Sowjetunion mit seinen eigenen künstleri- schen Impulsen in Einklang zu bringen. Man bedenke, dass Schostakowitschs Reaktion auf dieses unlösbare Problem im Kontext der Oper Schweigen war. Als Prokofjew beispielsweise in den 1940er Jahren Krieg und Frieden komponierte, war es unvermeidlich, dass diese Oper nach ihrer nationalen, patriotischen Aussage beurteilt werden würde. Etwas voreilig hatte Prokofjew jedoch das Stück zunächst mit einer anderen Konzeption begonnen und die Skizzen und Überarbei- großartigen Geschichte, starken Charakteren und dem tungen mit Sergej Eisenstein diskutiert, der die Urauf- Reichtum von Prokofjews unfehlbar kommunikativer führung inszenieren sollte, aber dann in Ungnade fiel. Musik machen die Oper zu einem äußerst lohnenswer- Ursprünglich wollte Prokofjew bei Krieg und Frieden ten, wenngleich umfangreichen Unterfangen. wie in der Buchvorlage die emotionalen Beziehungen in den Vordergrund stellen und ein bemerkenswert la- Im Vergleich dazu sind die übrigen Werke weniger konisches Ende schreiben, bei dem Kutusow und der spektakulär, auch wenn Die Verlobung im Kloster eine Chor beim Gedanken, den Franzosen Tritte in den Hin- herrliche, leichte Komödie mit einer wunderschönen tern zu verpassen, in Gelächter ausbrechen. Dies hätte melancholisch-romantischen Atmosphäre ist, die auch natürlich nicht zu der sowjetischen Vorstellung von ei- groteske Züge beinhaltet, etwa bei der musikalischen ner heroischen Siegesparade gepasst. Hausparty und den trunksüchtigen Mönchen. Ich habe den Eindruck, dass diese Oper von einem glücklichen So wurde auch Krieg und Frieden zu einer Oper, bei der, Menschen komponiert wurde. Leider kenne ich Die wie bei Don Carlos, entschieden werden muss, was und Geschichte eines wahren Menschen und Semjon Kotko wie viel man davon auf die Bühne bringt, auch wenn es nicht, würde mich aber freuen, wenn ich feststellen ein Fehler wäre zu behaupten, dass alle späteren Über- dürfte, dass sie viel besser sind, als ich befürchte. arbeitungen Zugeständnisse an den Sowjet-Bombast waren. Schließlich kam auch die ergreifende Ballszene Das Besondere an diesem reichen Œuvre: dass keine mit ihrem äußerst charakteristischen Walzer erst später Oper Prokofjews wie die andere ist. Es gibt ein obsessi- hinzu. Bei meiner Inszenierung an der Welsh National ves Ensemble-Drama nach Dostojewski, eine exzessive Opera habe ich ein wenig geschummelt. Ich habe das mittelalterliche Schauergeschichte, ein leuchtend far- Chor-Epigramm ganz an den Anfang gestellt – und da- biges Märchen, ein patriotisches Epos über Liebe und mit schamlos eine Idee von Colin Graham aus der ENO- Krieg, eine romantische iberische Komödie und zwei Inszenierung der 1970er Jahre geklaut. Die Ballszene Stücke des Sozialistischen Realismus. Eine ziemlich wurde natürlich gespielt, denn wer will schon Krieg und beachtliche Leistung! Frieden ohne den Ball sehen? Aber wir haben Prokof- jews Originalschluss mit dem „Gelächter“ verwendet und das Beste aus beiden Welten genommen, indem wir die Musik des großen sowjetischen Finaltableaus als Applausmusik spielen ließen. Krieg und Frieden ist aus all den genannten Gründen qualitativ nicht ganz ausgewogen, doch die Verbindung zwischen einer 3
EINFÜHRUNG VON RITA McALLISTER So facettenreich wie charakteristisch: die Opern Sergej Prokofjews Bereits zu Lebzeiten genoss Prokofjew den Ruf als einer tritte. Viel wichtiger für ihn war jedoch zeitlebens seine der bedeutendsten Komponisten des zwanzigsten Jahr- Affinität zum Musiktheater: Oper, Ballett, Bühnenmusik hunderts. Das verdankte er vor allem seinen Werken sowie seit den frühen 1930er Jahren Filmmusik. für das Konzertpodium – den Sinfonien, Solokonzerten und Klavierwerken. Prokofjew war ein ausgezeichneter Seine große Liebe galt der Oper. Außer in den Jahren Pianist und finanzierte seine Tätigkeit als Komponist zu 1928–38, vor und kurz nach seiner Rückkehr nach Russ- Beginn seiner Karriere größtenteils durch eigene Auf- land – in denen er immerhin vier Ballette, fünf Schau- spielmusiken, Peter und der Wolf und eine Filmmusik komponierte – war er immer mit dem Schreiben einer Der Komponist um 1900 in St. Petersburg vor der Oper beschäftigt. Zwischen 1911 und seinem Tod im Handschrift seiner Oper Der Riese Jahr 1953 komponierte er acht ausgewachsene Opern- werke. Drei davon existieren in mehreren Fassungen. Außerdem blieben zwei weitere Opern unvollendet: Chan Busay (1942–47) und Ferne Meere (1948). Letztere sollte eine heitere Operette voller Lieder und Tänze wer- den. Erstere hätte, mit ihren kasachischen Volksweisen, den Komponisten in neuem Licht erscheinen lassen. Seine Opern gingen nicht auf Kompositionsaufträge zu- rück, sondern auf Stoffe, die er selbst gefunden hatte und allen Widrigkeiten zum Trotz unbedingt vertonen wollte. Die Oper trug maßgeblich zur Ausprägung sei- nes musikalischen Idioms bei. Zum Teil ist dies auch der Grund für die ausgeprägte Theatralik seiner Kon- zertwerke, in denen es zumeist um unbenannte Dramen zwischen nicht näher bezeichneten Figuren geht. Inspiriert von häufigen Besuchen im Moskauer Bol- schoi-Theater und Sankt Petersburger Mariinski-The- ater, begann Prokofjews Karriere als Opernkomponist bereits in jungen Jahren. In seiner Kindheit übte Gou- nods Faust und vor allem dessen Marsch und Walzer großen Einfluss auf ihn aus: In Prokofjews eigenen Opern sollte es später viele Nummern dieser Art so- wie Duelle, Konfrontationen, Obsessionen, Doppelbö- digkeiten und vor allem Finali mit großem, meist dem Orchester anvertrautem Höhepunkt geben. Weitere wichtige Einflüsse seiner frühen Jahre kamen von Glin- ka, Borodin, Mussorgski, Tschaikowsky und Rimski- Korsakow. Diese Komponisten, die, jeder auf seine Art, die typisch russische Tradition verkörperten, waren Prokofjews Vorbilder für sein Opernschaffen. Und ob- wohl die musikalische Sprache seiner Opern, insbeson- dere der frühen Werke, etwas völlig Innovatives war, bildeten die Bühnenwerke dieser beliebten Vorgänger die grundlegenden konzeptuellen Parameter für Pro- kofjews eigenes Schaffen. 4
In seiner Kindheit schrieb er vier Opern: Der Riese (1900 im Alter von nur neun Jahren komponiert), Auf unbewohnten Inseln (1900–02), Das Gelage während der Pest (1903–08) und Undine (1904–07). Auch wenn die- se Werke nur noch als Fragmente existieren, sind sie ein zwar rudimentäres, aber sehr klares Zeugnis des- sen, was noch kommen sollte: große Melodien, direkte musikalische Ansprache, ein ausgeprägtes szenisches Gespür, regelmäßige viertaktige Phrasen mit einem dominierenden rhythmischen Puls, abschnittsweise Gliederungen und mitunter pikante Dissonanzen, die auch den späteren Opernpartituren das gewisse Etwas verleihen sollten. Prokofjews erste mehr oder weniger reife Oper war die einaktige Maddalena op. 13, die zwischen 1911 und 1913 komponiert wurde und auf einem Theaterstück von Magda Lieven-Orlowa aus dem Jahr 1905 basiert. Die Handlung spielt im Venedig des 15. Jahrhunderts. Dort kommt es am Höhepunkt einer intensiven Drei- ecksbeziehung um die schöne, aber durchtriebene Maddalena zu einer Nacht-und-Nebel-Aktion: Madda- lena provoziert ein Duell, bei dem sowohl ihr Ehemann, ein Alchimist, als auch ihr junger Liebhaber Genaro ge- tötet werden. Orchestriert hat Prokofjew nur die ersten vier Szenen (vollendet wurde die Partitur 1979 durch Edward Downes). Als die geplante Uraufführung ab- gesagt wurde, brach er die Komposition ab, und erst 1981 wurde das komplettierte Werk auf die Bühne ge- In New York 1918 bracht. Dieses Jugendwerk besitzt bereits Vieles, was sich auch in den späteren Opern findet: starke Gefüh- le – Liebe und Eifersucht –, eine dunkle und fesselnde gendsten Momente in Prokofjews Opern. Diese Szene Atmosphäre, einen Text voller Anspielungen und Me- ist mit ihren verwobenen und überlagerten Stimmen taphern sowie eine eindringliche, chromatisch aufge- der verschiedenen Spielergruppen im Casino, die ihrer ladene Partitur mit charaktervollen wiederkehrenden unkontrollierbaren Sucht völlig ausgeliefert sind, ein Motiven. Der jugendliche Romantizismus Prokofjews, einziger surrealer Kommentar zur Verletzlichkeit des der wahrscheinlich von Skrjabin und den kurz zuvor ur- Menschen. Die in Sankt Petersburg geplante Urauffüh- aufgeführten Einaktern Salome und Elektra von Richard rung kam nicht zustande: Im Geist der Februarrevoluti- Strauss beeinflusst war, sowie das melodramatische on von 1917 protestierten Sänger und Orchester gegen Zeitmaß traten jedoch bald hinter einer charakteristi- das Werk, weil es angeblich zu schwierig war. scheren, komplexeren und persönlicheren Herange- hensweise an die Gattung Oper zurück. Die nächste Oper Prokofjews, die er nach seiner Über- siedlung in die Vereinigten Staaten im Jahr 1918 Das Libretto von Prokofjews nächster Oper, Der Spie- schrieb, hätte andersartiger kaum sein können. Die ler op. 24 (1915–17, überarbeitet und neu orchestriert Liebe zu den drei Orangen op. 33 (1918–19) ist eine al- 1927–29), basiert auf der gleichnamigen Novelle von legorische Märchenoper. Sie geht auf ein Szenario zu- Dostojewski. In dieser im Jahr 1865 angesiedelten Ge- rück, das Wsewolod Meyerhold nach einem Stück von schichte geht es um die komplexen Interaktionen in Carlo Gozzi (1761) fantasievoll übersetzt hatte, welches einer Gruppe unterschiedlicher russischer Figuren im seinerseits den Geist der alten italienischen Comme- und um das Casino des fiktiven Kurorts Roulettenburg. dia dell’arte wieder aufleben ließ. Erzählt werden die Die Handlung kreist um den Konflikt der Fixierungen bunten, von Zauberei geprägten Abenteuer eines hypo- des jungen Hauslehrers Alexej – Liebe und Glücks- chondrisch veranlagten Prinzen, der die Liebe sucht – spiel. Sie erreicht ihren Höhepunkt in einer Reihe von zunächst zu den Orangen und später zu der schönen kathartischen Rouletterunden. Mit dem Spieler wollte Prinzessin Ninetta, die einer der Früchte entsteigt. The- Prokofjew ein radikales Werk schaffen, das richtungs- matisch entsprach das Stück hervorragend Prokofjews weisend für die neue russische Oper sein sollte: Ent- Talenten und bildete ein natürliches Ventil für seinen standen ist ein Experiment in Sachen musikalischer bissigen Humor und seine Liebe zum leicht Grotesken. Sprache und Musiktheater, das durch Deklamationen Es passte auch ideal zu seinem damaligen musikali- mit hervorgehobenen Sprachmelodien und eine hoch schen Stil: voll von unvorhersehbaren Wendungen und emotionale Orchestrierung umgesetzt wird. Die Hand- harschen Kontrasten, mit einer nicht-gesanglichen Ly- lung spielt sich in atemberaubendem Tempo ab, macht rik und flüchtigen Momenten einer ans Herz gehenden weder für Arien noch für Chöre Halt und kulminiert in Liebesgeschichte, temporeich und mit blitzgescheiten, der meisterhaften Spielszene – sicher einer der bewe- karikaturistisch gezeichneten Charakteren, alles vor 5
dem Hintergrund von Dämonie und Zauberei. Wenn es Okkulte aus dem 16. Jahrhundert zurückzugehen, und ein historisches Vorbild gibt, dann den Goldenen Hahn der im Rheinland spielt. Die Heldin Renata wird von von Rimski-Korsakow aus dem Jahr 1908 mit dessen übernatürlichen Visionen verfolgt und ist vom Bild ei- unirdischen Klängen, coups de theâtre und skurrilem nes feurigen Engels besessen. Ihr Beschützer ist der Humor. Die Liebe zu den drei Orangen sollte Prokofjews Ritter Ruprecht, und gemeinsam bedienen sie sich auf beliebteste und erfolgreichste Oper werden, wobei der der Suche nach dem Engel der Magie und Zauberei. Marsch und das Scherzo wahrscheinlich am bekann- Dabei wird Ruprecht schließlich verwundet, und Re- testen sind – beides ursprünglich Klavierstücke und nata wird in ein Kloster gebracht und dort nach einer später Zugaben, vor denen ihm graute! hysterischen Séance zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Bei einer Beschäftigung mit Prokofjews Büh- Mit der Komposition des Feurigen Engels op. 37 nenwerken erweist sich Der feurige Engel in jeder Hin- (1919–23, 1927, 1930er Jahre) begann Prokofjew noch sicht als Schlüsselwerk: beeindruckend und intensiv in vor der Uraufführung der Drei Orangen 1921 in Chi- seinen dunklen, vielschichtigen Stimmungen und vor cago. Grundlage des neuen Librettos (vom Komponis- allem in der Auslotung der psychischen Instabilität der ten) war der historische, autobiografisch motivierte Heldin. Renata, eine absolut faszinierende Opernfigur, Roman des russischen symbolistischen Schriftstellers ist offenkundig sexuell von ihren eigenen Dämonen be- Waleri Brjussow, der vorgibt, auf ein Traktat über das sessen und doch beherrscht von einer alles erfassen- den religiösen Inbrunst. In Chicago 1919 anlässlich der Vorbereitung von Diese allgegenwärtige Präsenz von Bösem und Zau- Die Liebe zu den drei Orangen berei entlockte Prokofjew seine physisch kraftvollste, strukturell einheitlichste und entwicklungsdrama- tischste Oper. Der feurige Engel bildet den Höhepunkt seiner symbolistischen Moderne, wobei seine obsessi- ven, repetitiven, ostinato-getriebenen und explosiven Orchesterklänge im Kontrast stehen zu reinen, altera- tionsfreien Melodien hier, einer intensiven lyrisch-ro- mantischen Chromatik dort sowie purer musikalischer Farce. Prokofjew scheint selbst von der hypnotisieren- den Atmosphäre der Handlung besessen gewesen zu sein. Obwohl niemand ihm die Aufführung des Werks anbot, nahm er es sich über zehn Jahre lang immer wieder vor. Anfang der 1930er Jahre geriet er durch seine zunehmende Beschäftigung mit der Christlichen Wissenschaft jedoch in einen persönlichen Konflikt mit den inhaltlichen Grundlagen der Oper und verzichtete auf eine geplante Endfassung. Zwischen dem Feurigen Engel und Semjon Kotko liegen rund zehn Jahre, in denen Prokofjew offenbar seine Opernambitionen überdachte. Bis dahin war bei den Bühnen nur die Liebe zu den drei Orangen auf Zustim- mung gestoßen. Die konzertante Aufführung des zwei- ten Akts des Feurigen Engels im Juni 1928 war ein ein- maliges Ereignis. In diesen Jahren hatte er Erfolg mit seinen Balletten, vor allem mit dem Verlorenen Sohn, und mit der Musik zu Leutnant Kishe sowie natürlich mit Peter und der Wolf – seinem bekanntesten Werk, das vielleicht auch einen Ausgleich für ein fehlendes Opernprojekt bot. Anfang der 1930er Jahre wurden die meisten seiner Kompositionsaufträge von der Sowjet- union erteilt, und 1936 entschied er, dass sein künfti- ger Erfolg auch dort begründet sein würde. Daraufhin kehrte er im Frühjahr jenes Jahres nach Russland zu- rück und blieb dort bis an sein Lebensende. Dennoch gab er die Suche nach einem neuen Opern- sujet nicht auf, und unter den gegebenen Umständen spielte die Themenwahl nun eine entscheidende Rol- le. 1932 war der Sowjetische Komponistenverband und mit ihm die Politik des Sozialistischen Realismus ins Leben gerufen worden, der vorschrieb, dass mu- sikalische Werke einen deutlich nationalen, möglichst 6
In Leningrad 1927 mit der Besetzung der ersten russischen Produktion von Die Liebe zu den drei Orangen volksbezogenen Charakter haben, melodisch und dem Ausdruck kommt. Semjon Kotko op. 81 ist ein Werk sowjetischen Volk zugänglich sein und dessen Hel- von echter Bekenntnishaftigkeit, kraftvollem Lyrismus dentum sowie Humanität widerspiegeln sollten. In der und wirkungsvoller Charaktergestaltung, mit Episoden aufrichtigen Absicht, die sowjetische Oper schlecht- großer Eindringlichkeit und schlagfertigen Humors, hin zu schreiben, entschied sich Prokofjew 1939 für und ist menschlicher angelegt als alle seine früheren Semjon Kotko, einen Roman von Walentin Katajew, Opern. Es gibt bewegende Momente, die es ohne Wei- der teils Kriegsgeschichte, teils gewitztes Volksmär- teres mit seiner populären Musik zum Film Alexander chen war und sich auf der Theaterbühne bereits als Newski aufnehmen können. Allerdings dürfte die geo- den sowjetischen Ansprüchen genügend erwiesen hat- grafische und zeitliche Beschränkung der Handlung te. Die Handlung spielt 1918 in einem Dorf im Süden den internationalen Zuspruch mit Sicherheit geschmä- der Ukraine während des Bürgerkriegs zwischen den lert haben. Durch die westliche Kritik an der ideolo- Bolschewiki und der „Weißen“ Armee. Sie stellt die gischen Naivität Prokofjews und seiner Befolgung des Liebesgeschichten einer Gruppe heldenhafter sowjeti- Partei-Diktats war die Wirkung von Semjon Kotko über scher Jugendlicher und die feindliche Einnnahme ihres die Grenzen Russlands hinaus trotz vieler wunderbarer Dorfes durch deutsche Truppen und deren Sympathi- Musik begrenzt, vielleicht zu Unrecht. santen im Ort gegenüber. Fast direkt im Anschluss entstand Die Verlobung im Musikalisch wie politisch schien Prokofjews Wahl Kloster op. 86 (1940–41, 1943 überarbeitet). Dieses angemessen. Seine Klangsprache hatte sich in den Projekt bewegte sich gänzlich in Prokofjews Kom- 1930er Jahren verändert – nicht radikal –, aber sie war fortzone und entsprach seiner „Neuen Einfachheit“. harmonisch dezenter, strukturell klarer und in gewis- Es basiert auf dem englischsprachigen Singspiel The sem Maße einfacher und melodiöser geworden. Me- Duenna des irischen Schriftstellers und Satirikers Ri- lodien waren seit jeher seine große Stärke gewesen, chard Brinsley Sheridan aus dem Jahr 1775, und das und selbst zur Hoch-Zeit seines Vorstoßes in Richtung Libretto wurde von Prokofjew und Mira Mendelson (die Moderne in den 1920er Jahren hatte er das klassische bald darauf seine zweite Frau wurde) frei bearbeitet. Im Element seines Stils nie komplett aufgegeben. Was Stile früherer Sittenkomödien werden die verwirrenden später als seine „Neue Einfachheit“ bezeichnet wurde, Liebesaffären zweier junger Paare geschildert, die von ergab sich aus einer weicheren Gesanglichkeit, die in einem intriganten Vater, einem geldgierigen Händler der Fünften und Sechsten Sinfonie, dem Zweiten Vio- und betrunkenen Mönchen in einem Kloster behindert linkonzert und dem Ballett Romeo und Julia sowie sei- werden. Entstanden ist daraus Prokofjews konventio- ner späten Oper Krieg und Frieden am stärksten zum nellste und definitiv gesanglichste Oper. Wie in seinem 7
zeitgleich geschriebenen Ballett Cinderella kommt hier Der Stoff für seine nächste ausgesprochen patriotisch- Prokofjews Liebe zu Mozart zum Ausdruck. Die Verlo- sowjetische Oper musste Prokofjew im Frühjahr 1941 bung im Kloster lieferte die ideale (und politisch neutra- vor dem Hintergrund der Hitler-Invasion in Russland le) Entschuldigung, längere Szenen und geschlossene und des Ausbruchs des „Großen Vaterländischen Nummern zu schreiben: ausladende lyrische Arien, Krieges“ als ideal erschienen sein: Tolstois epischer Serenaden, Duette und Ensembles sowie reich har- Roman Krieg und Frieden, der sich um Napoleons In- monisierte Tänze. Diese komische Oper ist eher launig vasion von 1812 dreht. In Anbetracht der Länge und als absurd und enthält, was bei Prokofjew selten ist, des großen Handlungsrahmens des Romans erwies große Teile ehrlicher, romantischer Liebesmusik. Nicht sich die Ausarbeitung eines stimmigen Librettos als übergangen wurden dennoch die satirischen Neben- schwierig. Dies versuchten Prokofjew und seine Co- handlungen der Geschichte, und Prokofjew machte Librettistin – erneut Mira Mendelson – gar nicht erst, auch von seiner Fähigkeit Gebrauch, Personen durch sondern entschieden sich stattdessen für elf bzw. spä- einprägsame Motive zu karikieren. Don Jeronimo, der ter dreizehn „lyrisch-dramatische Szenen“ aus einem Fischhändler Mendoza und die betrunkenen Mönche Roman, der dem russischen Publikum vertraut war. werden schonungslos persifliert, und selbst für die jun- Die Entstehungsgeschichte der Oper Krieg und Frie- gen Liebenden gibt es kein Entkommen vor dem mu- den op. 91, die Prokofjew über all seine anderen Opern sikalischen Spott des Komponisten. Dieses köstliche stellte, an der er mehr als ein Jahrzehnt lang mit vol- Stück sollte die einzige sowjetische Oper Prokofjews lem Einsatz arbeitete und von der er mindestens fünf werden, die zu seinen Lebzeiten erfolgreich war. Versionen schrieb, war jedoch fast ebenso aufwühlend wie die in ihr geschilderten Ereignisse. In den beiden Hauptteilen – zunächst Krieg, später Frieden – wird Mit seiner zweiten Frau Mira Mendelson-Prokofjewa, die aristokratische Gesellschaft, mit ihren Liebschaften Anfang 1948 und Verlusten, der bitteren Realität des Krieges, das Intime dem Heroischen gegenübergestellt. Im Mittel- punkt stehen dabei Tolstois drei ineinander verstrickte Hauptpersonen: die junge, temperamentvolle Natascha Rostowa, Fürst Andrej Bolkonski, des Lebens über- drüssiger Aristokrat, und Pierre Besuchow, anfangs noch eine komische Figur, die jedoch durch den Krieg zu tiefer Selbsterkenntnis gelangt. Aufgrund der Länge, der Besetzungsgröße und der emotionalen Bandbreite stellt Krieg und Frieden das umfangreichste musikalische Panorama aus Prokof- jews sowjetischer Periode dar: leidenschaftliche Ari- osi, aristokratische Walzer, düstere, disharmonische Kampfszenen, humoristische Karikaturen der Feinde, mitreißende Chöre voller Verzweiflung und schließlich Siegesgewissheit. Mit den zahlreichen Überarbeitun- gen verfolgte Prokofjew zwei Ziele: widerwillig die Zu- friedenstellung der sowjetischen Kulturbehörden – und leidenschaftlich die szenische Realisierung dieses rei- fen Meisterwerks moderner russischer Oper in seiner Vollständigkeit. Beides ist ihm damals nicht gelungen. Simon Morrison hält Krieg und Frieden für „Prokofjews bedeutendste sowjetische Leistung und das Werk, das wohl letztlich sein Vermächtnis darstellt“. Und trotz al- ler praktischen und musikalischen Herausforderungen, die die Inszenierung eines so epischen Werks mit sich bringt, hat diese monumentale Oper jenen Vermächt- nischarakter unter Beweis gestellt. Die Geschichte eines wahren Menschen op. 117 (1947– 48), deren Libretto auf dem Reportage-Roman von Bo- ris Polewoi basiert, sollte Prokofjews letzte vollendete Oper werden. Erzählt werden die realen Heldentaten eines Piloten im Zweiten Weltkrieg, der von Feinden abgeschossen wird und daraufhin beide Beine ver- liert. Nichtsdestotrotz kämpft er für seine Liebe, seine Genesung und seinen weiteren militärischen Einsatz. Wie bei Krieg und Frieden werden hier Krieg und He- roismus mit Liebe und Selbstverwirklichung vermischt, doch in ganz anderer Gewichtung und auf einer mehr 8
Mit Sergej Eisenstein während der Arbeit an der Filmmusik zu Iwan der Schreckliche, 1943 persönlichen Ebene. Im Mittelpunkt steht das Indivi- Kloster – seinen beiden komischen Opern –, hatten duum – Alexej –, das Ringen im Umgang mit seiner Prokofjews Bühnenwerke zu seinen Lebzeiten wenig Behinderung und schließlich seine Entschlossenheit, Erfolg, aus verschiedenen politischen Gründen oder in- „ein sowjetischer Mann“ zu sein. Wie schon bei Sem- folge der mit ihnen verbundenen logistischen Schwie- jon Kotko und Krieg und Frieden muss die von Tapfer- rigkeiten oder einfach aufgrund fehlenden Glücks. Er keit und Patriotismus in ihrer Zeit geprägte Handlung selbst konnte Maddalena, den Feurigen Engel und Die als idealer sowjetischer Stoff erschienen sein. Dennoch Geschichte eines wahren Menschen nie auf der Bühne fand auch dieses Werk damals keinen Anklang und ließ sehen, und von Krieg und Frieden wurden selbst nach sich aufgrund seiner Thematik nur schwer im Ausland umfangreichen Umarbeitungs-„Vorschlägen“ im Bol- aufführen. Nichtsdestotrotz ist es durch die Charak- schoi-Theater Mitte der 1940er Jahre nur die ersten terdarstellung, die mitreißenden Genreszenen und die acht Szenen aufgeführt. Die ideologische Botschaft von wahrhaft dramatische Atmosphäre ein äußerst inter- Semjon Kotko war bei Fertigstellung der Partitur fast essantes Werk – der (auf die Opernbühne bezogene) schon überholt, und die Inszenierung wurde bereits Schwanengesang eines Komponisten, der trotz seiner nach einer einzigen Spielzeit im Stanislawski-Theater physischen und psychischen Schwäche noch immer wieder vom Spielplan genommen. Für Prokofjew be- durch seine Kreativität beeindruckt. Außerdem war deuteten dies große Enttäuschungen. das Werk innovativ: Der neuartige Einsatz filmischer Effekte (nach seiner Arbeit mit Eisenstein an Alexander Ein entscheidendes Problem stellte sicher auch die Newski und Iwan der Schreckliche) hätte möglicherwei- politische Lage dar. Die Tatsache, dass die Meinungen se zu einem neuen Kapitel in Prokofjews Karriere als der westlichen und der russischen Kritiker darüber, Opernkomponist geführt. was eine „große“ Oper sei (vor allem angesichts des sowjetischen Propagandawerts dieser Gattung), weit Mittlerweile erfreuen sich Prokofjews Opern immer auseinandergingen, wirkte sich auf die Akzeptanz von größerer Anerkennung. Für die historische Unterbe- Prokofjews Stücken aus – und hier müssen wir uns im wertung dieser vom Komponisten selbst so geschätz- Klaren darüber sein, dass wir seine Musik nicht immer ten Werkgruppe gibt es viele Gründe. Abgesehen von so gehört haben, wie es von ihm beabsichtigt war. Sei- der Liebe zu den drei Orangen und der Verlobung im ne Partituren wurden immer wieder von ihm revidiert, 9
teils aus eigenem Antrieb, teils aufgrund von Druck, Jahre tatsächlich immer größer geworden. Die von ihm und später auch durch Andere. geschaffene musikalische Atmosphäre ist stets ein- drucksvoll und mitreißend, unabhängig davon, ob sie Auch die Libretti wurden für problematisch gehalten. dunkel und schwermütig oder heiter ist, und wird ent- Der Spieler galt mit seinen deklamatorischen Gesangs- weder durch obsessive Wiederholungen und Ostinati linien als zu wortreich, Der feurige Engel als für den mo- oder aber durch Bezüge zur Bewegtheit von Tanz oder dernen Geschmack zu überladen mit schwarzer Kunst, Marsch geschaffen. Metrum und regelmäßige rhythmi- Semjon Kotko trotz einiger starker Episoden als zu sow- sche Einheiten erzeugen Kraft; starke Kadenzen setzen jetisch für das Ausland, für Moskau wiederum als nicht einerseits strukturelle Akzenzte und bekräftigen ande- sowjetisch genug. Dennoch schrieb Prokofjew stets rerseits musikalische Aussagen. Die Orchestrierung weiter Opern, und viele Kritiker der damaligen Zeit hat- war für Prokofjew oft zweitrangig, auch wenn die star- ten in der Tat falsche Vorstellungen vom Zuschnitt der ken Orchesterfarben seiner Opern den typischen Klang russischen Oper. Denn trotz seiner kosmopolitischen seiner Musik ausmachen. Karriere und seinem offensichtlich radikalen Verständ- nis der Gattung war Prokofjew in erster Linie ein russi- Es mag sein, dass der viel gereiste Prokofjew oft ein- scher Komponist mit einem Opernkonzept, das von den fach zur falschen Zeit am falschen Ort war. Weder das Modellen Verdis oder Wagners oft weit entfernt war. vorrevolutionäre Sankt Petersburg noch die selbstbe- So anspruchsvoll es in Bezug auf Stil oder Inhalt auch wussten Trendsetter der Ballets Russes, weder das kul- sein mag – beim russischen Musiktheater geht es seit turell konservative Amerika noch das kühle Paris nach jeher um Unterhaltung, und diese kommt oft tableau- dem Ersten Weltkrieg zeigten echtes Interesse an der und episodenhaft daher. individuellen Radikalität Prokofjews. Im stalinistischen Russland war man zunehmend der Ansicht, dass sei- In dieser Hinsicht hätten weder die Plots noch die ne Werke die Ideologie nicht unterstützten. Während Musik von Prokofjews Opern seine russischen Vor- die ursprüngliche Wirkmacht, die seine Opern zu ihrer gänger gestört, und trotz ihrer Verschiedenartigkeit Entstehungszeit hätten haben können – mit ihrer Fri- ziehen sich stilistisch etliche Konstanten durch seine sche, ihrer neuartigen musikalischen Individualität –, Bühnenwerke. Sie alle werden von markanten Motiven heute so nicht mehr herbeigeführt werden kann, sind angetrieben, die nicht nur die Figuren für die Zuhö- ihre Dynamik, ihr Einfallsreichtum und das ausgespro- renden charakterisieren, sondern strukturell auch dem chen Charakteristische ihres Idioms nach wie vor un- Zusammenhalt der Partitur dienen. Die Bedeutung verändert. Und es ist diese dauerhafte Qualität, die zu der Melodie zieht sich durch alle Werke: Stärke und einer positiven Neubewertung von Prokofjews Leistung Charme von Prokofjews Melodien sind im Laufe der in der Gattung Oper geführt hat. Prokofjew ca. 1917 10
WERKÜBERSICHT Die Opern 11
MADDALENA: Partiturhandschrift Prokofjews mit Widmung an seinen Freund, den Komponisten Nikolai Mjaskowski 12
MADDALENA op. 13 (1911–13) | 48 Min. Maddalena, seine erste reife Oper, schrieb Prokofjew, Oper in 1 Akt als er zwanzig und noch Student am Petersburger Konservatorium war. Allerdings war es bereits sein orchestriert von Edward Downes (1979) fünftes geplantes Opernprojekt, was auf die zentrale Libretto vom Komponisten nach dem Drama von Rolle des Musiktheaters für seinen künstlerischen Magda Lieven-Orlowa (russ., engl., dt.) Werdegang zwischen 1900 und 1910 hinweist. Pro- kofjews Libretto beruht auf einem Stück der Baronin Lieven, das auffällig an Oscar Wildes Florentinische BESETZUNG Tragödie erinnert. Die Verismo-Handlung beschreibt Hauptrollen: S, T, Bar eine Dreiecksbeziehung, aus der die femme fatale als Nebenrollen: S, T; Männerchor hinter der Bühne Gewinnerin hervorgeht und die Befreiung von ihren beiden männlichen Liebhabern feiert. Das Werk ist 3(III=Picc).2.EH.3(III=Bkl).3(III=Kfg)—6.4.3.1— unter von Prokofjews Opern am stärksten der roman- Pkn.Schlz(2)—2Hrf—Str tischen Tradition verpflichtet, insbesondere die aus- giebige Liebesszene und eine Abfolge dramatischer URAUFFÜHRUNG coups de théâtre. Der Komponist gab die Instrumen- tierung auf, als seine Hoffnungen auf eine Aufführung 25. März 1979 London, BBC Radio 3 (Radio- in St. Petersburg schwanden, bewahrte jedoch eine Ausstrahlung) starke Zuneigung zu dem Werk. Die Instrumentierung Musikalische Leitung: Edward Downes wurde in den 1970er Jahren von Edward Downes voll- 28. November 1981 Graz, Opernhaus (szenisch) endet, wodurch die verspätete Uraufführung der Oper Inzenierung: Jorge Lavelli möglich wurde. Musikalische Leitung: Edward Downes www.boosey.com/audio-clip/11626 EMPFOHLENE EINSPIELUNG Elena Ivanova, Alexei Martynov, Sergei Yakovenko | The USSR Ministry of Culture Symphony Orchestra & Male Chorus | Gennadi Rozhdestvensky (1988) Melodiya SUCD 10-00053 & Olympia OCD 215 Es ist keine Partitur, sondern eine Praline, noch dazu gefüllt mit gutem Likör. SERGEJ PROKOFJEW 13
DER SPIELER op. 24 (1917, rev. 1927–29) | 130 Min. Prokofjews Der Spieler kann als Höhepunkt der frühen Oper in 4 Akten (6 Bildern) radikalen und experimentellen Phase des Komponis- ten angesehen werden. Mit seinen maschinenartigen Libretto vom Komponisten nach dem Roman Ostinati und der fieberhaften Energie bildet das Werk von Fjodor Dostojewski (russ., engl., frz., dt., ital.) eine vollkommene Entsprechung zu Dostojewskis Be- sessenheitsstudie. Das Casino, ein gewaltiges Symbol BESETZUNG unerwarteten Reichtums oder Ruins, tritt im Schluss- akt als eigentlicher Hauptdarsteller hervor, indem es Hauptrollen: S, M, A, 2 T, Bar, B die Macht über das Schicksal all derer erlangt, die Nebenrollen: 2 S, 2 M, A, T (Falsett), 7 T, 4 Bar, 7 B, von den Spieltischen angezogen werden wie Motten stumme Rollen vom Licht. Prokofjew hat das Werk als Reaktion auf 2.Picc.2.EH.2.Bkl.2.Kfg—4.3.3.1—Pkn.Schlz(2)— den lyrisch-romantischen Stil angelegt und wollte 2Hrf—Klv—Str „eine Oper im deklamatorischen Stil“ schaffen, in der Kompositionstechnik an die Bühnenwerke von Dargo- myschski und Mussorgski angelehnt, die musikalische URAUFFÜHRUNG Prosa im natürlichen Rhythmus der Sprache schrie- ben. Der Spieler bietet einem Opernhaus die Möglich- 29. April 1929 Brüssel, Théâtre Royal de la Monnaie keit zu einem Ensemble-Schaustück, von den beiden Inszenierung: Georges Dalman Hauptpartien Alexej und Polina, die Spitzensolisten Musikalische Leitung: Maurice Corneil de Thoran verlangen, über eine Reihe von Charakterrollen bis hin zu Gelegenheiten für einzelne Chormitglieder in der EMPFOHLENE EINSPIELUNGEN Casinoszene. Auch wird bereits in den ersten Takten die zentrale Rolle des Orchesters deutlich, das die 6 Opern: Die Verlobung im Handlung vorantreibt und das verhängnisvolle Kreisen Kloster | Der feurige Engel | des Roulettes mit einem irrwitzigen Klangfarbenwirbel Der Spieler | Die Liebe zu den untermalt. drei Orangen | Krieg und Frieden | Semjon Kotko www.boosey.com/audio-clip/11172 Mariinsky Orchestra & Kirov Opera | Valery Gergiev Decca 478 2315 (14 CDs „Collector’s Edition“) Vladimir Ognovenko, Kristine Opolais, Misha Didyk, Stefania Toczyska, Stephan Rügamer, Viktor Rud, Silvia De La Muela | Staatsoper Unter den Linden Berlin | Daniel Barenboim | Insz.: Dmitri Tcherniakov (Berlin 2008) C Major / Unitel Classica 701708 (DVD) / 701804 (Blu-ray) 14
DER SPIELER an der Oper Frankfurt 2013 | Inszenierung: Harry Kupfer DER SPIELER an der Wiener Staatsoper 2017 | Inszenierung: Karoline Gruber 15
DIE LIEBE ZU DEN DREI ORANGEN an der Oper Graz 2009 | Inszenierung: Andreas Homoki DIE LIEBE ZU DEN DREI ORANGEN am Anhaltischen Theater Dessau 2018 | Inszenierung: Hinrich Horstkotte 16
DIE LIEBE ZU DEN DREI ORANGEN op. 33 (1918–19) | 110 Min. Prokofjews Begegnung mit dem Theaterdirektor Wse- Oper in 4 Akten (10 Bildern) und einem Prolog wolod Meyerhold im Jahre 1916 sollte entscheidend für die Entstehung seiner bekanntesten und in vieler Libretto vom Komponisten nach Wsewolod Hinsicht charakteristischsten Oper werden. Meyer- Meyerholds Bearbeitung eines Stücks von Carlo Gozzi holds Pläne eines antirealistischen Handlungstheaters, (russ., frz., engl., dt.) das auf dem Rhythmus der Sprache basierte, stand im Einklang mit Prokofjews Experimenten im Spieler, und BESETZUNG Meyerholds Bearbeitung von Gozzis surrealistischem und fantastischem Stück inspirierte den Komponisten Hauptrollen: S , A, 2 T, 2 Bar, 2 B zur großartigsten Verschmelzung von Zauber, Komö- Nebenrollen: S, 2 M, A, T, 3 B; Chor; Ballett die und Satire. Die Liebe zu den drei Orangen wirkt auf 2.Picc.2.EH.3(II=EsKl,III=Bkl).3(III=Kfg)—6.3.3.1— vielen Ebenen – ob als Stück im Stück, als geistreiche Pkn.Schlz(4)—2Hrf—Str; Kritik der Operntradition oder als dialektisches Spiel Bühnenmusik: BPos; zwischen historischer commedia dell’arte und moder- hinter der Bühne: 3 Tpt, 2 Pos, Schlz (Bkn, Tgl, kl. Tr.), nem politischen Kommentar – und hat damit für viele Hrf der weltweit führenden Regisseure und Bühnengestal- ter Anreize zur Aufführung geschaffen. Am erstaun- lichsten jedoch ist die unwahrscheinliche klangliche URAUFFÜHRUNG Vorstellungskraft des Komponisten, mit der ihm die nahezu unmögliche Verschmelzung von kindlicher 30. Dezember 1921 Chicago, Auditorium Theatre Einfachheit und ausgereifter Differenzierung gelingt Inszenierung: Jacques Coini und die dieser Oper ihren dauerhaften, universalen Musikalische Leitung: Sergej Prokofjew Zuspruch sichert. www.boosey.com/audio-clip/11174 EMPFOHLENE EINSPIELUNGEN Gabriel Bacquier, Jules Bastin, Catherine Dubosc, Georges Gautier, Jean-Luc Viala | Opéra de Lyon | Kent Nagano (1989) Erato / Warner Classics 48210 (2 CDs) Alain Vernhes, Martial Defontaine, François Le Roux, Serghei Khomov, Sandrine Piau, Anna Shafajinskaja | Rotterdam Philharmonic Orchestra | Stéphane Denève | Insz.: Laurent Pelly (De Nederlandse Opera 2005) Opus Arte OA 0957 D (2 DVDs) 17
DER FEURIGE ENGEL op. 37 (1919–23, rev. 1927) | 125 Min. Der feurige Engel, der Prokofjew in den 1920er Jahren Oper in 5 Akten (7 Bildern) beschäftigte, verbindet Aspekte des Spielers und der Liebe zu den drei Orangen, insbesondere die Themen Libretto vom Komponisten nach dem Roman der Besessenheit bzw. Magie, spielt jedoch vorwie- von Waleri Brjussow (russ., engl., frz., dt., ital.) gend in einer finstereren Welt, aufgeladen von einer Erotik, die an Skrjabin denken lässt. Diese „schwarze“ BESETZUNG Atmosphäre, ungewöhnlich für Prokofjew, entsprang teilweise seinem Interesse an den kabbalistischen Hauptrollen: dramat. S, Bar Wissenschaften – eine Faszination, die er mit vielen Nebenrollen: 2 M, 3 T, Bar, B Mitgliedern der Bewegung des russischen Symbolis- weitere Rollen: M, T, 3 B; Chor mus teilte. Dessen zentrale Figur, Waleri Brjussow, schrieb den Roman, auf dessen Grundlage der Feurige 3(III=Picc).2.EH.2.Bkl.3(III=Kfg)—4.3.3.1— Engel entstand. Das treibende Moment in dem Stück Pkn.Schlz(3)—2Hrf—Str; ist die psychologische Zweideutigkeit von Renata, die hinter der Bühne: Glocke, gr. Tr. entweder als reine Unschuld oder als dämonische Ver- Kammerfassung von Wolfgang Suppan (2010): führerin erscheint. Ihre wahre Natur bleibt absichtlich 1(=Picc).0.1(=Bkl).Ssax(=Tsax).1—1.1.1.0—Schlz(2)— ungeklärt, selbst in der Schlussszene im Kloster, als Klv—Str(1.1.1.1.1); sie wegen Hexerei zum Tod auf dem Scheiterhaufen hinter der Bühne: gr. Tr. verurteilt wird. Die Rolle der Renata ist stimmlich und darstellerisch anspruchsvoll und hat führende dramatische Sopranistinnen angezogen. Prokofjews URAUFFÜHRUNG Orchestersatz im Feurigen Engel ist der modernste 25. November 1954 Paris, von allen seinen Opern. Der Komponist verwendete Théâtre des Champs-Elysées (konzertant) größtmöglichste Aufmerksamkeit auf die koloristische Musikalische Leitung: Charles Bruck Realisierung der fieberhaften Intensität des Dramas, 29. September 1955 Venedig, ob hysterisch, leidenschaftlich oder visionär. All diese Teatro La Fenice (szenisch) Facetten kommen auch in der Fassung für 15 Instru- Inszenierung: Giorgio Strehler mente zur Geltung, die der Komponist Wolfgang Musikalische Leitung: Nino Sanzogno Suppan 2010 für das Wiener Odeon Theater erstellte. www.boosey.com/audio-clip/11171 EMPFOHLENE EINSPIELUNGEN Galina Gortschakowa, Sergei Leiferkus | Mariinsky-Theater | Valery Gergiev | Insz.: David Freeman (1993) Arthaus Musik 100 391 (DVD) Leigh Melrose, Ewa Vesin | Opera di Roma | Alejo Pérez | Insz.: Emma Dante (2019) Naxos 2.110663 (DVD) 18
DER FEURIGE ENGEL am Deutschen Nationaltheater Weimar 2010 | Inszenierung: Christian Sedelmayer DER FEURIGE ENGEL an der Deutschen Oper am Rhein 2015 | Inszenierung: Immo Karaman 19
SEMJON KOTKO in der Produktion des Mariinsky-Theaters, Gastspiel am Royal Opera House London 2000 | Inszenierung: Yuri Alexandrov SEMJON KOTKO am Kirow-Theater 1985 | Inszenierung: Alexej Kirejew (1960) 20
SEMJON KOTKO op. 81 (1939) 140 Min. Die Handlung von Semjon Kotko spielt in der Ukraine. Oper in 5 Akten (7 Bildern) Vergleichbar Prokofjews Spätwerk Die Geschichte eines wahren Menschen greift der Komponist auch hier Libretto von Sergej Prokofjew und Walentin Katajew ein politisches Thema auf. Er selbst verfasste das Lib- nach dessen Roman Ich, ein Sohn des arbeitenden retto zusammen mit Walentin Katajew, dem Autor der Volkes (russ., dt.) Roman-Vorlage. Das Werk wurde 1939 veröffentlicht, die Uraufführung erfolgte am Moskauer Künstlerthe- BESETZUNG ater im Juni 1940. Mit der Wahl des Sujets traf der Komponist den Kern des Sozialistischen Realismus, 4 S, S (oder hoM), M (oder S), 3 A, 6 T, BBar, 4 Bar, 2 der in jenen Jahren das Kulturleben der Sowjetunion B (oder Bar), 6 B; Chor beherrschte. Prokofjew, der mit diesem Werk durch- 2.Picc.2.EH.2.Bkl.2.Kfg—4.3.3.1—Pkn.Schlz(3)— aus Kontroversen auslöste, sagte zu seiner Motivation, Hrf—Str; dass das Stück echte Menschen zeigen sollte: „Hier Bühnenmusik: 2 Hr, 2 Tpt, PiccTpt, 3 Pos, Tuba, Schlz, gibt es jugendliche Liebe, hier gibt es den Hass der Git, Domra, Konzertina Vertreter der alten Welt, hier gibt es den heroischen Kampf, tränenreiche Verluste, aber auch fröhliche Scherze, wie sie charakteristisch für den ukrainischen URAUFFÜHRUNG Humor sind.“ 23. Juni 1940 Moskau, Künstlertheater www.boosey.com/audio-clip/11175 Inszenierung: Serafima Birman Musikalische Leitung: Mikhail Zhukov EMPFOHLENE EINSPIELUNG Nikolai Gres, Tamara Yanko, Tamara Antipova, Gennadi Troitsky, Nikolai Panchekhin, Antonia Kleshchova, Ludmila Gelovani, Mikhail Kiselev, Tatiana Tugarinova, Nikolai Timchenko, Daniel Demyanov, Mechislav Shchavinsky, Vladimir Zakharov | USSR Radio Choir & Radio Symphony Orchestra | Mikhail Zhukov (1960) Chandos CHAN 10053 (3 CDs) Ich wollte lebendige Menschen zeigen mit all ihren Leidenschaften – Liebe, Hass, Freude und Leid –, die sich aus den neuen Bedingungen ergeben. 21
DIE VERLOBUNG IM KLOSTER (DIE DUENNA) op. 86 (1940–41, rev. 1943) | 156 Min. Die lyrisch-komische Oper Die Verlobung in Kloster Lyrisch-komische Oper in 4 Akten (9 Bildern) entstand unmittelbar vor Beginn des Deutsch-Sow- jetischen Kriegs, dem dann eine zeitnahe öffentliche Libretto von Sergej Prokofjew und Mira Mendelson Uraufführung zum Opfer fiel. Als Vorlage diente dem nach Richard Sheridan (russ., engl., dt.) Komponisten, der zu jener Zeit im Zenit seines Ruhms stand, The Duenna von Richard Brinsley Sheridan – BESETZUNG der Text für eine von Thomas Linley Vater und Sohn 1775 komponierte Ballad Opera. Prokofjew selbst und 2 S, M, A (oder M), A, 8 T, T (oder Bar), 5 Bar, 4 B, seine spätere Ehefrau Mira Mendelson verfassten das stumme Rolle; Chor neue Libretto. Der irische Dramatiker und Politiker 2.Picc.2.EH.2.Bkl.2.Kfg—4.3.3.1—Pkn.Schlz(3)— Sheridan war ein Zeitgenosse Beethovens, der auch Hrf—Str; politisch aktiv war und 1780 für die Whigs ins Par- Bühnenmusik: Kl, Kornett, gr. Tr., Git; lament gewählt wurde. Seine Komödie The Duenna hinter der Bühne: Fl, Asax, Schlz, Str erzählt von dem reichen, alten Fischhändler Mendoza, der mit Don Jerome nicht nur ein großes Geschäft abschließen, sondern auch dessen hübsche Tochter URAUFFÜHRUNG Luisa heiraten möchte. Luisa aber liebt den jungen, 5. Mai 1946 Prag, Nationaltheater armen Don Antonio, ihr Bruder Ferdinand die schöne Inszenierung: Ilja Schlepjanow Clara. Luisas Anstandsdame/ Amme, die Duenna, hat Musikalische Leitung: Boris Chaikin selbst ein Auge auf den Fischhändler geworfen und ersinnt deshalb eine List, um Mendozas und Don Jeromes Pläne zu vereiteln. Prokofjews Musik zu die- EMPFOHLENE EINSPIELUNG ser prallen Komödie ist brillant, illustrativ und immer wieder überraschend. Auf der Bühne hört man oft ein Anna Netrebko, Larissa Parlando wie in einer Sprechkomödie. Diadkova, Nikolai Gassiev, Sergei Alexashkin, Aleksander www.boosey.com/audio-clip/11173 Gergalov, Marianna Tarassova | Mariinsky-Theater | Valery Gergiev | Insz.: Vladislav Pazi (1998) Decca Classics 074 3076 & EuroArts 2013038 (DVD) Der feine Humor, die zauberhafte Lyrik, die zugespitzte Charakterisierung der Personen, die Dynamik der Handlung, der spannungsreiche Aufbau des Sujets, bei dem der Zuschauer auf jede Wendung mit Interesse und Ungeduld wartet – all das hat mich gereizt. 22
DIE VERLOBUNG IM KLOSTER beim Glyndebourne Festival 2006 | Inszenierung: Daniel Slater DIE VERLOBUNG IM KLOSTER an der Staatsoper Unter den Linden Berlin 2019 | Inszenierung: Dmitri Tcherniakov 23
KRIEG UND FRIEDEN am Staatstheater Nürnberg 2018 | Inszenierung: Jens-Daniel Herzog KRIEG UND FRIEDEN am Grand Théâtre de Genève 2021 | Inszenierung: Calixto Bieito 24
KRIEG UND FRIEDEN op. 91 (1941–52) | 230 Min. Prokofjew wollte in seiner Oper Krieg und Frieden Lyrisch-dramatische Szenen nach Tolstois Roman weder Kriegsschauplätze noch Massenszenen im Mittelpunkt sehen. Er plante, als er Fassung in 13 oder 11 Bildern im Zweiten Weltkrieg mit der Arbeit daran begann, Libretto von Sergej Prokofjew und Mira Mendelson vielmehr ein sehr intimes Drama, ja „lyrische Szenen nach dem Roman von Lew Tolstoi (russ., engl., dt.) im Geiste Tschaikowskys“. Herausgekommen ist ein opulentes Werk, das – ungekürzt – einen einzelnen Aufführungsabend nahezu sprengt und eine große BESETZUNG Besetzung erfordert. Das Roman-Epos Krieg und lyrdramS, S, tiefS, 6 M, 4 A, dramT, T, 2 hoT, komT, Frieden von Lew Tolstoi hatte Prokofjew stets als eines tiefT, T/Bar, hoBar, hoBar/B, 6 Bar, 2Bar/B, 3 BBar, seiner Lieblingsbücher bezeichnet. Der Roman spielt 3 hoB, 10 B, tiefB, 2 Sprechrollen, 6 stumme Rollen; in der Zeit der napoleonischen Kriege im zaristischen Chor Russland zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Abgesehen 2.Picc.2.EH.2.Bkl.2.Kfg—4.3.3.1—Pkn.Schlz(4–5)— von dem für Prokofjews Musiktheaterwerke unge- Hrf—Str wöhnlichen Umfang ist die stilistische Konzeption der Oper eine konsequente Fortsetzung seiner Operner- folge Die Liebe zu den drei Orangen, Der feurige Engel URAUFFÜHRUNG und Die Verlobung im Kloster. Er verwendet Leit- und Erinnerungsmotive, verzichtet überwiegend auf tradi- 7. Juni 1945 Moskau, Konservatorium (Fassung in tionelle Arien- oder Duett-Partien und reiht viele kurze 11 Bildern) Handlungsabschnitte wie Filmszenen aneinander. Musikalische Leitung: Samuil Samossud 8. November 1957 Moskau, Stanislawski-/Nemiro- www.boosey.com/audio-clip/10321 witsch-Dantschenko-Musiktheater (Fassung in 13 Bildern) Inszenierung: Leonid Baratow & Pavel Zlatogorow Musikalische Leitung: Alexander Schaverdow EMPFOHLENE EINSPIELUNGEN Ekaterina Morozova, Justin Lavender, Oleg Balashov, Roderick Williams, Pamela Helen Stephen, Igor Matioukhin, Alan Ewing, Stephen Dupont | Russian State Symphonic Cappella | Spoleto Festival Orchestra | Richard Hickox (1999) Chandos 9855 (4 CDs) Olga Guryakova, Nathan Gunn, Robert Brubaker, Anatoli Kotcherga, Elena Obraztsova, Vassili Gerello | Opéra national de Paris | Gary Bertini | Insz.: Francesca Zambello (2000) TDK DV-OPWP & Arthaus Musik 107 029 (2 DVDs) 25
DIE GESCHICHTE EINES WAHREN MENSCHEN op. 117 (1947–48) | 135 Min. Die letzte Oper Prokofjews hat, vergleichbar seiner Oper in 3 Akten (11 Bildern) 1939 veröffentlichten Oper Semjon Kotko, einen politischen Charakter. Das Libretto verfassten Mira Libretto von Sergej Prokofjew und Mira Mendelson- Mendelson-Prokofjewa und der Komponist, basie- Prokofjewa nach dem gleichnamigen Roman von rend auf der Erzählung von Boris Polewoi (deutsche Boris Polewoi (russ., dt.) Übersetzung unter dem Titel Der wahre Mensch), die das Leben des sowjetischen Jagdfliegers Alexej Petro- BESETZUNG witsch Maressew nachzeichnet. Prokofjew schrieb das Werk unter dem Eindruck des zu Ende gegangenen 3 S, M, A, 3 T, komT, Bar, Bar (oder B), 4 B, Krieges. Die dreiaktige Version, die für die posthume 2 Sprechrollen; Chor öffentliche Uraufführung im Moskauer Bolschoi-Thea- 2.2.2.2—4.2.3.1—Pkn.Schlz(3)—Klv—Str ter 1960 geschaffen wurde, ist eine gekürzte Fassung. Ursprünglich bestand das Werk aus vier Akten und zehn Bildern. Diese Version wurde zum ersten Mal URAUFFÜHRUNG bei einer probenartigen geschlossenen Aufführung im 3. Dezember 1948 Leningrad, Kirow-Theater Dezember 1948 in Leningrad aufgeführt. Der musi- (geschlossene Veranstaltung, Fassung in 4 Akten / kalische Charakter des Werkes ist deutlich sanfter 10 Bildern) als die frühere, oft auf Schärfe und Motorik setzende Inszenierung: Ilja Schlepjanow Klangsprache des Komponisten. Er habe sich bei Musikalische Leitung: Boris Chaikin dieser Oper bemüht, kommentierte Prokofjew, „die Melodien so verständlich wie möglich zu machen“. EMPFOHLENE EINSPIELUNG www.boosey.com/audio-clip/101652 Yevgeny Kibkalo, Glafira Deomidova, Georgi Shulpin, Vera Smirnova, Margarita Miglau, Georgi Pankov, Kira Leonova, Artur Eizen, Mark Reshetin | Chor & Orchester des Bolschoi-Theaters | Mark Ermler (1962) Melodiya MEL CD 10 02353 Ich habe mich bemüht, so melodisch wie nur möglich zu sein. 26
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