Pestizide und unsere Gesundheit - DIE SORGE WÄCHST RESEARCH LABORATORIES Mai 2015
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Inhalt Zusammenfassung3 1. Einführung 6 1.1 Pestizide in der Landwirtschaft 6 1.2 Wo sind wir Pestiziden ausgesetzt? 9 1.3 Besonders exponierte und anfällige Personengruppen 15 2. Gesundheitliche Auswirkungen von Pestiziden 18 2.1 Auswirkungen der pränatalen (fötalen) Exposition und der Exposition im Kindesalter 18 2.2 Pestizide und Krebserkrankungen bei Erwachsenen 26 2.3 Pestizide und Schädigungen des Nervensystems 30 2.4 Auswirkungen auf das Immunsystem 33 2.5 Auswirkungen auf das Hormonsystem 33 2.6 Pestizidvergiftung 34 3. Industrielle Landwirtschaft – Auswirkungen auf natürliche Lebensräume 36 4. Schlussfolgerungen 38 5. Die Lösung 40 6. Literatur 44 Bild: Auf einer Teeplantage im indischen Kerala werden Pestizide gespritzt. © Greenpeace / Vivek M.
Zusammenfassung Seit 1950 hat sich die Bevölkerungszahl auf unserem Planeten verdoppelt. Die Ackerflächen zur Ernährung dieser Menschen sind jedoch lediglich um 10 Prozent gewachsen. Der Druck, Nahrungsmittel zu geringen Preisen bereit zustellen, ist enorm. Zugleich erregt der Zustand der Anbauflächen zunehmend Besorgnis, da der Boden seiner Nährstoffe beraubt wird. Zur kurzfristigen Lösung dieses Problems verlässt man sich in der grossflächigen Intensivland wirtschaft auf Düngemittel und Pestizide. Seit den 1950er-Jahren kommen synthetische Pestizide in der industriellen Landwirtschaft weltweit in grossem Umfang zum Einsatz. Im Lauf der Zeit haben viele dieser Chemikalien infolge ihrer grossflächigen und häufigen Anwendung – und in einigen Fällen auch aufgrund ihrer Umweltpersistenz – tief in unsere Umwelt eingegriffen. Einige werden derart langsam abgebaut, dass selbst seit Jahr zehnten verbotene Chemikalien, darunter DDT und seine Nebenprodukte, auch heute noch immer wieder in der Umwelt nachgewiesen werden. Infolge dieser Persistenz und der potenziellen Gefahren für Tiere und Pflanzen hat die Erforschung der Auswirkungen von Pestiziden in den vergangenen 30 Jahren exponentiell zugenommen (Köhler und Triebskorn 2013). Inzwischen ist klar, dass diese Auswirkungen weitreichend und vielfältig sind. Im gleichen Zeitraum sind auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Auswirkungen von Pestiziden auf die menschliche Gesundheit und ihre Wirkungsmechanismen rasch ge wachsen. Studien verdeutlichen statistische Zusammenhänge zwischen der Pesti zidexposition und einem höheren Risiko für Fehlentwicklungen, neurologische und immunologische Störungen sowie einige Krebsarten. Dennoch ist ein definitiver Nachweis, dass die Exposition des Menschen gegen über einem bestimmten Pestizid zu einer spezifischen Krankheit oder einer Verschlechterung des Gesundheitszustands führt, schwer zu erbringen. Es gibt keine Bevölkerungsgruppen, die Pestiziden überhaupt nicht ausgesetzt sind. Hinzu kommt, dass die meisten Krankheiten auf eine Reihe von Ursachen zu rückzuführen sind. So sind Bewertungen der öffentlichen Gesundheit eine enorm komplexe Angelegenheit (Meyer-Baron et al. 2015). Darüber hinaus sind die meisten Menschen in ihrem Alltag auf verschiedensten Wegen komplexen und sich stets verändernden Chemikaliengemischen ausgesetzt, die nicht nur Pestizi de umfassen. Diese toxische Belastung wird durch Pestizide noch verstärkt. P E S TIZID E U ND U NS E R E G E SUN DH EI T – DI E SO R G E WÄC H ST 3
Weitreichende gesundheitliche Auswirkungen Zu den gesundheitlichen Auswirkungen bei Kindern, die erhöhten Pestizidkonzentrationen im Mutterleib ausgesetzt waren, zählen eine verzögerte kognitive Entwicklung, Verhaltensveränderungen und Ge Besonders exponierte und burtsfehler. Auch hängt die Häufigkeit von Kinder leukämie eng mit der Exposition gegenüber anfällige Personengruppen Pestiziden zusammen. Durch die tagtäglich aufgenommene Nahrung ist Zudem haben Studien höhere Pestizidexpositionen die Allgemeinbevölkerung einem wahren Pestizid mit einer erhöhten Häufigkeit verschiedener Krebs cocktail ausgesetzt. In landwirtschaftlichen arten (Prostatakrebs, Lungenkrebs und anderer) sowie Gebieten, in denen Pestizide zum Einsatz kommen, neurodegenerativer Erkrankungen wie Parkinson landen diese Substanzen in der Luft, verschmutzen und Alzheimer in Zusammenhang gebracht. Darüber Boden und Wasserwege und werden gelegentlich hinaus gibt es Hinweise, dass einige Pestizide das von Nichtzielpflanzen systemisch aufgenommen. endokrine System und das Immunsystem im Körper Auch in Städten werden Menschen durch das Ver stören können. Zwar ist das Wissen über die sprühen von Pestiziden in Erholungsgebieten Mechanismen solcher Auswirkungen lückenhaft, einem Mix aus Chemikalien ausgesetzt. Der tägliche fest steht jedoch, dass in einigen Fällen Enzym Einsatz verschiedener Schädlingsbekämpfungs funktionen und wichtige Signalprozesse auf Zell mittel im Haushalt kann zudem Wohnbereiche und ebene unterbrochen werden können. Studien, Gärten kontaminieren. die mit DNA-basierten Methoden arbeiten, deuten zudem darauf hin, dass bestimmte Chemikalien Besonders exponierte oder anfällige Personen die Genexpression stören, was durch epigenetische gruppen sind beispielsweise: Vererbung in Generationen weiterwirken kann, die selbst keinen Pestiziden ausgesetzt sind. Die nega • Landwirte und Pestizidausbringer, insbesondere tiven Auswirkungen des Gebrauchs von Pestiziden Beschäftigte in Gewächshäusern, die bei der Arbeit können somit extrem langwierig sein und sich selbst grossen Mengen an Chemikalien ausgesetzt sind. dann noch fortsetzen, wenn die entsprechende Dies wurde durch im Blut und in den Haaren festge Substanz bereits verboten ist. stellte Konzentrationen eindeutig nachgewiesen. Dieser Report widmet sich dem immer umfang • Ungeborene und Kleinkinder. Wenn Schwangere reicheren Bestand an Forschungsmaterial über Pestiziden ausgesetzt sind, gehen einige dieser die bekannten und vermuteten Auswirkungen von Chemikalien direkt auf das ungeborene Kind im Pestiziden auf die Gesundheit des Menschen. Mutterleib über. Während seiner Entwicklung Dabei werden Nachweise zusammengetragen und reagiert der Fötus auf die toxischen Wirkungen von ausgewertet, die zeigen, wie die industrielle Land- Pestiziden besonders empfindlich. Kleinkinder sind wirtschaft und insbesondere der Einsatz synthetischer aufgrund ihrer erhöhten Expositionsraten generell Pestizide derzeit die Gesundheit von Landwirten, anfälliger als Erwachsene; sie kommen insbesondere ihren Familien und der weiteren Bevölkerung ge beim Krabbeln zu Hause stärker mit Oberflächen fährden. Auch unbekannte Unsicherheiten sowie in Berührung und stecken häufig ihre Finger in den widersprüchliche und noch nicht abgeschlossene Mund. Zudem sind die Körper von Kindern deutlich Arbeiten finden Berücksichtigung. Zu den vielen kleiner als die von Erwachsenen und können giftige aktiven Inhaltsstoffen, die potenziell gesundheits Substanzen noch nicht gut abbauen. schädlich sind, gehören die derzeit zugelassenen P E S TIZID E U ND U NS E R E G E SUN DH EI T – DI E SO R G E WÄC H ST 4
organischen Phosphorsäureester Chlorpyrifos Krebsarten, Entwicklungsstörungen bei Kindern, und Malathion. Chlorpyrifos wird regelmässig in neurologischen Funktionsstörungen, der Parkinson- Nahrungsmitteln und menschlicher Muttermilch Krankheit und Hypersensibilität in Zusammenhang nachgewiesen. Studien über die öffentliche Gesund steht. heit legen nahe, dass die Substanz mit zahlreichen Die Lösung: Ökologische Landwirtschaft Der einzig sichere Weg, unsere Exposition gegenüber giftigen Pestiziden zu verringern, ist die Umstellung auf einen langfristigen und nachhaltigen Ansatz zur Nahrungsmittelproduktion. Dies erfordert rechtsverbindliche, auf nationaler und internationaler Ebene umzusetzende Vereinbarungen über den unverzüglichen Ausstieg aus der Verwendung sämtlicher Pestizide, die für Nichtzielorganismen giftig sind. Eine grundlegende Veränderung unserer landwirtschaftlichen Ausrichtung impliziert einen Paradigmenwechsel weg von der industriellen Landwirtschaft, die nicht ohne chemische Hilfsmittel auskommt, hin zu einer flächendeckenden Einführung der ökologischen Landwirtschaft. Nur so können alle Menschen ausreichend ernährt und die Ökosysteme, in denen wir leben, geschützt werden. Die ökologische Landwirtschaft ist ein moderner und wirksamer Ansatz zur Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen, der ohne giftige Chemikalien auskommt und für gesunde und sichere Nahrungsmittel sorgt. Diese ökologisch aufgezogene Ackerbohne ist in Griechenland heimisch und enthält viel Eiweiss. © Greenpeace / Panos Mitsios P E S TIZID E U ND U NS E R E G E SUN DH EI T – DI E SO R G E WÄC H ST 5
1. Einführung Ein Arbeiter ohne Schutzkleidung, der nur eine Schutzmaske aus Papier trägt, sprüht Pestizide auf Gemüse pflanzen in einem Gewächshaus. © Greenpeace / Ángel Garcia 1.1 Pestizide in Was sind Pestizide? der Landwirtschaft Ein «Pestizid» ist im Wortsinn der Akt des Aus löschens einer Störung oder Seuche. Unter Der Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide in der chemisch-synthetischen Pestiziden versteht man Landwirtschaft nahm in den 1950er-Jahren seinen Substanzen oder Gemische, die zur Bekämpfung Anfang. Seither sind verschiedenste Arten von von Schädlingen eingesetzt werden, darunter Chemikalien verwendet worden. Pestizide auf der Insekten, Pilze, Schimmelpilze und Unkrautarten. Basis von chlororganischen Verbindungen, Die Substanzen sind auch unter der Bezeichnung organischen Phosphorsäureestern, Carbamaten «Pflanzenschutzmittel» bekannt. und Pyrethroiden kamen zu jener Zeit auf den Welt Häufig werden sie nach dem jeweiligen Zielschädling markt und markierten den Beginn der industriellen kategorisiert: Landwirtschaft (Grüne Revolution). In den seither ver- Insektizide: zur Insektenbekämpfung gangenen Jahrzehnten wurden weitere Pestizid Herbizide: zur Unkrautbekämpfung sorten auf dem Weltmarkt eingeführt, darunter die Fungizide: zur Pilzbekämpfung Neonicotinoide. Die industrielle Landwirtschaft Zusammengenommen decken diese Gruppen eine setzt zum Schutz der Ernten vor Schädlingen und sehr grosse Anzahl einzelner aktiver Inhaltsstoffe, Krankheiten und zur Ertragssteigerung inzwischen Rezepturen und Markennamen ab. Ferner werden immer mehr auf den Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide anhand ihrer chemischen Klasse kate Pestizide. gorisiert – z.B. Organophosphate (OP-Pestizide), Chlororganika (chlororganische Pestizide), Carbamate oder Neonicotinoide. P E S TIZID E U ND U NS E R E G E SUN DH EI T – DI E SO R G E WÄC H ST 6
1.1.1 Pestizidklassen Wichtige OPP sind unter anderem: Acephat, Chlorpyrifos, Coumaphos, Diazinon, Dichlorvos, Fonofos, Parathion, Malathion, Methylparathion, • ORGANOCHLORPESTIZIDE Phosmet. Chlorpyrifos und Malathion sind derzeit (CHLORORGANISCHE PESTIZIDE) in der EU zur Verwendung zugelassen und in den USA für den Einsatz im Haushalt verboten. Sie werden seit 1950 in der Landwirtschaft und im öffentlichen Gesundheitswesen eingesetzt. Mittlerweile wurde jedoch der Einsatz einiger dieser • CARBAMATE Substanzen wegen ihrer nachweislichen Toxizität Sie sind in der Regel neurotoxisch und ebenfalls für Nichtzielarten, darunter den Menschen, enorm Acetylcholinesterase-Hemmer. Einige wurden mit eingeschränkt oder ganz untersagt. Einige chlor nachteiligen Auswirkungen auf die Entwicklung organische Pestizide sind sehr stabile Verbindungen von Säuglingen und Kindern in Zusammenhang und deshalb in der Umwelt ausserordentlich lang gebracht (Morais et al. 2012). lebig, weil sie natürlichen Abbauprozessen wider- stehen. Aus diesem Grund werden mehrere nach Wichtige Carbamate sind unter anderem: Aldicarb, dem Stockholmer Übereinkommen von 2001 als Carbaryl, Methiocarb, Pirimicarb, Maneb und persistente organische Schadstoffe (Persistent Mancozeb (beides Dithiocarbamate), EPTC (S-Ethyl- Organic Pollutants, POP) klassifiziert. Zwar sind die N,N-dipropylthiocarbamat oder Thiocarbamat). Umweltkonzentrationen einiger Chlororganika mit Methiocarb, Pirimicarb, Maneb und Mancozeb sind der Zeit gesunken, viele lassen sich jedoch nach derzeit in der EU zur Verwendung zugelassen. wie vor als Verunreinigungen in verschiedensten Ökosystembereichen nachweisen, so im Boden, in Flusssedimenten, Sedimenten in Meeres- und • SYNTHETISCHE PYRETHROIDE Küstengewässern und sogar tief in den Ozeanen Diese stören Signalprozesse der Zellen (Ionenkanäle). und an den Polen (Willet et al. 1998). Einige wurden mit nachteiligen Auswirkungen auf die reproduktive Gesundheit des Mannes in Verbin Wichtige chlororganische Pestizide sind unter an dung gebracht und stehen im Verdacht, endokrine derem: Tetrachlorkohlenstoff, Chlordan, DDT, DDE, Störungen zu verursachen, indem sie sich auf die Dieldrin, Heptachlor, β-HCH, γ-HCH. Keine dieser Hormonfunktion auszuwirken (Koureas et al. 2012). Substanzen ist derzeit in der EU zur Verwendung zugelassen. Wichtige Pyrethroide sind unter anderem: Cyhalothrin, Cypermethrin, Deltamethrin, Permethrin. • ORGANOPHOSPHAT-PESTIZIDE (OPP) Cypermethrin und Deltamethrin sind derzeit in der EU zur Verwendung zugelassen. Die insektizide Wirkung bestimmter organischer Phosphorsäureverbindungen wurde bei militärischen Forschungen zu Nervengasen entdeckt. Seit dem • NEONICOTINOIDE Zweiten Weltkrieg werden zahlreiche Organophos phat-Pestizide (OPP) für den Einsatz in der Land Sie bilden eine jüngere Klasse von Pestizidklasse. wirtschaft vermarktet. OPP umfassen eine grosse Imidacloprid war beispielsweise 1985 erstmals im Vielfalt chemischer Strukturen. Aufgrund ihres toxi Handel erhältlich. Die Substanzen ähneln in ihrer schen Mechanismus zeigen diese Chemikalien als Struktur stark dem Nikotin und blockieren bestimmte Pestizide Wirkung: Sie hemmen ein wichtiges Zellsignalwege. Ausserdem wirken sie sich negativ Enzym (Acetylcholinesterase) im zentralen und peri auf die Entwicklung des Nervensystems aus (Kimura- pheren Nervensystem – eine Eigenschaft, auf die Kuroda et al. 2012). Weil sie im Verdacht stehen, auch ihre beobachtete Toxizität für Nichtzielarten für Wild- und Honigbienen giftig zu sein, hat die Eu teilweise zurückzuführen ist. ropäische Kommission einige Restriktionen erlassen. P E S TIZID E U ND U NS E R E G E SUN DH EI T – DI E SO R G E WÄC H ST 7
Wichtige Neonicotinoide sind unter anderem: Wirkungen in menschlichen Zelllinien und Auswir Clothianidin, Imidacloprid, Thiamethoxam. kungen auf die Fortpflanzungsfähigkeit vermutet (Gasnier et al. 2009, Cassault-Meyer et al. 2014). Glyphosat wird weltweit in grossem Massstab • CHLORACETAMIDE eingesetzt und ist aktiver Bestandteil von mehr als 750 verschiedenen Produkten, die in der Land- Sie können Fehlentwicklungen verursachen. und Forstwirtschaft, im städtischen Bereich und in Alachlor und Metolachlor sind in der EU nicht Haushalten angewendet werden. Mit dem Anbau mehr zugelassen. von «Roundup-Ready»-Kulturen, die genetisch so verändert wurden, dass sie gegen die Wirkung • PARAQUAT von Glyphosat resistent sind, ist die Verwendung dieser Substanz stark gestiegen. Das neurotoxische Herbizid stört die Photosynthese und ist in der EU nicht mehr zur Verwendung • WEITERE PESTIZIDE MIT UNTERSCHIED zugelassen. LICHEN CHEMISCHEN STRUKTUREN • GLYPHOSAT Weitere in der EU zur Verwendung zugelassene und auch anderswo eingesetzte Pestizide sind Der aktive Bestandteil von Roundup hemmt ein be unter anderem: Abamectin (Avermectin), Azoxystro stimmtes Enzym in Pflanzen. Die gesundheitlichen bin, Boscalid, Captan, Cyprodinil, Dicamba, Dinitrol, Auswirkungen sind nach wie vor umstritten, die Inter- Fipronil, Pendimethalin und Pyrimethanil. Zu den nationale Agentur für Krebsforschung (International Substanzen, die in der EU nicht zur Verwendung Agency for Research on Cancer, IARC) klassifizierte zugelassen sind (von denen einige jedoch andern Glyphosat kürzlich als Wirkstoff der Gruppe 2A orts zur Verwendung zugelassen oder im (wahrscheinlich krebserzeugend für den Menschen) Einsatz sein können), gehören: Benomyl, Kohlen (Guyton et al. 2015). Diese Klassifikation stützt sich stoffdisulfid, Ethylendibromid (1,2-Dibromethan), zwar, was den Menschen angeht, auf begrenzte Imazethapyr, Trifluralin. Diethyltoluamid (DEET), das Erkenntnisse (insbesondere auf Verbindungen zu als Insektenschutzmittel eingesetzt wird und in Non-Hodgkin-Lymphomen), für die Tierwelt liegt einigen Pestizidformulierungen (darunter in Carba jedoch eine tragfähige Basis verfügbarer Evidenz maten) als Synergist enthalten ist, wird in den daten vor. Darüber hinaus werden hormonelle EU-Verordnungen nicht erfasst. P E S TIZID E U ND U NS E R E G E SUN DH EI T – DI E SO R G E WÄC H ST 8
1.2 Wo sind wir Pestiziden ausgesetzt? DURCH DIE LUFT, DIE WIR IN LANDWIRTSCHAFTLICHEN ODER STÄDTISCHEN GEBIETEN WÄHREND UND NACH DEM VERSPRÜHEN VON PESTIZIDEN EINATMEN DURCH PESTIZIDRÜCKSTÄNDE IM STAUB IN UNSEREN WOHNBEREICHEN DURCH DIE NAHRUNG, DIE WIR ZU UNS NEHMEN DIREKTEN KONTAKT AM ARBEITSPLATZ ODER ZU HAUSE DURCH DAS TRINKEN VON WASSER, WENN DURCH DAS AUSBRINGEN VON PESTIZIDEN AUF LANDWIRTSCHAFTLICHEN NUTZFLÄCHEN OBERFLÄCHENGEWÄSSER UND GRUNDWASSER MENSCHEN, DIE NICHT IN DER LANDWIRTSCHAFT ODER IM KONTAMINIERT SIND GARTENBAU TÄTIG SIND ODER IN UNMITTELBARER NÄHE SOLCHER BEREICHE LEBEN, SIND PESTIZIDEN IN DER REGEL HAUPTSÄCHLICH ÜBER DIE NAHRUNGSAUFNAHME AUSGESETZT. P E S TIZID E U ND U NS E R E G E SUN DH EI T – DI E SO R G E WÄC H ST 9
1.2.1 Exposition über die Nahrung oder regional ein sogenannter Rückstandshöchst gehalt (RHG) für jede Substanz. Ist diese Schwelle Pestizidrückstände kommen in Nahrungsmitteln, überschritten, gilt das Nahrungsmittel als nicht mehr die in industrieller Intensivlandwirtschaft angebaut für den menschlichen Verzehr geeignet. Die Europä werden, häufig vor. Studien zeigen, dass Nahrungs ische Union beispielsweise legt RHG-Grenzen fest, mittel häufig Mehrfachrückstände enthalten. Folglich die für die gesamte Region gelten. werden uns Pestizide als Gemische bzw. Cocktails dargereicht (Fenik et al. 2011). Zur toxischen Mehrere zwischen 2007 und 2014 veröffentlichte Wirkung von Pestizidgemischen ist sehr wenig be Studien legen nahe, das Leguminosen, Blattge kannt, jedoch gilt als sicher, dass einige Substanzen müse und Obst wie Äpfel und Weintrauben häufig untereinander Synergieeffekte entwickeln können, die höchsten Pestizidrückstandswerte erreichen sodass ihre kombinierte Wirkung stärker ist als die (Bempah et al. 2012; Jardim et al. 2012; Fan et al. der einzelnen Komponenten (Reffstrup et al. 2010). 2013; Yuan et al. 2014). Es liegen übereinstimmende Eine toxikologische Bewertung von Gemischen aus Beweise vor, dass diese Substanzen in bestimmten Pestizidrückständen ist angesichts der Anzahl Ländern regelmässig als Gemische aus Mehrfach möglicher Kombinationen und Interaktionen, die rückständen auftreten, und das häufig in Konzent auftreten können, hochkomplex. rationen oberhalb der RHG-Grenzen (Latifah et al. 2011; Jardim et al. 2012). Neben zahlreichen wei Nach Sutton et al. (2011) kann sich angesichts der teren Pestiziden werden in unseren Nahrungsmitteln typischen Ernährungsgewohnheiten in den USA immer wieder Cypermethrin, Chlorpyrifos, Iprodion, aufgrund von Pestizidrückständen in Lebensmitteler Boscalid, Dithiocarbamate und Acephat nachge zeugnissen eine potenziell hohe kumulative Expo wiesen (Claeys et al. 2011; Lozowicka et al. 2012; sition der Allgemeinbevölkerung ergeben. Dies trifft Yuan et al. 2014). Während umfassende Forsch wahrscheinlich auch auf andere Länder zu und kann ungen nahelegen, dass einige dieser Rückstände in Anbetracht des wiederholten Pestizidkonsums auf der Pflanzenoberfläche durch das Abwaschen Anlass zur Besorgnis sein – insbesondere wenn es und Kochen von Gemüse reduziert werden können, sich um lipophile Pestizide (die sich leicht mit Fett ist in einigen Fällen durch das Zubereiten von Nah verbinden) oder bioakkumulierende Pestizide handelt rungsmitteln sogar eine Steigerung ihrer Konzen (die sich mit den Jahren im Körper anreichern). tration möglich (Keikotlhaile et al. 2010). PESTIZIDE IN OBST UND GEMÜSE PESTIZIDE IN FISCHEN Pestizide kommen in der kommerziellen Produktion Seit den 1970er-Jahren kommen Zinnorganika von Obst und Gemüse weitläufig zum Einsatz. (Organozinnverbindungen, OZV) als Fungizide und Rückstände angewendeter Pestizide können im Ge Biozide in der Landwirtschaft weitläufig zum Ein webe oder auf der Oberfläche von Ernteprodukten satz. Zinnorganische Verbindungen (hauptsächlich zurückbleiben, wenn diese auf den Markt kommen. Tributylzinnhydrid, TBT) wurden häufig auch auf Über viele Jahre hinweg haben Wissenschaftler Booten und Schiffen in Anstrichen verwendet, um verschiedenste Techniken entwickelt, um Pestizid das Festsetzen von Muscheln und Algen zu ver konzentrationen in Nahrungsmitteln zu messen. Die hindern (Antifouling). Dies hatte die weitreichende Ergebnisse legen nahe, dass anhaltende Kontrollen Verschmutzung zahlreicher Küstengewässer zur erforderlich sind, um so weit wie möglich sicher Folge und führte schliesslich mit dem Internationalen zustellen, dass für Pestizidrückstände festgelegte Übereinkommen von 2001 über die Beschränkung Grenzwerte bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen, des Einsatzes schädlicher Bewuchsschutzsysteme die auf den Markt gelangen, nicht überschritten auf Schiffen (AFS-Übereinkommen, seit 2008 in Kraft) werden (Wilkowska und Biziuk 2011; Li et al. 2014). zu einem weltweiten Verbot dieser Anwendung durch In den meisten Ländern gilt entweder landesweit die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO). P E S TIZID E U ND U NS E R E G E SUN DH EI T – DI E SO R G E WÄC H ST 10
Eine weltweit durchgeführte Untersuchung der Insektizide und Akarizide werden häufig zur Be Verschmutzung durch Zinnorganika in Meeresum kämpfung von Ektoparasiten wie der Roten Vogel welten ergab, dass eine auf dem Land als Pestizid milbe in der Geflügel- und Eierproduktion eingesetzt. eingesetzte Triphenylzinnverbindung (TPT) ebenfalls In der Folge reichern sich einige dieser Pestizide in häufig Sedimente verunreinigt (Yi et al. 2012). Muskeln, Fett und Leber an und lassen sich in Eiern Phenylzinnverbindungen können von Meereslebe auch noch lange nachweisen, nachdem die Chemi wesen nicht ohne Weiteres biologisch abgebaut kalien aus anderen Geweben bereits abtransportiert werden, was ihre Bioakkumulation und potenzielle wurden (Schenck und Donoghue 2000). Biomagnifikation durch marine Nahrungsnetzsysteme zur Folge hat. Besonders hohe Konzentrationen Auch Milch und Milcherzeugnisse enthalten auf an Zinnorganika lassen sich im Blut von Menschen grund von Bioakkumulation und Ablagerung im nachweisen, die Fisch und Meeresfrüchte in Fettgewebe der Tiere eine Reihe von Substanzen. grösseren Mengen zu sich nehmen. Zum Schutz der Dies ist insbesondere von Bedeutung, weil Kuhmilch öffentlichen Gesundheit wurde eine regelmässige in der menschlichen Ernährung häufig ein Grund Kontrolle der Konzentration dieser Substanzen nahrungsmittel ist, das vor allem Kinder reichlich zu empfohlen (Yi et al. 2012). sich nehmen. PESTIZIDE IN TIERISCHEN PRODUKTEN BIO-LEBENSMITTEL IM VERGLEICH ZU ERZEUGNISSEN AUS DER INDUSTRIELLEN Auch in Nutztieren können sich Pestizide aus LANDWIRTSCHAFT kontaminierter Nahrung oder dem veterinären Pestizideinsatz anreichern. In der Regel werden Studien haben gezeigt, dass die meisten Kinder diese Substanzen im Fett und in den Muskeln der Pestiziden hauptsächlich über ihre Ernährung aus Tiere gespeichert, einige wurden jedoch auch in gesetzt sind. Folglich kann man davon ausgehen, Gehirn, Leber, Lunge und anderen Innereien nach dass Kinder, die Nahrungsmittel aus biologischem gewiesen (LeDoux 2011). Anbau zu sich nehmen, durchweg geringere In einer Apfelplantage in der Nähe von Hamburg in Deutschland werden Pestizide ausgebracht. © Greenpeace / Christian Kaiser P E S TIZID E U ND U NS E R E G E SUN DH EI T – DI E SO R G E WÄC H ST 11
Pestizidrückstände im Urin aufweisen als jene, Menschen, die in landwirtschaftlichen Gebieten deren Ernährung auf Erzeugnissen aus der konven wohnen, können aus diesem Grund abgedrifteten tionellen industriellen Landwirtschaft basiert Pestiziden stark ausgesetzt sein. Gleichermassen (Forman et al. 2012). können Menschen solchen Belastungen durch das Einatmen kontaminierter Luft ausgesetzt sein, Lu et al. (2006) untersuchten Metaboliten von OPP wenn Pestizide in Parks und städtischen Bereichen im Urin von Kindern zwischen 3 und 11 Jahren in oder zu Hause versprüht werden. Seattle, USA. Diese Kinder wurden fünf Tage lang konventionell ernährt, darauf gab man ihnen fünf Tage lang Nahrungsmittel biologischer Herkunft. 1.2.3 Exposition über Hausstaub, Es wurde beobachtet, dass die Konzentrationen Versprühen und Gartenerde der Pestizide Malathion und Chlorpyrifos rasch auf Untersuchungen haben ergeben, dass Hausstaub ein Niveau sanken, auf dem sie nicht mehr nach mit zahlreichen Chemikalien kontaminiert ist, dar gewiesen werden konnten, nachdem Kinder in den unter auch einigen Pestiziden, insbesondere wenn zweiten fünf Tagen eine biologische Ernährung sie häufig zur Bekämpfung von Haushaltsschäd eingehalten hatten. Kehrten sie zur konventionellen lingen eingesetzt werden (Naeher et al. 2010). Ernährung zurück, stiegen die Konzentrationen Die wichtigsten Substanzen, die bei der Schädlings dieser Metaboliten von OPP im Urin erneut an. bekämpfung im Haushalt zum Einsatz kommen, sind die Pyrethroide Permethrin und Cyfluthrin sowie Bei dieser Studie setzte sich die biologische Ernäh in einigen Fällen Chlorpyrifos. Das Verschlucken, rung der Kinder aus frischem Obst und Gemüse, das Einatmen und der Hautkontakt mit kontaminier verarbeitetem Obst oder Gemüse wie Säften sowie ten Stäuben kann zu anhaltenden und vielfältigen Elementen auf Weizen- und Maisbasis zusammen. Pestizidexpositionen führen (Morgan et al. 2007, Untersuchungen zufolge enthalten Nahrungsmittel 2014; Starr et al. 2008). Wohnstätten in landwirt aus diesem Bereich, die aus industrieller Landwirt schaftlichen Gebieten, insbesondere in unmittelbarer schaft stammen, in der Regel OPP. Dies legt den Nähe von Flächen, die mit Pestiziden behandelt Schluss nahe, dass Kinder aller Wahrscheinlichkeit werden, haben sich als stärker kontaminiert heraus nach ausschliesslich durch ihre Ernährung Chlorpy gestellt (Harnly et al. 2009). Kontaminierter Staub rifos und Malathion ausgesetzt sind (Lu et al. 2006). stellt jedoch auch in städtischen Bereichen, in denen Rückstände infolge von Anwendungen 1.2.2 Exposition durch das Versprühen im Haushalt bestehen bleiben, ein potenzielles von Pestiziden in landwirtschaftlichen Problem dar (Naeher et al. 2010; Muñoz-Quezada und städtischen Gebieten et al. 2012). Auf landwirtschaftlichen Nutzflächen und in städti schen Bereichen versprühte Pestizide können wäh rend der Anwendung von der Luft erfasst werden und in grosse Entfernungen abdriften. Eine Studie in den USA ergab beispielsweise, dass mehrere häufig eingesetzte Pestizide in grosser Entfernung von den Orten nachweisbar waren, an denen sie land- wirtschaftlich angewendet worden waren. In Entfer nungen zwischen 10 und 150 Metern vom Einsat zort überschritten einige Pestizide wie Diazinon und Chlorpyrifos sogar die von Regierungsseite fest gelegten Sicherheitsniveaus (Referenzwerte für die Exposition über die Luft) (Sutton et al. 2011). P E S TIZID E U ND U NS E R E G E SUN DH EI T – DI E SO R G E WÄC H ST 12
Ein Bauer sprüht Pestizid auf seinen Chinakohl in Hebei. ©Greenpeace / LiGang Ein indischer Apfelbauer spritzt seine Plantage mit Pestiziden. © Greenpeace / Peter Caton
Bauern und ihre Familien Säuglinge durch Muttermilch Kinder im Besonders Mutterleib exponierte und anfällige Personen- gruppen Kleinkinder und Säuglinge Wir alle sind Pestiziden in unterschiedlichem Mass ausgesetzt, selbst wenn wir uns bemühen, sie zu meiden. Aufgrund spezifischer Umstände und Eigenschaften sind jedoch einige Menschen aller Wahrscheinlichkeit nach Pestiziden besonders stark ausgesetzt oder gegenüber ihren nachteiligen Auswirkungen besonders empfindlich. P E S TIZID E U ND U NS E R E G E SUN DH EI T – DI E SO R G E WÄC H ST 14
1.3 Besonders exponierte und längerfristige Exposition gegenüber Chlororganika hinweist, die in der Umwelt extrem langlebig sind anfällige Personengruppen (Schummer et al. 2012). Diese Ergebnisse implizieren, dass Pestizidausbringer selbst unter Einhaltung der 1.3.1 Beschäftigte in der Landwirtschaft erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen erhöhten Expositionswerten ausgesetzt sind, die sich auch in Landwirte und ihre Familien können Pestiziden ihrem Körpergewebe nachweisen lassen. Wie lange stärker als die Allgemeinbevölkerung ausgesetzt einige der Pestizide, die nach wie vor aktiv verwen sein. Landwirte, die Pestizide versprühen (Pestizid- det werden, tatsächlich im Körper verbleiben, ist ausbringer), sind den höchsten Konzentrationen nicht ausreichend bekannt, jedoch ist dieser Faktor ausgesetzt, doch auch Beschäftigte in Gewächs möglicherweise auch weniger bedeutend, wenn häusern können in sehr hohem Masse mit Pestiziden Verwendung und Exposition regelmässigen Wieder in Kontakt kommen. holungen unterliegen. In einer in Europa durchgeführten Studie, die sich mit Rückständen in den Haaren von Landarbeitern Auch die in landwirtschaftlichen Gebieten ansässigen auseinandersetzte, wurden 33 verschiedene Familien von Landwirten sind Pestiziden möglicher Substanzen nachgewiesen, darunter Herbizide und weise etwas stärker ausgesetzt als der Durchschnitt Fungizide. Am häufigsten fand man die Pestizide der Bevölkerung, weil auf Feldern versprühte Pesti Pyrimethanil, Cyprodinil und Azoxystrobin, wobei die zide zu den Wohnstätten dieser Familien abdriften nachgewiesenen Konzentrationen den Bewirtschaf können und Landarbeiter nach der Arbeit kontami tungsarten und den eingesetzten Produkten ent nierte Kleidung und Schuhe mit nach Hause bringen. sprachen. Ähnliche Konzentrationen von p,p’-DDE Dies ist im Hinblick auf Säuglinge und Kinder be und γ-HCH (nicht mehr in Verwendung) fanden sonders besorgniserregend, weil sie für die toxischen sich bei allen untersuchten Personen, unabhängig Auswirkungen einiger Pestizide anfälliger sind als von ihrer Funktion im Agrarbetrieb, was auf eine Erwachsene (Arcury et al. 2007). Ein Arbeiter ohne Schutzkleidung, der nur eine Maske aus Papier trägt, sprüht Pestizide auf Gemüse in einem Gewächshaus in Spanien © Greenpeace / Ángel Garcia P E S TIZID E U ND U NS E R E G E SUN DH EI T – DI E SO R G E WÄC H ST 15
1.3.2 Kinder, Säuglinge und gebracht. In einer Studie in Taiwan wurden im Exposition im Mutterleib Zeitraum von 2000 bis 2001 in Muttermilchproben nachgewiesen (Choa et al. 2006). Bei den vor- Wenn Schwangere und stillende Mütter Pestiziden rangig in den Milchproben gefundenen Pestiziden ausgesetzt sind, kann die Belastung auch auf ihre handelte es sich um p,p’-DDE, p,p’-DDT, α-Chlordan, Kinder übergreifen. Einige Pestizide können über Heptachlorepoxid, Heptachlor, β-HCH und γ-HCH. die Plazenta auf den sich entwickelnden Fötus im Studien in anderen Teilen der Welt kamen zu Mutterleib und über die Muttermilch auf den ge ähnlichen Ergebnissen, so in Kolumbien, Korea stillten Säugling übergehen. In den frühen Entwick und Deutschland (Lee et al. 2013a; Raab et al. lungsphasen bilden sich die Organe des Kindes aus 2013; Rojas-Squella et al. 2013). Untersuchungen und können für die Auswirkungen giftiger Chemika deuten darauf hin, dass die Konzentrationen dieser lien äusserst anfällig sein. Das noch in Entwicklung langlebigen OCPs in menschlicher Muttermilch begriffene Gehirn eines Kindes ist beispielsweise derzeit in vielen Ländern, in denen diese Substanzen gegenüber Neurotoxika empfindlicher. Zudem ist die seit einiger Zeit verboten sind, zurückgehen (Ulas Dosis von Pestiziden bezogen auf das Körperge zewska et al. 2011). Die Ernährung ist und bleibt ein wicht bei Kindern aufgrund ihrer geringeren Grösse wichtiger Faktor für die Pestizidbelastung, insbeson wahrscheinlich höher (Weiss 2000). Weiter sind dere wenn Fisch einen hohen Anteil daran ausmacht bestimmte Enzyme, die aktivierte Formen von Pesti (Solomon und Weiss 2002). ziden entgiften, bei Kindern insgesamt in geringerem Zu den chlororganischen Pestiziden, die in vielen Masse vorhanden und weniger aktiv (Holland et al. Teilen der Welt noch häufig in der Landwirtschaft 2006). eingesetzt werden, gehören Lindan und Endosulfan. In einer 2003 in Indien veröffentlichten Studie wurden KONTAMINIERTE MUTTERMILCH in Muttermilchproben von Frauen aus Bhopal hohe Endosulfankonzentrationen nachgewiesen (Sanghi Vor dem Abstillen ist Muttermilch für Säuglinge die et al. 2003). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beste Ernährungsform, insbesondere weil wichtige hat Werte für die Pestizidkonzentrationen in Mutter Elemente zum Schutz vor Krankheiten vom System milch festgelegt, die aufgrund der Wissenslage zu der Mutter auf das Kind übertragen werden. Ange ihrer Toxizität als «akzeptabel» gelten (die sogenann sichts der Tatsache, dass das Stillen in eine der te «erlaubte Tagesdosis» – Acceptable Daily Intake, sensibelsten Phasen der kindlichen Entwicklung fällt, ADI). Laut Sanghi et al. (2003) überschritten sie den ist es von entscheidender Bedeutung, dass eine Wert um das 8,6-Fache (9,6) oder waren sie 8,6 Kontamination der Muttermilch mit schädlichen mal so hoch (8,6). Auch Lindan wurde in der Mutter Chemikalien minimiert bzw. so weit wie möglich milch dieser indischen Frauen nachgewiesen. vermieden wird. Daten aus Untersuchungen von Muttermilch in verschiedenen Ländern zeigen Organophosphat-Pestizide (OPP) und synthetische jedoch, dass die Pestizidkontamination nach wie Pyrethroide gelten nicht als umweltpersistent. Folg vor ein Problem darstellt. lich wurden ihre Konzentrationen in der Muttermilch kaum untersucht. Einige Studien haben jedoch Insbesondere chlororganische Pestizide reichern sich deutlich gezeigt, dass diese Pestizide die menschliche bekanntermassen durch Bioakkumulation im Körper Muttermilch sehr wohl kontaminieren. Während fett und in der Muttermilch an, wenn sie regelmässig die Konzentrationen möglicherweise rückläufig sind, mit der Nahrung aufgenommen werden. Aufgrund werden nun deutlich mehr OPP und synthetische ihrer Langlebigkeit in der Umwelt kontaminieren sie Pyrethroide in der Muttermilch nachgewiesen, da so unseren Körper Tag für Tag weiter. Diese Che diese Substanzen Pestizide, deren Ein satz stärker mikalien wurden in epidemiologischen Studien mit eingeschränkt wurde, abgelöst haben (Sharma et nachteiligen Auswirkungen auf die menschliche al. 2014). Sanghi et al. (2003) stellten in der Mutter Entwicklung in einen statistischen Zusammenhang milch von Frauen aus Bhopal hohe Konzentrationen P E S TIZID E U ND U NS E R E G E SUN DH EI T – DI E SO R G E WÄC H ST 16
des OPP Chlorpyrifos sowie von Malathion fest. Expositionswege als auch Expositionsraten zu In dieser Studie überschritten die Chlorpyrifos-Werte beurteilen, ist schon jetzt klar, dass Kinder vielen in der Muttermilch die ADI-Werte der WHO um das verschiedenen Substanzen permanent und auf 4,1-Fache. In einer jüngeren Pilotstudie in den USA unterschiedliche Weise ausgesetzt sind. Selbst bei wurden zudem Chlorpyrifos, Chlorpyrifosmethyl geringen Konzentrationen einzelner Substanzen und das Carbamat-Insektizid Propoxur in der Mutter gibt diese anhaltende kombinierte Exposition gegen milch nachgewiesen (Weldon et al. 2011). über komplexen Substanzgemischen Anlass zur Sorge. Morgan et al. (2014) beschreiben die Expo- Sharma et al. (2014) identifizierten in einer Unter sition gegenüber verschiedenen Pestiziden bei suchung in Indien zu den Schadstoffen in der Mutter Vorschulkindern in den USA über multiple Wege, milch Cyfluthrin, ein synthetisches Pyrethroid, darunter Umweltquellen (Staub und Luft zu als das am häufigsten nachgewiesene Pestizid. Hause und in der Kindertagesstätte), Pflegeprodukte Bei dieser Studie wurden Werte festgestellt, (Feuchttücher) und Nahrungsmittel. Die Absorptions- die für Säuglinge, die Muttermilch zu sich nehmen, raten unterscheiden sich je nach Substanzen ein Gesundheitsrisiko darstellen würden. Darüber und Expositionswegen. Die Pestizide α-Chlordan, hinaus wurden inzwischen auch synthetische Pyre γ-Chlordan, Heptachlor, Chlorpyrifos, Diazinon und throide in Muttermilchproben nachgewiesen, Permethrin wurden allerdings häufig in den Wohn die sowohl in städtischen als auch in landwirtschaft stätten dieser Kinder und ihren Kindertagesstätten lichen Gebieten in Spanien, Brasilien und Kolumbien nachgewiesen, wobei sich die Ernährung als genommen wurden (Corcellas et al. 2012). Diese wichtigster Expositionsweg für Chlorpyrifos und Ergebnisse deuteten darauf hin, dass sich die Permethrin herausstellte. Pestizide entweder im Körper anreichern können (was der Annahme entgegensteht, dass sie im Stoffwechsel rasch umgewandelt werden) oder dass die Schadstoffbelastung durch wiederholte Expo sition zunimmt. MULTIPLE EXPOSITIONSWEGE Kleinkinder verbringen einen Grossteil ihrer Zeit zu Hause oder draussen auf dem Boden bzw. in Bo dennähe. Sie berühren Staub und Erde häufig und die Wahrscheinlichkeit, dass sie diese Chemikalien verschlucken, ist deshalb höher, weil sie regelmäs sig ihre Hände, ihr Spielzeug oder andere Objekte in den Mund nehmen. Untersuchungen zu Schadstof fen im Haushalt und die direkte Überwachung von Substanzen im Urin von Kindern haben deutlich ge zeigt, dass Kinder, insbesondere Kleinkinder, Sub stanzen wahrscheinlich über verschiedene Wege ausgesetzt sind, beispielsweise durch Verschlucken oder Einatmen von Erde, Teppichstaub, Nahrung oder Luft (Naeher et al. 2010; Muñoz-Quezada et al. 2012; Morgan et al. 2014). Die Expositionsmus ter weisen geografische und jahreszeitenbedingte Unterschiede auf. Während Wissenschaftler derzeit daran arbeiten, sowohl P E S TIZID E U ND U NS E R E G E SUN DH EI T – DI E SO R G E WÄC H ST 17
2. Gesundheitliche Auswirkungen von Pestiziden In diesem spanischen Gewächshaus wir das heranwachsende Gemüse mit Pestiziden eingenebelt. © Greenpeace / Ángel Garcia 2.1 Auswirkungen der pränatalen (fötalen) Exposition und der Exposition im Kindesalter Während seiner (früh)kindlichen Entwicklung ist der Mensch für die Auswirkungen von giftigen Chemikalien, darunter Pestiziden, besonders anfällig (s. nächste Seite). Die Pestizidexposition Schwangerer – und in einigen Fällen die Exposition von Kleinkindern selbst – wurde mit nachteiligen gesundheitlichen Folgen für die Kinder in Zusammenhang gebracht, darunter: 1. geringeres Geburtsgewicht, geringere Grösse bei der Geburt und Auftreten von Fehlentwicklungen 2. geringere Intelligenz 3. Verhaltensstörungen 4. höhere Inzidenz von Leukämie und anderen Krebsarten 5. höhere Fehlgeburtenrate Diese nachteiligen gesundheitlichen Auswirkungen wurden bei Kindern fest gestellt, deren Mütter in der Schwangerschaft mit Pestiziden gearbeitet hatten. Die gesundheitlichen Auswirkungen der Pestizidexposition betreffen jedoch die Kinder der Allgemeinbevölkerung in landwirtschaftlichen Gebieten und in Städten gleichermassen. P E S TIZID E U ND U NS E R E G E SUN DH EI T – DI E SO R G E WÄC H ST 18
Anfälligkeit der Jüngsten gegenüber toxischen Pestiziden Der sich entwickelnde Fötus im Mutterleib und das Neugeborene können für die schädlichen Auswirkungen giftiger Pestizide besonders anfällig sein. Der Fötus ist aufgrund der Komplexität seiner Entwicklungsprozesse und seines schnellen Wachstums im Fall der Exposition gegenüber Chemikalien besonders empfindlich. Neurotoxische Pestizide können sich insbesondere auf das in Entwicklung begriffene Nervensystem auswirken. Zu den für das Nervensystem giftigen Pestiziden gehören Organo phosphat-Pestizide (OPP) sowie einige Carbamate, Pyrethroide und Neonicotinoide. Von vielen dieser Pestizide weiss man, dass sie die Plazentaschranke überwinden können; OPP beispielsweise wurden im den Fötus umgebenden Fruchtwasser nachgewiesen und stellen somit in einer Phase, in der sich das Gehirn besonders schnell entwickelt, eine Be drohung für das ungeborene Kind dar (Rauh et al. 2011). Das Immunsystem ist bei Föten und Neugeborenen noch nicht entwickelt, sodass giftige Chemikalien ebenfalls nachteilig darauf wirken können. Neugeborene und Kleinkinder verfügen im Vergleich zu Erwachsenen über deutlich weniger entgiftende Enzyme. Zum Beispiel deutet der im Vergleich zu Erwachsenen geringere Spiegel des PON1-Enzyms bei Neugeborenen darauf hin, dass sie unter Umständen auf Expositionen gegenüber Organophosphat-Pestiziden besonders anfällig reagieren, weil sie diese Chemikalien nicht so schnell aufspalten und entgiften können (Huen et al. 2012). Auch Stillkinder sind Risiken ausgesetzt, weil Muttermilch, die bekanntermassen durch Pestizide kontaminiert ist, ihre einzige Nahrungsquelle darstellt und ihr Stoffwechsel noch nicht reif genug ist, um diese Schadstoffe eliminieren zu können (Corcellas et al. 2012). Hinzu kommt, dass sowohl gestillte Neugeborene als auch Kleinkinder im Vergleich zu Erwachsenen stärker durch giftige Pestizide gefährdet sind, weil die Dosis bezogen auf das Körpergewicht wegen ihrer geringeren Grösse höher ist (Bouchard et al. 2011). Diese Kinder sind im Zuge ihrer Entwicklung nicht nur Pestiziden ausgesetzt, sondern auch anderen schädlichen Chemikalien, und zwar über verschiedene Wege. Die möglichen Folgen derart komplexer Expositionsmuster sind allgemein anerkannt, aber nach wie vor unzureichend untersucht und werden nur sehr unzulänglich verstanden. P E S TIZID E U ND U NS E R E G E SUN DH EI T – DI E SO R G E WÄC H ST 19
2.1.1 Geburtsfehler Kindern, die in den ersten Lebensjahren über die Nahrung und in der häuslichen Umgebung Pestizi Die Konzentrationen von Pestiziden wie des OPP den ausgesetzt waren, ergaben gewisse negative Chlorpyrifos, die im Blut fötaler Nabelschnüre Auswirkungen von OPP auf die Entwicklung von von Säuglingen in New York nachgewiesen wurden, Gehirn und Nervensystem des Kindes (Muñoz- deuten darauf hin, dass eine höhere Pestizidex Quezada et al. 2013). Entwicklungsrelevante Aus position im Mutterleib das fötale Wachstum beein wirkungen wurden hauptsächlich als kognitiv und trächtigen kann (Whyatt et al. 2004). Barr et al. verhaltensbezogen beschrieben, insbesondere jene (2010) kommen bei Metolachlor zu ähnlichen Ergeb- im Zusammenhang mit Aufmerksamkeitsstörungen nissen und weisen ebenfalls darauf hin, dass Pestizid- und motorischen Fähigkeiten. belastungen möglicherweise mit dem Geburtser gebnis in Zusammenhang stehen, wenngleich in der BEEINTRÄCHTIGUNG DER GEISTIGEN Studie aus den Daten keine Kausalität abgeleitet ENTWICKLUNG werden konnte. In landwirtschaftlichen Gebieten sind Mutter und Kind Pestiziden wahrscheinlich durch eine Kombi In den USA gebaren Frauen, die in Haushalt und nation aus Ernährung und Exposition gegenüber Garten regelmässig Pestizide eingesetzt hatten, Agrochemikalien ausgesetzt, die auf Feldern in der mit einer zweimal höheren Wahrscheinlichkeit Kinder Nähe ihrer Wohnstätten versprüht und durch die mit Neuralrohrdefekten (Brender et al. 2010). Luft verteilt werden. Eine Studie in der Agrarregion Andere Geburtsfehler bei Neugeborenen, deren des Salinas Valley, Kalifornien, dokumentierte die Mütter anhaltend höheren Pestizidkonzentrationen pränatale Belastung durch OPP anhand von Pestizid- ausgesetzt waren, umfassen Kreislauf-, Atemwegs-, werten, die im Urin schwangerer Frauen nachge Urogenital- und Skelettdefekte (Garry et al. 1996). wiesen wurden (Bouchard et al. 2011). Hohe Konzent- Zudem wurde in den USA berichtet, dass Mütter, rationen dieser Pestizide im Urin der Mütter standen die in unmittelbarer Nähe (< 500 m) von Maisfeldern in einem statistischen Zusammenhang mit einer mit einer Grösse von 2,4 Hektar oder mehr lebten, schlechteren geistigen Entwicklung der Kinder bei mit höherer Wahrscheinlichkeit Säuglinge mit Glied Erreichen des siebten Lebensjahres. Die Kinder massendefekten auf die Welt brachten (Ochoa- der am stärksten belasteten Mütter wiesen eine Acuña und Carbajo 2009). Dieser Zusammenhang IQ-Abweichung von durchschnittlich 7 Punkten zeigte sich jedoch nicht bei Müttern, die in einer unter dem Leistungsniveau der Kinder von Müttern ähnlichen Entfernung zu Sojafeldern lebten, und mit der geringsten Belastung auf. Solche kognitiven bisher konnte noch nicht vollständig geklärt werden, Auswirkungen traten bei Kindern auf, bei deren ob dieser Zusammenhang auf den Einsatz bestimm Müttern im Urin Werte von OPP gemessen wurden, ter Agrochemikalien, auf Applikationstechniken oder die nahe beim oberen Ende der Bandbreite lagen, -raten beim Maisanbau oder auf die Toxizität in die typischerweise für die Allgemeinbevölkerung in Verbindung mit dem Auftreten eines Schimmelpilz den USA ermittelt wird. gifts in kontaminiertem Mais zurückzuführen ist. Organophosphat-Pestizide werden in städtischen 2.1.2 Neurotoxizität Bereichen nach wie vor zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Bis 2001 wurde vor allem das OPP Immer mehr Forschungsergebnisse deuten darauf Chlorpyrifos in städtischen Räumen in grossem hin, dass eine pränatale Pestizidexposition (wenn ein Umfang angewendet. Rauh et al. (2011) beschrei ungeborenes Kind während der Schwangerschaft ben die Belastung schwangerer Frauen in New York Pestiziden ausgesetzt ist) anhaltende Auswirkungen City mit Chlorpyrifos und die potenziellen Auswir auf Verhalten und Intelligenz des Kindes haben kungen auf ihre Kinder. Bei der Geburt entnommene kann. Dabei spielen insbesondere OPP eine Rolle. Blutproben aus der Nabelschnur zeigten, dass eine Insgesamt 26 von 27 veröffentlichten Studien zu pränatale Chlorpyrifos-Exposition im Mutterleib in P E S TIZID E U ND U NS E R E G E SUN DH EI T – DI E SO R G E WÄC H ST 20
einem statistischen Zusammenhang mit einer be- einer pränatalen Chlorpyrifos-Exposition fest. einträchtigten geistigen Entwicklung der Kinder bei Die Gehirnstruktur von 40 dieser Kinder zwischen Erreichen des 7 Lebensjahres steht. Eine höhere 6 und 11 Jahren wurde mithilfe von Magnetre Chlorpyrifos-Exposition im Mutterleib wurde im Alter sonanztomografie (MRT) untersucht. Kinder, die im von 7 Jahren mit Defiziten des Working Memory Mutterleib höheren Chlorpyrifos-Konzentrationen Index (Arbeitsgedächtnis-Index) und des IQ in Ver ausgesetzt waren, wiesen mehr Anomalien in der bindung gebracht. Diese Ergebnisse decken sich Gehirnstruktur auf, und zwar in jenen Hirnarealen, mit jenen der Studie im Salinas Valley, bei der Kinder die mit bestimmten kognitiven und verhaltensbe mit OPP-Exposition im Mutterleib ebenfalls Defizite zogenen Prozessen in Zusammenhang stehen. beim Arbeitsgedächtnis und beim IQ aufwiesen. Veränderungen der Gehirnstruktur zeigten sich auf Es ist davon auszugehen, dass solche Defizite bei der gesamten Gehirnoberfläche, wobei manche diesen Kindern zu langfristigen Problemen beitragen, Bereiche eine anormale Vergrösserung aufwiesen da sich Beeinträchtigungen des Arbeitsgedächt und andere ausgedünnt waren. Zusammenhänge nisses vermutlich nachteilig auf das Leseverständ zwischen einer pränatalen Chlorpyrifos-Exposition nis, das Lernen und die akademische Leistung sowie einer veränderten Gehirnstruktur und auswirken und erhebliche wirtschaftliche Folgen Defiziten in der kognitiven Entwicklung deuteten nach sich ziehen können (Rauh et al. 2011). auf die Langfristigkeit dieser neurotoxischen Auswirkungen bis in die mittlere und späte Kindheit Diese Ergebnisse decken sich auch mit denen hin. Zudem decken sich diese Erkenntnisse mit einer Studie, die sich mit der Gehirnstruktur von den Ergebnissen kontrollierter Laborexperimente, Kindern in New York City befasste (Rauh et al. die darauf hindeuten, dass ähnlich nachteilige 2012). Forscher stellten einen statistischen Zusam Auswirkungen bei Tieren möglicherweise irrever menhang zwischen strukturellen Veränderungen im sibel sind (Rauh et al. 2012). sich entwickelnden menschlichen Gehirn und In Argentinien wird gentechnisch veränderte Soja bespritzt. © Greenpeace Gustavo / Gilabert P E S TIZID E U ND U NS E R E G E SUN DH EI T – DI E SO R G E WÄC H ST 21
Dies hat zweifellos gravierende Folgen für die kann (Bouchard et al. 2012). Diese Ergebnisse öffentliche Gesundheit. Die Chlorpyrifos-Konzen werden auch von Jurewicz und Hanke (2008) trationen, denen die Kinder in der Studie von gestützt, die die Pestizidexposition von Kindern im Rauh et al. (2012) ausgesetzt waren, lagen innerhalb Mutterleib und während der Kindheit sowie ihre der Bandbreite der Belastung, der die Allgemein verhaltensneurologische Entwicklung untersucht bevölkerung unterliegt. Daher ist es äusserst besorg- haben. Trotz einiger Abweichungen bei den Schluss- niserregend, dass Organophosphat-Pestizide, folgerungen ergeben die Studien insgesamt, dass darunter auch Chlorpyrifos, in der Landwirtschaft die Pestizidexposition bei Kindern zu einer gestörten weltweit noch immer zur Schädlingsbekämpfung verhaltensneurologischen Entwicklung führt. eingesetzt werden. Zwar gelten für den Hausge brauch von Chlorpyrifos Restriktionen und für seinen WEITERE NACHWEISE ÜBER Einsatz im öffentlichen Raum Vorschriften (z.B. DIE NEUROTOXIZITÄT VON PESTIZIDEN Pufferzonen), dennoch wird das Produkt als Insek tizid in öffentlichen Bereichen wie Golfplätzen und Es gibt Hinweise darauf, dass eine pränatale in einigen Parks nach wie vor angewendet. Belastung mit OPP die motorischen Fähigkeiten (Kontrolle der Muskelbewegungen) negativ be NACHTEILIGE AUSWIRKUNGEN AUF einflusst. Im Norden Ecuadors wird in Gewächs DAS VERHALTEN häusern intensive Blumenzucht betrieben; OPP sind hier häufig im Einsatz. Eine Untersuchung von Negative Auswirkungen auf das Verhalten von Kindern (6–8 Jahre), deren Mütter während der Kindern (hauptsächlich in Form von Aufmerk Schwangerschaft in den Gewächshäusern gear samkeitsproblemen) wurden sowohl in der Agrar beitet hatten, deutete auf konsistente Defizite bei region des Salinas Valley in Kalifornien als auch der motorischen Geschwindigkeit und Koordination in New York City mit einer pränatalen OPP-Exposition sowie der allgemeinen geistigen Leistungsfähigkeit in Verbindung gebracht (Marks et al. 2010; im Vergleich zu anderen Kindern hin, deren Mütter Muñoz-Quezada et al. 2013). bei der Arbeit keinen Pestiziden ausgesetzt waren (London et al. 2012). Diese Auswirkungen standen Bei der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts mit einer Entwicklungsverzögerung von 1,5 bis 2 störung (ADHS) handelt es sich um eine komplexe Jahren der Kinder in Zusammenhang, selbst wenn Störung, deren genaue Ursachen nicht bekannt die Pestizidbelastung bei ihren Müttern zu keinen sind. Man geht davon aus, dass rund 8–9 Prozent akuten Beeinträchtigungen der Gesundheit führte. der US-amerikanischen Kinder im Schulalter ADHS haben (Pastor und Reuben 2008). Derart DIE BESONDERE GEFÄHRDUNG FÜR IN ausgeprägte Aufmerksamkeitsprobleme bei DER LANDWIRTSCHAFT TÄTIGE KINDER Kindern wirken sich bekanntermassen nachteilig auf das Lernen und die soziale Entwicklung aus Wenn Kinder selbst in der Landwirtschaft arbeiten (Marks et al. 2010). und Pestizide anwenden, können sie für deren toxische Auswirkungen besonders anfällig sein. Bouchard et al. (2010) untersuchten die OPP Bei einer Studie in Ägypten wurden Kinder (im Alter Exposition von 8- bis 15-Jährigen in den USA, von 9 bis 15 Jahren) und Jugendliche (16 bis 19 hauptsächlich über den Ernährungsweg, und kamen Jahre) untersucht, die als Pestizidausbringer im zum Schluss, dass bei Kindern mit höheren Baumwollanbau tätig waren (Rasoul et al. 2008). Konzentrationen der Metaboliten von OPP im Urin Häufig kamen dabei OPP zum Einsatz. Die Studie mit höherer Wahrscheinlichkeit ADHS diagnostiziert ergab für beide Altersgruppen, dass Kinder bzw. wurde. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass Jugendliche mit einer höheren OPP-Exposition in eine OPP-Exposition in der in den USA üblichen verhaltensneurologischen Tests wesentlich schlechter Höhe zur ADHS-Prävalenz bei Kindern beitragen abschnitten als Kinder bzw. Jugendliche, die nicht P E S TIZID E U ND U NS E R E G E SUN DH EI T – DI E SO R G E WÄC H ST 22
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