POLICY PAPER Internationale Verkehrsinfrastruktur - Was Deutschland von anderen Ländern lernen kann
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POLICY PAPER Internationale Verkehrsinfrastruktur – Was Deutschland von anderen Ländern lernen kann Dr. Dirk Assmann ANALYSE
Impressum Herausgeberin Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Truman Haus Karl-Marx-Straße 2 14482 Potsdam-Babelsberg /freiheit.org /FriedrichNaumannStiftungFreiheit /FNFreiheit Autor Dr. Dirk Assmann, Referent Innovationsräume und Urbanisierung Redaktion Dr. Dirk Assmann, Referent Innovationsräume und Urbanisierung Liberales Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Kontakt Telefon: +49 30 22 01 26 34 Telefax: +49 30 69 08 81 02 E-Mail: service@freiheit.org Stand Januar 2022 Hinweis zur Nutzung dieser Publikation Diese Publikation ist ein Informationsangebot der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Die Publikation ist kostenlos erhältlich und nicht zum Verkauf bestimmt. Sie darf nicht von Parteien oder von Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden (Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen sowie Wahlen zum Europäischen Parlament).
POLICY PAPER 3 Inhalt Warum lohnt der Blick in andere Länder? __________________________________________ 5 Verkehrsinfrastruktur in Deutschland – Status Quo ________________________________ 5 2.1 Bedeutung für die individuelle Mobilität __________________________________________5 2.2 Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland ____________________________6 2.3 Ausmaß der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland _______________________________6 2.4 Qualität der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland _______________________________7 Planungs- und Genehmigungsverfahren im europäischen Vergleich _______________ 8 3.1 Akzeptanz und Bürgerbeteiligung _______________________________________________8 Situation in Deutschland ____________________________________________________________________________________ 8 Situation in anderen Ländern _______________________________________________________________________________ 9 Lehren für Deutschland ____________________________________________________________________________________ 10 3.2 Politische Legitimation ________________________________________________________ 11 Situation in Deutschland ___________________________________________________________________________________ 11 Situation in anderen Ländern ______________________________________________________________________________ 11 Lehren für Deutschland ____________________________________________________________________________________ 12 3.3 Effizienz des Prozessablaufs __________________________________________________ 12 Situation in Deutschland ___________________________________________________________________________________ 12 Situation in anderen Ländern ______________________________________________________________________________ 13 Lehren für Deutschland ____________________________________________________________________________________ 13 3.4 Blick auf den Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ ______________________ 14 Internationale Beispiele für innovative Verkehrslösungen _________________________ 14 4.1 Radverkehr wie in Kopenhagen ________________________________________________ 14 Situation in Kopenhagen __________________________________________________________________________________ 14 Lehren für Deutschland: ___________________________________________________________________________________ 15 4.2 Multimodaler Verkehr wie in Helsinki __________________________________________ 15 Situation in Helsinki _______________________________________________________________________________________ 15 Lehren für Deutschland: ___________________________________________________________________________________ 16 4.3 Autonomes Fahren wie in Singapur ___________________________________________ 16 Situation in Singapur ______________________________________________________________________________________ 16 Lehren für Deutschland ____________________________________________________________________________________ 17 4.4 Smart Traffic Management wie in Pittsburgh __________________________________ 18 Situation in Pittsburgh _____________________________________________________________________________________ 18 Lehren für Deutschland ____________________________________________________________________________________ 18 4.5 Personennahverkehr wie in Zürich_____________________________________________ 19 Situation in Zürich _________________________________________________________________________________________ 19 Lehren für Deutschland ____________________________________________________________________________________ 19
POLICY PAPER 4 4.6 Blick auf den Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ ______________________ 20 Fazit _____________________________________________________________________________ 20
POLICY PAPER 5 Warum lohnt der Blick in andere Länder? Die Qualität der deutschen Verkehrsinfrastruktur hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich verschlechtert. Einst war Deutschland ein Land, das um den Zustand seiner Straßen, Schienen und Brücken international beneidet wurde. Inzwischen ist Deutschland ins Mittelfeld abgerutscht. Dabei ist die Qualität der Verkehrsinfrastruktur für eine Wirtschafts- und Handelsnation wie Deutschland von entscheidender Bedeutung. Denn nur auf hochwertigen Verkehrswegen können Waren sicher und schnell ans Ziel gelangen und damit den Wohlstand sichern. Die alarmierende Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland ist Ausgangspunkt für dieses Policy Paper, das einen Blick in andere Länder wagen will. Im Kern geht es um zwei Fragen: Frage 1: Warum läuft der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in anderen Ländern schneller als in Deutschland? Frage 2: Welche intelligenten Verkehrslösungen existieren international, von denen Deutschland lernen kann? Ziel dieses Policy Papers ist es, den internationalen Erfahrungsschatz für Deutschland verfügbar zu machen. Hieraus sollen konkrete Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Der erste Teil (Kapitel 2) behandelt den aktuellen Zustand der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland. Im nachfolgenden Abschnitt (Kapitel 3) wird ein Kernproblem der deutschen Infrastrukturbereitstellung beleuchtet: Die besonders langwierigen und bürokratischen Planungs- und Genehmigungsverfahren. Ein Vergleich mit anderen europäischen Ländern zeigt, wie diese Verfahren in Deutschland verbessert werden könnten. In Kapitel 4 wird schließlich eine Auswahl intelligenter Verkehrslösungen aus dem internationalen Umfeld präsentiert. Dieses Kapitel gibt Hinweise darauf, wie sich die bereitgestellte Verkehrsinfrastruktur und die gesetzlichen Rahmenbedingungen in Zukunft verändern müssen. Kapitel 5 fasst die wichtigsten Ergebnisse und Handlungsempfehlungen des Papiers zusammen. Verkehrsinfrastruktur in Deutschland – Status Quo 2.1 Bedeutung für die individuelle Mobilität Eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur ist Voraussetzung für die Freiheit unserer individuellen Mobilität. Nur wenn wir mobil sind, können wir am Sozialleben teilhaben, unsere Grundversorgung sichern oder zum Arbeitsplatz gelangen. Im Zeitraum zwischen 1991 und 2019 hat sich das Verkehrsaufkommen im Personenverkehr um insgesamt etwa 34 Prozent erhöht und lag 2019 bei etwa 1169 Milliarden Personenkilometern (siehe Abbildung 1). Der Großteil dieses Verkehrsaufkommens entfällt mit etwa 79 Prozent auf den motorisierten Individualverkehr (Pkw und Krafträder). Es folgt der Bahnverkehr mit etwa 8 Prozent, der öffentliche Straßenpersonenverkehr mit 7 Prozent sowie der Luftverkehr mit 6 Prozent. 1 Abb. 1: Verkehrsaufwand Personenverkehr (in Mrd. Personenkilometern) Quelle: Umweltbundesamt 1250 1200 1.169 1150 1100 1050 1000 950 900 850 875 800 1 https://www.umweltbundesamt.de/daten/verkehr/fahrleistungen-verkehrsaufwand-modal-split#fahrleistung-im-personen-und-guterverkehr
POLICY PAPER 6 Die Bedeutung einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur merken wir am allermeisten, wenn wir im Stau stehen – also dann, wenn die Verkehrsinfrastruktur überlastet ist. Die Zahlen zeigen, dass dies in Deutschland nicht allzu selten der Fall ist. Im Jahr 2019 gingen über 700.000 Staumeldungen auf deutschen Fernstraßen ein 2, die zusammengerechnete Staulänge auf deutschen Autobahnen betrug mehr als 1,4 Millionen Kilometer3 und die Staustunden addierten sich auf über 500.000. Nach einem coronabedingten Abfall im Jahr 2020 ist für das Jahr 2021 wieder mit einem weiteren Anstieg des Stauaufkommens zu rechnen.4 Nicht nur auf der Autobahn, sondern auch in den deutschen Städten stehen die Menschen im Stau. Im Jahr 2021 traf es München besonders hart. In der bayerischen Landeshauptstadt stand man mit dem Auto über das gesamte Jahr durchschnittlich 79 Stunden – und damit mehr als drei volle Tage – im Stau.5 2.2 Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland Als führende Wirtschafts- und Handelsnation im Herzen Europas ist Deutschland im besonderen Maße auf eine hochwertige Verkehrsinfrastruktur angewiesen. Im Jahr 2020 betrug der Wert der Exporte aus Deutschland über 1,2 Billionen Euro. Allein innerhalb Europas wurden Waren im Wert von über 800 Milliarden Euro exportiert. Im Gegenzug betrug der Wert der Importe etwa eine Billionen Euro, wovon etwa 682 Milliarden Euro auf Waren aus Europa entfielen. Das Handelsvolumen ist über die letzten Jahre drastisch angestiegen. Der Wert der Exporte stieg zwischen 2000 und 2020 um 102 Prozent, der Wert der Importe stieg im selben Zeitraum um etwa 90 Prozent.6 Das wachsende Handelsaufkommen trägt auch zum steigenden Güterverkehrsaufwand bei. Dieser nahm allein zwischen 1991 und 2019 um über 75 Prozent zu (siehe Abbildung 2).7 Während der Güterverkehrsaufwand im Jahr 1991 noch etwa 400 Milliarden Tonnenkilometer8 betrug, waren es im Jahr 2019 bereits 701 Milliarden Tonnenkilometer. Der größte Anteil entfällt dabei mit etwa 71 Prozent auf den Straßenverkehr, gefolgt vom Schienenverkehr (etwa 19 Prozent), der Binnenschifffahrt (etwa 7 Prozent), Rohrfernleitungen (2,5 Prozent) und der Luftfahrt (0,2 Prozent). Abb. 2: Verkehrsaufwand Güterverkehr (in Mrd. Tonnenkilometern) Quelle: Umweltbundesamt 750 701 700 650 600 550 500 400 450 400 350 300 2016 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2017 2018 2019 2.3 Ausmaß der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland Das Ausmaß der deutschen Verkehrsinfrastruktur klingt beeindruckend. Im Jahr 2020 hatte das überörtliche Straßennetz in Deutschland eine Gesamtlänge von rund 229.700 Kilometern. Die Gesamtlänge des Schienennetzes beläuft sich aktuell auf etwa 38.400 Kilometer, die Gesamtlänge der Bundeswasserstraßen auf 7.300 Kilometer (siehe Abb. 3).9 Zusätzlich existieren in Deutschland 37 Verkehrsflughäfen10 sowie 5.691 Personenbahnhöfe11. 2 https://presse.adac.de/regionalclubs/suedbaden/adac-staubilanz-2020.html 3 https://presse.adac.de/regionalclubs/suedbaden/adac-staubilanz-2020.html 4 https://www.adac.de/verkehr/verkehrsinformationen/staubilanz/ 5 https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/corona-pendler-stau-100.html 6 Destatis (2021): Außenhandel 2020. (https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Aussenhandel/Publikationen/Downloads-Aussenhandel/zusammenfassende-uebersichten-jahr- vorlaeufig-pdf-2070100.pdf?__blob=publicationFile) 7 https://www.umweltbundesamt.de/daten/verkehr/fahrleistungen-verkehrsaufwand-modal-split#fahrleistung-im-personen-und-guterverkehr 8 Der Verkehrsaufwand im Güterverkehr wird in Tonnenkilometern gemessen. Hierbei handelt es sich um die zurückgelegte Strecke, multipliziert mit der beförderten Gütermenge in Tonnen. 9 https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Transport-Verkehr/Unternehmen-Infrastruktur-Fahrzeugbestand/Tabellen/verkehrsinfrastruktur.html 10 Hierzu zählen alle Flughäfen, die von der zuständigen Landesluftfahrtbehörde als Flughafen nach § 38 Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung (LuftVZO) in Verbindung mit § 12 Luftverkehrsgesetz (LuftVG) klassifiziert sind. (https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Verkehrsflugh%C3%A4fen_in_Deutschland) 11 Deutsche Bahn (2021): Daten & Fakten 2020. (https://ir.deutschebahn.com/fileadmin/Deutsch/2020/Berichte/DB20_DuF_d_web_01.pdf)
POLICY PAPER 7 Abb. 3: Verkehrsinfrastruktur in Deutschland 2020 (in 1000 Kilometern) Quelle: Statistisches Bundesamt Überörtliches Straßennetz 229,7 Autobahnen 13,2 Bundesstraßen 37,8 Landesstraßen 86,9 Kreisstraßen 91,8 Schienenwege 38,4 Bundeswasserstraßen 7,3 Die Verkehrsinfrastruktur stellt einen signifikanten Anteil des Kapitalstocks der deutschen Wirtschaft dar. Im Jahr 2019 betrug das geschätzte Bruttoanlagevermögen der gesamten Verkehrsinfrastruktur in Deutschland mehr als 1,2 Billionen Euro.12 2.4 Qualität der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland Der aktuelle Zustand der deutschen Verkehrsinfrastruktur ist bedenklich. Im internationalen Vergleich der Straßenqualität liegt Deutschland lediglich auf Platz 22 und damit deutlich hinter Nachbarländern wie Niederlande, Österreich, Dänemark oder Frankreich zurück.13 68 Prozent der deutschen Unternehmen sehen ihre Geschäftsabläufe durch die marode Infrastruktur in Deutschland gefährdet. Besonders kritisch wird hierbei die Straßeninfrastruktur gesehen. Hier nehmen sogar 72 Prozent der Befragten Beeinträchtigungen durch Infrastrukturmängel wahr. 14 Es zeigt sich weiterhin, dass mehr als fünf Prozent der deutschen Autobahnbrücken in einem mangelhaften oder sogar ungenügenden Zustand sind. Etwa jede vierte Brücke befindet sich in einer gerade noch ausreichenden Verfassung (siehe Abbildung 4).15 Abb. 4: Zustandsnoten von Autobahnbrücken (in Prozent) Quelle: Bundesanstalt für Straßenwesen 50% 47,4% 45% 40% 35% 30% 24,8% 25% 20% 15,8% 15% 10% 6,7% 4,8% 5% 0,5% 0% sehr gut gut befriedigend ausreichend mangelhaft ungenügend Auch der Modernitätsgrad der Straßen, Schienen und Wasserwege in Deutschland ist über die letzten Jahre kontinuierlich gesunken (siehe Abbildung 5). Der Modernitätsgrad gibt den aktuellen Wert des Infrastrukturnetzes (Nettoanlagevermögen) im Verhältnis zum Wiederbeschaffungswert der Infrastruktur (Bruttoanlagevermögen) an. Nimmt der Modernitätsgrad einen Wert von 100% an, so ist die Infrastrukturnetz im entsprechenden Bereich komplett neuwertig. Ein Wert von 0% würde bedeuten, dass die zur Verfügung stehende Infrastruktur praktisch wertlos ist. 12 BMVI (2021): Verkehr in Zahlen 2020/2021. (https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Publikationen/G/verkehr-in-zahlen-2020-pdf.pdf?__blob=publicationFile) 13 WEF (2020): Global Competitiveness Report 2019 (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157788/umfrage/ranking-der-laender-mit-der-hoechsten-qualitaet-der-strassen/) 14 IW (2018): Infrastrukturmängel in Deutschland. (https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/IW-Trends/PDF/2018/IW-Trends_2018-02- 06_Infrastrukturm%C3%A4ngel.pdf) 15 https://www.bast.de/BASt_2017/DE/Statistik/Bruecken/Brueckenstatistik.pdf?__blob=publicationFile&v=13
POLICY PAPER 8 Abb. 5: Modernitäsgrad der deutschen Verkehrsinfrastruktur Quelle: BMVI, eigene Berechnungen 70% 68% 66% 65,1% 64% 62% 62,5% 60% 58,5% 58% Straßen und Brücken Wasserstraßen Schienenwege Der marode Zustand der Verkehrsinfrastruktur wird auch von der breiten Bevölkerung wahrgenommen. In einer repräsentativen Umfrage von Ipsos aus dem Jahr 2019, sagen 70 Prozent der Befragten, dass Investitionen in die Infrastruktur für zukünftiges Wachstum dringend notwendig sind. Gleichzeitig geben 58 Prozent der Befragten an, dass Deutschland zu wenig Investitionen in seine Infrastruktur tätigt.16 Die Daehre-Kommission kommt in ihrem Abschlussbericht „Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ zu dem Ergebnis, dass jährlich 7,2 Mrd. Euro an zusätzlichen Investitionen in die Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserstraße für Betrieb und Erhalt notwendig wären.17 Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) errechnet sogar eine jährliche Investitionslücke von mindestens 10 Mrd. Euro im Bereich der Verkehrsinfrastruktur.18 Diese Investitionslücken beeinträchtigen nicht nur den Verkehrsfluss. Sie mindern auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und schaden dem internationalen Renommee der Bundesrepublik Deutschland. Planungs- und Genehmigungsverfahren im europäischen Vergleich Ein Kernproblem der Infrastrukturbereitstellung in Deutschland sind die besonders langwierigen und bürokratischen Planungs- und Genehmigungsverfahren, die die Geschwindigkeit des Infrastrukturausbaus verzögern und die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung gefährden. In anderen europäischen Ländern sind diese Verfahren teils deutlich effizienter geregelt. Im Rahmen dieses Kapitels sollen diese internationalen Erfahrungen verfügbar gemacht und konkrete Handlungsempfehlungen abgeleitet werden.19 Hierzu werden die Themen „Akzeptanz und Bürgerbeteiligung“, „Politische Legitimation“ und „Effizienz des Prozessablaufs“ herausgegriffen. 3.1 Akzeptanz und Bürgerbeteiligung Situation in Deutschland Viele große Infrastrukturprojekte in Deutschland haben mit dem Problem schwindender Akzeptanz in der Bevölkerung zu kämpfen. Projekte wie „Stuttgart 21“ oder aktuelle Kontroversen um den Bau der A 4920 zeigen, dass mangelnde Akzeptanz die Durchführung infrastruktureller Großprojekte gefährden kann. Die Politik muss diese Entwicklungen ernst nehmen und 16 IPSOS (2020): Global Infrastructure Index 2019. (https://www.ipsos.com/sites/default/files/ct/news/documents/2019-11/global-infrastructure-index-2019.pdf) 17 BMVI (2012): Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung. (https://www.verkehrsministerkonferenz.de/VMK/DE/termine/sitzungen/12-12-19-uebergabe-bericht-kommission- zukunft-vif/Bericht-Kommm-Zukunft-VIF.pdf;jsessionid=49D137EBDC088421959C1B0760D8D182.2_cid339?__blob=publicationFile&v=2) 18 DIW (2013): Verkehrsinfrastruktur: Substanzerhaltung erfordert deutlich höhere Investitionen. (https://www.diw.de/de/diw_01.c.457836.de/publikationen/wochenberichte/2013_26_6/verkehrsinfrastruktur__substanzerhaltung_erfordert_deutlich_hoehere_investitionen.html) 19 Die internationalen Erfahrungen stammen vordergründig aus: Roland Berger Strategy Consultant (2013): Best-Practices-Studie Best-Practices-Studie zur Verkehrsinfrastrukturplanung und -finanzierung in der EU. (https://bdi.eu/media/presse/publikationen/infrastruktur-und-logistik/20131024_BDI_Verkehrsinfrastruktur_Langfassung_gesamt.pdf) Die Erfahrungen dieser Publikation werden durch weitere Quellen ergänzt. 20 https://www.deutschlandfunk.de/konflikt-im-dannenroeder-forst-warum-der-ausbau-der-a49.2897.de.html?dram:article_id=487705
POLICY PAPER 9 analysieren, warum so viele Menschen in Deutschland Vorbehalte gegen große Infrastrukturprojekte hegen. Ein Blick auf den Zeitpunkt sowie die Art und Weise der Bürgerbeteiligung in Deutschland verdeutlicht, dass es handfeste Gründe für die schwindende Akzeptanz in der Bevölkerung gibt. Bürgerbeteiligung setzt sehr spät ein Die Verkehrswegeplanung in Deutschland sieht grundsätzlich auf allen Verfahrensebenen eine gesetzlich vorgeschriebene Bürgerbeteiligung vor; d.h. im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung, des Raumordnungsverfahrens, sowie im Zuge des abschließenden Planfeststellungsverfahrens.21 Was zunächst nach einer umfassenden und frühzeitigen Bürgerbeteiligung aussieht, weist jedoch große Schwachstellen auf. Im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung bezieht sich die Bürgerbeteiligung vor allem auf strategische Leitfragen und nicht auf die konkrete Ausgestaltung von Einzelprojekten.22 Eine intensive Befassung mit einzelnen Projektdurchführungen erfolgt erst im Zuge des Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahrens. Der intensivste Austausch zwischen dem Vorhabenträger und den Bürgerinnen und Bürgern findet in der Regel beim gesetzlich vorgeschriebenen Erörterungstermin des Planfeststellungsverfahrens statt. 23 Zu diesem Zeitpunkt sind signifikante Projektanpassungen jedoch nur noch mit erheblichen Kostensteigerungen und Verzögerungen umzusetzen – ein Zustand, der zu erheblichen Konflikten führen kann. Für eine höhere Akzeptanz sorgt diese Form der Bürgerbeteiligung sicherlich nicht.24 Keine zielgruppenorientierte Aufbereitung von Informationen Gute Bürgerbeteiligung setzt voraus, dass alle relevanten Informationen in einer gut verständlichen Art und Weise bereitgestellt werden.25 Diese Grundvoraussetzung scheint in Deutschland nicht erfüllt zu sein. Eine Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass sich etwa neun von zehn Bürgerinnen und Bürgern nicht ausreichend über den Stand von Infrastrukturvorhaben informiert fühlen.26 Wenn man sich die bereitgestellten Informationen zu verschiedenen Infrastrukturprojekten ansieht, erscheint dieses Ergebnis keineswegs überraschend. Zum Großteil bestehen die verfügbaren Materialien aus wissenschaftlichen Publikationen und Gutachten, die sich explizit an ein ausgewähltes Fachpublikum richten. Für die fachliche Beurteilung eines Projekts sind diese Dokumente von zentraler Bedeutung, doch sie eignen sich nicht als Informationsangebot für die breite Öffentlichkeit. Um eine gelungene Bürgerbeteiligung zu ermöglichen, bräuchte es hingegen eine zielgruppenspezifische Aufbereitung der Informationen. Lange Verfahrensdauer und mangelnde politische Legitimation Der Bau großer Verkehrsinfrastrukturprojekte nimmt ohnehin sehr viel Zeit in Anspruch.27 Unnötig lange Planungs- und Genehmigungsverfahren, deren Beschlüsse im Nachgang auch noch gerichtlich angezweifelt werden können, ziehen die Dauer der Projektdurchführung noch weiter in die Länge.28 Dieser Zustand ist äußerst problematisch, denn große Verkehrsinfrastrukturprojekte werden in aller Regel durchgeführt, um einen konkreten Mobilitätsbedarf in der Bevölkerung zu decken. Ist die Dauer der Projektdurchführung zu lange, können sich diese Bedarfe ändern und die Frage aufwerfen, warum bestimmte Infrastrukturprojekte überhaupt ins Leben gerufen wurden. Zudem ist der politische Rückhalt für große Infrastrukturprojekte auf den ersten Blick nur schwer erkennbar. Es mangelt in Deutschland also an der Sichtbarkeit politischer Legitimation. Situation in anderen Ländern Bürgerbeteiligung hat höheren Stellenwert In vielen anderen Ländern findet die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger deutlich früher im Planungs- und Genehmigungsverfahren und damit zu einem Zeitpunkt statt, zu dem tatsächliche Planungsanpassungen noch ohne größeren Aufwand umsetzbar sind. Hierdurch können eskalierende Konflikte – wie sie in Deutschland zuletzt öfter vorgekommen sind – vermieden und im Vorfeld gelöst werden. Die konkrete Ausgestaltung der Bürgerbeteiligung ist in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich geregelt. In Frankreich existiert eine eigene Institution, die Beteiligungsverfahren bei allen großen Projekten professionell betreut und hierdurch einen großen Erfahrungsschatz aufgebaut hat. In den Niederlanden erfolgt neben einer formellen Bürgerbeteiligung zu Beginn des Vorhabens eine kontinuierliche informelle Beteiligung. In Österreich ist vor jeder rechtlich bindenden Entscheidung eine öffentliche Konsultation notwendig. In Dänemark setzt man hingegen auf möglichst freiwillige Beteiligungsverfahren, die sich bei den Vorhabenträgern inzwischen jedoch etabliert haben.29 21 BMVI (2014): Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung. (https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/G/handbuch-buergerbeteiligung.html) 22 https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/G/BVWP/bundesverkehrswegeplan-2030-oeffentlichkeitsbeteiligung.html 23 http://www.verwaltungsrecht-ratgeber.de/verwaltungsrecht/eisenbahnrecht/planfeststellung/index_02.html 24 Siehe hierzu auch die Ausführungen von Dieter Posch im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur. (https://www.bundestag.de/resource/blob/679372/ab3c2f7a6ef0f4b8844599f440fd62ad/063_wortprotokoll-data.pdf) 25 Netzwerk Bürgerbeteiligung (2013): Qualitätskriterien Bürgerbeteiligung. (https://www.netzwerk-buergerbeteiligung.de/fileadmin/Inhalte/PDF- Dokumente/Qualita%cc%88tskriterien/nwbb_qualitaetskriterien_stand_februar2013.pdf) 26 Bertelsmann Stiftung (2012): Bürgerbeteiligung und Infrastrukturplanung. (https://www.bertelsmann- stiftung.de/fileadmin/files/user_upload/Buergerbeteiligung_und_Infrastrukturplanung.pdf) 27 https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/grosse-bauvorhaben-eitle-projekte-grosse-risiken-11979693.html 28 https://www.welt.de/regionales/hamburg/article172090579/Infrastruktur-Warum-die-Umsetzung-von-Grossprojekten-so-schwierig-ist.html 29 Roland Berger Strategy Consultant (2013): Best-Practices-Studie Best-Practices-Studie zur Verkehrsinfrastrukturplanung und -finanzierung in der EU. (https://bdi.eu/media/presse/publikationen/infrastruktur-und-logistik/20131024_BDI_Verkehrsinfrastruktur_Langfassung_gesamt.pdf)
POLICY PAPER 10 Informationen werden verständlich aufbereitet Für die korrekte Bereitstellung relevanter Informationen zu Infrastrukturprojekten gibt es auch auf internationaler Ebene einheitliche Vorgaben, die in Deutschland nicht in adäquater Weise umgesetzt werden. Laut OECD erfordert eine gelungene Bürgerbeteiligung, dass alle nötigen Informationen leicht auffindbar und verständlich bereitgestellt werden sollten.30 Auch der Europarat kommt in seinen Empfehlungen zu der Erkenntnis, dass notwendige Informationen in einer leicht verständlichen Sprache und in einem angemessenen Format veröffentlicht werden sollten, so dass die Informationen für eine möglichst breite Öffentlichkeit nutzbar sind.31 In anderen europäischen Ländern erfolgt die Bereitstellung von Informationen deutlich zielgerichteter, so dass sich die Bürgerinnen und Bürger ein genaues Bild über mögliche Projektauswirkungen machen können.32 Andere Länder haben effizientere Verfahren Die Akzeptanz für Verkehrsinfrastrukturprojekte sowie die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren können nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. Mangelt es an Akzeptanz in der Bevölkerung, so werden Planungsbeschlüsse in Zweifel gezogen und gerichtlich angefochten, was in der Folge wiederum zu längeren Verfahrensdauern führt. Gleichzeitig mindern lange Verfahrensdauern die Akzeptanz für Verkehrsinfrastrukturprojekte, da der ursprüngliche Grund der Projektdurchführung aus dem Blick geraten kann. In den Kapiteln „Politische Legitimation“ und „Effizienz des Prozessablaufs“ wird gezeigt, wieso andere Länder kürzere Verfahrensdauern aufweisen und wodurch sich die politische Legitimierung von Projekten in anderen Ländern unterscheidet. Diese Erfahrungen können genutzt werden, um gleichzeitig auch die Akzeptanz von Verkehrsinfrastrukturprojekten zu erhöhen. Lehren für Deutschland Eine höhere Akzeptanz für Verkehrsinfrastrukturprojekte kann es in Deutschland nur durch eine bessere Bürgerbeteiligung sowie durch effizientere Verfahren geben. Die internationalen Erfahrungen legen für Deutschland eine Reihe von Handlungsempfehlungen nahe: Frühzeitige Bürgerbeteiligung Die Einbindung der Bürgerinnen und Bürger muss deutlich früher im Planungs- und Genehmigungsverfahren erfolgen. Bürgerbeteiligung darf nicht erst dann beginnen, wenn konkrete Projektplanungen bereits abgeschlossen und Änderungen nur mit hohem Kosten- und Zeitaufwand umgesetzt werden können. In der Vergangenheit wurde die Bürgerbeteiligung in Deutschland wie notwendiges Übel behandelt – ein Prozess, der irgendwie im Verfahren untergebracht werden muss. Sinn und Zweck der Bürgerbeteiligung sollte es sein, dass sowohl die betroffene Bevölkerung als auch der Vorhabenträger vom Dialogprozess profitieren können. Professionalisierung der Bürgerbeteiligung Die Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie im richtigen Format und unter der Anleitung von Expertinnen und Experten erfolgt. Partizipationsprozesse in Planungsverfahren müssen fachkundig organisiert und geleitet werden. Der ehemalige hessische Wirtschaftsminister Dieter Posch sprach sich schon vor Jahren dafür aus, die Bürgerbeteiligung in der Art eines Mediationsverfahrens zu organisieren.33 Auch die Erkenntnisgewinne aus unterschiedlichen Beteiligungsprozessen dürfen keinesfalls verloren gehen. Zielgruppengerechte Aufbereitung von Informationen Die Bereitstellung verständlicher Informationen ist für alle großen Infrastrukturprojekte die Grundvoraussetzung zur Schaffung von Akzeptanz in der Bevölkerung. Die Digitalisierung bietet hierfür wichtige Vorteile, die in Deutschland bisher viel zu wenig genutzt werden. Im Vorfeld von Diskussionsveranstaltungen können die Bürgerinnen und Bürger durch die digitale Visualisierung von Informationen einen schnellen Überblick über das Für und Wider strittiger Fragen erhalten, ohne umfassende wissenschaftliche Gutachten lesen zu müssen. Auch der aktuelle Projektstand ließe sich durch entsprechende Visualisierungen anschaulich darstellen, womit alle Bürgerinnen und Bürger über Fortschritte oder Projekthindernisse transparent informiert werden könnten. Digitale Beteiligungsformate Die Corona-Pandemie beschleunigt derzeit den Prozess der Digitalisierung in nahezu allen Bereichen. Erörterungstermine großer Infrastrukturprojekte mussten aufgrund der aktuellen Lage bereits online stattfinden.34 Die digitale Bürgerbeteiligung sollte den direkten Austausch zwischen dem Vorhabenträger und den Bürgerinnen und Bürgern zwar nicht ersetzen, aber die Einbindung digitaler Beteiligungsformate könnte wertvolle Ergänzungen liefern und Personen für den Dialogprozess 30 OECD (2009): Public Engagement for Better Policy and Services. (https://www.partizipation.at/fileadmin/media_data/Downloads/Zukunftsdiskurse-Studien/oecd_focus_on_citizens- deutsch.pdf) 31 https://search.coe.int/cm/Pages/result_details.aspx?ObjectId=09000016807509dd 32 Roland Berger Strategy Consultant (2013): Best-Practices-Studie Best-Practices-Studie zur Verkehrsinfrastrukturplanung und -finanzierung in der EU. (https://bdi.eu/media/presse/publikationen/infrastruktur-und-logistik/20131024_BDI_Verkehrsinfrastruktur_Langfassung_gesamt.pdf) 33 https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/grossprojekte-fdp-minister-fordert-buergerbeteiligung-im-planungsrecht-a-736359.html 34 https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/gesetzentwurf-bund-will-virtuelle-beteiligungsverfahren-fuer-bauvorhaben-wie-das-tesla-projekt/25785678.html?ticket=ST- 2922734-noQCXkUZ3DZxo0ixbMUd-ap2
POLICY PAPER 11 mobilisieren, die sich sonst nicht engagiert hätten. Verkürzung der Verfahrensdauer und Stärkung der politischen Legitimation In den Kapiteln 3.2 („Politische Legitimation“) und 3.3 („Effizienz des Prozessablaufs“) wird gezeigt, wie Deutschland seine Genehmigungsverfahren beschleunigen und dadurch auch höhere Akzeptanz erzeugen kann. 3.2 Politische Legitimation Situation in Deutschland Bei der Planung und Genehmigung von Verkehrsinfrastrukturprojekten tritt die Legislative sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene in Deutschland wenig in Erscheinung. Zwar wird der Bundesverkehrswegeplan von der Bundesregierung als Kabinettsbeschluss verabschiedet, rechtlich handelt es sich hierbei jedoch lediglich um ein Planungsinstrument der Bundesregierung ohne Gesetzescharakter. Das Baurecht für große Verkehrsinfrastrukturprojekte wird in der Regel über einen Planfeststellungsbeschluss erteilt. Hierbei handelt es sich um den Abschluss eines förmlichen Verwaltungsverfahrens (Planfeststellungsverfahren), bei dem alle Einwände und Belange durch die zuständige Planfeststellungsbehörde gegeneinander abgewogen werden.35 Auch das vorgelagerte Raumordnungsverfahren wird von der verantwortlichen Raumordnungsbehörde durchgeführt.36 Somit wird für die allermeisten Großprojekte der gesamte Planungs- und Genehmigungsprozess an administrative Fachbehörden delegiert. Erst mit dem Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz wurde Anfang 2020 die Möglichkeit geschaffen, dass der Bundestag das Baurecht für einige wenige Verkehrsinfrastrukturprojekte per Gesetz erteilen kann.37 Ziel dieser Gesetzesinitiative war es, die Durchführung großer Infrastrukturprojekte zu beschleunigen und für eine breitere Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu sorgen. Allerdings besteht diese Möglichkeit bisher für lediglich 13 ausgewählte Projekte im Bereich der Schienen- und Wasserstraßeninfrastruktur.38 Politische Legitimation wird nicht ersichtlich Die in Deutschland übliche Durchführung von Planungs- und Genehmigungsverfahren durch administrative Fachbehörden verschleiert für die Öffentlichkeit den politischen Rückhalt für infrastrukturelle Großprojekte. Auch die zuständigen Fachbehörden können hierdurch überfordert werden, da diese mit ungelösten politischen Konflikten fertig werden müssen. Der Bezug zu den übergeordneten Strategien und Zielen des Bundesverkehrswegeplans wird durch diese Aufgabenteilung für die breite Öffentlichkeit nur schwer ersichtlich. Dies kann in Teilen der Bevölkerung zu der Auffassung führen, dass an den Menschen „vorbeigeplant“ wird – ein Zustand der zu großer Skepsis und mangelnder Akzeptanz führen kann. Bei Planfeststellungsbeschlüsse handelt es „lediglich“ um einen Verwaltungsakt Bei Planfeststellungsbeschlüssen handelt es sich „lediglich“ um einen Verwaltungsakt. 39 Aus diesem Grund können Planfeststellungsbeschlüsse vergleichsweise leicht auf technisch-formaler Basis vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden. Neben Personen, die vor Gericht die Verletzung subjektiver Rechte geltend machen können, können auch anerkannte Umwelt- und Naturschutzverbände Klage einreichen.40 Ein Klagegrund ergibt sich aus Verfahrensmängeln oder aufgrund von Mängeln bei der Abwägung öffentlicher und privater Belange.41 Da es sich bei Planungs- und Genehmigungsverfahren um äußerst komplexe Verfahren handelt, lässt sich nie vollständig ausschließen, dass alle denkbaren Aspekte in die Abwägung eingeflossen sind. Dementsprechend sind Planfeststellungsbeschlüsse äußerst anfällig für juristische Auseinandersetzungen, was die Verfahrensdauer auch nach Erteilung des Planfeststellungsbeschlusses in die Länge ziehen kann. Situation in anderen Ländern Die politische Legitimierung von Projekten ist international deutlich sichtbarer In allen europäischen Ländern sind die zuständigen Ministerien für Transport bzw. Verkehr weitaus stärker in die Organisation von Planungs- und Genehmigungsverfahren eingebunden als dies in Deutschland der Fall ist. Zum anderen werden wichtige Entscheidungen zu großen Infrastrukturprojekten meist öffentlichkeitswirksam auf politischer Ebene beschlossen, so dass deren politischer Rückhalt für die breite Öffentlichkeit sichtbar wird. In den Niederlanden ist das Ministerium für Transport und Umwelt in alle wichtigen Schritte der Planungs- und Genehmigungsverfahren eingebunden. Das zuständige Ministerium trifft zu allen wesentlichen Prozessschritten Entscheidungen, die in enger Abstimmung mit dem Parlament sowie regionalen Behörden erfolgen. Hierbei geht es z.B. um Fragen der grundsätzlichen Projektdurchführung, der Streckenauswahl oder des konkreten Baubeginns. Diese Entscheidungen werden vom Ministerium nach außen 35 https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/recht-a-z/22689/planfeststellung 36 https://gl.berlin-brandenburg.de/umsetzung/raumordnungsverfahren/ 37 https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/K/beschleunigung-umweltfreundliche-verkehrsprojekte.html 38 Posch (2020): Stellungnahme zum Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz (https://www.bundestag.de/resource/blob/679372/ab3c2f7a6ef0f4b8844599f440fd62ad/063_wortprotokoll-data.pdf) 39 https://www.handelskammer-bremen.de/wirtschaft-positionieren/stadtentwicklung/planfeststellungsverfahren-1301726 40 http://www.aarhus-konvention.de/einmischen/oeffentlichkeitsbeteiligung/planfeststellungsverfahren/ablauf-planfeststellungsverfahren.html 41 https://de.m.wikipedia.org/wiki/Planfeststellung
POLICY PAPER 12 begründet, so dass sowohl die Beweggründe als auch die politische Legitimation für die breite Bevölkerung ersichtlich wird. Auch in Frankreich ist das Ministerium für Transport in alle Phasen des Planungs- und Genehmigungsprozesses eingebunden und trifft im Rahmen des Prozesses alle wichtigen Entscheidungen. In Österreich ist das zuständige Ministerium für Verkehr ebenfalls deutlich stärker in die Organisation von Planungs- und Genehmigungsprozessen involviert. Zusätzlich kommt in Österreich dem Parlament eine weitaus bedeutendere Rolle als in Deutschland zu. So wird jedes Großprojekt im Bereich der Verkehrsinfrastruktur (je nach Verkehrsträger) durch einen Parlaments- oder Kabinettsbeschluss erlassen. Die Befassung durch das Parlament erfolgt dabei in einem frühen Projektstadium, wodurch die politische Legitimation von Anfang an sichtbar wird.42 Dänemark ist Vorreiter bei der politischen Legitimation von Projekten Besonders sichtbar ist die politische Legitimation für Verkehrsinfrastrukturprojekte in Dänemark. In Dänemark wurde im Jahr 2009 eine Infrastrukturoffensive gestartet, bei dem ein Langzeitplan mit konkreter Finanzierungsperspektive vom Parlament beschlossen wurde.43 Auch in den kommenden Jahren soll es massive Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur geben.44 In Dänemark erhalten alle Großprojekte ihre Baugenehmigung durch ein eigenes Baugesetz, das durch das nationale Parlament erlassen und von der dänischen Königin abschließend unterzeichnet wird. Gegen das beschlossene Baugesetz kann ausschließlich aufgrund von Verfassungswidrigkeit geklagt werden. Juristische Auseinandersetzungen vor Verwaltungsgerichten, wie sie in Deutschland bei Klagen gegen Planungsbeschlüsse üblich sind, wären bei einem Genehmigungsverfahren wie in Dänemark ausgeschlossen.45 Lehren für Deutschland Der (scheinbar) fehlende politische Rückhalt für infrastrukturelle Großprojekte kann die Bildung einer breiten Akzeptanz in der Bevölkerung massiv behindern. Der internationale Vergleich zeigt, dass die politische Legitimierung von Infrastrukturprojekten in Deutschland besonders schwer ersichtlich ist. Daher sollte das Baurecht in Zukunft häufiger durch Maßnahmengesetze erteilt werden. Schaffung von Baurecht durch Maßnahmengesetze Bisher konnte der Bundestag nur für einige wenige Verkehrsinfrastrukturprojekte Baurecht per Maßnahmengesetz erteilen. Für eine sichtbare politische Legitimierung von Infrastrukturprojekten, wie sie vor allem in Dänemark üblich ist, sollte der Bundestag deutlich häufiger von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Durch Maßnahmengesetze erhalten Infrastrukturprojekte ihr Baurecht nicht wie üblich über eine Genehmigung im Rahmen eines langwierigen Verwaltungsakts, sondern über einen Beschluss des Bundestages. Ein solches Verfahren sollte in erster Linie für systemrelevante Infrastrukturmaßnahmen zum Einsatz kommen, welche eine besonders hohe politische Priorität aufweisen. Zum einen könnten Verfahren hierdurch deutlich beschleunigt werden, zum anderen wäre deren politische Legitimierung für die breite Öffentlichkeit ersichtlich. 3.3 Effizienz des Prozessablaufs Situation in Deutschland Die Planung und Zulassung von großen Verkehrsinfrastrukturprojekten erfolgt in Deutschland im Regelfall durch drei Prozessschritte. Die Basis für die Verkehrsinfrastrukturplanung bildet der Bundesverkehrswegeplan. Hierbei handelt es sich in erster Linie um ein politisches Planungsinstrument, das keinen Gesetzescharakter hat. Für konkrete Einzelprojekte erfolgt ein Raumordnungsverfahren, das die Raumverträglichkeit des Infrastrukturvorhabens untersucht. Zur Erteilung des Baurechts erfolgt im Anschluss ein Planfeststellungsverfahren, bei dem die Rechtmäßigkeit des Infrastrukturvorhabens überprüft wird.46 Die konkrete Ausgestaltung sowie das Zusammenwirken der einzelnen Prozessschritte erfolgt hierbei jedoch sehr ineffizient, was die Dauer der Verfahren stark in die Länge ziehen kann. Es finden zu viele Doppelprüfungen statt Das Raumordnungs- sowie das Planfeststellungsverfahren weisen deutliche Überschneidungen auf, die in der Praxis viele Doppelprüfungen nötig machen. Dies gilt insbesondere für die Umweltverträglichkeitsprüfung, welche in beiden Verfahren durchgeführt werden muss. In der jetzigen Situation finden das Raumordnungs- und das Planfeststellungsverfahren zeitlich versetzt mit teils mehreren Jahren Abstand statt. Die Erkenntnisse der Umweltverträglichkeitsprüfung aus dem Raumordnungsverfahren können also zum Zeitpunkt der Prüfung im Planfeststellungsverfahren schon nicht mehr aktuell sein. Mit dem Investitionsbeschleunigungsgesetz kann zwar nun für einzelne Projekte auf das Raumordnungsverfahren verzichtet werden47, allerdings löst diese Regelung nicht das Grundproblem: für die meisten Infrastrukturprojekte finden 42 Roland Berger Strategy Consultant (2013): Best-Practices-Studie Best-Practices-Studie zur Verkehrsinfrastrukturplanung und -finanzierung in der EU. (https://bdi.eu/media/presse/publikationen/infrastruktur-und-logistik/20131024_BDI_Verkehrsinfrastruktur_Langfassung_gesamt.pdf) 43 IW (2013): Stur in den Stau? (https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/IW-Analysen/PDF/Positionen/Positionen_59.pdf) 44 https://www.dvz.de/rubriken/politik/detail/news/daenemark-will-milliarden-in-infrastruktur-investieren.html 45 Roland Berger Strategy Consultant (2013): Best-Practices-Studie Best-Practices-Studie zur Verkehrsinfrastrukturplanung und -finanzierung in der EU. (https://bdi.eu/media/presse/publikationen/infrastruktur-und-logistik/20131024_BDI_Verkehrsinfrastruktur_Langfassung_gesamt.pdf) 46 BMVI (2018): Leitfaden Großprojekte. (https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/G/leitfaden-grossprojekte.pdf?__blob=publicationFile) 47 https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Pressemitteilungen/2020/058-scheuer-investitionsbeschleunigungsgesetz.html
POLICY PAPER 13 weiterhin Doppelprüfungen statt, die viel Zeit und Arbeitsaufwand erfordern. Auch abgeschlossene Verfahren sind nicht rechtssicher Wie bereits im Abschnitt „Politische Legitimation“ beschrieben, sind Planfeststellungsbeschlüsse äußerst anfällig für juristische Auseinandersetzungen. Neben Personen, die eine Verletzung subjektiver Rechte für sich beanspruchen, können auch anerkannte Umwelt- und Naturschutzverbände Klage einreichen. Aktuell ist dieses Klagerecht auch nicht auf Umweltbelange beschränkt. Nach Abschaffung der materiellen Präklusionsregelung können diese Klagen auch dann nachträglich eingereicht werden, wenn die entsprechenden Einwände nicht im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vorgebracht wurden.48 Hierdurch können Verfahren verzögert werden, ohne dass der Vorhabenträger die Chance hatte, auf entsprechende Einwände einzugehen. Zusätzlich können in Deutschland nachträglich sogar Versäumnisse aus dem Raumordnungsverfahren angefochten werden, sofern sich der Planfeststellungsbeschluss auf diese eingeklagten Versäumnisse bezieht. Situation in anderen Ländern Umweltverträglichkeitsprüfung findet international einmalig statt Die Durchführung einer doppelten Umweltverträglichkeitsprüfung (d.h. einer Umweltverträglichkeitsprüfung, die in unterschiedlichen Prozessschritten erfolgt) ist in anderen europäischen Ländern nicht unüblich. Zwar unterscheidet sich der Zeitpunkt und die Zuständigkeit der Durchführung, die Prüfung erfolgt jedoch in allen Ländern durch ein einmaliges konzentriertes Verfahren. In Frankreich erfolgt die Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen der „Vorbereitung der Öffentlichen Untersuchung“, bei der die Auswirkungen unterschiedlicher Streckenführungen innerhalb eines vorgegebenen Korridors untersucht werden. In das Verfahren sind sowohl die Öffentlichkeit als auch die betroffenen Gebietskörperschaften eingebunden. Gegen das Ergebnis der Umweltverträglichkeitsprüfung kann zwar geklagt werden, allerdings haben diese Klagen keine aufschiebende Wirkung. In den Niederlanden erfolgt die Umweltverträglichkeitsprüfung durch ein Gutachten des Vorhabenträgers, der darin die Umweltauswirkungen für verschiedene Streckenführungen darlegen muss. Das zuständige Ministerium fällt auf Grundlage dieser Ergebnisse eine Entscheidung für die konkrete Streckenführung. In Österreich wird die Umweltverträglichkeitsprüfung federführend durch das Ministerium für Transport und Verkehr durchgeführt. Auch hier handelt es sich um ein konzentriertes Verfahren, das nicht länger als zwölf Monate in Anspruch nehmen soll. In Dänemark wird bei großen Infrastrukturprojekten die Umweltverträglichkeitsprüfung durch den Vorhabenträger durchgeführt und ein entsprechendes Gutachten vorgelegt. Klagen gegen die Ergebnisse der Umweltverträglichkeitsprüfung kommen in der Regel nicht vor, da die meisten strittigen Punkte bereits im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung geklärt werden. Beschlüsse sind weniger „klageanfällig“ Baugenehmigungen für Infrastrukturprojekte sind in anderen Ländern deutlich weniger klageanfällig. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass große Verkehrsinfrastrukturprojekte in Deutschland ihre Baugenehmigung über einen Verwaltungsakt erhalten und damit vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden können. Zum anderen werden viele Auseinandersetzungen in anderen europäischen Ländern im Zuge der Öffentlichkeitsbeteiligung gelöst. Ein weiterer Grund ist jedoch, dass bei Genehmigungsverfahren in Deutschland keine „Meilensteine“ vorliegen, die eine rechtliche Anfechtung zurückliegender Beschlüsse im Rahmen des Genehmigungsverfahrens verhindern würden. Im Gegensatz zu anderen Ländern können in Deutschland auch Prozessschritte angefochten werden, die theoretisch Jahre oder gar Jahrzehnte zurückliegen.49 Lehren für Deutschland Damit Planungs- und Genehmigungsverfahren schneller durchgeführt werden können, sollte der gesamte Prozessablauf effizienter gestaltet werden. Hierzu lassen sich die Erfahrungen aus anderen Ländern maßgeblich nutzen: Engere Verzahnung der Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren Durch eine engere Verzahnung des Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahrens ließen sich viele unnötige Doppelprüfungen (wie z.B. die Umweltverträglichkeitsprüfung) vermeiden. Auf diese Weise könnten wichtige Synergieeffekte gehoben werden und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den zuständigen Behörden müssten sich nicht ständig neu in das Verfahren einarbeiten. Mitwirkungspflicht für Umweltverbände Baugenehmigungen für Verkehrsinfrastrukturprojekte sind in Deutschland besonders einfach juristisch anfechtbar. Für anerkannte Umwelt- und Naturschutzverbände sollte deshalb eine Mitwirkungspflicht gelten. Hierdurch wird sichergestellt, dass Einwände bereits im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vorgebracht werden müssen. 48 Institut für Wirtschaftsrecht (2019): Das Ende der materiellen Präklusion. Die Entscheidung des EuGH vom 15. Oktober 2015 (C-137/14) und die Reaktion des deutschen Gesetzgebers. (https://institut.wirtschaftsrecht.uni-halle.de/sites/default/files/BeitraegeEVR/Heft%2017_cc.pdf) 49 Institut für Wirtschaftsrecht (2019): Das Ende der materiellen Präklusion. Die Entscheidung des EuGH vom 15. Oktober 2015 (C-137/14) und die Reaktion des deutschen Gesetzgebers. (https://institut.wirtschaftsrecht.uni-halle.de/sites/default/files/BeitraegeEVR/Heft%2017_cc.pdf)
POLICY PAPER 14 Stichtagsregelungen etablieren Die Dauer großer Infrastrukturprojekte kann dazu führen, dass sich im Laufe des Genehmigungsverfahrens rechtliche Rahmenbedingungen verändern. Durch die Etablierung von Stichtagsregelungen soll dafür gesorgt werden, dass sich durch solche Veränderungen kein Einwendungsgrund mehr ergibt. Aktuell werden fehlende Stichtagsregelungen dazu genutzt, die Durchführung von Infrastrukturprojekten immer weiter hinauszuzögern. 3.4 Blick auf den Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ Der Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP beschreibt die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren als einer der Kernziele künftiger Regierungsarbeit.50 Demnach soll die vorherrschende Verfahrensdauer für Planungs- und Genehmigungsverfahren mindestens halbiert werden. Die Koalitionsvereinbarungen greifen dabei einige Punkte, die in anderen Ländern deutlich besser funktionieren. Beispielsweise soll in Zukunft eine intensive und frühzeitige Öffentlichkeitsarbeit stattfinden, um die Bürgerinnen und Bürger zielgerichteter über geplante Infrastrukturprojekte zu informieren. Gleichzeitig sollen die Möglichkeiten digitaler Beteiligungsformate stärker genutzt. In Kapitel 3.1 wurde gezeigt, dass diese Maßnahmen in anderen Ländern zu einer höheren Akzeptanz für Infrastrukturprojekte beigetragen haben. Auch die Wahrnehmbarkeit der politischen Legitimation soll verbessert werden. Wie in Kapitel 3.2 gezeigt wurde, ist die politische Legitimierung großer Infrastrukturprojekte in Ländern wie Dänemark oder Österreich deutlich sichtbarer. Laut Koalitionsvereinbarung sollen in Zukunft systemrelevante Bahnstrecken, Stromtrassen und Ingenieursbauwerke häufiger per Gesetz genehmigt werden. Dies würde man die Verfahren nicht nur beschleunigen, sondern auch die politische Legitimierung deutlich machen. Auch die Effizienz des Prozessablaufs soll in Zukunft verbessert werden. Wie in Kapitel 3.3 gezeigt wurde, sind Planungs- und Genehmigungsverfahren in anderen Ländern weniger klageanfällig und ziehen deutlich weniger Doppelprüfungen nach sich. Laut Koalitionsvereinbarungen soll diese Problematik durch eine bessere Verzahnung zwischen Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren, durch möglichst frühe Stichtage für die anzuwendende Sach- und Rechtslage sowie durch eine Mitwirkungspflicht für Umweltverbände angegangen werden. Internationale Beispiele für innovative Verkehrslösungen Deutschland kann nicht nur bei der Bereitstellung der Verkehrsinfrastruktur von anderen Ländern lernen. Der Blick über den nationalen Tellerrand liefert auch Erkenntnisse zu innovativen Verkehrslösungen, die auch hierzulande für eine bessere Mobilität sorgen können. Zudem geben die Beispiele Aufschluss darüber, in welcher Form sich unsere Verkehrsinfrastruktur in Zukunft verändern muss, um diese Entwicklungen in Deutschland zu ermöglichen. 4.1 Radverkehr wie in Kopenhagen Situation in Kopenhagen Bei verschiedenen Rankings zu den fahrradfreundlichsten Städten der Welt landet immer wieder eine Stadt auf dem ersten Platz, oder zumindest auf den vordersten Plätzen: die dänische Hauptstadt Kopenhagen.51 Diese Fahrradfreundlichkeit macht sich bezahlt. In Kopenhagen nutzen mittlerweile 49 Prozent der Bürgerinnen und Bürger das Rad um zur Arbeit oder zu Schule zu gelangen. Der Anteil des Radverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen beträgt inzwischen 28 Prozent (siehe Abbildung 6). Zum Vergleich: Deutschlandweit liegt dieser Anteil bei lediglich 11 Prozent.52 Pro Wochentag werden in Kopenhagen durchschnittlich 1,44 Millionen Kilometer mit dem Rad zurückgelegt. Dabei sind 97 Prozent der Fahrradfahrerinnen und –fahrer mit der angebotenen Fahrradinfrastruktur zufrieden, 77 Prozent fühlen sich sicher.53 50 https://www.fdp.de/sites/default/files/2021-11/Koalitionsvertrag%202021-2025_0.pdf 51 https://www.resorti.de/blog/die-10-fahrradfreundlichsten-staedte-der-welt/ 52 https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/G/mobilitaet-in-deutschland.html 53 Kopenhagen Kommune (2019): Bicycle Account 2018. (https://kk.sites.itera.dk/apps/kk_pub2/index.asp?mode=detalje&id=1962)
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