Ordnung ist die halbe Therapie - Max-Planck ...

 
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PERSPEKTIVEN

Ordnung ist die halbe Therapie
Dewpoint Therapeutics arbeitet daran, dass kranke Zellen ihre biochemischen Prozesse
wieder effizient steuern können

Auch eine Zelle muss Ordnung halten, damit die Prozesse in         Wie diese Therapien aussehen könnten, erforscht Dewpoint
ihrem Inneren reibungslos ablaufen. So kann sie dafür sorgen,      Therapeutics. Das 2018 gegründete Start-up verfolgt dabei
dass sich bestimmte Biomoleküle in einem Bereich ihres Cy-         verschiedene Ansätze. So könnten kleine Moleküle die Ord-
toplasmas anreichern, obwohl die Region nicht durch eine           nung in den Kondensaten wiederherstellen und somit Krank-
Membran von der Umgebung abgetrennt ist. Durch die loka-           heitssymptome lindern. Es wäre aber auch denkbar, die Kon-
le Konzentrationserhöhung laufen lebenswichtige Reaktionen         densate für sogenanntes Targeting zu nutzen: Befindet sich,
effizienter ab. Bei vielen Krankheiten wie Krebs, neurodege-       vereinfacht gesagt, eine krank machende Substanz in einem
nerativen Störungen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist die       bestimmten Kondensat, könnte man einen Wirkstoff zielge-
Bildung der sogenannten biomolekularen Kondensate mut-             richtet dorthin lotsen.
maßlich gestört. Diesen Defekt zu beheben, bietet daher viel-          Um diese und andere Ideen umzusetzen, ist jedoch noch
versprechende Ansatzpunkte für mögliche Therapien.                 ein detaillierteres Verständnis der biomolekularen Konden­sate
                                                                   erforderlich. Dewpoint Therapeutics ist dafür prädestiniert,
                                                                   dieses Verständnis zu verbessern. Denn die Gründer, Anthony
                                                                   Hyman und Richard Young, haben das medizinische Poten-
                                                                   zial der Kondensate überhaupt erst entdeckt. Da Hyman Di-
                                                                   rektor am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und
                                                                   Genetik in Dresden ist und Young am Whitehead Institute in
                                                                   Boston forscht, wurde Dewpoint als ein deutsch-amerikani-
                                                                   sches Unternehmen gegründet. In Boston und in Dresden sind
                                                                   gegenwärtig jeweils 15 Mitarbeiter beschäftigt, an beiden Fili-
                                                                   alen sind zudem weitere Einstellungen geplant. Denn das Kon-
                                                                   zept überzeugt: 2019 schloss das Unternehmen eine Finanzie-
                                                                   rungsrunde über bis zu 60 Millionen US-Dollar ab, und erst im
                                                                   November 2019 wurde ein Kooperations- und Lizenzvertrag
                                                                   mit Bayer ausgehandelt, in dessen Rahmen Bayer bis zu 100
                                                                   Millionen US-Dollar investieren wird.
                                                                   Konzentrierte Stressbewältigung: Fehlt in Zellen Energie
                                                                   lieferndes ATP, sammelt sich die RNA für bestimmte Proteine
                                                                   in Stressgranulen (rot) nahe den Zellkernen (blau) an.

     Auf dem Sprung zur Quantensicherheit
     InfiniQuant möchte kompakte und kostengünstige Systeme für die Quantenkryptografie entwickeln

     Kommunikation unter quantenmecha-         henden Kommunikationstechnik kom-         Kunden kommen etwa Banken und
     nischem Schutz ist bislang eine äußerst   patible Verschlüsselung von Daten         Regierungsinstitutionen in Betracht,
     exklusive Angelegenheit. Das möchten      mithilfe der Quantenkryptografie er-      da sie mit besonders sensiblen Daten
     Forscher des Max-Planck-Instituts für     möglichen. Dieses Verfahren nutzt aus,    arbeiten. Um diesen Datenverkehr zu
     die Physik des Lichts ändern. Ein Team    dass bestimmte Quantenzustände            schützen, bietet bislang erst ein Anbie-
     um Imran Khan, bislang noch Mitarbei-     nicht unbemerkt abgehört werden kön-      ter Systeme an, die allerdings teuer und
     ter in der Gruppe von Christoph Mar-      nen. Das Gründerteam von InfiniQuant      nicht miniaturisiert sind. Ein einzelnes
                                                                                                                                     Foto: Ina Poser / Dewpoint

     quardt, bereitet daher die Gründung       möchte die Bauteile für die Quanten-      Gerät kostet einen sechsstelligen Be-
     von InfiniQuant vor. Mit dem Unterneh-    kommunikation künftig weiter minia­       trag, und im Datennetz einer Bank zum
     men wollen die Physiker eine kosten-      turisieren und so für eine breitere       Beispiel werden in etwa so viele Geräte
     günstige, kompakte und mit der beste-     Anwendung in Position bringen. Als        benötigt, wie die Bank Filialen hat.

64   MaxPlanckForschung Spezial | 20
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PERSPEKTIVEN

               Elfenbein aus dem Reagenzglas
               Das vom Handel ausgeschlossene Material von Elefantenstoßzähnen lässt sich synthetisch
               herstellen – unter anderem für Klaviertasten

               Das wird Pianisten ein gutes Gefühl ge-     Formen trocknen. Dann durchläuft das        kann das Material gerade gegenüber
               ben – und nicht nur ihnen: Ein Team         Material noch ein paar Schritte der         Kunststoffen, aber auch in Sachen
               aus der Abteilung „Festkörper-Quanten-      Nachbehandlung – fertig ist der Belag       Nachhaltigkeit. Zum einen wird es nicht
               elektronik“ am Max-Planck-Institut für      für die Klaviertasten. „Ich war selbst      aus fossilen Rohstoffen produziert, zum
               Festkörperforschung hat einen Weg ge-       überrascht, dass, soweit wir wissen, bis-   anderen wird es am Ende seiner Lebens-
               funden, synthetisches Elfenbein herzu-      lang niemand versucht hat, syntheti-        dauer biologisch abgebaut. Das synthe-
               stellen. Dieses fühlt sich so warm an       sches Elfenbein auf diesem Weg herzu-       tische Elfenbein erlaubt Pianisten also
               wie das natürliche Vorbild, nimmt die       stellen“, sagt Dieter Fischer.              nicht nur ein Spielgefühl, das ihnen
               Feuchtigkeit der Finger ähnlich gut auf         Bei allen bisherigen Versuchen wa-      wegen des Schutzes von Elefanten an-
               und ist auch etwa so rutschfest. In         ren Wissenschaftlerinnen und Wissen-        sonsten verwehrt bliebe, sondern hin-
               puncto Haftung lässt sich das Material      schaftler offenbar davon ausgegangen,       terlässt, anders als Ersatz aus Kunst-
               zudem auf die individuellen Bedürfnis-      dass sie Hydroxylapatitkristalle in ei-     stoff, auch keinen Müll.
               se von Pianisten optimieren.                nem Kollagengerüst wachsen lassen
                   Der internationale Handel mit dem       müssen. Auf diese Weise bildet sich das
               Elfenbein von Elefantenstoßzähnen           natürliche Elfenbein. Im Labor und erst
                                                                                                       So gut wie natürlich: Klavier-
               wurde 1989 verboten, um die Tiere vor       recht in einem technischen Produkti-        tasten, die mit synthetischem
               der Ausrottung zu bewahren. Bislang         onsverfahren ist dieser Prozess aber        Elfenbein belegt sind, fühlen
               hatten Klavierbauer keinen Stoff gefun-     nicht nur kompliziert, bislang führte er    sich warm an, leiten Feuchtig-
               den, der Pianisten das gleiche Tastenge-    auch nicht zum gewünschten Ergebnis.        keit ab und sind etwa so
                                                                                                       rutschfest wie das Material
               fühl gibt wie das natürliche Material,      Klavierbauer behalfen sich daher mit an-
                                                                                                       von Elefantenstoßzähnen.
               auch wenn dessen Eigenschaften zu ei-       deren Ersatzmaterialien, oft mit Kunst-
               nem gewissen Grad von seiner Her-           stoffen, die aber nicht das Tastengefühl
               kunft und der Ernährung der Tiere ab-       von Elfenbein vermitteln.
               hängt. Die Merkmale des synthetischen           Das synthetische Elfenbein können
               Elfenbeins dagegen können Sarah Parks,      die Max-Planck-Forscher in einem leicht
               Dieter Fischer und Jochen Mannhart,         abgewandelten Prozess auch in Zylin-
               die das Material am Max-Planck-Insti-       derform herstellen. Daraus haben sie
               tut für Festkörperforschung gemeinsam       bereits Schachfiguren drehen und Ko-
               mit der Sauter Pianofortemanufaktur         pien prähistorischer Artefakte schnit-
               in Spaichingen entwickelt haben, ganz       zen lassen. Da es für das naturidenti-
               genau kontrollieren.                        sche Material also vielfältige Einsatz-
                   Entscheidend bei der Herstellung        möglichkeiten jenseits von Klaviertas-
               sind die geeigneten Bedingungen wie         ten gibt, haben die Forscher im Juli
               etwa die Temperatur oder die Konzen­        2019 die Firma Ivortec gegründet. „Bei
               tration der Komponenten. „Wir haben         der Patentierung und der Unterneh-
               erst darüber nachgedacht, welche Para-      mensgründung hat uns Max-Planck-In-
               meter für eine direkte Synthese wichtig     novation hervorragend unterstützt“,
               sein könnten“, sagt Dieter Fischer. „Und    sagt Jochen Mannhart.
               diese Auswahl hat zum Glück auch                David Butcher, der Geschäftsführer
               gleich ziemlich gut gepasst.“ Die eigent-   von Ivortec, wirbt nun Startkapital ein,
               liche Herstellung ist dann recht ein-       baut Kooperationen mit möglichen
               fach. Die Forschenden mischen ledig-        Produktionsfirmen auf und lotet den
               lich in Wasser gelöste Gelatine und in      Bedarf für das Material aus. Dieses
               Ethanol suspendiertes Hydroxylapatit-       könnte an vielen Stellen Kunststoffe
               pulver. Gelatine entsteht aus Kollagen,     ersetzen, aber auch Holz. „Bei Möbel-
               der organischen Komponente von El-          herstellern und Jachtbauern ist das El-
               fenbein; Hydroxylapatit bildet den mi-      fenbein auf großes Interesse gestoßen,
               neralischen Bestandteil von Elfenbein,      nicht nur, weil es edel aussieht, son-
Foto: iStock

               aber auch von Knochen. Nachdem die          dern auch, weil es erst bei 1000 Grad
               Forschenden beide Zutaten gemischt          Celsius brennt – ein dekorativer Feuer-
               haben, lassen sie die Mixtur in flachen     schutz also“, sagt Butcher. Punkten

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Schonende Stromstöße
Patienten mit Herzrhythmusstörungen könnten von einer Behandlung mit energiearmen
Elektroschocks ebenso profitieren wie von einem neuen bildgebenden Verfahren

Manche Patienten fürchten die Ret-               zuletzt weil diese manchmal auch aus-       Danach planen die Wissenschaftler eine
tung mehr als den Tod. Denn die Elek-            lösen, wenn es überhaupt nicht erfor-       erste klinische Studie an Herzpatienten.
troschocks, mit denen Menschen nach              derlich ist.                                Nach Abschluss der Grundlagenfor-
einem Herzstillstand durch Kammer-                   Die Technik lässt sich außerdem in      schung am Max-Planck-Institut werden
flimmern wiederbelebt werden, sind               externe Defibrillatoren, die heute an       sie mit einer Förderung durch die Grün-
extrem schmerzhaft. Außerdem schä-               vielen öffentlichen Orten zur Verfü-        dungsoffensive Bio mittelfristig ein Un-
digen sie das Gewebe, wodurch das Ri-            gung stehen, integrieren. Dort stünde       ternehmen gründen, um die Behand-
siko für erneute, möglicherweise töd-            sie neben der herkömmlichen Behand-         lungsmethode aus der Forschung in die
liche Herzrhythmusstörungen steigt.              lung mit energiereichen Elektroschocks      medizinische Praxis zu bringen. Mit
Das wollen Stefan Luther und sein                als eine sanftere Variante zur Verfü-       dem zweistufigen GO-Bio-Programm
Team am Max-Planck-Institut für Dy-              gung. Lässt sich das Kammerflimmern         fördert das Bundesforschungsministeri-
namik und Selbstorganisation in Göt-             mit den schwachen Stromstößen nicht         um vielversprechende biomedizinische
tingen ändern. Sie entwickeln eine               beenden, kann der Defibrillator immer       Ansätze zunächst in einer wissenschaft-
Form der Defibrillation, die mit deut-           noch die starken Stromstöße setzen.         lichen Einrichtung und dann bei einer
lich weniger Energie auskommt, weil                  „Die Untersuchung der Gewebe-           Unternehmungsgründung.
das dabei angewendete elektrische Feld           schädigung ist zwar noch nicht abge-            Auf dem Weg zur Niedrigenergie-
speziell geformt und gepulst wird.               schlossen, aber bereits aufgrund der bis-   Defibrillation haben die Wissenschaft-
    Kammerflimmern ist weltweit die              her erzielten Energiereduktion gehen        ler bereits eine neue diagnostische Me-
häufigste Todesursache; in Deutsch-              wir von einer erheblichen Verringerung      thode entwickelt, die einige medizini-
land führt es alle fünf Minuten zum              der Schäden aus“, sagt Stefan Luther.       sche Anwendungen verspricht. Denn
plötzlichen Herztod eines Menschen.              „Ob wir die Energie bei der Defibrillati-   um herauszufinden, wie ein elektrisches
Von der neuen Methode könnten Pati-              on um etwa 90 Prozent senken können         Feld niedriger Energie das Kammerflim-
enten profitieren, die bekanntermaßen            und so eine weniger schmerzhafte Be-        mern beenden kann, müssen sie zu-
unter Herzrhythmusstörungen leiden               handlung erreichen, hängt dagegen           nächst genau verstehen, was dabei im
und denen aus diesem Grund ein Defi-             stark von der Position der Elektroden       Herzen geschieht. Bekannt ist, dass die
brillator implantiert wurde. Ein solches         ab.“ Dafür suchen die Forschenden der-      elektrische Erregung des Herzmuskels
Gerät setzt die rettenden Elektro-               zeit noch eine praktikable Lösung.          dann wirbelartig rotiert und den Mus-
schocks im Notfall automatisch. Man-                 Voraussichtlich bis zur Jahresmitte     kel nicht mehr als Welle durchläuft. Da-
che Patienten lassen sich diese Lebens-          2020 testet das Göttinger Team die Nied-    her kontrahiert das Organ nicht mehr
retter jedoch wieder entfernen – nicht           rigenergie-Defibrillation an Schweinen.     richtig und hört auf zu pumpen. Ein
                                                                                             vollständiges Bild der gestörten Dyna-
                                                                                             mik konnten sich die Ärztinnen und
Herzflimmern im Film: Drei in kurzem Abstand gemachte Aufnahmen der                          Ärzte im medizinischen Alltag aber bis-
chaotischen Erregung des Herzens (schwarz – ruhend, gelb – erregt), die zum
                                                                                             lang nicht machen. Deshalb hat ein in-
Herzstillstand führen kann.
                                                                                             ternationales Forscherteam um Stefan
                                                                                             Luther und Jan Christoph, der ebenfalls
                                                                                             am Max-Planck-Institut für Dynamik
                                                                                             und Selbstorganisation forscht, sowie
                                                                                             Gerd Hasenfuß, Kardiologe am Herz-
                                                                                             zentrum der Universitätsmedizin Göt-
                                                                                                                                        Grafik: MPI für Dynamik und Selbstorganisation

                                                                                             tingen, eine Methode für die entspre-
                                                                                             chenden Untersuchungen entwickelt.
                                                                                             Diese erlaubt es nun Medizinern, die
                                                                                             Herzrhythmusstörungen mit gängigen
                                                                                             Ultraschallgeräten in 3D und in Echt-
                                                                                             zeit zu verfolgen.
                                                                                                 Derzeit wenden die Göttinger For-
                                                                                             schenden die Methode in einer Studie
                                                                                             mit Kardiologen der Uniklinik Ham-
                                                                                             burg-Eppendorf an, um die Orte im
                                                                                             Herzmuskel, an denen es zu Störungen

66   MaxPlanckForschung Spezial | 20
Ordnung ist die halbe Therapie - Max-Planck ...
PERSPEKTIVEN

                                               des Herzrhythmus kommen kann, bes-           tersuchen, die sich einer Herzoperation        schalldiagnostik mit der neuen Technik
                                               ser zu identifizieren. Denn die dreidi-      unterziehen müssen. Deren Herz muss            so weiterentwickeln, dass diese noch tie-
                                               mensionalen Wirbel neigen dazu, sich         gestoppt werden und flimmert dann              fere Einblicke ins Herz ermöglichen. Das
                                               an heterogenem Gewebe wie etwa einer         ebenfalls.                                     käme nicht nur Patienten mit Herz-
                                               Narbe, einem Gefäß oder ein bisschen             „Um das neue bildgebende Verfah-           rhythmusstörungen, sondern auch sol-
                                               Fett aufzuhalten. In einer zweiten Stu-      ren in die medizinische Anwendung zu           chen mit einer Herzmuskelschwäche zu-
                                               die mit der Uniklinik Göttingen wollen       bringen, sind wir mit der Industrie im         gute. Die diagnostische Methode könn-
                                               die Forscher vermutlich ab Mitte 2020        Gespräch“, sagt Stefan Luther. Unter-          te also in mancherlei Hinsicht helfen,
                                               das Kammerflimmern an Patienten un-          nehmen könnten ihre Geräte zur Ultra-          Herzerkrankungen besser zu behandeln.

                                                   Sie sind die Haltestelle!
                                                   Eine Software für Rufbusse soll den öffentlichen Personenverkehr attraktiver machen

                                                   Der öffentliche Personenverkehr hat ein Henne-Ei-Problem:
                                                   Einerseits lohnt sich ein umfangreiches Angebot nicht, wenn
                                                   nur wenige Menschen es nutzen. Andererseits steigen Men-
                                                   schen vor allem in ländlichen Regionen kaum vom eigenen
                                                   Auto auf öffentliche Verkehrsmittel um, solange die Verbin-
                                                   dungen nicht attraktiver werden. Ein Team um Stephan Her-
                                                   minghaus, Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik und
                                                   Selbstorganisation in Göttingen, möchte dieses Dilemma lö-
                                                   sen. Die Forscher haben eine Software für Rufbusse program-
                                                   miert, die Fahrgäste an einem Ort ihrer Wahl abholen und zu
                                                   einer bestimmten Zeit direkt zu ihrem Ziel bringen.
                                                       Im Harz haben die Forschenden den Service in Koopera-
                                                   tion mit den dortigen Verkehrsbetrieben unter dem Namen
                                                   Ecobus getestet. „Wir wollen aber nicht einfach ein weiteres
                                                   System öffentlicher Verkehrsmittel anbieten, das andere           Der Ecobus, der im Harz fuhr, hat Fahrgäste an einem
                                                   Transportmittel dann kannibalisiert“, sagt Stephan Herming-       beliebigen Ort abgeholt – ein Schild mussten die Passagiere
                                                   haus. In Leipzig läuft inzwischen ein weiterer Pilotversuch       aber nicht halten.
                                                   unter dem Namen Flexa, in dem die Rufbusse mit dem Ange-
                                                   bot von Linienbussen kombiniert werden. Bei Bedarf können       bereits vorhandener Rufbussysteme legen deren genaue
Foto: MPI für Dynamik und Selbstorganisation

                                                   in das System auch Taxen eingebunden werden. In der ersten      Funktionsweise nicht offen. In ihrer eigenen Software ken-
                                                   Jahreshälfte 2020 möchte das Göttinger Team ein Unterneh-       nen die Forschenden dagegen alle Stellschrauben und kön-
                                                   men gründen, das vor allem die Software anbietet, wenn nö-      nen diese auch kontrollieren. Ihr Ziel ist es, durch ein opti-
                                                   tig aber auch eigene Kleinbusse betreibt.                       miertes Angebot die Menschen dazu zu bewegen, auf den
                                                       Die Wissenschaftler, die gewöhnlich die Dynamik kom-        öffentlichen Personenverkehr umzusteigen. „Wir wollen mit
                                                   plexer Fluide erforschen, untersuchen in ihren Praxistests      unserer Arbeit etwas dagegen tun, dass viele Menschen ihr
                                                   mit Methoden der statistischen Physik, unter welchen Bedin-     Auto alleine nutzen“, sagt Herminghaus. Schaffen die Wis-
                                                   gungen solche Systeme von Rufbussen optimal arbeiten kön-       senschaftler es, das zu ändern, würde das bedeuten: weniger
                                                   nen. Dafür ist eine eigene Software nötig, denn die Betreiber   Verkehr, gesündere Luft und niedrigere CO2 -Emissionen.

                                                                                                                                                    Spezial | 20 MaxPlanckForschung   67
Ordnung ist die halbe Therapie - Max-Planck ...
PERSPEKTIVEN

Phantome für Chirurgen
Organmodelle aus einer Hydrogel-Mischung dürften die medizinische Ausbildung verbessern

Bevor Piloten ein Flugzeug steuern dürfen, müssen sie viele
Stunden im Flugsimulator verbringen. Dort erleben die Flug-
schüler mögliche Situationen aus dem späteren Berufsleben
und erhalten zu ihren Aktionen außerdem ausführliches

                                                                                                                                        Foto: Dr. Tian Qiu (Uni Stuttgart/MPI) und Prof. Arkadiusz Miernik (Uniklinik Freiburg)
Feedback. Für angehende Chirurgen gilt dagegen meist das
Prinzip „Learning by doing“. Peer Fischer vom Max-Planck-
Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart will das ändern.
Zusammen mit seiner Forschungsgruppe am Institut sowie
Tian Qiu von der Universität Stuttgart und Arkadiusz Mier-
nik von der Uniklinik Freiburg entwickelt er realitätsgetreue
Modelle menschlicher Organe, die die Chirurgenausbildung
grundlegend verändern könnten.                                                                                               1 cm
    Ursprünglich beschäftigten sich die Wissenschaftler mit
der Entwicklung neuartiger chirurgischer Robotikverfahren.
Um diese zu testen, besorgten sie sich bei einem Endoskop-        Phantomniere: Links ein 3D-Entwurf, rechts eine Röntgen-
Hersteller die Nachbildungen menschlicher Organe, waren           aufnahme des gedruckten Organmodells, in dem ein Tumor
                                                                  platziert wurde (Pfeil).
mit der Qualität jedoch alles andere als zufrieden. „Die Or-
ganmodelle hatten eine ballonähnliche Struktur, sie hatten
keinerlei Ähnlichkeit mit den anatomischen Details des            re Phantome ermöglichen es, medizinische Instrumente und
Menschen und verhielten sich auch anders als echte Organe.        Verfahren reproduzierbar zu testen und zu verbessern“, sagt
Sie waren für unsere geplanten Untersuchungen völlig un-          Peer Fischer. Gegenwärtig kooperieren die Forscher mit ver-
brauchbar“, sagt Fischer.                                         schiedenen Medizintechnikunternehmen und entwickeln wei-
    Daraufhin beschlossen die Forscher, selbst künstliche Or-     tere Organphantome für das chirurgische Training. Mittelfris-
ganmodelle zu entwickeln. Dazu fertigten sie im Computer-         tig planen sie ein eigenes Start-up.
tomografen hochauflösende Aufnahmen einer Niere an und
erzeugten auf Basis dieser Daten mittels 3D-Druck das
Grundgerüst eines sogenannten Organphantoms. In die
Hohlräume des Modells gossen sie eine Hydrogel-Mischung,
die das natürliche Gewebe in Festigkeit, Haptik, Wasserge-
halt und elektrischer Leitfähigkeit imitiert. Anschließend
entfernten sie das Gerüst wieder. „Auf diese Weise stellten
wir erstmals eine künstliche Niere her, die Ärzte im Ultra-
                                                                          Ein kupfernes Vlies
schall nicht von einer echten Niere unterscheiden konnten“,
sagt Fischer. Mittlerweile gibt es auch Nachbildungen der
                                                                          für Batterien
Blase und der Prostata, weitere Organe und Gewebe befin-
den sich in der Entwicklung.
    Wie wertvoll die Modelle tatsächlich sein können, erläu-              Leistungsfähiger und langlebiger sollen Batterien werden
tert Fischer an der Prostata. Ist diese beim Mann vergrößert,             – auch dank einer Entwicklung des Max-Planck-Instituts
wird die sogenannte transurethrale Prostataresektion nötig.               für medizinische Forschung in Heidelberg. Die Forschen-
Dabei wird ein schleifenähnliches Instrument von außen über               den, die eigentlich untersuchen, wie lebende Zellen auf Na-
die Harnröhre eingeführt. Diese Schleife wird mit Wechsel-                nostrukturen und mechanische Reize reagieren, haben ei-
strom erhitzt; der Chirurg schabt damit das überflüssige Pros-            nen Weg gefunden, schwammförmige Netzwerke aus
tatagewebe ab – darf dabei aber weder die Prostatakapsel noch             ultrafeinen Metalldrähten zu erzeugen.
Nervenstränge oder Blutgefäße verletzen. Das ist ein schwieri-                „Die Metallnetzwerke sind so fein und gleichzeitig ro-
ges Unterfangen, für das ein Arzt viel Übung braucht. Mit ih-             bust, dass wir sie nun auch als effiziente Stromableiter in
rem Verfahren schufen Fischer und sein Team ein künstliches               Batterien untersuchen“, sagt Joachim Spatz, Direktor am
Prostatamodell, das der menschlichen Prostata nicht nur äu-               Max-Planck-Institut für medizinische Forschung. So kön-
ßerlich ähnelt und sich genauso anfühlt, sondern an dem der               nen sie das eigentliche Elektrodenmaterial einer Lithium-
Chirurg auch operieren kann. Mit bildgebenden Verfahren                   batterie gleichmäßig durchdringen und die Wege für den
kann er anschließend überprüfen, wie genau er gearbeitet und
ob er beispielsweise umliegendes Gewebe verletzt hat. „Unse-

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Ordnung ist die halbe Therapie - Max-Planck ...
PERSPEKTIVEN

                                                                      Wirksam gegen Tuberkulose und Krebs
                                                                      Max-Planck-Forscher haben einen aussichtsreichen Impfstoffkandidaten entwickelt,
                                                                      der auch als mögliches Krebsmedikament getestet wird

                                                                      Fast 100 Jahre lang hat die Tuberkulose-      wirksamer vor Tuberkulose als der alte
                                                                      forschung kaum Fortschritte gemacht.          Impfstoff und soll diesen eines Tages bei
                                                                      Erst seit Anfang des 21. Jahrhunderts         Neugeborenen ersetzen. Zudem könnte
                                                                      ändert sich dies langsam. Zurzeit wer-        VPM1002 auch zur Auffrischung einer
                                                                      den mehrere Kandidaten für einen              Impfung bei Erwachsenen eingesetzt
                                                                      Impfstoff klinisch erprobt, denn die          werden.
                                                                      einzige verfügbare Vakzine namens                 Die Max-Planck-Gesellschaft hat die
                                                                      BCG stammt aus dem Jahr 1921 und              Lizenz für den Impfstoff 2004 an das
Foto: MPI für Infektionsbiologie - CF Microscopy / Volker Brinkmann

                                                                      schützt nicht ausreichend vor der be-         Unternehmen Vakzine Projekt Manage-
                                                                      sonders häufigen Form der Lungen­             ment (VPM) vergeben. Ab 2012 entwi-
                                                                      tuberkulose, über die der Erreger haupt-      ckelte die Firma den Impfstoff zusam-
                                                                      sächlich verbreitet wird.                     men mit dem Serum Institute of India
                                                                          Von allen Kandidaten hat ein als          weiter, das VPM mittlerweile komplett
                                                                      VPM1002 bezeichneter Impfstoff bis-           übernommen hat.
                                                                      lang am besten abgeschnitten. Die wis-            Eine Phase-II-Studie bestätigte 2018,   Bakterien des abgeschwächten
                                                                      senschaftliche Basis für diesen Erfolg        dass der Impfstoff von Neugeborenen         Tuberkulose-Impfstammes (BCG)
                                                                                                                                                                im Inneren eines Makrophagen,
                                                                      hat Stefan Kaufmann am Max-Planck-            gut vertragen wird und wirksam ist. Bei-    einer Fresszelle des Immunsystems.
                                                                      Institut für Infektionsbiologie in Berlin     des soll nun noch genauer überprüft
                                                                      gelegt. Der Impfstoff-Kandidat basiert        werden. Derzeit wird VPM1002 in einer
                                                                      auf dem BCG-Impfstoff und enthält ab-         weiteren Phase-II-Studie an erwachse-       baren Umfeld von Tuberkulosepatien-
                                                                      geschwächte Tuberkulose-ähnliche Bak-         nen Probanden in Indien getestet. Sie       ten vor der Erkrankung schützen kann.
                                                                      terien. Diese sind genetisch so verän-        soll Mitte 2020 abgeschlossen sein. Da-         Eine Aktivierung des Immunsys-
                                                                      dert, dass Immunzellen sie besser erken-      rüber hinaus untersuchen Forscher, ob       tems kann aber nicht nur vor Tuberku-
                                                                      nen können. VPM1002 schützt dadurch           der Impfstoff Menschen im unmittel­         lose, sondern auch vor Krebs schützen.
                                                                                                                                                                So ist der traditionelle Tuberkulose-
                                                                                                                                                                Impfstoff BCG gegen Blasenkrebs wirk-
                                                                                                                                                                sam, eine der häufigsten Tumorerkran-
                                                                                                                                                                kungen in Europa. Der Impfstoff wird
                                                                                                                                                                dabei von Fresszellen des Immunsys-
                                                                                                                                                                tems aufgenommen, die daraufhin
                                                                      elektrischen Austausch zwischen dem Stromableiter und dem Elektrodenmate-                 Krebszellen besser abtöten können. Al-
                                                                      rial verkürzen. Damit werden die Be- und Entladung beschleunigt. In bestimmten            lerdings verschwindet der Krebs ledig-
                                                                      Fällen kann aber auch die Kapazität einer Batterie erhöht werden, da das Aktiv-           lich bei einem Teil der Patienten nach
                                                                      material besser genutzt wird. „Wir gehen auch davon aus, dass eine Batterie mit           der Therapie mit BCG vollständig: Bei
                                                                      Stromableitern, die das Aktivmaterial durchdringen, mechanisch stabilisiert wird          30 bis 40 Prozent kehren die Tumore
                                                                      und mehr Ladezyklen aushält als heutige Batterien“, sagt Joachim Spatz. Die Ka-           wieder zurück.
                                                                      pazität herkömmlicher Batterien nimmt mit der Zeit vor allem deshalb ab, weil                 In einer klinischen Studie mit Bla-
                                                                      sich das Aktivmaterial beim Be- und Entladen ausdehnt beziehungsweise zusam-              senkrebspatienten hat sich jetzt gezeigt,
                                                                      menzieht und sich schließlich von den Metallfolien, die in ihnen als Stromableiter        dass eine Behandlung mit VPM1002
                                                                      dienen, ablöst. Ein im Aktivmaterial eingebettetes Metallgespinst sollte sich da-         eine Rückkehr der Tumore in der Blase
                                                                      gegen – so die Vermutung der Forscher – mit diesem verformen.                             verhindern kann: Fast die Hälfte der Pa-
                                                                           Möglich wird die neue Bauweise von Batterien durch ein weiterentwickeltes            tienten, die zuvor nicht auf die her-
                                                                      Verfahren, mit dem sich mikroskopisch feine Metalldrähte in großen Mengen aus             kömmliche Behandlung mit unverän-
                                                                      Tröpfchen geschmolzenen Metalls spinnen lassen. Die Metallatome bilden dabei              dertem BCG angesprochen hatten, wa-
                                                                      außerdem eine Struktur, die es erlaubt, die Fasern bei niedrigen Temperaturen             ren am Ende der Studie tumorfrei.
                                                                      miteinander zu Netzwerken zu verschweißen.                                                Damit solche Patienten schnell von der
                                                                           Die Metallschwämme, die so entstehen, können nicht nur für Batterien nütz-           Therapie mit VPM1002 profitieren kön-
                                                                      lich sein, sondern auch für andere Anwendungen, etwa für die Katalyse in der che-         nen, wollen die Entwickler nun in Ge-
                                                                      mischen Industrie oder als elektromagnetisches Abschirmmaterial.                          sprächen mit der Europäischen Arznei-
                                                                                                                                                                mittel-Agentur eine möglichst schnelle
                                                                                                                                                                europaweite Zulassung erreichen.

                                                                                                                                                                        Spezial | 20 MaxPlanckForschung   69
Ordnung ist die halbe Therapie - Max-Planck ...
PERSPEKTIVEN

                                              Masern gegen Krebs
Ein heißes                                    Genetisch veränderte Viren könnten Tumore bekämpfen

Medikament
Medikamente effektiver zu machen
und Nebenwirkungen zu reduzieren –
darauf richten sich viele Anstrengun-
gen der pharmazeutischen Forschung.
Auch Hansjörg Eibl, ehemaliger Direk-
tor am Göttinger Max-Planck-Institut
für biophysikalische Chemie, verfolgte
dieses Ziel. Er überlegte sich, dass ein
Wirkstoff keine Nebenwirkungen aus-
lösen kann, solange er fest verpackt ist.
Diese Idee setzte er mit Thermosomen
um. Dabei handelt es sich um tempera-
turempfindliche Nanotransporter, die
mit Wirkstoffen beladen und intrave-
nös verabreicht werden und zunächst
unbehelligt durch den Blutkreislauf zir-
kulieren. Erst wenn die Minifrachter
das Zielgewebe erreichen, das von einer
externen Wärmequelle auf 40 bis 42
Grad Celsius erwärmt wird – die Nor-
maltemperatur des Körpers beträgt da-
gegen etwa 37 Grad –, wird der Wirk-
stoff freigesetzt. Auf diese Weise lässt
                                              Nützliche Viren: Ein bestimmter Stamm des Masernvirus, der für Impfungen genutzt
sich lokal eine bis zu 15-fach höhere         wird und gesunden Zellen nichts anhaben kann, wird genetisch so modifiziert, dass er
Konzentration erreichen, wodurch die          sich in Tumorzellen vermehrt und diese effektiv zerstört.
Nebenwirkungen spürbar reduziert
werden. Diverse Tierstudien in Zusam-
menarbeit mit der LMU München be-             Im Computer können sie die Festplatte zerstören, im menschlichen Körper
legten für ein Chemotherapeutikum             viele Krankheiten auslösen – Viren verbindet man meist mit etwas Gefähr-
bereits, dass das Konzept zumindest           lichem. Sie können aber auch nützlich sein. So dienen modifizierte Viren
bei Tieren aufgeht. Seit 2015 entwickelt      in der Molekularbiologie seit vielen Jahren als effektive Transportmittel, um
Thermosome GmbH mit Sitz in Mar-              Fremd-DNA in lebende Zellen einzuschleusen – eine Technik, die inzwi-
tinsried die temperaturempfindlichen          schen auch Mediziner in der Gentherapie nutzen. Wolfgang Neubert, ehe-
Nanotransporter für den Einsatz in der        maliger Arbeitsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Biochemie, spannt
medizinischen Praxis weiter.                  Viren ebenfalls zu medizinischen Zwecken ein.
                                                  Der Wissenschaftler verwendet ein Masernvirus, das Krebs schon von
                                              Natur aus hemmt, für die Tumortherapie. Zusammen mit Forschenden der
                                              Universität Tübingen modifizierte er ein Masernvirus, das zur Impfung ge-
                                                                                                                                     Grafik: Thermosome (links); shutterstock (rechts)

                                              gen eine Infektion mit dem Erreger dient und gesunden Zellen nichts an-
                                              haben kann, genetisch so, dass sich der ansonsten harmlose Impfstoff in
        37 °C    >40 °C                       Krebszellen in ein potentes Zytostatikum verwandelt. Nun vermehrt es sich
                                              in Tumorzellen ungehemmt, und es kommt zur Onkolyse: Die Zelle platzt
                                              auf und setzt Masernviren frei, die die nächste Krebszelle überfallen. Zusätz-
                                              lich sorgen die Viren für eine Aktivierung des Immunsystems – im Idealfall
           Temperatur
                                              wird ein Tumor auf diese Weise effektiv zerstört.
                                                  Im Jahr 2018 hat die Max-Planck-Gesellschaft die Technik zur Entwick-
                                              lung und Herstellung dieser Art von Krebstherapien an das österreichische
Mit Wirkstoff beladene, wärmeempfindliche
Nanotransporter zirkulieren durchs Blut.      Biotechunternehmen Themis Bioscience lizenziert. Das auslizenzierte on-
Am Zielort, der von außen auf 40 Grad         kolytische Virus wird mittlerweile in einer ersten klinischen Studie an
erwärmt wurde, setzen sie ihre Ladung frei.   Krebspatienten getestet.

70   MaxPlanckForschung Spezial | 20
Ordnung ist die halbe Therapie - Max-Planck ...
Proteine mit Formfehler
                             Aus einer Substanz gegen giftige Eiweiß-Verklumpungen soll ein Medikament gegen Parkinson werden

                             Damit Proteine ihre Aufgaben im Kör-      der Substanz in gesunden Probanden       Max-Planck-Innovation hat darüber
                             per erfüllen können, müssen sie die       zu untersuchen. Verläuft diese Studie    hinaus Modag im Herbst 2019 eine Li-
                             korrekte räumliche Struktur einneh-       erfolgreich, plant Modag in einer Pha-   zenz für eine Technologie erteilt, mit
                             men. Welch fatale Folgen eine fehler-     se-II-Studie die Behandlung von Pati-    der das Unternehmen im Vergleich zu
                             hafte Faltung haben kann, zeigt eine      enten mit Multi­systematrophie – ei-     anle138b chemisch leicht veränderte
                             Erkrankung wie Parkinson: In Zellen       ner rasch fortschreitenden, innerhalb    Nachfolgewirkstoffe entwickeln kann,
                             des Gehirns falten sich sogenannte Sy-    von vier bis acht Jahren zum Tod füh-    die noch besser oral verabreicht wer-
                             nuclein-Proteine nicht in die richtige    renden Erkrankung, bei der in ver-       den können. Mit anle138b und seinen
                             Form und bilden daraufhin giftige Ver-    schiedenen Gehirngebieten Alpha-Sy-      Nachfolgern könnte also eines Tages
                             klumpungen. Die betroffenen Zellen        nuclein verklumpt. Der Wirkstoff         ein neuer Typ von Medikamenten zur
                             sterben schließlich ab.                   sollte aber auch bei anderen neurode-    Verfügung stehen, mit dem sich Krank-
                                 Am Max-Planck-Institut für bio-       generativen Erkrankungen wie Parkin-     heiten wie Parkinson, Alzheimer oder
                             physikalische Chemie in Göttingen         son, Alzheimer oder Creutzfeldt-Jakob    Multisystematrophie bremsen oder so-
                             analysieren Christian Griesinger und      wirksam sein.                            gar stoppen lassen.
                             sein Team die räumliche Struktur von
                             Proteinen. Zusammen mit Armin Gie-
                             se von der Ludwig-Maximilians-Uni-
                                                                       Erhalten Mäuse, die an einer
                             versität München haben sie auch Mo-       Parkinson-ähnlichen Erkran-
                             leküle getestet und opti­miert, die die   kung leiden, den Wirkstoff
                             Verklumpung des Proteins Alpha-Sy-        anle138b, bilden sich weniger
                             nuclein verhindern. Eine Substanz hat     Synuclein-Ablagerungen
                                                                       (braun) als bei Placebo-
                             sich als besonders vielversprechend er-   behandelten Kontrolltieren.
                             wiesen: Das anle138b genannte Mole-
                             kül löst giftige Verklumpungen aus Sy-
                             nuclein und verhindert, dass neue
                             entstehen. Der Wirkstoff greift damit
                                                                       Placebo
                             direkt am Auslöser der Krankheit an.
                             Genetisch veränderte Mäuse, die an
                             Parkinson erkranken, können demzu-
                             folge ihre Bewegungen länger besser
                             koordinieren und leben dadurch län-
                             ger beschwerdefrei, wenn sie mit an-
                             le138b behandelt werden. Ähnlich er-
                             folgreich lassen sich auch Mäuse mit
                             Alzheimer und sogenannter Multisys-
                             tematrophie behandeln.
                                 2013 haben Max-Planck-Innovati-
                             on und die Ludwig-Maximilians-Uni-
                             versität München die weitere Entwick-
                             lung des Wirkstoffs an das neu
                             gegründete Pharmaunternehmen Mo-          anle138b
                             dag auslizenziert. Präklinische Studien
                             zeigten, dass anle138b von Tieren sehr
Grafik: Giese, LMU München

                             gut vertragen wird. Außerdem wurde
                             der Wirkstoff so weiterentwickelt, dass                  N NH
                             er in Zukunft dem Menschen als Tab-
                             lette verabreicht werden kann.             O
                                 Ende 2019 startete eine klinische                                     Br
                                                                        O
                             Phase-I-Studie mit anle138b. Ziel ist
                             es, die Sicherheit und Verträglichkeit

                                                                                                                       Spezial | 20 MaxPlanckForschung   71
Ordnung ist die halbe Therapie - Max-Planck ... Ordnung ist die halbe Therapie - Max-Planck ...
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