A CHRONIC PAIN PATIENT: MODERN DIAGNOSIS AND CONCEPT OF THERAPY DER CHRONISCHE SCHMERZPATIENT: MODERNE DIAGNOSE- UND THERAPIEKONZEPTE

 
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Psychiatria Danubina, 2010; Vol. 22, No. 3, pp 459–464                                                          Conference paper
© Medicinska naklada - Zagreb, Croatia

                  A CHRONIC PAIN PATIENT: MODERN DIAGNOSIS
                          AND CONCEPT OF THERAPY
                    DER CHRONISCHE SCHMERZPATIENT:
                 MODERNE DIAGNOSE- UND THERAPIEKONZEPTE
                                       Andreas Sandner-Kiesling & Andreas Schöpfer
                Univ. Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Medizinische Universität Graz, Austria

SUMMARY                                                            ZUSAMMENFASSUNG
    Approximately 80 per cent of primary care patients seek            Ca. 80% der Patienten einer allgemeinmedizinischen
their physician’s attention due to pain. A fifth of the            Praxis suchen diese wegen ihrer Schmerzen auf. Der Anteil an
population suffers from chronic pain with medium to high           Patienten mit chronischen Schmerzen liegt im deutsch-
intensity, and longer than 3 months. Especially those patients     sprachigen Raum bei ca. 20%. Und der Anteil an akuten
are treated insufficiently when only non-opioids and opioids       Schmerzen variiert, abhängig von der fachspezifischen
are applied. Therefore it is necessary to tailor pain therapy by   Tätigkeit. So gehören akute Schmerzen zum Alltag eines jeden
using an interdisciplinary, multimodal treatment regimen.          chirurgisch oder anästhesiologisch tätigen Arztes: Operation
    This article presents a holistic concept to chronic pain       = Schmerz. Das gleiche gilt für jede andere invasive
treatment by using the five columns of pain therapy. Based on      Intervention, egal ob beim Zahnarzt, Radiologen, Strahlen-
the bio-psycho-social approach, pharmaceutical, complimen-
                                                                   therapeuten, Internisten und vielen anderen mehr.
tary (first column), physio- and psychotherapeutic (2nd and 3rd
                                                                       Daher gehört die Therapie dieser „Befindlichkeits-
column), social and invasive interventions (4th and 5th column)
                                                                   störung“ zu den grundlegendsten Fertigkeiten eines jeden
have to be considered. The 1st column includes the WHO
ladder, in chronic pain patients with a large focus on co-         Arztes, egal ob angestellt oder niedergelassen, egal ob
analgesics like antidepressants or antiepileptics. Based on the    Jungarzt oder Routinier, unabhängig von seiner Ausbildung.
individual history and factors achieved from the bio-psycho-       Und dies gelingt bei ca. 70% der Patienten. Bei den
social diagnosis, components of these 5 therapeutic are            verbleibenden 30% ist die Unzufriedenheit der Patienten mit
selected, always in agreement with the patient, and put            der angebotenen Schmerztherapie hoch, sowohl bei der
together to one interdisciplinary therapeutic concept              Therapie akuter als auch chronischer Schmerzen.

Key words: chronic pain - pain therapy                             Schlüsselwörter: chronische Schmerzen - Schmerztherapie

                                                          * * * * *
DIE 5 SÄULEN DER SCHMERZTHERAPIE                                   Die 1. Säule der Schmerztherapie:
                                                                   Medikamentöse und nicht-medikamentöse
    Um die Therapiezufriedenheit (jene der Patienten als           Therapie
auch jene der Behandler!) zu verbessern, wurden
                                                                       Die medikamentöse Therapie basiert auf dem
einfache Konzepte entwickelt. Eines der einfachste und
                                                                   bekanntesten Konzept, dem WHO-Stufenplan (siehe
bekanntesten beruht auf dem biopsychosizalem
                                                                   nächstes Kapitel und Abb. 2). Hinter der nicht-
Krankheitsbild (Bach 2006). Innerhalb der letzten 20
                                                                   medikamentösen Schmerztherapie verbergen sich die
Jahre mussten wir erkennen, dass unser bis zu diesem
                                                                   komplementäre Therapieformen: Akupunktur, tradi-
Zeitpunkt vorherrschendes rein biophysikalisch ausge-
                                                                   tionell chinesischen Medizin (TCM), tibetische
richtetes Krankheits- und Therapieverständnis unzu-
                                                                   Medizin, Neuraltherapie und andere regulations-
reichend war. Viele Therapieversager waren die Folge
                                                                   medizinische Verfahren, Homöopathie, orthomolekulare
gewesen. Am besten zu beobachten war dies beim
chronischen Rückenschmerzpatienten (Low Back Pain).                Medizin, Ayurveda, antroposophische Medizin, F.X.
Erst durch das Umdenken und den Einschluss                         Mayr, und viele andere mehr.
psychischer und sozialer Faktoren als Schmerz-
verstärker („Yellow Flags“) in das Krankheits- und                 Das WHO-Stufenschema: Stufe 1 - 4
Therapieverständnis brachte die lange erwarteten                      Dieses wurde 1986 in seiner Erstversion zur
Erfolge (Bach 2006, Kantner-Rumplmair 2006).                       Therapie des Tumorschmerzes publiziert (WHO 1986,
    Je nach Bedarf werden einzelne oder mehrere der 5              Schöpfer & Sandner-Kiesling 2006). Dieses Konzept
Säulen ins therapeutische Konzept eingebunden.                     basiert auf mehreren Stufen, die nach einem bestimmten
Abhängig von der biopsychosozialen Diagnostik und                  Schema verwendet werden: Für die chronische
den Grund- bzw. Begleiterkrankungen wird der Einsatz               Schmerztherapie gelten:
jeder Säule individuell gewichtet (siehe Abb. 1).

                                                                                                                           459
Andreas Sandner-Kiesling & Andreas Schöpfer: A CHRONIC PAIN PATIENT: MODERN DIAGNOSIS AND CONCEPT OF THERAPY
                                           Psychiatria Danubina, 2010; Vol. 22, No. 3, pp 459–464

Abbildung 1. Die 5 Säulen der Schmerztherapie

Abbildung 2. Das WHO-Stufenschema der Tumorschmerztherapie (WHO 1996)

   „By the mouth,                                              Schmerzen der Entität „somatischer / nozizeptiver
   By the clock,                                               Schmerzen“ zugeordnet werden können (siehe Abb. 3).
   By the ladder!”                                                 Im Jahre 1996 wurde die 2. überarbeitete Auflage
                                                               des WHO-Stufenschemas veröffentlicht (WHO 1996).
    Dieser Grundsatz gilt selbstverständlich nicht für die     Mit dieser Auflage wurde das bisher 3-stufige Schema
Akutschmerztherapie, in der primär meist invasiv, und          um die Stufe 4, die „invasive Therapie“, und um eine
vor allem nach Bedarf therapiert wird. Ebenfalls wurde         längere Medikamentenliste erweitert (siehe Tab. 1). Im
zweierlei in der Erstausgabe des WHO-Stufenplans               Jahre 1998 folgte eine weitere Ausgabe, die sich der
inkludiert:                                                    Schmerztherapie von Kindern widmet (WHO 1998).
    Berücksichtigte die psychosoziale Situation des                Die Stufe 4 kann jederzeit mit den anderen Stufen
   Patienten!                                                  kombiniert werden und wird je nach Indikation früher
    Eine Liste jener Medikamente, die weltweit als kos-        oder später eingesetzt. Beim chronischen Schmerz wird
   tengünstig und wirksam eingesetzt werden können             die Stufe 4 überwiegend nach Ausreizen der Stufen 1 –
   (WHO 1986, Schöpfer & Sandner-Kiesling 2006).               3 und „Coanalgetika“ eingesetzt, da die Stufe 4 aus der
    Die Basis des WHO-Stufenplans bildet die Stufe 1,          Sicht des Patienten die therapeutische „Ultima ratio“
die „Nichtopioide“ (siehe Abb. 2). Sollte damit keine          darstellt. Was kann man dem Patienten beim Versagen
zufriedenstellende Analgesie erzielt werden können,            dieser Therapieform noch als Steigerung anbieten?
kombiniert man die Stufe 1 mit der Stufe 2, den                Entsprechend kritisch und vorsichtig darf und muss
„mittelstarken Opioiden“. Sollte auch diese Kombi-             diese Therapieform indiziert werden.
nation nicht den erhofften analgetischen Erfolg zeigen,            Klassische Indikationen für den frühen Einsatz sind
kann man die Stufe 1 mit der Stufe 3 kombinieren, den          z.B. die akuten Wurzelkompression im Rahmen eines
„starken Opioiden“. Eine Kombination der Stufen 2 und          Bandscheibenprolapses (z.B. CT-gezielte periradikuläre
3 ist nicht sinnvoll und wird daher nicht empfohlen!           Therapie) oder ein SMP, wie z.B. eine Stellatum-
    Unter regelkonformer Anwendung dieser 3 Stufen             blockade beim komplexen regionalen Schmerzsyndrom
kann der Großteil der zu behandelnden Schmerzen                (CRPS) oder eine ganglionäre lokale Opioidanalgesie
erfolgreich therapiert werden. Dies ist leicht erklärbar,      (GLOA) im Rahmen eines akuten Zoster facialis oder
da die überwiegende Mehrzahl der zu behandelnden               einer Postzosterneuralgie im Gesicht.

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Andreas Sandner-Kiesling & Andreas Schöpfer: A CHRONIC PAIN PATIENT: MODERN DIAGNOSIS AND CONCEPT OF THERAPY
                                          Psychiatria Danubina, 2010; Vol. 22, No. 3, pp 459–464

Abbildung. 3. Die 5 Schmerzentitäten

Tabelle 1. Beispiele einer invasiven Schmerztherapie (5. Säule der Schmerztherapie, WHO-Stufe 4)
  Intravenös / infiltrativ /
                                       Chirurgisch:                 Radiologisch               Internistisch
      rückenmarksnah:
        Nerven- und             Entfernung eines Tumors /
                                                                  Strahlentherapie           Chemotherapie
    Ganglionblockaden                  Amputation
                                                                Radioaktive Isotope /
      Plexusblockaden                Sympathektomie                                     Monoklonale Antikörper
                                                                  Nuklearmedizin
                                                               CT- oder MR-gezielte
  Sympathikusblockaden              Neurodestruktion                                        Infusionstherapie
                                                                     Blockaden
       Epiduroskopie                Neuromodulation                 Embolisation
   Patientenkontrollierte              Implantierte
                                                                 Drainagen /Stents
          Analgesie                  Pumpentherapie
                                                                Kryokoagulation von
     Katheterverfahren                    Laser
                                                                     Metastasen
    Thermokoagulation                 Kyphoplastie                 Vertebroplastie
                                     Orthopädische - /
         Neurolysen
                               unfallchirurgische Eingriffe
                                      Gamma-Knife

    Primär wurde dieses WHO-Stufenschema zur Thera-           (b) viszerale Schmerzen, (c) sympathisch vermittelte
pie des Tumorschmerzes entwickelt. Da es sich in seiner       Schmerzen (sympathetically maintained pain, SMP)
Einfachheit bewährt hat, hat es sich weltweit trotz der       oder (d) Schmerzen in Zusammenhang mit einer
fehlenden Evidence durchgesetzt. Wird das WHO-                psychischen Mitbeteiligung (somatoforme Schmerzen,
Stufenschema bei anderen Schmerzformen und –                  siehe Abb. 3). Diese Entitäten treten überwiegend beim
krankheiten eingesetzt, muss es entsprechend modifi-          chronischen Schmerzpatienten auf. Gerade der Tumor-
ziert angewendet werden.                                      schmerz, für den dieses Therapieschema entwickelt
    Beim chronischen Schmerz wird die Stufenleiter            wurde, stellt gerne eine Kombination dieser Schmerz-
aufsteigend durchschritten, d.h. man beginnt mit Stufe 1      entitäten dar. Patienten, bei eine oder mehrere dieser
und endet bei Stufe 4. Umgekehrt erfolgt die                  zusätzlichen Schmerzentitäten alleine oder in
Reihenfolge beim akuten Schmerz: So wird z.B. einem           Kombination mit dem somatischen / nozizeptiven
Patienten nach einer Wirbelsäulenoperation zuerst die         Schmerz auftreten, bilden die Gruppe der schwer
Opioid-PCA in Kombination mit einem Nichtopioid               therapierbaren Patienten. Diese Patientengruppe
angeboten, und verständlicherweise nicht umgekehrt,           benötigt neben dem Einsatz der klassischen WHO-
zuerst ein Nichtopioid mit einer langen Wartezeit bis         Stufen 1 – 3 noch weitere Medikamente, die im WHO-
zum Einsatz eines Opioides.                                   Stufenplan vorhanden sind und aus der Erfahrung
                                                              heraus zu wenig oder zu niedrig dosiert eingesetzt
Das WHO-Stufenschema: Die Stufen                              werden, oder anderer Therapieformen (siehe unter 5
„Begleitmedikamente“ und „Co-Analgetika“                      Säulen der Schmerztherapie).
                                                                  In der Stufe „Begleitmedikamente“ befinden sich
    Ca. 15% der Schmerzpatienten haben jedoch zusätz-         alle jene Medikamente, die dem Patienten verordnet
lich Schmerzen, die einer anderen Entität zugeordnet          werden, um mögliche Nebenwirkungen und Komplika-
werden können: (a) Neuropathische Schmerzen,                  tionen zu vermeiden, z.B. Antacida, Antiemetika und

                                                                                                                    461
Andreas Sandner-Kiesling & Andreas Schöpfer: A CHRONIC PAIN PATIENT: MODERN DIAGNOSIS AND CONCEPT OF THERAPY
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Laxantien (Glatz 2006). Gerade diese Medikamente               Standard“ der Migränetherapie dar. Zu beachten ist ihr
werden selten verschrieben, obwohl gerade sie oft über         mögliches Abhängigkeitspotenzial. Kortison zeigt seine
den Therapieerfolg entscheiden. So wird z.B. ein               Stärken bei allen Indikationen, bei denen seine
Patient, der einmal auf ein Opioid bei seiner Erstver-         abschwellende und antientzündliche Wirkung auf
ordnung erbrochen hat, dieses nie wieder in seinem             betroffene Nerven (z.B. im Rahmen einer Wurzel-
Leben einnehmen. Er würde damit ein sonst wertvolles           kompression oder –infiltration), Gelenke (z.B.
und wirksames Medikament aus seinem ihm generell               chronische Polyarthritis) oder Organe (z.B. bei
zur Verfügung stehenden therapeutischen Portfolio              Lebermetastase oder Hirntumor) erwünscht wird. Eine
verlieren.                                                     besonders dankbare Indikation stellt der durch eine
     Die Stufe „Coanalgetika“ enthält die zur Therapie         Knochenmetastase verursachte Schmerz dar.
der chronischen Schmerzen wichtigste Medikamenten-                 Die Missachtung dieser beiden WHO-Stufen kommt
gruppe des WHO-Stufenplans (Glatz 2006). Diese Stufe           einem Bau eines Hauses ohne den dafür notwendigen
enthält sehr viele unterschiedliche Medikamenten-              Keller gleich, manchmal wie eine Missachtung oder
gruppen (siehe Tab. 2). Die wichtigsten daraus sind die        Verleugnung des bestehenden unsicher Untergrundes
Antikonvulsiva, die Antidepressiva, die Triptane, und          dar. Wenn wundert es dann noch, dass dieses Haus
das Kortison. Zur Therapie der mit einer Prävalenz von         teilweise bis gar nicht bewohnbar sein wird?
4-9% häufigen neuropathischen Schmerzen werden
heute überwiegend die Kalziumkanalblocker Gaba-
                                                               Die 2. Säule der Schmerztherapie:
pentin und Pregabalin aus der Gruppe der Neuroleptika
verwendet. In der Gruppe der Antidepressiva zeigen die
                                                               Physiotherapie
Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI)                 Hinter dieser Säule verbergen sich die 4 Gruppen
Duloxetin, Venlafaxin und vermutlich auch Milnacipran          der Physiotherapie, unabhängig davon, ob sie von
ein gutes Wirkungs-Nebenwirkungsspektrum. Amitryp-             Ärzten oder Physiotherapeuten angewendet werden
tilin und Carbamazepin, jene beiden Medikamente, die           (siehe Tab. 3): Passiv-physikalische Techniken, Be-
davor hauptsächlich verordnet wurden, besitzen zu viele        wegungstherapie, medizinische Massagen und die
Nebenwirkungen und werden daher zunehmend weniger              manualtherapeutisch ausgerichteten Techniken.
verschrieben. Triptane stellen heute den „Golden

Tabelle 2. Exemplarische Auflistung von Medikamenten, die als Coanalgetika eingesetzt werden können, und ihre
Indikationen (Glatz 2006).
 Medikament bzw. Medikamentengruppe                                     Indikation
                                       Neuropathische Schmerzen, Adjuvans zur Regionalanästhesie
 Alpha-2-Rezeptor-Agonisten
                                       oder einer rückenmarksnahen Opioidgabe, Spastik
                                       Depression, Spannungskopfschmerz, neuropathischer Schmerz,
 Antidepressiva
                                       atypische Gesichtsschmerz, Arthroseschmerz, Rückenschmerz
 Antiemetika (5 HT 3-Antagonisten)     Fibromyalgie
 Antikonvulsiva                        Neuropathischer Schmerz, Migräne, Fibromyalgie
 Benzodiazepine                        Akute Muskelverspannungen, Anxiolyse, Spastik
 Biphosphonate                         Knochenmetastase, Osteoporose, Mb. Paget
                                       Lokal-regionale Spastik, Migräne, Muskelschmerzen,
 Botulinustoxin
                                       myofasziales Schmerzsyndrom
                                       Phantomschmerzprophylaxe, frische Frakturen bei Osteoporose, Mb. Paget,
 Calcitonin
                                       CRPS
 Capsaicin                             Lokal bei neuropathischen Schmerzen
                                       Verstärkt Wirkung und verkürzt den Wirkeintritt der NSAR.
 Coffein
                                       Cave: erhöht das Abhängigkeitspotenzial !!
                                       Weichteilkompression, Nervenkompression, lokale Ödeme/Schwellungen,
 Kortikosteroide                       rheumatologische-entzündliche Erkrankungen, Immunsuppression,
                                       Knochenmetastasen, Übelkeit/Erbrechen, Adjuvans zur Regionalanästhesie
 Lokalanästhetika                      Reversible Nervenblockade, Neuropathie (als Patch verabreicht)
 Muskelrelaxantien                     Akute Muskelverspannungen, Spastik
                                       Akutschmerz, Notfallmedizin, opioidinduzierte Hyperalgesie, therapie-
 NMDA-Rezeptor-Antagonisten
                                       resistenter chronischer - oder Tumorschmerz, neuropathischer Schmerz
 Spasmolytika                          Viszerale Schmerzen durch Krämpfe glatter Muskulatur
 Triptane (5 HT 1D/1C-Agonisten)       Migräne
 Ziconitide (Kalziumkanalblocker)      Rückenmarksnahe verabreicht bei sonst therapieresistentem Schmerz

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Andreas Sandner-Kiesling & Andreas Schöpfer: A CHRONIC PAIN PATIENT: MODERN DIAGNOSIS AND CONCEPT OF THERAPY
                                          Psychiatria Danubina, 2010; Vol. 22, No. 3, pp 459–464

Tabelle 3. Die 4 Gruppen der 2. Säule der Schmerztherapie „Physiotherapie“
Passiv-physikalisch:              Bewegungstherapie:           Medizinische Massagen     Manuelle Therapie
Thermotherapie             Bewegen + Wahrnehmen              Klassische Massage        Manuelle Therapie
Kryotherapie               Eutonie – Tonusregulierung        Manuelle Lymphdrainage Osteopathie
Elektrotherapie            Haltungskontrolle                 Bindegewebsmassage        Neuromobilisation
Ultraschall / Stoßwellen   Koordination (Bewegungsmuster) Reflexzonenmassagen
Hydrotherapie (KNEIPP) Mobilisation – Stabilisation           Akupunktmassage
Balneotherapie             Konditionierung – Training        Unterwasser – Druckstrahl
                           Bewegen – Handeln – Ausdruck

Die 3. Säule der Schmerztherapie:                             In vielen Fällen wird hier die Hilfe eines Sozialarbeiters
Psychotherapie                                                benötigt, um den Betroffenen eine entlastende
                                                              Hilfestellung anzubieten. So unspektakulär diese Säule
   Die Bezeichnung „Psychotherapie“ für diese Säule           zu sein scheint, oft liegt hier bei hartnäckigen
deckt nur einen Bruchteil dessen ab, was sich dahinter        Schmerzpatienten der Schlüssel zum Erfolg:
verbirgt. Verhaltenstherapeutische Techniken habe sich            Wie sieht es am Arbeitsplatz und bei den
zur Therapie chronisch Schmerzkranker durchgesetzt                Arbeitsplatzverhältnisse aus?
(Kröner-Herwig 2000):
                                                                  Welchen Ausbildungsstand besitzt der Patient?
   Patienten-Edukation
                                                                  Ist der Patient berufstätig oder arbeitslos?
   Abbau von exzessiven „Konsum“ medizinischer
                                                                  Läuft ein Pensionsantrag?
   Leistungen
                                                                  Wie sieht das Milieu bzw soziale Umfeld aus? Bietet
   Entspannungsverfahren       (Autogenes    Training,
                                                                  oder benötigt es Hilfe?
   Progressive Muskelrelaxation)
                                                                  Wie sehen die familiären Verhältnisse aus?
   Selbstbeobachtung
                                                                  Ist ein soziales Netz vorhanden?
   Verhaltensanalyse
                                                                  Ist eine finanzielle Unterstützungen nötig?
   Aufmerksamkeitslenkung
                                                                  Und vieles mehr!
   Aktivitäten-Regulation
   Aufdecken und Modifikation operanter Prozesse                 In den psychosozialen Zentren (PSZ) wird Patienten
   Problemlösungstraining                                     Hilfe im Sinne der 3. und 4. Säule angeboten, oft mit
   Kompetenztraining                                          einer finanziellen Unterstützung durch öffentliche
   Rückfallprophylaxe                                         Mittel.
   Medikamentenoptimierung
   Genußtraining                                              Die 5. Säule der Schmerztherapie:
   Etc.                                                       Invasive Therapie
   Weiters werden angewandt:                                      Diese Säule hat in den letzten Jahren viel an
   Biofeedback                                                Bedeutung verloren. Dies beruht einerseits auf den
   Hypnose, Hypnotherapie                                     inzwischen zahlreicher zur Verfügung stehenden oralen
   Musiktherapie                                              und transdermalen Medikamenten, andererseits auf der
   Maltherapie                                                Erkenntnis, dass psychosoziale Verstärker („Yellow
   Etc.                                                       Flags“) nicht durch eine Nervenblockade oder einen
                                                              Intrathekalkatheter behandelbar sind. Auch wenn diese
   Bezogen auf das Setting im erweitereten Sinne steht        Säule im deutschsprachigen Raum heute nur mehr bei 3
ebenfalls vieles zur Verfügung:                               – 5% der Schmerzpatienten angewendet wird, bei der
   Gruppentherapie                                            richtigen Indikation und vorheriger psychosozialer
   Selbsthilfegruppen                                         Evaluierung von Kontraindikationen stellen sie für den
   Einzeltherapie                                             Patienten einen unschätzbaren Segen dar (siehe WHO-
   Coaching / Supervision                                     Stufen 1 – 4 und Tab. 1).
   Mediation                                                      Oft wird an dieser Stelle auf den deutlich häufigeren
   Und vieles mehr!                                           Einsatz invasiver Techniken in Belgien oder in den
                                                              USA hingewiesen. Dieser Vergleich hinkt, da diese
                                                              Verfahren dort besonders gut honoriert werden. Mehr
Die 4. Säule der Schmerztherapie: Soziale
                                                              noch, die Durchführung dieser Verfahren schafft in
Unterstützung
                                                              diesen Ländern erst die finanzielle Basis für den Betrieb
    Auch wenn diese Säule keine therapeutische im             einer schmerztherapeutischen Einheit und die
engeren Sinne darstellt, so soll sie hier doch aufgrund       Möglichkeit, den Großteil der Schmerzpatienten
ihrer Wichtigkeit extra dargestellt werden (siehe Abb. 1).    konservativ zu behandeln.

                                                                                                                    463
Andreas Sandner-Kiesling & Andreas Schöpfer: A CHRONIC PAIN PATIENT: MODERN DIAGNOSIS AND CONCEPT OF THERAPY
                                           Psychiatria Danubina, 2010; Vol. 22, No. 3, pp 459–464

ZUSAMMENFASSUNG                                                LITERATUR
    Basierend auf diesen beiden Konzepten wird es              1. Bach M. Das Biopsychosoziale Schmerzmodell. In: Kurs-
möglich, die gesamte Schmerztherapie aufzubauen:                  buch Schmerz: Der akute und chronische Schmerzpatient.
Sowohl zur Therapie der akuten Schmerzen, bei der mit             Hrsg. Sandner-Kiesling A, Hartmann W, Likar R, Ilias W.
stark vereinfachten Konzepten sehr erfolgreich gearbei-           Uni-Med Verlag, Bremen, 2006, 36 – 40.
tet werden kann (Säule 1 und 2, WHO-Stufe 1 – 4), als          2. Glatz M. Koanalgetika und Adjuvantien. In: Kursbuch
auch zur Therapie der chronischen Schmerzen. Da bei               Schmerz: Grundlagen – Therapieformen – Der neuro-
letzteren ein viel komplexeres Krankheitsbild vor-                pathische Schmerz. Hrsg. Sandner-Kiesling A, Hartmann
herrscht, muss hier das gesamte Spektrum beider Kon-              W, Likar R, Ilias W. Uni-Med Verlag, Bremen, 2006, 97 –
zepte eingesetzt werden, um dem Patienten zumindest               104.
eine realistische 25–30% ige Schmerzlinderung                  3. Kantner-Rumplmair W. Psychosoziale Faktoren der
anbieten zu können. Diese scheinbare minimale                     Schmerzchronifizierung. In: Kursbuch Schmerz: Der akute
Verbesserung bedeutet für den Patienten ein großes Plus           und chronische Schmerzpatient. Hrsg. Sandner-Kiesling
an Lebensqualität. Gemäß unserem biopsychosozialem                A, Hartmann W, Likar R, Ilias W. Uni-Med Verlag,
Krankheitsverständnis müssen die Möglichkeiten aller 5            Bremen, 2006, 40 – 43.
Säulen der Schmerztherapie durchforstet werden, um             4. Kröner-Herwig B. Rückenschmerzen. Hogrefe Verlag,
dem Patienten ein multimodales und interdisziplinäres             2000.
Therapiekonzept anbieten zu können. Und auch beim              5. Schöpfer A, Sandner-Kiesling A. Das WHO Stufenschema.
WHO-Stufenschema gilt es, speziell aus den Stufen                 In: Kursbuch Schmerz: Grundlagen – Therapieformen –
„Coanalgetika“ und „Invasive Therapie“ aus den vielen             Der neuropathische Schmerz. Hrsg. Sandner-Kiesling A,
inzwischen existierenden Therapiemöglichkeiten heraus             Hartmann W, Likar R, Ilias W. Uni-Med Verlag, Bremen,
gemeinsam mit dem Patienten ein für ihn möglichst                 2006, 44 – 49.
kleines, aber praktikables, akzeptables und sinnvolles         6. WHO. Cancer Pain Relief And Palliative Care In
Therapiekonzept zu erstellen. Wenn beide Konzepte                 Children. Geneva: World Health Organization; 1998.
entsprechend selbstkritisch abgewogen und unter                7. WHO. Cancer Pain Relief With A Guide To Opioid Avail-
Berücksichtigung der Grundregeln der Kommunikation                ability. 2nd. ed. Geneva: World Health Organization;
ausreichend empathisch vermittelt werden, können                  1996.
nahezu alle anfallenden Schmerzprobleme zur                    8. WHO. Cancer Pain Relief. Geneva: World Health
Zufriedenheit des Patienten, aber vor allem auch des              Organization; 1986
Therapeuten gelöst werden.

Correspondence:
Dr. Andreas Sandner-Kiesling
Univ. Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin,
Medizinische Universität Graz
Graz, Austria
E-mail: andreas.sandner@medunigraz.at

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