Migration und Flucht in Zeiten der Globalisierung - Die Zusammenhänge zwischen Migration, globaler Ungleichheit und Entwicklung - Südwind
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Migration und Flucht in Zeiten der Globalisierung Die Zusammenhänge zwischen Migration, globaler Ungleichheit und Entwicklung Pedro Morazán, Katharina Mauz
> Inhalt Impressum Inhalt Bonn, Juli 2016 1 Einleitung 3 Herausgeber: SÜDWIND e.V. – Institut für 2 Die Folgen der Globalisierung 4 Ökonomie und Ökumene Kaiserstraße 201 2.1 Globalisierung − Ursachen und Motive für moderne Migration 5 53113 Bonn 2.2 Die Liberalisierung des Welthandels 6 Tel.: +49 (0)228-763698-0 2.3 Die Liberalisierung der Finanzmärkte 7 info@suedwind-institut.de www.suedwind-institut.de 3 Die steigende Süd-Nord-Migration 8 Bankverbindung: KD-Bank 3.1 Globale Ungleichheit und Migration 8 IBAN: DE45 3506 0190 0000 9988 77 3.2 Geschlechterspezifische Ungleichheit und Migration 9 BIC: GENODED1DKD 3.3 Fallbeispiele 9 3.4 Klimawandel, Umweltzerstörung und Migration 10 AutorInnen: 3.5 Krieg und Gewalt als Ursachen für Flucht 12 Dr. Pedro Morazán, Katharina Mauz Redaktion und Korrektur: 4 Rücküberweisungen und Migration 14 Melanie Deter, Sabine Ferenschild, Sandra Grigentin-Krämer, 4.1 Nord-Süd-Komponente 15 Jannik Krone 4.2 Süd-Süd-Komponente 16 V.i.S.d.P.: Martina Schaub 4.3 Positive und negative Auswirkungen 17 Gestaltung und Satz: www.pinger-eden.de 5 Migration und die deutsche Entwicklungspolitik 17 Druck und Verarbeitung: 5.1 EU-Migrationspolitik 17 Brandt GmbH, Bonn, 5.2 Der EU–Notfall-Treuhandfonds für Afrika 19 gedruckt auf Recycling-Papier 5.3 Migration und die Agenda 2030 20 5.4 Migration und deutsche Entwicklungspolitik 22 Titelfoto: Rasande Tyskar/Flickr.com 6 Schlussfolgerungen und Empfehlungen 23 7 Literaturverzeichnis 25 Gefördert aus Mitteln des Kirchlichen Entwicklungsdienstes, durch Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst, durch den Evangelischen Kirchenverband Köln und Region sowie die Evangelische Kirche im Rheinland. Gefördert durch: 2 Migration und Flucht in Zeiten der Globalisierung
> Abkürzungsverzeichnis · 1 Einleitung Abkürzungsverzeichnis AA Auswärtiges Amt ILO International Labour Organisation / Inter- BAMF Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nationale Arbeitsorganisation BMZ Bundesministerium für wirtschaftliche IMF International Monetary Fund / Internatio- Zusammenarbeit und Entwicklung naler Währungsfond BIP Bruttoinlandsprodukt IPCC Intergovernmental Panel on Climate CONCORD European NGO Confederation for Relief Change / Zwischenstaatlicher Ausschuss and Development / europäischer Dachver- über Klimaveränderung band entwicklungspolitischer Nichtregie- ODA Official Development Assistance / öffent- rungsorganisationen liche Entwicklungszusammenarbeit ECOWAS Economic Community of West African Sta- OECD Organisation for Economic Co-operation tes / Wirtschaftsgemeinschaft westafrika- and Development / Organisation für wirt- nischer Staaten schaftliche Kooperation und Entwicklung GATS General Agreement on Trades in Services PPP Purchasing Power Parity / Kaufkraftparität / Übereinkommen über den Handel mit SDG Sustainable Development Goals / Ziele für Dienstleistungen nachhaltige Entwicklung GCIM Global Commission on International Mi- TRIPS Trade-Related Aspects of Intellectual Pro- gration / Weltkommission für internatio- perty Rights / Übereinkommen über han- nale Migration delsbezogene Aspekte der Recht des geis- GFMD Global Forum on Migration and Develop- tigen Eigentums ment / Globales Forum für Migration und UNHCR United Nations High Commissioner for Re- Entwicklung fugees / Flüchtlingshilfswerk der Verein- GMG Globale Migrationsgruppe ten Nationen 1 Einleitung Mehr als 60 Mio. Menschen befinden sich derzeit welt- menspiel verschiedener Faktoren, sowohl auf Mikro-, weit auf der Flucht vor Krieg, Gewalt, Hunger oder Na- Meso- als auch auf Makroebene, die Migrationsbewe- turkatastrophen. Das sind so viele, wie noch nie. Die gungen auslösen, verstärken und überdauern lassen. Zahl der MigrantInnen wird auf ca. 240 Mio. Menschen weltweit geschätzt. Die meisten von ihnen bewegen Die vorliegende Studie befasst sich mit den Themen sich in und zwischen den armen Ländern des Globalen Flucht, Migration und Entwicklungszusammenarbeit. Südens. Aber auch die Süd-Nord-Migration hat in den Sie beleuchtet sowohl an einigen Beispielen die Aus- letzten Jahren zugenommen. Die MigrantInnen und gangssituationen in den Herkunftsländern der Migran- Flüchtlinge, die auf der Suche nach Schutz und einem tInnen und Flüchtlinge − seien es politische, wirtschaft- besseren Leben in den Globalen Norden kommen, tun liche, kulturelle oder durch den Klimawandel bedingte dies nicht leichtfertig. Der Entscheidung gehen meist Folgen − als auch die Mechanismen und politischen Erfahrungen von Gewalt, Entbehrung und Armut vo- Rahmenbedingungen, die zu Flucht und Migration raus. Aber woher konkret rühren die Gründe für den führen. Aufbruch? Migration und Flucht kann man nicht ausschließlich Die Trennlinie zwischen Flucht und Migration ist nicht im Rahmen von Landesgrenzen analysieren. Es sind immer eindeutig und wird sehr häufig, je nach politi- transnationale Phänomene in einer globalisierten schen Interessen der Zielländer, unterschiedlich ge- Welt. Demzufolge befasst sich das zweite Kapitel der zogen. Es ist selten ein einziger Grund, der Menschen Studie mit Globalisierung im Allgemeinen und welche flüchten oder migrieren lässt. Viel eher ist es ein Zusam- Auswirkungen sie auf Entwicklungsländer, auf Migra- 3 Die Zusammenhänge zwischen Migration, globaler Ungleichheit und Entwicklung
> 2 Die Folgen der Globalisierung tion und Flucht hat. Das Kapitel handelt von der Un- kunftsländer der MigrantInnen beinhalten. Im darauf- gleichheit zwischen dem Globalen Norden und Süden, folgenden Kapitel verdeutlicht das Beispiel von Rück- von Handels- und Kapitalverkehrsbarrieren und von überweisungen dies auf anschauliche Weise. Grenzen für MigrantInnen und Flüchtlinge. Migration kann das Wirtschaftsgefüge, die Rechtspre- Das dritte Kapitel beleuchtet die Migration zwischen chung, die gesellschaftlichen Debatten ebenso wie Globalem Süden und Norden ebenso wie innerhalb der die Politik beeinflussen. Das letzte Kapitel der Studie Regionen. Die Gründe für Migration und Flucht sind beleuchtet deshalb die Ansätze der Politik. Sei es im vielfältig: Klimawandel, politische Konflikte und Lohn- Rahmen der Agenda 2030 und den dazu gehörenden ungleichheit gehören dazu. Nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nati- onen (SDG), auf EU-Ebene am Beispiel des Notfall-Treu- So kritisch und negativ die Stimmen sind, die über Mi- handfonds für Afrika oder auf nationaler Ebene mit gration diskutieren, kann Migration auch enormes dem Konzept des BMZ, um Flucht- und Migrationsursa- Entwicklungspotential für Zielländer und für Her- chen zu bekämpfen. 2 Die Folgen der Globalisierung Von der gegenwärtigen Flüchtlingskrise sind Entwick- und Flüchtlingen ist, dass sie schneller und unmittel- lungsländer viel stärker betroffen als die Mitglieds- barer in ihre Heimatländer zurückkehren können. länder der EU. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) Auch geht meistens mit der geographischen eine kul- schätzt die Zahl der Flüchtlinge auf einen Nachkriegs- turelle Nähe einher, was die Integration erleichtern rekord von mehr als 60 Mio. Menschen. Nur ein Drittel kann. Schätzungen zu Folge sind zurzeit ca. 13 Mio. derer befindet sich außerhalb ihrer Herkunftsländer: SyrerInnen auf der Flucht, sieben Mio. davon innerhalb Derzeit gelten 38 Mio. Menschen als Binnenvertriebe- des Landes und ca. sechs Mio. im Ausland. Von diesen ne. Die meisten Flüchtenden wollen in ihre Heimator- sechs Mio. Flüchtlingen ist lediglich eine Million nach te zurückkehren, sobald die Ursachen und Umstände, Europa gereist. Die große Mehrheit der syrischen die sie einst zur Flucht gezwungen haben, vorbei sind. Flüchtlinge hat in den Nachbarländern Jordanien, Die benachbarten Entwicklungsländer stemmen den Libanon, Türkei und Irak Schutz gesucht. Allein in Jorda- Löwenanteil bei der Aufnahme von Flüchtlingen und nien leben inzwischen mehr als eine Million SyrerInnen, MigrantInnen. Ein Vorteil aus Sicht der MigrantInnen und es werden jeden Tag mehr. Nicht nur in Syrien werden Menschen gezwungen zu fliehen, auch in Afghanistan, im Sudan, im Südsudan oder in Ko- lumbien, der Demokratischen Re- publik Kongo und vielen weiteren Ländern fliehen Menschen vor Krieg, Unterdrückung, Gewalt, Hunger oder Naturkatastrophen (siehe Abb. 1): Länder, wie der Libanon, die Tür- kei oder Kenia, sind angesichts der Dimension der Flüchtlingskri- se stark überfordert. Auch Europa steht zurzeit vor großen Heraus- forderungen. Flüchtlingslager Libanon, Foto: UNHCR Refugee Agency/Flickr.com 4 Migration und Flucht in Zeiten der Globalisierung
> 2 Die Folgen der Globalisierung Abb. 1: Anzahl der eingetragenen Flüchtlinge nach Zielland in Mio., Stand 2015 Europa Amerika 3,49 0,75 Nordafrika/ Mittlerer Osten Asien 3,01 3,79 n > 1 Mio. n 250.000-1 Mio. n 50.000-250.000 n 5.000-50.000 n 500-5.000 Subsahara-Afrika n 1-500 4,06 n 0 oder keine Angabe Quelle: Economist.com Flüchtlinge* insgesamt weltweit nach Region, in Mio. 15,1 15,1 * oder Menschen in Flucht ähnlichen Situationen Quelle: Eigene Darstellung nach UNHCR, NATO, Migration Policy Institute, Refugees International, US State Department Migration als globales Phänomen Weltweit haben Migrationsbewegungen zugenom- men: Süd-Süd-Migration (zwischen Ländern des Glo- Gegenwärtig versucht die Politik immer intensiver, balen Südens); Süd-Nord-Migration (von Ländern des eine klare Grenze zwischen „Flüchtling“ (auf der Su- Globalen Südens in Länder des Globalen Nordens) aber che nach Schutz) und „MigrantIn“ (auf der Suche nach auch die Nord-Nord-Migration zwischen reichen Län- sozio-ökonomischer Verbesserung) zu ziehen. In der dern des Globalen Nordens. Ebenfalls gewachsen ist die Praxis ist eine Trennungslinie aber alles andere als klar. Migration in OECD-Länder: Zwischen 2013 und 2014 Flüchtlinge, die länger als fünf Jahre ohne Beschäfti- erlebten die OECD-Länder einen Anstieg der Migration gung, Bildung oder sonstige sozio-ökonomische Mög- um 6 %. Fernsehbilder von überfüllten Booten im Mit- lichkeiten leben müssen, sehen sich häufig gezwungen telmeer sollten allerdings nicht täuschen: China und weiterzuziehen, um neue Alternativen zu suchen. Dies Indien gelten derzeit als die wichtigsten Herkunftslän- führt zu einer Vermischung der Migrationsflüsse (Long der, gefolgt von Polen und Rumänien. Deutschland hat 2016). in dieser Zeit seinen Status als zweitwichtigstes Einwan- derungsland nach den USA konsolidiert (OECD 2015). > 2.1 Globalisierung – Ursachen und Motive für moderne Migration In der gesellschaftlichen Debatte wird von Migration Globalisierung als die einzigen Migrationsursachen zu sehr häufig als „Problem“ gesprochen, das schnell po- betrachten. Migrationsprozesse sind vielmehr die Fol- litisch gelöst werden müsse. Reflexartig wird für stren- ge einer Kombination aus Mikro- und Makrostruktu- gere Grenzkontrollen und gar für eine Sicherung bzw. ren. Die ersten haben mit persönlichen Motivationen, Schließung von Grenzen plädiert − wenn nötig auch familiären Bindungen oder Überzeugungen der Mi- mit „Schießbefehl“. Übersehen wird allerdings, dass Mi- grantInnen zu tun. Die Makrostrukturen beruhen auf gration Teil eines breiteren und weltweiten Prozesses institutionellen Faktoren mit größerer Wirkung (large von Entwicklung, Globalisierung und sozialer Transfor- scale) − also auf der Globalisierung des Weltmarktes − mation ist, welcher die Menschheit seit Jahrhunderten d.h. zwischenstaatliche Beziehungen (Mikro- und Mak- begleitet und auch künftig begleiten wird. rostrukturen) werden teilweise durch Mesostrukturen (durch Netzwerke, Schlepperbanden etc.) miteinander Die Ursachen von Migration und Mobilität sind nicht verbunden (Castles et al. 2014). eindimensional. Es wäre zu kurz gegriffen, Armut oder 5 Die Zusammenhänge zwischen Migration, globaler Ungleichheit und Entwicklung
> 2 Die Folgen der Globalisierung Es gibt Umstände in den Herkunftsländern, die Aus- balisierung der Migration, d.h. immer mehr Länder wanderung auslösen − sogenannte Abstoßkräfte (push weltweit sind von der Migration betroffen. Zweitens factors). Dazu gehören ethnische oder religiöse Diskri- der Richtungswechsel der Migrationsbewegungen, minierung ebenso wie schlechte Arbeitsbedingungen d.h. die Süd-Nord-Migration ist heute stärker als die und Armut. Das allein erklärt aber nicht die Entschei- Nord-Süd-Migration der Vergangenheit (von Europa dungen der Menschen, auszuwandern. Anziehungs- nach Argentinien, Australien etc.). Drittens die Diffe- kräfte der Zielländer (pull factors), wie höhere Löhne, renzierung der Migration, d.h. die meisten Länder ha- Bedarf an saisonalen Arbeitskräften in der Landwirt- ben mit verschiedenen Migrationsformen zu tun. Vier- schaft oder im Pflegebereich sowie an hochqualifizier- tens die Proliferation von Migrationsübergängen, d.h. ten Fachkräften im IT-Bereich, beeinflussen ebenfalls viele Auswanderungsländer werden zunehmend zu die Migration. Einwanderungsländern. An fünfter Stelle die Femini- sierung der Arbeitsmigration, d.h. anders als in der Ver- Das Zusammenwirken verschiedener Faktoren wie gangenheit sind es heute in zahlreichen Migrationsbe- Wohlstand, geographische Nachbarschaft, Transport- wegungen mehrheitlich Frauen, die ihre Heimatländer verbesserungen oder plötzliche Ereignisse schaffen die verlassen. Und sechstens die steigende Politisierung Bedingungen und das Umfeld, in dem Menschen die von Migration, d.h. Migration bestimmt immer mehr Entscheidung zwischen Gehen oder Bleiben treffen – die Innen-, Außen-und Entwicklungspolitik der betei- dies sind die Motive oder Ursachen der Migration. ligten Länder (Castles et al. 2014). Insgesamt sechs Tendenzen der Migration werden in der Migrationsforschung identifiziert: Erstens die Glo- > 2.2 Die Liberalisierung des Welthandels Länder wie Burkina Faso und Ghana hatten einst eine Milch für 38 bis 45 Cent pro Liter produzierten, kostete funktionierende Milchproduktion. Viele Bäuerinnen das europäische, subventionierte Milchpulver nur 30 und Bauern besaßen ein oder zwei Kühe, und es gab Cent. Statt der, laut neoliberalem Dogma, Verbesse- zahlreiche kleine Molkereien in den Ländern. Dann rungen und Vorteilen für die AfrikanerInnen, brach- kam sehr billiges, subventioniertes Milchpulver aus te dies jedoch verheerende Folgen mit sich: Weil sich der EU nach Westafrika − in den Jahren 2004 und 2005 die Milchproduktion nicht mehr lohnte, mussten die lag dessen Preis bei einem Viertel des europäischen Milchbäuerinnen und -bauern ihre Kühe verkaufen Produktionspreises. Während einheimische Bauern und ihre Ländereien verlassen. Viele von ihnen verlie- ßen ihr Land und zogen auf der Suche nach neuer Ar- beit in die Städte. Vergleichbares spielte sich an den Küsten des Senegals und Mauretaniens im Hinblick auf die EU-Fischereipolitik ab: Die billigen Importe aus den EU-Ländern zerstörten die Lebensgrundlagen der einheimischen FischerInnen und KleinproduzentIn- nen, ohne dass alternative Beschäftigungsmöglich- keiten geschaffen wurden. Durch die Liberalisierung des Welthandels wurde die Grundlage von Millionen Bauernfamilien in Afrika, Asien und Lateinamerika zer- stört. Das Ergebnis: Da die Landwirtschaft sie nicht wei- ter ernähren kann, verlassen sie die ländlichen Gebiete und ziehen in die Städte. Dort leben sie unter teilweise prekären Lebensbedingungen. Die Regierungen armer Länder haben vergeblich ver- sucht, sich gegen diese Entwicklungen zu wehren. Sie plädierten dafür, im Rahmen der Welthandelsorgani- sation (WTO) eine „Entwicklungsrunde“ einzuführen. Die Doha-Entwicklungsrunde sollte Regeln gegen un- faire Handelspraktiken und einen besseren Zugang der Containerhafen, Foto: Senfwurst/Flickr.com Entwicklungsländer zu den Märkten der reichen Staa- 6 Migration und Flucht in Zeiten der Globalisierung
> 2 Die Folgen der Globalisierung ten erreichen. Ursprünglich sollten die Verhandlungen die für Entwicklungsländer von strategischer Bedeu- bereits 2004 abgeschlossen sein. Sie scheiterten am Wi- tung waren, liberalisiert: die Durchsetzung von Urhe- derstand der USA und der EU, die sich weigerten, ihre berrechten, das Allgemeine Übereinkommen über den Agrarsubventionen abzubauen. Die Folgen sind für Handel mit Dienstleistungen (GATS), Übereinkommen die meisten Entwicklungsländer verheerend: Die Kluft über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geisti- zwischen armen und reichen Ländern ist gewachsen. In gen Eigentums (TRIPS), Investitionen und öffentliche zahlreichen afrikanischen, lateinamerikanischen und Beschaffung etc. asiatischen Ländern ist die landwirtschaftliche Produk- tion zum Erliegen gekommen und Konflikte um knap- Diskutiert man Globalisierung, dann finden Migrati- pe Ressourcen haben sich verschärft. on und Migrationsbewegungen nur am Rande Beach- tung. Allerdings fragte sich schon Lant Pritchett zu Die Regeln und Normen, die den internationalen Han- Recht: „Wenn alles globalisiert ist, warum dann nicht del heute bestimmen, haben die Ungleichheit zwi- auch Arbeit und Beschäftigung?”1 (Pritchett 2006). schen Nord und Süd nicht reduziert, sondern eher noch Mächtige Länder verwehren sich einem Migrations- verschärft. Gewinner sind multinationale Konzerne system, welches auf Regeln und Normen basiert. Faire und Banken in reichen Ländern sowie Wirtschaftse- Regelungen würden die Schwächeren gegen die Mäch- liten und korrupte PolitikerInnen in armen Ländern. tigeren schützen. Wenn diese Regeln aber fehlen oder Schätzungen zu Folge hat die WTO im Jahr 2000 ein nur einseitig umgesetzt werden, dann ist das Schicksal Handelsvolumen von umgerechnet 8 Trio. US-Dollar der Menschen von der Entscheidung und dem Wohl- ermöglicht. wollen Einzelner abhängig. Im Rahmen zahlreicher Verhandlungen wurden im- mer wichtigere Aspekte der nationalen Souveränität, > 2.3 Die Liberalisierung der Finanzmärkte Die Liberalisierung der Finanzmärkte hat ebenfalls die neue Schuldenkrise sein. Ein starker Rückgang der In- Kluft zwischen reichen und armen Ländern weiter ge- dustrieproduktion von mehr als 30 % ist in den Schwel- öffnet. Die internationale Finanzkrise war in erster Li- lenländern bereits zu beobachten. nie eine Kreditkrise, eine Krise des internationalen Ban- kensystems. In Subsahara-Afrika werden die Banken vor Nur vor dem Hintergrund der Globalisierung kann allem mit einheimischem oder regionalem Kapital ver- man Verlauf und Dynamik der aktuellen Migrationsbe- sorgt und hängen weniger von ausländischen Krediten wegungen verstehen. Die zunehmende Globalisierung ab. Banken aus Schwellen- und Entwicklungsländern der Wirtschaft ist eine enorme Herausforderung für haben nicht am Derivate-Handel teilgenommen. Ihr Demokratie und nationale Souveränität – insbesonde- Finanzsystem ist infolge der vom Internationalen Wäh- re in Entwicklungsländern. Rodrik beschreibt Demo- rungsfonds (IWF) verordneten Liberalisierung dennoch kratie, nationale Souveränität und Globalisierung in mit den internationalen Finanzmärkten verknüpft. einem wechselseitigen „Dreierverhältnis“. In diesem „Trilemma“ spielt die Globalisierung eine entscheiden- Ausländische Direktinvestitionen, Portfolioinvestitio- de Rolle: Eine größere Öffnung nach außen geht in der nen und Kredite für den Globalen Süden gingen infolge Regel auf Kosten von Demokratie und/oder nationaler der Rezession und der Rettungspakete für Industrielän- Souveränität (Rodrik 2009). der dramatisch zurück. Das Geld für den Süden wurde für die Rettung von Banken umgeleitet. Nach Angaben Globalisierungs- und Transitionstheorien belegen, dass des Institute for International Finance sind die Kapi- soziale Transformation und Entwicklungsprozesse Mi- talzuflüsse in Entwicklungsländer 2008 um 465 Mrd. gration steuern und dass es sehr schwer ist, langfristige US-Dollar zurückgegangen. Nach Berechnungen der Migrationstrends entscheidend zu beeinflussen, wenn Weltbank beläuft sich der Finanzierungsbedarf infolge Staaten und internationale Institutionen nicht radikale der Austrocknung des Bankentransfers für Entwick- Veränderungen in ihren politischen und wirtschaftli- lungsländer auf 1,4 Bio. US-Dollar. Unmittelbare Folge chen Systemen vornehmen (Goldin et al. 2011). dieses gigantischen Ressourcentransfers könnte eine 1 “If everything else is globalized then why not labor?“ (eigene Übersetzung nach Pritchett 2006: 31) 7 Die Zusammenhänge zwischen Migration, globaler Ungleichheit und Entwicklung
> 3 Die steigende Süd-Nord-Migration 3 Die steigende Süd-Nord-Migration Migrationsstudien haben den Zusammenhang zwi- tionalen Währungsfonds und insbesondere der Welt- schen der zunehmenden Süd-Nord-Einkommenskluft bank wurden in den armen Entwicklungsländern im und Migration empirisch nachgewiesen. Der Einkom- Rahmen von Strukturanpassungsprogrammen u.a. die mensunterschied zwischen Herkunfts- und Ziellän- Kapitalmärkte für ausländische InvestorInnen geöff- dern ist gestiegen. Wenn die Kluft um 1.000 US-Dollar net. Die Liberalisierung von Handel und Finanzen war Kaufkraftparität steigt, dann steigt die Anzahl der Mi- also das Resultat politischer Initiativen, die insbesonde- grantInnen um 10 % (Ortega/Peri 2009). re das Interesse großer multinationaler Konzerne und reicher Finanzinstitute im Blick hatte. Für Waren und Die Liberalisierung des internationalen Handels wurde Kapital wurden die Grenzen vollständig geöffnet, für durch die Entstehung der Welthandelsorganisation Menschen und Arbeitskräfte jedoch nicht. (WTO) erst möglich gemacht. Mit Hilfe des Interna- > 3.1 Globale Ungleichheit und Migration Demographische, ökonomische und soziale Nord-Süd- sogenannte GastarbeiterInnen in den Zielländern auf Ungleichheiten sind wichtige Aspekte im Hinblick auf Arbeitssuche oder bereits beschäftigt sind. 60 % der Migration (GCIM 2005). Unter den wirtschaftlichen Fak- MigrantInnen weltweit leben in reichen Ländern, in toren, die als Auslöser von Migration angesehen wer- denen gleichzeitig lediglich 16 % der weltweit Beschäf- den, spielen die Lohndisparitäten zwischen Ländern tigten leben (GCIM 2005). Im Jahr 2000 gab es in die- des Globalen Nordens und des Globalen Südens eine sen Ländern 52 Mio. MigrantInnen unter den 465 Mio. Schlüsselrolle. Die meisten Menschen migrieren von Beschäftigten, d.h. 12 % der Arbeitskräfte im Globalen Niedrig- in Hochlohnländer. Zwischen 1980 und 2010 Norden waren ArbeitsmigrantInnen aus dem Globalen machten MigrantInnen aus Entwicklungsländern 40 % Süden. der Arbeitskräfte in den naturwissenschaftlichen Be- reichen und in den Wirtschaftssektoren der Industrie- In Entwicklungsländern dagegen sieht die Situation länder aus (McKinsey Global Institute 2012). anders aus: Von den 3 Mrd. Arbeitskräften, sind 32 Mio. ArbeitsmigrantInnen, also lediglich 1 %. In China und Während sogenannte WirtschaftsmigrantInnen – per Vietnam gibt es keine ausländischen Arbeitsmigran- Definition – ihr Migrationsziel hinsichtlich eines höhe- tInnen in der nationalen Industrie, in den Öl expor- ren Beschäftigungseinkommens wählen, geht es bei tierenden Ländern des Mittleren Ostens dagegen sind den politischen Flüchtlingen in erster Linie darum, ihr 70 % der Arbeitskräfte MigrantInnen. Leben zu retten und sich in Sicherheit zu bringen. Die sogenannten WirtschaftsmigrantInnen hoffen, in den Die Lohndisparitäten zwischen reichen, entwickelten Zielländern mit besseren Arbeitsbedingungen und Industrieländern- und Entwicklungs- bzw. Schwel- angemessenerer Entlohnung ihr Wohlstandsniveau lenländern sind groß und haben in den letzten Jahren verbessern zu können. Es muss allerdings festgehalten der Wirtschaftskrise weiter zugenommen. Der Durch- werden, dass auch politische Flüchtlinge eher in Län- schnittslohn lag 2013 in den entwickelten Ländern bei dern mit geringer Arbeitslosigkeit, wie Deutschland, 3.000 US-Dollar – pro Monat gemessen in Kaufkraft- Österreich oder Schweden, Schutz suchen als in Län- parität – verglichen mit einem Durchschnittslohn von dern mit Beschäftigungsproblemen, wie Griechenland 1.000 US-Dollar in Schwellen- und Entwicklungslän- oder vielen osteuropäischen Ländern (IMF 2016). dern (ILO 2015). Der US-amerikanische Durchschnitts- lohn ist mehr als dreimal so hoch wie der chinesische Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorga- Durchschnittslohn. Zwar ist der Lohnunterschied nisation (ILO) gibt es derzeit ca. 150 Mio. Arbeitsmig- zwischen beiden Ländern leicht zurückgegangen, die rantInnen weltweit (ILO 2015b). Zu den Arbeitsmig- Arbeitsbedingungen haben sich allerdings nicht ver- rantInnen werden nur die Personen gezählt, die als bessert. 2 Kaufkraftparität heißt, dass man Kennzahlen verschiedener Währungen nicht vergleicht, in dem man die Währungen über den Wechselkurs umrechnet, sondern in- dem man die Kaufkraft der Währungen anhand eines repräsentativen Warenkorbs bestimmt und die Kennzahlen dann anhand der Kaufkraft vergleicht. In Statistiken wird oft die englische Abkürzung PPP (Purchasing Power Parity) angegeben. (https://www.vimentis.ch/d/lexikon/152/Kaufkraftparit%C3%A4t.html) 8 Migration und Flucht in Zeiten der Globalisierung
> 3 Die steigende Süd-Nord-Migration Das Abfallen des Reallohns und die Verschlechterung dern des Globalen Nordens, öffnet sich die Einkom- der weltweiten Arbeitsbedingungen sind eine Folge mensschere zwischen Europa und Afrika weiter. Nicht der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Während nur in Hinblick auf Afrika hat sich das Versprechen, die Reallohnsteigerungen in den letzten Jahren in eini- dass neoliberale Handelsreformen und Globalisierung gen Entwicklungs- und Schwellenländern Asiens und zu einer allmählichen Konvergenz im Einkommensni- Osteuropas zu erheblichen Verbesserungen geführt veau führen, als ein Trugschluss erwiesen. haben und stärker waren als in einigen reichen Län- > 3.2 Geschlechterspezifische Ungleichheit und Migration Flucht und Migration sind immer gefährliche, mühsa- gleichheiten im Zielland auf die Erfahrungen von Mi- me und schwere Unterfangen. Menschenhandel und grantinnen aus? Entführung sind Gefahren, mit denen alle, die ihre Heimat verlassen und in einem anderen Land Schutz Die Daten belegen, dass einerseits in Ländern, in denen suchen müssen, konfrontiert werden – Männer gleich- hohe Armutsraten und starke Unterschiede zwischen wohl wie Frauen. Allerdings sind es Frauen, die beson- Männern und Frauen herrschen, weniger Frauen emi- ders verletzlich sind und öfter Opfer von Gewalt, Miss- grieren. Andererseits wirkt geschlechterspezifische brauch und Vergewaltigungen werden. Diskriminierung von bestimmten Frauengruppen, wie alleinerziehenden Müttern, unverheirateten oder ge- Migration hat für Frauen andere Auswirkungen als schiedenen Frauen und Witwen, als Push-Faktor, also für Männer. Nicht nur in den Herkunftsländern, son- als verstärkender Grund, das Land zu verlassen. Ein dern auch in den Zielländern bestimmt die Ungleich- Anreiz, ein sogenannter Pull-Faktor, kann beispielwei- heit zwischen Frauen und Männern die Situation der se die Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften im Migrantinnen. Auch die Auswirkungen der Migrati- Pflege- und Reinigungsbereich in den Zielländern der on oder Flucht sind für Frauen andere als für Männer. Migration sein. Migration ist nicht „geschlechterneutral“. Daraus er- geben sich wichtige Fragen für eine Migrationsana- Obwohl Frauen im Durchschnitt 17 % weniger Lohn für lyse aus der Gender-Perspektive: Warum sind Frauen die gleiche Tätigkeit als Männer erhalten, sparen sie in stärker negativ von Migrationsprozessen betroffen als der Regel mehr, um Rücküberweisungen an Familien- Männer? Inwieweit wirkt sich Migration positiv bzw. angehörige in der Heimat zu schicken. Hochqualifizier- negativ auf die Lage von Migrantinnen aus und wie te und besser bezahlte Stellen bekleiden dagegen eher wirken sich bestehende geschlechterspezifische Un- Männer (UNDP 2009). > 3.3 Fallbeispiele Die arabischen Länder im Norden Afrikas stehen häufig bei weiblichen Jugendlichen sind es sogar 45 % − die Re- im Mittelpunkt der Migrationsdebatten. Der sogenann- gion mit der höchsten Jugendarbeitslosigkeit weltweit. te Arabische Frühling wurde in Ländern wie Tunesien, Auch die Kinderarbeit ist mit mehr als 9 Mio. arbeiten- Libyen oder Ägypten als der Aufstand der Bevölkerung den Kindern sehr hoch. Im Sudan machen Kinder ca. gegen korrupte Regierungen, die ihre Bevölkerung 4 % der gesamten Arbeitskräfte aus. Hinzu kommt, dass unterdrücken, bekannt. Wie so oft gab es aber auch soziale Dienstleistungen und soziale Sicherungssyste- ökonomische Ursachen − steigende Einkommensun- me in der Region zersplittert und ungerecht sind. Da- gleichheit und eine Verschlechterung der Arbeitsbe- bei wird sich das Problem von Arbeitslosigkeit und pre- dingungen − die zu zunehmender Unzufriedenheit in kären Arbeitsbedingungen in den arabischen Ländern der Bevölkerung führten. in der Zukunft eher noch weiter verschlechtern, denn in dieser Region liegt die Erwerbsbeteiligungsquote3 − Insbesondere junge Menschen sind in Nordafrika von insbesondere bei Frauen − weit unter dem weltweiten Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung betroffen. Durchschnitt (ILO 2016). Nach Angaben der ILO ist Nordafrika mit knapp 30 % − 3 Die Erwerbsbeteiligungsquote ist der Anteil der Erwerbspersonen in Relation zur Gesamtbevölkerung. 9 Die Zusammenhänge zwischen Migration, globaler Ungleichheit und Entwicklung
> 3 Die steigende Süd-Nord-Migration Das Haushaltseinkommen besteht nicht nur aus dem Durchschnitt bei 46 % liegt, arbeiten dort knapp 70 % Einkommen der Löhne. Es gibt auch Einkommen aus Ei- der Menschen in unsicheren Arbeitsverhältnissen. Da- gentum, Handel, Produktion und aus dem Angebot von bei gibt es sehr starke regionale Unterschiede, die von Dienstleistungen für den Markt oder den Eigenbedarf den jeweiligen Produktionsstrukturen abhängig sind: sowie aus Transferzahlungen, wie Arbeitslosengeld Nicht nur, dass die Löhne sehr niedrig und die Arbeits- und Sozialhilfe. Anders als in den entwickelten Län- zeiten lang sind, es gibt auch keinerlei sozialen Arbeits- dern, sind in armen Ländern Transferzahlungen so gut schutz. Dabei sind Frauen in Afrika noch stärker von wie nicht vorhanden. In armen Ländern sind weniger ungeschützten Arbeitsverhältnissen betroffen als Män- Menschen vom Lohn, als vielmehr vom Eigeneinkom- ner (ILO 2016). Vor diesem Hintergrund ist es nicht ver- men aus privaten Dienstleistungen (unter anderem aus wunderlich, dass Subsahara-Afrika die höchsten Migra- dem informellen Sektor) abhängig. Das bringt mit sich, tionszahlen weltweit aufweist, nämlich 1,5 % bei einem dass die Einkommensverhältnisse weniger kontinuier- weltweiten Durchschnitt von 1 %. Länder mit besonders lich sind und das Armutsrisiko größer ist (ILO 2015a). hohen arbeitsbedingten Migrationsraten sind Gambia, Elfenbeinküste, Somalia und Simbabwe. In Subsahara-Afrika sind 60 bis 80 % der Beschäftigten in der informellen Wirtschaft aktiv. Das macht 50 bis Die Verbindung zwischen Migration und Beschäfti- 80 % des BIP aus. Sowohl auf dem Land als auch in den gung ist inzwischen als entscheidend für Armutsbe- Städten sind neun von zehn Erwerbstätigen im infor- kämpfung und Entwicklung anerkannt (OECD 2009). mellen Sektor beschäftigt. Während der weltweite > 3.4 Klimawandel, Umweltzerstörung und Migration Die Begriffe „Umweltflüchtling“ oder „Klimaflücht- gration der einzige Ausweg, sich an schwerwiegende ling“ sind sehr umstritten, denn eine klare Abgrenzung Umweltveränderungen, beispielsweise Dürren oder zwischen umweltbezogenen Migrationsursachen und Überschwemmungen, anzupassen. Diese Migration ist anderen, nicht umweltbezogenen, ist in zahlreichen jedoch eher ein temporäres Phänomen und findet im Fällen schwer vorzunehmen. Bereits 1985 prägten Ex- regionalen und nur selten im transnationalen Kontext pertInnen der Vereinten Nationen den Begriff „Um- statt. Allmähliche Umweltveränderungen legen hinge- weltflüchtlinge“ für jene Menschen, die aufgrund von gen nahe, Auswanderung als eine Antwort auf den Kli- Veränderungen in ihrer unmittelbaren Umwelt ge- mawandel zu betrachten. zwungen waren, dauerhaft oder vorübergehend ihre Heimat zu verlassen – der Zusammenhang zwischen Nicht jede Katastrophe führt automatisch zur Auswan- Migration und Vertreibung infolge von Umweltverän- derung oder Vertreibung. Statistische Recherchen zei- derungen wurde bereits damals deutlich. gen, dass Klimaereignisse zu Katastrophen werden, wenn sie in bevölkerungsreichen Regionen stattfinden, Insbesondere in armen Entwicklungsländern hat der in denen viele Menschen in prekären Wohnsituationen Klimawandel zu einer signifikanten Steigerung von Mi- leben und dadurch verwundbar sind. Die aktuell be- gration und Umsiedlung geführt. Zwischen 2008 und kanntesten Fälle sind die Dürrekrisen im Sudan, Südsu- 2013 mussten weltweit ca. 165 Mio. Menschen wegen dan, in Äthiopien oder Syrien. Die Überschwemmun- durch den Klimawandel bedingte Naturkatastrophen gen in Pakistan, den Philippinen oder in Bangladesch ihre Heimat verlassen. Jedoch nicht immer haben so- sind ebenfalls eindrückliche Beispiele. Die größten genannte Umweltflüchtlinge die Möglichkeit, frei da- Wanderungsbewegungen infolge von Klimaverände- rüber zu entscheiden, ob sie migrieren oder bleiben. rungen werden in Ländern und Regionen wie Pakistan, Diese Entscheidungen hängen von den Umständen ab, Westafrika, dem Horn von Afrika oder jenen Inselstaa- unter denen Menschen von Umweltereignissen betrof- ten4, die besonders stark vom Klimawandel betroffen fen sind. Opfer von schweren Naturkatastrophen oder sind, erwartet. Enteignungen haben kaum die Kontrolle darüber, wie und wann sie ihren angestammten Wohnsitz verlassen Das Ausmaß des Schadens, der durch den Klimawandel und wo sie Schutz suchen können. Für die Bewohne- verursacht wird, fällt je nach Region, Sozialstatus oder rInnen vieler Regionen in Entwicklungsländern ist Mi- Einkommensniveau unterschiedlich aus. Zugleich 4 „Zu der Allianz der kleinen Inselstaaten (AOSIS) gehören 44 Staaten, sowohl Inseln als auch Länder mit Küstenregionen, die in vergleichbarer Weise vom Klimawan- del betroffen sind. Die Mitglieder der Allianz machen fünf Prozent der Weltbevölkerung aus.“ (eigene Übersetzung nach URL: http://aosis.org/about/ (letzter Abruf: 30.5.2016)) 10 Migration und Flucht in Zeiten der Globalisierung
> 3 Die steigende Süd-Nord-Migration sind dies die Faktoren, die darüber entscheiden, ob Be- In Westafrika sprechen US-amerikanische Migrati- troffene auswandern oder bleiben. ExpertInnen war- onsforscherInnen von einem Spannungsbogen (arc of nen schon lange davor, dass der Klimawandel in den tension), der das Zusammenwirken zwischen Klima- nächsten Jahren die bereits bestehenden Migrations- wandel, politischer Instabilität und Migration entlang bewegungen – insbesondere in den Entwicklungslän- der vier Länder Nigeria, Niger, Algerien und Marokko dern – verschärfen wird. Nach neusten Schätzungen beschreibt (Werz/Conley 2012). Diese vier Länder, teil- mussten schon bis zu einer Milliarde Menschen infolge weise verbunden durch die Sahara, wurden von Sicher- von Klimaveränderungen ihre Heimat verlassen (KNO- heitsexpertInnen bisher eher selten als eine geopoli- MAD 2016). Während Wüstenbildung oder Dürre die tische Konfliktregion angesehen. Erst durch die neue einen zu Flucht und Auswanderung zwingen, sind es Migrationskrise versteht man allmählich, dass der Kli- Überflutung, Küstenerosion oder der Anstieg des Mee- mawandel Auslöser für weitere Krisen ist. Es ist abzuse- resspiegels für die anderen. Der größte Teil der Migra- hen, dass sich der Verteilungskampf um immer knap- tionsbewegungen infolge von Umweltveränderungen per werdende Ressourcen in Zukunft zuspitzen wird. findet national bzw. regional begrenzt und seltener über nationale Grenzen hinweg statt. „Wenn Men- Viele Menschen in Westafrika sind Kleinbäuerinnen schen ihre Heimat aufgrund der unmittelbaren Folgen und Kleinbauern und besonders abhängig von der des Klimawandels verlassen, dann bewegen sie sich landwirtschaftlichen Produktion. Naturressourcen si- meist innerhalb ihrer Heimatländer oder zwischen den chern ihre Ernährung. Fischerei und Landwirtschaft Nachbarländern. Man spricht deshalb auch von „trap- werden jedoch auch infolge von Umweltveränderun- ped populations“ [„gefangene Bevölkerung“, Anm. d. gen so stark beeinträchtigt, dass es manchmal kaum Red.] (DIE 2015). Nichtsdestotrotz ist die zunehmende noch möglich ist, sich an die neuen Bedingungen anzu- Migration aus Afrika über das Mittelmeer nach Europa passen. Saisonale Arbeitsmigration innerhalb der Re- unter anderem auch eine Folge von tiefgreifenden Um- gion ist deshalb weit verbreitet. weltveränderungen in der Sahelregion und Subsahara- Afrika (Werz/Conley 2012). Die Menschen sehen sich zu Klimawandel und Umweltzerstörung haben zu einer Migration gezwungen, weil sie sich nicht mehr ernäh- Veränderung der traditionellen Migrationsrouten von ren können und deshalb ihr Überleben nicht mehr ge- ViehzüchterInnen und zu einer generellen Zunahme währleistet ist. von Migration geführt. Es gibt Anzeichen, dass die ge- genwärtige Krise in Darfur, im Westen des Sudans, eine Die Fragilität Afrikas ist die Folge einer Kombinati- Folge der Konflikte zwischen ViehzüchterInnen und on mehrerer Faktoren: Hierzu zählen unter anderem LandwirtInnen ist, die sich durch die Dürrekatastrophe extreme Armut, häufige Naturkatastrophen, wie Dür- verschärft haben. Knappe Ressourcen führen häufig ren und Überschwemmungen, Bevölkerungswachs- zu Konflikten, die auch zu gewaltsamen Auseinander- tum und Landwirtschaftssysteme, wie Viehzucht und setzungen werden können. Eine ähnliche Dynamik, Nahrungsmittelproduktion, die sehr stark von Regen- wie in Darfur, ist in der Sahelregion, im Norden Nige- fall abhängig sind sowie staatliche Strukturen, die die- rias, zu beobachten. Hier haben ViehzüchterInnen ihre sen Herausforderungen nicht angemessen begegnen Herden aus den von der Dürre betroffenen Regionen in können. Die Verbindung zwischen Klimawandel und Tschad und Niger weiter in den Süden nach Nigeria ge- Migration ist komplex und kann nur im Zusammen- trieben. Dabei sind viele Anbauflächen der dort ansäs- wirken mit anderen Ursachen, wie ethnischen oder sigen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Mitleiden- religiösen Konfliktsituationen, demographischen oder schaft gezogen oder gar zerstört worden. Der Konflikt Wirtschaftskrisen verstanden werden. um Wasser hat sich zwischen ViehzüchterInnen und LandwirtInnen verschärft (McLeman 2011). Ähnliche Auseinandersetzungen existieren im Norden von Ke- Verteilungskämpfe und Zugang zu Ressourcen nia, in Äthiopien, Somalia und Uganda. In Ostafrika, einer Region mit durchlässigen Grenzen, können die Bis 2030 wird die Anzahl der Menschen, die in Trocken- zunehmenden Konflikte um knapper werdendes Land gebieten in Westafrika leben, um 65 bis 80 % steigen, so kaum verhindert werden. Den Regierungen fehlt es an die Schätzungen der Weltbank. Alarmierend ist auch, Ressourcen und Personal, um die Auseinandersetzun- dass infolge des Klimawandels der Anteil der Fläche, gen konstruktiv zu überwinden. die als Trockenland eingestuft wird, um mindestens 20 % wachsen wird (World Bank 2016). Der Zwang zur Die wirtschaftlichen und politischen Folgen von klima- Migration und Vertreibungen werden in Afrika zuneh- tisch bedingten Umweltveränderungen sind schwer- men. Besonders stark betroffen sind mehr als 300 Mio. wiegender als angenommen. Ein Beispiel ist der Krieg Menschen, die in Trockengebieten im Westen und Os- in Syrien, der als Folge einer ganzen Reihe von inein- ten Afrikas leben. 11 Die Zusammenhänge zwischen Migration, globaler Ungleichheit und Entwicklung
> 3 Die steigende Süd-Nord-Migration andergreifenden Entwicklungen zu sehen ist. Im Fokus Entwicklungshilfeorganisationen investiert, um kurz- der Öffentlichkeit stand zwar der Protest gegen das Al fristige Antworten auf die humanitären Katastrophen Asad-Regime, aber neben den bekannten religiösen, infolge des Klimawandels zu geben. 2011 wurden ge- ethnischen und wirtschaftlichen Hintergründen spiel- schätzte 4 Mrd. US-Dollar für humanitäre Hilfe in der ten auch Umweltfaktoren eine nicht zu unterschätzen- Sahelregion und am Horn von Afrika ausgegeben – de Rolle. ca. 10 % der gesamten Entwicklungshilfe (World Bank 2016). Das geht vielfach zu Lasten von Leistungen, die für langfristige Entwicklungsmaßnahmen notwendig Reaktionen der Politik wären, um dem Klimawandel in der Region zu begeg- nen. Große Summen öffentlicher Gelder werden von den afrikanischen Regierungen und den internationalen > 3.5 Krieg und Gewalt als Ursachen für Flucht Ein Großteil der Flüchtlinge kommt aus fragilen Staa- zunehmend unterwandert und ausgehöhlt und der ten, Kriegsgebieten und Konfliktregionen. Die meisten Prozess des Zerfalls schreitet voran (Mair 2004). von ihnen bleiben in ihrer Region, da sie sich die Reise nach Europa, bei der sie möglicherweise auf Schlepper SyrerInnen stellen momentan die größte Gruppe der angewiesen wären, finanziell nicht leisten können. Ge- Geflüchteten dar. Millionen sind auf der Flucht vor genwärtig sind es besonders SyrerInnen und EritreerIn- dem brutalen Religions- und Bürgerkrieg, der im Land nen, die flüchten müssen und in einem anderen Land, herrscht. Die Meisten aber bleiben im Land oder in der beispielsweise in Deutschland, Schutz suchen. Region, viele nehmen auch den Weg nach Europa auf sich, sei es über Land oder über das Mittelmeer. In fragilen Staaten können in Teilen des Landes oder im gesamten Staatsgebiet die öffentliche Sicherheit Im Vergleich zu Syrien, einem Kriegsgebiet und zerfal- nicht gewährleistet und Bildung, Gesundheit, wirt- lenen Staat (failed state), ist Eritrea zwar relativ stabil schaftliche Entwicklungschancen, Rechtsordnung und – aber der Preis der „politischen Stabilität“ ist hoch: In -sprechung sowie Umweltschutz nicht bereitgestellt Eritrea herrscht seit 1993 der Diktator Isaias Afwerki, werden. Fundamentale Infrastruktur oder Kommu- das gewählte Parlament ist faktisch inaktiv, die Verfas- nikationseinrichtungen fehlen. In diesem Vakuum sung von 1997 ist niemals in Kraft getreten und eine übernehmen Guerilla- und Rebellenbewegungen, Opposition ist nicht vorhanden. Regimekritiker und Stammesfürsten, Warlords, religiöse Führer oder Dorf- Oppositionelle werden ohne ein rechtstaatliches Ver- älteste die Macht. Kurz: Offizielle Strukturen werden fahren verhaftet und an geheimen Orten in Isolations- haft festgehalten (Europäisches Parlament 2016). Re- porter ohne Grenzen attestiert Eritrea im achten Jahr in Folge den schlechtesten Zustand für Pressefreiheit und journalistisches Arbeiten weltweit. Damit liegt Eritrea noch hinter Nordkorea (Reporter ohne Grenzen 2015). Die eritreische Wirtschaft und Politik werden nach wie vor vom Grenzkonflikt mit Äthiopien bestimmt. Für die Bevölkerung bedeutet dies eine weitreichende Militari- sierung der Gesellschaft. Der Wehrdienst ist in Eritrea für alle Menschen im Alter zwischen 18 und 50 Jahren eine nationale Dienstpflicht (Europäisches Parlament 2016). Um das ethnische und nationale Zusammenge- hörigkeitsgefühl zu stärken, müssen die Wehrdienst- leistenden zwischen ihren Einsatzorten rotieren. Sie sind über lange Phasen fernab ihrer Heimatorte. So- lange sie den nationalen Wehrdienst leisten müssen, können die Menschen nur sehr eingeschränkt eigenen produktiven Tätigkeiten nachgehen. Wer sich dem Syrische Geflüchtete in libanesischem Flüchtlingslager, Wehrdienst entzieht und außer Landes flüchtet, be- Foto: UNHCR Refugee Agency/Flickr.com geht Landesverrat (Amnesty International 2015). 12 Migration und Flucht in Zeiten der Globalisierung
> 3 Die steigende Süd-Nord-Migration Bereits seit Jahren suchen vom Klimawandel bedingte Dürren das Horn von Afrika heim. Die landwirtschaft- liche Produktion leidet sehr darunter. Selbst in guten Jahren können die landwirtschaftlichen Klein- und Kleinstbetriebe nur annähernd 60 % der benötigten Nahrungsmittel produzieren. Die EritreerInnen wer- den durch Wehr- und Arbeitsdienste, die willkürlich lange dauern können, davon abgehalten, in ihren ei- genen landwirtschaftlichen Betrieben zu arbeiten und für ihr Auskommen Sorge zu tragen. Viele EritreerIn- nen, vor allem Kinder, leiden unter Mangelernährung und Hunger. Der Staat kann dem nur wenig entgegen- wirken, fließen die Ressourcen doch größtenteils in den Verteidigungshaushalt (Europäisches Parlament 2016). Der eritreische Staat hält durch systematische Abwer- tung der Landeswährung und starke Devisenkontrol- le die Kaufkraft künstlich niedrig und beschränkt die Bargeld-Verfügbarkeit an Geldautomaten. Große Teile der Bevölkerung sind deshalb von den Rücküberwei- sungen von ausgewanderten Familienangehörigen ab- hängig (UNO-HRC 2015). Flüchtlinge auf dem Mittelmeer, Foto: CAFOD Photo Libraby/Flickr.com Eine legale Ausreise ist kaum möglich – der verpflich- tende Wehrdienst bindet die Menschen an das Land – weshalb sich ein feines Netz organisierter Schleuserkri- und Flüchtlinge (BAMF) regimetreue eritreische Dol- minalität gebildet hat. Die, die es sich leisten können, metscherInnen arbeiten und sowohl die Aussagen der versuchen zu fliehen – jeden Monat sind das ca. 5.000 Geflüchteten bei den deutschen Behörden verfälschen, Personen. Zu Fuß oder mit Pick-Ups geht es in den Su- als auch sensible Informationen an die Regierung in As- dan und von dort weiter durch die Sahara nach Liby- mara weitergeben. Familienangehörige der Geflüch- en. Die Route durch die Sahara ist sehr strapaziös und teten müssen fürchten, erpresst und terrorisiert zu gefährlich. Menschenhandel und Entführungen in die werden. Von allen Exil-EritreerInnen werden jährliche Sklaverei oder um Lösegeld zu erpressen, sind keine Sel- Steuerabgaben in Höhe von 2 % des Einkommens ver- tenheit (Europäisches Parlament 2016). langt. Diese Gelder sollen als sogenannte Aufbausteuer der Infrastruktur im Land zu Gute kommen. Leistet man In Libyen angekommen, warten Hunderttausende von diese Zahlungen nicht, ist es unmöglich, in Eritrea ein Menschen auf die Überfahrt nach Europa. Viele war- Erbe anzutreten, ein Grundstück zu kaufen oder eine ten Monate, einige Jahre lang und manche werden in Geburtsurkunde ausgestellt zu bekommen (Europäi- Libyen bleiben. Die Herkunft entscheidet darüber, sches Parlament 2016). Die eritreische Regierung hält wie viel man für die Fahrt über das Mittelmeer zahlen die geflüchteten Landsleute weiterhin in einem büro- muss. Bei SyrerInnen setzen die Schleuser eine größere kratischen Würgegriff. Das auf diese Weise erpresste Zahlungskraft voraus als beispielsweise bei EritreerIn- Geld dient dazu, das diktatorische Regime zu unter- nen. Während SyrerInnen sich oftmals sicherere oder stützen und finanziell aufrechtzuerhalten. Wie fast alle größere Boote leisten oder an Deck der Boote sein kön- Ressourcen, fließt auch diese Summe überwiegend in nen, müssen die meisten EritreerInnen mit kleinen, den Verteidigungshaushalt. Bis 2011 wurden die Zah- überfüllten und schwerlich noch seetauglichen Booten lungen direkt in der eritreischen Botschaft in Deutsch- vorlieb nehmen und werden im Schiffsrumpf einge- land geleistet, dann wurde diese Praxis auf Druck der pfercht. Bundesregierung beendet. Nun muss die Steuer in Eri- trea selbst entrichtet werden. Die Problematik hat sich Selbst nachdem sie ihr Land verlassen haben, den Su- nicht gelöst, sondern lediglich verschoben. Die eritrei- dan, Libyen und das Mittelmeer durch- und überquert sche Regierung veröffentlicht zwar weder ihren Haus- haben und irgendwann in Europa angekommen sind, halt noch ihre Wirtschaftsdaten, jedoch ist klar, dass sind eritreische Flüchtende häufig nicht in Sicherheit. die eritreische Regierung existenziell auf die Einkünfte Es wird berichtet, dass im Bundesamt für Migration aus der Aufbausteuer angewiesen ist. 13 Die Zusammenhänge zwischen Migration, globaler Ungleichheit und Entwicklung
> 4 Rücküberweisungen und Migration Reaktionen der internationalen und deutschen und der Entwicklung politischer Kompetenzen und Ka- Entwicklungspolitik pazitäten (capacity building) in Höhe von 200 Mio. Euro (Europe Extenal Policy Advisors 2016). Diese Unterstüt- Noch bis vor Kurzem hat die deutsche Außenpolitik zung scheint von der Annahme motiviert zu sein, die keine nennenswerten Verbindungen zum diktatori- Menschen flüchteten nur vor Armut und Hunger. Die schen Regime in Eritrea unterhalten, doch nun, da von Fluchtursachen sind aber auch hier vielfältig. Sowohl dort besonders viele Menschen nach Europa flüchten, die durch den Klimawandel bedingten, langanhalten- hat sich das entwicklungspolitische Blatt gewendet. den Dürren als auch das Misswirtschaften des Staates Nachdem die Entwicklungszusammenarbeit zwischen haben schwerwiegende Folgen für die eritreische Sub- Eritrea und Deutschland 2007 eingestellt wurde, fin- sistenzwirtschaft. Tatsächlich flüchten EritreerInnen det nun eine gewisse Annäherung statt. Im Kontext der aber auch vor Menschenrechtsverletzungen, Folter, Flucht- und Migrationsursachenbekämpfung reiste der Verfolgung, Zwangsarbeit etc. – vor der diktatorischen Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Schreckensherrschaft im Land. Es darf deshalb bezwei- und Entwicklung Gerhard Müller Ende 2015 für eine felt werden, ob Entwicklungsfonds an eine diktatori- Sondierungsreise nach Eritrea5. Nun unterzeichnete sche Regierung wirklich dazu beitragen, die Struktu- die EU mit der eritreischen Regierung ein Programm ren vor Ort und damit die grundlegenden Ursachen für zur Förderung erneuerbarer Energien und des Ausbaus Flucht und Migration zu verändern. 4 Rücküberweisungen und Migration Lange Zeit wurde die Bedeutung von Rücküberweisun- Bisher sind die Rücküberweisungen von Industrielän- gen als wichtiger Entwicklungsfaktor in Rahmen der dern in die Herkunftsländer der MigrantInnen recht Migrationsforschung verkannt. Dies hat sich geändert, kostspielig. Durchschnittlich 8 % des Transferbetrags seit der wirtschaftliche Gewinn deutlich geworden ist, wird von der Bank einbehalten. Möchte man Geld in den die Herkunftsländer aus dem Geldtransfer erzie- die Subsahara-Region verschicken, kann das sogar bis len, welchen MigrantInnen von ihren neuen Standor- zu 12 % des Betrags kosten (Ratha et al. 2016:5). Der ten aus veranlassen. Im Jahr 2015 betrug der Wert von Markt der Geldtransferinstitute ist klein, was anderen Rücküberweisungen in Entwicklungsländer 432 Mrd. AnbieterInnen den Eintritt erschwert: Die Preise blei- US-Dollar – im Vergleich zum Vorjahr entspricht das ben hoch. Die Nachhaltigen Entwicklungsziele (Susta- einem Zuwachs von 0,4 %. Seit der weltweiten Finanz- inable Development Goals, SDG) und der im November krise ist das jedoch, verglichen mit den Vorjahren, die von der EU verabschiedete Notfall-Treuhandfonds für geringste Wachstumsrate, die verzeichnet wurde. Afrika sehen vor, die Kosten für Rücküberweisungen bis 2030 auf mindestens 3 % und maximal 5 % zu senken (EC 2015). So würden mehrere Milliarden Dollar nicht in den Kanälen von Geldtransferunternehmen ver- Rücküberweisungen schwinden, sondern bei den Familien ankommen, für die die Rücküberweisungen bestimmt sind. Auch digi- „Haushaltseinkommen von ausländischen Volks- tale Lösungen wären effektiver und würden das Geld wirtschaften, die vorwiegend aus der vorüberge- zielgerichteter zu den EmpfängerInnen bringen. Das henden oder dauerhaften Migration von Menschen Beispiel von M-Pesa verdeutlicht, wie durch digitale Lö- in entsprechende Volkswirtschaften entstehen. sungen die Kosten für transnationale Geldüberweisun- Rücküberweisungen umfassen Barmittel und Über- gen gesenkt werden können. weisungen, die sowohl über formelle Wege wie Onlineüberweisungen oder über informelle Wege, also in Form von Bargeld oder Gütern, über Gren- zen transportiert wird“ (eigene Übersetzung nach OECD 2014). 5 URL: https://www.bmz.de/de/presse/aktuelleMeldungen/2015/dezember/20151214_pm_102_Fluchtursachen-bekaempfen-neue-Perspektiven-eroeffnen-Bundesmi- nister-Mueller-in-Aegypten-und-Eritrea/index.html (letzter Abruf: 25.5.16) 14 Migration und Flucht in Zeiten der Globalisierung
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