Im Scheitern aufhören können - Praktisch-theologische Impulse zum Umgang mit bedeutsamen Verlusten
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Forum Thema Scheitern. Aufhören. Im Scheitern aufhören können Im Scheitern aufhören können Praktisch-theologische Impulse zum Umgang mit bedeutsamen Verlusten Erfahrungen von Scheitern konfrontieren mit einer Ohnmachtssituation. Etwas existentiell Bedeut- sames geht verloren, der Tod ragt ins Leben hinein. Wie kann Scheitern gewendet werden? Wo ist eine Passage im toten Punkt des Scheiterns möglich, die neuen Lebensraum erschließt? Im Span- nungsraum zwischen Aufhören und Anfangen zeigen sich theoretische und praktische Antworten. Christian Kern „Scheitern“ und „Aufhören“ haben etwas ‚Kunst des Scheiterns‘ besteht darin, im Gemeinsames. Sie beziehen sich auf einen Scheitern aufhören zu können, um neu anzu Vorgang, in dem ein Handlungszusammenhang fangen. Eine ‚Pastoral des Scheiterns‘ gestaltet zu Ende geht. Der Unterschied zwischen ihnen und ermöglicht diese Passage. besteht in Aktivität und Passivität: Aufhören bedeutet, etwas aktiv zu beenden, einer Handlung selbständig ein Ende zu setzen, auf SCHEITERN ALS PROZESS der Grundlage einer Entscheidung. Scheitern hingegen ist im Wesentlichen ein passives Ob etwas als Scheitern erscheint, erlebt und Widerfahrnis. Einem Akteur oder einer bewertet wird, hängt vom soziokulturellen Akteurin widerfährt ein Verlust, durch den be Referenzrahmen ab. Kulturelle Felder legen deutsame Handlungs- oder Lebensziele dauer Ziele fest, die erstrebt und in raumzeitlichen haft nicht erreichbar sind. Scheitern nötigt ein Strukturen erreicht werden sollen, und eta Ende auf, ohne dass damit eine vorausgehen blieren Normen des Erfolgs. Beispiele dafür de Entscheidung oder ein aktives Aufhören sind die Schule mit ihren Lehrplänen und verbunden ist. Es ist eine Ohnmachtserfahrung. Klassenordnungen, der Sport mit Leistungs Aufgrund dieser Ohnmachtsdimension sind zielen und Trainingsprogrammen, kirchliche Widerfahrnisse des Scheiterns ein Thema für Pastoralplanung mit Rahmenordnungen oder Theologie und pastorale Praxis. Wie und wo Familien und Partnerschaften mit gemeinsa lässt sich im toten Punkt des Scheiterns neues Leben finden und die Ohnmachtssituation wenden? Die These, die ich in den folgenden Über Christian Kern legungen entfalten möchte, ist: Eine solche geb. 1981, Dr. theol., Postdoc Fellow an der Wende wird möglich, wo „Scheitern“ mit Theologischen Fakultät der Universität Leuven, Belgien; Promotion im September 2018 in Salz- „Aufhören“ zusammengebracht wird, d. h. wo burg; Titel der Dissertation: „Scheitern einräumen im Verlust des Scheiterns ein aktives Ende ge – eine Theologie der Fallibilität“; Veröffentlichung wagt und darin ein Anfang gesetzt wird. Eine in Vorbereitung. Lebendige Seelsorge 70. Jahrgang 2/2019 (S. 97 – 103) 97
Thema Scheitern. Aufhören. Im Scheitern aufhören können men zeitlichen und räumlichen Rhythmen, der Sein Verlust fällt ins Gewicht. Im Unterschied familiären Ökonomie und Suche nach zu Kennzeichnungen wie „Flop“ oder „Miss Lebensglück. Innerhalb solcher kultureller erfolg“ ruft „Scheitern“ diese Bedeu tungs Felder treten Akteure auf, werden in ihnen dimension und die Härte des mit ihm gegebe sichtbar und handeln. Sie unterliegen, we nen Verlusts auf. Zur Härte und Dramatik des nigstens in Teilen, den Bedingungen der Scheiterns gehört darüber hinaus seine Felder, ihren Erfolgsnormen – ihrem Willen Endgültigkeit. Anders als in einer „Krise“ ist zum Erfolg –, bringen aber auch eigene Werte das bedeutsame Gut nicht nur zeitweise ab und Zielvorstellungen von anderswoher mit. handen oder nur teilweise zugänglich, es geht Kulturelle Felder spannen ein Netz aus Wissen vielmehr dauerhaft und unumkehrbar verlo und Praktiken aus, in dem menschliches Leben ren. Etwas kommt zu einem wirklichen, nicht Gestalt gewinnt. Soziale Sichtbarkeit, Erkenn erwarteten Ende. barkeit und Anerkennung sind durch die Unsere heutige Verwendung des Wortes Normen des Feldes bedingt und bestimmt (vgl. „Scheitern“ hat sich diesen Zug der Endgültig Butler). keit und Unwiederbringlichkeit von seiner Scheitern tritt innerhalb solcher kultureller etymologischen Herkunft aus der Seefahrt be Felder und ihrer normativen Ordnungen des wahrt. Ein hölzernes Schiff, das beispielsweise Erfolgs auf. Es wird darin sichtbar und erfahr in einem Sturm „zu scheiter geht“, läuft nicht bar, im Kontrast zu den Erfolgserwartungen einfach auf Grund und kann später wieder in des Feldes und den Erfolgshoffnungen der Fahrt gebracht werden, sondern es zerbirst Akteure: Eine erhoffte, erträumte, erstrebte und zerschellt. Es geht unwiederbringlich ver Lebensgestalt lässt sich nicht realisieren, die loren. In diesem Sinne bedeutet Scheitern ei damit verlorene Lebensperspektive erweist nen unumkehrbaren Verlust. Eine Lebens sich als unmöglich. Handlungstheoretisch be gestalt löst sich auf, eine Lebensperspektive trachtet besteht Scheitern im „Verlust der stirbt und ist fort. Im Scheitern ragt der Tod Zugriffsmöglichkeiten auf soziale Strukturen ins Leben hinein. als Handlungsgrundlage“ (John/Langhof, 3). Diese Ohnmachtserfahrung hat Wirkungen. Auf subjektiv-emotionaler Ebene stellt sich im Sie konfrontiert einerseits mit einer bedeutsa Scheitern die Erfahrung einer weitreichenden men Handlungsunfähigkeit, sie erzeugt ande Ohnmacht ein: Hände greifen ins Leere, etwas rerseits Handlungsdruck, und zwar auf Seiten Bedeutsames zerrinnt zwischen den Fingern. der betroffenen Akteure sowie evtl. auf Seiten Die sprachliche Verwendung von „Scheitern“ des Feldes: „Und nun? Was kann jetzt, ange im Deutschen hat zwei Konnotationen, die für sichts dieses Verlusts und der Unverfügbarkeit eine adäquate Verwendung des Wortes wichtig getan werden?“ Es beginnt eine Suche nach sind. Die erste besteht in der Bedeutsamkeit, anderen Handlungs- und Lebenszusammen die mit der verlorenen Lebens- oder Hand hängen. Es kommt gegebenenfalls zu einer lungsperspektive verbunden ist. Im Scheitern Umstellung innerhalb der Ordnung des Lebens. geht nicht etwas Beiläufiges, Marginales ver Sie führt über die Verlustsituation hinaus und loren, sondern etwas, dem eine wirkliche, we überschreitet den bisherigen soziokulturellen sentliche Bedeutung zugeschrieben wurde. Rahmen inklusive seiner Erfolgsnormen. 98 Lebendige Seelsorge 2/2019 Im Scheitern aufhören können
Scheitern ist ein Prozess Selbständigkeits- und Autonomieideals als Kompetenz voraussetzt. Das Ideal und die aus Position, Negation und Pflicht, jederzeit neu anfangen zu können Transgression. (vgl. Kant, 18-19), ist an eine Grenze geraten. Die Wende im Scheitern wird nicht mit Vor diesem Hintergrund lässt sich Scheitern Notwendigkeit initiiert, sie erfolgt nicht mit zusammenfassend als ein Prozess beschreiben, dialektischer Gewissheit aus der Spannung der drei Momente in sich enthält. Es tritt ers von Position und Negation. Ebenso wenig ent tens auf als Negation, als unumkehrbarer springt sie der Originalität und Kraft von Verlust einer bedeutsamen Lebensperspektive Einzelnen. Sie hat vielmehr den Charakter ei und -gestalt. Diese Negation erscheint zwei ner Emergenz und Gabe. Konkret ergibt sie tens innerhalb der Erfolgspositionen eines sich an spezifischen Orten mit besonderer kulturellen Referenzrahmens als klaffender Qualität, und zwar dort, wo sich ein Raum des Riss. Möglicherweise und gegebenenfalls wird Anderen erschließt, der im Wechselspiel von darin drittens eine Transgression möglich, ei subjektivem Innen und sozialem Außen über ne Überschreitung des bisherigen Rahmens in die Ohnmachtssituation hinausführt. neue Lebenszusammenhänge hinein. Scheitern Eine solche Wende im Scheitern lässt sich an ist ein Prozess aus Position, Negation und konkreten Orten beobachten, die in einem kri Transgression. tischen Verhältnis zur normativen Erfolgs ordnung in einem Feld oder einer Gesellschaft insgesamt stehen und soziokreativ sind, an IM SCHEITERN ANFANGEN KÖNNEN Heterotopien. Konkrete Beispiele dafür sind: Bahnhofsmissionen (vgl. Lutz u. a.), Einrich Die Ohnmacht im Scheitern erzeugt Hand tungen für Seelsorger oder Sozialarbeiter in lungsdruck. Sie initiiert die Suche, wie eine Krisensituationen wie z. B. das Recollectio- Wende der Situation dennoch möglich wird. Haus in Münsterschwarzach (vgl. Müller) Diese Wende muss nicht aus der eigenen Kraft ebenso wie Künstlerateliers oder Schreibtische von Individuen erfolgen, sozusagen aus einer von Dichtern (vgl. Enzensberger) oder Impro verbliebenen Rest-Souveränität heraus. Sie theater (vgl. Johnstone, 97f). Es sind Orte, wo kann dies auch nicht, wenn im Scheitern et Menschen sich mit Erfahrungen von Verlusten, was wirklich Wesentliches und Weitreichendes Handlungsunfähigkeit, Nicht-mehr-weiter- verloren gegangen ist, sodass Handlungs wissen, Krisen konfrontieren und – implizit alternativen nicht ad hoc in den Blick geraten. oder explizit – Fragen nach Scheitern berüh Eventuell ist das Widerfahrnis des Scheiterns ren. auch derart an die persönliche Substanz ge Zu den Charakteristiken der Wende im gangen, dass die Kräfte fehlen, es aus eigenem Scheitern zählt erstens kritisches Wissen. An Antrieb zu wenden (vgl. Ehrenberg). Es gibt in den genannten Orten spiegeln sich die norma dieser Lage dann keine individuelle len, gültigen Ordnungen des Lebens eines kul Souveränität mehr, wie sie die abendländische turellen Feldes, einer Gesellschaft und deren Moderne im Rahmen ihres aufgeklärten implizite oder explizite Erfolgsnormen. Ex Lebendige Seelsorge 2/2019 Im Scheitern aufhören können 99
Thema Scheitern. Aufhören. Im Scheitern aufhören können negativo wird der herrschende kulturelle, sozi IM SCHEITERN AUFHÖREN KÖNNEN ale Wille zum Erfolg eines Feldes sichtbar. Durch diese Aufklärung wird zugleich frag Die passive Gabe, im Scheitern neu anfangen lich, ob dieser so selbstverständlich gültig ist, zu können, steht in Verbindung mit einer wie es scheinen mag, oder ob Alternativen Aktivität: mit dem Alten aufhören können. denkbar sind. Die Infragestellung der normativen Der Aufbruch in eine neue Lebensgestalt wird Ordnung des Erfolgs öffnet Suchbewegungen nur möglich, wenn man das Alte gehen lassen für Anders-Mögliches. kann. Das klingt banal und selbstverständlich, ist es aber im Widerfahrnis des Scheiterns Der Aufbruch wird nur möglich, nicht. Denn das, was im Scheitern verloren ge wenn man das Alte gehen lassen gangen ist, behält weiterhin Macht über dieje nigen, die von seinem Verlust betroffen sind. kann. Es bindet an sich. Eine zweite Charakteristik der Wende ist eine Ein erster Grund für diese Bindung besteht in Aktivität des sharings. Menschen artikulieren der subjektiven Bedeutsamkeit des Verlorenen. bisweilen ihre eigenen Grenzerfahrungen und Es handelt(e) sich dabei ja um etwas, dem von konstitutiven Verluste. Es beginnt ein gemein den Akteuren ein großer Wert zugemessen wur sames Betrachten, Bedenken, Besprechen oder de. Diesen Wert verliert es nicht, wenn es verlo Bebildern der bisherigen Situation. In diesem ren geht; im Gegenteil, im Verlust wird der Wert sharing, das auch Ohnmachtserfahrungen nicht umso mehr spürbar als das, was fehlt. Das ausspart, wird wie in einem Prisma Neues Verlorene drängt dazu, es nicht aufzugeben, es sichtbar. Es erschließen sich Denk-, Glaubens-, hält in der Beziehung zu sich fest. Diese Macht Gestaltungs- und Lebensvarianten, die bisher des Verlusts in der Gegenwart derer, denen der außen vor lagen. Das sharing im Scheitern Verlust widerfahren ist, hat durch die subjekti initiiert eine Dynamik der Entdeckung, es er ve Bedeutung auch eine soziale: Das erstrebte schließt einen Raum, in dem sich andere Ziel gab den Akteuren eine Präsenz im Feld, mit Lebensmöglichkeiten zeigen. ihm waren Erkennbarkeit, Sichtbarkeit und Das kritische Wissen und das sharing im Anerkennung verbunden. Weil Akteurinnen Scheitern verbinden sich mit einer dritten und Akteure in einem Feld dieses soziale Da- Charakteristik: dem Glauben an eine offene Sein aufrechterhalten wollen, kann das Zukunft, dem belief, dass die aktuelle Situation Erstrebte, aber Verlorene nicht einfach aufge überschreitbar ist. An solchen Orten lässt sich geben werden. Es gewinnt in seiner Qualität als nachzeichnen, wie sich eine Wende im Scheitern sozialer Ort und als Möglich keit sozialer ergibt: in einem Raum des Anderen, der um Zugehörigkeit die Kraft, an sich zu binden. die Kontingenz des herrschenden Erfolgs Es ist deshalb alles andere als selbstverständ rahmens weiß, der vom Glauben an eine offe lich und leicht, im Scheitern mit dem früheren ne Zukunft beseelt und in konkreten Praktiken Erstreben eines Zieles bzw. einer Lebensgestalt geteilten Lebens inklusive geteilter Ohn einfach aufzuhören und das Verlorene aufzu machts erfahrungen aufgespannt ist. Darin geben. Im Gegenteil: der Verlust kann eine wird die Wende im Scheitern möglich. umso intensivere (Ver-)Bindung erzeugen, je 100 Lebendige Seelsorge 2/2019 Im Scheitern aufhören können
bedeutsamer das Verlorene war. Zur Ohn weitergehen. Gut, dieser Begriff Scheitern ist machtssituation im Scheitern gehört es also auch sehr massiv, ist auch sehr belastend für nicht nur, der Macht des Verlusts, sondern Menschen. Und manchmal trifft er gar nicht auch der Macht einer ungelösten Verbindung zu. Da kann man ihn auch ganz anders deu ausgesetzt zu sein. Sie führt dazu, nicht auf ten. Oder eben auch tatsächlich mit Scheitern hören und deshalb auch nicht einfach neu an sich auseinandersetzen, wie gehe ich damit fangen zu können. um? Ist Scheitern jetzt das Ende oder kann es In dieser Weise erzeugt Scheitern eine auch zu einer Kraftquelle werden, zu einer Spannungssituation, die etwas Verzweifeltes neuen Lebensquelle, weil ich einfach etwas ins hat, weil sie nicht einfach lösbar ist. Es führt Auge fassen muss.“ in die Spannung aus Anfangen-müssen und Was hier beschrieben wird, sind Bewegungen Nicht-aufhören-können, aus Altem und in einem Zwischenraum. Es wird einerseits ab Neuem, Vermögen und Unvermögen. Diese geklärt, was es an Lebensentwürfen gibt, von Pole sind miteinander wechselseitig ver denen einige eventuell weitergehen, andere schränkt. Es gibt ein Neu-anfangen-müssen aber an ein Ende gekommen sind. Wo hat sich und zugleich Nicht-können, ein Altes- ein Verlust ereignet, in dem etwas unwieder Aufhören-müssen und ebenfalls Nicht- bringlich verloren ist und aufgegeben werden können. Man kann nicht einfach neu anfan muss? Wo zeigt sich möglicherweise Neues? gen, weil man dafür mit dem Alten aufhören So geht es hin und her zwischen dem Abwägen müsste, und mit dem Alten wiederum kann des Alten und dem Erkunden des Neuen. man nicht einfach aufhören, weil man dafür Dieser Prozess drängt auf eine Entscheidung mit etwas Neuem anfangen müsste, das zum hin: die Entscheidung, mit etwas bedeutungs Aufgeben des Alten führte – und so weiter hin vollem Altem aufzuhören – sich davon zu und her. Die Erfahrung des Scheiterns führt in trennen – und sich etwas Neuem zuzuwenden. eine aporetische Situation. Sie provoziert ein Ringen mit einem bedeutsamen Verlust, der Die Passivität des Scheiterns wird aufgegeben werden muss und zugleich nicht zur Aktivität des Aufhörens. aufgegeben werden kann. Es handelt sich in diesem Ringen um einen mitunter verzweifel Wo diese Entscheidung gewagt wird, ereignet ten Versuch, den Tod im Scheitern zu umschif sich eine Art Durchquerung, ein Durchgang fen. bzw. eine Passage. Die Wende zum Neuen be Die oben genannten Orte bearbeiten diese deutet, das Alte gehen zu lassen. Darin findet Spannung. Eine Mitarbeiterin im Recollectio- ein Tausch statt: Im Aufgeben des Alten wird Haus, Sylvia Platte, beschreibt diesen Vorgang dessen Verlust angenommen. Aufgeben und in einem Gespräch im Juni 2016: „Häufig […] Aufnehmen durchdringen einander, ohne mit häufig auch oft das Gefühl, ich bin gescheitert. einander vermischt zu werden. Jetzt erst wird Wo man dann auch nochmal genau hinschau das Verlorene wirklich zum Verlust. Die en kann. Was heißt das eigentlich und ist der Lebensgestalt stirbt. Jetzt steht fest, „etwas ist Mensch wirklich gescheitert? Vielleicht ir gescheitert“. Im Zulassen des Verlusts weicht gendwelche Lebensentwürfe, die dann nicht man dem toten Punkt nicht mehr aus, sondern Lebendige Seelsorge 2/2019 Im Scheitern aufhören können 101
Thema Scheitern. Aufhören. Im Scheitern aufhören können geht durch ihn hindurch. Er wird jetzt nicht Eine Pastoral im Scheitern öffnet einen mehr umschifft, sondern gewagt – ein Spannungsraum, in dem klärende Bewegungen Zugrundegehen im Zulassen und Aufgeben. zwischen Aufhören und Anfangen stattfinden. Im selben Moment ist dieses Annehmen des Was ist unwiederbringlich verloren und muss Aufgebens-Müssens eine Wende: Die aufgegeben werden? Wo ergibt sich etwas Passivität des Scheiterns wird zur Aktivität Neues, spielt sich von außen zu und ermög des Aufhörens. Das Annehmen der Ohnmacht licht innen eine Überschreitung in neue im Verlust wird zum Durchgangspunkt für ein Räume? In diesem Spannungsfeld können eigenes Handeln. Es befreit von der Bindung Entscheidungen reifen, mit etwas Früherem an das Alte und ermöglicht das Aufnehmen aufzuhören, darin einen aktiven Anfang zu des Neuen. Der tote Punkt im Scheitern, der setzen und sich Neuem zuzuwenden. Verlust einer bedeutsamen Lebensperspektive, Lebendige Seelsorge im Sinne einer Pastoral wird im Aufhören zur Passage, in der ein im Scheitern findet dort statt, wo sich dieser Anfang gesetzt wird und sich Leben eröffnet. Durchgang ereignet, d. h. wo sich im Tod des Scheiterns ein neuer Lebensraum erschließt, indem im Aufhören angefangen wird. Dafür PASSAGEN IM SCHEITERN GESTALTEN lassen sich konkrete Gestalten finden und ent wickeln. Die oben erwähnten Orte zählen da Diese Grammatik der Wende im Scheitern, das zu, weil sich in ihren Sozialräumen und im paradoxe Zusammenspiel des Anfangens im sharing des Scheiterns kritische und kreative Aufhören, lässt sich in konkreten Praktiken Wenden im Umgang mit Scheitern ergeben. finden und entwickeln. Seelsorgerinnen und Eine weitere mögliche Gestalt bilden ‚Rituale Seelsorger kommen in ihrer Praxis mit des Scheiterns‘. Alle Sakramente und viele Scheitern in Kontakt, in der Begegnung mit Sakramentalien haben in ihren Ritualen kon einzelnen Menschen, Gruppen oder stitutiv immer Bezüge zu Ohnmacht und Organisationen, implizit oder explizit, als Verlusten. „Scheitern“ steht dort im Raum, al Feststellung, Zuschreibung oder Frage: „ge lerdings implizit und am Rand. Was sinnvoll scheitert?!“. Für einen möglichen Umgang mit ist und entwickelt werden kann, sind Rituale, Scheitern möchte ich vorschlagen, die beiden welche Scheitern explizit thematisieren und Momente „anfangen“ und „aufhören“ glei seine Macht/Ohnmacht bearbeiten. In ihnen chermaßen als Orientierungspunkte zu ver könnte die Wende von der Passivität des Verlusts wenden. hin zur Aktivität des Aufhörens/Anfangens eine Eine ‚Pastoral im Scheitern‘ kann Menschen konkrete Gestalt gewinnen und vollzogen wer dabei unterstützen, im Scheitern aufhören zu den. Eine Vielfalt von Lebenserfahrungen von können, um darin anfangen zu können. Gefragt Menschen in der Welt von heute würde darin ist dann nicht nur eine Wende hin zum Neuen, Resonanz finden: zerbrochene Beziehungen und sondern ebenfalls, Tuchfühlung aufzunehmen Partnerschaften, zerplatzte Träume, die Aufgabe mit dem, was verloren ist, aufgegeben werden von Lebens formen, gescheiterte Arbeits- oder müsste, aber (zunächst) in seinen Bann schlägt Forschungsprojekte, verlorene künstlerische, fa und festhält. miliäre oder unternehmerische Vorhaben. 102 Lebendige Seelsorge 2/2019 Im Scheitern aufhören können
Solche Rituale sind eine pastorale Leerstelle Zur Kirche insgesamt gehört eine Glaubens und ein Desiderat. Gefragt sind Rituale, in de schwachheit (vgl. de Certeau), die derzeit noch nen etwas Vergangenes aufgegeben, zu Grabe von den Souveränitäts- und Erfolgs getragen werden kann und zugleich das Neue bestrebungen der neuzeitlichen societas perfecta begrüßt wird; „rites de passage“, in denen eine und ihrer klerikalistischen Verfassung überla Durchquerung stattfindet, wo sich im toten gert ist. Es ist nun aber, wo sich die schattigen Punkt eines Scheiterns neuer Raum öffnet und Risse dieser Kirchenform zeigen, an der Zeit, ein Anfang gesetzt wird. die österliche Schwäche und Ge brochen heit Eine solche Gestaltspiritualität im Scheitern wiederzuentdecken. Rites de Passage geben ihr ist österlich. Denn Ostern konfrontiert mit eine Gestalt und bezeugen im Tod menschli Scheitern, zugleich öffnet sich dort ein solcher chen Scheiterns den Gott des Lebens Jesu. Spannungs- und Durchgangsraum, der zu ei nem Anfang im Aufhören des Scheiterns wird. LITERATUR Jesus erscheint zwar, aber das frühere Leben mit ihm ist für die Jüngerinnen und Jünger Butler, Judith, Gefährdetes Leben, betrauerbares Leben, in: Dies., Raster des Krieges. Warum wir nicht jedes Leid beklagen, Frankfurt trotzdem nicht mehr möglich. Dorthin führt a. M. [u. a.] 2010, 9-38. kein Weg zurück, so bedeutsam es war. Im Certeau, Michel de, GlaubensSchwachheit (ReligionsKulturen, 2), Ostermorgen gibt es kein reset des Früheren. Stuttgart 2009. Ehrenberg, Alain, Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesell- Ostern ist deshalb keine Geschichte eines ma schaft in der Gegenwart, Frankfurt am Main 22012. kellosen Erfolgs, sondern von einer Erfahrung Enzensberger, Hans Magnus, Meine Lieblings-Flops. Gefolgt von des Scheiterns durchzogen und konstituiert. einem Ideen-Magazin, Berlin 2011. Zugleich aber ereignet sich in dieser Ohnmacht John, René/Langhof Antonia, Die heimliche Prominenz des Scheiterns, in: John, René/Langhof, Antonia (Hg.), Scheitern – ein des unumkehrbaren Verlusts eine Wende. Das Desiderat der Moderne? Wiesbaden 2014, 1-7. Aufhören des früheren Lebens mit Jesus Johnstone, Keith, Theaterspiele. Spontaneität, Improvisation und („Halte mich nicht fest!“) ist das Aufnehmen Theatersport, Berlin 112018. Kant, Immanuel, Ideen zu einer Geschichte in weltbürgerlicher Ab- des Neuen in der Praxis der Nachfolge. Ostern sicht, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 8., Neudr. hg. v. Preußische ist eine Passage. Darin wird die Abwesenheit Akademie der Wissenschaften, Berlin [u. a.] 1923, 15-32. Jesu zugelassen, die Passivität seines Entzugs Lutz, Bernd/Nikles, Bruno W./Sattler, Dorothea (Hg.), Der Bahn- hof – Ort gelebter Kirche, Ostfildern 2013. und das Scheitern, ihn festhalten zu können, Müller, Wunibald (Hg.), Deine Kraft ist in den Schwachen mächtig. in die Aktivität des Anfangens im Aufhören Impulse aus dem Recollectio-Haus Münsterschwarzach, gewendet. Münsterschwarzach 2016. Lebendige Seelsorge 2/2019 Im Scheitern aufhören können 103
Sie können auch lesen