VOLONTÄRIN WURDE ICH VOM CHEFREDAKTEUR ANGEFASST" - Medium Magazin

Die Seite wird erstellt Karina Seeger
 
WEITER LESEN
VOLONTÄRIN WURDE ICH VOM CHEFREDAKTEUR ANGEFASST" - Medium Magazin
„ALS
                                                                                      #02/2021

                                                                                      VOLONTÄRIN
                                                                                        WURDE
                                                                                        ICH VOM
                                                                                    CHEFREDAKTEUR
                                                                                      ANGEFASST“
02/2021 | Euro 12 | Postfach 1152, 83381 Freilassing · ISSN 0178-8558 · Y9072 E |

                                                                                                    Machtmissbrauch, Sexismus, Diskriminierung:
                                                                                                       Die Branche hat ein Problem mit ihrer
                                                                                                       Führungskultur. Betroffene schildern
                                                                                                                ihre Erfahrungen.

                                                                                    LOVEMOBIL: Wie Anja Reschke mit Kritik an der gefälschten NDR-Doku
                                                                                    umgeht. DEBATTE: Hört auf, die Leser für dumm zu verkaufen. PRAXIS: 7+1
                                                                                    Tipps für bessere Ideen. DOSSIER: Wie wir lernen, richtig zuzuhören.
VOLONTÄRIN WURDE ICH VOM CHEFREDAKTEUR ANGEFASST" - Medium Magazin
sich unsere Protagonistinnen und Gesprächspartner anschlie-
Editorial                                                         ßend fühlen? Dabei geht es noch nicht einmal nur um die gro-
                                                                  ßen emotionalen Geschichten oder nie veröffentlichte Texte.
                                                                  Immer wieder fragen mich Bekannte nach ihren Begegnungen

Hören wir                                                         mit Journalistinnen und Journalisten irritiert, ob das eigent-
                                                                  lich so üblich wäre. Dass etwa der Reporter vor dem Recher-
                                                                  chegespräch ganz engagiert und nahbar gewesen sei, anschlie-
                                                                  ßend aber nur noch nach mehrmaliger Nachfrage unwillig und
überhaupt                                                         knapp auf Mails geantwortet habe? Bei vielen hinterlässt das
                                                                  einen unangenehmen Beigeschmack.
                                                                    Ich glaube, dass wir „Zuhören“ nicht bloß als Mittel zum

richtig zu?                                                       Zweck, sondern als elementare journalistische Fähigkeit be-
                                                                  greifen müssen. Nicht nur als selbstbezogene Informations-
                                                                  aufnahme, sondern als Akt der Empathie und Aufrichtigkeit.
                                                                  Und vor allem nicht als Tätigkeit, die dann endet, wenn wir
                                                                  unsere Geschichte im Kasten haben.
                                                                    Wir haben dem Zuhören deshalb ein Dossier gewidmet. Dar-
                                                                  in erzählt eine junge Frau, was sie im Umgang mit Medien er-
                                                                  lebt hat. Wir fragen aber auch: Wie gelingt ein Dialog in Zeiten
Warum mich ein Fehler bis heute                                   des Hasses? Und woher kommt angesichts von Podcast-Boom
umtreibt. Und was das mit unserem                                 und Clubhouse-Hype eigentlich diese neue Sehnsucht danach,
                                                                  anderen zuzuhören?
aktuellen Dossier zu tun hat.
                                                                  Die Branche macht es sich zu einfach
                                                                  Zugehört haben auch Eva Hoffmann und Pascale Müller, die
                                                                  beiden Autorinnen unserer Titelgeschichte. Sie haben sich
ALEXANDER GRAF                                                    nach den Compliance-Vorwürfen gegenüber „Bild“-Chefre-
ist Chefredakteur des „medium magazins“                           dakteur Julian Reichelt auf die Suche gemacht. Denn eines ist
                                                                  klar: Allzu wohlfeil war die Selbstgefälligkeit, mit der die Af-
                                                                  färe von der übrigen Branche beobachtet wurde: „War ja klar,
                                                                  dass es bei den Machos vom Boulevard so zugeht.“ Die Wahr-
                                                                  heit ist: Toxische Führungskultur gibt es in der gesamten deut-
                                                                  schen Medienlandschaft – egal, ob im distinguierten Feuille-
                                                                  ton oder der Lokalsportredaktion, ob bei der Wochenzeitung

I
                                                                  oder der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt. Uns ging es
                 ch habe in meinem Volontariat einen Fehler       nicht darum, einen konkreten Fall veröffentlichungsreif zu re-
                 gemacht, der mich bis heute prägt. Mein Ver-     cherchieren. Wir wollten ein grundlegendes Problem aufzei-
                 ständnis von Journalismus war damals ziem-       gen. 189 Journalistinnen und Journalisten haben ihre Erfah-
                 lich idealistisch: Ich wollte vor allem große    rungen geschildert. Mit 25 von ihnen haben die Reporterinnen
                 Geschichten erzählen, wollte die Ambigui-        ausführliche Gespräche geführt. Um ehrlich zu sein: Ich war
                 tät unserer Welt in nuancierten Texten auf-      selten nach einer Lektüre so wütend und frustriert.
                 zeigen, wollte Menschen eine Stimme geben,         Wie Müller und Hoffmann ihre Recherche erlebt haben und
                 denen sonst keiner zuhört. Zwei von diesen       was aus ihrer Sicht zu tun ist, darüber werde ich mit den bei-
                 Menschen habe ich dabei tief enttäuscht.         den freien Journalistinnen beim „medium magazin Talk“ spre-
                   Die beiden hatten erschütternde persönli-      chen. Unser neues Live-Video-Format gibt es künftig zu jeder
                 che Schicksale zu erzählen. Ich traf sie also    Ausgabe. Bei der Premiere am 12. Mai, 17.30 Uhr, werden au-
                 mehrmals, hörte ihnen stundenlang zu, krit-      ßerdem Moritz Tschermak und Mats Schönauer vom „Bild-
zelte Notizblöcke voll, sprach mit etlichen Expertinnen – und     blog“ zu Gast sein. Die beiden Journalisten beschäftigen sich
schrieb ihre Geschichte nie auf. Ich bekam das Thema einfach      seit Jahren kritisch mit der Arbeit der größten deutschen Bou-
nicht in den Griff. Bei jedem neuen Entwurf hatte ich das Ge-     levardzeitung und haben daraus jetzt ein Buch gemacht, über
fühl, der Komplexität und Tiefe dieser Biografien nicht ge-       das wir sprechen werden.
recht zu werden. Fast über ein Jahr verdrängte ich in einer         Ich würde mich freuen, wenn Sie uns dabei zuhören – und
Mischung aus Eitelkeit und Scham diese Erkenntnis, bis ich        natürlich auch mitdiskutieren.
auf das wiederholte Nachfragen der Protagonisten schließlich        (Anmeldungen an: events@oberauer.com)
eine verdruckste Mail samt Bitte um Entschuldigung schrieb.
 Was mussten diese Menschen denken, wie mussten sie sich          PS: Die Pandemie hat vergangenes Jahr auch unseren Veran-
fühlen? Sie hatten sich mir, einem Unbekannten, vollkommen        staltungsformaten – „Journalistinnen und Journalisten des
geöffnet – aber wozu? Ich glaube, dass ich mit dieser Erfahrung   Jahres“ und „Top 30 bis 30“ – einen Strich durch die Planung
nicht allein bin. Als Journalistinnen und Journalisten bedie-     gemacht. Wer unsere Herausgeberin Annette Milz kennt, kann
nen wir uns regelmäßig der Geschichten anderer Leute. Wir         sich denken, dass sie sich davon nicht entmutigen lässt. Es
tun das meist mit guten Absichten. Wir denken dann wirklich,      freut mich also, dass es mittlerweile neue Termine für beide
dass unsere Reportagen vergessene Schicksale sichtbar ma-         Events gibt: Am 21. Juni findet die „Top 30 bis 30“-Konferenz
chen. Dass wir mit unseren Recherchen Missstände aufzeigen.       in Frankfurt/Main statt, am 2. August werden die besten Jour-
Und wenn die Geschichte mal nicht klappt, dann ist das halt       nalistinnen und Journalisten des Jahres 2020 in Berlin ausge-
so. Weiter geht’s. Aber machen wir uns Gedanken darüber, wie      zeichnet.

02.2021                                                                                                                         5
VOLONTÄRIN WURDE ICH VOM CHEFREDAKTEUR ANGEFASST" - Medium Magazin
Inhalt. 02/2021
IMPRESSUM
                                               TITEL
medium magazin

                                               VORSICHT,
Unabhängige Zeitschrift
für Journalistinnen und Journalisten
35. Jg., Nr. 2/2021
Gegründet von Sebastian Turner

Herausgeberin

                                               TOXISCH!
Annette Milz

Chefredakteur
Alexander Graf (V.i.S.d.P., Mannheim)

Redaktion
Daniel Bouhs (Berlin), Dr. Anne                 Nach den Compliance-Vorwürfen gegen „Bild“-Chef Julian Reichelt ist das
Haeming (Berlin), Senta Krasser (Köln),         Thema Führungskultur in den Fokus gerückt. Doch Probleme gibt es nicht
Ulrike Langer (Seattle), Inge Seibel            nur beim Boulevard. Zahlreiche Betroffene haben uns ihre Erfahrungen mit
(Hamburg), Florian Sturm (Leipzig)              Machtmissbrauch, Sexismus und Diskriminierung in deutschen Medien-
                                                häusern geschildert.                                               Seite 12
Anzeigen- und Medienberatung
Ruperta Oberauer
Tel. +43 6225 2700-35
ruperta.oberauer@oberauer.com

Redaktion
Mollstraße 49a, 68165 Mannheim
                                          RUBRIKEN                                    MEDIEN UND BERUF
redaktion@mediummagazin.de
www.mediummagazin.de
#twitter @mediummagazin                   08      Kurz und bündig. Verleger           20     „Wir sind die Bewahrer der
www.facebook.com/mediummagazin                    träumen von Drohnen,                       Demokratie“. Anja Reschke über
                                                  VG Wort.                                   kritischen Journalismus.
Verlag und Medieninhaber                                                                         Charlotte Theile, Alexander Graf
Johann Oberauer GmbH                      10      Zwischenruf. Warum der
Postanschrift: Postfach 11 52,                    Wechsel in die PR uns nicht         28     Gesichter der Pandemie. Der
83381 Freilassing                                 verbrennt.      Viktoria Bolmer            Fotograf Roland Schmid über
Zentrale: Fliederweg 4,                                                                      seine preisgekrönte Arbeit.
A-5301 Salzburg-Eugendorf                 68      Weicherts Innovationscheck.                                  Samantha Zaugg
Tel. +43 6225 2700-0, Fax -11                     Start-up Flip deckt
                                                  Greenwashing auf.                   30     Austin am Schreibtisch. Welche
Produktion                                                        Stephan Weichert           Medientrends die digitale SXSW
Sabrina Weindl, Gerald Neubacher,                                                            bewegten.           Ulrike Langer
Elmar Schörghofer                         72      Kiosk. Welche Magazine jetzt
                                                  Freie suchen.    Bernd Stössel      32     Jäger der Datenspuren. Wie
Abo- und Vertriebshotline                                                                    die OSINT-Community die
Tel. +43 6225 2700-41, Fax -44            74      Presserecht. Versteckte                    Netzrecherche revolutioniert.
E-Mail: abo@mediummagazin.de                      Kamera: Was dürfen verdeckte                                Tobias Hausdorf
                                                  Recherchen? Gero Himmelsbach
Druck                                                                                 34     Sitzen bleiben oder rausgehen?
Druckerei Roser, Salzburg                 76      Kolumne. Fest angestellt oder              Was macht Corona mit unseren
                                                  frei? Wie wir leichter radikale            Recherchen?       Daniel Bouhs
                                                                                                                                    Foto: Hendrik Lüders, Bram Budel

                                                  Entscheidungen treffen.
                                                                     Michael Obert    38     Zweimal Meinung ohne alles,
                                                                                             bitte. Der Debattenjournalismus
                                          80      Köpfe und Karrieren. Wer bei               verkauft die Leser für dumm. Eine
                                                  der dpa für Audio-Innovationen             Streitschrift.         Jörg Scheller
                                                  sorgen soll.
                                                                                      70     Wo Leben und Tod verhandelt
                                          82      Fragebogen. Jona Teichmann:                werden. Was die eindrückliche
                                                  Abhängig vom Tischkalender.                Doku über eine Corona-Station
                                                                                             auszeichnet.       Florian Sturm

6                                                                                                                         02.2021
VOLONTÄRIN WURDE ICH VOM CHEFREDAKTEUR ANGEFASST" - Medium Magazin
Anja Reschke: „Ich hasse es, wenn           Henk van Ess: „Reporter könnten schon       Elena Gasthaus: „Für das Voice-
Leute mich fragen, ob ich eine              ihre Arroganz ablegen. Viele Leute sind     Zeitalter ist uns eine eigene
Haltungsjournalistin sei.“      Seite 20    schneller oder kompetenter.“     Seite 32   Markenstimme wichtig.“          Seite 46

DOSSIER                                     PRAXIS                                      JOURNALISTEN
                                                                                        WERKSTATT
42        Verdienen wir ihre                57    Ultimative Abo-Treiber. Welche
          Geschichte? Wie sich                    Themen online wirklich Abos
          Menschen fühlen, die sich               verkaufen.
          Journalisten anvertrauen.                                 Senta Krasser
                         Samantha Zaugg
                                            62    Toolbox. Smarte Tricks für
46        Wie die Zukunft klingt.                 beweiskräftige Screenshots.
          Die neue Sehnsucht nach                               Sebastian Meineck
          dem gesprochenen Wort.
                          Eva Wolfangel     64    7 + 1 Tipps für bessere Ideen.
                                                  Warum sich unsere Autorin
50        Von Trollen und Goldschätzen.           vor guten Einfällen kaum noch         Personal Branding.
          Wie kann ein guter Dialog mit           retten kann.    Katharina Jakob       Die neue „Journalisten-Werkstatt“
          den Nutzern gelingen?                                                         von Julian Heck ist im Abonnement
                          Benedikt Herber                                               gratis dieser Ausgabe beigelegt.

54        „Hatten wir das nicht schon?“                                                 Nachbestellungen:
          Vom verzweifelten Kampf                                                       shop.oberauer.com/werkstatt/
          ums Gehörtwerden in der                                                       journalisten-werkstatt
          Redaktionskonferenz.
                            Janine Gloor

02.2021                                                                                                                        7
VOLONTÄRIN WURDE ICH VOM CHEFREDAKTEUR ANGEFASST" - Medium Magazin
VORSIC
Titel. Führungskultur

TOXISC
     V
                 orgesetzte, die jüngeren Kolleginnen       den als andere ist groß. Trotzdem gibt die Umfrage
                 an den Hintern fassen. Redakteure, die     einen Einblick in die Probleme in Redaktionen.
                 Schwarze Kolleginnen rassistisch belei-      Mit rund 25 Personen haben wir weitergehende
                 digen. Frauen, die wegen Sexismus und      Interviews geführt und sind konkreten Vorwürfen
                 Übergriffigkeit den Traum aufgeben,        nachgegangen. Sie schildern ein durch Angst, Mob-
     Journalistin zu werden. Die schreiben: „Ich bin lei-   bing und Druck geprägtes Arbeitsklima. Das Thema
     ser geworden, schlage bestimmte Themen nicht           Führungskultur ist mit den Compliance-Vorwürfen
     mehr vor. Spreche Probleme nicht mehr offen an.        gegenüber „Bild“-Chef Julian Reichelt zwar zuletzt
     Mein Selbstbewusstsein hat stark gelitten. Der Job,    in den öffentlichen Diskurs gerückt, in der Debat-
     der immer mein Traum war, fühlt sich eher wie ein      te jedoch auf den Springer-Verlag reduziert worden.
     Albtraum an.“                                          Die Recherche zeigt, dass kaum eine Redaktion von
       Toxische Führungskultur, Sexismus und andere For-    Problemen frei ist. Und dass der Branche dadurch
     men der Diskriminierung sind in deutschen Medien       viele qualifizierte Mitarbeitende verloren gehen.
     weit verbreitet. Das zeigt eine Recherche des „medi-     Toxisch, darunter fasst diese Recherche ein Be-
     um magazins“. In weniger als einer Woche meldeten      triebsklima, das Diskriminierung fördert oder zumin-
     sich auf eine Umfrage, die Erfahrungen mit Führungs-   dest nicht verhindert. Etwa Mobbing, psychischen
     kultur abfragte, 189 Journalistinnen und Journalis-    Druck und das Ausnutzen von Machtverhältnissen.
     ten und schilderten ihre Erfahrungen in deutschen      Damit verbunden schilderten Befragte finanziel-
     Print-, Online-, Hörfunk- und Fernsehredaktionen.      le Benachteiligung, extreme Arbeitsbelastung, aber
     Darunter Fernsehjournalistinnen mit 30 Jahren Be-      auch rassistische sowie sexistische Sprache und se-
     rufserfahrung genauso wie Journalismusschülerin-       xuelle Übergriffe.
     nen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Personen, die     So ein „giftiges“ Klima betrifft grundsätzlich alle
     schlechte Erfahrungen gemacht haben, häufiger mel-     Mitarbeitenden, einige aber mehr als andere. 75 Pro-

12                                                                                                                  02.2021
VOLONTÄRIN WURDE ICH VOM CHEFREDAKTEUR ANGEFASST" - Medium Magazin
HT,                                                               Wie es um die
                                                                  Führungskultur
                                                                  in deutschen
                                                                  Medienhäusern steht?
                                                                  Besorgniserregend.
                                                                  Das legt eine Recherche

H!
                                                                  des „medium magazins“
                                                                  nahe, in der Betroffene
                                                                  ihre Erfahrungen
                                                                  schildern.

                                                                  TEXT: Eva Hoffmann, Pascale Müller

          zent der Befragten, also 142 Personen, identifizier-       werden. Eine ehemalige Führungskraft einer großen
          ten sich als Frauen, drei als divers, die restlichen       Zeitung erzählt am Telefon, wie ein Chefredakteur
          als Männer. Das Geschlecht steht in dieser Umfrage         eine erledigte Aufgabe mit „brav“ kommentierte.
          mehrheitlich in direktem Zusammenhang mit Dis-               Nirgends ist die Abhängigkeit von Vorgesetzten,
          kriminierungserfahrungen. Journalistinnen of Co-           Mentoren und Dozierenden so groß wie beim Be-
          lor erleben außerdem Rassismus, LGBTIQ-Personen            rufseinstieg. Insbesondere Praktikantinnen und
          Queerfeindlichkeit. Eine Kamerafrau bei einem öf-          Volontärinnen berichten von unangemessenen Be-
          fentlich-rechtlichen Medium schildert: „Als eine les-      rührungen, sexistischen und abwertenden Kom-
          bische Kamerafrau in den Aufzug kam, stieg mein            mentaren. Aus einem Journalismus-Studiengang
          Team die nächste Etage komplett aus, obwohl wir da         berichtet eine Studentin: „(…) ich habe einen Do-
          nicht hinmussten. Ich folgte verwundert, wobei an-         zenten, der kein Seminar ohne Herrenwitz oder Be-
          gemerkt wurde, dass es nicht zu ertragen sei, mit ei-      merkungen über das Äußere einer Frau schafft. Bei
          ner Lesbe Aufzug zu fahren.“                               Projektarbeit in Gruppen wendet er sich grundsätz-
                                                                     lich an männliche Gruppenmitglieder, wenn Ent-
          Kritikerinnen gelten als „Spielverderberin“                scheidungen zu treffen sind.“ Über das Klima an
          Am Anfang steht oft degradierende Sprache. Mehr-           einer weiteren Journalismusschule schreibt eine
          fach berichten Teilnehmende der Umfrage, dass in           Schülerin: „Sexismus wird offen vor sich hergetra-
          ihren Redaktionen das N-Wort benutzt werde. „Ag-           gen. Es herrscht ein Bild davon, wie Frauen sich zu
          gressive Abwehr von Kritik daran“ und Darstellung          kleiden, wie sie zu sein haben, um ernst genom-
          als „Spielverderberin“ seien Reaktionen, wenn dies         men zu werden.“ Frauen geben an, dass sie dadurch
          angesprochen würde. Erwachsene Frauen berichten,           massiv daran zweifeln, ob sie für den Beruf geeig-
          wie sie mit „Mädchen“, „Mädels“, „Hase“, „Fräu-            net sind, andere schreiben, sie hätten Angst- und
          lein“, „Mäuschen“ oder „Schätzchen“ angesprochen           Schlafstörungen entwickelt.

02.2021                                                                                                                    13
VOLONTÄRIN WURDE ICH VOM CHEFREDAKTEUR ANGEFASST" - Medium Magazin
Haltung. Anja Reschke

20                      02.2021
VOLONTÄRIN WURDE ICH VOM CHEFREDAKTEUR ANGEFASST" - Medium Magazin
Haltung. Anja Reschke

„Wir sind die
Bewahrer der
Demokratie“
Als Chefin von „Dokumentation und
Kultur“ beim NDR kämpft Anja Reschke mit
einem Fälschungsskandal. Als Moderatorin
von „Panorama“ ist die 48-Jährige zum
Gesicht von Haltung und Moral geworden.
Ein Gespräch über kritischen Journalismus –
und den eigenen Umgang mit Kritik.
INTERVIEW:   Charlotte Theile, Alexander Graf FOTO: Hendrik Lüders

02.2021                                                              21
VOLONTÄRIN WURDE ICH VOM CHEFREDAKTEUR ANGEFASST" - Medium Magazin
Beruf. Onlinerecherche

Jäger der Datenspuren
Investigative Recherche
wird im Netz zunehmend
zum Hobby ambitionierter
Amateure. Die freiwillige
Community hat viel
Zeit – und ist Redaktionen
deshalb oft voraus.
Chance oder Konkurrenz
für den Journalismus?

A
            n einem Montag im April
            dreht Julia Bayer wieder
            einmal den Spieß um: Ob-
            wohl die Journalistin selbst
            die Antwort kennt, stellt sie
um 11:59 Uhr das Foto eines Pappschilds
vor einem leeren Laden auf Twitter und
fragt die Netzgemeinde, was da wann
und wo aufgenommen wurde. Spielt es
für diese Geschichte eine Rolle, dass es
ein April-Montag war? Überhaupt nicht.
Bei Quiztime, einem auf Twitter bekann-
ten Spiel, allerdings schon: Hier dreht
sich alles um Zeit- und Geodaten. Quiz-
time animiert jeden Tag dazu, ein Rätsel
mittels Onlinerecherche zu lösen. Schon
tags darauf kommentiert „Devil873“ mit
„Wiener Straße 22, 10999 Berlin around
25.03.2021“, der Nutzer „Kino“ legt zu-
dem seinen Rechercheweg offen.               in liegt deren Macht. Hinzu kommt die        Henk van Ess: Der Niederländer und
  „Das Spiel habe ich auf einer Bahnfahrt    enorme Datenmenge im Netz. Was spie-         ehemalige Bellingcat-Mitarbeiter gilt als
von Köln nach Bonn erfunden, als ich         lerisch erscheint, ist für manche Recher-    Guru in der OSINT-Szene.
spontan ein Foto für ein Recherchese-        chen unabdingbar geworden.
minar hochgeladen habe“, sagt Bayer, 38        Nach dem Sturm auf das US-Kapitol am
Jahre alt und Investigativjournalistin bei   6. Januar waren es etwa Netzwerke von
der Deutschen Welle. Kaum in Bonn an-        Usern wie Kino und Devil873, die zahl-       Informationsfluten profilieren können.
gekommen, hatte sie schon die Antwort        reiche der Aufrührer identifiziert ha-       Wächst hier also eine neue Konkurrenz
eines Twitternutzers erhalten. Auch Kino     ben – deutlich schneller als traditionelle   heran?
und Devil873 sind wahrscheinlich eher        Medien und sogar die Ermittlungsbehör-        Anruf bei einer Koryphäe: Henk van
nicht Journalistinnen wie Bayer, sondern     den. Crowdsourcing heißt es, wenn der        Ess bietet für das Gespräch sein „Ru-
gehören einer Community an, die sich im      Schwarm gemeinsam das Internet nach          di-Carrell-Deutsch“ an. Der Niederlän-
Netz unter dem Schlagwort „Open Source       Quellen durchforstet. Auch das bekann-       der hat für Bellingcat gearbeitet und gilt
Intelligence“ (OSINT) sammelt. Der Be-       teste Recherchenetzwerk Bellingcat be-       weltweit als Experte in der Faktencheck-
griff stammt aus der Welt der Nachrich-      steht hauptsächlich aus Freiwilligen, die    und OSINT-Community. „Freiwillige ha-
                                                                                                                                        Foto: Bram Budel

tendienste und steht für im Netz frei zu-    nicht journalistisch ausgebildet sind. Re-   ben etwas, das viele Medien nicht ha-
gängliche Informationen. In Deutschland      cherchieren, das ist aber das Grundhand-     ben“, sagt van Ess: „Zeit.“ Er ist ein Fan
ist die Szene eher übersichtlich, poten-     werk im Journalismus – eine Fähigkeit,       der „Bürgerrecherche“. Regelmäßig bin-
ziell kann aber die ganze Welt bei solch     mit der sich professionelle Journalistin-    det er die Öffentlichkeit ein, wenn eine
einer Recherche mitmachen. Und dar-          nen und Journalisten in Zeiten digitaler     Suche stockt, zum Beispiel, weil sie nach

32                                                                                                                            02.2021
VOLONTÄRIN WURDE ICH VOM CHEFREDAKTEUR ANGEFASST" - Medium Magazin
Iran führt. Dabei machen unterschiedli-       Der Vorteil: „Mit digitaler Fußarbeit kann     recht aufzuzeigen. Als Julia Bayer zu den
che Menschen mit: Das können Leute vor        mehr erledigt werden und es gibt für je-       sogenannten Umerziehungslagern für die
Ort sein, die Erkenntnisse aus dem Netz       des Thema Experten“, sagt Stegers. „Die        Uiguren in China recherchierte, stieß sie
überprüfen, oder „der Vater, der für den      legen Datenbanken für die verrücktesten        auf öffentliche Ausschreibungen für Bau-
Bundesnachrichtendienst arbeitet und          Dinge an.“ Zum Beispiel für alle Brücken       aufträge. Ein Whistleblower hatte die
abends zur Entspannung eine OSINT-            über den Rhein mit Länge, Baujahr, wann        „KarakaxList“ geteilt, ein Dokument, in
Challenge löst, statt Netflix zu gucken.“     sie erneuert wurden. Diese Expertise hilft.    dem unter anderem vier Lager erwähnt
  Das Verhältnis zwischen OSINT-Com-            Allerdings wirft OSINT auch ethische         wurden. In diesen soll die muslimische
munity und Medien würde van Ess den-          Fragen auf, mit denen sich der Journalis-      Minderheit in der Region Xinjiang umer-
noch als symbiotisch bezeichnen: Die          mus beschäftigen muss: Gerade, wenn es         zogen werden. Bayers Aufgabe: Sie muss-
Zusammenarbeit bringt Namensbe-               um die Identifizierung von Personen geht       te die Liste verifizieren. „In China werden
kanntheit für die einen, Recherchekennt-      und eine Crowd recherchiert. Falschver-        die Lager ‚Ausbildungszentren‘ genannt“,
nisse für die anderen. „Ich könnte frech      dächtigungen, öffentliches Teilen von Na-      sagt Bayer, „für die gab es Bauaufträge.“
sagen, der ,Spiegel‘ bekommt viel Recher-     men – das komme immer wieder vor, sagt         Und die wiederum waren im Netz öffent-
che für wenig Geld“, sagt er über die Er-     Stegers. Einen Kodex gäbe es nicht, wie        lich zu finden. Satellitenbilder zeigten zu-
kenntnisse zum sogenannten Tiergar-           auch, bei einer riesigen Netzgemeinde. Er      dem die Camps – samt Wachtürmen und
tenmord an Zelimkhan Khangoshvili.            sei vorsichtig und entscheide individuell,     Stacheldraht. Selbst ein verschwiegenes
Bellingcat hatte entscheidende Informa-       dann fragt er sich: „Wo hört die Recherche     Regime verrät sich also manchmal durch
tionen zum mutmaßlichen Mörder, dem           auf und wo fängt das Doxing an?“               so etwas Bürokratisches wie eine Aus-
russischen Agenten Vadim Krasikov, ge-          Eine Grauzone ist auch in anderer Hin-       schreibungspflicht.
sammelt, der Khangoshvili im August           sicht erreicht: Bellingcat beispielsweise
2019 in Berlin erschossen hatte. Die Ge-      teilt Erkenntnisse mit Polizei und Ermitt-
schichte werden die meisten Menschen          lungsbehörden, um Straftäter zu fassen.
aber letztlich im Magazin gelesen haben,      Ein Vorgehen, das im Journalismus hoch         TOBIAS HAUSDORF
nicht bei Bellingcat.                         umstritten ist.                                arbeitet als freier Journalist in Berlin.
  „Manche können eben nicht so gut              In vielen Gegenden der Welt wird es al-      @tohausdorf
schreiben, dafür besser Onlinequellen         lerdings erst durch OSINT möglich, Un-
suchen und Daten analysieren“, sagt van
Ess. Sein Tipp an Redaktionen lautet des-
halb: „Reporter könnten schon etwas ihre
Arroganz ablegen.“ Es gebe genug Leute,
die schlauer, schneller oder kompetenter
seien. „Und warum nicht das Publikum                  OPEN SOURCE INTELLIGENCE
bei Fragen einbeziehen?“, sagt er. Wo an-
dere Journalisten vorsichtig wären, kennt             Die 5 wichtigsten Tools
er keine Scheu.
  Immerhin: Die Techniken sind in den                 Empfohlen von Henk van Ess                  3 Für die Bestimmung der Aufnah-
Redaktionen angekommen: Satelliten-                   und Fiete Stegers                               mezeit von Bildern und Videos ist
bilder und Landkarten auswerten, Bil-                                                                 sonnenverlauf.de praktisch: Die
der umgekehrt suchen und Schiffsbewe-                 „Das Wichtigste ist die Fähigkeit,              Seite kann den Sonnenstand von
gungen tracken – ein Investigativressort              für eine Recherchefrage auch das                jedem Ort der Welt zu jeder Zeit
kann ohne diese Methoden kaum mehr                    richtige Tool anzuwenden“, sagt                 anzeigen.
arbeiten. Doch eine Entwicklung sei für               Henk van Ess. Manchmal brauche
den Journalismus tatsächlich gefährlich:              es auch gar keines, nur Kreativität.        4 Mit graph.tips lässt sich Face-
Viel Expertise geht verloren und wandert                                                              book systematisch durchsuchen.
aus der Branche ab. „Die Medien haben                 1 „Internet Archive“ – der Name                 Nicht besonders gut erklärt, „ein
es liegen gelassen“, sagt Henk van Ess.                  sagt alles: 1996 hat die Non-                Nerdtool“ laut van Ess, aber mit
„Mittlerweile wollen auch andere Akteu-                  Profit-Organisation angefangen,              nützlichen Filterfunktionen.
re selbst Recherchefähigkeit zur Verfü-                  auf web.archive.org das Internet
gung haben: Greenpeace, Human Rights                     zu archivieren. Mit der „Wayback         5 Overpass-turbo.eu ermöglicht
Watch, Anwaltskanzleien.“                                Machine“ können frühere                      systematische Anfragen bei
  OSINT ist mittlerweile häufig auch Be-                 Versionen einer Website                      OpenStreetMap. Zum Beispiel:
standteil der journalistischen Ausbildung.               aufgerufen werden, selbst                    Zeige alle Supermärkte auf Sizi-
Der Journalist und Trainer Fiete Stegers                 gelöschte Seiten.                            lien an oder alle Shell-Tankstellen
tauchte tiefer in die Community ein, als er                                                           Deutschlands.
die NDR-Volos in Onlinerecherche schul-               2 Umgekehrte Bildersuche mit
te. Mit dem Arabischen Frühling sei sein                 Yandex: Wer die Herkunft von
Interesse dann noch mehr gestiegen: Als                  Bildern untersucht, bekommt mit
Teil eines „Tagesschau“-Teams analysier-                 der russischen Suchmaschine
te er Social-Media-Bilder und -Videos aus                oft konkretere Ergebnisse als bei
den Regionen und schulte Kolleginnen.                    Google.

02.2021                                                                                                                                  33
Dossier Zuhören

Verdienen wir
ihre Geschichte?
Zuhören ist mehr als das, was man mit den
Ohren macht. Besonders im Umgang mit
Menschen, die für Journalisten ihr Innerstes
nach außen kehren. Auch Jasmin S. hat ihre
Geschichte in den Medien erzählt. Und sich
dabei oft missverstanden gefühlt.

TEXT UND FOTO:   Samantha Zaugg

                 J
                           asmin S. sitzt in der Sonne und wartet. Ne-       Woran sie sich vor allem erinnert, ist die Über-
                           ben ihr steht ein großer Rucksack. Da drin      treibung: „Es wird immer alles so dramatisiert.“ Die
                           ist ihre ganze Praxis. Sie arbeitet selbst-     Journalisten suchten Bestätigung für ein Bild, das
                           ständig als Podologin, macht Hausbesuche        sie schon im Kopf hatten: „Sie wollen hören, wie
                           und ist deshalb mit viel Gepäck unterwegs.      schlimm die Dinge sind, die wir erlebt haben, wie
                 Um ihre Familie zu schützen, tritt Jasmin S. nicht mit    schlimm es im Heim war und wie die Behörden ver-
                 ihrem vollen Namen auf. Sie kommt direkt von der          sagt haben. Ich finde, man sollte Geschichten nicht
                 Arbeit, erzählt von den alten Menschen, bei denen         so pauschal erzählen. Aber oft gibt es ein Schema
                 sie Hausbesuche macht. Sie seien oft einsam und das       und dann wird das so gemacht.“
                 sei schade. S. will heute von dem erzählen, was sie         Ein Beispiel: Im Rahmen einer Aktionswoche gibt
                 mit Medien und Journalisten erlebt hat. Sie hat nie       Jasmin S. ein Interview. Die Journalistinnen erlebt
                 in einer Redaktion gearbeitet, sie hat nie Kommuni-       sie als sehr einfühlsam. Sie fühlt sich sicher, kann
                 kationswissenschaft studiert. Daher spricht sie nicht     gegenlesen, mehrmals Korrekturen anbringen. Al-
                 von Framing oder Newswert, auch wenn es genau             les gut so weit. Bis sie auf Facebook den Social-Me-
                 um diese Themen geht. Jasmin S. weiß, wie es sich         dia-Teaser für den Beitrag sieht. Da steht: Sie leidet
                 anfühlt, Journalistinnen und Journalisten gegen-          bis heute. „Damit hatte ich sehr Mühe. Ich arbeite
                 überzusitzen, sie hat sich aus diesen Erfahrungen         vereinzelt auch mit Fachstellen und berate sie. Und
                 ein reflektiertes Wissen erarbeitet. Jasmin S. wuchs      wenn die das lesen, denken sie, die ist zu labil, mit
                 in einer suchtbelasteten Familie auf. Schon als jun-      der wollen wir sicher nicht zusammenarbeiten.“ Ob-
                 ger Mensch hat sie schwierige Situationen erlebt und      wohl der Social-Media-Text später geändert wurde,
                 gemeistert. In der Schweiz, wo Jasmin S. lebt, ist ihre   blieb ein komisches Gefühl.
                 Kindheit schon einige Male öffentlich verhandelt
                 worden, der Verband Sucht Schweiz hat sie an Re-          Opfer, Opfer, Opfer
                 daktionen vermittelt. Jasmin S. wollte ihre Stimme        „In so einer Situation erfährt eine Person Kontroll-
                 nutzen, um auf die Schicksale der Kinder aufmerk-         verlust und Ohnmacht“, sagt Marie Anaïs Zottnick.
                 sam zu machen, die das Gleiche erleben wie sie frü-       Sie ist Psychotherapeutin am Institut für Trauma-
                 her. Doch dabei lief vieles schief.                       bearbeitung in Frankfurt. Für Betroffene sei es be-

42                                                                                                                        02.2021
JASMIN S.:
„Sie wollen hören,
wie schlimm die
Dinge sind, die
wir erlebt haben,
wie schlimm es im
Heim war und wie
die Behörden
versagt haben.
Ich finde, man
sollte Geschichten
nicht so pauschal
erzählen. Aber oft
gibt es ein Schema
und dann wird das
so gemacht.“

02.2021              43
PERSONAL BRANDING

Journalisten
                                         INHALT
                                         Einleitung: Die Macht der eigenen Marke      2-3
                                         Standpunkt-Fragen                            4-5

Werkstatt                                Sichtbar werden mit Relevanz
                                         Umgang mit Gegenwind
                                         Kristine Schmidt: „Ein riesiger Vorteil“
                                                                                      6-8
                                                                                         9
                                                                                    1 0-11
                                         Nachgefragt – sechs Fallbeispiele          12-15
                                         10 Bausteine zur Markenbildung                 15

 Personal
 Branding
 Tipps zur Selbstvermarktung im Journalismus

                                                                                        1
PERSONAL BRANDING

                               Die Macht
                           der eigenen Marke
                               Warum es sich als Journalistin oder Journalist lohnt,
                                   in Personal Branding Zeit zu investieren.
                                                                                                                                                                       FOTOS: ADOBE STOCK, CHRISTOPHER GRIGAT

    Julian Heck unterstützt als Personal-Branding-Berater Selbstständige und Unternehmer bei ihrer Positionierung und Selbstvermarktung. Als Journalist hat er u. a.
    mit knapp 20 die hyperlokale Onlinezeitung weiterstadtnetz.de gegründet und gehört zum „Top 30 bis 30“-Jahrgang 2012. Heute schreibt und podcastet er über
                   Personal Branding und Social Selling mit Linkedin. Besonders wichtig ist ihm seine Botschaft: „Bleib dir treu!“ https://julianheck.de

2
PERSONAL BRANDING

Wer gesehen werden möchte, muss sich sehen lassen. Journa-              erhöht nicht nur die Chancen bei der Anfrage für einen Auftrag,
listinnen und Journalisten sind längst nicht mehr nur Teil einer        sondern steigert sogar die Wahrscheinlichkeit, vom Auftraggeber
Medienmarke – egal ob angestellt oder selbstständig. Sie kön-           direkt angesprochen zu werden. Personal Branding ist somit
nen sich insbesondere jetzt im Social-Media-Zeitalter selbst zu         indirekt ein Instrument zur Kundengewinnung.
einer Marke machen mit Vorteilen für sich und Arbeit- oder                Bei Angestellten sieht das etwas anders aus. Sie brauchen
Auftraggeber. Personal Branding hat das Potenzial, wirklich             keine neuen Aufträge – mal abgesehen von einer nebenberuf-
etwas zu bewegen.                                                       lichen Selbstständigkeit, sondern sie können mit gelungenem
  Aber was bedeutet Personal Branding eigentlich? Dahinter              Personal Branding ihr Ansehen beim Arbeitgeber verbessern
verbirgt sich kein neuer Trend. Im Grunde betreiben viele               und die eigene Attraktivität für neue Jobs steigern. Schließlich
Medienschaffende, wie auch Selbstständige in anderen                    zeigt jemand durch die Online-Aktivität kontinuierlich Live-
Bereichen, Unternehmer und Angestellte schon lange eine Form            Arbeitsproben.
von Personal Branding – manchmal, ohne von Personal Branding              Ganz abgesehen von wirtschaftlichen Auswirkungen für den
etwas zu wissen. Sie vermarkten sich und ihre Leistung teils            eigenen Geldbeutel profitieren Medienschaffende aber doppelt.
intuitiv und sprechen über Themen, die interessieren. Dadurch           Sie können über ihre Marke auch einen starken, direkten Draht
werden sie als Person – bewusst oder unbewusst – zu einer               zu Lesern, Hörern oder Zuschauern aufbauen und damit das
Marke. Personal Branding ist der strategische Prozess des               Ohr direkt beim Konsumenten haben. Das wiederum eröffnet
Markenaufbaus und der Markenführung als Mensch.                         neue Räume zur Recherche.
  Im Unternehmenskontext, also dem Corporate Branding, ist                Personal Branding ist allerdings viel mehr, als ein paar Social-
das längst geübte Praxis. Apple, Tesla oder Nike sind Beispiele         Media-Posts zu veröffentlichen. Wir sprechen hier von
für große Marken. Sie stehen für ein Thema – zum Beispiel               strategischer Markenführung – von der Positionierung über
Computer, Autos oder Sport – und bestimmte Eigenschaften                Themen und sich als Persönlichkeit bis hin zu konkreten
– etwa Design, Innovation und Ermutigung. All diese Marken              Schritten, die Zielgruppe mit den eigenen Botschaften zu
haben eine große Community um sich herum und noch mehr                  erreichen.
als das: Sie haben Fans.                                                  Nutzen Sie die Tipps aus dieser Werkstatt als Sprungbrett ins
  Einzelne Personen sind natürlich nicht mit einem Unternehmen          Personal Branding oder einfach nur zur Selbstüberprüfung: Wo
wie etwa Tesla zu vergleichen, aber es gibt durchaus Parallelen.        stehen Sie und wofür wollen Sie stehen?
Denn auch und vielleicht sogar gerade im Personal Branding                Und gewinnen Sie mit Ihrer Präsenz das Vertrauen anderer
von Medienschaffenden geht es darum, für etwas zu stehen                Menschen – nicht des Personal Brandings halber, sondern weil
und Menschen anzusprechen, die zur eigenen Zielgruppe passen.           Sie etwas zu sagen haben.
Das bedeutet aber zunächst: Wer sich selbst als Marke etablieren
möchte, braucht innere Klarheit und gezielte Sichtbarkeit.
  Im Grunde sind sogar all diejenigen Journalisten und                  Z U D I E S E R W E R K S TAT T
Journalistinnen, die von anderen indidivuell wahrgenommen
werden, schon eine jeweils eigene Marke – obwohl die Person             Wofür stehen Sie?
selbst vielleicht nicht mal aktiv anstrebt, eine zu sein. Jeff Bezos,
der Amazon-Chef, hat das mal gut auf den Punkt gebracht:                Die Pandemie stellt vieles infrage – bei nicht wenigen auch den
„Eine Marke ist das, was andere über sie sagen, wenn sie nicht          eigenen beruflichen Weg. Das monatelange Arbeiten unter
im Raum ist.“                                                           Lockdown-Bedingungen im Homeoffice lenkt den Blick
  Darauf haben wir zwar erst einmal keinen direkten Einfluss,           zwangsläufig vom Wir auf das eigene Ich. Es gibt wohl niemanden,
aber wir können dennoch bis zu einem gewissen Grad steuern,             der sich nicht irgendwann in diesen Tagen fragt: Wie soll es
wie wir „im Außen“ wirken möchten. Positionieren wir uns                weitergehen? Und wie stelle ich die richtigen Weichen, um mich in
nicht selbst, positionieren uns andere in ihren Köpfen.                 und nach der Krise zu behaupten?
  Die Google-Suchergebnisse machen das schön anschaulich:               Wir haben uns deshalb für diese Werkstatt das Thema Perso-
Wenn jemand Ihren Namen googelt und auf der ersten Seite                nal Branding vorgenommen – also Mittel und Wege zu einer erfolg-
nichts über Sie findet, sind Sie digital quasi nicht existent. Wenn     reichen journalistischen Personenmarke. Unser Autor Julian Heck
jemand etwas über Sie findet, was andere geschrieben haben,             beschäftigt sich schon lange mit diesem Thema und der gerade im
kann das für Sie gut oder auch schlecht ausgehen, je nach Be-           Journalismus zentralen Frage: Wofür will ich eigentlich stehen? Das
richterstattung. Wenn Sie sich aber als Personenmarke selbst            Thema hat ihn so fasziniert, dass er dazu sogar ein eigenes
sehen, überlassen Sie das nicht mehr dem Zufall, sondern Sie            Unternehmen gegründet hat: die TrueBrand-Academy.
tun aktiv etwas dafür, die Ergebnisse auf Seite eins bei Google         Damit beweist er am eigenen Beispiel, was gute Selbstvermark-
durch eigene Inhalte positiv zu beeinflussen. Personal Branding         tung bewirken kann. Es muss ja nicht gleich ein Start-up sein. Aber
hat also sehr viel mit gezielter Wirkung zu tun.                        wenn diese Werkstatt Ihnen dabei hilft, sich im Markt und auch in
  Für Journalistinnen und Journalisten hat die Investition in           der eigenen Redaktion gut und womöglich noch besser zu
den eigenen Markenaufbau viele Vorteile. Wer freiberuflich              behaupten, würden wir uns freuen.
tätig stets darum bemüht sein muss, neue Aufträge an Land zu
ziehen, dem hilft die bewusste Sichtbarkeit bei potenziellen            Annette Milz, Herausgeberin
Auftraggebern, deren Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das             „medium magazin“ und „Journalisten-Werkstatt“

                                                                                                                                         3
Ende der E-Paper Vorschau.

        Sie wollen
       weiterlesen?
         Bestellen Sie jetzt das komplette Heft
            als Printausgabe oder E-Paper.

                     ZUM SHOP

          Das Medium Magazin ist auch als Abo
         inkl. Journalisten Werkstatt erhältlich.

                  VORTEILE ENTDECKEN

                       Infos und Kontakt
                     vertrieb@oberauer.com
                       www.oberauer.com
Sie können auch lesen