PROSA - Product Sustainability Assessment - Leitfaden PROSAplus - Öko-Institut
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
PROSA – Product Sustainability Assessment Leitfaden PROSAplus Herausgeber Öko-Institut e.V. – Institut für angewandte Ökologie Postfach 500240 D - 79028 Freiburg Tel.: 0049 - 761 - 45295-0 E-Mail: info@oeko.de Gestaltung www.oeko.de Tobias Binnig – gestalter.de www.prosa.org Dieser Leitfaden ist auch in englischer Sprache Autoren verfügbar. This guide is also available in English. Martin Möller Florian Antony Rainer Grießhammer Bildnachweis Jens Gröger Titel: Auto © Moose – stock.adobe.com (S. 16), Rasmus Prieß Fernseher © 4th Life Photography – stock.adobe. com, S. 15 © Luftbildfotograf – stock.adobe.com, S.23 © TIMDAVIDCOLLECTION – stock.adobe. com, S. 26 © chattrakarn – stock.adobe.com, andere © privat oder Öko-Institut e.V. Die vorliegende Broschüre ist im Rahmen des Verbundforschungsvorhabens „SDG-Bewertung - Weiterentwicklung einer Nachhaltigkeitsbewertungsmethode auf Basis der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (Agenda 2030)“ entstanden. Das dieser Broschüre zugrunde liegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Förder schwerpunkt Sozialökologische Forschung unter dem Förderkennzeichen 01UT1901B gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren. Das Verbundvorhaben wurde durchgeführt vom ZNU-Zentrum für Nachhaltige Unternehmens führung der Universität Witten/Herdecke (Projektleitung) in Kooperation mit dem Öko-Institut e.V. Das Projektteam bestand aus Dr. Ulrike Eberle (Projektleitung), Julius Wenzig, Dirk Pieper (alle ZNU) und Martin Möller (stv. Projektleitung), Rasmus Prieß, Jens Gröger, Dr. Florian Antony (alle Öko-Institut) und Prof. Dr. Rainer Grießhammer. 2
1 PROSA im Überblick 4 2 Pfadfinder 6 3 Die Ökobilanz als Ur-Methode 8 3.1 V ergleich von Elektro-Pkw mit Benzin- und Diesel-Pkw 8 3.2 B ewertungsmodelle zur Gesamtumweltbelastung 11 3.3 Product Environmental Footprint (PEF) und Aggregationsmodell 12 4 Lebenszykluskostenrechnung 14 5 Ökoeffizienz-Analyse 17 6 Sozialbilanz 19 6.1 Soziale Indikatoren 20 6.2 Die Sozialbilanz bei PROSA 22 7 Benefit-Analyse 24 7.1 Gesellschaftlicher Nutzen („Public Value“) 26 7.2 Die Konsumforschung bei PROSA 29 8 Nachhaltigkeitskriterien auf Basis der Agenda 2030 30 PROSA – 9 Nachhaltigkeitsbewertung und Aggregation 34 Product 10 ProFitS 36 Sustainability 10.1 Die ProFitS-Software 36 Assessment 10.2 Dateneingabe 36 Leitfaden 11 Produktportfolio-Analyse 44 PROSAplus Anhang 48 Literatur und Webseite 54 3
1 PROSA im Überblick Neue Herausforderungen PROSA (Product Sustainability Assessment) Die strategische Produktportfoliopla- nung und die Produktentwicklung und ist eine Methode zur strategischen Analy- -vermarktung sind komplizierter gewor- se und Bewertung von Produktportfolios, den. Digitalisierung, gezielte Transfor- Produkten und Dienstleistungen. Das mationen wie die Energiewende, globale Ziel ist die Identifizierung von System- Märkte mit unterschiedlichen Kulturen Innovationen und Handlungsoptionen und die schnell wechselnden Einstellun- in Richtung einer nachhaltigen Entwick- gen der Konsument*innen erfordern den lung. PROSA strukturiert die hierfür Einsatz integrierter, vorausschauender erforderlichen Entscheidungsprozesse Management-Methoden bei der Entwick- und reduziert Komplexizität auf das lung von Produkten und Dienstleistun- Wesentliche. gen. Dafür spricht auch der zunehmende Einfluss gesellschaftlicher Rahmenbe- Wichtige Anwendungsfelder sind dingungen, sei es durch gesetzliche die Strategieplanung und Forderungen wie die sozioökonomische Produktportfolio-Analyse in Nutzenanalyse im EU-Chemikaliengesetz Unternehmen, REACH und die integrierte Bewertungs- die Produkt-Entwicklung und -ver- methode MEEuP bei der Ökodesign- marktung, Richtlinie der EU. Darüber hinaus spielen die Produktpolitik und auch Marktelemente wie das Finanzra- Dialogprozesse, ting und freiwillige Vereinbarungen wie Nachhaltiger Konsum und die Unternehmensberichterstattung eine Produktinformationen. immer wichtigere Rolle, aber auch der kritische Blick von NGOs und Medien auf Aufgrund der offenen Struktur von PRO- die Sozialverträglichkeit der Produktion SA können damit auch Nachhaltigkeits- in Ländern des globalen Südens. Analysen auf anderen Ebenen durchge- führt werden, wie etwa zu Technologien Klar beschriebene und in der Praxis oder Unternehmen. erprobte Methoden für diese neuen Herausforderungen gibt es bislang nur PROSA bezieht die komplette Produktli- wenige. PROSA gehört dazu. Besonde- nie ein und analysiert und bewertet re Schwerpunkte liegen dabei auf der die ökologischen, ökonomischen und Analyse sozialer und gesellschaftlicher sozialen Chancen und Risiken zukünf- Aspekte, sowie auf dem Einbezug von tiger Entwicklungspfade. PROSA wird Nutzenaspekten und Konsumforschung. unter Beachtung von Zeit- und Kosten- Bei der Entwicklung der zugehörigen restriktionen prozessorientiert und Einzeltools wurde auf internationale iterativ durchgeführt. Dabei wird so Harmonisierung und Erfahrungsaus- weit wie möglich auf bereits etablierte tausch geachtet, beispielsweise mit der Einzel-Tools zurückgegriffen: Megatrend- SETAC zur Lebenszykluskostenrechnung Analyse, Ökobilanz (LCA), Lebenszy- (Life Cycle Costing), mit der UNEP-SETAC kluskostenrechnung (LCC), Sozialbilanz Life Cycle Initiative zur Sozialbilanz (engl. (SLCA), ergänzt um die vom Öko-Institut „Social LCA“) und mit Großunternehmen entwickelte Benefit-Analyse. Neu bei zur Anwendung in der Praxis. Im vor- PROSAplus ist die begründete und vorge- liegenden Leitfaden PROSAplus (Stand gebene Auswahl von Nachhaltigkeitsindi- Januar 2021) wird der weiterentwickelte katoren auf Basis der Agenda 2030. Stand der Methode PROSA beschrieben (Aktualisierung der Erstversion aus dem Die Grundstruktur von PROSA ist in der Jahr 2007). Abbildung 1 wiedergegeben. 4
Abb. 1 – Die Grundstruktur von PROSA Bewertungsmodell ProFitS Kern-Tools Sozialbilanz (SLCA) Lebenszyklus-Kosten (LCC) Ökobilanz (LCA) Megatrend-Analyse Benefit-Analyse (BA) Zieldefinition Analyse Markt & Umfeld Ideenfindung Nachhaltigkeitsbewertung Strategie-Entwicklung auf Basis Agenda 2030 Entwicklungsphasen Der zeitliche Ablauf orientiert sich an den typischen Phasen von Strategiefindungsprozessen. Die Durchführung von PROSA wird mit dem sogenannten Pfadfinder strukturiert. PROSA ist bewertungsoffen und legt be- Nachfolgend wird die Anwendung von sonderes Gewicht auf den Bewertungs- PROSA dargestellt und an Fallbeispielen prozess und die Bewertungsmodelle. erläutert. BeneGrade Bestehende normative Unterschiede und Konflikte zwischen einzelnen Akteuren, PROSAplus bietet als Weiterentwicklung SocioGrade Kulturen und (Welt)-Regionen, sowie sich der PROSA-Methode in der Anwendung verändernde gesellschaftliche Wertmaß- Lifecycle-Costs eine Reihe von Vorteilen, denn das In- stäbe werden genauso deutlich heraus- Eco-Efficiency strument gearbeitet wieEcoGrade mögliche gemeinsame wirkt als strategischer Radar für Innovationsansätze. Die bei der internen Chancen und Risiken, unternehmerischen Produktentwicklung identifiziert Zukunftsmärkte und ProfitS oder bei der Produktpolitik und Dialog- neue Konsumentenbedürfnisse, prozessen auftretenden Interessensge- berücksichtigt aktuelle und künftige gensätze und Entscheidungssituationen gesellschaftliche Rahmenbedingungen können mit PROSA zielorientiert mode- hilft Fehlinvestitionen zu vermeiden, riert werden. inspiriert durch die Ansichten und Werthaltungen unterschiedlicher Die folgenden Elemente werden bei Akteure, Regionen und Kulturen, PROSA als verbindlich gesehen: zeigt und reduziert Komplexität auf die Fokussierung auf System- das Wesentliche und setzt klare Innovationen, Prioritäten. Systemebenen die klare Prozessführung („Pfadfinder“), Rohstoffe & Vorketten die Nutzen-Analyse, der Einbezug der kompletten Produktion e lini Produktlinie, Handel t die Analyse von Nachhaltigkeits- duk aspekten auf Basis der Agenda 2030. Anwendung Pro Gesellschaft 5
2 Pfadfinder Produkt-Nachhaltigkeits-Analysen stellen und die Bewertungssoftware ProFitS eine große Herausforderung dar. Die- (Products-Fit-to-Sustainability). se wird dann erfolgreich und effizient gemeistert, wenn die Bearbeitung und Prozessorientiert und iterativ die Entscheidungsfindung klar und be- Je nach Kontext können bestimmte Tools gründet strukturiert werden. Bei PROSA eine größere oder geringere Bedeutung erfolgt dies mit einem speziellen Prozess- bekommen oder sich als nicht relevant Tool – dem Pfadfinder. Der Pfadfinder erweisen. Umgekehrt können im Be- beschreibt die Durchführung von PROSA darfsfall auch andere Tools problemlos - den zeitlichen Ablauf, die Auswahl der ergänzt werden - ein „Joker“ dient hier (Kern-)Tools und stellt Hilfsmittel wie als Platzhalter für solche spezielle Tools. etwa eine Software sowie Indikatoren- Beispiele für solche spezielle Tools sind Listen, Grafik-Routinen und Bewertungs- Sicherheitsanalysen bei störfallrelevan- ten Anlagen, (öko-) toxikologisches Risk modelle bereit. Assessment, Lärmgutachten, Investiti- onsrechnungen etc. Mit PROSA wird die Der Pfadfinder beschreibt die idealty- Auswahl und die Bearbeitungstiefe der pische Durchführung von PROSA (vgl. jeweiligen Tools und Indikatoren begrün- Abbildung rechts). Bei der Anwendung det und eine Integration der unterschied- im Unternehmen können andere unter- lichen Ergebnisse gewährleistet. nehmensspezifischen Management-Tools, Checklisten oder Bewertungsmodelle Die Zuordnung von Einzelschritten und meist ohne Weiteres übernommen wer- Tools zu den einzelnen Phasen ist als den. Für die Durchführung oder Beglei- Empfehlung zu sehen. Je nach Kontext tung von PROSA sollte im Unternehmen werden die einzelnen Schritte in un- ein Strategieteam gebildet werden. terschiedlicher Tiefe durchgeführt. Die Kern-Tools können auch anderen oder Der zeitliche Ablauf orientiert sich an mehreren Ablauf-Phasen zugeordnet den typischen Phasen von Strategiefin- werden. Beispielsweise findet die Be- dungsprozessen: Zieldefinition, Analyse wertung zwar in der letzten Phase statt, von Markt- und Umfeldfaktoren, Ideen aber es gibt bereits in den ersten Pha- findung, Bewertung und Strategiefin- sen wesentliche Vor-Bewertungen – bei dung. PROSA wird dabei prozessorien- der Zielfestlegung, bei der Auswahl der tiert und iterativ durchgeführt: Erste Akteure, bei der Priorisierung von Ideen orientierende Analysen werden später und bei der Auswahl von Indikatoren. vertieft, neue Ideen oder unerwartete Er- Abweichungen vom empfohlenen bzw. gebnisse können zu einer Änderung bzw. geplanten Vorgehen sind natürlich mög- Überarbeitung der ersten Phasen führen. lich, sie sollten aber klar abgeleitet und begründet werden. Kerntools und neue Tools Die Arbeiten in den einzelnen Phasen Die folgenden Tools und die Auswahl werden mit Kern-Tools unterstützt. Dabei von Indikatoren werden in den nächs- ten Kapiteln ausführlich vorgestellt und greift PROSA auf einen Satz bereits an Fallbeispielen erläutert: Ökobilanz, etablierter Einzel-Instrumente zurück. Lebenszykluskostenrechnung, Ökoef- Diese Instrumente sind überwiegend fizienz-Analyse, die Sozialbilanz, die gängige und ausgearbeitete Tools, die in Benefit-Analyse, Auswahl der Nachhal- den meisten großen Unternehmen und tigkeitsindikatoren auf Basis der Agenda der Produktpolitik bereits üblicherweise 2030, Bewertung und Aggregation und eingesetzt werden, zum Beispiel Mega das Gesamtbewertungsmodell und die trendanalysen, Ökobilanzen oder Lebens- Software ProFitS. Die Produktportfolio- zykluskostenrechnungen. Neu entwickelt Nachhaltigkeits-Analyse wird am Ende wurden für PROSA die Kern-Tools Sozial- dieser Broschüre vorgestellt, da sie einen bilanz (zusammen mit der UNEP-SETAC speziellen Anwendungsfall von PROSA in Life Cycle Initiative), die Benefit-Analyse Unternehmen darstellt. Falls eine solche 6
Produktportfolio-Analyse durchgeführt Checkliste „Akteure“ wird, steht diese natürlich am Anfang Checkliste „Einbezug von Stakehol- der Untersuchung. dern Checkliste “Chancen und Risiken von Im Anhang zu dieser Broschüre werden Akteur-Kooperationen“ zur Durchführung von PROSA verschie- Checkliste Integration der Teil-Metho- dene Checklisten und Übersichten als den in PROSA Hilfsmittel bereitgestellt. Sie können – Liste von Sozialindikatoren bei Vorhandensein – ohne weiteres durch andere unternehmensspezifische Check- listen ersetzt werden. Abb. 2 – Zeitlicher Ablauf von PROSA und Aufgabenstellung in den Phasen Phase Aufgabenstellung und Ergebnis der Phase Tools und Hilfsmittel Konkretisierung der Aufgabenstellung und der Kapazi- täten (personell und finanziell) sowie Terminvorgabe Durchführung einer internen und externen Akteurs Checklisten zu Zielsetzung analyse und Klärung des Einbezugs von internen und Akteurs-Analyse externen Akteuren (Unternehmen, Stakeholdern) Stakeholder-Einbezug Akteurs-Kooperation Auswahl prioritärer Produktfelder Produktportfolio-Analyse Umfassende Beschreibung des Produkts und seines Umfelds (Gesellschaft, Markt, Technologie, Land oder Markt- und Region etc.), ggfs. Zusammenfassung denkbarer Ent- Umfeld-Analyse wicklungen in konsistenten Szenarien Sammlung von Visionen, Ideen, Produkt- oder System- Alternativen. Priorisierung für die Analyse-Phase Übernahme der produkt- und unternehmensbezo- Indikatoren-Liste Ideenfindung genen Nachhaltigkeitsindikatoren und der Nutzenindi- katoren der Agenda 2030 Ggfs. Erweiterung um detailliertere Indikatoren Vertiefte Nachhaltigkeits-Analyse Checkliste Integration Analyse ökologischer Aspekte entlang der Produktlinie Ökobilanz (LCA) Analyse ökonomischer Aspekte entlang der Produktli- Lebenszykluskosten- nie Analyse (LCC) Analyse sozialer und gesellschaftlicher Einflußfaktoren Sozialbilanz (SLCA) Nachhaltig- entlang der Produktlinie keits-Analyse Identifizierung von Konsumenten-Gruppen und ihrer Konsumforschung Bedürfnis- und Nutzenansprüche Benefit-Analyse Bei Bedarf Analyse weiterer oder anderer Aspekte Joker mit speziellen Tools wie Sicherheitsanalysen, Toxikolo- gische Analyse, Investitionsrechnung o.ä („Joker“ als Platzhalter für solche Tools) Ableitung von Entwicklungspfaden und konkreter Bewertungs-Modell strategischer Handlungs- oder Produkt-Optionen und - ProFitS (Products-fit-to- anschließende Bewertung. Sustainability) Bestandteil der Bewertung sind eine Nutzen-Nach- und Teil-Bewertungs- Strategie- haltigkeits-Abwägung und die Prüfung, ob Mindest- modelle für einzelne Planung kriterien der Nachhaltigkeit eingehalten werden. Die Dimensionen Handlungsoptionen können sich auch auf die Kommu- nikation oder die Reorganisation des Unternehmens beziehen. 7
3 Die Ökobilanz als Ur-Methode Die Durchführung von Ökobilanzen ist sichtigt bzw. ausgeschöpft sind, und der in den ISO-Normen 14040 und 14044 Kauf eines eigenen Autos als notwendig detailliert beschrieben und seit langem angesehen wird. eine etablierte Methode. Sie wird in vielen Unternehmen für die Produktent- Folgende Alternativen wurden in den wicklung eingesetzt, in der Politik bei Vergleich nicht einbezogen: einigen produktbezogenen Gesetzen Plug-In-Hybridfahrzeuge, weil diese (z.B. bei der Ökodesignrichtlinie und dem überwiegend wie klassische Autos Verpackungsgesetz), sowie zur Verbrau- gefahren werden, also mit einem cherinformation und für Produktlabel. hohen Anteil an benzin- oder diesel- Die Grundstruktur der Ökobilanz umfasst betriebenen Fahrstrecken, dies vor vier Phasen (Festlegung des Ziels und des allem als Dienstwagen, aber auch bei Untersuchungsrahmens, Sachanalyse, Privatwagen; Wirkungsabschätzung sowie die Aus- Brennstoffzellenautos, weil diese nur wertung; siehe ISO 14040). Die grund- bei häufigen Langstreckenfahrten sätzliche methodische Vorgehensweise Vorteile haben und sowieso kaum bei der Ökobilanz wird bei den weiteren Fahrzeuge am Markt verfügbar sind; Kern-Tools von PROSA (Lebenszykluskos- Benzin- oder Diesel-Autos mit der tenrechnung und Sozialbilanz) sowie der Nutzung von „CO2-neutralen“ Power- integrierten Produkt-Nachhaltigkeitsana- to-X-Treibstoffen, weil diese Kombi- lyse soweit möglich direkt, sonst sinnge- nation im Vergleich zu batterieelekt- mäß übernommen. rischen Pkw einen sehr hohen Bedarf an erneuerbarem Strom hat. Hinzu Auf die methodische Beschreibung der kommt, dass die CO2-Emissionen Ökobilanz kann an dieser Stelle aufgrund sogar noch höher als bei (fossilem) der bestehenden Normen verzichtet Diesel oder Benzin liegen können, werden. Eine besondere Herausforde- wenn der Strom nicht aus zusätzli- rung stellen prospektive Ökobilanzen chen erneuerbaren Quellen stammt. dar, weil hier mit mehr und unsichereren Annahmen gearbeitet werden muss. Am Für den Vergleich gelten folgende Rah- nachstehenden Vergleich von Elektro- menbedingungen: Bilanzierungsort (für autos mit Benzin- und Diesel-Autos wird die Nutzungsphase) ist Deutschland, die einerseits die Leistungsfähigkeit der Produktion ist global verteilt. Bei der Ökobilanz-Methode gezeigt, andererseits Stromversorgung in der Nutzungsphase die hohe Bedeutung von gut fundierten wird der deutsche Strommix angesetzt. Annahmen und Daten sowie von Sensiti- Es wird davon ausgegangen, dass bei vitätsrechnungen unterstrichen. der Produktion von Strom zunehmend erneuerbare Energien eingesetzt werden (Steigerung des Anteils auf 65% bis 2030 3.1 V ergleich von Elektro-Pkw mit entsprechend des Klimaschutzprogramms Benzin- und Diesel-Pkw der deutschen Bundesregierung). Weiter wird angenommen, dass das Netz von Ziel dieser Ökobilanz ist der klimaschutz- Elektroladestationen in den nächsten bezogene Vergleich der klassischen Ben- Jahren ausreichend ausgebaut wird. Der zin- und Diesel-Autos mit batterieelek- Bau des Netzes und der (frühere) Bau des trisch betriebenen Autos (nachfolgend derzeitigen Tankstellennetzes werden kurz: Elektroautos), jeweils bezogen nicht bilanziert (Abschneidekriterium). auf Neuwagen. Die Ergebnisse dienen als Grundlage für produkt- und mobi- Angesichts weit über tausend verschie- litätsbezogene Entscheidungen sowie dener Automodelle erfolgt der Vergleich für Verbraucherentscheidungen. Dabei an einem Fallbespiel, und zwar an dem wird davon ausgegangen, dass alterna- am häufigsten verkauften Automodell in tive Mobilitätsformen (Fernbahn, ÖPNV, Deutschland: dem VW-Golf. Bei den Elek- 8 Radverkehr, Carsharing) bereits berück- tro-PKW ist dem Golf am ähnlichsten der
VW ID.3 Pro Performance (Elektro-Pkw rumpf hat den größten Anteil an den mit 58 kWh-Akku). Die wiederum dem Treibhausgasemissionen der Herstellung, ID.3 am ähnlichsten Diesel- und Benzin- ausgedrückt in CO2-Äquivalente bzw. Varianten sind der VW Golf 1.5eTSI Life CO2e. Bei Diesel- und Benzin-Pkw kom- DSG (Benzin-Pkw) und der VW Golf 2.0 men bei der Bilanzierung zum Fahrzeu- TDI SCR Life. grumpf folgende Teile dazu: Verbren- nungsmotor, Getriebe, Zusatzbauteile Auf die unterschiedlichen Nutzenaspekte (z. B. Tank), Abgasanlage und Starter- wird in Kap. 7 (Benefit-Analyse) einge- batterie. Beim Elektro-Pkw kommen gangen. Beim ID.3 wurde die Variante stattdessen folgende Teile dazu: Elektro- mit einer höheren Batteriekapazität ge- motor, (kleineres) Getriebe, verschiede- wählt (also 58 kWh-Akku), weil diese mit ne Zusatzbauteile für den elektrischen einer größeren Reichweite verbunden ist Antriebsstrang (z. B. Hochvoltkabel, und zunehmend nachgefragt wird. Ladeelektronik, Inverter/Konverter) und vor allem ein großer Akku (beim ID.3 ein Bei der Bilanzierung der Herstellung Lithium-Ionen-Akku, dessen Herstellung und des Recyclings der Pkw kann beim besonders viele Treibhausgasemissionen „Fahrzeugrumpf“ auf vorliegende und verursacht (siehe Abb. 3). Das Recycling allgemein anerkannte Ökobilanzdaten ist beim ID.3 etwas aufwendiger als beim zurückgegriffen werden. Der Fahrzeug Diesel- bzw. Benzin-Golf. Abb. 3 – Treibhausgasemissionen der Fahrzeugherstellung und Entsorgung im Vergleich 14.257 14.000 839 12.000 THG-Emissionen in kg CO2e 10.000 6.148 7.609 7.425 8.000 694 694 1.863 1.508 1.324 6.000 Entsorgung/ Recycling 4.000 Batterie 5.407 5.407 5.407 2.000 Antrieb (Motor) 0 Rumpf ID.3 Benzin-Golf Diesel-Golf Eigene Berechnungen nach Agora und IFEU 9
Die Herstellung des ID.3s ist vor allem zeiterfahrung). Carsharing-Autos und durch die Batterie deutlich CO2-intensiver Taxis haben viel höhere jährliche Jahres- (rund 100 kg CO2e pro kWh Batterieka- fahrleistungen – bis zu 70.000 Kilometer. pazität). Die Daten zur Herstellung der Batterie differieren erheblich, und es Bei den Verbrauchswerten von Strom, liegen aktuell (Stand 2020) nur wenige Diesel und Benzin pro 100 km werden belastbare Primärdaten vor. Dafür gibt die von den Herstellern angegebenen es mehrere Gründe: Die Batterieentwick- Standardwerte nach WLTP-Test zugrunde lung ist vergleichsweise neu, Hersteller gelegt (die realen Werte liegen höher). konkurrieren mit unterschiedlichen Während die CO2e-Emissionen bei Benzin Batteriesystemen, die Produktionsdaten und Diesel in erster Näherung auch pers- sind daher zum Teil geheim, und durch pektivisch konstant sind, kann man beim die dynamische technische Entwicklung Strom sehr unterschiedliche, zeitbezoge- und Upscaling sinken die CO2e-Emissio- ne Annahmen treffen: nen pro kWh Batteriekapazität. Bei der aktueller Haushaltsstrom-Mix (Strom- Produktion der Batterie wird viel Strom mix des Jahres 2020); eingesetzt, so dass die Gesamtemissionen Durchschnitt über den Nutzungszeit- der Batterieherstellung auch noch deut- raum (wie angenommen) und damit lich vom Strommix des Herstellerlands des durchschnittlichen Strommixes abhängen. in den nächsten zwölf Jahren (weil gemäß Planung der Bundesregierung In einer von Agora Verkehrswende durch den Anstieg der Erneuerbaren durchgeführten Metastudie wurden 23 Energien die CO2e-Emissionen pro Studien zur Batterieherstellung ausge- kWh jedes Jahr sinken); wertet. Die Angaben zu den CO2e-Emis- Annahme, dass die Elektroautos über- sionen pro Batteriekapazität hatten eine wiegend an privaten oder gewerbli- Spannbreite von etwa 40 – 270 kg/CO2e. chen Photovoltaik-Anlagen geladen Der Schnitt der zehn neueren Studien (ab werden (mit sehr niedrigen CO2e- 2016) lag bei rund 130 kWh. Agora Ver- Emissionen); kehrswende nahm nach einer detaillier- Annahme, dass die Elektroautos über- ten Auswertung einen Durchschnittswert wiegend nachts geladen werden (mit von rund 145 kg CO2e/kWh an. In einer einem dann höheren Anteil an Koh- aktuelleren schwedischen Studie wurde lestrom und entsprechend deutlich eine Spannbreite von 61 – 106 kg CO2e/ höheren CO2e-Emissionen pro kWh). kWh referiert (Emilsson&Dahllöf 2019). Nachfolgend wird hier der höhere Bei einer kompletten Ökobilanz werden Wert der schwedischen Studie mit üblicherweise bis zu 16 Wirkungskate- 106 kg CO2e/kWh zugrunde gelegt. Bei gorien analysiert. Da bei der Zielsetzung der Produktion einer 58 kWh-Batterie der hier dargestellten Ökobilanz nur die entspricht dies 6.148 kg CO2e/kWh, bei Klimarelevanz analysiert werden soll, einer kleinerer 35 kWh-Batterie nur 3.710 beschränkt sich der Vergleich hier auf kg CO2e/kWh. die Treibhausgasemissionen entlang des Lebenszyklus (Rohstoffe, Produktion der Für die Nutzungsphase wird als funk- Pkw, Produktion von Strom bzw. Diesel tionelle Einheit eine Haltezeit von 12 und Benzin, Nutzung und Recycling und Jahren und eine Gesamtfahrleistung von Entsorgung des Autos). 180.000 Kilometern bzw. 15.000 Kilome- ter pro Jahr gewählt. Diese Annahme Die Sachbilanz (Tab. 1) zeigt, dass bei zur jährlichen Fahrleistung bei privaten den beschriebenen Annahmen der ID.3 Haltern ist ein Kompromiss: Benzin-Pkw insgesamt deutlich geringere CO2e- fahren im Schnitt etwa 10.400 Kilometer; Emissionen verursacht als die Diesel- bzw. Diesel-Pkw dagegen etwa 17.400 Kilome- Benzin-Pkw. Die vor allem durch die ter; Elektroautos etwa 11.500 Kilometer Batterieproduktion beim ID.3 beding- 10 (hier gibt es natürlich noch keine Lang- ten höheren CO2e-Emissionen bei der
Fahrzeugherstellung werden nach rund Lärmwerte in der Stadt (bei höheren 80.000 Kilometern Fahrleistung kompen- Geschwindigkeiten dominiert bei allen siert (bei der kleineren 35-kWh-Batterie Pkw das Reifengeräusch) und dass es in- bereits bei rund 60.000 Kilometern). nerstädtisch keine Schadstoffemissionen Weitere hier nicht erfasste Vorteile gibt (mit Ausnahme des bei allen Pkw des ID.3s sind die deutlich geringeren üblichen Reifenabriebs). Tab. 1 – Vergleich Treibhausgasemissionen bei Produktion und Nutzung ID.3 Pro Performance Benzin-Golf Diesel-Golf 150 kW (58 kWh- VW Golf 1.5 eTSI Life Golf VIII 2.0 TDI SCR Akku) DSG Life DSG Emissionen (kg CO2e) pro 180.000 km und 12 Jahre Fahrzeugherstellung & Entsorgung (kg CO2e) 14.257 7.609 7.425 Herstellung & Nutzung von Strom/Diesel/Benzin 12.640 28.728 24.536 Summe 26.897 36.337 31.961 Annahmen Verbrauch/WLTP in kWh/100 km (incl. Ladeverluste) bzw. in Liter/100 km 15,4 5,7 4,3 Treibhausgasemissionen pro kWh (Schnitt der Jah- re 2020 - 2031) bzw. pro Liter (nach DIN 16.258) 0,456 2,8 3,17 Mit Sensitivitätsanalysen kann man un- Die Sensitivitätsanalysen zeigen auch, tersuchen, wie stark sich andere Annah- wie der Ersatz eines Elektroautos aus men auswirken würden. Aus Platzgrün- Umweltsicht optimiert werden kann: den wird dies nachfolgend nur qualitativ möglichst kleines Auto, möglichst kleine dargestellt: Batterie, möglichst oft tagsüber und möglichst an einer eigenen PV-Anlage Der Vergleich verschiebt sich unter fol- laden. genden Annahmen teilweise oder ganz in Richtung Diesel/Benzin-Golf: Betrachtung nur der Produktion, 3.2 Bewertungsmodelle zur Annahme größerer Batterien (und Gesamtumweltbelastung größerer Autos), deutlich höhere Werte für die Batte- Bei der Ökobilanz nach DIN EN ISO rieherstellung, 14040 und DIN EN ISO 14044 werden die nur eine kleine Gesamtfahrleistung einzelnen Ressourcenverbräuche (z.B. bzw. nur Betrachtung der ersten Jah- Energieträger, Mineralien oder Wasser) re nach Kauf (z.B. 3-5 Jahre), und Umweltbelastungen in Wirkungska- Laden der Elektroautos nur oder tegorien (Treibhaus-, Versauerungs-, Eu- überwiegend nachts. trophierungspotenzial etc.) erhoben und bezogen auf eine funktionelle Einheit Der ID.3 schneidet unter folgenden An- als Sachbilanz-Daten (engl. „inventory nahmen noch besser ab: results“) ausgewiesen. Danach erfolgt die Einsatz einer kleineren Batterie, Wirkungsabschätzung (engl. „impact as- noch höhere Fahrleistung, sessment“) als Beurteilung in Hinblick auf Laden überwiegend tagsüber, potenzielle Umweltauswirkungen. Ein- und sehr deutlich: beim überwiegen- zelne Sachbilanz-Ergebnisse (z.B. Emissi- den Laden an der (eigenen) PV-Anla- onen von CO2 und von Methan) werden ge. klassifiziert und Wirkungskategorien 11
zugeordnet (z.B. Treibhauseffekt) und Zahlreiche Unternehmen haben zumin- gemäß ihrem spezifischen Beitrag pro Ki- dest intern ihre „eigenen“ Umweltbe- logramm charakterisiert bzw. gewichtet wertungsmodelle, nur wenige, wie etwa (z.B. zu kg CO2-Äquivalenten). Nach der die BASF mit ihrer Ökoeffizienz-Analyse ISO-Norm erfolgt dann die Auswertung (Saling 2016), veröffentlichen ihren Be- (engl. „interpretation“) als Beurteilung wertungsansatz. Das von der EU-Kommis- der Wirkungsabschätzung im Hinblick sion im Rahmen ihrer „Product Environ- auf Ziel und Untersuchungsrahmen. Dazu mental Footprint“-Strategie vorgelegte können (nach der ISO-Norm optional) PEF-Aggregationsmodell bietet dage- weitere Teilschritte erfolgen – eine Nor- gen die Chance für eine übergreifende mierung auf vergleichbare Größen (z.B. einheitliche Bewertung. Bei PROSA wird auf die nationalen Emissionen oder ge- deshalb empfohlen, dieses Aggregations- setzlich zugelassene Emissionsmengen), modell zu nutzen. Ein anderes Bewer- ähnliche Wirkungen können gruppiert tungsmodell kann verwendet werden, werden (engl. „grouping“) oder in ihrer das PEF-Aggregationsmodell sollte dann Bedeutung bzw. Gewicht eingeschätzt allerdings als eine Sensitivitätsanalyse werden (engl. „weighting“). ergänzt werden. Eine Aggregation ist nach DIN EN ISO 14040 dann nicht zulässig, wenn ein Ver- 3.3 Product Environmental gleich von verschiedenen Produkt-Alter- Footprint (PEF) und nativen vorgesehen ist und veröffentlicht Aggregationsmodell werden soll. Dieser Normenbestandteil ist wenig praxisgerecht, in der Praxis Die Europäische Kommission veröffent- muss die Aggregation zur Gesamtum- lichte 2013 die produktbezogene Strate- weltbelastung dann formal außerhalb gie „Product Environmental Footprint“ der Ökobilanz stattfinden, wenn man (PEF). Die ökobilanzielle Analyse und normgerecht arbeiten will. Bewertung von Produkten soll damit soweit wie möglich vereinheitlicht wer- In der Praxis wird oft mit Aggrega- den. Hintergrund waren die sehr unter- tionen gearbeitet, vor allem wenn schiedlichen und schwer vergleichbaren mehrere Produkte oder Alternativen Ergebnisse von Ökobilanzen zu einzelnen verglichen werden. Aus Gründen der Produkten, die durch die vergleichsweise Praktikabilität und der Integration zu offene ISO-Norm möglich waren. Die EU- einer Gesamtbewertung bietet es sich Kommission strebt dagegen nach dem hier an, mit Bewertungsmodellen zu Prinzip „Vergleichbarkeit vor Flexibilität“ arbeiten, die eine Aggregation zu einer und mit der Erstellung produktgruppen- Gesamtumweltbelastung ermöglichen. spezifischer Regeln (Product Environmen- Ein Gesamtumweltindikator ist jedoch tal Footprint Category Rules – PEFCRs) insbesondere dann erforderlich, wenn eine bessere Nutzung für Planung und eine Ökoeffizienzanalyse durchgeführt Gesetzgebung an. Beispielsweise sollten werden soll (siehe S. 17) oder im Rahmen dadurch produktgruppenspezifisch die einer Nachhaltigkeitsbewertung auch jeweils relevantesten Lebenszykluspha- noch eine größere Anzahl ökonomischer sen, Prozesse und Umweltwirkungen und sozialer Aspekte betrachtet werden. identifiziert werden. Die Ergebnisse der Auch wenn eine Gesamtaggregation Wirkungsabschätzung werden dann auf durchgeführt wird, sollte ein Rückgriff Basis eines über alle Produktgruppen hin- auf die Basisdaten der Ergebnisse der weg einheitlichen Modells aggregiert. Wirkungsabschätzung zu den einzelnen Umweltbelastungen aus Gründen der Nach einer langen Pilotphase (2013- Transparenz und Nachvollziehbarkeit 2018) wurden die Erfahrungen und der aber immer gewährleistet sein. Weiterentwicklungsbedarf in einem „Working Document“ zusammengefasst 12 (Zampori und Pant 2019). Neben einer
Vielzahl von methodischen und prozesso- Außerdem wird bei der Bewertung auch rientierten Erörterungen waren vor allem die Robustheit der Abschätzung von die Passagen zur Bewertung relevant. Für Umweltwirkungen (Datenqualität und die ausgewählten 16 Wirkungskategori- Unsicherheit) einbezogen. Die Ergeb- en wurden Bewertungsmethoden (engl. nisse der einzelnen Wirkungskatego- „impact assessment“) sowie Gewichtun- rien werden mit den entsprechenden gen zwischen den Wirkungskategorien Gewichtungsfaktoren multipliziert und und die Aggregation zu einem Single anschließend ohne weitere Gewichtung Score vorgegeben. Der Bewertungspro- im Verhältnis 1:1 addiert. Auf Basis zess ist ausführlich bei Sala et. al. 2018 der von Gesellschaft und Wissenschaft beschrieben. gesetzten Priorisierung bildet das PEF- Aggregationsmodell die gesellschaftliche Beim PEF-Aggregationsmodell werden Bewertung der Relevanz verschiedener die Sachbilanzdaten mit einem Satz Umweltprobleme ab. Je größer der (nu- vorgegebener Methoden zur Wirkungs- merische) Gesamtwert, desto größer ist abschätzung bewertet (Sala et al. 2018, die Umweltbelastung. S. 9f.). Die anschließende Normierung erfolgt in Bezug auf globale Pro-Kopf- Die Gemeinsame Forschungsstelle (JRC) Werte. Die eigentliche Gewichtung der EU empfiehlt aufgrund der beste- verschiedener Umweltwirkungskategori- henden Schwächen bei Datenqualität en erfolgt auf Basis eines kombinierten und Unsicherheit bei der Gewichtung die Modells, bei dem Experteneinschätzun- toxizitätsbezogenen Wirkungskategorien gen und die gesellschaftliche Wahrneh- derzeit noch nicht in die PEF-Berechnung mung des jeweiligen Umweltproblems einzubeziehen (Tab. 2). zusammenfassend betrachtet wurden. Tab. 2 – Empfohlenes PEF-Bewertungsmodell (ohne toxizitätsbezogene Wirkungskatego- rien) Aggregated Robustness Intermediate Final weighting factors weighting set factors Coefficients (incl. robustness) (A) (B) C=A*B C scaled to 100 Climate change 15,75 0,87 13,65 22,19 Ozone depletion 6,92 0,6 4,15 6,75 Particulate matter 6,77 0,87 5,87 9,54 Ionizing radiation, HH 7,07 0,47 3,3 5,37 Photochemical ozone formation, HH 5,88 0,53 3,14 5,1 Acidification 6,13 0,67 4,08 6,64 Eutrophication, terrestrial 3,61 0,67 2,4 3,91 Eutrophication, freshwater 3,88 0,47 1,81 2,95 Eutrophication, marine 3,59 0,53 1,92 3,12 Land use 11,1 0,47 5,18 8,42 Water use 11,89 0,47 5,55 9,03 Resource use, mineral and metals 8,28 0,6 4,97 8,08 Resource use, fossils 9,14 0,6 5,48 8,92 Quelle: Sala et al. 2018, S. 34 13
4 Lebenszykluskostenrechnung Mit der Lebenszykluskostenrechnung Festlegung des Ziels und des Untersu- (englisch: Life Cycle Costing, LCC) werden chungsrahmens, die relevanten Kosten ermittelt, die für Sachbilanz (Datensammlung zu den ein Produkt und die Alternativen ent- einzelnen Kosten), lang des Produktlebenszyklus für einen Kosteneinschätzung, oder mehrere Akteure entstehen. Für die Auswertung. Erstellung einer Lebenszykluskosten-Ana- lyse gibt es noch keine allgemeingültige Da die Kosten je nach Akteur unter- Norm, nur den DIN EN Entwurf 60300- schiedlich hoch sind, muss zu Beginn fest- 3-3: 2014-09 und Regeln zu einzelnen gelegt werden, für welche(n) Akteure die Anwendungen, beispielsweise die Tech- Lebenszykluskosten erfasst werden. Öko- nische Regel DIN SPEC 77234:2013-09: nomische Daten haben zwar den Vorteil, Leitlinien für die Bewertung von Lebens- dass es eine übereinstimmende ökonomi- zykluskosten in Produkt-Dienstleistungs- sche Einheit gibt (von unterschiedlichen systemen. Währungen einmal abgesehen). Dennoch muss bei der Auswertung darauf geach- Ökonomische Analysen gelten zwar all- tet werden, dass Kosten nicht immer ein- gemein als besonders exakt und objek- fach addiert werden können. So macht tiv, in der Praxis gibt es aber erhebliche es beispielsweise wenig Sinn, die Löhne Probleme durch die schlechte Datenver- in Ländern des globalen Südens und des fügbarkeit und durch unterschiedliche globalen Nordens einfach zusammenzu- Annahmen zu: Kostenarten (Vollkosten, zählen, ohne die jeweiligen Lebenshal- Teilkosten, Plan-Kosten, Ist-Kosten, zeit- tungskosten zu berücksichtigen. abhängige dynamische Kosten, scaling- abhängige Kosten), staatlich beeinflusste Wenn ein Vergleich mit Konkurrenzpro- Preise (Subventionen, Vorgabe von Recy- dukten durchgeführt und veröffentlicht clingquoten etc.), Annahme unterschied- wird, sollte die Lebenszykluskostenrech- licher Zinssätze oder Abschreibungsarten nung durch ein Critical Review begleitet etc. werden. Die LCC kann vergleichbar wie eine Entscheidungen und Modellierungen, die Ökobilanz in vier Teilen durchgeführt erfahrungsgemäß besonders zu beachten werden: sind, sind in der untenstehenden Check- liste (Abb. 4) zusammengefasst. Abb. 4 – Checkliste Lebenszykluskostenrechnung Besonders zu beachtende Punkte bei der Lebenszykluskostenrechnung 4 Festlegung des Akteurs, aus dessen Sicht die Kosten ermittelt werden 4 Festlegung von Ziel, Untersuchungsrahmen und funktioneller Einheit 4 Prospektiv oder retrospektiv 4 Vollkosten und/oder Teilkosten 4 Ist-Kosten und/oder Plankosten 4 dynamische und/oder statische Verfahren 4 Preise und/oder Kosten 4 Einbezug externer oder informeller Kosten 4 Einbezug von versteckten Kosten und möglichen Haftungsrisiken 4 Marktpreise, gesetzlich beeinflusste Preise (Subventionen etc.) 4 Steuern und Abgaben 4 Behandlung Diskontierung 4 Behandlung Abschreibung (linear, degressiv) 4 Behandlung unterschiedlicher Währungen 4 Behandlung unterschiedlicher Lebenshaltungskosten in verschiedenen Ländern 4 Normierung 4 Durchführung eines Critical Reviews bei öffentlicher Verwendung der LCC 14
Beispiel Lebenszykluskosten dreier Pkw Die zusätzlichen Kosten durch die CO2- Im Kapitel zu Ökobilanzen wurden drei Bepreisung wurden als Durchschnitt der Autos verglichen (das Elektroauto ID.3 fünf Jahre mit 0,076 € pro Liter Benzin mit dem Benzin-Golf und dem Diesel- und 0,085 € pro Liter Diesel berechnet Golf). Dabei zeigte sich, dass der ID.3 (die CO2-Bepreisung beginnt im Jahr aus CO2-Sicht im Vergleich am besten 2021 mit 25 € pro Tonne CO2 und erhöht abschneidet. Wie sieht das aber mit den sich in Stufen bis 45 € im Jahr 2024; zum Kosten aus? Die nachstehende Berech- durchschnittlichen CO2-Preis kommt die nung zeigt, dass es viele Einflussfaktoren Mehrwertsteuer dazu). Beim ID.3 wurde gibt und auch der zu berücksichtigende angenommen, dass er zu 85% zu Hause Zeitraum der Kostenentstehung das geladen wird und zu 15% an externen Ergebnis beeinflusst. Ladestationen schnellgeladen wird (mit doppeltem Preis von 63 Cent/kWh). Bei der Berechnung wurde ein Kosten- Für das Laden zu Hause wurden die vergleich des ADAC zugrundegelegt Kosten einer neu installierten Wallbox (ADAC 2020) und dieser um die für den angenommen (mit Kosten von 1.000 €; Zeitraum 2021 – 2024 geltende CO2-Be- Lebensdauer 10 Jahre, anteilig kalkuliert preisung von Benzin und Diesel ergänzt. für 5 Jahre). Weiter wurden die Treibstoffpreise modifiziert und die Preise zum Zeitpunkt Für die Finanzierung des relativ hohen der Erstellung der vorliegenden Bilanz Kaufpreises der drei Autos wurden vom (September 2020) zugrundegelegt. Für ADAC keine Darlehensaufnahmen bzw. den Vergleich wurden, soweit übertrag- Zinsen angenommen. bar, die gleichen Annahmen getroffen wie beim Ökobilanz-Vergleich (siehe Die Berechnung der Lebenszykluskosten S. 8ff), wie zum Beispiel die Größe der über die fünf Jahre Haltedauer ist in Batterie. Als Zeitraum wurden – wie bei Abb. 5 wiedergegeben. Der ID.3 schnei- der ADAC-Rechnung - die fünf Jahre det also auch aus finanzieller Sicht am 2020 – 2024 zugrundegelegt, also nicht günstigsten ab. wie bei der Ökobilanz ein Zeitraum von 12 Jahren. Der Grund hierfür ist, dass es für diesen längeren Zeitraum noch keine Erfahrungen über den Restwert von Elektroautos bzw. den ID.3 gibt. Der Wertverlust in den ersten fünf Jahren wurde vom ADAC vergleichbar wie bei dem Diesel- und Benziner-Pkw ange- nommen, allerdings wurde die staatliche Kaufprämie berücksichtigt. Darüberhin- aus wurden Elektroautos auch von der Kfz-Steuer befreit. Die Neupreise der drei Autos liegen bei 29.687 € (Benzin-Golf), 32.207 € (Disel- Golf) und 35.575 € (ID.3). Allerdings gibt es im Jahr 2020 eine staatliche Förderung von Elektroautos in Höhe von 6.000 €, kombiniert mit einem Rabatt durch die Hersteller in Höhe von 3.000 € plus MwSt., so dass der Gesamtzuschuss 9.570 € beträgt und der reduzierte Kaufpreis des ID.3 nur noch bei 26.005 € liegt. 15
Abb. 5 – Lebenszykluskosten (Haltedauer 5 Jahre, Fahrstrecke 75.000 km) 38.775 40.000 36.540 3.600 35.000 3.360 30.651 6.190 Werkstattkosten (In- 30.000 5.380 spektion, Wartung, 3.300 1.130 500 Ölwechsel, Repara- 1.343 1.650 Lebenszykluskosten in Euro turen, Reifenersatz 25.000 4.680 4.005 500 5.917 sonstige Fahrtko- 1.250 sten (Versicherung, 20.000 4.181 Parken, HU/AU) 15.000 Kfz-Steuer sonstige Betriebs- 22.200 10.000 20.040 kosten (Pflege, Ad-Blue) 16.740 5.000 Energiekosten Wertverlust 0 ID.3 Benzin-Golf Diesel-Golf Eigene Berechnungen nach Agora und IFEU Über den Kostenvergleich der drei Autos Die Kosten-Aufschlüsselung zeigt auch, hinaus lassen sich aus der Lebenszyklus- wieso ein Umstieg vom Autofahren zu kostenrechnung weitere interessante öffentlichen Verkehrsmitteln so schwer Schlüsse ziehen. Die Durchschnittsprei- ist. Wenn man ein Auto hält, liegen die se pro Kilometer liegen bei allen drei Anschaffungs- und Fixkosten schon bei Autos sehr hoch, am günstigsten ist noch über 70%, die variablen Kosten pro km der ID.3 (mit 41 Cent pro Kilometer), sind dagegen vergleichsweise niedrig. die Kosten des Benzin-Golfs (49 Cent/ km) und des Diesel-Golfs (52 Cent/km) liegen noch deutllich darüber. Die realen Kosten von „eigenen“ Autos werden von Verbraucher*innen meist deutlich unter- schätzt. Eine Kombination von Bahnfah- ren und Carsharing wäre deutlich güns- tiger. Meist schauen Verbraucher*innen nur auf die Treibstoffkosten (die an der Zapfsäule überdeutlich angezeigt werden) und beklagen etwaige Preisstei- gerungen beim Benzin oder Diesel. Die Treibstoffkosten machen aber nur einen kleinen Teil der durchschnittlichen Kos- ten aus: beim Diesel-Golf nur 10% und beim Benzin-Golf nur 16%; die Stromkos- ten des ID.3 liegen bei 14%. 16
5 Ökoeffizienz-Analyse Der bewertende Vergleich der ökologi- heiten) in Beziehung gesetzt. Je größer schen und ökonomischen Aspekte mit dieser Wert ist, umso ökoeffizienter ist Ökoeffizienz-Analysen bietet sich im die Alternative. Die Ergebnisse aus den Rahmen von PROSA, aber auch allgemein Teilstudien Ökobilanz und Lebenszyklus- dann an, wenn soziale Aspekte keine kostenrechnung sollten für die einzelnen große Rolle spielen oder entsprechende Alternativen numerisch und grafisch Daten schwer zu erheben sind. wiedergegeben werden. Der Begriff „Ökoeffizienz“ wird unter- Ökoeffizienz-Analyse bei PROSA schiedlich verwendet, beispielsweise für Die produktbezogene Ökoeffizienz-Ana- die Ökoeffizienz von Volkswirtschaften, lyse ist ein Bewertungs-Tool innerhalb von Unternehmen (z.B. beim Öko-Rating von PROSA. Mit ihr werden die Ergeb- von Unternehmen angewendet) oder nisse einer Ökobilanz und die Ergebnisse von Produkten und Dienstleistungen wie einer Lebenszykluskostenrechnung in bei PROSA. Beziehung gesetzt. Die Durchführung der Ökoeffizienzanalyse lehnt sich an Effizienz beschreibt generell das Verhält- die Norm DIN EN ISO 14045 an. Bei der nis von Ziel(wert) und Aufwand und darf Durchführung der Ökoeffizienz-Analyse nicht mit der Effektivität verwechselt muss auf vergleichbare Festlegungen werden, die das Maß der Zielreichung bei Untersuchungsziel, Bilanzrahmen, beschreibt (unabhängig vom Aufwand). funktionelle Einheit, Allokationen etc. Beim Management von Prozessen und in geachtet werden (vgl. auch Abbildung 26 der Politik werden in der Regel Effizienz im Anhang dieser Broschüre). und Effektivität parallel angestrebt – ein definiertes Ziel soll ganz oder möglichst weitgehend erreicht werden (Effekti- Fallbeispiel CO2-Effizienz vität) und dies mit möglichst geringem Wäschewaschen Aufwand (Effizienz). Im Rahmen der Produkt-Initiative Eco- Ökoeffizienzanalysen charakterisieren TopTen wurden bei der Produktgruppe das Verhältnis zwischen Zielerreichung Waschmaschinen untersucht (Rüdenauer (möglichst geringe Umweltbelastungen) und Grießhammer 2004), welchen Bei- und Mitteleinsatz (Kosten). Meist werden trag weitere Produkt-Innovationen und dabei nur Teilaspekte betrachtet, z.B. welchen Beitrag effizienteres Verhalten in Form von Energieeffizienz-Analysen, der Verbraucher*innen beim Waschen Material-Effizienz-Analysen, CO2-Effizi- (d.h. niedrigere Waschtemperaturen, enz-Analysen, etc. Umfassende Ökoeffi- optimale Beladung der Waschmaschine) zienz-Analysen sind methodisch deutlich liefern könnte. anspruchsvoller, weil hier vorab eine numerische Aggregation der verschie- Die funktionelle Einheit wurde definiert denen Umweltauswirkungen durchge- als „Waschen der jährlich anfallenden führt werden muss. Bei einem Vergleich Wäschemenge in einem durchschnittli- mehrerer Alternativen und Einbezug von chen privaten Haushalt“. Die Kosten wur- zahlreichen Umweltwirkungsindikato- den für einen privaten Haushalt berech- ren würde dies schnell unübersichtlich net (anteilige Anschaffungskosten der und eine integrierte Gesamtbewertung Waschmaschine, die Kosten für Wasser-, erschweren. Bei PROSAplus wird daher Strom- und Waschmittelverbrauch und eine Aggregation empfohlen, und zwar die Abwasserentsorgung. Folgende vier auf Basis der PEF-Aggregation der EU Alternativen wurden untersucht: (siehe S. 13). Alternative A: Preisgünstige Wasch- maschine und durchschnittliches Beim Vergleich zweier Alternativen wird Nutzerverhalten die Umweltentlastung mit den Mehr- Alternative B: Effizientere Wasch- kosten oder Einsparungen (in Geld-Ein- maschine (geringerer Wasser- und 17
Stromverbrauch, Mengenautomatik Die Ergebnisse sind in der Tabelle 3 und vorhanden) und durchschnittliches Abbildung 6 wiedergegeben. Nutzerverhalten Die Ergebnisse wurden zum besseren Alternative C: Preisgünstige Wasch- Vergleich zusätzlich normiert, d.h. dass maschine und optimiertes Nutzerver- die Treibhausgas-Emissionen auf die halten (optimierte Beladungsmenge Treibhausgasemissionen eines durch- und niedrigere Waschtemperaturen schnittlichen Haushalts und die Kosten als im Durchschnitt) auf die jährlichen Konsumausgaben eines Alternative D: Effizientere Waschma- durchschnittlichen Haushalts bezogen schine und optimiertes Nutzerverhal- wurden. Dementsprechend ist die Skala ten in der Abbildung 6 ausgerichtet. Tab. 3 – Vergleich von Waschmaschinen und Nutzerverhalten beim Waschen Alternative GWP LCC Einsparungen Zusatzkosten zur Effizienz (GWP) Referenz A kg CO2- Euro kg CO2- Euro kg CO2- Äquivalente Äquivalente Äquivalente/Euro A (Referenz) 139 117 B 130 118 9 1 9 C 84 80 55 -37 -1,49 D 82 84 57 -33 -1,73 GWP = Treibhauspotenzial (Global Warming Potential), LCC = Lebenszykluskosten (Life Cycle Costs) Abb. 6 – Treibhauspotenzial und Kosten verschiedener Alternativen 150 Alternative A Alternative B Alternative C 100 Alternative D 50 kg CO2-Equivalents 0 0 95 190 Euro Schlussfolgerungen für die Produktent- gen Waschverhaltens kann damit erklärt wicklung werden, dass die technische Entwicklung Die CO2-Effizienzanalyse zeigt, dass die von Waschmaschinen bei Senkung von Verhaltensoptionen deutlich ökoeffizien- Wasser- und Energieverbrauch weitge- ter sind (was daran liegt, dass üblicher- hend ausgereizt ist. Weitere technische weise aufgrund zu hoher Waschtempe- Optimierungen werden eher bei den raturen und zu geringer Beladung der Waschmitteln ansetzen, zum Beispiel mit Wäschetrommel ineffizient gewaschen der Einführung von Niedrigemperatur- 18 wird). Die große Bedeutung des richti- Waschmitteln.
6 Sozialbilanz Soziale Aspekte haben eine hohe Bedeu- Tools eingesetzt werden. In der Regel tung. Im Management der Unternehmen werden hier zwei Methoden einge- werden sie traditionell in der Konsumfor- setzt – die produktbezogene Analyse schung, später auch im „Issue-Manage- der Produkte entlang der Produktli- ment“ und der Nachhaltigkeitsberichter- nien, kombiniert mit der unterneh- stattung, seit wenigen Jahren eingeengt mensbezogenen Analyse von sozialen auch unter „menschenrechtliche Sorg- Aspekten und ggfs. weitere Nachhal- faltspflichten“ berücksichtigt. Der Begriff tigkeitsaspekte. Grund dafür ist meist „sozial“ wird als Oberbegriff für soziale die große Zahl von Zuliefer-Unter- und gesellschaftliche Aspekte gebraucht. nehmen in den Vorketten, wie etwa Bei den Sozialbilanzen gibt es drei unter- das Beispiel der Notebook-Fertigungs- schiedliche Richtungen: kette zeigt (Abb. 7). Hier ist es kaum Auf einer eher theoretischen und noch möglich, die Herstellungswege akademischen Ebene werden stärker bei Dutzenden oder Hunderten Lie- methodisch orientierte Arbeiten zu feranten produktspezifisch zu erfas- „Sozialbilanz/Social LCA“ durchge- sen. Stattdessen wird die Einhaltung führt. von Sozialstandards bei potentiellen Auf der praktischen Ebene werden Lieferanten analysiert und bei Einhal- mögliche negative soziale Auswirkun- tung zertifiziert, und die Vorprodukte gen in Unternehmen und den Liefer- werden nur bei zertifizierten Liefe- ketten von Unternehmen analysiert, ranten eingekauft. vor allem im Hinblick auf menschen- rechtliche Sorgfaltspflichten. Meist Im Rahmen der UNEP-LifeCyle-Initiative werden dabei die Lieferketten von wurde versucht, die unterschiedlichen Unternehmen im Hinblick auf die Entwicklungen stärker zu integrieren. Einhaltung von Sozialstandards un- Hierzu wurden Methodenbeschreibun- tersucht und ggfs. zertifiziert. Me- gen vorgelegt und Indikatoren beschrie- thodisch sind hier die Anforderungen ben und kategorisiert (Grießhammer et. der Global Reporting Initiative (GRI) al. 2006; UNEP-SETAC-Life Cycle Initiative wichtig. 2009). Ende 2020 wurden überarbeitete Soziale Aspekte werden natürlich und systematisierte Guidelines veröffent- auch in integrierten Nachhaltigkeits- licht, ergänzt um Vorschläge zur Sozial- bewertungen von Produkten erfasst, bilanz von Organisationen (Benoît et al. wobei hier zunehmend Software- 2020). Bleihütte in Ghana (Quelle: Öko-Institut) Computerzerlegung in Äthiopien (Quelle: Öko-Institut) 19
Abb. 7 – Struktur der Notebook-Fertigungskette Fertigungsschritte Produkte & Zwischenprodukte 6. Vermarktung Markennotebook 5. Endmontage Notebook 4. Montage komplexer Hauptplatine LCD- Optisches Festplatte Tastatur Touchpad Komponenten & Netzwerk- Bildschirm Laufwerk karte Akkublock Netzteil Luftkühlung Gehäuse Sonstige 3. Fertigung von Mikrochips Passive Leiterplatten Kabel Bedien- Steckver- Einzelbausteinen elektronische elemente bindungen Komponenten Schraubver- Batterie- bindungen zellen 2. Raffinierung von Siliziumwafer Glasprodukte Rohplastik- Kupfer- Kupfer-Zink- Aluminium- Rohstoffen produkte produkte Produkte Produkte ... Palladium- Tantalum- produkte produkte 1. Rohstoffgewinnung Quarzsand Rohöl Kupfererz Zinkerz Bauxit ... Palladiumerz Tantalumerz ... Altmetall 6.1 Soziale Indikatoren Fall die Indikatoren, die in den wichtigs- ten Gesetzen oder Codes zum Thema Aufgrund der Vielzahl der in Betracht enthalten sind (ILO-Standards, SA 8000, kommenden sozialen Aspekte kommt Kernkriterien von Stiftung Warentest der Auswahl der näher zu betrachtenden etc.). Die von PROSA vorgeschlagenen Aspekte bzw. Indikatoren eine zentra- Indikatoren können kontext- und pro- le und vorentscheidende Rolle zu. Die duktspezifisch ergänzt und/oder ersetzt wesentlichen sozialen Aspekte stammen werden. Es wird empfohlen, die Zahl meistens aus vier Bereichen: Auswirkung der zu untersuchenden Indikatoren eher auf Arbeitnehmer*innen (z.B. Löhne beschränkt zu halten. Ein 2017 erstellter unter dem Existenzminimum oder Kin- Überblick zu in Forschung und Praxis derarbeit); Auswirkungen auf die dem typischerweise verwendeten Indikatoren Unternehmen benachbarte oder regio- (Kuehnen und 2017) zeigte, dass die bis nale Bevölkerung (z.B. durch Zerstörung dahin gewählten Indikatoren überwie- des Lebensraums einer indigenen Bevöl- gend aus dem Bereich Arbeitnehmer- kerung), Auswirkung des Produkts auf rechte und Gesundheit stammen. die Nutzer (z.B. Verletzung des Daten- schutzes) sowie indirekte Auswirkungen Bei den neuen SLCA-Guidelines (Benoît auf die Gesellschaft (z.B. Korruption). Im et al. 2020) wurde mit den „Akteuren der Rahmen der ersten Methodenbeschrei- Lieferkette“ („Value Chain Actors“) eine bung von PROSA (Grießhammer et al. fünfte Stakeholder-Kategorie eingeführt 2007) stellte das Öko-Institut eine um- – der wesentliche Grund dafür war, dass fangreiche Liste von sozialen Indikatoren die meist kleineren Vorlieferanten deut- bereit, die nach den vier Stakeholder- lich andere Interessen haben können als Gruppen geordnet wurde (vgl. Abbil- die meist dominierenden Unternehmen dung 27 im Anhang. Die Liste wurde am Ende der Lieferkette. Den fünf Stake- in einem mehrstufigen Verfahren aus holdergruppen wurden jeweils typische mehreren Dutzend Indikator-Listen mit Wirkungskategorien zugeordnet (siehe über 3.000 vorgeschlagenen Sozial-Indi- Tab. 4. 7). 20 katoren extrahiert und enthält auf jeden
Tab. 4 – List of stakeholder categories and impact subcategories Value Chain Stakeholder Worker Local Actors Consumer Society Children categories community (not including consumers) Subcategories 1. Freedom of 1. Access to ma- 1. Fair compe- 1. Health and 1. Public 1. Education pro- association terial resources tition safety commitments vided in the local and collective to sustainability community bargaining 2. Access to 2. Promoting 2. Feedback issues immaterial social responsi- mechanism 2. Health issues 2. Child labor resources bility 2. Contribution for children as 3. Consumer to economic consumers 3. Fair salary 3. Delocalization 3. Supplier relati- privacy development and migration onships 3. Children 4. Working hours 4. Transparency 3. Prevention concerns regar- 4. Cultural 4. Respect of and mitigation of ding marketing 5. Forced labor heritage intellectual 5. End-of-life armed conflicts practices property rights responsibility 6. Equal opportu- 5. Safe and 4. Technology nities /discrimi- healthy living 5. Wealth distri- development nation conditions bution 5. Corruption 7. Health and 6. Respect of safety indigenous rights 6. Ethical treat- ments of animals 8. Social benefits 7. Community / social security engagement 7. Poverty allevi- ation 9. Employment 8. Local emplo- relationship yment 10. Sexual 9. Secure living harassment conditions 11. Smallholders including farmers Quelle: Benoît et al. 2020, S. 17 Es wurde gezeigt, dass die typischen ressensgruppen und in unterschied- Wirkungskategorien zu den 17 Zielen der lichen Ländern und Regionen höchst Agenda 2030 passen (Benoît et al. 2020, unterschiedlich gewichtet werden. S. 24), allerdings erfolgte keine Zuord- Die Bewertungen ändern sich zudem nung zu den 169 Einzelindikatoren der im Zeitablauf schneller als bespiels- Agenda 2030. weise bei ökologischen Aspekten. Damit kommt der Vorauswahl der Die Autoren unterscheiden zwei verschie- näher zu betrachtenden sozialen dene Herangehensweisen – „Reference Aspekte eine hohe Bedeutung zu. Die Scale Approach“ und „Impact Pathway Vorauswahl ist damit Teil der norma- Approach“ – wobei der letztere metho- tiven Bewertung. disch der Ökobilanz entspricht. Die Datenlage ist bislang schlecht. In der Regel bieten weder quantitative Besonderheiten der Sozialbilanz noch qualitative Daten für sich allein Im Vergleich zur Ökobilanz gibt es bei ausreichende Information – man der Sozialbilanz einige Besonderheiten, braucht Daten aus beiden Kategori- mit denen man gut umgehen kann, en. wenn man sie frühzeitig berücksichtigt: Bei der Sozialbilanz werden auch Soziale Aspekte können sehr vielfältig mögliche positive Auswirkungen sein und von unterschiedlichen Inte- erfasst. Diese können nach Vorschlag 21
Sie können auch lesen