Postpartale Depression - tabuisiert, unterschätzt und unterversorgt
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Postpartale Depression tabuisiert, unterschätzt und unterversorgt Claudia Bürmann genannt Siggemann, Gabriele Klärs, Barbara Möhrke, Christiane Ernst, Mareike Rüweler, Petra Kolip, Claudia Hornberg Bochum, 10.07.2014 1. Einleitung Die Geburt eines Kindes wird gemeinhin Edition2) nach dem Grad ihrer Schwere als freudiges Ereignis gesehen und es und Ausprägung unterschieden. Im Allge- wird erwartet, dass sie mit positiven Ge- meinen werden die psychischen Störun- fühlen verknüpft ist. Was passiert aber, gen im Wochenbett nach wenn die gerade Mutter gewordene Frau drei verschiedenen Kategorien differen- diesen – auch eigenen – Erwartungen ziert. So ist die postpartale3 Depression nicht entspricht und statt des Glücksge- (PPD) differenzialdiagnostisch abzugren- fühls eher ein Stimmungstief erlebt? Tat- zen gegen die postpartale Verstimmung sächlich entwickeln zahlreiche Mütter nach und die postpartale Psychose: der Geburt psychische Stimmungs- schwankungen unterschiedlichen Schwe- Stimmungslabilität und depressive regrades. Diese Gefühle lösen bei den Verstimmung in den ersten 3-5 Tagen betroffenen Müttern häufig Scham, nach Geburt, auch „Baby-Blues“ oder Schuldgefühle und Selbstzweifel aus und etwas abwertend „Heultage“ genannt. nur zu einem geringen Anteil suchen sie Sie stellen eher eine Anpassungsreak- professionelle Hilfe auf (Ballestrem et al., tion auf die veränderte hormonelle 2008). Auch die Professionellen in der (postpartale) Situation dar. Während Geburtshilfe sind noch nicht ausreichend der „Baby-Blues“ meist von allein in- sensibilisiert für die Problematik und viel- nerhalb weniger Stunden oder Tage fach zu wenig informiert über Unterstüt- verschwindet, bedürfen eine PPD und zungsmöglichkeiten und Hilfeeinrichtun- eine postpartale Psychose der Bera- gen, an die sich betroffene Frauen wen- tung oder gegebenenfalls Behandlung. den können. Die postpartale Depression tritt in den Mit diesem Faktenblatt möchten wir die ersten vier bis sechs Wochen nach der zentralen Informationen zusammenstellen, Geburt auf und wird nachfolgend ge- die es Ihnen ermöglichen, sich einen nauer dargestellt. schnellen Überblick über das Thema zu Die postpartale Psychose (Wochen- verschaffen sowie Hinweise zur weiteren bettpsychose) tritt selten auf und gilt Vertiefung geben. als die schwerste Form der postparta- 2. Was ist eine postpartale Depres- len psychischen Erkrankungen. Betrof- fen sind etwa 0,1-0,2 % der Wöchne- sion? – Epidemiologie und Risi- rinnen. Oftmals hat bereits vor der kofaktoren Schwangerschaft und Geburt eine bi- Die auftretenden Störungen werden in der polare Störung vorgelegen. Anzeichen ICD-10-GM F53 (ICD 10. Revision, Versi- einer postpartalen Psychose sind z. B. on 20141) und im Diagnostic and Statistical extreme Angstzustände, Wahnvorstel- Manual of Mental Disorders (DSM-V, 5th lungen und Halluzinationen sowie star- ke körperliche Unruhe oder Passivität. 1 2 Internationale statistische Klassifikation der Krank- Herausgegeben von der American Psychiatric heiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Association (APA) 3 Revision, German Modification (ICD-10-GM) (lat. post=nach, partus=Schwangerschaft) 1
Eine postpartale Psychose ist immer Häufigkeit des Auftretens eine Indikation für eine stationäre Be- Die Daten zur Häufigkeit des Auftretens handlung, z. B. in einer Mutter-Kind- einer PPD variieren international sehr Einheit (Sonnenmoser, 2007). stark und auch für einzelne Länder liegen je nach Studie unterschiedliche Ergebnis- Diagnostik der PPD se vor. Die Gründe hierfür sind unter- Die Symptome einer PPD ähneln denen schiedliche Studiendesigns, Uneinheitlich- einer Depression, unterscheiden sich je- keit der diagnostischen Kriterien und me- doch dahingehend, dass sie 4-6 Wochen thodischen Vorgehensweisen z. B. hin- nach der Geburt auftreten, während eine sichtlich der Messzeiträume und der Zu- Depression nicht unbedingt im Kontext mit sammensetzung der Stichproben sowie einem auslösenden Ereignis steht. Als kultureller Unterschiede. In ihrem Review charakteristisch für eine PPD werden die zeigen Leahy-Warren und McCarthy folgenden Symptome beschrieben: Ge- (2007) Prävalenzraten der PPD von 4,4 % drückte Stimmung, Interessenverlust und bis 73,7 % auf, wobei in den westeuropäi- Freudlosigkeit, Appetitverlust, Schlafstö- schen Ländern die Prävalenz zwischen rungen, psychomotorische Unruhe oder 9,2 % (8 Wochen post partum) bis 18 % Verlangsamung, Energie- und Antriebs- (12 Wochen post partum) variiert. Die Er- mangel, erhöhte Ermüdbarkeit, Wertlosig- hebung von Ballestrem et al. (2005) gibt keits- und Schuldgefühle, verminderte für Deutschland eine Prävalenz von 3,6 % Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksam- an. keit sowie Suizidgedanken, die im schlimmsten Fall zu Selbstverletzung oder Mögliche Folgen Suizidhandlungen führen. Eine PPD liegt Postpartale Depressionen erschweren die dann vor, wenn fünf dieser Symptome Kontaktaufnahme und Entwicklung einer über einen Zeitraum von mindestens zwei Beziehung zwischen Mutter und Kind (Pa- Wochen vorhanden sind; eines dieser pousek, 2001). Im Falle lang anhaltender Symptome sollte gedrückte Stimmung und schwerer Depressionen kann es zu oder Interessenverlust/Freudlosigkeit sein negativen Auswirkungen auf die Entwick- (Härtl et al., 2006). Wöchnerinnen werden lung des Kindes kommen (Beck, 1998). So bei normaler Entbindung nach etwa 3-4 konnten bei Kindern von Müttern, die an Tagen aus der Klinik entlassen, bei ambu- einer postpartalen Depression erkrankt lanten Geburten sogar am gleichen Tag, sind, emotionale Auffälligkeiten und Ver- wenn die Geburt normal verlaufen ist und haltensstörungen sowie kognitive Entwick- die weitere Betreuung durch eine Heb- lungsverzögerungen festgestellt werden. amme gesichert ist. Symptome der PPD Auch die Mütter leiden oftmals darunter, treten aber zum Teil erst nach diesem dass sie dem Kind nicht die nötige Auf- Zeitpunkt auf, so dass die Diagnose einer merksamkeit und Zuneigung zukommen PPD häufig erschwert wird (ebd.). Epide- lassen können und entwickeln darüber miologische Studien zeigen außerdem, Schuldgefühle, welche wiederum im Ext- dass die Vulnerabilität der Mütter für die remfall zu Suizid oder Infantizid führen PPD noch mindestens sechs Monate nach können (Ballestrem et al., 2008). der Geburt erhöht ist (Leahy-Warren & Eine PPD birgt außerdem die Gefahr der McCarthy, 2007). Das international am Chronifizierung (ebd.). Daher ist es wich- häufigsten genutzte diagnostische Instru- tig, die Hinweise frühzeitig zu erkennen ment für eine PPD ist die Edinburgh Post- und den betroffenen Frauen Unterstüt- natal Depression Scale [EPDS], ein 10 zungsmöglichkeiten und Therapieangebo- Fragen umfassender Selbsteinschät- te zugänglich zu machen, sowohl im Sinne zungs-Fragebogen (Cox et al., 1987). Er- der Mutter als auch zur Vermeidung nega- fragt werden die Stimmungen und Gefühle tiver Folgen für das Kind (Wimmer- der letzten sieben Tage wie Freude, Trau- Puchinger & Riechler-Rössler, 2006). er, Ängstlichkeit, Verzweiflung, Überforde- rung etc. und in welchem Maße diese Ge- fühlszustände erlebt wurden. 2
Ursachen und Risikofaktoren 3. PPD in unterschiedlichen kultu- Bei der Beschreibung der möglichen Ur- rellen Kontexten sachen wird nach biologischen, psychi- Der überwiegende Teil ethnologischer schen und psycho-sozialen Einflussfakto- Studien zu postpartalen psychischen Er- ren unterschieden. krankungen stützt sich auf die These, dass psychische Erkrankungen im Wochenbett Auf der körperlichen Ebene werden zumeist in den westlichen Kulturen vor- hormonelle Umstellungen im weibli- kommen und u. a. durch einen von der chen Körper und hier vor allem der Gesellschaft wenig begleiteten Übergang drastische Abfall des Progesteron- und zur Mutterschaft hervorgerufen werden Östrogenspiegels für das Stimmungs- (Krusemark, 2005). Eine Schwierigkeit der tief bis hin zur PPD verantwortlich ge- Analyse von psychischen Störungen und macht (Härtl et al., 2006, Wisner et al., Erkrankungen im interkulturellen Raum 2002). liegt u. a. in der Vergleichbarkeit, da die Auf der psychischen Ebene zeigt sich Konzepte von Emotionen versus Rationali- als wichtigster Risikofaktor für das Auf- tät westlichen Ursprungs sind (Fink, 2011; treten einer PPD eine psychische oder Richters, 1996). depressive Erkrankung in der mütterli- Im Unterschied zu den westlichen Ländern chen Vorgeschichte, die nicht notwen- existiert in den nicht-westlich geprägten digerweise mit einer früheren Schwan- Ländern sehr häufig eine festgelegte gerschaft oder Geburt in Verbindung nachgeburtliche Zeitperiode, die durch gestanden haben muss. Als weiterer Riten und Traditionen geprägt und struktu- Risikofaktor wird eine familiäre Anam- riert ist. In den muslimischen Ländern, nese mit affektiven Störungen gesehen aber auch in Lateinamerika und in der Ka- (Härtl et al., 2006; Wisner et al., 2002). ribik beläuft sich diese zeitliche Spanne Auf der psycho-sozialen Ebene gelten auf 40 Tage. In diesen Tagen wird die eine geringe soziale Unterstützung und Mutter als besonders spirituell und phy- soziale Isolation als zentrale Risikofak- sisch besonders gefährdet angesehen, so toren. Aber auch ein wenig verlässli- dass der Schutz der Mutter und des Neu- cher Partner und Partnerkonflikte so- geborenen im Vordergrund stehen. Die wie Angst und Angstsymptome – wäh- Mutter wird dazu angehalten, eine be- rend der Schwangerschaft und nach stimmte Ruhephase einzuhalten, die ihr der Geburt – erhöhen die Vulnerabilität durch ihr soziales Umfeld eingeräumt wird. für das Auftreten einer PPD (Härtl et Dabei wird phasenweise der Rückzug vom al., 2006). Über einen möglichen Zu- normalen gesellschaftlichen Leben gefor- sammenhang zwischen Geburtsmo- dert. Hilfe im Haushalt und bei der Versor- dus, Geburtsverlauf bzw. Komplikatio- gung des Neugeborenen bzw. bereits vor- nen während der Geburt und dem Auf- handene Kinder werden durch andere treten einer PPD herrscht bisher kein Frauen und Verwandte geleistet. Insge- Konsens. Die Frage, inwieweit trauma- samt wird der Übergang zur Mutterschaft tische Erlebnisse in der Lebensge- durch Rituale, Geschenke und der beson- schichte der Frau und frühere und ak- deren Anerkennung der Mutter gesell- tuelle Gewalterfahrungen eine Rolle für schaftlich begleitet (Krusemark, 2005; die Entstehung einer PPD haben, wird Kruckmann 1983). Vielfach wird den Müt- in der Literatur bisher wenig diskutiert. tern in den unterschiedlichen Kulturen ein besonderer Schutzraum zugesprochen, Vulnerable Gruppen der Unterstützung und Ruhe ermöglicht Als vulnerable Gruppen ergeben sich aus (Dammann et al. 1998; Raven et al. 2007; der bisherigen Darstellung Frauen mit de- Arnegger, 2010; Jimenez, 2013). Es ist pressiven Episoden in der Lebensge- eine strukturierte soziale Einbettung vor- schichte und Frauen mit geringer sozialer handen, die bestimmte Ernährungs-und Unterstützung. Diese Belastungen treffen Hygienerituale der Mutter beinhaltet. Diese u. U. ebenfalls auf gewaltbetroffene Frau- Faktoren scheinen präventiven und schüt- en zu. zenden Charakter für die Ausbildung einer PPD zu haben. 3
PPD bei Frauen mit Zuwande- schiedenen Behandlungsformen zur Ver- rungsgeschichte fügung (Leahy-Warren & McCarthy, 2007). Zwischen 2006 und 2009 wurde einen Im Jahr 2007 hat das National Institute for kanadische Studie an vier verschiedenen Health and Clinical Excellence (NICE) eine Gruppen von Frauen durchgeführt, um Leitlinie zur psychischen Gesundheit vor herauszustellen, welche Gruppe beson- und nach der Geburt vorgelegt. Kontrollier- ders gefährdet ist, an einer PPD zu er- te Studien zur Wirksamkeit der einzelnen kranken (Gagnon et al, 2013). Die unter- Behandlungsformen sind derzeit noch sel- suchten Frauen differenzierten sich in ten. Flüchtlingsfrauen, Asylbeantragende, Mig- In Deutschland liegen keine Leitlinien vor, rantinnen und einheimische Frauen. Die auch die S3-Leitlinie/Nationale Versor- Studie wurde jeweils in einem Geburtscen- gungsleitlinie zur Unipolaren Depression ter in Montreal und in Toronto durchge- weist nur am Rande auf das erhöhte Risi- führt, in welchen die Frauen ab der Geburt ko einer Depression im Wochenbett hin. ihres Kindes bis vier Monate nach der Ge- Die Marcé-Gesellschaft hat die Behand- burt begleitet wurden. Die Studie konnte lungsleitlinien des Scottish Intercollegiate zeigen, dass eine Woche nach der Geburt Guidelines Network (SIGN) ins Deutsche des Kindes die Gruppe der Asylbeantra- übersetzt und stellt sie als Hinweise für gende und Migrantinnen höhere Raten an das klinische Management für Depressio- Missstimmungen und Sorgen aufwiesen nen nach der Geburt zur Verfügung als die einheimischen Frauen. Nach vier (http://www.marce- Monaten wiesen alle Gruppen der Frauen gesell- mit Zuwanderungsgeschichte ein höheres schaft.de/materialien_files/FolieManagem Risiko für eine postpartale Erkrankung auf ent_1.pdf [23.04.2014]). als die einheimischen, kanadischen Frau- en. Anzumerken ist, dass bei Frauen mit Ambulante psycho-soziale Zuwanderungsgeschichte der Zugang zum Beratung und Psychotherapie kanadischen Gesundheitssystem er- schwert ist. Asylsuchende Frauen sind per Eine PPD muss nicht immer mit einer sta- se mit höheren psychosozialen Risikofak- tionären Behandlung einhergehen. Für toren belastet, die einen verstärkenden Betroffene gibt es die Möglichkeit, sich Einfluss auf die Ausbildung einer PPD zunächst an Sozialpsychiatrische Dienste haben. Beispielweise wiesen asylsuchen- oder an Schwangerschaftsberatungsstel- de Frauen in der Untersuchung häufig len zu wenden, ein Angebot welches bis- Symptome einer PTBS und Depression lang wenig bekannt ist. Die Beratung in auf; zudem litten sie unter Somatisie- diesen Einrichtungen erfolgt in der Regel rungsstörungen und Angstgefühlen. Am durch Sozialpädagoginnen und - stärksten betroffen waren Frauen, die ihre pädagogen oder durch Psychologinnen Heimat aufgrund von Krieg verlassen bzw. Psychologen und ist in der Regel mussten, die ihre Familien im Heimatland kostenfrei. Vorteilhaft ist, dass die Bera- zurückgelassen haben und Frauen, die die tungsstellen oft niedrigschwellige Angebo- Sprache des Aufnahmelandes nicht be- te bereitstellen, d. h. sie können schnell herrschen (Gagnon et al., 2006; Gagnon erreicht werden und zeitnah Beratungs- et al., 2013). termine anbieten. Die Beraterinnen und Berater unterliegen der Schweigepflicht, 4. Behandlung der postpartalen eine Überweisung zu einer Ärztin oder Depression und Versorgungsbe- einem Arzt, einer Psychotherapeu- darf tin/einem Psychotherapeuten oder einer Psychologin/einem Psychologen muss Die Behandlung der PPD variiert nach nicht erfolgen. In den Beratungsstellen Schweregrad und Präferenzen der be- wird zunächst die Situation der Frau er- troffenen Frau. Grundsätzlich stehen für fasst, welche Ressourcen aber auch wel- den Weg aus der postpartalen Krise eine che Schwierigkeiten vorliegen und es wer- medikamentöse Behandlung sowie den im Beratungsgespräch Informationen psycho-soziale Beratung und Psychothe- darüber gegeben, wie der Alltag besser rapie aber auch die Kombination der ver- 4
gestaltet werden kann. Bei Bedarf werden (NFZH). Demnach kann eine verlässliche weitere soziale Unterstützungsmöglichkei- Eltern-Kind-Beziehung auch unter schwie- ten aufgezeigt (Schatten und Licht e. V., o. rigen Lebensbedingungen entstehen, J. a); AWO Bezirksverband Braunschweig, wenn eine frühzeitige Intervention erfolgt o. J.).In leichteren Fällen können Bera- und die Mütter passgenaue Unterstüt- tungsgespräche ausreichend sein, bei zungsangebote erhalten (Jordan et al., schwerer Symptomatik ist eine psychothe- 2012). rapeutische oder medikamentöse Behand- Ist die ambulante Therapie im Sinne einer lung notwendig. Nach Möglichkeit wird die Basisversorgung nicht geeignet oder nicht psychotherapeutische Behandlung vorge- ausreichend, so besteht die Möglichkeit zogen (Sonnenmoser, 2007). einer stationären Behandlung in soge- In Bezug auf die psychotherapeutische nannten Mutter-Kind-Einheiten. Behandlung ist zunächst festzuhalten, dass es bislang an spezifischen psycho- Stationäre Behandlung in Mut- therapeutischen Methoden, welche sich ter-Kind-Einheiten speziell auf die PPD beziehen, mangelt. Da Mütter, die unter einer PPD leiden, Die Entwicklung geeigneter psychothera- Schwierigkeiten haben, die Beziehung zu peutischer Methoden ist wichtig, um v. a. ihrem Kind positiv und aktiv zu gestalten, stillenden Müttern weitere Therapiemög- steht die Förderung der Mutter-Kind- lichkeiten, auch neben einer medikamen- Beziehung im Zentrum der Behandlung in tösen Behandlung, zu eröffnen. Therapeu- sogenannten Mutter-Kind-Einheiten(MKE). tische Interventionen sollten zudem eine Mutter-Kind-Interaktion ausreichend be- Der Versorgungsbedarf für Mutter-Kind- rücksichtigen. Behandlungen und speziell für Mütter mit PPD ist aufgrund der bisherigen geringen Als förderliche Interventionen für die Mut- Erfahrungswerte schwer fassbar und ab- ter-Kind-Beziehung erwiesen sich „Interac- schätzbar. Erstmalig wurden in Deutsch- tional Coaching“-Strategien. Unter Einsatz land Daten zu MKE durch den Arbeitskreis videogestützter Therapiemethoden wird „Qualitätssicherung in der Mutter-Kind- den Eltern aufgezeigt, wie sie in bestimm- Behandlung“ gesammelt. Die bundesweite ten Situationen regieren und anhand der Befragung aus dem Jahr 2005 hatte zum Videofrequenzen reflektiert, an welchen Ziel, tagesklinische und stationäre Be- Stellen die Interaktion veränderungsbe- handlungsplätze, Anzahl der Behand- dürftig ist (Hornstein et al. 2006). lungsfälle und ggf. das Behandlungskon- Von der Signifikanz der Mutter-Kind- zept der MKE im Rahmen der Erwach- Beziehung ausgehend, schlagen Reck et senenpsychiatrie zu erfassen. Das zentra- al. (2004) eine „integrative Mutter-Kind- le Ergebnis war, dass der Bedarf an stati- Therapie“ vor. Hierfür wurden gut evaluier- onären Mutter-Kind-Behandlungseinheiten te psychotherapeutische Methoden an die in Deutschland unzureichend gedeckt ist speziellen Anforderungen der PPD ange- (Turmes, 2012). Bundesweit fehlt derzeit passt. Grundlegende Behandlungsmetho- eine aktuelle übergreifende differenzierte den in diesem Modell sind unter anderem Bestandsaufnahme. Dies gilt grundsätz- die kognitive Verhaltenstherapie und die lich, insbesondere aber in Hinblick auf Psychoedukation. eine Zielgruppenspezifität unter besonde- Ein integratives Konzept wird unter dem rer Berücksichtigung der Zugangsbarrie- Namen „Kreis der Sicherheit“ vom Univer- ren bei der Inanspruchnahme der Bera- sitätsklinikum Hamburg-Eppendorf durch- tungs- und Versorgungsleistungen. geführt. Dabei handelt es sich um ein Als neue Strukturentwicklung geben inte- gruppentherapeutisches Angebot, welches grierte regionale Planungskonzepte für die sich an psychisch belastete Mütter mit Psychiatrie und Psychosomatik, aber auch ihren Babys richtet (Universitätsklinikum für die Geburtshilfe zentrale Anknüpfungs- Hamburg-Eppendorf, 2011). punkte im Hinblick auf eine wohnortnahe Für den Erfolg von Interventionen ist ein Versorgung. frühzeitiger Beginn entscheidend, dies zeigen die Ergebnisse einer Evaluation Fragen der Strukturqualität sollten dabei des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen auch zukünftig eine zentrale Rolle spielen. 5
Die besonderen Belange verschiedener 2006). Deutlich wird – auch mit Blick auf Zielgruppen sind hierbei zu berücksichti- die Zunahme an psychischen Erkrankun- gen, so dass neben „einer durchgängig gen insgesamt –, dass in der (teil- geschlechtsspezifischen sowie genderge- )stationären Versorgung ein Entwick- rechten Ausgestaltung der Versorgungs- lungsbedarf besteht, der sich an bereits angebote (…) insbesondere im Hinblick vorhandenen ambulanten Versorgungs- auf die große Zahl von Menschen mit Mig- strukturen orientieren kann. rationsgeschichte auch den kulturspezifi- schen Anforderungen Rechnung“ getragen 5. Beispiele Guter Praxis wird (MGEPA 2013, S. 86). Eine besonde- re Herausforderung stellt der Aufbau regi- Die Mutter-Kind-Einheit der Westfäli- onaler Kooperationen innerhalb der Ver- schen Klinik für Psychiatrie in Herten sorgungsstrukturen in einem wettbewerb- Im Jahr 2003 entwickelte die Westfälische lich ausgerichteten Krankenhaussystem Klinik für Psychiatrie in Herten vor dem dar. Hintergrund der Maxime „ambulant vor stationär“ ein Konzept für die Behandlung Die aktuellsten Daten aus dem Jahr 2009, postpartal psychisch erkrankter Frauen deren Konzipierung in Anlehnung an Tur- gemeinsam mit ihren Kindern. mes und Hornstein (2007) erfolgte, zeigten Hinter diesem abgestuften Konzept steht bis 2012 einen Rückgang der Behand- das Ziel, die Mütter möglichst früh wieder lungsplätze und eine Zunahme der Unter- in ihr eigenes häusliches Umfeld zu integ- versorgung (Jordan et al., 2012). Die An- rieren. Neben den verschiedenen thera- zahl der Behandlungsmöglichkeiten sei peutischen Maßnahmen, deren Anwen- demnach von 134 auf 71 Plätze gesunken. dung sich nach dem vorliegenden Krank- Laut Angaben des Statistischen Bundes- heitsbild richtet, steht daher auch der be- amtes aus dem Jahr 2008 lag die bun- gleitete Kontakt mit dem Kind im Vorder- desweite Behandlungskapazität damals grund. Mit Hilfe der Unterstützung durch bei 545 Plätzen, dem ein Bedarf von 338 das Pflegefachpersonal soll die Bindung Plätzen (Patientinnen mit F53 Diagnose) zwischen Mutter und Kind nachhaltig ge- gegenüberstand (Jordan et al., 2012: 207). stärkt und Ängste, beziehungsweise Unsi- Jordan et al. schätzen jedoch, dass für cherheit im Umgang mit dem Kind abge- Deutschland zwischen 700-1400 Mutter- baut werden, denn das Risiko, dass das Kind-Behandlungsplätze notwendig sind. Kind im Laufe seines Lebens selbst psy- Sie verweisen darüber hinaus auf einen chiatrisch erkrankt, kann durch die ge- zusätzlichen Bedarf an Behandlungsmög- meinsame Betreuung gesenkt werden lichkeiten für Mütter mit bestehenden psy- (Turmes, 2008).) chiatrischen Erkrankungen und Neuer- Die Mutter-Kind-Einheit der Westfälischen krankungen wie z. B. affektiven Störun- Klinik gliedert sich in drei Teilbereiche: die gen. Ebenfalls nennen sie den bereits Ambulanz für postpartale psychische Er- durch Lanczik und Brockington (1997) krankungen, die tagesklinische Behand- errechneten Bedarf von 750 Betten für lungseinheit mit zwei Plätzen und eine Mutter-Kind-Behandlungen. Es ist davon Mutter-Kind-Station mit 8 Betten mit einem auszugehen, dass die (teil-) stationären multiprofessionellem Team. Ebenso bietet Mutter-Kind-Behandlungseinheiten sowohl die Ambulanz die Möglichkeit der thera- strukturell als auch qualitativ und quantita- peutischen Nachbehandlung, etwa im An- tiv bedarfsgerecht weiterentwickelt werden schluss an eine stationäre Behandlung müssen. Die Internetpräsenz der Selbsthil- (ebd.). feorganisation „Schatten und Licht e.V.“ listet aktuell (Stand 23.04.2014) 81 Ange- Perinatales Präventionsnetz bote für Deutschland auf ihrer Webseite im Rhein-Neckar-Kreis (Schatten und Licht e.V., o. J. b)). Die Erfahrung, dass betroffene Mütter nur Hinzu kommt, dass bei einer zunehmen- schwer von Hilfsangeboten erreicht wer- den Entstigmatisierung von Müttern mit den, war im Rhein-Neckar-Kreis der An- psychischen Erkrankungen der Bedarf lass für die Gründung des Perinatalen vermutlich steigen wird (Fricke et al., Präventionsnetzes. Zielsetzung war es, 6
niedrigschwellige Hilfsangebote zu vernet- Wiedererkennen der eigenen Problematik zen, um so die Zielgruppe besser zu errei- zu ermöglichen. chen. Grundlegend für das Konzept ist, dass das perinatale Präventionsnetz ein 6. Handlungsbedarf und -ansätze breit angelegtes Hilfsnetzwerk bildet, wel- Die Ausführungen lassen Handlungsbe- ches die unterschiedlichen Akteure infor- darf insbesondere hinsichtlich der Präven- miert, lückenlos miteinander verbindet und tion und Früherkennung sowie der be- einen Beitrag zur Entstigmatisierung der darfsgerechten Versorgung erkennen. Auf PPD leistet. gesellschaftlicher Ebene bedarf es geeig- Das Perinatale Präventionsnetz setzt an neter Maßnahmen zur Entstigmatisierung drei verschiedenen Ebenen an. Zum einen und Enttabuisierung der postpartalen De- sollen die Netzwerkakteure sensibilisiert pression. In Hinblick auf die Versorgung und geschult werden. Für die verschiede- sollten relevante Berufsgruppen der ge- nen Berufsgruppen aus dem Gesund- burtshilflichen Versorgung (stärker) sensi- heitssektor und angrenzende Bereiche wie bilisiert werden. Hierbei ist eine nied- Jugendhilfe und Polizei werden spezielle rigschwellige Unterstützung sowohl in prä- Fortbildungen angeboten, in denen Kennt- ventiver Hinsicht als auch der von einer nisse über die PPD sowie über Belas- PPD betroffenen Frauen unerlässlich. tungsfaktoren der Mütter und Entwick- lungsrisiken der Kinder vermittelt werden Früherkennung fördern sollen. Ebenso soll über weitere Unterstüt- zungsangebote und rechtliche Aspekte Mütter mit psychischen Erkrankungen im aufgeklärt werden. Hebammen können Zusammenhang mit der Geburt werden durch eine Teilnahme den Fortbildungs- von Hilfsangeboten nur schwer erreicht nachweis „Psychosoziale Qualifikation“ (Campbell & Cohn, 1996). Die relevanten erhalten. Berufsgruppen wie niedergelassene Gy- Zum anderen sollen die Netzwerkadressa- näkologinnen und Gynäkologen, Padiäte- ten, d. h. die geburtshilflichen Einrichtun- rinnen und Pädiater sowie Hebammen, die gen, mit einbezogen werden. Da geburts- die Frauen und ihre Kinder im Anschluss hilfliche Einrichtungen von dem Großteil an die Geburt ambulant betreuen und ver- der Frauen in Anspruch genommen wer- sorgen, sind daher besonders gefordert, den, bietet es sich an, psychisch belaste- für Symptome der postpartalen Depressi- ten Müttern bei Bedarf den Zugang zu on aufmerksam zu sein. Günstig im Sinne weiteren medizinischen und psychosozia- der Früherkennung wäre der Einsatz des len Interventionen zu ermöglichen. Ebenso EPDS-Fragebogens im Rahmen der am- können hier bereits in der Schwanger- bulanten gynäkologischen Abschlussun- schaftsvorsorge Kontakte zu therapeuti- tersuchung 6-8 Wochen nach der Geburt schen oder im Alltag unterstützenden An- (Härtl et al., 2006). Auch die nachgeburtli- geboten geschaffen werden. Wichtig sind che Hebammenbetreuung ist aufgrund des in diesem Bereich besonders die Zusam- besonderen Vertrauensverhältnisses gut menarbeit und die direkten Wege zwi- geeignet. Ebenso könnten die U- schen den verschiedenen Akteuren, wie Untersuchungen des Säuglings im ersten zum Beispiel der Kontakt zwischen Heb- Lebensjahr ein guter Anknüpfungspunkt ammen und den Netzwerkpsychothera- für die Durchführung des Screenings sein. peutinnen und -therapeuten im ambulan- Auch Schwangerschaftsberatungsstellen ten oder stationären Bereich. können einen wichtigen Beitrag zur Prä- Ein weiterer Baustein ist die Information vention leisten, indem sie die Frauen zum der Allgemeinbevölkerung über die Er- einen schon während der Schwanger- krankung, Risiken und mögliche Folgen. schaft über Hilfsangebote aufklären, wenn Vorrangiges Ziel hierbei ist eine Entstig- in diesem Stadium bereits Krisen auftre- matisierung. Die Ausklärung soll insbe- ten. Zum anderen sind Schwanger- sondere über die lokale Medienberichter- schaftsberatungsstellen gesetzlich dazu stattung geschehen, wobei auch betroffe- verpflichtet, auch für die Zeit nach der Ge- ne Frauen selber zu Wort kommen sollten, burt Beratung anzubieten (§2 Schwanger- um Hemmschwellen abzubauen und das schaftskonfliktgesetz). Da diese Option 7
bisher wenig bekannt ist, sollten die Bera- nie/Versorgungsleitlinie Unipolare Depres- tungsstellen, sowohl die Gynäkologinnen sion um die PPD bzw. die psychi- und Gynäkologen als auch die Hebammen schen/psychiatrischen Erkrankungen im bei der Geburt sowie in der Nachsorge die Wochenbett. Frauen frühzeitig über diesen Sachverhalt aufklären. Enttabuisieren und entstigma- tisierren Berufsgruppen sensibilisieren Es wurde dargelegt, dass PPD bei den Die oben genannten Berufsgruppen sind betroffenen Müttern mit starken Scham- für die Symptome der PPD zu sensibilisie- und Schuldgefühlen besetzt sein kann. Die ren. Zielführend wäre die Integration ent- Sensibilisierung aller relevanten Berufs- sprechender Module in die Curricula für gruppen soll diese dazu befähigen, in ei- die Aus-, Fort- und Weiterbildung. Ent- nen offenen Dialog mit den betroffenen scheidend ist außerdem, dass die Berufs- Müttern zu treten und diese emotional zu gruppen über Informationen hinsichtlich entlasten. Eine breite Aufklärung und In- der Unterstützungs- und Versorgungsmög- formation der Bevölkerung fördert zudem lichkeiten verfügen, die sie an die Be- Verständnis und die Akzeptanz für die troffenen weitergeben können. Insgesamt Erkrankung. besteht ein Mehrbedarf an Öffentlichkeits- arbeit zur Sensibilisierung der an der Kultur des Wochenbettes för- Nachsorge beteiligten Berufsgruppen und dern auch derjenigen Berufsgruppen, die au- Das Wochenbett, das nach gesetzlicher ßerhalb der Nachsorge mit den Müttern Definition Teil des Mutterschutzes ist und verbunden sind, wie LeiterInnen und Mit- ein achtwöchiges Arbeitsverbot beinhaltet, arbeiterInnen von Krabbelgruppen, Baby- dient der physischen, psychischen und Schwimmgruppen, Pekip-Gruppen etc. sozialen Anpassung der Familie an die neue Situation. Es ist also mehr als der Bedarfsgerecht versorgen Folgezustand der Geburt, nämlich die Zeit Für die Sensibilisierung der verschiedenen des Beginns (Mergeay, 2006) und es gilt Berufsgruppen und ihr Zusammenwirken Bedingungen zu schaffen, unter denen die im Sinne der Betroffenen kann die Vernet- Mutter sich auf die Bindung zu ihrem Kind zung der verschiedenen Einrichtungen, die einlassen kann. Diese Zeit in ihrer Bedeu- mit den von PPD betroffenen Frauen in tung für die Gesundheit von Mutter und Berührung kommen, hilfreich sein; ein nie- Kind aufzuwerten, bedeutet auch, präven- derschwelliges Angebot in vernetzten tiv im Hinblick auf Bindungsstörungen zwi- Strukturen kann außerdem dazu beitra- schen Mutter und Kind zu wirken. Inner- gen, Versorgungslücken zu schließen. halb derGeburtsvorbereitung obliegt es Wichtig ist hierbei, dass die Berufsgrup- den Hebammen und GynäkologInnen, das pen, die mit den betroffenen Frauen Kon- Thema Wochenbett stärker einzubinden takt haben, Anzeichen einer PPD erken- und die werdenden Mütter ausführlich nen und Kenntnis darüber haben, welche über gesundheitliche Risiken im Wochen- Unterstützungs- und Behandlungsmög- bett sowie über Prävalenz und Prävention lichkeiten den Betroffenen angeboten von Baby-Blues, PPD und PPP aufzuklä- werden können. Eine besondere Rolle ren. Zur Förderung einer Kultur des Wo- kommt dabei der Nachsorge durch Gynä- chenbettes bietet sich als strukturelle kologInnen und Hebammen zu. Bestehen- Maßnahme der Ausbau von Familienzim- de ambulante und stationäre Versor- mern in Geburtskliniken an. gungsstrukturen sind entsprechend wei- terzuentwickeln. Leitlinien entwickeln Handlungsbedarf besteht außerdem hin- sichtlich der Entwicklung von Versor- gungsleitlinien bzw. der Überarbeitung und Ergänzung der S3 Leitli- 8
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