ÖPNV mit Zukunftsperspektive - Direktvergaben der Stadtverkehre Essen und Mülheim an der Ruhr Dr. Sibylle Barth, Katrin Meerkamm, LL.M.Eur. ...

 
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ÖPNV mit Zukunftsperspektive - Direktvergaben der Stadtverkehre Essen und Mülheim an der Ruhr Dr. Sibylle Barth, Katrin Meerkamm, LL.M.Eur. ...
FINANZEN & RECHT

                    ÖPNV mit
                    Zukunftsperspektive
                    Direktvergaben der Stadtverkehre Essen und Mülheim an der Ruhr
                    Dr. Sibylle Barth, Katrin Meerkamm, LL.M.Eur., Bremen; Tobias Groß, Essen;
                    Henning Palm, Hamburg

                    W
                                  ie viele Kommunen bundes-       multilaterale Projektstruktur und ein aus-     naue wirtschaftliche Steuerung des Ange-
                                  weit mussten auch Essen         reichender zeitlicher Vorlauf zählten zu den   bots und seiner Finanzierung ermöglichen.
                                  und Mülheim an der Ruhr         Erfolgsfaktoren des Projekts „Direktverga-     Für seine Laufzeit bildet dieses Regelwerk
                                  mit Auslaufen der Alt-Betrau-   be 2020 ff.“ In seinem Verlauf wurden eine     den Rahmen, auf aktuelle Ereignisse wie
                    ungen ihrer städtischen Verkehrsbetriebe      grundlegende Umstrukturierung der be-          die derzeitige Corona-Pandemie und neue
                    Ende 2019 für Anschlussregelungen sor-        teiligten Verkehrsgesellschaften zur Ruhr-     Herausforderungen wie E-Mobilität, Ver-
                    gen, um ihre Stadtverkehre für die Zeit ab    bahn vollzogen und Nachprüfungsanträge         kehrswende und Digitalisierung reagieren
                    2020 sicherzustellen. Besonderheiten hier:    gegen die geplanten Direktvergaben erfolg-     zu können. Anlass für einen Projektbericht.
                    eng verflochtene Verkehrsnetze über die       reich abgewehrt. Das gemeinsame Ziel der
                    Stadtgrenzen hinaus und eine damit ein-       beteiligten Städte wie auch der Ruhrbahn,      Aus Via wurde Ruhrbahn
                    hergehende Vielzahl der Akteure in einer      die Stadtverkehre Essen und Mülheim an
                    entsprechend komplexen ÖPNV-Organisa-         der Ruhr auf eine langfristig solide Grund-    Unter dem Eindruck des damals neuen
                    tion mit einer einheitlichen Finanzierungs-   lage zu stellen, mündete in öffentliche        Rechtsrahmens der EU-Verordnung (EG)
                    systematik im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr      Dienstleistungsaufträge (ÖDA), die eine        Nr. 1370/2007 [1] sowie des zum 1. Januar
                    (VRR). Eine diese Umstände abbildende         flexible verkehrliche wie auch eine passge-    2013 novellierten Personenbeförderungs-
                                                                                                                 gesetzes (PBefG) wurde das Projekt „Direkt-
                                                                                                                 vergaben 2020 ff.“ schon frühzeitig auf den
                                                                                                                 Weg gebracht. Begonnen hatte es noch im
                                                                                                                 Rahmen der Via Verkehrsgesellschaft mbH
                                                                                                                 (Via), eines Gemeinschaftsunternehmens
                                                                                                                 der drei Städte Essen, Mülheim an der Ruhr
                                                                                                                 und Duisburg beziehungsweise der städ-
                                                                                                                 tischen Verkehrsgesellschaften Essener
                                                                                                                 Verkehrs-AG (EVAG), Mülheimer Verkehrs-
                                                                                                                 gesellschaft mbH (MVG) und Duisburger
                                                                                                                 Verkehrsgesellschaft AG (DVG). Ende 2016
                                                                                                                 schied die DVG aus der Via aus. Daraufhin
                                                                                                                 wurde die Via umstrukturiert. Der Betriebs­
                                                                                                                 teil „ÖPNV“ (ÖPNV-Betrieb) wurde aus der
                                                                                                                 MVG ausgegliedert und durch die bisherige
                                                                                                                 EVAG übernommen. Anschließend wurde
                                                                                                                 die EVAG in eine GmbH umgewandelt und
                                                                                                                 die bisherige Via (bestehend aus Beteili-
                                                                                                                 gungen der EVAG und der nun in Ruhrbahn
                                                                                                                 Mülheim GmbH umfirmierten MVG) auf
                                                                                                                 die so entstandene Ruhrbahn GmbH ver-
                                                                                                                 schmolzen.

                                                                                                                 Ruhrbahn gemeinsamer
                                                                                                                 Betreiber für Essen und
                                                                                                                 Mülheim an der Ruhr
   Foto: Ruhrbahn

                                                                                                                 Die Ruhrbahn agiert als gemeinsamer in-
                                                                                                                 terner Betreiber der Städte Essen und Mül-
                                                                                                                 heim an der Ruhr. Während die Stadt Essen
                    Abb. 1: Die Ruhrbahn betreibt den ÖPNV in den Nachbarstädten Essen und Mülheim a.d.Ruhr.     den ÖDA über ihr Stadtverkehrsnetz an die

                    56   DER NAHVERKEHR  1+2/2021
                                                                                                                                                               Pt.

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ÖPNV mit Zukunftsperspektive - Direktvergaben der Stadtverkehre Essen und Mülheim an der Ruhr Dr. Sibylle Barth, Katrin Meerkamm, LL.M.Eur. ...
FINANZEN & RECHT

       Ruhrbahn vergeben hat, erfolgte die Verga-
       be des Stadtverkehrs Mülheim an der Ruhr                                          Zur Autorin
       an eine Gruppe von Unternehmen, beste-                                 Dr. Sibylle Barth (54) ist seit 1996 Rechtsanwältin mit dem Schwerpunkt
       hend aus der Ruhrbahn Mülheim und der                                  Öffentlicher Personennahverkehr und Schienenpersonennahverkehr sowie
       Ruhrbahn. Dies erklärt sich mit der spezi-                             Gründungspartner von BBG und Partner in Bremen. Ihre Rechtsgebiete sind
                                                                              Verkehrsgewerbe- und Beihilfenrecht, Kommunalrecht und Vergaberecht. Sie
       fischen ÖPNV-Organisation unter Nutzung                                studierte Rechtswissenschaften in Tübingen, Köln und Konstanz. Neben ih-
       des steuerlichen Querverbundes in Mül-                                 rer rechtsanwaltlichen Praxis ist sie auch als Autorin hervorgetreten, unter
       heim an der Ruhr.                                                      anderem als Mitautorin des bei DVV Media erschienenen Handbuchs „Recht
                                                                              des ÖPNV“.

       Organisation des
       Direktvergabe-Projektes
                                                                                         Zur Autorin
       Das Direktvergabe-Projekt war gekenn-                                  Katrin Meerkamm, LL.M.Eur. (38) ist seit 2012 als Rechtsanwältin zugelas-
       zeichnet durch eine große Anzahl einzu-                                sen und seitdem bei BBG und Partner in Bremen tätig. Ihre Rechtsgebiete
                                                                              sind vor allem Personenbeförderungsrecht, Kommunalrecht, Vergaberecht
       bindender Stellen. Neben der Beteiligung                               und Beihilfenrecht. Sie studierte Jura an der Universität Erlangen-Nürnberg
       verschiedener Bereiche innerhalb der                                   mit dem Schwerpunkt Internationales und Europäisches Recht. Während ei-
       Stadtverwaltungen (wie Planung, Finan-                                 nes einjährigen Master-Studiums an der University of Edinburgh baute sie
                                                                              ihre Kenntnisse weiter aus.
       zen und ÖPNV-Steuerungsstellen) galt es,
       Verwaltungsgremien und politische Gre-
       mien zu informieren und Beschlüsse zu
       Meilensteinen im Projekt einzuholen. Die
       inhaltliche Ausgestaltung der ÖDA erfor-                                          Zum Autor
       derte weiterhin die Einbeziehung vieler                                Dipl.-Betr.wirt (FH) Tobias Groß (45) ist seit 2005 bei der Ruhrbahn GmbH,
       Fachabteilungen bei der Ruhrbahn. Es war                               vormals Essener Verkehrs AG, im Bereich Strategie und Organisation tätig.
                                                                              Zuvor arbeitete er als Senior Consultant bei PricewaterhouseCoopers in dem
       klar, dass bei einem Projekt dieser Größe                              Bereich Corporate Finance und betreute dort öffentliche wie auch private Un-
       mit weit mehr als 30 Entscheidungsträgern                              ternehmen.
       und handelnden Personen eine effiziente
       Kommunikations- und Arbeitsstruktur der
       Schlüssel zum Erfolg sein würde. Dabei ha-
       ben sich vor allem drei Aspekte bewährt:

       ◼◼ Der frühzeitige Projektbeginn hat allen                                        Zum Autor
          Beteiligten die Gelegenheit gegeben,                                Dipl.-Kfm. Henning Palm (48) ist Geschäftsführer der KCW GmbH und Be-
          sich in Vorbereitung auf die konzeptio-                             rater mit den Schwerpunkten Vergabeverfahren und Marktorganisation. Er
                                                                              ist seit über 20 Jahren im ÖPNV-Sektor tätig und arbeitete zuvor als Ge-
          nelle Ausgestaltung zunächst mit den                                schäftsführer der MET Deutschland GmbH sowie als Prokurist der FirstGroup
          Spielregeln der neuen ÖDA vertraut zu                               Deutschland GmbH in der Geschäftsentwicklung und im Beteiligungsma-
          machen.                                                             nagement.
       ◼◼ Die Gestaltung als offenes Kooperati-
          onsprojekt von Städten und Ruhrbahn
          stellte die gemeinsame Suche nach
          geeigneten gemeinsamen Lösungen in
          den Mittelpunkt und vermied das Ent-
          stehen von Verhandlungssituationen in
          den Projektgremien.
       ◼◼ Eine fachlich qualifizierte und gut ver-
          netzte Projektleitung in der Ruhrbahn,
          bei der alle Fäden zusammenliefen,
          sorgte für eine proaktive Kommunika-
          tion und stellte einen kontinuierlichen
          Wissenstransfer zwischen allen Projekt-
          beteiligten sicher (Abb. 2).

       Beeindruckendes
       Auftragsvolumen

       Zusammen umfassen die Direktvergaben
       der Stadtverkehrsnetze Essen und Mül-
       heim an der Ruhr rund 27,5 Mio Nutzwa-
                                                                                                                                                                  Grafik: KCW

       gen-km. Die Ruhrbahn ist somit das größte
       Verkehrsunternehmen im Ruhrgebiet, wel-
       ches die Mobilität von 140 Mio Fahrgästen
       pro Jahr auch mit innovativen Fahrangebo-     Abb. 2: Organisation der Projektsteuerung für die Direktvergaben.

                                                                                                                     DER NAHVERKEHR  1+2/2021                57
                                                                                                                                                                                Pt.

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     ten sicherstellt. Von der Vergabe umfasst     die Rechtsprechung des EuGH [3]), dass         nanzierung des ÖSPV im VRR ermittelt.
     sind sämtliche Verkehre mit Straßen- und      die Direktvergaben anhand der besonde-         Diese Richtlinie wurde im Dezember 2017
     Stadtbahnen sowie mit Bussen (ein-            ren Vergaberegeln der Verordnung (EG)          unter anderem in Hinblick auf die Tatbe-
     schließlich alternativer Bedienformen) als    Nr. 1370/2007 zu beurteilen sind, ohne         stände möglicher gemeinwirtschaftlicher
     Gesamtleistung.                               dass es auf die Gestaltung der ÖDA als         Verpflichtungen modernisiert. Demnach
                                                   sogenannte Dienstleistungskonzessionen         ist es fortan den Aufgabenträgern möglich,
     Vergaberechtliches                            ankäme. Maßgeblich für das OLG war da-         diese Verpflichtungen und einzelne Aus-
     Nachprüfungsverfahren                         bei, dass die ÖDA im VRR-System als Ver-       gestaltungen der Ausgleichsberechnung
                                                   waltungsakte erteilt werden. Der Finanzie-     in ihren ÖDA festzulegen. Essen und Mül-
     Dass Verkehre in diesem Umfang direkt,        rungsbescheid des VRR ebnete so den Weg        heim an der Ruhr definierten auf dieser
     das heißt ohne Ausschreibungsverfahren,       in die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007.          Grundlage eine „gemeinwirtschaftliche Ge-
     an die städtischen Verkehrsgesellschaften                                                    samtleistung“, die im Prinzip die Stadtver-
     vergeben werden, wollten mehrere private      Direktvergabevoraussetzungen                   kehre in Gänze umfasst.
     Busunternehmen nicht hinnehmen und            erfüllt
     griffen die beabsichtigten Direktvergaben                                                    Verkehrliche Steuerung
     im Wege vergaberechtlicher Nachprüfungs-      Die Direktvergabevoraussetzungen des
     verfahren an, um ein wettbewerbliches Ver-    Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1370/2007    Das Verkehrsangebot muss fortlaufend an
     gabeverfahren zu erzwingen. Ohne Erfolg!      sah das OLG sodann unkritisch als gege-        sich ändernde Rahmenbedingungen und
     Während die Antragssteller in erster In-      ben an. Insbesondere bejahte das OLG           Verkehrsbedürfnisse angepasst werden.
     stanz vor der Vergabekammer Münster           die Erfüllung des Eigenerbringungsge-          Anlass für Änderungen können techni-
     noch obsiegten, wies das Oberlandesge-        bots nach Art. 5 Abs. 2 lit. e) Verordnung     sche Entwicklungen (zum Beispiel neue
     richt (OLG) Düsseldorf ihre Nachprüfungs-     (EG) Nr. 1370/2007 im Falle einer Gruppe       Antriebstechniken), städtebauliche Ent-
     anträge zurück [2] und machte somit den       von Unternehmen als Betreiber. Unschäd-        wicklungen (wie etwa Erschließung neuer
     Weg frei für die Vornahme der Direktverga-    lich ist somit, dass bei der Direktvergabe     Wohn- oder Gewerbegebiete), Veränderun-
     ben.                                          des Stadtverkehrs Mülheim an der Ruhr          gen im Nutzerverhalten (beispielsweise an-
                                                   an Ruhrbahn und Ruhrbahn Mülheim als           deres Mobilitätsverhalten wie derzeit in der
     Direktvergaben im VRR-System                  Gruppe von Unternehmen allein die Ruhr-        Corona-Krise), geänderte politische Ziel-
                                                   bahn operativ tätig ist.                       setzungen (zum Beispiel Modal-Split-Zie-
     Im Nachprüfungsverfahren hatten die An-                                                      le, Lead-City) und vieles andere mehr sein.
     tragssteller unter anderem die Einbettung     Auch die von den Antragstellern kritisier-
     der Direktvergaben in das Vergabemodell       te Laufzeit der ÖDA von 22,5 Jahren hielt      Angesichts der vorgesehenen langen Lauf-
     und Finanzierungssystem des VRR kriti-        der Überprüfung durch das OLG stand. Sie       zeiten war es ein wichtiges Ziel der Betei-
     siert. Im VRR sind die für die Vornahme ei-   rechtfertigt sich aus den erheblichen Inves-   ligten, Flexibilität bei der Anpassung des
     ner Direktvergabe erforderlichen Interven-    titionen in ortsfeste Infrastruktur und in     ÖPNV-Angebots zu behalten. Hierzu wur-
     tionsbefugnisse wie folgt verteilt:           Stadtbahnfahrzeuge, zu denen die ÖDA die       den in den ÖDA präzise Spielregeln für die
                                                   Ruhrbahn verpflichten [4].                     Anpassung der Verkehre definiert. Diese
     ◼◼ Der Zweckverband VRR ist für die Fest-                                                    bestehen zum einen aus Regelungen für
        setzung der Ausgleichsleistung und         Vergabe als Gesamtnetz                         Leistungsänderungen (Zu-, Ab- und Um-
        die Vornahme der rechtsverbindlichen                                                      bestellklauseln, Reglungen zu Qualitäts-
        Betrauung mit gemeinwirtschaftlichen       Wesentliches Ziel des Projektes war der Er-    änderungen et cetera) und zum anderen
        Verpflichtungen durch Erlass eines Fi-     halt der jeweiligen Stadtverkehre als Ein-     aus Regelungen, die eine sachgerechte
        nanzierungsbescheids zuständig.            heit mit einem aufeinander abgestimmten        Anpassung der finanziellen Ausgleichsleis-
     ◼◼ Die Definition der gemeinwirtschaftli-     Gesamtangebot. Um für den Fall eigenwirt-      tung vorsehen. Die Beschreibung von Vor-
        chen Verpflichtungen hingegen ist Sache    schaftlicher Konkurrenzanträge vorbereitet     aussetzungen und finanziellen Folgen
        der Städte als ÖPNV-Aufgabenträger.        zu sein, die auf das Herausbrechen einzelner   von Leistungsänderungen schaffen Trans-
                                                   ertragsstärkerer Linien aus dem Gesamtnetz     parenz und Planbarkeit für beide Seiten.
     Diese Aufgabenverteilung und insbeson-        gerichtet sein könnten („Rosinenpickerei“),    Dies erfüllt auch einen vergaberechtlichen
     dere auch das Handeln der Beteiligten als     wurde in den Nahverkehrsplänen beider          Zweck: Soweit Leistungsänderungsrechte
     sogenannte Gruppe von Behörden im Sin-        Städte geprüft und sachlich begründet, in-     für Anpassungen des ÖPNV-Angebots ge-
     ne der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 ist      wiefern die Linien des Stadtverkehrs ein       nutzt werden, wird der bestehende ÖDA
     aber nach Meinung des OLG Düsseldorf          integriertes Netz bilden. Hierauf aufbauend    vollzogen und es liegt keine vergabepflich-
     nicht zu beanstanden. Das OLG bestätigte      wurde in den Vorabbekanntmachungen die         tige Neuvergabe vor.
     damit die Direktvergaben im VRR.              Vergabe als Gesamtleistung angekündigt
                                                   [5]. Neben der verkehrlichen Integration       Wirtschaftliche Steuerung
     Verordnung (EG) Nr. 1370/2007                 standen dabei die wirtschaftlichen Vorteile
     auf Direktvergaben Essen und                  der Gesamtnetze im Mittelpunkt.                Um die grundsätzliche Erfüllbarkeit der
     Mülheim a. d. Ruhr anwendbar                                                                 gemeinwirtschaftlichen    Verpflichtungen
                                                   Parametrisierung                               im Rahmen des durch die Städte vorge-
     Ein wesentlicher Streitpunkt im Nachprü-                                                     gebenen Budgets zu gewährleisten, ist in
     fungsverfahren war die Frage nach dem         Die beihilferechtliche Obergrenze des nach     den ÖDA ein finanzielles Steuerungssys-
     anzuwendenden Vergaberechtsregime. Das        dem jeweiligen ÖDA zulässigen Ausgleichs       tem installiert. Zu diesem Zweck wurden
     OLG entschied (unter Bezugnahme auf           wird nach Maßgabe der Richtlinie zur Fi-       die Gewinn- und Verlustrechnungen eines

     58   DER NAHVERKEHR  1+2/2021
                                                                                                                                                 Pt.

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     Grafik: KCW

                   Abb. 3: Struktur der Steuerungsmechanismen über vorab kalkulierte Parameter (Preisblatt) und verfügbares Budget (Wirtschaftsplan).

                   Basisjahres der internen Betreiber in eine     Wirtschaftsplan abgebildeten Produktivi-        seinen internen Betreiber führen. Damit
                   „Preisblatt-Struktur“ überführt. Die Preis-    tätsfortschritte mit Blick auf konkrete Auf-    weder Unmögliches verlangt wird noch
                   blatt-Struktur gliedert den tatsächlichen      wandspositionen im Vergleich zum Basis-         ein voller Ausgleich für nur unvollständig
                   Aufwand nach Sparten sowie fixen und va-       jahr bereits nachvollziehbar erzielt wurden     erfüllte Verpflichtungen gewährt wird, wur-
                   riablen Bestandteilen und weist für letztere   und weitere eingeplante Fortschritte in Be-     de mit den ÖDA jeweils ein sogenannter
                   aus, welche Positionen von etwaigen Leis-      zug auf das Plan-Jahr realistisch sind.         strategischer Ausschuss ins Leben geru-
                   tungsänderungen wie berührt werden. Die                                                        fen. Dieser ist mit den für die ÖPNV-Fi-
                   Aufbereitung stellt insoweit eine geeignete    Vorhabenkonferenz und                           nanzierung und -Planung zuständigen De-
                   Grundlage zur Berechnung von Szenarien         strategischer Ausschuss                         zernenten der Stadt sowie Vertretern der
                   dar. Eine Dynamisierungsregelung sorgt                                                         Geschäftsführung der Ruhrbahn besetzt
                   dafür, dass die Ansätze über sachgerechte      Investitionen kommt bei der Wahrung der         und überprüft jährlich unter Zuhilfenahme
                   Indexfortschreibungen im Zeitverlauf nutz-     Ausgewogenheit von gemeinwirtschaft-            des aktuellen Preisblattes, inwieweit die
                   bar bleiben.                                   lichen Verpflichtungen und Ausgleichs-          bestehenden Vorgaben in Bezug auf Leis-
                                                                  bemessung aufgrund der Unverzichtbar-           tungsangebot, Qualität und Investitionen
                   Die ÖDA sehen eine jährliche Vorschau auf      keit von Fahrzeugen und Infrastruktur bei       innerhalb des durch den Wirtschaftsplan
                   das kommende Jahr mit Hilfe des Preisblat-     gleichzeitig großer Budgetwirkung eine be-      gesetzten finanziellen Rahmens eingehal-
                   tes vor. Ergebnis dieser Betrachtung ist ein   sondere Bedeutung zu. Investitionsspitzen       ten werden können. Mögliche Zielkonflik-
                   Maximalbudget, bei dem am Maßstab der          sollten die Akteure weder „überraschen“         te führt der strategische Ausschuss einer
                   Vergangenheit größtmögliche Gewissheit         noch dazu veranlassen, die für einen si-        Lösung im Sinne der gegebenen politisch
                   darüber besteht, dass es zur Erfüllung der     cheren Betrieb im vorgegebenen Umfang           gesetzten Prioritäten zu.
                   gemeinwirtschaftlichen      Verpflichtungen    erforderlichen Investitionen über ein ver-
                   ausreichen wird. Die tatsächliche Budge-       tretbares Maß hinaus aufzuschieben. Aus         PBefG-Genehmigungen und
                   tierung erfolgt unverändert über den Wirt-     diesem Grund sehen die ÖDA jährliche ge-        Gemeinschaftslinien
                   schaftsplan, dem nicht nur Erfahrungswerte     meinsame Vorhabenkonferenzen von Stadt
                   aus der Vergangenheit, sondern weiterhin       und Betreiber vor, in denen sowohl der mit-     In der Metropolregion Rhein-Ruhr beste-
                   auch eingeplante Produktivitätsfortschrit-     tel- und langfristige Ausblick auf notwen-      hen starke verkehrliche Verflechtungen und
                   te zugrunde liegen können. Die Gegen-          dige Investitionen als auch die Festlegung      daher auch ÖPNV-Linien über die jeweili-
                   überstellung von Maximalbudget gemäß           der Vorhaben für das kommende Jahr be-          gen Gebietsgrenzen hinaus. Üblicherweise
                   Preisblatt und Wirtschaftsplan ermöglicht      sprochen werden.                                werden solche Linien von den Verkehrsbe-
                   eine fundierte Einschätzung, inwieweit die                                                     trieben der jeweils bedienten Städte ge-
                   Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Ver-      Gleichwohl ist nicht auszuschließen, dass       meinsam betrieben (Gemeinschaftslinien),
                   pflichtungen auch auf Grundlage des ge-        verkehrliche Ambitionen bei gleichzeitigen      wobei Umläufe mal von dem einen, mal von
                   gebenenfalls ambitionierteren Wirtschafts-     finanziellen Zwängen nicht nur im Bereich       dem anderen der beteiligten Betreiber ge-
                   planes verlässlich möglich ist (Abb. 3).       der Investitionsplanung zu sich widerspre-      fahren werden (Naturalausgleich). Bislang
                   Dies wird dann der Fall sein, wenn die im      chenden Vorgaben des Aufgabenträgers an         wurden den jeweiligen Betreibern dafür ge-

                                                                                                                             DER NAHVERKEHR  1+2/2021     59
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     meinsame Linienverkehrsgenehmigungen              Betreiber (wie bei Busgemeinschaftslinien)         fassten Stellen in die Projektarbeit schafft
     nach dem PBefG erteilt (Gemeinschaftskon-         eine Genehmigung bezogen auf die gesam-            die Voraussetzung dafür, dass die Rege-
     zessionen). Seit der Novelle des PBefG 2013       te Linienführung und beschränkt auf be-            lungen der ÖDA auch tatsächlich gelebt
     müssen bei bestellten Verkehrsdiensten die        stimmte Fahrten erteilt wird. Der Bescheid         werden können. Koordiniert wird der Voll-
     Genehmigungen nun aber dem jeweiligen             ordnet an, dass sich die Genehmigung zum           zug des ÖDA durch „ÖDA-Beauftragte“ je-
     ÖDA entsprechen [6]. Gemeinschaftslini-           Betrieb der Straßenbahnbetriebsanlagen             weils bei den Städten Essen und Mülheim
     en sind jedoch Gegenstand beider ÖDA,             aber nur auf die jeweils eigenen Anlagen           an der Ruhr sowie bei der Ruhrbahn. Mit
     die den jeweils beteiligten kommunalen            des jeweiligen Betreibers bezieht (eige-           den ÖDA wurde ein Rahmen geschaffen,
     Betreibern unabhängig voneinander erteilt         nes Betriebsgebiet). Für das benachbarte           der es den Städten sehr flexibel erlaubt,
     sind. Dabei bezieht sich der ÖDA auf die          Betriebsgebiet beschränkt sich die Geneh-          das ÖPNV-Angebot jederzeit ihren ver-
     vom jeweiligen Betreiber zu erbringenden          migung des Betriebs (und die daraus resul-         kehrspolitischen Entscheidungen und den
     Verkehrsdienste und insofern nur auf einen        tierende Betriebspflicht) hingegen auf die         verkehrlichen Bedürfnissen anzupassen.
     Anteil an der jeweiligen Gemeinschaftslinie.      Beförderung von Personen mit Straßen-              Wie wichtig ein solch flexibles Steuerungs­
     Die bisher üblichen Gemeinschaftskonzes-          beziehungsweise Stadtbahnen, und zwar              instrument ist, zeigt sich nicht nur in der
     sionen passen zu derart gestalteten ÖDA           beschränkt auf das Verkehrsvolumen, das            aktuellen Corona-Krise, sondern insbeson-
     nicht. Deshalb wurden für die Gemein-             sich aus den diesem Betreiber in der Ge-           dere auch mit Blick auf Umwälzungen auf
     schaftslinien nun jeweils individuelle „Ein-      nehmigung zugeordneten Fahrten ergibt.             dem Mobilitätsmarkt.
     zelkonzessionen“ erteilt.                         Durch dieses genehmigungsrechtliche No-
                                                       vum werden der Betrieb der Infrastruktur
     Für eine gemeinschaftlich betriebene Bus-         und der Betrieb der Beförderungsleistung
     linie bekommt hierbei jeder der beiden            genehmigungsrechtlich aufgeteilt zwi-                Literatur / Anmerkungen
     betrauten Betreiber eine eigene Genehmi-          schen den beiden Betreibern, sodass jeder          [1]   Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des
     gung bezogen auf den gesamten Linienver-          der Betreiber eine eigene, zu seinem ÖDA                 Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste
                                                                                                                auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG)
     lauf, aber beschränkt auf eine bestimmte          „passende“ Genehmigung für die Schie-
                                                                                                                Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (ABl. L 315 vom
     (durch den genehmigten Fahrplan festge-           nengemeinschaftslinie bekommt. Auch                      3.12.2007, S. 1). Zwischenzeitlich geändert durch Verordnung (EU)
     legte) Fahrtenanzahl. Die Genehmigungen           hier gibt es „verzahnende“ Auflagen und                  2016/2238 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. De-
                                                                                                                zember 2016 (ABl. L 354 vom 23.12.2016). Im Folgenden bezeichnet als
     enthalten „verzahnende“ Auflagen, die             bleibt der Naturalausgleich zwischen den                 „Verordnung (EG) Nr. 1370/2007“.
     die beiden Betreiber entsprechend der             Betreibern möglich.
                                                                                                          [2]   OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.10.2019 – VII-Verg 43/18.
     Vorgaben in den ÖDA zu einem gemein-
     schaftlichen Betrieb anhalten. Der übliche        Fazit                                              [3]   EuGH, Urt. v. 21.03.2019 – C-266/17 und C-267/17 sowie Urt. v.
                                                                                                                08.05.2019 – C-253/18.
     Naturalausgleich findet weiterhin umlauf-
                                                                                                          [4]   Die Zusammenfassung von straßen- und schienengebundenen Verkeh-
     bezogen durch wechselseitigen Einsatz wie         Mit den Direktvergaben haben Essen und                   ren führt bei hier gegebenem Überwiegen der Schienenverkehre zu einer
     ein Subunternehmer auf den jeweils ge-            Mülheim an der Ruhr nicht nur rechtssi-                  regulären Laufzeitbegrenzung auf 15 Jahre, Art. 4 Abs. 3 Satz 2 VO (EG)
                                                                                                                Nr. 1370/2007. Eine Verlängerung um bis zu 50 Prozent ist bei hier gege-
     nehmigten Fahrten statt.                          chere Grundlagen für die Sicherstellung                  benen Investitionen in gebundene Wirtschaftsgüter möglich, Art. 4 Abs.
                                                       und Finanzierung des ÖPNV in ihren Städ-                 4 VO (EG) Nr. 1370/2007.
     Bei gemeinschaftlich betriebenen Straßen-         ten über Jahre hinaus geschaffen. Darüber          [5]   Dies ermöglicht § 8a Abs. 2 Satz 4 PBefG. Die Versagung von auf Rosi-
     bahn- beziehungsweise Stadtbahnlinien setzt       hinaus wurden die von rechtlichen Anfor-                 nenpickerei gerichteten eigenwirtschaftlichen Konkurrenzanträgen richtet
                                                                                                                sich in diesem Fall nach § 13 Abs. 2a Satz 2 PBefG. Ergänzend greift § 13
     diese genehmigungsrechtliche Gestal-              derungen getriebenen Projekte dazu ge-
                                                                                                                Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. d) PBefG.
     tung voraus, dass die Genehmigung auch            nutzt, die wirtschaftliche Steuerung sowie
                                                                                                          [6]   Dies zeigt sich insbesondere bei der Laufzeit: Die Genehmigung darf nur
     hinsichtlich des Betriebs der Infrastruktur       die Kommunikation und Zusammenarbeit                     für die Laufzeit des zugrundeliegenden ÖDA erteilt werden, siehe § 16
     (Straßenbahnbetriebsanlagen) aufgespal-           der Akteure vor Ort weiter zu verbessern                 Abs. 1 und 2 PBefG.
     ten wird [7]. Mit der Genehmigungsbehörde         und zu intensivieren. Die Integration aller        [7]   Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 PBefG umfasst der Betrieb von Straßenbahnen auch
     wurde abgestimmt, dass jedem der beiden           fachlich mit ÖPNV-relevanten Themen be-                  den Betrieb der Infrastruktur (Straßenbahnbetriebsanlagen).

       Zusammenfassung / Summary
       ÖPNV mit Zukunftsperspektive                                             Public transport with future prospects
       Die Ruhrbahn ist das größte Verkehrsunternehmen im größten Bal­          Ruhrbahn is the largest public transport operator in Germany’s largest
       lungsraum Deutschlands. Auf dem Weg zu den Direktvergaben der            urban area. In order to realize the direct awards of passenger trans­
       Stadtverkehre Essen und Mülheim an der Ruhr an die Ruhrbahn wa­          port services to Ruhrbahn in the cities of Essen and Mülheim an der
       ren besondere Anforderungen zu erfüllen und Herausforderungen zu         Ruhr, unique requirements had to be met and challenges overcome.
       bewältigen. Die Ruhrbahn ist erst im Projektverlauf aus EVAG, MVG        Ruhrbahn was only established in the course of the project through a
       und Via entstanden und die Direktvergabe war Gegenstand eines            merger of EVAG, MVG and Via, while the direct award was challenged
       Nachprüfungsverfahrens. Inhaltlich galt es unter anderem, die öffent­    before the courts. Regarding the content of the public service con­
       lichen Dienstleistungsaufträge aufwärtskompatibel zu gestalten, die      tracts, the public service obligations had to be designed for upwards
       Erfüllbarkeit der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen mit einer ge­   compatibility, the ability to comply with the public service obligations
       eigneten wirtschaftlichen Steuerung abzusichern und tragfähige ge­       had to be backed up by adequate financial control mechanisms and
       nehmigungsrechtliche Lösungen für die zahlreichen Gemeinschafts­         sound legal solutions had to be found for the numerous lines run by
       linien der Ruhrbahn zu finden. Entscheidend für das Gelingen war die     Ruhrbahn in joint concessions with neighbouring operators. Decisive
       Gestaltung des Vorhabens als offenes Kooperationsprojekt der Städte      for the project’s success was its design as a joint effort of the cities and
       und der Ruhrbahn mit proaktiver Kommunikation und laufendem Wis­         Ruhrbahn, including proactive communication and continuous know-
       senstransfer zwischen den Beteiligten.                                   ledge transfer among the participants.

     60   DER NAHVERKEHR  1+2/2021
                                                                                                                                                                                            Pt.

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