Personalisierte Fortpflanzungsmedizin - Frauenheilkunde ...

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Fortpflanzungsmedizin up to date                                                                               30/2/2021

                                                                                                      Prof. Michael K. Hohl
                                                                                                      Kinderwunschzentrum
                                                                                                                     Baden

Personalisierte Fortpflanzungsmedizin

Personalisierte („precision“-Medizin) (PM) könnte               Auch bei Refertilisationen nach Tubensterilisationen
man im Grunde genommen auch eine „massgeschnei-                 ergaben sich sehr hohe Schwangerschaftsraten (über
derte“ Therapie nennen. Der Begriff stammt aus der              90 % SS) falls ein Eileiter länger als 6 cm, der männliche
Onkologie und eine personalisierte Therapie (u. a.              Faktor normal und das Alter der Patientin unter 40 ist.
Medikamente) stützt sich dort auf genetische Analy-
sen des Tumors, wodurch präzisere und besser wirk-              In diesem Sinne empfahl auch vor Kurzem die Ameri-
same Medikamente eingesetzt werden können.                      kanische Fertilitätsgesellschaft ASRM ein individuali-
                                                                siertes Vorgehen (Precision-Medizin).
                                                                – tubare Kannulierung bei proximalem Verschluss
Einige bereits heute umgesetzte Beispiele der PM                – laparoskopische Rekonstruktion bei prognostisch
                                                                    günstigen distalen Eileiterverschlüssen bei jungen
•   Individualisierte Follikelstimulation bei IVF/ICSI              Frauen
Für eine individuelle Behandlungsempfehlung sollten             – mikrochirurgische Refertilisierung bei Status nach
die Wünsche des Paares, die Sterilitätsursache und                  Tubensterilisation als Methode der Wahl
allenfalls vorhandene Ängste berücksichtigt werden.             (Practice Committee of the ASRM Fertil. Steril. 2021;
So kann mit dem Paar zusammen entschieden werden,               115:1143-50)
ob eine künstliche Befruchtung im natürlichen Zyklus
(IVF-Naturelle©) oder ein mit Medikamenten stimu-               Dies entspricht dem Vorgehen im Kinderwunschzen-
lierter Zyklus sinnvoll ist. Die Wahl der Medikamente           trum Baden.
und insbesondere der Dosierung stützt sich heute auf
messbare Parameter der Patientin ab wie das Alter,              •   ERA (Endometrial Receptivity Analysis)
antral follicle count (AFC), Anti-Müller-Hormon,                Die Hoffnung bestand insbesondere bei Frauen mit
Body-Mass-Index (BMI) etc.                                      wiederholtem Implantationsversagen nach IVF, den
                                                                individuellen optimalen Zeitpunkt der Einnistung des
•   Wahl der Therapie bei Eileiterpathologie                    Embryos festzulegen durch Bestimmung des „Window
Nur noch wenige Kinderwunschzentren bieten heute                of Implantation“ basierend auf einer mittels Microar-
die plastisch-chirurgische Rekonstruktion verschlosse-          ray ermittelten transkriptomischen Signatur.
ner Eileiter (proximal, distal, nach Sterilisation) an.
Stattdessen wählen sie eine Okklusion oder Entfer-              Dies wäre dann ein perfektes Beispiel einer personali-
nung derselben gefolgt von einer In-vitro-Fertilisation.        sierten Precision Medizin. Erste und weitere Untersu-
Andererseits hat – insbesondere bei jungen Frauen –             chungen wiesen in diese Richtung (Miravete-Valenci-
die Wiederherstellung der natürlichen Fertilität durch          ano, J.A. et al., Curr Opinion Obstet Gynecol. 2015;
mikrochirurgisch-rekonstruktive Chirurgie (meistens             27:187).
laparoskopisch) nicht nur psychologische Vorteile. Bei
guter Selektion (Tuben mit guter Prognose: z. B. bei            Die erste randomisierte multizentrische Studie zu
Sactosalpinx ohne Wandfibrose, ohne intratubare                 ERA wurde jedoch stark kritisiert wegen methodi-
Adhäsionen oder Kompartimentbildung) erzielten wir              schen Mängeln, und da in der Intention to Treat-Ana-
nach Operation relativ hohe kumulative Schwanger-               lyse keine Unterschiede hinsichtlich Lebendgeburten-
schaftsraten (ca. 50 % innert 1–2 Jahre, eigene Erfah-          rate (LBR) festgestellt wurden. Nur die kumulative
rungen).                                                        LBR-Rate nach 12 Monaten war erhöht.

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30/2/2021                                                                                                                           Fortpflanzungsmedizin up to date

              Eine kritische Analyse der derzeit vorhandenen Daten                                                           •  PM beim Mann
              zum Thema ERA kam zum Schluss, dass der Nutzen                                                                 Bei Männern mit Azoospermie oder schwerer Krypto-
              des ERA-Tests bis heute nicht nachgewiesen ist, vor                                                            zoospermie stellt sich die Frage, ob eine Biopsie der Ho-
              allem zusätzliche Kosten verursacht und deshalb nicht                                                          den zur Spermienextraktion für ICSI (TESE) überhaupt
              empfohlen werden kann (Ben Rafael, Z., Hum.                                                                    erfolgsversprechend ist oder ob man primär eine Insemi-
              Reprod. Open 2021; 2:hoab010).                                                                                 nation der Frau mit Spendersamen empfehlen soll.

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schwere Leber- und Nierenerkrankungen. UW: Gelegentlich gastrointestinale Beschwerden, selten Überempfindlichkeitsreaktionen, selten allergische Reaktionen.
IA: Folsäureantagonisten, Antiepileptika, Kontrazeptiva, Analgetika in Dauertherapie, gleichzeitige Einnahmen von Tetracyclinen, Antacida, die Aluminium- oder Magnesium-
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salze enthalten, Zink, Colestyramin, Penicillamin, Goldverbindungen, Biphosphonate. P: 40 und 100 Filmtabletten. Liste D. 4/2020. Ausführliche Informationen finden Sie     Andreabal AG, 4123 Allschwil
unter www.swissmedicinfo.ch. Andreabal AG, Binningerstrasse 95, 4123 Allschwil, Tel. 061 271 95 87, Fax 061 271 95 88, www.andreabal.ch                                              www.andreabal.ch
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Fortpflanzungsmedizin up to date                                                                             30/2/2021

Vor einer Hodenbiopsie empfehlen wir:                         – einer der Partner eine dominant vererbte genetische
– Eine Hormonbestimmung (FSH, LH, Testosteron),                 Erkrankung (z. B.: Neurofibromatose, M.Hunting-
  da ein Hypogonadismus mit einer tieferen Erfolgs-             ton) hat
  rate bei der Hodenbiopsie einhergeht. Zudem sollte          – die Partnerin eine gesunde Trägerin einer X-Chro-
  ein hypogonadotroper Hypogonadismus vor der                   mosomalen Krankheit ist (z. B.: Duchenne Muskel-
  Biopsie mit einer Kombination aus FSH und LH                  dystrophie, Fragile-X-Syndrom)
  behandelt werden.
– Eine Karyotypisierung des Mannes (z. B. Identifi-           – PGT-A Screening (Aneuploidie-Screening)
  zierung eines Klinefeltersyndroms).                         Hier werden bei allen Blastozysten (Tag 5, evtl. 6)
– Molekulargenetische Abklärung des AZF (Azoo-                mehrere Trophektodermzellen entnommen und auf
  spermie Faktor, Variante a–c). Deletionen in der            Aneuploidien gescreent. Alle biopsierten Blastozysten
  Azoospermiefaktorregion werden in 5–10 % der                werden kryokonserviert und dann nur die euploiden
  Männer mit idiopathischer Azoospermie gefunden.             Embryonen später implantiert. Nach einer anfängli-
  Im Falle einer nachgewiesenen Deletion ist die              chen Euphorie ist der Wert dieser Methode in der kli-
  Wahrscheinlichkeit, Spermien in der Hodenbiopsie            nischen Praxis heute sehr umstritten. Im Vordergrund
  zu finden, deutlich vermindert. So besteht bei einer        der Kritik steht eine mögliche Schädigung der Embry-
  Deletion von AZFa ein Sertoli cell only syndrome            onen durch die Trophektodermbiopsie selbst und neu-
  und es können keine Spermien in der Hodenbiopsie            este Erkenntnisse, dass das Ergebnis (Aneuploidie) der
  gefunden werden.                                            Trophektodermzellen nicht unbedingt mit derjenigen
                                                              des Embryos (keine Aneuploidie) übereinstimmt. Des-
•   PGT (Präimplantationsgenetische Testung)                  halb raten namhafte Experten zurzeit von einer
Heute unterscheidet man die PGT-A (Untersuchung               Anwendung der PGT-A ab.
der Embryonen auf numerische chromosomale Aber-               (Paulson, RJ, Hum. Reprod. 2020; 35:490–3) (Yang,
rationen, Aneuploidien) von der PGT-M (Präimplan-             M et al., Nature Cell Biol 2021; 23:314–21)
tationsdiagnostik bei monogenetischen Erkrankun-
gen).                                                         Zukünftige Beispiele der PM

– PGT-M                                                       •   Fertilitätsprotektion bei genetischer Veranlagung zur
Man kennt heute ca. 7000 monogenetische Erkran-                   vorzeitigen Ovarialinsuffizienz (prämature Ovarial-
kungen wobei bei etwa der Hälfte die Gene identifi-               insuffizienz, POI)
ziert worden und somit einer Diagnostik zugänglich            Gut etabliert ist die Fertilitätsprotektion durch Kryo-
sind. Wir wenden diese bei Paaren an wo:                      konservierung von Eizellen aus sozialen Gründen
– beide Partner Träger der gleichen rezessiv vererbten        (Verschiebung des Kinderwunsches nach hinten, soge-
    genetischen Erkrankung sind (z. B.: Thalassämie           nanntes „Social Freezing“) oder vor onkologischen
    oder Mukoviszidose)                                       Therapien (Oozyten oder Ovargewebe, Spermien).
– das Paar bereits ein Kind hat mit einer genetisch           Auch Frauen mit POI könnten von einer frühzeitigen
    bedingten Krankheit                                       Kryokonservierung profitieren.
– bei der genetischen Analyse (Trägerscreening) sind
    beide Partner Träger der rezessiv vererbten Krank-        Eine POI hat eine Prävalenz von ca. 1 % (Hum.
    heit                                                      Reprod 2016; 31:926).

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30/2/2021                                                                 Fortpflanzungsmedizin up to date

Das Problem ist, dass bei Diagnosestellung der Zeit-          Umso mehr als neuerdings in einer Metaanalyse eine
punkt zur Fertilitätsprotektion bereits überschritten         Assoziation zwischen BRCA-Mutationen und vermin-
ist. Das Interesse konzentriert sich deshalb auf jene         derter Ovar Reserve festgestellt wurde (niedriges
10 % der POI, welche eine genetische Ursache haben.           AMH) (Turan, V et al., J. Clin. Oncol. 2021; doi:
Dank genome wide association studies (GWAS) kennt             10.1.1200/JCO, 20.02880).
man heute über 17 Loci die assoziiert sind mit einer
frühen Menopause und primärer Ovarialinsuffizienz             Zukünftige Entwicklungen
(Peri, JRB et al., Hum. Mol. Genet. 2013; 22:465).
                                                              Genetische Defekte spielen definitiv eine Rolle bei Ste-
Die häufigste chromosomale Anomalie, die zu POI               rilität/Infertilität. Heute rechnet man, dass ca. 15–30 %
führt, ist das Turner Syndrom (X0), während „fragile          der männlichen Infertilitätsfälle auf genetische Fakto-
X“ (FMRI) auf dem x-Chromosom die längste Gen-                ren zurückgehen (Neto, FTL et al., Curr. Urol.
anomalie ist. Typischerweise kommen Frauen mit                Reports 2016; 17:70–80).
einem Turner Syndrom (X0), welche spontan puber-
tieren, bereits mit durchschnittlich 29 Jahren in die         Bei Frauen sind diese meist polygenetisch, was die
prämature Menopause. In diesen Fällen ist eine Ferti-         Situation nicht vereinfacht.
litätsprotektion frühzeitig in Betracht zu ziehen.
                                                              Die Frage ist nur, inwieweit diese eine praktische Rele-
•   BRCA-Mutationen                                           vanz haben (siehe oben genannte Beispiele).
Da bei BRCA-1-Mutationen heute eine Adnexektomie
um das 40. Lebensjahr empfohlen wird (bei BRCA-               Derzeit sieht es so aus, dass erst wenn es gelingt, sper-
2-Mutationen zwischen 45 und 50), stellt sich auch            matogoniale bzw. oogoniale Stammzellen zu isolieren
hier die Frage der Fertilitätsprotektion, welche unse-        und zu züchten völlig neue Therapien entwickelt wer-
rer Meinung nach auch im Rahmen einer genetischen             den können.
Beratung von BRCA-Trägerinnen einfliessen müsste.                                                                    ■

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