Willkommen in der Kunst - Christian Löffler Mit neuen Perspektiven - bunkverlag

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Willkommen in der Kunst - Christian Löffler Mit neuen Perspektiven - bunkverlag
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     www.kulturnews.de

                                                                                     Christian Löffler
                                                                                Mit neuen Perspektiven
                                                                                               in die Klassik

                                   Kultur in Deutschland | Sonderausgabe 4/2021

Willkommen in der Kunst
Willkommen in der Kunst - Christian Löffler Mit neuen Perspektiven - bunkverlag
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                           Exklusive Bundles unter eu.kingsroadmerch.com/erik-cohen

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                                                     Wissen allein reicht nicht
                                                     Wer etwas verändern will, muss zunächst verstehen, wie der Ist-Stand ist.
                                                     Dann geht es darum, was verändert werden soll. Erst danach geht es darum, wie
                                                     das gelingen kann und in welchem Zeitraum.
                                                     Dabei hilft auf jeden Fall: die Wissenschaft. Wissenschaftliche Expertise ist ein
                                                     wichtiges Instrument, wenn es um Erkenntnis geht. Wohlgemerkt: ein wichtiges –
                                                     jedoch nicht das einzige. Im Nachdenken über unsere postpandemische Gesell-
                                                     schaft hat auch die Kunst eine wesentliche Funktion. Denn: Wie soll sich das denn
                                                     anfühlen, was es zu erreichen gilt? Was macht der Weg dahin mit den Menschen?
                                                     Und kann man den Ist-Stand nicht um so präziser und eindrücklicher verstehen,
                                                     wenn man ihn auch emotional erlebbar beschreiben kann? Denn genau das kann
                                                     Kunst – in Bildern, Tönen, Worten. Sie kann übrigens auch die Wissenschaft
                                                     für sich nutzen. Lesen Sie dazu unser Interview mit der Konzeptkünstlerin
                                                     Swaantje Güntzel auf Seite 28.

                                        4
                                        Musik                                                            12                Jazz

                                                             18                       Literatur
                                                                                                            21               Krimi

                                            22 Film
                                                                             26                       Kunst
        Titelfotos: Christian Löffler

                                            kulturnews.de                                      kulturmovies.de
                                             Kultur bleibt sichtbar                             Das Kinoprogramm
                                                                                                                                              kulturnews | 3
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      Musik | Christian Löffler

               Die Rettung                                                                    der Moldau

                                                                                                                                                              Foto: Christian Löffler
        Christian Löfflers elektronische Verklärungen von Wagner, Beethoven und Co. begeistern auch
        dann, wenn man von Klassik keine Ahnung hat. Kein Wunder: Bis vor kurzem ging es ihm ähnlich.

      Christian, für „Parallels“ hast du alte Schellackplatten aus dem Archiv Hast du ihnen erzählt, dass du dich mit Klassik gar nicht so gut auskennst?
      der Deutschen Grammophon verwendet. Welche Beziehung hast du zu Löffler: (lacht) Das habe ich natürlich geheim gehalten! Aber ich weiß gar
      klassischer Musik?                                                           nicht, ob das eine große Rolle gespielt hätte, weil ich unbewusst mehr
      Christian Löffler: Ganz ehrlich: Wenn, dann habe ich mich eher mit kannte, als ich gedacht habe. Natürlich waren viele berühmte Themen
      Neoklassik beschäftigt. Meine Neugier für die Gegenwart, für das Hier dabei, aber genau deshalb habe ich eher nach Momenten gesucht, die
      und Jetzt, hat mich immer zu sehr in Anspruch genommen. Als ich das nicht so bekannt, aber trotzdem sehr schön sind. Wie viel da drin steckt,
      Material gesichtet habe – es war ja viel, 35 bis 40 Stücke –, habe ich hat mich sehr überrascht.
      überlegt: Oh Gott, war es vielleicht ein Fehler, ja zu sagen? Obwohl ich Willst du mit dem Projekt lieber deine Fans motivieren, Klassik zu
      selbst schon mit Streichquartett aufgetreten bin, war ich noch nie bei hören, oder Klassikfans für deine Musik interessieren?
      einem klassischen Konzert gewesen! Nur an Wagner konnte ich mich Löffler: Gute Frage. Ich glaube, es ist mir eher ein Anliegen, meinen Fans
      aus meiner Kindheit erinnern. Mir ist eingefallen, dass meine Mutter ihn mal die Klassik näherzubringen, weil ich nach Shows und Konzerten
      damals sehr gern gehört hat.                                                 immer das Gefühl gehabt habe, dass sie glücklicherweise sehr offen für
      Wie ist die Deutsche Grammophon auf dich zugekommen?                         Experimente sind. Auch jetzt habe ich sehr positive Rückmeldungen
      Löffler: Ganz einfach per Anruf. Es war witzig: Im März 2020 war ich bekommen, obwohl es ja doch viele Momente ohne Beat hat und eher
      gerade fertig mit meinem letzten Studioalbum, hatte                                             nach Ambient klingt. Und die Klassikhörer*innen in
      Auftritte in Istanbul und Athen absolviert. Danach                                              der Elektronik? Klar! Ich freue mich über alle, die
      sollte es weitergehen, aber das ist dann bekanntlich                                            Interesse haben. Aber in erster Linie ging es darum,
      alles ausgefallen. Es hat sich langsam herauskristalli-                                         etwas zu schaffen, bei dem ich am Ende das Gefühl
      siert, dass ich auf einmal viel Zeit haben würde. Ich                                           habe: Das macht Sinn, damit habe ich etwas beige-
      saß also im Studio herum, als mein langjähriger                                                 tragen, ohne mich zu wiederholen. Ein Fan hat mir
      Freund und Manager angerufen hat: Die Deutsche                                                  zum Beispiel geschrieben, dass er „Die Moldau“ in
      Grammophon hat sich gemeldet, die haben diese                                                   der Schulzeit etwa ein Jahr lang behandelt hat – da
      Schellackplatten und würden sie dir gerne einmal                                                hatte er also nicht unbedingt positive Erinnerungen
      schicken. Es war schön, weil von Anfang an klar war,                                            dran. Aber meine Version fand er richtig gut! Das ist
      dass ich völlig frei bin und schalten und walten kann,                                          natürlich ein schönes Gefühl.
      wie ich möchte. Da sind die ersten Bedenken schon                      Parallels
      einmal weggefallen.                                             ist gerade erschienen                                      Interview: Matthias Jordan

      4 | kulturnews
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                                                                                                                                                                 NEIL YOUN
                                                                                                                                                                      Y   G
                                                     Positive Vibes                                                                                      WAY DOWN IN THHE RUST BUCKET
                              „Stell dir vor, ein Blues- und ein Popsong bekämen ein
                              sonnenfarbenes Baby“ – so beschreibt Jon Batiste
                              seine Single „I need you“. Man darf sich den Pianisten
                              dabei mit leuchtenden Augen und einem breiten

                                                                                                                                   Foto: Justin French
                              Grinsen vorstellen. Batiste, geboren 1986, strahlt stets
                              positive Vibes und eine ungeheure Energie aus – was
                              ihn zum perfekten Bandleader in der Late Show von
                              Stephen Colbert macht. Weitere Gründe für seine
                              minütlich wachsende weltweite Popularität: seine
                              nahezu fanatische Liebe für alle Spielarten der Black Music, sein Kompositions-, Gesangs- und
                              sein instrumentales Talent. All das verschwindet beinahe hinter den vielen Stilen und Gästen auf
                              dem Album „We are“, hinter diversen Batiste-Familienmitgliedern und alten Kumpels wie
                              Trombone Shorty oder der Hot 8 Brass Band. „We are“ ist eine Gospel-Platte, die sich unter einer
                              Pophülle versteckt. Batistes Jazzwurzeln sind stets hörbar, plus Trap, Funk, Soul und Old-School-
                              Rap. Ein herrlich gut gelauntes Mixtape, mit dem Pharrell-Williams-Swing von „I need you“ als                                       Unverzichtbarres Livealbum
                              Höhepunkt – vielleicht schon der Sommerhit 2021. jp                                                                           der legendären Shoow mit Crazy Horse.

                                                                          Treffsicher
                                                                          Man durchdringt sie vielleicht nicht beim ersten

                                                                                                                                                         RHIANNON
                                                                                                                                                                N GIDDENS
                                                                          Zuhören, die kompositorischen Ideen, die Piers
                                                                          Faccini für sein neues Werk „Shapes of the Fall“ ent-

                                                                                                                                                          WITH FRANCEESCO TURRISI
                                                                          wickelt hat. Aber es findet sich in jedem Song etwas,
        Foto: Julien Mignot

                                                                          an das man sich erst einmal anlehnen und dem man
                                                                          konzentriert zuhören kann: zurückhaltende Streicher
                                                                          im Opener „They will gather no Seed“, treibenden                                THEY‘RE CALLLING ME HOME
                                                                          Rhythmus gepaart mit Call and Response in „Foghorn
                                                                          calling“ oder die arabisch eingefärbten Oud-Klänge
                              und Vocals eines Songs wie „Dunya“. Neben dem marokkanischen Gnawa-Sänger Abdelkebir
                              Merchane hat auch Ben Harper seinem Freund Faccini die Stimme geliehen: Im Trio wird „All
                              aboard“ zu einem fast epischen Dreh- und Angelpunkt des Albums. Nordeuropäisch anmutende
                              Folkmelodien paart der anglo-italienische Songwriter so treffsicher mit nordafrikanischen Klängen,
                              dass an keinem Punkt der Eindruck entsteht, hier wolle jemand einfach nur mal ein bisschen
                              „Weltmusik“ machen. ron

                              FESTIVALTIPP

                                        Land der Horizonte                                                                                                 Die 6-fach Grammy-nominierte Sängerin
                                                                                                                                                                mit einem neueen Studioalbum.
                                                                                                                                   Foto: Mat Hennek

                              Festivals können der Pandemie auf zwei Weisen be-                                                                                    Exzellenter Folk & Blues.
                              gegnen: stoppen, verschieben, alles so klein wie möglich
                              halten. Oder aufdrehen, vorausschauen, neue Konzepte
                              probieren. Das Schleswig-Holstein Musik Festival hat
                              sich für den zweiten Weg entschieden. 156 Konzerte
                              in 79 Spielstätten an 51 Orten in Norddeutschland sind für 2021 geplant. Coronabedingt liegt
                              der Fokus natürlich auf neu installierten Außenbühnen. Als musikalisches Zentrum dient die Musik
                              von Franz Schubert, als Künstlerin steht die Starpianistin Hélène Grimaud (Foto) mit elf Konzerten                                  ERHÄLTLLICH ALS
                              im Fokus. Aber auch jenseits der Klassik gibt es Auswahl genug: Liedermacher wie Konstantin
                              Wecker und Jazzer wie Nils Landgren treten auf, mit dem „Werftsommer“ kommt sogar ein                                       VINYL, CD, DOWNNLOAD & STREAM
                              brandneues Format für Popmusik hinzu. Zugegeben: Die Kapazitäten mussten ein wenig einge-
                              schränkt werden – die Wartelistenplätze werden also hart umkämpft sein! Das Festival dauert
                              vom 3. Juli bis zum 29. August. mj www.shmf.de

                                                                                                                  kulturnews | 5
Willkommen in der Kunst - Christian Löffler Mit neuen Perspektiven - bunkverlag
01-32_kulturnews_04_2021-jw-1k.qxp_01-32_kulturnews_04_2021 30.03.21 15:20 Seite 6

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                           .reserv
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                        dein ticke
                                ketportal
                                                                            weit
                                                                      Bundes
                                                                      90.0n0 0
                        The Dark                                        Evets!                                                            Bis die Bourbongläser
                        Tenor
                         e
                        21.12.21
                                                                                                                                          bersten
                        Fabrik                                                                                                            Seit dem Beginn ihrer Karriere in den 80ern hat sich
                        Hamburg                                                                                                           Joanna Connor dem traditionellen Bluesrock ihrer Heimatstadt
                                                                                                                                          Chicago verschrieben und offenbar nie größeres Interesse
                                                                                                                                          verspürt zu experimentieren. So konzentriert sie sich immer
                                                                                                                                          voll auf die beiden Dinge, die sie am besten kann: singen, bis
                                                                                                                                          die Bourbongläser bersten, und Bottleneckgitarre spielen, bis
                                                                                                                                          die Verstärker abrauchen. Diese Leidenschaft hat wohl einen
                                                                                                                                          gewissen Joe Bonamassa dazu bewogen, das aktuelle Album
                                                                                                                                          dieser hart schuftenden Bluesröhre zu produzieren und auf
                                                                                                                                          seinem Label zu veröffentlichen. Neben Connors gewaltiger
                                                                                                                                          Stimme dürfte ihn die Leichtigkeit beeindruckt haben, mit der
                                                                                                                                          die Kollegin zur Sache geht. Im Video zur Single „I feel good“
                                                                                                                                          wickelt Connor schnell noch eine neue E-Saite auf ihre ab-
                                                                                   Foto: Maryam Wilcher

                                                                                                                                          gerockte Les Paul, und dann steht sie wie ein Fels auf der
                                                                                                                                          Bühne eines verrauchten Clubs, mit der coolen Attitüde Sister
                                                                                                                                          Rosettas und viel frechem Rotz in der Stimme. Diese
                                                                                                                                          Atmosphäre durchzieht „4801 South India Avenue“, Connors
                                                                                                                                          bislang stärkstes musikalisches Statement. ron

                                                                                                                              „Was, wenn das kein
                                                                                                                           Ende ist?/Sag’, wie viel
                                                                                                                            Willkommen steckt in
                                                                                                                                       Goodbye?“
                                                                                                                                            aus: „Willkommen Goodbye“
                        Gentleman

                                                                                                                                                                                                           Foto: Paul Huettemann
                                                                                                               Na klar, auch auf Joris’ drittem Studioalbum „Willkommen
                        07.11.21                                                                             Goodbye“ geht es ums Zwischenmenschliche. Aber gerade in
                        Sporthalle, Hamburg                                                                   Zeiten des Lockdowns lässt sich das Persönliche nicht vom
                                                                                                                 Politischen trennen – und daher tut sein hoffnungsvoller
                                                                                                                                   Seelenbalsampop jetzt besonders gut.

                                                                                                                                                Kabellos glücklich
                                                              21.10.21
                                                              2                                                                                         Guter Sound für zu Hause und unterwegs:
                                                              Fabrik                                                                                        Kabellos, edel verarbeitet und mit einer
                                                                                                                                                                Akkulaufzeit von bis zu 30 Stunden
                                                              H
                                                              Hambur  g                                                                                        liefert der Supreme On Kopfhörer
                                                                                                                                                              Musik in CD-ähnlicher Qualität. Der
                                                                                                                                                      Klang des Kopfhörers zeichnet sich durch

                        www
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                           .reserv
                                 vix.de
                                                                                                                                               seine starken Bässe und klaren Höhen aus und über-
                                                                                                                                               zeugt dank seiner effektiven Außenschall-
                                                                                                                                               abdämpfung auch in geräuschvollen Umgebungen.
                        Hotline 01806 700 73
                                           33                                                                                                   Per App lassen sich die Frequenzeinstellungen
                        0,20 € pauschal aus dem deutschen Festn
                                                              netz,                                                                             individuell anpassen. Und auch modisch gehört der
                        aus dem Mobilfunknetz 0,60 €
                                                                                                                                                Supreme On von Teufel dank seines eleganten
                                                                                                                                                                                                           Foto: Teufel

                                                                                                                                                 Designs zu einem gern gesehenen Accessoire. sg
  Angaben ohne Gewähr

                                                                                                          6 | kulturnews
  A
Willkommen in der Kunst - Christian Löffler Mit neuen Perspektiven - bunkverlag
01-32_kulturnews_04_2021-jw-1k.qxp_01-32_kulturnews_04_2021 30.03.21 15:20 Seite 7

                                                                                                                                             Dry Cleaning | Musik

                                                                                                                                                             CHECKBRIEF

                                                                                                                                                          BANDMITGLIEDER
                                                                                                                                                      Florence Shaw (Gesang)
                                                                                                                                                          Tom Dowse (Gitarre)
                                                                                                                                                        Lewis Maynard (Bass)
                                                                                                                                                     Nick Buxton (Schlagzeug)
                                                                                                                                                          HERKUNFT London
                                                                                                                                                             GENRE Postpunk
                                                                                                                                                                KLINGEN WIE
                                                                                                                                                                   Sonic Youth
                                                                                                                                                         AKTUELLES ALBUM
                                                                                                                                                           Das von John Parish
                                                                                                                                                             produzierte Debüt
                                                                                                                                                               „New Long Leg“
                                                                                                                                                          erscheint am 2. April

                                Zähne zeigen
                                Derzeit die coolste Band Englands: Dry Cleaning! Das liegt auch an den Lyrics von
       Foto: Steve Gullick

                                Sängerin Florence Shaw. Dabei geht es in ihren Texten vor allem ums Essen.

                             Florence, Nick, Tom, habt ihr Dry Cleaning im Jahr 2017 wirklich            Shaw: Wenn man ganz nah ranzoomt, schafft das einen Raum, in dem
                             nach einer Karaoke-Party gegründet?                                         die Hörer*innen eine Verbindung herstellen können. Oft sind es gerade
                             Nick Buxton: Dieser Abend wird mehr und mehr zu einem Mythos ver-           ganz private Details, die eine Tür öffnen.
                             klärt, aber tatsächlich hat er vieles angestoßen. Die Songauswahl war       Dowse: Es sind ja meist ganz kleine Dinge, seltsame Beobachtungen im
                             sehr seltsam, alle waren sehr betrunken, und schließlich haben wir drei     Detail, die Wahrheit in sich tragen. Was nützt ein großes Statement, das
                             Jungs einen Song von den Deftones gesungen.                                 dann doch wieder zerfasert, weil es verallgemeinernd ist?
                             Mit den Deftones konntet ihr Florence überzeugen, bei Dry Cleaning          Meine Lieblingszeile stammt ja aus dem Titelsong des Albums: „Would
                             als Sängerin mitzumachen?                                                   you choose a dentist with a messy back garden like that?“
                             Buxton: Eigentlich singe ich am liebsten Bruce Springsteen, aber da         Shaw: (lacht) Da geht es ganz konkret um eine Zahnarztpraxis in der
                             bekomme ich immer Ärger mit den Partymachern, weil es zu professio-         Nähe meiner Wohnung. Von außen sieht sie sehr professionell und auch
                             nell klingt.                                                                protzig aus, aber dann bin ich mal in einem Doppeldeckerbus an dem
                             Tom Dowse: Wenn ich nicht so betrunken bin wie an jenem Abend, ist          Gebäude vorbeigefahren und konnte den total runtergekommenen Garten
                             meine Geheimwaffe ganz klar Jamiroquai.                                     im Hinterhof sehen. Irgendwie hat mir das Angst gemacht, und ich bin mir
                             Florence Shaw: (lacht) Jamiroquai hätte mich viel schneller überzeugt als   ganz sicher, dass dieser Zahnarzt noch sehr viel mehr zu verbergen hat.
                             die Deftones.                                                               In den Texten geht es auch andauernd ums Essen.
                             Florence, eigentlich bist du visuelle Künstlerin. Hast du gezögert, dich    Shaw: Argh, mir ist das selbst gar nicht aufgefallen, aber ich werde jetzt
                             auf die Musikszene einzulassen?                                             andauernd darauf angesprochen. Es ist mir fast ein bisschen peinlich.
                             Shaw: Anfangs habe ich mich schon gefragt, ob ich mich wirklich über        (lacht) Bin ich eine Food-Fetischistin? Tatsächlich ist es ein gutes Tool,
                             Sound statt wie bisher mit Bildern ausdrücken will. Andererseits habe ich   um ein Setting zu kreieren und es sehr konkret auszuleuchten.
                             auch schon immer viel mit Text gearbeitet. Aber diese Zweifel gab es nur    Du flankierst den Postpunk der Jungs mit oft sehr wütenden und ver-
                             ganz am Anfang, als wir etwa noch die Frage diskutiert haben, ob wir        zweifelten Texten, bleibst aber immer beim Sprechgesang. Hast du
                             überhaupt Konzerte spielen wollen. Als es dann so richtig losging, war      nicht manchmal das Bedürfnis, einfach loszuschreien?
                             das kein Thema mehr.                                                        Shaw: Die Art meines Sprechgesangs ist ja sehr autoritär, er fühlt sich für
                             Deine Texte setzen sich aus sehr spezifischen Szenen zusammen, bei          mich sehr lebhaft und kräftig an. Auch bei Konzerten empfinde ich mich
                             denen du dich auch von Kommentarspalten im Internet, Werbeslogans           nicht als ruhenden Gegenpol zur Band. Auf der Bühne ist es ein sehr
                             und Alltagsgesprächen inspirieren lässt. Und dabei tauchen immer wieder     körperlicher Einsatz, ich stehe die ganze Zeit unter Strom. Bislang ist es
                             Sätze auf, die unser gegenwärtiges Leben auf den Punkt bringen.             mir jedenfalls noch nicht passiert, dass ich mich nach einem Konzert im
                             „Do everything, feel nothing“ etwa. Oder auch: „I’m smiling constantly      Backstagebereich abreagieren musste.
                             and people constantly step on me.“                                                                                       Interview: Carsten Schrader

                                                                                                                                                                     kulturnews | 7
Willkommen in der Kunst - Christian Löffler Mit neuen Perspektiven - bunkverlag
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      Musik | Szene

                                                                                                                                Muskelspiele
                                                                                    Da zieht sich einem ja alles zusammen:
                                                                                    Pudeldame. Ein Quartett aus Hamburg und
                                                                                    Lübeck, das sich ironiekompatibel hipsterig kleidet
                                                                                    und Musik zwischen Neuer Deutscher Welle
                                                                                    und Indiepop macht. Erschwerend kommt
                                                                                    hinzu, dass Schauspieler Jonas Nay als Sänger
                                                                                    einen Starstunt suggeriert. Es ist leicht,
                                                                                    Pudeldame und ihr Debütalbum „Kinder
                                                                                    ohne Freunde“ ungehört beiseite zu wischen.

                                                                Foto: Zoe Opratko
                                                                                    Sollte man aber nicht: Sie sind zwangloser
                                                                                    und laden mehr als all die anderen Neo-
                                                                                    schlagerprotagonist*innen zum Tanzen ein.
                                                                                    „Bei unserer Musik muss etwas mit meinen
                                                                                    Muskeln passieren“, sagt Nay selbst dazu,

                                                                                                                                                                                       Foto: Anne Wilk
                                                                                    „es muss eine körperliche Reaktion geben.“
      Oarschlochsystem                                                              Vielleicht ist es daher auch gewollt, dass sich
                                                                                    einem erstmal alles zusammenzieht. jl
      Keine Ahnung, ob Wiener als Melancholiker zur Welt
      kommen – aber es scheint ihnen zu liegen, ständig auf
      das große und kleine Elend der Welt zu blicken und
      schulterzuckend die nächste Flasche aufzumachen.                                                                                   Strippenzieher
      Max Hauer ist so einer, der sich gern im Themenkanon
      der Schwarzseher verliert. Tänzelnd und schief lächelnd                                                                            Aufgemerkt bei diesem glibberig grünen
      seziert er das „Oarschlochsystem“ in seinen Song-                                                                                  Gebilde: Dahinter verbirgt sich das zweite
      miniaturen, die er für „Wöd“ gesammelt und im sympa-                                                                               Album der dänischen Band Communions,
      thisch-minimalistischen Homerecording-Alleingang                                                                                   die mit zum Sterben schönen Refrains das
      aufgenommen hat. Hauer firmiert hier unter dem Band-                                                                               schwächelnde Genre Indierock am Leben
                                                                                                                s
                                                                                                                hinocero

      namen Cler und kann sich wohl berechtigte Hoffnungen                                                                               halten. Dazu überzeugen auf „Pure Fabri-
      machen, das Material mit seinen Bühnenkollegen                                                                                     cation“ die Texte der Brüder Martin und
                                                                                                                            mbour

      irgendwann auch live spielen zu können. Moment:                                                                                    Mads Rehof: Wer zieht bei uns eigentlich
                                                                                                                   Foto: Ta

      Hoffnung? Ach was, wird doch ohnehin nichts bei all                                                                                welche Strippen, damit wir in dieser Welt
      dem Elend in der Wöd. ron                                                                                                          bestehen können? cs

                „I left my soul/on Californian soil/and I left my pride/
                  with that woman by my side/I never had a willing hand/
                  and I never had a plan/but I'm glad I found you here“
                                                                                                                                    aus: „Californian Soil“

                                                     Nach vier Jahren nimmt es
                                                     Sängerin Hannah Reid auf
                                                      „Californian Soil“ mit der
                                                  eigenen Bandgeschichte von
                                                  London Grammar auf – und
                                                   mit der Frauenfeindlichkeit
                                                      der Musikindustrie, die
                                                             sie erfahren hat.
                                                                                                                                                                                      Foto: Alex Waespi

      8 | kulturnews
Willkommen in der Kunst - Christian Löffler Mit neuen Perspektiven - bunkverlag
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        Foto: Warner Music                                                          Charlotte Cardin | Musik                     NEW ALBUM

                                      Phoenix in die Bresche                                                                     SCHILLER
                                                    Charlotte Cardins Texte sind krass.                                          SUMMER IN BERLIN
                                             Trotzdem funktioniert ihr Pop auch im Radio.

                             ›      Es ist eine zur Genüge bekannte Ge-
                                    schichte: das Hadern mit dem Ruhm,
                             mit dem Bild in der Öffentlichkeit, mit sich
                                                                              „Dieses Album hat zwei Jahre gebraucht, weil
                                                                              ich zu Beginn des Schreibprozesses versucht
                                                                              habe, die Kontrolle über das zu erlangen, was
                             selbst. Die gerade mal 26-jährige Singer/-       ich zeigen will“, sagt Cardin über ihr erstes
                             Songwriterin Charlotte Cardin aus Quebec         Album „Phoenix“, an dem sie bereits 2019 zu
                             modelt, seitdem sie 15 ist, und war das          arbeiten begonnen hatte. „Am Ende wurde es
                             Gesicht für das namhafte Modehaus Chanel,        jedoch offensichtlich, dass ich die wahren
                             für das sie auch heute noch als Markenbot-       Impulse stärker zulassen muss, damit meine
                             schafterin tätig ist. Dass Cardin sich dennoch   Musik – und mein Leben – irgendeinen Sinn
                             dazu entschlossen hat, ihr Innerstes mit der     ergeben.“
                             Welt zu teilen, mutet zunächst ganz schlüssig
                             an. Models und Schauspieler*innen, die singen,   Welche Früchte es trägt, wenn Cardin Ver-
                             sind schließlich nichts Neues. Auch ihre ziel-   letzlichkeit und Widersprüchlichkeiten nicht
                             sichere, radiotaugliche Mischung aus Folk,       nur zulässt, sondern ausstellt, zeigen zwei
                             R’n’B und Elektronika suggeriert nicht etwa,     Songs, zwischen denen Cardin die ganze
                             dass eine Künstlerin hier auf Messers Schneide   Ambivalenz einer Trennung aufspannt. „Halle-
                             zwischen Verletzlichkeit und Starstatus balan-   lujah Baby, we’re no longer together“, singt sie
                             ciert. Stattdessen ließe sich beinahe denken,    in „Passive aggressive“ und in „Meaningless“
                             dass die Musik für Cardin ein sicherer Schutz-   dann: „I can arrange meeting a stranger, forget
                             raum ist, das Gegengewicht zum Modeln.           you a day/but I can’t imagine what even hap-
                                                                              pens beyond the pain.“ „Meaningless“ ist auch
                             Doch dieser Eindruck täuscht: Wer genauer        der Song, in dem Cardin sich der Unsicherheit
                             hinhört, wird bemerken, dass Cardin ihre tat-    nach der Trennung hingibt – und darin die
                             sächlichen Gefühle nicht hinter tausendmal       Freiheit entdeckt: „See the sun leading us/to
                             gehörten Liebes- und Trennungsgeschichten        the land of the lost and the reasonless/hear the
                             versteckt. Sie hat die vergangenen Jahre damit   drum beating us/I forever surrender, the rest is
                             verbracht, die letzten Schutzmauern einzu-       meaningless.“ Von wegen Schutzraum.
                             reißen, die nach ihren millionenfach gestream-
                             ten Debüt-EPs „Big Boy“ (2016) und „Main                                             Jonah Lara     Super Deluxe (2CD/2Blu-Ray),
                             Girl“ (2017) noch übrig geblieben waren.         Phoenix erscheint am 9. April.                       Deluxe (2CD), Vinyl (2LP)
                                                                                                                                       schillermusik.de
                                                                                                               kulturnews | 9
Willkommen in der Kunst - Christian Löffler Mit neuen Perspektiven - bunkverlag
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      Musik | Blackmore’s Night

          Natürlich nostalgisch
          Gemeinsam mit ihrem Mann                                                                                          CHECKBRIEF
          Ritchie Blackmore musiziert                                                                                      GRÜNDUNG Nicht im
          Candice Night als Blackmore’s                                                                                    Mittelalter, sondern relativ
                                                                                                                       spät, im Jahr 1997
          Night im Stil der Renaissance.                                                                              DEEP PURPLE Bei der legen-
                                                                                                                     dären Hardrockband war Ritchie
          Die Moderne mag sie                                                                                           Blackmore bis 1975 Gitarrist
          trotzdem lieber.                                                                                               ARBEITSTEILUNG Blackmore
                                                                                                                        spielt die Saiteninstrumente
                                                                                                                          und schreibt die Musik, Night
                                                                                                                           singt und schreibt die Texte
                                                                                                                              DISKOGRAFIE Mit
                                                                                                                              „Nature’s Light“ haben
                                                                                                                               Blackmore’s Night

                                                                                                                                                                Foto: Minstrel Hall Music / Michael Keel
                                                                                                                                mittlerweile elf Alben
                                                                                                                                unter dem Gürtel
                                                                                                                                KOSTÜME Bei ihren
                                                                                                                              Auftritten trägt die Band
                                                                                                                            historische Kleidung aus
                                                                                                                            dem Mittelalter

      Candice, das neue Album „Nature’s Light“ soll der Natur Tribut zollen. Wir hätten keine Luft zum Atmen, kein Wasser. Die logische Entscheidung
      Was bedeutet die Natur für dich?                                             ist also, sie zu schützen und zu respektieren.
      Candice Night: Ich glaube, wegen der Pandemie kehren mehr und mehr Eure Musik ist nostalgisch, aber ihr wollt trotzdem eine moderne Band
      Leute zur Natur zurück. Wir haben uns schon immer an die Magie der Natur sein. Wie geht das zusammen?
      gewandt, um unsere Lebensgeister wieder aufzuladen. Indem wir einen Night: Wir bedienen uns gern bei Liedern, die vor Hunderten von Jahren
      Waldspaziergang gemacht haben, konnten wir dem Alltagsstress entfliehen. geschrieben wurden. Den Geist dieser Originale versuchen wir zu erhalten,
      Ein Sonnenuntergang, eine Sternennacht, das Gefühl von Wind in den indem wir Instrumente aus der damaligen Zeit in die Songs einbauen, die
      Haaren, der Klang der Meereswellen – das alles konnte unendlich inspi- wir aus diesen Melodien machen. Also spielen wir etwa Schalmei, Rausch-
      rierend sein. Aber seit so viele Menschen zu Hause festsitzen und sich ihr pfeife, Krummhorn oder Gemshorn, fügen aber auch moderne Instrumente,
      Leben drastisch verändert hat, brauchen sie diese Waldspaziergänge, um neue Arrangements und neue Texte hinzu. Auf diese Weise bekommen
      bei Verstand zu bleiben. Sie werden immer introspektiver, die Natur heilt die alten Lieder neues Leben eingehaucht, und hoffentlich können sich
      einmal mehr ihre Seelen. Es ist eine der wenigen Sicherheiten, auf die Leute aus unserer Zeit in den Songs und Geschichten wiederfinden.
      wir uns dieser Tage verlassen können.                                        Als Frontfrau einer Rockband: Rock ist traditionell ein sehr männliches
      Warum hat euch gerade die Musik der Renaissance inspiriert? Hatten Genre. Ist das in letzter Zeit besser geworden – und was können wir
      die Leute früher eine bessere Beziehung zur Natur?                           machen, damit es noch besser wird?
      Night: Es ist eine der besten Seiten, in der heutigen                                             Night: Es hat schon immer Frauen gegeben, die in die
      Zeit zu leben: Wir können die Früchte der Vergangen-                                              männerdominierte Rockwelt vorgedrungen sind.
      heit ernten und entscheiden, was davon in unser heu-                                              Janis Joplin, Stevie Nicks, Tina Turner … Viele haben
      tiges Leben passt. Ich liebe die Bilder von Jungfrauen,                                           es geschafft, die Mauern einzureißen. Auch in anderen
      die dem davonreitenden Ritter zum Abschied mit ihrem                                              Genres, wenn man etwa an Dusty Springfield, Dolly
      Taschentuch zuwinken, während Lagerfeuer die                                                      Parton, Cher oder Ronnie Spector denkt. Das mag
      Silhouetten der Hügel zieren … Aber das ist nicht die                                             nicht Rock gewesen sein, aber in der Industrie hat
      Realität dieser Zeit. Trotzdem ist es meine Wahr-                                                 jede dieser Frauen ihre Spuren hinterlassen und war
      nehmung, und ich ziehe meine Inspiration eben aus                                                 eine unabdingbare Wegbereiterin für die Frauen, die
      einer Fantasie über diese Ära. Ich glaube, Menschen                                               ihr nachgefolgt sind. Schwestern, Mütter, Großmütter:
      aller Perioden haben eine gesunde Beziehung zur                                                   Wir sind alle verbunden, und der Kreis beginnt von
      Natur. Anderen wiederum fehlt diese Beziehung – es                                                neuem. Jede Frau macht es ein wenig leichter für die
      kommt auf die Individuen an. So ist es bis heute.                   Nature’s Light                nächste Generation.
      Allerdings würden wir ohne die Natur alle sterben.              ist gerade erschienen                                        Interview: Matthias Jordan

      10 | kulturnews
01-32_kulturnews_04_2021-jw-1k.qxp_01-32_kulturnews_04_2021 30.03.21 15:20 Seite 11

                                                                                        Szene | Musik                                       www
                                                                                                                                              w.re
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                                                                                                                                                    ke
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                                                                                                                                                                                                       90.0n0 0
                                                                                                                                                                                                            ts!
                                                                                                                                                                                                          Eve
                                                                                                                                            Pippo
                                                                                                                                              pp Pollina
                                                                                                                                                  o
                                                                                                                                            16.01.22 Linz (AT) T
                                                                                                                                            18.01.22 Nürnberg
                                                                                                                                            20.01.22 Karlsruhe
                                                                                                                                            21.01.22 Trier
                                                                                                                                            23.01.22 Leipzig
        Foto: Neil Krug

                                                                                                                                            26.01.22 Berlin
                                                                                                                                            ... und weitere Ter
                                                                                                                                                             e mine
                                                                                                                                                                  e

                                „I come from a small town                                                                                   The Dark Tenor
                                                                                                                                                      e r
                                                                                                                                            26.11.21
                                                                                                                                            26     21 Krefeld
                          far away/I only mention it ’cause                                                                                 10.12.21 Kaierslauter en
                                                                                                                                            15.12.21 Baden-Bad    den
                               I’m ready to leave LA/                                                                                       16.12.21 Bochum
                                                                                                                                            17.12.21 Erfurt
                              and I want you to come“                                                                                       21.12.21 Hamburg
                                                         aus: „Let me love you like a Woman“
                                                                                                                                            ... und weitere Ter
                                                                                                                                                             e mine
                                                                                                                                                                  e
                          Auf „Chemtrails over the Country Club“ wagt Lana Del Rey den Sprung
                          vom sonnigen Kalifornien in den ländlichen Mittwesten und gibt diesmal
                          den bodenständigen Folkie – ohne dabei auf die für sie typische,
                          prachtvolle Americana zu verzichten.

                                                                                                                                            Alte Bekannte
                                                                                                                                            08.10.21 Regensburg                           21.11.21 Fulda
                                                                                                                                            05.11.21 Mainz                                27.11.21 Lüneburg
                                                                                                                                            14.11.21 Stuttgart                            ... und weitere Ter
                                                                                                                                                                                                           e min
                                                                                                                                                                                                               ne
                                  Foto: Dudi Hasson

                                                                                                                                            19.11.21 Potsdam
                                                      Durchhaltehymnen                                                                      24.11.21 Leverkusen n
                          Im Jahr 2017 tauchte die Produzentin, Sängerin und Rapperin aus                                                   25.11.21 Leer
                          Tel Aviv erstmals auf dem Radar auf und thematisierte mit ihrem                                                   26.11.21 Achim
                          Debüt den Krieg und die Konflikte ihrer Heimat. Noga Erez deutete                                                 12.12.21 Hamburg
                          einen ganz und gar eigenen Sound zwischen Contemporary Pop,
                                                                                                                                            22.12.21 Oberhausen  n
                          HipHop und sperriger Elektronik an – nur hatte sie sich bei „Off the
                          Radar“ noch zu sehr auf Übersongs wie „Dance while you shoot“                                                     ... und weitere Ter
                                                                                                                                                             e mine
                          verlassen. Auf „KIDS“ ist die 31-Jährige mutiger, formuliert Ideen
                          radikaler aus – und kommt bei einem Album voller Stand-out-Tracks
                          an. Mit toxischen Beziehungen und Depression sind die Songs ver-                                                  www
                                                                                                                                              w.re
                                                                                                                                               .reserv
                                                                                                                                                     vix.de
                          meintlich privater, und vielleicht hat ja auch ihre Mutter geholfen, die
                                                                                                                                            Hotline 01806 700 73
                                                                                                                                                               33
                          per Sample fordert: „Can we get more sub so he can feel it?“ Zudem
                                                                                                                                            0,20 € pauschal aus dem deutschen Festn
                                                                                                                                                                                  netz,
                                                                                                                 Alle Angaben ohne Gewähr

                          ist „KIDS“ auch Lockdown-kompatibel: „I don’t know what really, really                                            aus dem Mobilfunknetz 0,60 €
                          happens at the End of the Road“, sprechsingt Erez – und wir tanzen
                          zu diesem niederschmetternden Eingeständnis. cs

                                                                                               kulturnews | 11                                   / reservix
01-32_kulturnews_04_2021-jw-1k.qxp_01-32_kulturnews_04_2021 30.03.21 15:20 Seite 12

      Musik | Jazz + Klassik

                                    CHECKBRIEF

                        FRANCESCO TURRISI
                                 GEBOREN 1977
                                                                                                   CHECKBRIEF
                    KOMMT AUS Turin, Norditalien
                                     LEBT IN Irland
                                                                                                       RHIANNON GIDDENS
                        SPIELT Klavier, Akkordeon,
                                                                                                       GEBOREN 1977
                         Laute und Trommeln
                                                                                                       KOMMT AUS Greensboro, North Carolina
             ENTDECKT die Musikgeschichte
                                                                                                        LEBT IN Irland
                 ihrer beider Heimatländer
                                                                                                         SPIELT Geige, Banjo, Bratsche
             ARBEITET stets wohlüberlegt
                                                                                                             ENTDECKT die Musikgeschichte ihrer
                                                                                                                 beider Heimatländer
                                                                                                                    ARBEITET am liebsten spontan

                                             Sagt mal,
                                                 von wo kommt
                                              ihr denn her?

                                                                                                                                                               Foto: Ebru Yildiz
                Rhiannon Giddens und Francesco Turrisi haben auf den ersten Blick wenig gemein.
                    Doch mit ihrer Mischung aus italienischem, amerikanischem und irischem Folk
                                                        überwinden sie Zeit und Raum.

      Rhiannon, für „They’re calling me home“ hast du zum zweiten Mal mit leben, wenn man die Möglichkeit nicht mehr hat, jederzeit nach Hause
      deinem Partner Francesco Turrisi zusammengearbeitet. Wie habt ihr zu fahren. Vieles an meiner Heimat wusste ich erst zu schätzen, nach-
      euch kennengelernt?                                                          dem ich sie verlassen hatte – das erhält jetzt ganz andere Dimensionen.
      Rhiannon Giddens: Francesco hat meine Band, die Carolina Chocolate Wir haben versucht, uns unsere Heimat nach Irland zu holen. Ich habe
      Drops, schon vor Jahren kennengelernt. Er hat mich kontaktiert, weil er gelernt, Gerichte aus dem Süden zu kochen, und Francesco hat sich eine
      der Meinung war, dass unsere Musik gut zusammen funktionieren Espressomaschine gekauft, um sich ein Little Italy zu erschaffen. (lacht)
      würde, und weil wir beide in Irland leben. Aber daraus hat sich zunächst Das gleiche haben wir mit der Musik gemacht: Wir haben uns an unsere
      nichts weiter ergeben. Vor etwas über drei Jahren hat er sich dann wieder musikalischen Anfänge zurückerinnert.
      bei mir gemeldet, und diesmal standen die Sterne wohl einfach richtig.       Dabei seid ihr auf Songs wie „O Death“ gestoßen, die sehr alt sind –
      Ihr beide setzt euch schon lange intensiv mit ganz unterschiedlichen und die doch nahtlos an die Welt anschließen, wie wir sie heute erleben.
      Musiktraditionen auseinander. Was habt ihr gemeinsam?                        Glaubst du, Folkmusik hat ein größeres Potenzial dafür, Menschen mit-
      Giddens: Im Bezug auf die Stile, die wir spielen, und                                            einander zu verbinden?
      unsere Biografien gibt es eigentlich gar keine Ge-                                               Giddens: Ja, absolut. Zum einen, weil sie Melodien
      meinsamkeiten. Aber unter anderen Gesichtspunkten                                                und Strukturen enthält, die überall auftauchen und
      haben wir doch sehr viel gemein: Wir haben etwa                                                  so viel beeinflusst haben. Zum anderen, weil sie
      beide an Musikhochschulen studiert – er Jazz, was                                                Themen anspricht, die zeitlos sind und uns mit-
      mein kultureller Background ist, und ich italienische                                            einander und auch mit unserer Vergangenheit ver-
      Oper, was ja eigentlich sein Ding ist. Für uns ist es                                            binden. Dabei muss ich an einen Song von „They’re
      aber weniger wichtig, was wir spielen. Was zählt, ist                                            calling me home“ denken: „Waterbound“, ein
      die Herangehensweise und die Absicht.                                                            Traditional aus dem Amerikanischen Süden.
      Heimat ist ein zentrales Thema auf „They’re calling                                              Francesco und ich haben es zusammen mit Niwal
      me home“. In der Pandemie hat Heimat allerdings                                                  gespielt, unserem Gitarristen, der aus dem Kongo
      auch eine ganz neue Bedeutung bekommen.                                                          stammt und auch in Irland lebt: wir drei, zusammen
      Giddens: Ja. Durch die Pandemie hat sich unser                                                   auf einer Insel, von der niemand von uns stammt.
      Verhältnis zu unserer Wahlheimat Irland grundlegend            They’re calling me Home
      verändert: Es ist etwas ganz anderes, woanders zu                erscheint am 9. April                                           Interview: Jonah Lara

      12 | kulturnews
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                                                     Jazz + Klassik | Musik

                            Nik Bärtsch
                                                     Entendre
                                                            ECM

         SOLO PIANO „Ich wollte mich ambitionslos
         hingeben“, sagt Nik Bärtsch. „Es ging nicht
         darum zu zeigen, dass ich Klavier spielen
         kann.“ Eine solche Leistungsschau wird sicher keiner von einem
         Pianisten verlangen, der bereits zwölf erfolgreiche Alben veröffentlicht
         hat. Der Schweizer hat sich im Quartett Ronin einen Namen gemacht,
         erweitert um ein Streicherensemble heißt die Band Mobile. Nun
         erscheint sein erste Soloalbum: Der hypnotische „Zen Funk“, der mehr
         von Minimal Music als vom Modern Jazz zehrt, profitiert von dem
         natürlichem Raumklang des Konzertsaals, in dem „Entendre“ in first
         takes aufgenommen wurde. Der Pianist zeigt sich hier eingedampft
         auf die Essenz. Die kühle Repetition, die finster-groovende Ekstase,
         der perkussiv eingesetzte Flügel: Bärtsch hypnotisiert mit scheinbar
         einfachsten Mitteln – und zeigt gerade so seine Meisterschaft. jp                  BALMORHEA
                                                                                                       the WIND
                                                   Jazzrausch Bigband
                                   HI
                                        GHLI          Téchne
                               R               G
                                                      ACT                                  D a s n e u e A l bu m d e s h o ch ge l o b t e n
                          HÖ

                                                HT

                                            BIGBANDTECHNO Dieser Band fehlt                              D u o s a u s Te x a s
                               #4
                                           nur eines: Publikum. Zuhörmusik für
                                        /2021
                                         couch potatoes war noch nie die Sache
         der Jazzrausch Bigband – der Sound der Münchner taugt allein zum
         Abkochen auf der Tanzfläche. Da macht das neue Album „Téchne“
         keine Ausnahme: Wuchtige Technobeats und opulent arrangierte
         Bläsersätze zeichnen das Lockdown-Werk des Jazzrausch-Kollektivs aus.
         In die Band haben sich ein paar illustre Namen aus der ACT-Familie
         eingereiht: Nils Landgren und Viktoria Tolstoy sind ebenso am Start
         wie Gitarrist Kalle Kalima und Drummer Wolfgang Haffner. Textlich
         sorgen die betörend zu Werk gehenden Sängerinnen Nesrine und Jelena
         Kuljic für jene Portion Anspruch und Niveau, die das Hirn beim Zappeln
         weder über- noch unterfordert. Aufgenommen hat das Ensemble den
         aktuellen Longplayer im Technoclub Harry Klein – allerdings ohne
         schwitzende Leiber und Stroboblitze. ron

                                                      WeNeT
                                                      Neue Heimat
                                                      Lakeland Records

         PROGJAZZ Es ist dieser schmatzende Schwulst
         der Hammondorgel, der wohl jede Musik-
         produktion mit dem Ausnahmeinstrument in ein ganz spezielles Licht
         taucht. Aber halt: „Neue Heimat“ ist kein Orgelalbum. Trioleader ist
         ganz klar der Leipziger Gitarrenprofessor Werner Neumann, der in                     Ve r e i n t A m b i e n t , K l a s s i k u n d
         seinen Kompositionen feinfühlig Jazz- und Fusiontraditionen der 70er
         zelebriert. Mit flinker Finger führung auf Akustikinstrumenten und                     Amer icana auf T h e W i n d
         E-Gitarrenpassagen von clean bis extrem effektgetränkt gönnt sich
         Neumann vertrackte Uptemponummern – und doch ist da auch viel
         Raum für Lyrisches. Nie bekommt der Zuhörer nur das eine oder das
         andere: Dieses Trio ist viel zu kreativ, um sich mit dem Konzept „ein
         Song, eine Stimmung“ abzufinden. Wer Prog und Jazzrock aus der                      E RHÄLTLIC H AB
         Oldschool mag, findet hier eine neue Heimat. ron
                                                                                             09 APRIL 2021
                                                                         kulturnews | 13
                                                                                             store.deutsche-gr ammophon.com
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                            Musik | Platten

                            Die beste Musik
                            # 4/2021
                                                                                                                                                        Floating Points
                                                                                                                                                        Pharoah Sanders
                                                                                                                                                        + The London Symphony Orchestra

                                                                                                                                                        Promises
                                                                                                                                                        Luaka Bop/!K7

                                                                                                                                                        ELEKTRONIKA Ein kurzes, fragendes
                                                                                                                                                        Motiv aus sieben Noten ist das erste,
                                                                                                                                                        was wir hören. Es kehrt immer wieder,
                                                                                                                                                        zieht sich wie ein Puls durch das neue
                                                                                                                                                        Album von Floating Points und Pharoah
                                                                                                                                                        Sanders. In Wahrheit ist „Promises“ aller-
    Foto: Moritz Hagedorn

                                                                                                                                                        dings eine lange Komposition, die neun

                                                                                                                                    Foto: Iiri Poteri
                                                                                                                                                        Teile gehen nahtlos ineinander über.
                               Messer & Toto Belmont                                                                                                    Fünf Jahre haben Sam Shepherd alias
                                                                                                                                                        Floating Points, bekannt für seine elek-
                                                                                                                                                        tronischen Jazzcollagen, und Saxofon-
                            No Future Dubs                                      Postpunksounds für Messer und durchschritt                              legende Sanders daran getüftelt. Heraus-
                            Trocadero                                           persönliche Erinnerungen anhand räumlicher                              gekommen ist ein Stück, das den unein-
                                                                                Haltegriffe: eine Kartografie der Vergangenheit.                        deutigen Charakter der Anfangsfigur auf-
                            DUB Vorschlag für einen Selbstversuch: Legt         Diese Haltegriffe werden hier nun ganz in                               greift und über 47 Minuten in der
                            euch auf eure Couch oder einen Teppich, aber        einem Dub aufgelöst, in dem Postpunk nur                                Schwebe hält. Obwohl auch das London
                            nicht aufs Bett – der Ort muss unvertraut sein.     noch spurenhaft enthalten ist. Übrig bleiben                            Symphony Orchestra mit ein paar
                            Schließt eure Augen und hört Messers viertes        die Gefühle, die das Schwesteralbum herauf-                             Streichern zu hören ist, vermeidet
                            Album „No Future Days“. Dann versucht einzu-        beschworen hat – in Reinform. Damit schaffen                            „Promises“ die gängigen Neoklassik-
                            schlafen. Wenn ihr daraufhin                                        Messer nicht nur das schier                             klischees, indem sich – außer besagtem
                            träumt, wird sich dieser Traum so                                   Unmögliche, indem sie mit                               Motiv – fast nichts wiederholt. Statt-
                            anfühlen, wie „No Future Dubs“                                      weniger Kohärenz und fetzen-                            dessen ergänzen Sanders’ Improvisatio-
                            klingt, das Remixalbum, das                                         hafteren Texten noch transporta-                        nen und Shepherds ausgeklügelte Klang-
                            Messer gemeinsam mit ihrem                                          bler werden. Sie gehen zugleich                         teppiche sich zu einem erstaunlich orga-
                            finnischen Produzentenfreund                                        den nächsten Schritt nach ihrer                         nisch klingenden Ganzen: Wenn „Parallels“
                            Toto Belmont gezaubert haben.                                       kartografischen Erinnerungs-                            in der Mitte zu einem schwelgerischen
                            „No Future Days“ war die Erkun-                                     aufarbeitung: ein Heimkommen,                           Höhepunkt anschwillt, fühlt es sich fast
                            dung eines neuen, dubaffinen                                        bei dem doch alles anders ist. jl                       an wie ein lebendes, atmendes Wesen. mj

                                                                        Xiu Xiu                                                 beschissenen Menschen bei 60/40 liegt, und
                                                                                                                                nicht, wie ich immer geglaubt habe, bei 1/99.“
                                                                        Oh No                                                   Wirkliche Ausreißer stehen allerdings nicht auf der
                                                                        Polyvinyl                                               Gästeliste: am ehesten noch George Lewis Jr. alias
                                                                                                                                Twin Shadow – doch auch den holen sie mit der
                                                                        NOISEPOP Seit vielen Jahren verstecken sie ganz         angeschrägten Pathoshymne „Saint Dymphna“
                                                                        große Popmomente hinter verzerrten Gitarren und         auf die dunkle Seite. Wie erwartet sind „Sad
                                                                        nervenzersägender Elektronik. Und weil                  Mezcalita“ mit Sharon Van Etten und „I dream of
                                                                        Xiu Xiu nun ein Dutzend Veröffentlichungen voll-        someone else entirely“ mit Owen Pallett matches
                                                                        bracht haben, gönnt sich die kalifornische Band         made in hell. Und dann ist ist da auch noch diese
                                                                        ein Album voller Duette. Für Mastermind Jamie           großartige Coverversion von „One Hundred Years“:
                                                                        Stewart ist das durchaus auch mit einem thera-          Im Verbund mit Chelsea Wolfe vervielfachen
                                                                        peutischen Effekt verbunden: „Unsere Gäste haben        Xiu Xiu die abgründige Dringlichkeit des Cure-
                                                                        mir gezeigt, dass das Verhältnis von schönen zu         Klassikers. cs

                            14 | kulturnews
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                                                     Platten | Musik

                                                Godspeed You!
                                                Black Emperor
                                                G_d’s Pee AT STATE’S END!
                                                Constellation

                                                POSTROCK In einer Zeit, in
                                                der man jedes einzelne selbst-
                                                ernannte Corona-Statement
                                                eines Künstlers oder einer
                                                Künstlerin fürchten muss, sind
         Godspeed You! Black Emperor eine seltene Ausnahme. Zum einen,
         weil die Band es sichtlich ernst meint: Schon seit dem Debütalbum
         von 1997 hat ihr dystopischer Postrock eine politische Dimension.
         Ein Statement zur Lage der Nation (oder deren Ende) ist für sie kein
         hohler Opportunismus. Zum anderen: Weil ihre Musik instrumentell
         ist, kommen sie ohne Klischees oder Verkürzungen aus – bei Stücken,
         die sich regelmäßig auf eine Länge von 15 bis 20 Minuten einpen-
         deln, ist eher das Gegenteil der Fall. Und daher ist „G_d’s Pee AT
         STATE’S END!“ auch so eine willkommene, ja, herbeigesehnte Platte.
         Die neue politische Realität und ihre Unsicherheiten haben Godspeed
         You! Black Emperor neu belebt. So ist ihr nunmehr siebtes Studio-
         album vor allem auf seiner ersten Hälfte deutlich reduzierter und rok-
         kiger als bisher – und allen Widrigkeiten der Gegenwart zum Trotz
         lädt die zweite, triumphal orchestrale Hälfte mehr als alle bisherigen
         Alben der Quebecer*innen dazu ein, hoffnungsvoll in eine bessere
         Zukunft zu blicken. jl

         OPTIMISTISCH NACH VORN

                   The Antlers
                           Green to Gold
                               Transgressive

         SLOWCORE Mit „Hospice“ aus
         dem Jahr 2009 haben The
         Antlers die wohl traurigste Platte
         aller Zeiten veröffentlicht, und
         auch nach dem Konzeptalbum
         über Tod und Verlust ging es in den Texten von Sänger Peter Silberman
         ans Eingemachte – wurde aber vom immer erhabeneren Songwriting
         und unwiderstehlichen Melodien abgemildert. Wie übergroß wird nun
         also das Drama, wenn die New Yorker Band nach sieben Jahren
         zurückkehrt und Silberman in dieser Zeit mit einem schweren
         Hörsturz, Stimmproblemen und Schreibblockaden zu kämpfen hatte?
         Tatsächlich ist „Green to Gold“ aber eine Aussöhnung, die die Schwere
         der Vergangenheit nicht leugnet und all jenen Hörer*innen einen
         optimistischen Blick nach vorn anbietet, die auch nach mehr als zehn
         Jahren noch den Schmerz von „Hospice“ fürchten. Sicher, es braucht
         den Mut des Älterwerdens, um sich bei „Just one Sec“ und „It is what
         it is“ an Americana anzulehnen oder den sanft groovenden Lauf der
         Jahreszeiten im siebenminütigen Titelstück zu verfolgen. Und ganz
         ohne Tränen geht es auch nicht – ganz besonders dann, wenn sich
         Silberman in „Solstice“ an einen unbeschwerten Sommer seiner
         Jugend erinnert. cs

                                                                kulturnews | 15
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      Musik | Plattenchat

      SOUND OF KULTURNEWS
        listen on kulturnews.de

                                            Auflegen oder aufregen?
                                                                       Platten, die man im April hören muss – oder eben nicht.

      INTERNATIONAL MUSIC                                  CHANTAL ACDA                                       SERPENTWITHFEET

                        TITEL                                                 TITEL                                            TITEL
                        Ententraum                                            Saturday Moon                                    Deacon

                        VÖ                                                    VÖ                                               VÖ
                        23. 4.                                                gerade erschienen                                gerade erschienen

      Jonathan: Ich verneige mich vor der abge-            Jonathan: Das Album strahlt für mich insge-        Jonathan: Hier fällt es mir irgendwie schwerer,
      drehten Kreativität – sowohl lyrisch wie auch        samt eine getragene Eleganz aus, harmonisch        eine Verbindung herzustellen. Ich kann die
      musikalisch. Dass der Ententraum vor Referenz-       durchsetzt von melancholischen wie auch            Scheibe problemlos hören, aber sie ist fast
      und Inspirationsvielfalt nur so sprüht und das       verspielteren Momenten. Als Hörer finde ich in     schon zu locker und leicht, was die Arrange-
      Ganze mit einem Augenzwinkern präsentiert,           jedem Stück genug Raum, um die Gedanken            ments betrifft … oder vielleicht trifft es „zu
      ist sehr charmant. Aber ich ziehe surreale           schweifen zu lassen, mich auf den Song ein-        minimalistisch“ besser? Hängen bleibt wenig.
      Bilder (auch im Museum) einer entsprechend           zulassen und Chantal Acda auf dieser Reise         Carsten: Anfangs dachte ich auch, mir würden
      anmutenden Musik vor. Deshalb überlasse ich          zu begleiten. Aber es ist keine Platte, die ich    die Abgründe vom Debüt fehlen – aber genau
      es meinen Mitchattenden, ob die Band hier            immer, sondern nur in passenden Momenten           dieser Verzicht ist seine Selbstermächtigung.
      den träumenden Vogel tatsächlich abschießt.          hören würde.                                       Josiah Wise feiert schwule Liebe mit wunder-
      Mitja: Also ich reiche die Vogelflinte weiter nach   Verena: Ich höre ja wirklich gerne und viel        schönen R’n’B-Songs wie „Hyancinth“ oder
      hinten durch, International Music sprechen           Folk, auch den, der eher gestrig als retro ist,    „Amir“, und für mich ist in diesem Monat
      mich überhaupt nicht an. Was ist das über-           aber Chantal Acdas musikalischer Ansatz            niemand schöner.
      haupt für Musik? Altherren-Psychrock? Sorry,         erschließt sich mir null. Kaum zu glauben,         Verena: Mir geht es wie Jonathan, das zweite
      aber mein Humor ist das nicht.                       dass sie mit Nils Frahm und Peter Broderick        Album des New Yorkers löst nicht wirklich
      Verena: Mich verbindet mit den gebürtigen            zusammengearbeitet hat und hier so ein post-       etwas bei mir aus. Das ambitionierte Konzept
      Essenern eine leidenschaftliche Hass-Liebe:          folkrockig unausgegorenes Werk präsentiert –       hinter der Platte ist super, aber das ausge-
      den vermeintlichen Apfel der Erkenntnis auf          und wer bitte erlaubt noch minutenlang nerven-     rechnet mit mittelmäßigem 90er-R’n’B zu tun,
      dem Cover präsentieren und ihn dann mit              de Gitarrensoli. Für mich leider nur langweilig.   den selbst Blackstreet mitreißender hinbekom-
      einem schrägen Mix aus Intellektpop und              Carsten: Ich mag „Disappear“ trotz Gitarren-       men haben … Schade, aber Harmlosigkeit
      Postschlagerpunk zerlegen. Respekt! Keine            gegniedel – weil Mimi Parker von Low mitsingt.     kann ja auch betören.
      Ahnung, ob ich hier grässlich unterhalten oder       Und in schwachen Momenten bin ich auch             Mitja: Wie meint Jonathan das bloß? Ein „zu
      herrlich verarscht werde. Ziemlich gut das!          für das schmonzige „The Letter“ anfällig.          minimalistisch“ gibt es für mich eigentlich gar
      Carsten: Bin da bei Verena. Inhaltlich unter-        Mitja: Nach einer Ladung Tune-Yards ist das        nicht. Hatte wie Verena ein bisschen die
      stütze ich „Spiel Bass“, weil ich mich schon         hier gut zum Runterkommen. Aber wenn               Befürchtung, dass mir das alles zu aufgesetzt
      so lange mit einem Bassisten verpartnern             parallel nicht die Tune-Yards drohen, vermisse     ist. Aber 90er und Blackstreet? Ich finde, Wise
      möchte. Musikalisch liegt mir aber eher die          ich diese Platte auch nicht. Da bin ich dann       holt den R’n’B absolut ins Jetzt. Also feier ich
      „Insel der Verlassenheit“. Noch Fragen?              ganz bei Verena und tue diese Platte als lahmes    mit Carsten die Platte ab. Gut, dass wir das
                                                           Gedudel ab.                                        Schlusslied auflegen!

      16 | kulturnews
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                                                                                                                                                                                     Plattenchat | Musik

                                                                                                                                                         GASTHÖRER
                                                                                                                       Foto: Elisabeth Graf Gatterburg

                                                                                                                                                                      Foto: privat
                                     Foto: privat

                                                                              Foto: privat
         VERENA REYGERS                             MITJA STEFFENS                           CARSTEN SCHRADER                                                        JONATHAN GESCHWILL
         hat so viel Aufregung wie in               ist genervt, dass immer noch             weitet ab einer Inzidenz von                                            verstärkt das kulturnews-Team seit März
         dieser Chatrunde lange nicht               der Corona-Blues gespielt                350 seine Verpartnerungsliste                                           als Sales Manager im Bereich Urbane
         erlebt: Sind International Music           werden muss. Aber wie sagte              aus: Neben den üblichen                                                 Kultur. Hier und jetzt wagt er sich aber
         doof oder genial, klingt Indie-            schon Franz Schubert? „Wer               Bassisten stehen da dann                                                aus seinen eigenen musikalischen
         Ikone Jenn Wasner wie eine                 die Musik liebt, kann nie ganz           auch Josiah Wise und                                                    Wohlfühlnischen heraus und schaut,
         kanadische Pianofee, und darf              unglücklich werden.“                     Jenn Wasner drauf. Und                                                  ob es etwas Neues zu entdecken gibt.
         auch schwule Liebe einfach                 Passend dazu kann man dank               Mitja – wenn er sich einen
         nur langweilig sein – wer                  Plattenchat nun auch zu Hause            Bass besorgt :)
         braucht noch Netflix, wenn                 mit Modeselektor feiern.
         er den Chat haben kann?                    Es geht also aufwärts!

         FLOCK OF DIMES                                             TUNE-YARDS                                                                           MODESELEKTOR

                           TITEL                                                             TITEL                                                                                     TITEL
                           Head of Roses                                                     Sketchy.                                                                                  Extended

                           VÖ                                                                VÖ                                                                                        VÖ
                           gerade erschienen                                                 gerade erschienen                                                                         9. 4.

         Jonathan: Irgendwie hatte ich bei Flock of                 Jonathan: Oooookay, das ist ungewöhnlich.                                            Jonathan: Dieses „Mixtape“ hat mir viel Freude
         Dimes und Chantal Acda das Gefühl, dass                    Definitiv experimentell, mit einem Schuss                                            bereitet. Elektronische Klangwelten, bei denen
         sich die Platten ähneln. Nicht zwingend musi-              Funk hier und einer Prise Soul da (unter                                             man sich treiben lassen kann. Modeselektor
         kalisch, sondern eher von der Intention und                anderem). Die Songs haben mich ab und zu                                             können kurz und lang, ambient und aggro
         Motivation her, solche Alben entstehen zu lassen           zum dezenten Kopfnicken eingeladen, und ich                                          und die ganze Palette dazwischen. Hut ab vor
         (dem eigenen Instinkt folgen) – aber musika-               würde sogar sagen, dass die Platte für die                                           diesen gelungenen Soundtüfteleien.
         lisch könnte man Parallelen bei den ruhigeren              Tanzfläche taugt.                                                                    Mitja: Wenn ich Modeselektor höre, muss ich
         Stücken sehen. Jenn Wasner weiß jedenfalls                 Carsten: Für mich haben Merrill Garbus und                                           unweigerlich an eine meiner schönsten Klub-
         mit ihrer ganz eigenen Eingängigkeit zu gefallen.          Nate Brenner vor drei Jahren ihr Meisterwerk                                         nächte überhaupt denken: im Club 11 zum
         Oh, und an vereinzelten Stellen habe ich mich              veröffentlicht – was neben den politischen                                           Sonnenaufgang über den Dächern Amsterdams.
         an Sarah McLachlan erinnert gefühlt. :-)                   Texten vor allem auch am Popappeal gelegen                                           Der rohe Mixtape-Charakter bringt einiges
         Verena: Äh, Jonathan – von welchem Planeten                hat. Das hier ist nicht so ganz mein Sound,                                          vom Charme der älteren Alben mit, das gefällt
         genau hast du dich zugeschaltet? ;) Jenn Wasner            trotzdem funktioniert der Anschluss für mich,                                        mir. Ist sauber zusammengemixt und somit
         überzeugt nicht nur als Multiinstrumentalistin             weil sich die beiden so wunderbar verdreckt                                          optimal für die Party daheim.
         und bessere Hälfte des Indieduos Wye Oak,                  und eben unberechenbar auf rockigen                                                  Carsten: Schon, allerdings komme ich mit der
         auch solo finde ich sie großartig. Auf ihrem               Retrosoul beziehen. Tanzt du mit, Mitja?                                             Mixtape-Idee nicht so gut klar. 27 Stücke in
         zweiten Album sogar noch mehr, was sicherlich              Mitja: Eigentlich ja, aber meistens driftet mir                                      66 Minuten. Ich warte da wohl eher auf die
         daran liegt, mit welcher Hingabe sie Lärm mit              das zu sehr ins abgedrehte Geplärre ab. So                                           nun folgenden monatlichen EPs mit Remixen,
         Intimität verbindet. Und dank Sylvan-Esso-                 auch hier: Was wäre „hold yourself“ doch für                                         Vertiefungen und sicherlich spannenden Gästen.
         Produzent Nick Sanborn ist „Head of Roses“                 ein schöner Retrohit, sogar mit Saxofon. Aber                                        Verena: Hm, mittanzen würde ich derzeit
         auch noch eine extrem tanzbare Platte.                     zum Ende hin wird es mir zu virtuos. Und                                             überall, aber nicht zu jeder Musik. Und obwohl
         Mitja: Ich stimme Verena zu: eine starke Platte.           andere Tracks gehen ja direkt so wild los,                                           ich als Technolaie Modeselektor durchaus
         Manche Songs erinnern mich an Imogen Heap,                 dass ich Herzrasen bekomme.                                                          schätze, scheint mir die Mixtape-Idee aus der
         aber Wasner offenbart viel mehr Persönlichkeit.            Verena: „Sketchy“ überrascht mich mit orga-                                          Coronanot geboren. Für mich ergibt sich kein
         Carsten: Das sehr heterogene Album hat                     nischem Alternativerock-HipHop-Funk, in dem                                          homogenes Set, sondern sehr isoliert und
         auch Hänger, aber „Price of Blue“ reicht für               sich Garbus und Brenner bei aller Toserei                                            monoton gehaltene Beats, die mir außerdem
         mich schon fast an den Wye-Oak-Überhit                     überzeugend eingerichtet haben. Ganz groß-                                           zu hart und nüchtern sind. Wenn wieder
         „Civilian“ ran.                                            artig auch der Jazzschwenk in „Hypnotized“                                           Klubs, dann bitte aus dem Vollen schöpfen.
                                                                    mit bestehend eingängiger Hook.

                                                                                                                                                                                                  kulturnews | 17
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      Buch | Literatur

                                                                                                                                                                       Abb.: Hanser Verlag
      Hasst du dich lieb, Charlie Kaufman?
                        Mit Drehbüchern wie „Being John Malkovich“ hat er das Kino revolutioniert.
            Jetzt nimmt sich Carlie Kaufman die Literaturwelt vor – und erzählt in seinem Debütroman
                                                            von einem weißen alten Mann.

      ›      „Being John Malkovich“, „Vergiss mein nicht!“,
             „Synechdoche, New York“: In den Nullerjahren
      war der Drehbuchautor und Regisseur Charlie Kaufman
                                                                                                           Exkursen unterbrochen wird, sondern mit fortschrei-
                                                                                                           tender Handlung auch immer mehr zerfasert. Wenn
                                                                                                           Rosenberg versucht, seine Erinnerung mit Hilfe von
      nicht nur Kritikerliebling, sondern auch an der Kinokasse                                            Psychiatrie und Hypnose anzukurbeln, nimmt die
      sehr erfolgreich. Doch weil die Studios immer weniger                                                Handlung vollkommen aberwitzige Wendungen und
      bereit sind, abgedrehte und kostspielige Filme zu wagen,                                             verlagert sich an obskure Schauplätze wie Hirn-
      weicht der 62-jährige New Yorker jetzt auch auf die                                                  windungen, Himmelsleitern und geheimnisvolle
      Literatur aus, wo er keine Budgeteinschränkungen                                                     Höhlen. Wer aber ist dieser neurotische Intellektuelle
      fürchten muss und komplett frei drehen kann: Sein                                                    B. Rosenberg, der einem Woody-Allen-Film entsprungen
      Debütroman kommt auf stolze 864 Seiten. Und der                                                      sein könnte? Rosenberg brüstet sich nicht nur ständig
      Plot toppt den Irrsinn seiner Drehbücher, während er                                                 mit der Tatsache, dass er eine afroamerikanische
      zugleich vertraute Motive aufgreift wie etwa das                                                     Freundin hat, sondern er weiß auch ganz genau, wie
      Löschen und Wiederholen von Erinnerungen. Antiheld                                                   er sich bezüglich Identitätspolitik und Diversity zu ver-
      von „Ameisig“ ist der Endfünfziger B. Rosenberg, ein                                                 halten hat. Lacht der alte weiße Leser, wenn Diskurse
      Filmfreak, der abseitige Kritiken und Bücher schreibt,          Charlie Kaufman Ameisig              über genderneutrale Sprache immer wieder auftauchen
      die kaum jemand liest, und der sich als Dozent so            Hanser, 2021, 864 S., 34 Euro           und karikiert werden? Dann bleibt ihm das Lachen im
      gerade eben in New York über Wasser halten kann.             Aus d. Engl. v. Stephan Kleiner         Halse stecken, denn Rosenberg schont auch sich
      Als er für eine Recherche nach St. Augustine reist, lernt                                            selbst nicht und stellt in seinen Monologen die eigene
      er den 119-jährigen Afroamerikaner Ingo Cutbirth                                                     Erbärmlichkeit offen aus. Natürlich hadert er mit dem
      kennen, der seit 90 Jahren an einem Film arbeitet. Rosenberg wittert die Verfall der Kunst; zugleich ist er ein Opportunist, der sich die Haltungen
      Chance seines Lebens: Womöglich ist das dreimonatige Epos der wich- aneignet, die es vermeintlich braucht, um innerhalb des Kulturbetriebs
      tigste Film aller Zeiten! Tatsächlich erklärt Cutbirth sich bereit, ihm das doch noch Anerkennung zu finden. Woran glaubt er wirklich, wem fühlt er
      Werk vorzuführen – doch dann verstirbt der Regisseur während der Vor - sich verpflichtet und was befeuert seine Leidenschaft? Kaufman nutzt den
      führung. Rosenberg hält sich nicht an die Absprache, den Film nach des- Erzähler auch als Vehikel für seinen Selbsthass und lässt Rosenberg über
      sen Tod zu zerstören. Wie gebannt schaut er ihn bis zum Ende und ist das filmische Schaffen eines gewissen Charlie Kaufman ätzen. Ein Begreifen
      immer euphorisierter. Doch als er das Werk für weitere Sichtungen nach gibt es in „Ameisig“ nicht. Mit fast 900 Seiten ist Kaufmans Debütroman
      New York überführen will, geht der Laster mit dem hochsensiblen mit all den aberwitzigen Exkursen, Referenzen und narrativen Brüchen ein
      Material in Flammen auf. Zudem erleidet Rosenberg bei seinem nahezu unendlicher Spaß. Den alten weißen Männern, dem Problem der
      Rettungsversuch heftige Brandverletzungen und fällt in ein mehrmonati- kulturellen Aneignung und den vielen Fragen der Identitätspolitik kann der
      ges Koma. So ist nicht nur das vermeintliche Meisterwerk verloren, son- Roman mit neuen Antworten nicht beikommen – wohl aber mit neuen
      dern auch Rosenbergs Erinnerung an den Inhalt.                                 Perspektiven aus den absurdesten Blickwinkeln. Zwischen Selbsthass und
                                                                                     Kulturkritik verliert sich der Roman analog zum Hauptplot in erkenntnis-
      Soweit der zentrale Plot, der nicht nur von dem unfassbar geschwätzigen reicher Uneindeutigkeit. Was nicht schlimm ist, denn am Ende kann uns ja
      Protagonisten immer wieder mit seitenlangen und oft brüllend komischen immer noch die Apokalypse retten.                                   Carsten Schrader

      18 | kulturnews
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