Pharmakotherapie neuropathischer Schmerzen - Prof. Dr. Dr. Achim Schmidtko Pharmakologisches Institut für Naturwissenschaftler Goethe-Universität ...

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Pharmakotherapie neuropathischer Schmerzen

               Prof. Dr. Dr. Achim Schmidtko

     Pharmakologisches Institut für Naturwissenschaftler
           Goethe-Universität Frankfurt am Main

                        27.01.2019
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Schmerztypen

1) Physiologische Schmerzen
• hochschwelliges nozizeptives System                           kurzer
                                                z.B.
                                                Nadelstich     Schmerz
• lebenswichtige Warn- und Schutzfunktion

2) Pathophysiologische Schmerzen
  a) Entzündungsschmerzen
  b) Neuropathische Schmerzen                  z.B.           persistierender
                                               Entzündung        Schmerz

• niederschwelliges nozizeptives System
• Hyperalgesie, Allodynie und Spontanschmerz
• Warn- und Schutzfunktion oft fraglich
• unterschiedliche Mechanismen der             z.B. Nerven-
                                                              persistierender
                                                                 Schmerz
  Schmerzsensibilisierung                      verletzung
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Wichtige Bereiche der Schmerzverarbeitung

                                 Schmidtko et al., Trends Neurosci 2009
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Neuropathische Schmerzen
• = direkte Folge einer Läsion oder Erkrankung des peripheren und/oder zentralen
  somatosensorischen Nervensystems
• Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung 7-10 %, meist chronisch verlaufend
• klinische Bescherden: meist brennende Spontanschmerzen, schmerzhafte
  Berührungsempfindlichkeit und Schmerzattacken

Typische Beispiele:
• Postzoster-Neuralgie bei Gürtelrose
• schmerzhafte Polyneuropathien (z.B. bei
  Diabetes mellitus oder Zytostatika-induziert)
• Schmerzen nach peripherer Nervenverletzung
  (z.B. nach Unfällen, Operationen, Amputationen)
                                                     Gürtelrose: typischer Hautausschlag
• schmerzhafte Radikulopathie
• Trigeminusneuralgie
• zentrale Schmerzsyndrome (z.B. nach Rückenmarks-/Gehirnverletzungen,
  nach Schlaganfall, bei Multipler Sklerose)
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„Mixed Pain“
• = zeitgleiches Auftreten von neuropathischen und nozizeptiven Schmerzen
• Beispiele:  Diabetes mellitus (z.B. Ulkusschmerz am Fuß und zusätzlich
               schmerzhafte diabetische Polyneuropathie)
              Rückenschmerzen
              Tumorschmerzen

• Die analgetische Therapie richtet sich nach der jeweiligen Schmerzkomponente:
     nozizeptiv: NSAID und Opioid-Analgetika
     neuropathisch: Antidepressiva, Antikonvulsiva u.a.

• Sorgfältige Diagnosestellung ist wichtig.
• „Sichere“ neuropathische Schmerzen sind Schmerzen,
    1) die eine plausible neuroanatomische Verteilung zeigen,
    2) bei denen Hinweise auf eine Läsion oder Erkrankung des
       somatosenosrischen Systems bestehen und
    3) bei denen ein klinischer oder apperativer Nachweis von 1) und 2) erfolgt ist
       (z.B. mittels CT, MRT, Neurographie).
• Hilfestellung der Diagnose ist auch mit Fragebögen möglich, z.B. painDETECT.
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Wirksamkeit von Analgetika bei neuropathischen Schmerzen

        Combined numbers needed to treat (NNT) values for 50% pain intensity reduction
        for different drug classes against specific disease etiologies. The symbol sizes
        indicate the relative number of patients who received active treatment drugs in
        clinical trials.
                                                                              Finnerup et al., Pain 2010
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Therapie neuropathischer Schmerzen
Mittel der 1. Wahl
• Gabapentinoide: Gabapentin, Pregabalin
• Antidepressiva:
    Trizyklische Antidepressiva: Amitriptylin, Desipramin, Nortriptylin etc.
    Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitoren: Duloxetin (Venlafaxin)

Mittel der 2. Wahl
• Tramadol
• Topische Therapie: Capsaicin 8 %, Lidocain

Mittel der 3. Wahl
• starke Opioide
• Botulinumtoxin s.c.                                     Finnerup et al., Lancet Neurol 2015

Erfolgsquoten der Therapie neuropathischer Schmerzen
• meist nur Schmerzreduktion möglich, keine Schmerzfreiheit
• bei weniger als 50 % der Patienten wird eine zufriedenstellende
  Schmerzreduktion erzielt
                                                         O‘Connor & Dworkin, Am J Med 2009
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Gabapentinoide: Gabapentin und Pregabalin

• GABA-Derivate ohne Affinität zu GABAA- oder GABAB-Rezeptoren (nicht „gabaerg“)
• Hemmung Aktivität der α2δ-Untereinheit von N-Typ Calcium-Kanälen

                                                                       Gabapentin,
                                                                       Pregabalin
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Gabapentinoide: Gabapentin und Pregabalin
• Gabapentin: Resorption sättigbar => dosisabhängige Bioverfügbarkeit (30-80 %)
• Pregabalin: konstante Bioverfügbarkeit (90 %) und höhere α2δ-Affinität

Wichtige Nebenwirkungen:
• ZNS-Störungen (z.B. Somnolenz, Schwindel, Ataxie)
• Verhaltensauffälligkeiten (z.B. Euphorie, Feindseligkeit, Denkstörungen)
• Knöchelödeme
• Gewichtszunahme

• Pregabalin: zunehmend missbräuchliche Anwendung in der Drogenszene
  („gutes Feeling“, Gefühl der Euphorie)
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Wichtige Nebenwirkungen von Antidepressiva

Tricyclische Antidepressiva:
• zentralnervös: z.B. Sedierung, Schwindel, Verwirrtheit, Tremor
• anticholinerg: z.B. Mundtrockenheit, Schwitzen, Akkommodationsstörungen,
  Obstipation, Miktionsbeschwerden
• kardiovaskulär: z.B. orthostatische Hypotonie, Tachykardie, Arrhythmie
• Appetitsteigerung, Gewichtszunahme

     Die zur Schmerztherapie verwendeten Dosierungen der tricyclischen
     Antidepressiva liegen meist unterhalb der antidepressiv wirksamen Dosis!

Selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer:
• zentralnervös: z.B. Sedierung, Schwindel, Kopfschmerzen
• anticholinerg: z.B. Mundtrockenheit
• gastrointestinal: z.B. Übelkeit
Tramadol
     • weltweit am häufigsten verordnetes Opioid
     • kombinierter Wirkmechanismus:

                                        CYP2D6

    (-) Tramadol      (+) Tramadol              (+) O-Desmethyltramadol (M1)
    Noradrenalin     Serotonin                         µ-Rezeptor-Agonist
  Wiederaufnahme- Wiederaufnahme-
      Hemmer          Hemmer

     • Analgetische Wirksamkeit beeinflusst von CYP2D6-Polymorphismen

Wichtige Nebenwirkungen:
• zentralnervös: z.B. Schwindel, Kopfschmerzen, Benommenheit, Sedierung
• gastrointestinal: Übelkeit, Erbrechen, Obstipation
• Hyperhidrose
Tapentadol
• Markteinführung 2010

• kombinierter Wirkmechanismus:
  Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer + µ-Rezeptor-Agonist
                                                                               (-) Tapentadol
  -> synergistischer analgetischer Effekt wie bei Tramadol,
     jedoch kein CYP-Substrat

• verbessertes Verträglichkeitsprofil im Vergleich zu Morphin oder Oxycodon

                Studie (Phase III) mit 666 Patienten nach Gelenkersatz-Op
                      Tapentadol 50 mg   Tapentadol 75 mg   Oxycodon 10 mg           Placebo
                          (n = 157)          (n = 168)         (n = 172)             (n = 169)
    Übelkeit (%)             18                 21                41                     5
    Erbrechen (%)             7                 14                34                     4
    Obstipation (%)           4                  7                26                     2
    Schwindel (%)            18                 26                23                     5
    Juckreiz (%)              2                  5                15                     1
    Somnolenz (%)             6                 10                12                     1

                                                                     Hartrick et al., Clin Ther 2009
Analgesie durch topisches Capsaicin

8 % Capsaicin topisch

=> Defunktionalisierung
der Axone TRPV1-positiver
sensorischer Neurone

                                                               Anand & Bley, Br J Anaesth 2011
Indikation:
• periphere neuropathische Schmerzen

Anwendung:
• Aufkleben des Capsaicin-Pflasters für 30-90 min unter Lokalanästhesie
• Analgesie über 3 Monate möglich

Wichtige Nebenwirkungen:
• Schmerzen, Erythem und Juckreiz an der Anwendungsstelle
Analgesie durch topisches Lidocain
                     Reihenfolge der Empfindungs-Ausfälle

Fasertypen primär            Aβ        Aδ        C
afferenter Neurone

Empfindung               Berührung Schmerz     Schmerz
                           Druck   Temperatur Temperatur

    Dünne Nervenfasern (C-Fasern) sind gegenüber der Wirkung von
    Lokalanästhetika empfindlicher als dicke Nervenfasern (Aβ-Fasern)

    => Reihenfolge der Empfindungs-Ausfälle bei Anwendung von Lokalanästhetika:
       Schmerz, Temperatur, Berührung, Druck
Analgesie durch topisches Lidocain

Indikation:
• Post-Zoster-Neuralgie

Anwendung:
• Aufkleben des 5 %igen Hydrogelpflasters auf die intakte Haut (nach Abheilung
  der Herpes-Zoster-Läsionen)
• Anwendung 1x täglich bis zu 12 Stunden

Wichtige Nebenwirkungen:
• Brennen, Erythem, Juckreiz, Hautausschlag an der Anwendungsstelle
Ultima ratio: intrathekale Schmerztherapie

                    www.spacecoastdaily.com

                                              Deer et al., Neuromodulation 2017
Conus magus

              Schmidtko et al., Lancet 2010
Ziconotid
• Synthetisches Analogon des Conopeptides ω-MVIIA aus Conus magus
• Wirkungsmechanismus:

                                                               Schmidtko et al., Lancet 2010

• Indikation: intrathekale Analgesie bei schweren, therapierefraktären Schmerzen
Ziconotid
Wirksamkeit
• bei einigen Patienten effektive Analgesie bis zur völligen Schmerzfreiheit möglich
• aber: in den Gesamt-Studienpopulationen nur geringe analgetische Effekte

Verträglichkeit
• häufige Nebenwirkungen (> 15 %):
  - ZNS: Schwindel, Somnolenz, Verwirrtheit, Ataxie, Gangunsicherheit
  - GIT: Übelkeit, Diarrhoe
• ZNS-Nebenwirkungen sind dosisabhängig
           Geringe Ziconotid-Dosis                       Hohe Ziconotid-Dosis

                      Ziconotid-Konz.                               Ziconotid-Konz.
                         im Liquor                                     im Liquor

                                     Zeit                                         Zeit

                   Geringe Inzidenz von                            Hohe Inzidenz von
                   ZNS-Nebenwirkungen                             ZNS-Nebenwirkungen
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