Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover
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Arbeitspapier 1 der Nachwuchsforschungsgruppe MoveMe Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover Analyse der Ausgangssituation in Hinblick auf Verkehrsent- wicklung, verkehrspolitische Diskurse sowie Veränderungen von Lebens- und Arbeitsformen in Großstadt und Umlandgemeinden Sozial-ökologische Forschung
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover Autor*innen Prof. Dr. Meike Levin-Keitel Dr. Lisa Ruhrort Allert, Viktoria Gödde, Jan Krasilnikova, Nadezda Seite 2
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover Inhalt S. Abbildungsverzeichnis 4 Tabellenverzeichnis 4 1. Einleitung 5 1.1 Fragestellungen und Untersuchungsdesign der Nachwuchsforschungs- gruppe MoveMe 5 1.2 Analyse der Ausgangssituation: Methodisches Vorgehen 6 2 Verkehrliche und räumliche Ausgangssituation in der Region Hannover 8 2.1 Raumstruktur der Region Hannover 8 2.2 Verkehrsangebot und -nachfrage in der Region Hannover 10 2.3 Klimafreundliche Mobilität in der Region Hannover: Verkehrsentwicklungs- ziele und Maßnahmen 11 2.4 Ausgangslage in den Beispielgemeinden 13 2.5 Zwischenfazit 16 3 Digitalbasierte Mobilitätsangebote als Teil eines multimodalen Mobilitäts- 16 angebots 3.1 Verkehrsverlagerung durch digitalbasierte Mobilitätsangebote? 16 3.2 Ausgangssituation in den Beispielgemeinden 18 3.3 Zwischenfazit 19 4 Mobile Arbeitsformen und Potentiale für Verkehrsvermeidung 19 4.1 Verkehrsvermeidung durch Homeoffice und Co-Working? 19 4.2 Arbeitsmarkt und arbeitsbezogene Mobilität in der Region Hannover 21 4.3 Ausgangssituation in den Beispielgemeinden 23 4.4 Zwischenfazit 25 5 Mehr Platz für den Umweltverbund? – Das Thema Flächenkonkurrenz in den 26 aktuellen verkehrspolitischen Diskursen in der Region Hannover 5.1 Aktuelle Diskurse über Autoverkehr und die Alternativen in Stadt und Um- landgemeinden 26 5.2 Aktuelle Diskurse in den Beispielgemeinden 27 5.3 Zwischenfazit 29 6 Fazit und Ausblick 30 6.1 Herausforderungen für Verkehrsverlagerung und -vermeidung 30 6.2 Anknüpfungspunkte für eine Transformation zu nachhaltigem Mobilitäts- verhalten 32 Endnoten 35 Literatur 36 Seite 3
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover Abbildungsverzeichnis S. Abb. 1: Siedlungsstruktur und Versorgungsstruktur des Einzelhandels (Quelle: Region Hannover 2017) 8 Abb. 2: Bevölkerungsverteilung 2015 in der Region Hannover (eigene Darstellung nach Verkehrsmodell der Region Hannover; Kartengrundlage OpenStreetMap, BKG 2019) 9 Abb. 3: Regionalstatistische Gemeindetypen Region Hannover (eigene Darstel- lung nach OpenStreetMap, BKG 2019, BMVI 2020) 9 Abb. 4: Lage und Verkehrsanbindung der Region Hannover (Region Hannover 2018a) 10 Abb. 5: Modal Split (Anzahl an Wegen in %) der Region Hannover (eigene Darstel- lung nach Region Hannover 2018) 12 Abb. 6: Modal Split (Anzahl an Wegen in %) der Landeshauptstadt Hannover (eigene Darstellung nach Region Hannover 2018) 12 Abb. 7: Modal Split (Anzahl an Wegen in %) der Umlandgemeinden (eigene Dar- stellung nach Region Hannover 2018) 12 Abb. 8: Überblick Seelze (eigene Darstellung nach Kartengrundlage: OpenStreet- Map) 13 Abb. 9: Überblick Burgwedel (eigene Darstellung nach Kartengrundlage: OpenS- treetMap) 14 Abb. 10: Überblick Neustadt a.Rbg. (eigene Darstellung nach Kartengrundlage: OpenStreetMap) 14 Abb. 11: Drei Typen von Verkehrsströmen im regionalen Maßstab (eigene Darstel- lung) 15 Abb. 12: Pendleraufkommen in den Gemeinden der Region Hannover; SvB = Be- schäftigte am Wohnort (Region Hannover 2019) 22 Abb. 13: Flexible Office Space-Standorte in Hannover (Typenbildung nach Ziel- gruppe, Quelle: JLL 2019) 24 Tabellenverzeichnis Tab. 1: Arbeitsplatzsituation in ausgewählten Gemeinden im Vergleich zur Landes- hauptstadt Hannover. Quelle: Region Hannover 2015c 23 Seite 4
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover 1 Einleitung 1.1 Fragestellungen und Untersuchungs- Chancen, Grenzen und Risiken neuer An- design der Nachwuchsforschungsgruppe gebotsformen im Stadtumland besteht da- MoveMe gegen noch erheblicher Forschungsbedarf. Die Nachwuchsforschungsgruppe MoveMe Die zweite These lautet, dass sich aus der untersucht die Voraussetzungen für eine zunehmenden Digitalisierung von Arbeits- Transformation zu nachhaltiger Mobilität formen Chancen für Verkehrsvermeidung in unterschiedlichen Raumtypen. Ein be- gerade auch im Stadtumlandbereich er- sonderer Fokus liegt dabei auf den Chan- geben könnten. Mittel- bis langfristig ist cen und Risiken, die sich aus den aktuell eine Raumentwicklung nötig, die die Ver- schon sichtbaren Veränderungsdynami- meidung von motorisiertem Individualver- ken einer Digitalisierung der Mobilität er- kehr und die Reduktion insbesondere von geben. Im Zentrum des Projekts steht die langen Pendelwegen begünstigt (Beck- Frage, wie Verkehrsverlagerung und Ver- mann 2020). Dies bedeutet insbesondere, kehrsvermeidung als zentrale Bausteine auch im Stadtumland die Kernstädte als einer Transformation zu nachhaltiger Mo- verdichtete Räume zu stärken und städti- bilität nicht nur in hoch verdichteten Groß- sches Wachstum ÖPNV-orientiert und mit stadtbereichen, sondern auch in suburba- hoher Siedlungsdichte auf Achsen zu kon- nen Räumen im Stadt-Umland-Bereich zentrieren. Hier besteht Forschungsbe- umgesetzt werden können. Die gemeinsa- darf in Hinblick auf Möglichkeiten, mobile me Arbeit der Forschungsgruppe MoveMe Arbeitsformen, die gerade auch durch die fußt auf drei zentralen Thesen, die jeweils pandemiebezogenen Maßnahmen aktu- aus unterschiedlichen disziplinären Pers- ell einen starken Auftrieb erhalten haben, pektiven untersucht werden. durch planerische Konzepte für Umland- gemeinden zu unterstützen. Die erste These lautet, dass neue digi- talbasierte Mobilitätsangebote, wie bei- Die dritte These lautet, dass für eine spielsweise verschiedene Formen von Transformation zu nachhaltiger Mobili- Bike- oder Scootersharing, Potentiale für tät Räume umgestaltet und neu aufgeteilt Verkehrsverlagerung bieten können. Diese werden, um Fuß-, Radverkehr, ÖPNV und können aber nur gehoben werden, wenn neuen digitalbasierten Angeboten Vorrang die neuen Angebotsformen planerisch so einzuräumen (Ruhrort 2019). Insbesondere gesteuert werden können, dass sie nicht in den Großstädten lassen sich aktuell be- nur in den innerstädtischen Zentren, son- reits Anzeichen beobachten, dass die bis- dern in unterschiedlichen Raumtypen im herige Dominanz des Autoverkehrs bei der Sinne einer nachhaltigen Mobilität zu einer Nutzung öffentlicher Räume zunehmend Verlagerung von Verkehren weg vom moto- in Frage gestellt und neu diskutiert wird risierten Individualverkehr beitragen. Bis- (Henderson/ Gulsrud 2019). Die Implikatio- her konzentrieren sich neue Mobilitätsan- nen dieser Entwicklung für suburbane und gebote in den Innenstadtbereichen (Agora ländliche Bereichen des Stadtumlands ha- Verkehrswende 2019). In Hinblick auf die ben bisher jedoch auch in der Forschung Seite 5
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover noch deutlich weniger Beachtung erfah- beispiel in eine übergreifende Perspektive ren. Hier besteht erheblicher Forschungs- auf die Bedingungen und Prozesse einer bedarf um zu verstehen, inwieweit Ansät- sozial-ökologischen Transformation ein- ze zur Umgestaltung von Räumen auch in betten. Eine Besonderheit des Projekts diesen Raumtypen zu Verkehrsverlagerung liegt darüber hinaus in seinem transdis- beitragen können. ziplinären Forschungsdesign. Im Rahmen eines strukturierten Prozesses erfolgt eine Im Zentrum des interdisziplinären For- enge Zusammenarbeit mit lokalen und re- schungskonzepts der Nachwuchsgruppe gionalen Praxisakteuren. MoveMe steht die vergleichende Untersu- chung von Ansatzpunkten für nachhaltige Als Startpunkt für die gemeinsame Arbeit Mobilität in verschiedenen Raumtypen, am Fallbeispiel wurde eine Analyse der insbesondere dem urbanen und dem sub- Ausgangssituation in der Region Hannover urbanen Raum im regionalen Kontext. Als in Hinblick auf die drei Forschungsfragen gemeinsames Fallbeispiel dient die Region erstellt. Im Folgenden werden erste Er- Hannover. Drei zentrale Forschungsfragen, gebnisse dieser Analyse vorgestellt. Sie die aus verschiedenen disziplinären Blick- dient neben der Vorbereitung der einzel- winkeln untersucht werden, lauten dabei: nen disziplinären Teilprojekte auch der in- terdisziplinären Integration. Hauptziel der • Welche verkehrlichen Potentiale haben Analyse ist es, für die Fragestellungen des neue digitalbasierte Mobilitätsangebo- Projekts zentrale Unterschiede zwischen te in den unterschiedlichen Raumty- verschiedenen Raumtypen in der Region pen? (Verkehrsplanung/ Verkehrsgeo- Hannover herauszuarbeiten: insbesondere graphie) in Hinblick auf die verkehrliche und raum- strukturelle Ausgangslage, die Strukturen • Wie können Leitbilder für „flexible“ der Verkehrsnachfrage, die Verteilung von Quartiere aussehen, die digitale Ar- Arbeitsplätzen sowie die aktuellen ver- beitsformen nutzen, um Verkehr zu ver- kehrspolitischen Diskurse. meiden? (Raumplanung/ Stadtplanung) 1.2 Analyse der Ausgangssituation: Me- • Wie unterscheidet sich die Akzeptanz thodisches Vorgehen gegenüber verkehrspolitischen Schlüs- selmaßnahmen zwischen unterschied- Als erste Arbeitsschritte wurden auf Basis lichen Raumtypen? (Umweltpsycholo- von unterschiedlichen Quellen Informatio- gie) nen zu den einzelnen Forschungsthemen in der Region Hannover zusammengestellt. Hinzu kommen die Perspektiven der For- Zur verkehrlichen und räumlichen Aus- schung zu räumlichen Transformations- gangssituation sowie den Strukturen von prozessen (Geographies of Transition) Arbeiten und Wohnen in der Region wurden sowie der sozialwissenschaftlichen In- vorhandene Datenbestände (z.B. Struk- novations- und Technikforschung, die die turdatenatlas, Erhebung im Rahmen der Erkenntnisse aus dem gemeinsamen Fall- Studie „Mobilität in Deutschland 2017“), Seite 6
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover zentrale Planwerke (z.B. Verkehrsentwick- eine Gemeinde mit hohem Ein- und Aus- lungsplan) sowie Studien auf regionaler pendleranteil. Seelze repräsentiert den Ebene ausgewertet. Die Ausgangssituati- suburbanen Raum der „Zwischenstadt“ on in Bezug auf aktuelle Diskussionen zur (Sieverts 1993), deren Siedlungsgebiet Umgestaltung von Straßenräumen wurde nahtlos mit der Landeshauptstadt ver- vor allem auf Basis von Medienberichten schmilzt. Neben den räumlichen und ver- analysiert. Parallel wurde im Rahmen des kehrlichen Charakteristika liegt ein wei- transdisziplinären Arbeitsprozesses der teres wichtiges Kriterium für die Auswahl Dialog mit Praxisakteuren aus verschiede- der drei Beispielgemeinden darin, dass in nen Gemeinden in der Region aufgebaut, diesen Gemeinden aufgeschlossene Pra- durch den weitere Informationen über xisakteure gewonnen werden konnten, die verkehrliche Ausgangsbedingungen und ein hohes Interesse an einer Zusammen- Problemlagen in der Stadt Hannover und arbeit im Rahmen des transdisziplinären den Umlandgemeinden generiert werden Arbeitsprozesses zeigen. konnten. In einem weiteren Arbeitsschritt wurden in Auf Basis der verschiedenen Zugänge wur- einem Workshop mit den Praxisakteuren den in einem nächsten Schritt drei Bei- die drei oben genannten Fragestellungen spielgemeinden im Umland ausgewählt, vorgestellt und in Bezug auf Anknüpfungs- die neben der Landeshauptstadt Hannover punkte in den einzelnen Gemeinden dis- im weiteren Verlauf des Projekts näher un- kutiert. Unter anderem wurde dabei über tersucht werden sollen. Ausgewählt wur- das Potential von Co-Working Spaces für den dabei die Gemeinden Seelze, Neustadt Verkehrsvermeidung in unterschiedlichen am Rübenberge (im Folgenden a.Rbg.) und Gemeinden, über die Einsatzmöglichkei- Burgwedel. Wie die folgende Analyse zeigt, ten für neue Mobilitätsangebote sowie repräsentieren sie unterschiedliche Typen über Maßnahmen zur Umverteilung von von Umlandgemeinden. Während die Stadt Straßenräumen und deren Akzeptanz dis- Seelze unmittelbar an die Stadt Hanno- kutiert. Im nächsten Schritt erfolgten Be- ver angrenzt, liegen Burgwedel und Neu- gehungen der drei Beispielgemeinden, bei stadt a.Rbg. weiter entfernt von der Lan- denen jeweils im Dialog mit Verkehrspla- deshauptstadt Hannover. Gemeinsam ist ner*innen bzw. anderen Mitarbeiter*innen allen drei Gemeinden, dass sie über einen der lokalen Verwaltung verkehrliche Prob- SPNV-Anschluss verfügen und dadurch lemlagen und die lokale Wahrnehmung des eine Alternative zum Auto als Anbindung Themas „nachhaltige Mobilität“ herausge- an die Landeshauptstadt besteht. Damit arbeitet wurden. fokussiert sich die Auswahl der Beispiel- gemeinden auf Gemeinden, in denen ein Im Folgenden werden zentrale Erkennt- vergleichsweise hohes Potential für Ver- nisse aus den einzelnen Arbeitsschritten kehrsverlagerung vermutet werden kann. vorgestellt. Ziel ist es, die verkehrliche und Während Neustadt a.Rbg. als typische räumliche Ausgangssituation in der Region Auspendlergemeinde zählen kann (vgl. Ka- Hannover zu beschreiben und dabei insbe- pitel 4), handelt es sich bei Burgwedel um sondere Unterschiede zwischen verschie- Seite 7
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover denen Raumtypen herauszuarbeiten. Auf werden aber auch mögliche Anknüpfungs- dieser Basis werden erste Hinweise dar- punkte für Veränderungen von Mobilitäts- auf herausgearbeitet, auf welche beson- muster und Mobilitätskulturen aufgezeigt, deren Herausforderungen Strategien der die sich gerade auch in den Umlandge- Verkehrsverlagerung und Verkehrsvermei- meinden zeigen. dung insbesondere in den Umlandgemein- den in der Region Hannover treffen. Es 2 Verkehrliche und räumliche Ausgangssituation in der Region Hannover 2.1 Raumstruktur der Region Hannover der Region sind Barsinghausen, Burgdorf, Garbsen, Großburgwedel, Laatzen, Lehr- In der Region Hannover leben ca. 1,15 Mio. te, Neustadt a.Rbg., Springe und Wunstorf Menschen in 21 Gemeinden unterschiedli- (vgl. Abb. 1). cher Größe. Die Landeshauptstadt Hanno- ver ist nach dem System der zentralen Orte aufgrund seiner Funktionsausstattung als Oberzentrum definiert. Mittelzentren Abb. 1: Siedlungsstruktur und Versorgungsstruktur des Einzelhandels (Quelle: Region Hannover 2017) Seite 8
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover Die Raum- und Siedlungsentwicklung folgt seit Jahrzehnten den Planungsprämissen „Stadt der kurzen Wege“, „Wohnen an der Schiene“ und „dezentrale Konzentration“ (Göbler 2020). Dementsprechend konzen- triert ist die Bevölkerungsverteilung trotz großer Gemeindeflächen auf kompakte Siedlungsflächen (vgl. Abb. 2). Insbeson- dere in sehr großflächigen Gemeinden wie z. B. Neustadt a.Rbg., Wunstorf oder Bar- singhausen kann man daher von einer ur- banen Kernstadt mit einer eher niedrigen Abb. 2: Bevölkerungsverteilung 2015 in der Region Bevölkerungsdichte in der Fläche spre- Hannover (eigene Darstellung nach Verkehrs- chen. modell der Region Hannover; Kartengrundlage OpenStreetMap, BKG 2019) Hinweis: Die Punktdichtekarte wurde auf Grundla- Die vom Bundesamt für Bauwesen und ge von Verkehrszellen erstellt. Die Darstellung der Raumordnung (BBSR) für Zwecke der Mo- Punkte wird pro Zelle zufällig verteilt. Die Größe bilitäts- und Verkehrsforschung entwi- der Verkehrszellen ist nicht einheitlich. ckelte Regionalstatistische Raumtypolo- gie (RegioStaR17) bietet die Grundlage für eine weitere Kategorisierung der Gemein- den der Region Hannover (vgl. Abb. 3). Für die Fragestellungen der Forschungsgruppe MoveMe eignet sich in besonderem Maße die Kategorisierung in Raumtypen, wobei lediglich 4 davon in der Region Hannover zu finden sind. Diese Raumtypologie be- rücksichtig neben siedlungsstrukturellen Merkmalen auch weitere, für die Mobili- täts- und Verkehrsforschung wichtige Fak- toren wie z.B. die zentralörtliche Funktion der Städte, die zeitliche Stabilität von Ent- wicklungen und Mobilitätskennwerten aus empirischen Erhebungen (BMVI 2020). Wie Abb. 3 zeigt, umfasst die Region als Pla- nungseinheit sowohl die hochverdichtete Metropole der Landeshauptstadt Hanno- Abb. 3: Regionalstatistische Raumtypen Region ver als auch drei verschiedene Raumtypen Hannover (eigene Darstellung nach RegioStaR17) von Mittelstädten bis hin zu kleinstädti- schem, dörflichem Raum. Seite 9
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover Zwei der drei Gemeinden, die im Folgen- entsprechend ein zentraler Schnittpunkt den beispielhaft betrachtet werden, las- für den internationalen Tourismusverkehr. sen sich dem Raumtyp eines städtischen Das Verkehrsaufkommen des Flughafens Raums in einer metropolitanen Stadt- betrug 2017 rund 5,87 Mio. Passagiere (Re- region zuordnen. Dies gilt sowohl für die gion Hannover 2018a). unmittelbar an die Landeshauptstadt an- grenzende Gemeinde Seelze (Grundzent- rum mit Schwerpunktaufgabe Sicherung und Entwicklung von Wohnstätten) wie auch für die Gemeinde Burgwedel (Mit- telzentrum mit Schwerpunktaufgabe Si- cherung und Entwicklung von Wohn- und Arbeitsstätten). Die Gemeinde Neustadt a.Rbg. gehört demgegenüber zum Raum- typ Mittelstadt in einer metropolitanen Stadtregion und wird zentralörtlich ebenso als Mittelzentrum mit Schwerpunktaufga- be Sicherung und Entwicklung von Wohn- und Arbeitsstätten eingeordnet. Allen drei ist gemeinsam, dass mindestens die je- weilige Kernstadt mit einem Bahnhof an das Schienennetz angebunden ist. Abb. 4: Lage und Verkehrsanbindung der Region Hannover (Region Hannover 2018a) 2.2 Verkehrsangebot und -nachfrage in der Region Hannover Die Förderung umweltfreundlicher Mobili- Die Region Hannover ist ein zentraler Ver- tät hat in der Region Hannover schon seit kehrsknotenpunkt insbesondere im nord- Jahrzehnten einen hohen Stellenwert (Gö- deutschen, aber auch im gesamtdeut- bler 2020). Ein zentrales Element ist das schen Raum. Hier kreuzen sich sowohl die öffentliche Verkehrsangebot. Der Nahver- die Nord-Süd bzw. Ost-West Achsen des kehrsplan (Region Hannover 2015a) gibt Schienenverkehrs, als auch die des Auto- vor, wie die Region mit dem öffentlichen verkehrs (A7 und A2) (vgl. Abb. 4). Neben Personennahverkehr angeschlossen wird. dem Personenverkehr nimmt die Region Der Nahverkehrsplan 2020 liegt derzeit in deshalb auch insbesondere für die Logistik einem Entwurfsstadium vor (Region Han- eine wichtige Verteilfunktion ein (Göbler nover 2020). Die Landeshauptstadt Hanno- 2020). Täglich durchqueren rund 250.000 ver ist durch ein radiales Schienennetz mit Passanten in 622 Zügen des Regional- und den Umlandgemeinden verknüpft (Göbler Fernverkehrs den Hauptbahnhof Hannover 2020). In den Umlandgemeinden der Re- (Region Hannover 2018a). Der internatio- gion wird der Zubringerverkehr durch Park nale Flughafen Hannover-Langenhagen ist & Ride und Bike & Ride Angebote sowie der Heimatflughafen von TUIfly und dem- Busverbindungen gewährleistet. Seit 2019 Seite 10
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover werden die Stadtumlandverkehre mit den der Radverkehrsführung, Verkehrssicher- nachfragestärksten Relationen durch mo- heit und die Erweiterung der Bike & Ride derne „sprintH“-Buslinien ergänzt (Region Möglichkeiten vor. Zu weiteren bereits rea- Hannover 2020). lisierten Maßnahmen des VEP pro Klima zählen die Umstellung der Stadtbahn auf 2.3 Klimafreundliche Mobilität in der Re- Ökostrom, die Erweiterung der ÜSTRA- gion Hannover: Verkehrsentwicklungszie- Flotte durch Elektro- und Hybridbusse und le und Maßnahmen die Erarbeitung weiterführender Mobili- tätskonzepte (Region Hannover 2018). Mit Die Region hat die Klimaschutzziele der dem Elektromobilitätskonzept „Hannover Bundesregierung als zentralen Ausgangs- stromert“ (Landeshauptstadt Hannover punkt für die Zielstellung der Verkehrs- 2018) wurde ein weiterer Beitrag zur För- entwicklungsplanung festgelegt (Region derung der Elektromobilität getätigt. Das Hannover 2011). Das zentrale Planwerk zur Konzept enthält unter anderem Maßnah- Steuerung der verkehrlichen Entwicklung men zur Elektrifizierung der städtischen in der Region Hannover ist der „Verkehrs- Flotte, Ausbau der Ladeinfrastruktur und entwicklungsplan pro Klima“ (VEP) (ebd.). die Förderung von e-Carsharing. Weitere Die Maßnahmen des im Jahr 2011 aufge- Maßnahmen zur Förderung von Carsharing stellten VEPs haben zum Ziel, die verkehrs- finden sich im „Masterplan Shared Mobili- bedingten CO2-Emissionen bis zum Jahr ty“ (Region Hannover 2014). 2020 um 40 % gegenüber zum Basisjahr 1990 zu reduzieren, indem zurückgelegte Die Verkehrsentwicklung der vergange- Kilometer reduziert (Verkehrsvermeidung), nen Jahre zeigt, dass Fortschritte in Rich- Verkehr vom PKW auf den Umweltver- tung der Klimaschutzziele erreicht werden bund verlagert (Verkehrsverlagerung) und konnten, aber auch, dass noch weiterer der Kfz-Verkehr möglichst verträglich und Handlungsbedarf besteht. Abb. 5, 6 und 7 emissionsarm abgewickelt werden. Unter- zeigen den Modal Split für die Region Han- teilt wurden die Maßnahmen in die vier nover und unterteilt auf Landeshauptstadt Handlungsfelder „Siedlungsentwicklung sowie die Umlandgemeinden für die Jahre und Nahmobilität“, „ÖPNV“, „Verkehrsma- 2002, 2011, 2017 sowie das ausgewiesene nagement“ und „Mobilitätsmanagement“ Ziel des VEP pro Klima für das Jahr 2020. (ebd.). Wie die Daten zeigen, lässt sich in der Re- Eine zentrale Maßnahme des VEPs ist die gion Hannover ein Trend zur stärkeren Erarbeitung eines regionalen Radverkehrs- Nutzung des Umweltverbundes sowie eine konzepts und eine Erhöhung des Rad- Verlagerung von Wegeanteilen vom PKW verkehrsanteils in der Region. Das Hand- zum ÖPNV und Rad erkennen. Im Umland- lungskonzept Radverkehr „umsteigen: bereich konnte der Anteil des PKW-Ver- aufsteigen.“ (Region Hannover 2015) sieht kehrs an allen Wegen von 59 % (Fahrer*in- unter anderem Maßnahmen zum Ausbau nen und Mitfahrer*innen) im Jahr 2011 auf des regionalen Radverkehrsnetzes, Quali- 55 % im Jahr 2017 gesenkt werden, wäh- tätssicherung des Bestands, Optimierung rend der Anteil des ÖPNV und des Fahrrads Seite 11
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover im Umland im gleichen Zeitraum leicht angestiegen ist. In der Landeshauptstadt wurde der Anteil des ÖPNV wie des Rades von 2011 auf 2017 stabilisiert. Im Lang- fristtrend (2002-2017) zeigt der Anteil des Autoverkehrs einen Abwärtstrend. In den vergangenen sechs Jahren konnte er al- lerdings nur um zwei Prozentpunkte (PKW als Fahrer*in und Mitfahrer*in) gesenkt werden. Die im VEP formulierten Zielwerte bis 2020 werden so wahrscheinlich nicht erreicht. Damit zeigen die Daten, dass wei- Abb. 5: Modal Split (Anzahl an Wegen in %) der terhin deutlicher Handlungsbedarf in Hin- Region Hannover (eigene Darstellung nach Region blick auf die Umsetzung klimafreundlicher Hannover 2018) Mobilität besteht. Hinzu kommt, dass sich der hier darge- stellte Modal-Split auf die Einwohner*in- nen der Landeshauptstadt bzw. der Um- landgemeinden bezieht und nicht auf die Gesamtheit aller Wege, die in einer Ge- meinde starten oder enden. Die Pendel- wege sind in dieser Darstellung somit nicht vollständig abgebildet. Insbesondere auf- grund ihrer großen Distanzen werden Pen- delwege zu einem erheblichen Anteil mit dem MIV zurückgelegt. Betrachtet man z.B. nur die Wege aus den Gemeinden der Re- Abb. 6: Modal Split (Anzahl an Wegen in %) der Lan- deshauptstadt Hannover (eigene Darstellung nach gion Hannover mit Ziel Landeshauptstadt Region Hannover 2018) Hannover sind 71 % der Wege mehr als 10 km lang und weisen einen MIV-Anteil von 82 % auf (Datenquelle MiD 2017, n= 830, ohne Hochrechnung1). Dies verdeutlicht die Notwendigkeit, sich bei Strategien der Verkehrsverlagerung und -vermeidung ge- zielt auf die Pendelwege mit dem höchsten MIV-Verkehrsaufwand zu fokussieren. Als besondere Herausforderung kommt hinzu, dass der S-Bahn- und Regionalbahn-Ver- kehr zwischen dem Oberzentrum Hannover und den Kernstädten der Umlandgemein- Abb. 7: Modal Split (Anzahl an Wegen in %) der Um- den in den Kernzeiten des Berufspendelns landgemeinden (eigene Darstellung nach Region Hannover 2018) Seite 12
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover bereits heute an seine Kapazitätsgrenzen nover 2020). Darüber hinaus will die Region gerät. Die Herausforderung der Verkehrs- Hannover die Verkehrswende mit ihrem „10 verlagerung liegt hier darin, dass eine Aus- Punkte-Programm Verkehrswende: Aus- weitung des Angebots nur mittel- bis lang- bau des Nahverkehrs“ vorantreiben: Darin fristig realisierbar ist. Insbesondere in den ist unter anderem eine Ausweitung der ÜS- Zeiten des Berufsverkehrs gehen weitere TRA-Stadtbahnflotte, die Sanierung und Verlagerungen auch auf Kosten der Qua- Kapazitätserweiterung des Hauptbahn- lität und somit des Komforts (volle Züge, hofs, neue Stadtbahnstrecken, Direktbus- kein weiteres Sitzplatzangebot etc.). se in die Innenstadt, Wasserstoffbusse für die Region Hannover, Gleiserweiterung der Aktuell wird der VEP pro Klima 2020 fortge- Station Hauptbahnhof, neue S-Bahn Sta- schrieben. Der neue Nahverkehrsplan 2020 tionen und zusätzliche Züge, 10.000 neue durchläuft derzeit ein Beteiligungsverfah- Bike & Ride-Plätze, mehrgeschossige Park ren und enthält weitere Maßnahmen zur & Ride-Anlagen sowie neue Tarifangebote Verbesserung des ÖPNVs, insbesondere für Senioren, Lebenspartner, Jugendliche mit Hilfe der Digitalisierung (Region Han- und Azubis vorgesehen (Region Hannover 2020a). 2.4 Ausgangslage in den Beispielgemeinden Seelze Neustadt a.Rbg. Burgwedel Einwohner*innen: 25.027 Einwohner*innen: 45.372 Einwohner*innen: 21.890 Ortsteile: 11 Ortsteile: 34 Ortsteile: 7 Fläche: 54 km2 Fläche: 357 km2 Fläche: 152 km2 Abb. 8, 9 und 10 geben einen Überblick über die Raumstrukturen der Gemein- den Seelze, Neustadt a.Rbg. und Burg- wedel. Ein Großteil der Gemeindeflächen ist durch landwirtschaftlich genutzte Flä- chen geprägt. In Seelze konzentriert sich die Siedlungsfläche entlang der Schiene. Die Ortsteile im südlichen Gemeindege- biet sind durch Buslinien an die Halte- stellen des überregionalen Schienennet- zes angebunden. Der ÖPNV in Neustadt a.Rbg. und Burgwedel ist nach dem glei- Abb. 8: Überblick Seelze (eigene Darstellung nach Kartengrundlage: OpenStreetMap) chen Muster strukturiert. Auch hier gibt es Hauptsiedlungsflächen, die direkt mit dem Schienennetz angebunden sind. Die über Seite 13
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover die Gemeindefläche verteilten Ortstei- le werden durch Buslinien erschlossen. Alle drei Gemeinden verfügen über Park & Ride sowie Bike & Ride Anlagen an den Haltestellen des Schienenpersonennah- verkehrs. Hinweise auf die Bedeutung des MIV gibt der unterschiedliche Moto- risierungsgrad der Einwohner*innen im Vergleich zwischen Stadt und Umland- gemeinden: In der Landeshauptstadt Hannover gibt es 332,7 private PKWs pro 1000 Einwohner*innen, in Seelze be- trägt der Motorisierungsgrad 455,2, in Neustadt a.Rbg. 537,8 und in Burgwedel 546,8 private PKWs pro 1000 Einwoh- ner*innen (Region Hannover 2015b). Abb. 9: Überblick Burgwedel (eigene Darstellung nach Kartengrundlage: OpenStreetMap) Abb. 10: Überblick Neustadt a.Rbg. (eigene Darstellung nach Kartengrundlage: OpenStreetMap) Seite 14
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover Dabei lassen sich auf Grundlage der vor- hohen MIV-Anteil gekennzeichnet. Zwar handenen Daten sowie der Gespräche mit wird laut Nahverkehrsplan eine regelmäßi- Praxispartner*innen vor Ort drei Typen von ge Anbindung der Ortsteile mit Linienbus- Verkehrsströmen gemeindeübergreifend sen nach einem ambitionierten Standard unterscheiden (vgl. Abb. 11): gesichert2, dennoch bietet bisher das Auto hier bisher oftmals die deutlich attrakti- Verkehre zwischen dem Oberzentrum Han- vere Alternative. Die Verbindungsstraßen nover und den Kernstädten der Umlandge- zwischen den Ortsteilen und der Kernstadt meinden: Hier spielt der SPNV, aber auch sind Kreis- oder Landstraßen, die zum Teil der MIV eine zentrale Rolle. Die Anbindung einen eher geringen Ausbau von Fahrrad- über die neuen SprintH-Linien, die mit ho- infrastrukturen aufweisen. her Frequenz in das Oberzentrum fahren, ergänzen den SPNV. Ein gut ausgebautes Verkehre innerhalb der Kernstadt: Auch in Straßennetz mit starker Frequentierung diesem Bereich spielt der MIV in den Bei- sowie die Siedlungsentwicklung entlang spielgemeinden oftmals eine große Rolle, des Schienennetzes bieten hierfür die jedoch machen hier insbesondere auch raum- und infrastrukturellen Vorausset- der Rad- und Fußverkehr bedeutende An- zungen. teile am Verkehrsmittelmix aus. In diesem eher urban geprägten Mobilitätssystem Verkehre zwischen der jeweiligen Kernstadt innerhalb der Kernstadt werden die multi- und den Ortsteilen der Gemeinde: Wie aus modale Anbindung z.B. des Bahnhofs oder den Gesprächen mit Verkehrsplaner*innen der Innenstädte vielerorts als Schlüssel- vor Ort hervorgeht, sind diese kleinräum- elemente für ein nachhaltiges Mobilitäts- licheren Beziehungen oftmals durch einen system gesehen. Abb. 11: Drei Typen von Verkehrsströmen im regionalen Maßstab (eigene Darstellung) Seite 15
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover 2.5 Zwischenfazit In Bezug zu den Zielen des aktuell gültigen Die Analyse der verkehrlichen Ausgangssi- Verkehrsentwicklungsplans zeigt sich ein tuation in der Region Hannover verdeutlicht positiver Trend in Richtung mehr Umwelt- die starken Unterschiede zwischen den verbund gerade im Umland. Es zeigt sich verschiedenen Raumtypen. Die Region um- aber auch, dass zukünftig noch weitere fasst sowohl hoch verdichtete Innenstadt- Ansatzpunkte gefunden werden müssen, bereiche als auch verschiedene Typen von mit denen sich auch in den Umlandge- suburbanen und ländlichen Räumen. Zwar meinden Verkehrsvermeidung und -verla- konzentrieren sich die Siedlungskerne im gerung noch stärker fördern lassen. Geeig- Umland gemäß den verfolgten Planungs- nete Maßnahmen könnten hier verstärkte prämissen „Wohnen an der Schiene“ und Funktionsmischung und die Gestaltung „dezentrale Konzentration“ in vielen Um- von lebenswerteren Räumen in den Kern- landgemeinden auf Siedlungsflächen mit stadtbereichen der Umlandgemeinden Schienennetzanbindung. Dennoch stellen sein, aber auch eine multimodale Vernet- die Raumstrukturen in den Umlandge- zung verschiedenster On-Demand bzw. meinden und insbesondere die Anbindung Sharing Angebote zur besseren Anbindung der kleineren Ortsteile für Strategien der der Ortsteile an den öffentlichen Verkehr. Verkehrsverlagerung große Herausforde- Diese Ansatzpunkte werden im Projekt rungen dar. Dementsprechend werden bis- MoveMe weiter untersucht. her viele Wege, insbesondere im Pendel- verkehr, mit dem Auto zurückgelegt. 3 Digitalbasierte Mobilitätsangebote als Teil eines multimodalen Mobilitätsangebots 3.1 Verkehrsverlagerung durch digitalba- , Bike- sowie E-Scooter-Sharing Services sierte Mobilitätsangebote? gehören, werden hier als „Shared Mobility Services“ bezeichnet (Ruhrort 2020). Das Im Rahmen des Projekts Move Me wird verbindende Prinzip dieser Dienste liegt in insbesondere die mögliche Rolle von neu- ihrem Charakter als so genannte “Produkt- en „digitalbasierten“ Mobilitätsangeboten Service-Systeme” (Schaefers 2013): Diese für Verkehrsverlagerung in verschiedenen verknüpfen ein Gerät (z.B. ein Auto) und Raumtypen untersucht. Wenngleich unter eine Dienstleistung, die den Kund*innen dem Begriff „digitalbasierter“ Mobilität Zugriff auf dieses Gerät ermöglicht.3 In der aktuell ein breites Spektrum von Diensten aktuellen Generation basieren diese Ange- diskutiert wird, liegt der Fokus hier auf An- bote auf der Nutzung von digitalen Techno- geboten, bei denen Fahrzeuge zur Kurz- logien, die den Zugang zu den Fahrzeugen zeitmiete über eine App zugänglich ge- sowie die Abrechnung via Smartphone- macht und für die Nutzer*innen mit ihrem App ermöglicht. mobilen Endgerät buchbar werden. Diese Dienste, zu denen aktuell zum Beispiel Car- Die Ausgangsthese lautet, dass diese neu- Seite 16
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover en Angebotsformen als Bausteine in einem Bird) sowie Bikesharing anbieten (Nextbi- ökologisch nachhaltigen „multioptionalen“ ke). Carsharing (stadtmobil) wird derzeit Mobilitätssystem fungieren könnten, in auch in den Umlandgemeinden Langen- dem das private Auto an Bedeutung ver- hagen, Neustadt a.Rbg., Ronnenberg und liert. Elemente dieses Zielbilds werden Wennigsen angeboten. Als weiteres neuar- in zahlreichen Studien und Szenarien zu tiges Mobilitätsangebot, das auf der Nut- nachhaltiger Mobilität skizziert (Canzler et zung von digitalen Zugangstechnologien al. 2019, Ruhrort 2019, Blanck et al. 2017, (Apps) basiert, kann das Ridepooling-An- Umweltbundesamt 2017, Zimmer et al. gebot der Firma MOIA gelten, das in Han- 2016). Aktuell wird die technische Umset- nover angeboten wird. Hierbei handelt es zung eines solchen multioptionalen Mobi- sich nicht um ein Vermietangebot, sondern litätssystems auch unter dem Begriff „Mo- um eine Dienstleistung der Personenbe- bility as a Service“ kontrovers diskutiert förderung (Werner/ Karl 2018). (Jittrapirom et al. 2017, Pangbourne 2020). In den vergangenen Jahren ist die Zahl von Vom Carsharing abgesehen spielt das The- neuen Mobilitätsangeboten stark gewach- ma neuer Mobilitätsangebote auf Basis sen (Ruhrort 2020). Damit erscheint die digitaler Zugangstechnologien im bisher mögliche Umsetzung eines „multioptiona- gültigen VEP noch keine zentrale Rolle. In len“ Mobilitätssystems zunehmend realis- diesem Bereich zeichnen sich aber Verän- tischer zu werden. Zugleich werden aber derungen ab. So plant die Region Hannover auch die ökologischen und verkehrlichen zusammen mit dem Verkehrsunternehmen Vor- und Nachteile der neuen Angebote in- ÜSTRA und regiobus aktuell die Erprobung tensiver diskutiert (Agora Verkehrswende eines On-Demand-Verkehrsangebots für 2019, Ruhrort 2020, Groth 2019) – sowohl in das Umland. Dieses Anrufbusangebot soll deutschen Städten als auch weltweit. Ins- fast ausschließlich auf Basis digitaler Zu- besondere die Potentiale dieser Dienste in gangsmedien (Apps) basieren. Die Stre- suburbanen und ländlichen Regionen sind ckenführung soll in Echtzeit gesteuert wer- bisher jedoch weitgehend unerprobt. Hier den und dabei verschiedene Fahrtwünsche besteht weiterer Forschungsbedarf um die zusammenführen („Pooling“). Dafür soll mögliche Rolle dieser Dienste zu verstehen Software eingesetzt werden, die aktuell und damit auch die Potentiale, aber auch von verschiedenen Anbietern wie zum Bei- die möglichen Risiken in Hinblick auf eine spiel MOIA, CleverShuttle oder Door2Door nachhaltige Mobilität für diese Raumtypen entwickelt und erprobt wird. Das Pilotpro- abzuschätzen. jekt soll im Sommer 2021 zunächst in drei Kommunen getestet werden und versteht Zur Ausgangslage in der Region Hannover sich ausdrücklich als Versuch, den sub- lässt sich dabei festhalten, dass die meis- urbanen und ländlichen Raum auch über ten Formen von Shared Mobility Services das verbesserte Image des modernen On- derzeit nur in der Landeshauptstadt Han- Demand-Angebots stärker in den Prozess nover angeboten werden. Hier operieren einer „Mobilitätswende“ einzubeziehen privatwirtschaftliche Shared Mobility An- (Region Hannover 2020b). Die On-Demand- bieter, die E-Scooter-Sharing (Lime, Tier, Shuttles sollen unter anderem als Zubrin- Seite 17
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover ger für den Schienenverkehr fungieren. zen Zuwegen zum Bahnhof wird von Seiten Dies könnte insbesondere in den ländli- der lokalen Verkehrsplanung ein Potential chen Gebieten der Region den Busverkehr für verstärkte Nutzung von Fahrrad oder als einzige erste bzw. letzte Meile Mobili- Mikromobilität vermutet, das bisher noch tätsoption ergänzen. Bisher gibt es dem- nicht gehoben wurde. In Burgwedel fällt gegenüber noch keine Vorhaben, die in den auf, dass der Bahnhof nicht direkt mit den Umlandgemeinden den Einsatz von Ange- Siedlungskernen in Groß- und Kleinburg- boten wie E-Scooter oder Bikesharing er- wedel verbunden ist. Die hier angesiedel- proben. ten überregional bedeutenden Arbeitge- ber*innen wie z.B. Rossmann oder KIND 3.2 Ausgangssituation in den Beispielge- haben ihre Firmensitze in Gewerbestand- meinden orten mit mangelhafter Anbindung an den Bahnhof. Durch Ortsbegehungen und Gespräche mit den vor Ort tätigen Verkehrsplanern konn- Ein weiteres Thema, das gemeindeüber- te sich die Forschungsgruppe MoveMe greifend einen hohen Stellenwert einnimmt, einen ersten Überblick über verkehrliche ist die Infrastruktur für den Radverkehr, die Probleme und geplante Maßnahmen in den potentiell auch eine hohe Bedeutung für Beispielgemeinden verschaffen, die auch andere Formen der (geteilten) Mikromo- Rückschlüsse auf die Potentiale neuer Mo- bilität wie etwa Leihräder oder E-Scooter bilitätsangebote zulassen. Die Gemeinde haben könnte. In den Gesprächen vor Ort Seelze bemüht sich auf lange Sicht den wurde immer wieder deutlich, dass die Ge- erheblichen MIV-Durchgangsverkehr der meinden sich seit jüngster Zeit verstärkt Ost-West-Achse umzuleiten um eine Ver- bemühen, insbesondere in den Kernsied- kehrsberuhigung und verbesserte Aufent- lungsgebieten eine fahrradfreundliche haltsqualität in der Innenstadt zu erzielen. Infrastruktur zu gewährleisten. Speziell Ein Problem stellt hier die Trennwirkung zwischen den außerhalb des Zentrums der Bahntrasse da, die speziell die Er- gelegenen Ortsteilen fehlt jedoch oftmals reichbarkeit des Bahnhofs Seelze für Rad- eine verbindende Fahrradinfrastruktur. fahrer*innen aus dem neu entstehenden Dies betrifft unter anderem die südlichen Stadtteil Seelze-Süd erschwert. Die Stadt Ortsteile in Seelze, aber auch z.B. ein ei- Neustadt a.Rbg. verfügt über eine leben- gentlich nah am Bahnhof Burgwedel gele- dige, großflächig verkehrsberuhigte Kern- gener, stark wachsender Gewerbestandort stadt mit vielen Geschäften, die fußläufig in Kleinburgwedel, dem eine direkte An- vom Bahnhof aus erreichbar ist. Daneben bindung an den Bahnhof per Fahrrad fehlt. ist die flächenmäßig große Gemeinde cha- Auch die Region Hannover sieht in diesem rakterisiert durch weit verteilte Ortsteile Punkt Handlungsbedarf und führt derzeit mit oftmals deutlich schlechterer Anbin- Maßnahmen zum Ausbau des Vorrangnet- dung. Im Zuge der Begehung wurde darauf zes für den Alltagsradverkehr durch (Re- hingewiesen, dass viele Pendler*innen das gion Hannover 2017a). Bei Anbindung die- Auto als Zubringer zum SNPV in Richtung ser Siedlungs- und Gewerbegebiete durch Hannover nutzen. In diesen oftmals kur- eine Fahrradinfrastruktur sind sowohl den Seite 18
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover kommunalen Verkehrsplanungen als auch sowie die Verbesserung der Radverkehrs- der Region allerdings teilweise Grenzen verbindungen zwischen Ortsteilen und gesetzt, da für den Bau und den Unterhalt Kernstadt bieten hier die Chance, dass der Landstraßen das Land Niedersachsen auch mit kleineren Fahrzeugen wie E- verantwortlich ist. Scootern zukünftig mehr Wege zurückge- legt werden könnten. Die aktuell geplanten 3.3 Zwischenfazit On-Demand-Shuttles bieten neben der Verbesserung der Erreichbarkeiten auch Die Betrachtung der geplanten Maßnah- eine Chance, einen neuen multimodalen men im Rahmen der Verkehrsentwick- Umweltverbund auf Basis digitaler Zu- lungsplanung sowie die Gespräche mit gangsmöglichkeiten per App zu stärken. Vertreter*innen der Verkehrsplanung vor Die geplanten Maßnahmen zur Digitalisie- Ort geben bereits viele Ansatzpunkte für rung im ÖPNV und einer innovativen Tarif- Verkehrsverlagerung in den Umlandge- gestaltung auf regionaler Ebene könnten meinden und damit auch für die möglichen durch die Einbindung von neuen Mobili- Potentiale für neue Mobilitätsdienstleis- tätsangeboten wie E-Scooter-Sharing zu- tungen. So könnten zukünftig neben den sätzlich profitieren. Bisher besteht die geplanten Ausbau der Bike & Ride bzw. Herausforderung jedoch darin, dass in den Park & Ride Möglichkeiten an Bahnhöfen Umlandgemeinden, von stationsgebun- zusätzlich neue Shared Mobility Angebote denem Carsharing abgesehen, noch keine wie etwa Bike- oder E-Scooter-Sharing er- solche Angebote vorhanden sind. Hier gilt probt werden. Die sich derzeit in Planung es zunächst, die potentiellen Einsatzorte befindenden regionalen Radverbindungen für diese Dienste genauer zu untersuchen. 4 Mobile Arbeitsformen und Potentiale für Verkehrsvermeidung 4.1 Verkehrsvermeidung durch Homeoffi- Forschungsprojektes MoveMe die Poten- ce und Co-Working? tiale digitalbasierter Arbeitsformen für die Ziele der Verkehrsvermeidung in den Die räumliche Verteilung von Wohnen und Umlandgemeinden. Im Zentrum steht der Arbeiten spielt eine wichtige Rolle für die Zusammenhang zwischen digitalbasier- verkehrlichen Beziehungen in Regionen ten, ortsunabhängigen Arbeitsformen, der und Städten. Laut der Studie „Mobilität arbeitsbezogenen Mobilität sowie den Po- in Deutschland 2017“ (MiD) sind die Pen- tentialen für neue Angebote wie Co-Wor- delweglängen zur Arbeit in den Metropo- king-Spaces insbesondere im suburbanen len und großen Städten am geringsten, in Raum. den Kleinstädten und Dörfern am größten (MiD 2017). Die Umlandgemeinden bieten Die Arbeitswelt ist starken Veränderungen un- sowohl besondere Herausforderungen als terworfen (Diefenbacher et al. 2016, Daheim/ auch Potenziale für die Reduzierung des Wintermann 2016, Hans-Böckler-Stiftung 2018, Pendlerverkehrs. In diesem Kontext be- KAS 2020). Mit den Prozessen der Digitalisie- trifft eine der zentralen Fragestellung des rung nehmen die Möglichkeiten zu, ortsunab- Seite 19
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover hängig zu arbeiten (IZA 2020, KAS 2020). Digi- trag des Industrieverbands Büro und Ar- talbasierte Arbeitsformen bieten Potenziale für beitswelt e.V. (IBA) hat Forsa im April 2020 die Entwicklung von Homeoffice und der mo- Beschäftigte zwischen 18 und 65 Jahren bilen Arbeit am Rechner (IZA 2020, KAS 2020). in Deutschland (n=1000), die während des Homeoffice bedeutet dabei die Tätigkeitau- Lockdowns im Homeoffice gearbeitet ha- sübung von zu Hause aus, die auf regelmäßi- ben, über ihre Einschätzung der Heimat- ger oder alternierender Basis stattfinden kann arbeit gefragt (IHK Hannover 2020). Laut (IZA 2020). Unter mobiler Arbeit wird hier das dieser Studie wünschen sich 74 % der be- Arbeiten am Rechner an einem selbstbestimm- fragten Beschäftigten, weiterhin zeitweise ten Arbeitsort außerhalb des Betriebs verstan- im Homeoffice arbeiten zu können. Zudem den (u.a. IZA 2020). Neue ortsunabhängige hat das DLR zwei repräsentative Befra- Arbeitsweisen könnten potentiell eine Mobili- gungen der Personen zwischen 18 und 82 tätswende fördern (Yu et al. 2019, BMU 2020). Jahren (jeweils n=1000) durchgeführt (Ap- Allerdings lag laut MID 2017 die durchschnitt- ril 2020 und Juni/ Juli 2020) um die Verän- liche Verkehrsleistung von Personen mit bis zu derungen in Deutschland nach dem Lock- einem Tag Homeoffice pro Woche nicht unter down im Frühling 2020 zu untersuchen. derjenigen von Personen ohne Homeoffice- Laut der Untersuchung im April 2020 konn- nutzung. Erst die Befragten mit zwei oder mehr ten sich 59 % der Befragten, die während Homeoffice-Tagen pro Woche weisen geringe- des Lockdowns im Homeoffice gearbeitet re Tageskilometerleistungen auf als Personen haben, vorstellen, langfristig im Homeoffi- ohne Homeoffice. ce zu arbeiten. Im Juni/ Juli ist der Anteil dieser auf 70 % gestiegen. Die Zufrieden- Vor der Pandemie waren Homeoffice und heit über die Arbeit im Homeoffice hat bei mobiles Arbeiten am Rechner vor allem für diesen Befragten ebenso zugenommen: bestimmte Branchen wie zum Beispiel die von 60 % im April auf 75 % im Juni/ Juli Informations- und Telekommunikations- (DLR 2020). technik sowie für Teile der Kreativbranche charakteristisch (u.a. Pohler 2012). Heute Neben den Möglichkeiten des klassischen sind die Veränderungen der Arbeitsbedin- Homeoffice werden Co-Working Spaces gungen bei den Beschäftigten in deutlich als Möglichkeit diskutiert, um Ziele der mehr Branchen wie zum Beispiel Gesund- Verkehrsvermeidung durch die Nutzung di- heit, Bank, Reisen, Ingenieurwesen, Bera- gitaler Arbeitsformen zu erreichen. Aktuel- tung, Verwaltung (u.a. IZA 2020) zu sehen. le Erfahrungen mit dem Thema Co-Working Spaces lassen sich gut in einer Klassifizie- Durch die Maßnahmen zur Pandemiebe- rung mit Blick auf den raumstrukturellen kämpfung ist die Zahl der Beschäftigten Kontext abbilden. Wenngleich das Thema im Homeoffice in 2020 von 14 % auf 35 % Co-Working bisher vor allem ein urbanes - 43 % angestiegen (DLR 2020, IZA 2020, Phänomen ist, gibt es inzwischen auch IBA 2020, infas/ MOTIONTAG/ WZB 2020). Beispiele für Co-Working Spaces in subur- Eine Reihe von Studien deutet darauf hin, banen und ländlichen Räumen. Sie unter- dass viele Beschäftigte die Möglichkeit scheiden sich nach der Lage im Quartier des Homeoffice positiv bewerten. Im Auf- und der Anbindung an ÖPNV. Seite 20
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover Um den Übergang von festen Arbeitsbedin- Zu den Co-Working Spaces in Städten ge- gungen zu Homeoffice und mobiler Arbeit hören Co-Working Spaces im Quartier (z.B. (z.B. im Co-Working Space) für eine Mobi- Fensterplatz, Heidelberg) sowie Co-Wor- litätswende zu nutzen, ist es jedoch not- king Spaces an Bahnhöfen (z.B. Everyworks, wendig die Reorganisation von Arbeitspro- Berlin HBF). Die Co-Working Spaces im zessen zusammen mit arbeitsbezogener Quartier unterscheiden sich nach ihrer Be- Mobilität in suburbanen Räumen weiter zu deutung für das Leben im Quartier (Growe entwickeln. So können einerseits die Wege 2020, Müller 2018). Laut Growe (ebd.) gibt zwischen Arbeit und Wohnen durch mobile es offene Co-Working Spaces: Sie sind of- Telearbeit reduziert werden, da die Arbeit fen für das Publikum und dienen als „Third ortsungebunden zuhause oder zum Bei- Spaces“ (Oldenburg 1989) und Treffpunkt spiel im Co-Working im Quartier erledigt im Quartier (z.B. Action Haus, Heidelberg). werden kann. Anderseits können neue di- Darüber hinaus gibt es in den Städten Co- gitalbasierte Arbeitsformen in Unterneh- Working Spaces, die für einen bestimmten men mit großen Entfernungen zwischen geschlossenen Nutzer*innenkreis vorge- Arbeits- und Wohnort verbunden sein und sehen sind (z. B. Dezernat 16, Heidelberg). zu Erhöhung der Pendelmobilität führen Co-Working Spaces am Bahnhof sind auch (Holz-Rau/ Scheiner 2020). Hier gilt es in als Alternative zum Homeoffice für attrak- Zukunft eine Vielzahl von möglichen Wech- tive Arbeitsorganisation für digitalbasierte selwirkungen und potentiellen Rebound- Arbeitsformen gedacht (z.B. everyworks). Effekten mit zu beleuchten. Durch die zentrale Lage in der Stadt wird umweltfreundliches Mobilitätsverhalten 4.2 Arbeitsmarkt und arbeitsbezogene begünstigt (Smart City DB 2020). Auch in Mobilität in der Region Hannover ländlichen Räumen sind in jüngster Zeit vermehrt Co-Working Spaces entstanden Die Region Hannover bildet ein gutes Fall- (www.coworkland.de). Beispiele sind Co- beispiel, um die Potentiale und möglichen conat in Bad Belzig (gegründet 2017) sowie Effekte mobiler Arbeitsformen zu untersu- Co-Working Space Hitzacker und iKantine chen. 26 der 100 umsatzstärksten Unter- in Niedersachsen. Diese bieten oftmals nehmen Niedersachsens haben ihren Sitz eine besonders Atmosphäre für das krea- in der Region Hannover. 13 dieser Unter- tive Arbeiten und können neue Lebensqua- nehmen gehören zum produzierenden litäten auf das Land bringen (Neuland21 Gewerbe. Automobilindustrie überwiegt, 2019). Aus verkehrlicher Sicht ist bedeut- hinzu kommen Elektrotechnik, Flugzeug- sam, inwieweit sie an den öffentlichen Ver- bau, chemische Industrie und Ernährungs- kehr angeschlossen sind – eine Vorausset- gewerbe. Zudem sind bedeutende Han- zung, die oftmals auf dem Land schwerer dels- und Dienstleistungsunternehmen in zu erfüllen ist. Hier lässt sich ein Potential der Region Hannover vorhanden. Von den vermuten, in Zukunft Co-Working Spaces 50 wertschöpfungsstärksten Unterneh- und Sharing-Angebote stärker zusammen men in Niedersachsen befinden sich 21 in zu denken. der Region Hannover, darunter auch Unter- nehmen des Gesundheitswesens sowie Seite 21
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover der Versicherungs- und Finanzwirtschaft schäftigten, im Umland arbeiten 185.000 (Region Hannover 2019). So arbeiten 17 % Beschäftigte (Region Hannover 2019). Der der Beschäftigten in der Produktion. 82,5 attraktive Arbeitsmarkt führt zu intensiven % verteilen sich gleichmäßig auf drei Be- Pendlerströmen. Über 128.000 Berufstä- rufsgruppen: Handel/ Gastgewerbe/ Ver- tige pendeln aus dem gesamten Umland kehr, private Dienstleistungen und öffentli- in die Region Hannover ein. Das sind etwa cher Dienst. In der Landwirtschaft arbeiten 16.000 mehr als vor fünf Jahren. Zudem nur 0,5 % aller Beschäftigten (eigene Be- gibt es ausgeprägte Pendlerbeziehungen rechnung, Strukturdaten Region Hannover innerhalb der Region Hannover (Region 2015). Hannover 2019). Das mit Abstand größ- te Pendleraufkommen weist die Landes- Zentraler Arbeitsort der Region ist die Lan- hauptstadt Hannover auf, gefolgt von Lan- deshauptstadt Hannover mit 325.000 Be- genhagen, Garbsen, Laatzen und Lehrte Abb. 12: Pendleraufkommen in den Gemeinden der Region Hannover; SvB = Beschäftigte am Wohnort (Region Hannover 2019) Seite 22
Potentiale für nachhaltige Mobilität in der Region Hannover (vgl. Abb. 12). Einen Einpendlerüberschuss Arbeitsplätze als wohnhafte Erwerbstäti- verzeichnen neben der Landeshauptstadt ge gibt (vgl. Tab. 1). Umgekehrt gibt es im Hannover (+116.275) auch Langenhagen Umland durchschnittlich mehr Erwerbs- (+11.644), Burgwedel (+1.890), Isernha- tätige als Arbeitsplätze (z.B. in Neustadt gen (+1.681) und Laatzen (+1.369) (Trends a.Rbg., Seelze, Hemmingen). Manche Ge- 2019). Zu den Gemeinden mit einem nega- meinden hingegen zeichnen sich ebenfalls tiven Pendlersaldo gehören z.B. Neustadt durch einen hohen Arbeitsplatzbesatz aus: a.Rbg. (-11.368), Seelze (-11.644), Ronnen- Die Stadt Burgwedel als ländlich geprägte berg (-8.092), Hemmingen (-5.982). Aus Gemeinde mit vielen ansässigen Unter- diesen Gemeinden pendeln deutlich mehr nehmen gilt als attraktiver Arbeitsmarkt, Erwerbstätige aus als ein. Die Region Han- jedoch mit einer Unterversorgung an be- nover ist interessiert daran, die Pendel- zahlbarem Wohnraum, was zu intensiven wege zu reduzieren (u.a. Regin Hannover Einpendlerströmen führt. 2011). Dafür sind unterschiedliche ver- kehrsvermeidenden Maßnahmen für urba- Eine Analyse der potenziellen und realen Nut- ne, suburbane und ländliche Räume in Pla- zung von Homeoffice zeigt, dass in der Region nung. Hannover viele Menschen in Branchen arbei- ten, die sowohl Homeoffice als auch mobiles 4.3 Ausgangssituation in den Beispielge- Arbeiten am Rechner erlauben. So arbeiten meinden etwa 45 % der Beschäftigten in Betrieben wie Gastgewerbe, Finanz- und Versicherungsleis- Die Beispielgemeinden unterscheiden sich tungen, Gesundheits- und Sozialwesen, Kunst, stark in Hinblick auf die Verteilung von freiberufliche, wissenschaftliche, technische so- Wohn- und Arbeitsfunktionen. Die räum- wie wirtschaftliche Dienstleistungen, in denen liche Verteilung von Arbeiten und Wohnen Studien einen relativ hohen potentiellen Anteil in den Gemeinden lässt sich mit der Kenn- mobiler Arbeit am Rechner vermuten (eigene größe des Arbeitsplatzbesatzes4 darstel- Berechnung der Daten von Bundesagentur für len. Die Analyse des Arbeitsplatzbesatzes Arbeit, Region Hannover 2019). Weitere 4 % der in der Region Hannover zeigt eine stark Beschäftigten sind im Bereich der Information ausgeprägte Zentralität der Landeshaupt- und Kommunikation tätig (Region Hannover stadt Hannover, da es hier sehr viel mehr 2019), ebenfalls mit Potenzial für mobiles Arbei- Tab. 1: Arbeitsplatzsituation in ausgewählten Gemeinden im Vergleich zur Landeshauptstadt Hannover. Quelle: Region Hannover 2015c Hannover Neustadt Seelze Burgwedel Hemmingen Ronnenberg a.Rbg. Beschäftigte 291.150 9.032 5.022 8.069 3.716 4.196 am Arbeits- ort Beschäftigte 184.080 15.342 12.104 7.003 6.260 8.589 am Wohnort Arbeits- 1,582 0,589 0,415 1,152 0,594 0,486 platzbesatz Seite 23
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