Monatsbericht des BMF - Mai 2019 - Bundesfinanzministerium
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Titelbild: Europe is for Lovers Europa ist unser wichtigstes nationales Anliegen. Warum das so ist und warum man Europa einfach lieben muss, hat das BMF zusammen mit anderen Bundesministerien im Rahmen des Festivals of Lights 2018 unterstrichen. Künstle- rische Großbildprojektionen zeigten aus unterschiedlichen Perspektiven heraus, wie die Europäische Union unser Le- ben positiv beeinflusst und unseren Alltag besser macht. Aus Sicht des BMF spielt dabei die gemeinsame Währung und die Wirtschafts- und Währungsunion eine herausragende Rolle: Der Euro ist heute gesetzliches Zahlungsmittel für rund 337 Millionen Menschen. Die einheitliche Währung ist das bislang am weitesten reichende Ergebnis der europäischen In- tegration und bringt Vorteile für Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Mitgliedstaaten gleichermaßen. Auch Kevin Leo Schmidt und Patricia Anthea Oldenhave, die auf dem Titelbild zu sehen sind, haben ganz konkret von Europa profi- tiert – sie sind im Rahmen des EU-Förderprogramms „Erasmus“ zum Paar geworden. Weitere Informationen zum Bundesministerium der Finanzen und seinem Dienstgebäude finden Sie unter: www.bundesfinanzministerium.de
Editorial Editorial Monatsbericht des BMF Mai 2019 Der Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ hat am 9. Mai seine Ergebnisse vorgelegt. Wie erwartet werden die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommu- nen weniger stark steigen als bei der letzten Schät- zung im vergangenen Herbst angenommen. Für diese Entwicklung gibt es vor allem zwei Gründe: Zum ei- nen konnten jetzt die Entscheidungen der Koalition berücksichtigt werden, die zu deutlichen Steuersen- kungen führen und zu einer Verlagerung von Steu- ereinnahmen vom Bund auf die Länder. Zum ande- ren hat die konjunkturelle Eintrübung Folgen auch für die erwarteten Steuereinnahmen. Wichtig für die Einordnung der Ergebnisse ist, dass der ganz überwie- gende Teil der geringeren Mehreinnahmen bereits in Liebe Leserinnen, liebe Leser, die Haushaltsplanung des Bundes eingepreist wurde. Gegenüber den im März vom Kabinett beschlossenen am 26. Mai wird das neue Europäische Parlament ge- Eckwerten für den Haushalt 2020 und die Finanzpla- wählt. Wenn Europa in der Welt von morgen Einfluss nung bis 2023 bleibt für den Bund ein Anpassungs- ausüben will, geht dies nur über eine geeinte und bedarf von insgesamt etwas über 10 Milliarden Euro starke Europäische Union. Diese Überzeugung spie- bis 2023. In diesem Zeitraum betragen die geplanten gelt sich auch im Koalitionsvertrag wider, in dem die Ausgaben des Bundes 1,375 Billionen Euro. Im Ver- drei Koalitionspartner einen „neuen Aufbruch für gleich zu dieser Summe sind die 10 Milliarden Euro Europa“ versprochen haben. überschaubar – und handhabbar. Ende Juni wird das Kabinett den Regierungsentwurf für den Bundes- Das Bundesministerium der Finanzen arbeitet hart haushalt 2020 beschließen. Durch die richtige Prio- an diesem Aufbruch in Europa. Gut ein Jahr nach Be- ritätensetzung wird die Bundesregierung ihre Arbeit ginn der Legislatur ist bereits viel erreicht, nicht zu- für ein modernes Land und den gesellschaftlichen letzt, weil die Zusammenarbeit mit den europäischen Zusammenhalt fortsetzen. Partnern weiter intensiviert wurde. So gehen etwa die wichtigen Fortschritte, die bei der Wirtschafts- und Zu den Maßnahmen, mit denen Deutschland fit Währungsunion erzielt wurden, auf eine Einigung für die Zukunft gemacht werden soll, gehört auch von Finanzminister Olaf Scholz mit seinem franzö- die steuerliche Förderung von Forschung und Ent- sischen Kollegen Bruno Le Maire zurück. Im Ergebnis wicklung. Olaf Scholz hat dazu einen Gesetzent- werden wir ein neues Haushaltsinstrument für den wurf vorgelegt, den das Bundeskabinett in den Euroraum schaffen, den Europäischen Stabilitätsme- nächsten Wochen beschließen wird. Mit der Förde- chanismus fortentwickeln und die Bankenunion ver- rung sollen zielgerichtet Anreize für höhere Unter- tiefen. Das trägt zu gutem Wachstum in Europa bei, nehmensinvestitionen in Forschung und Entwick- hilft beim Aufholprozess der schwächeren Mitglied- lung gesetzt werden. Dies ist ein wichtiger Beitrag staaten und macht die Währungsunion insgesamt dazu, Deutschlands Innovationskraft weiter zu stär- stabiler und solidarischer. Auch im Steuerbereich ken, damit unser Land auch künftig auf den globa- gibt es wichtige Schritte hin zu einem faireren Steu- len Märkten eine Spitzenposition einnehmen wird. ersystem. So arbeiten z. B. die Mitgliedstaaten der so- genannten Verstärkten Zusammenarbeit intensiv an einem gemeinsamen Modell für eine Finanztransak- tionsteuer – nach jahrelangem Stillstand bei den Ver- handlungen geht es nun endlich voran. Wolfgang Schmidt Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen 3
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Soziale Ungleichheit und inklusives Wachstum im internationalen Vergleich______________________________ 8 Bedeutung des Brexits für die europäische Integration___________________________________________________ 22 Neue Möglichkeiten zur finanziellen Unterstützung der Länder in wichtigen Investitionsbereichen______ 29 Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbankgruppe__________________________ 33 Aktuelle Wirtschafts- und Finanzlage____________________________39 Überblick zur aktuellen Lage_____________________________________________________________________________ 40 Konjunkturentwicklung aus finanzpolitischer Sicht______________________________________________________ 41 Steuereinnahmen im April 2019_________________________________________________________________________ 48 Entwicklung des Bundeshaushalts bis einschließlich April 2019__________________________________________ 52 Entwicklung der Länderhaushalte bis einschließlich März 2019__________________________________________ 57 Finanzmärkte und Kreditaufnahme des Bundes__________________________________________________________ 59 Aktuelles aus dem BMF__________________________________________67 Im Portrait: Thomas Westphal, Leiter der Abteilung für Europapolitik____________________________________ 68 Termine_________________________________________________________________________________________________ 71 Publikationen___________________________________________________________________________________________ 72 Statistiken und Dokumentationen_______________________________73 Übersichten zur finanzwirtschaftlichen Entwicklung____________________________________________________ 74 Übersichten zur Entwicklung der Länderhaushalte_______________________________________________________ 75 Gesamtwirtschaftliches Produktionspotenzial und Konjunkturkomponenten des Bundes________________ 75 Kennzahlen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung____________________________________________________ 76
Analysen und Berichte Soziale Ungleichheit und inklusives Wachstum im internationalen Vergleich 8 Bedeutung des Brexits für die europäische Integration 22 Neue Möglichkeiten zur finanziellen Unterstützung der Länder in wichtigen Investitionsbereichen 29 Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbankgruppe 33
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Mai 2019 Soziale Ungleichheit und inklusives Wachstum im internationalen Vergleich ●● Die Einkommensungleichheit hat in vielen Ländern zugenommen. Das gilt für die meisten In- dustrieländer und insbesondere für die USA, auch wenn global und über Ländergrenzen hinweg betrachtet die Einkommensungleichheit in den vergangenen Jahrzehnten zurückgegangen ist. ●● In Deutschland ist die Ungleichheit der verfügbaren Einkommen im internationalen Vergleich relativ niedrig und seit 2005 stabil. Insbesondere das deutsche Steuer- und Transfersystem wirkt hierbei ausgleichend. ●● Bei der Vermögensungleichheit hingegen offenbart der internationale Vergleich für Deutschland ein anderes Bild. Auch bei der Chancengleichheit im Bildungssystem liegen vor Deutschland weiterhin Herausforderungen. ●● Die Initiative Frankreichs, Ungleichheit zum wichtigen Thema der diesjährigen G7-Präsident- schaft zu machen, wird von der Bundesregierung unterstützt. Einleitung nicht externe Faktoren über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Soziale Ungleichheit spielt in der wirtschafts- und sozialpolitischen Diskussion eine große Rolle. So- ziale Ungleichheit und inklusives Wachstum sind Inklusives Wachstum seit Jahren auch wichtige Themen bei den Diskussi- steht seit 2015 explizit auf der Agenda onen im Kreis der G7 und der G20. Die französische der G20 und wird seit 2016 in den Kom- Regierung hat das Thema Ungleichheit zu einem muniqués explizit als G20-Ziel genannt Schwerpunktthema ihrer diesjährigen G7-Präsi- („Strong, Sustainable, Balanced and Inclu- dentschaft gemacht. sive Growth“). Mit dem Konzept des „In- klusiven Wachstums“ wird der Wille aus- Um sich dem Thema sozialer Ungleichheit zu nä- gedrückt, dass vom Wirtschaftswachstum hern, sind verschiedene Dimensionen sozialer möglichst alle Menschen profitieren sollen Ungleichheit zu betrachten. Dabei kommt in der und niemand zurückgelassen werden darf. öffentlichen Diskussion der Einkommensungleich- Die Weltbank bringt ihr Maß „Shared Pros- heit eine wichtige Bedeutung zu. Die Ungleich- perity“ in Zusammenhang mit inklusivem heit der Vermögensverteilung ist eine weitere Di- Wachstum, da damit gemessen werde, wie mension sozialer Ungleichheit. Zudem gehört in viel Wirtschaftswachstum bei den Bevölke- diesen Kontext die Chancengleichheit. Denn Un- rungsteilen mit niedrigem Einkommen tat- gleichheiten werden eher als fair akzeptiert, wenn sächlich ankommt. diese Ergebnis individuellen Handelns sind und 8
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Soziale Ungleichheit und inklusives Wachstum im internationalen Vergleich Mai 2019 Einkommensungleichheit reichsten 10 % der Bevölkerung am Gesamtein- kommen. Den Schwerpunkt auf das untere Ende Zur Erfassung der Einkommensungleichheit lie- der Einkommensverteilung legt hingegen die Analysen und Berichte gen vergleichsweise verlässliche Daten vor, zumin- Weltbank mit ihrem Maß des „Shared Prosperity” dest für die Industrieländer. Allerdings gibt es eine (verteilter Wohlstand). Dabei werden die Wachs- Vielzahl von Methoden und Messgrößen zur Mes- tumsraten der Einkommen der ärmsten 40 % der sung von Einkommensungleichheit. Dabei ist der Bevölkerung betrachtet. Gini-Koeffizient der am häufigsten verwendete Indikator. Unabhängig vom verwendeten Ungleichheitsmaß muss bei der Analyse der Einkommensungleich- heit unterschieden werden zwischen Marktein- Der Gini-Koeffizient kommen (vor Umverteilung durch das Steuer- und misst die Abweichung der tatsächlichen Ein- Transfersystem) und verfügbarem Einkommen kommen von einer vollkommenen Gleich- (nach Umverteilung). Während für die Analyse von verteilung. Sind die Einkommen für alle In- Marktprozessen die Markteinkommen interessant dividuen gleich, nimmt der Gini-Koeffizient sind, ist für die Wohlfahrtsanalyse das verfügbare den Wert 0 an. Verdient ein einziges Indivi- Einkommen von Bedeutung. Im Folgenden wer- duum das gesamte Einkommen, beträgt er 1. den, sofern nicht explizit erwähnt, die Entwicklun- Problematisch am Gini-Koeffizienten ist, gen für die verfügbaren Einkommen dargestellt.1 dass er nicht die Struktur der Ungleichheit erfassen kann. Z. B. enthält eine Erhöhung des Gini-Koeffizienten keine Information Ungleichheit auf globaler Ebene darüber, ob sich das Einkommen der Mittel- schicht im Vergleich zu den oberen Einkom- Betrachtet man die gesamte Weltbevölkerung, men verringert hat oder ob der ärmste Teil konstatieren die meisten Studien, dass die Ein- der Bevölkerung weiter abgehängt wurde. kommensungleichheit – gemessen am Gini-Koef- Für eine politische Bewertung wäre eine sol- fizienten – in den vergangenen beiden Jahrzehnten che Unterscheidung aber wichtig. abgenommen hat. Dies liegt vor allem an den Er- folgen bei der Armutsbekämpfung, insbesondere in Ostasien. Während der Gini-Koeffizient die Ungleichheit über die gesamte Verteilung betrachtet, betrachten Nicht alle Forschungspublikationen unterstüt- andere Ungleichheitsmaße die Ränder der Vertei- zen allerdings die Aussage sinkender globaler Un- lung. Das intuitive Maß des 80:20-Quintilverhält- gleichheit. So zeichnet der WIR 2018 ein anderes nisses, das auch von der Organisation for Economic Bild. Betrachtet man den dort vorwiegend verwen- Co-operation and Development (OECD) und von deten Maßstab (Einkommen des reichsten 1 % re- Eurostat erhoben wird, setzt das Durchschnittsein- lativ zum Einkommen der ärmsten 50 % einer Be- kommen der reichsten 20 % einer Bevölkerung mit völkerung), so lässt sich die Aussage gesunkener dem Durchschnittseinkommen der ärmsten 20 % Einkommensungleichheit auf globaler Ebene nicht in Beziehung. Der World Inequality Report (WIR) wiederum, der u. a. von Thomas Piketty publi- 1 Ferner spielt auch der Haushaltszusammenhang eine große ziert wird, stellt die Einkommensentwicklung am Rolle und wird häufig über sogenannte Äquivalenzeinkommen oberen Rand der Verteilung in den Vordergrund erfasst. Auf diese Thematik kann in diesem Artikel aus Platz- gründen nicht näher eingegangen werden. Erläuterungen zum und betrachtet hierfür insbesondere den Einkom- Äquivalenzeinkommen finden sich z. B. unter mensanteil des reichsten 1 % beziehungsweise der http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20190512 9
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Soziale Ungleichheit und inklusives Wachstum im internationalen Vergleich Mai 2019 nachvollziehen. Selbst in Ländern, die große Er- Jahrzehnten zugenommen, wie Abbildung 1 dar- folge bei der Armutsbekämpfung vorweisen kön- stellt. Bemerkenswerte Ausnahmen sind Norwe- nen, wie z. B. China, sind die Einkommensanteile gen, Finnland und Island, wo die Ungleichheit, ge- des reichsten 1 % der Bevölkerung stark gestiegen. messen am Gini-Koeffizienten, zurückgegangen ist. Daher kommt der WIR insgesamt nicht zu dem Er- gebnis, dass die Einkommensungleichheit weltweit Dieses Ergebnis gilt auch, wenn man anstelle des gesunken ist. Gini-Koeffizienten das 80:20-Quintilverhältnis he- ranzieht, was Abbildung 2 zeigt. Den stärksten An- stieg der Ungleichheit in den G7-Staaten verzeich- Einkommensungleichheit in den nen nach beiden Konzepten die USA. Im Vergleich G7-Staaten und in Deutschland zu den USA ist in den europäischen Staaten sowohl das Niveau als auch der Anstieg der Einkommens- In den meisten Industrieländern hat die Ein- ungleichheit moderat. kommensungleichheit in den vergangenen zwei Gini-Koeffizienten1 der G7-Länder seit 1994 Abbildung 1 in % 0,41 0,39 0,37 0,35 0,33 0,31 0,29 0,27 0,25 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 Kanada Frankreich Deutschland Italien Japan Vereinigtes Königreich USA 1 Gini-Koeffizienten der verfügbaren Einkommen, nach Steuern und Transfers. Quelle: OECD 10
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Soziale Ungleichheit und inklusives Wachstum im internationalen Vergleich Mai 2019 Tabelle 12 Abbildung 80:20-Quintilverhältnis1 der G7-Länder seit 1994 in % Analysen und Berichte 9 8 7 6 5 4 3 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 Kanada Frankreich Deutschland Italien Japan Vereinigtes Königreich USA 1 Verhältnis des Durchschnittseinkommens der einkommenstärksten 20 % der Bevölkerung zum Durchschnittseinkommen der einkommensschwächsten 20 % der Bevölkerung. Hier: Verfügbare Einkommen, nach Steuern und Transfers. Quelle: OECD Vergleicht man die Entwicklung der Ungleichheit setzt zu den Einkommensanteilen der ärms- in den USA und Westeuropa, fallen deutliche Un- ten 50 %. Wie Abbildung 3 verdeutlicht, hat sich in terschiede auf. Dies gilt insbesondere dann, wenn den USA dieses Verhältnis annähernd umgekehrt, man die Entwicklung des Anteils des einkommens- während die Entwicklung in Europa sehr gemäßigt reichsten 1 % der Bevölkerung am Gesamteinkom- erscheint. men betrachtet und diesen Anteil in Beziehung 11
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Soziale Ungleichheit und inklusives Wachstum im internationalen Vergleich Mai 2019 Abbildung 3 Anteil am Gesamteinkommen des einkommensreichsten Prozents der Bevölkerung in den USA und Westeuropa versus dem Anteil der einkommensschwächsten 50 % von 1980 bis 2016 Anteil am Gesamteinkommen in % 24 24 22 22 20 20 18 18 16 16 14 14 12 12 10 10 8 8 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 Einkommensschwächste 50 % USA Einkommensschwächste 50 % Westeuropa Einkommensstärkste 1 % USA Einkommensstärkste 1 % Westeuropa Abgetragen sind die Einkommen vor Steuern, nach Sozialabgaben. "Westeuropa" sind die zusammengefassten Daten von Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich. Quelle: World Inequality Report 2018 Auch in Deutschland ist die Einkommensun- sehr hoch – ähnlich wie in Frankreich. Grund hier- gleichheit heute etwas höher als vor zwei Jahr- für ist das vergleichsweise hohe Maß an Umvertei- zehnten. Nach einem gewissen Anstieg nach der lung, vor allem über das Steuer- und Transfersys- deutschen Einheit ist die Ungleichheit der verfüg- tem, sodass trotz relativ ungleicher Verteilung der baren Einkommen – gemessen am Gini-Koeffizi- Markteinkommen die Ungleichheit der verfügba- enten – in Deutschland seit 2005 stabil. Allerdings ren Einkommen im internationalen Vergleich rela- zeigt eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts tiv niedrig ist, wie Abbildung 4 zeigt. für Wirtschaftsforschung, dass auch seit 2010 die Schere der Einkommen wieder leicht, aber statis- tisch signifikant auseinandergegangen ist. Insge- Kommt das globale samt ist die Einkommensungleichheit in Deutsch- Wirtschaftswachstum bei allen land mit einem Gini-Koeffizienten von etwa 0,29 Bevölkerungsschichten an? im internationalen Vergleich relativ niedrig und liegt knapp unter dem OECD-Durchschnitt In Ostasien und in der Pazifik-Region, aber auch in von 0,32. In Deutschland ist außerdem der Unter- Lateinamerika und der Karibik ist im Zeitraum von schied zwischen Markteinkommen und verfüg- 2010 bis 2015 ein relativ hohes durchschnittliches baren Einkommen im internationalen Vergleich Wachstum des Einkommens und des Konsums der 12
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Soziale Ungleichheit und inklusives Wachstum im internationalen Vergleich Mai 2019 Abbildung 4 Gini-Koeffizienten der Markteinkommen versus Gini-Koeffizienten der verfügbaren Einkommen im internationalen Vergleich, 2015 Analysen und Berichte 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 Deutschland Volksrepublik Australien Russland Südafrika Norwegen Schweden Brasillien Japan Dänemark Kanada Italien USA Türkei Frankreich Vereinigtes Mexiko Korea Indien Königreich China Gini (Verfügbares Einkommen) Gini (Markteinkommen) Quelle: OECD einkommensschwächsten 40 % der Bevölkerung zu Durchschnitt jährlich 0,18 % Einkommenseinbu- verzeichnen. Insbesondere in Ostasien waren gute ßen hinnehmen müssen. Bildungserfolge und ein exportorientiertes Wachs- tum des Verarbeitenden Gewerbes Wachstumsmo- toren, vor allem auch für die Einkommen der ärms- Ursachen steigender ten 40 % der Bevölkerung. Häufig übertreffen dabei Einkommensungleichheit die Wachstumsraten der Einkommen der ärms- ten 40 % der Bevölkerung die Wachstumsraten des Einen Erklärungsansatz für die in den vergange- Einkommens der Gesamtbevölkerung. nen beiden Jahrzehnten gestiegene Einkommens- ungleichheit in einigen Industrieländern stellt die In den meisten Industrieländern hingegen ist zwi- sinkende Lohnquote dar, also die Verlagerung von schen 2010 und 2015 nur ein geringes Wachstum, Faktoreinkommen weg von Arbeit hin zu Kapital, Stagnation oder sogar ein Rückgang bei den un- die u. a. auf Automatisierung, aber auch auf die Ab- teren Einkommen zu beobachten. Bezeichnend wanderung von Produzierendem Gewerbe in Nied- ist, dass in Ländern, die von einem Wirtschafts- riglohnländer zurückzuführen sei. abschwung betroffen waren, die Einkommen der ärmsten 40 % der Bevölkerung überdurchschnitt- lich stark zurückgegangen sind. Dies gilt z. B. für Die Lohnquote Spanien, Griechenland, Zypern, Portugal und Ita- ist der Anteil an der Wirtschaftsleistung ei- lien. Für Deutschland verzeichnet die Weltbank im ner Volkwirtschaft, der durch den Faktor Ar- Zeitraum von 2010 bis 2015 zwar durchschnittlich beit erwirtschaftet wird. Kapitaleinkommen ein leichtes Wachstum der realen Einkommen, die wie z B. Zinsen, Dividenden oder Mietein- ärmsten 40 % der Bevölkerung hätten jedoch im nahmen zählen nicht dazu. 13
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Soziale Ungleichheit und inklusives Wachstum im internationalen Vergleich Mai 2019 Häufig wird argumentiert, dass durch die Verlage- Dies ist relevant für die Verteilung verfügbarer Ein- rung von Arbeitsplätzen vom Produzierenden Ge- kommen, da Kapitaleinkommen ungleicher ver- werbe in den Dienstleistungssektor Produktivi- teilt sind als Arbeitseinkommen. Seit 1970 ist die täts- und Einkommensverluste entstünden. Der Lohnquote in fast allen Industrieländern deutlich Internationale Währungsfonds (IWF) zeigt jedoch, gesunken. Abbildung 5 zeigt aber auch, dass diese dass die Verlagerung von Arbeitskräften in den Entwicklung von Land zu Land seit 1970 sehr un- Dienstleistungssektor nicht notwendigerweise mit terschiedlich verlaufen ist. Die OECD hält keine Da- Produktivitätsverlusten verbunden ist und dass die ten für die Lohnquote vor 1970 vor. Ungleichheit vielmehr innerhalb einzelner Wirt- schaftssektoren gestiegen ist. Zieht man Daten des Statistischen Bundesamts he- ran, so zeigt sich für Deutschland, dass die Lohn- Der Umstand, dass in einer globalisierten Wirt- quote Anfang der 1980er Jahre ihren Höhepunkt schaft der Faktor Kapital weitaus mobiler ist als der erreicht hatte. Wählt man als Basisjahr 1950, so än- Faktor Arbeit, schlägt sich auch in der Faktorent- dert sich für Deutschland der Befund einer sin- lohnung nieder. Der Anteil von Kapitaleinkom- kenden Lohnquote im Zeitverlauf. Denn die Lohn- men ist weltweit in den vergangenen Jahrzehnten quote ist heute immer noch höher als 1950, wie gestiegen, während die Lohnquote gesunken ist. Abbildung 6 zeigt. Abbildung 5 Lohnquote ab 1970 im internationalen Vergleich in % 84 79 74 69 64 59 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 Kanada Frankreich Deutschland Italien USA Quelle: OECD 14
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Soziale Ungleichheit und inklusives Wachstum im internationalen Vergleich Mai 2019 Abbildung 6 Lohnquote in Deutschland in % Analysen und Berichte 75 73 71 69 67 65 63 61 59 57 55 1950 1957 1964 1971 1978 1985 1992 1999 2006 2013 Quelle: Destatis Ein weiterer Erklärungsansatz betrachtet die Ver- auf Einkommensverschiebungen vom Faktor Arbeit änderung der Marktstrukturen. Ändert sich die zum Faktor Kapital zurückzuführen sind. Der Rest Marktstruktur, ändert sich auch die Möglichkeit habe seinen Ursprung in der ungleichen Verteilung der Marktteilnehmerinnen und Marktteilnehmer, innerhalb der jeweiligen Faktoren und dem Auftre- „ökonomische Renten“ abzuschöpfen. ten und Abschöpfen ökonomischer Renten. Diese sind z. B. beeinflusst durch Wettbewerbsintensität, Verhandlungsmacht der Arbeitnehmerinnen und Ökonomische Renten Arbeitnehmer oder Netzwerkeffekte. Insbesondere In der Wohlfahrtsökonomie werden als die digitale Wirtschaft ist gekennzeichnet durch „Renten“ diejenigen Erlöse bezeichnet, die eine „winner-takes-most“-Dynamik. Starke Wettbe- über Erlöse hinausgehen, die in einem wett- werbsvorteile entstehen für rasant wachsende digi- bewerbsintensiven Marktprozess erzielt tale Unternehmen z. B. durch Zugang zu größeren werden könnten. Beispiele für Renten sind Datenmengen oder durch Reputations- und Netz- beispielsweise Monopolrenten, die ein mo- werkeffekte. Entsprechend hoch sind die Monopol- nopolistisches Unternehmen allein aufgrund renten und Gewinne der Marktführer. Zwar werden seiner Marktstellung erwirtschaftet. in diesen Unternehmen – auch aufgrund der in die- sem Sektor sehr hohen „Qualifizierungsprämien“ – ausgesprochen hohe Gehälter gezahlt. Allerdings Diese Renten können in die Einkommen sowohl von kommen die hohen Gewinne auch in diesen „Super- Kapitaleignerinnen und Kapitaleignern als auch von star-Unternehmen“ vorwiegend dem Faktor Kapi- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern fließen. tal zugute. Die Marktmacht einzelner Unternehmen Wissenschaftliche Studien zeigen, dass seit 1970 in und entsprechende makroökonomische Effekte den USA lediglich 20 % der gestiegenen Ungleichheit sind insbesondere in den USA zu beobachten. In 15
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Soziale Ungleichheit und inklusives Wachstum im internationalen Vergleich Mai 2019 seinem Länderbericht über die USA für 2018 stellt empirischer Analysen unterstreicht die Rolle von der IWF fest, dass die steigende Marktmacht ein- Arbeitnehmervertretungen in diesem Zusammen- zelner Unternehmen wichtige makroökonomische hang. So deuten Analysen von IWF-Ökonominnen Effekte haben kann, wie z. B. eine abnehmende In- und -Ökonomen darauf hin, dass von einem Rück- vestitionstätigkeit und weniger Ausgaben für For- gang der Gewerkschaftsdichte im Durchschnitt schung und Entwicklung sowie eine weiter zurück- vor allem die oberen 10 % der Einkommensbezie- gehende Lohnquote. herinnen und Einkommensbezieher profitieren. Ganz ähnlich argumentiert die Weltbank, dass so- Ein Beitrag zur Erklärung steigender Ungleich- ziale Ungleichheit in einer Gesellschaft sinkt, wenn heit in Industrieländern kann auch der zurückge- die Gewerkschaftsdichte sowie deren Mitglieder- hende Organisationsgrad der Arbeitnehmerinnen zahlen zunehmen, und steigt, wenn diese zurück- und Arbeitnehmer in Gewerkschaften liefern. Ge- gehen. In vielen Industrieländern ist ein Rückgang werkschaften stärken die Verhandlungsmacht der der in Gewerkschaften organisierten Arbeitneh- Bezieherinnen und Bezieher niedriger Einkommen merinnen und Arbeitnehmer zu beobachten. Auch und erhöhen in oben beschriebenem Zusammen- geht in vielen Ländern die Tarifbindung zurück, hang deren Möglichkeit, auftretende Renten ab- beispielhaft zeigt dies Abbildung 7 für Deutsch- zuschöpfen, die ansonsten von einkommensstär- land, die USA, das Vereinigte Königreich und den keren Gruppen vereinnahmt würden. Eine Reihe OECD-Durchschnitt. Abbildung 7 Tarifbindung % der Arbeitnehmer mit dem Recht auf Kollektivverhandlungen 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 Deutschland Vereinigtes Königreich USA OECD - Total Quelle: OECD 16
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Soziale Ungleichheit und inklusives Wachstum im internationalen Vergleich Mai 2019 Vermögensungleichheit hierzulande für die Nettovermögen bei 0,74. Die- ser Wert entspricht auch dem Gini-Koeffizienten, Vermögen sind hinsichtlich der Datenlage sehr viel der anhand der Einkommens- und Verbrauchs- Analysen und Berichte schwieriger zu erfassen als Einkommen. Sowohl für stichprobe des Statistischen Bundesamts für das hohe als auch geringe Vermögen liegen auf globaler Jahr 2013 berechnet wurde. Wie ungleich die Ver- Ebene kaum verlässliche Daten vor. teilung ist, lasse sich auch am Anteil des Vermö- gens ablesen, das den oberen 10 % der Nettovermö- Der Global Wealth Report der Credit Suisse ist eine gensverteilung gehört. Dies sind laut Bundesbank der umfassendsten Datenquellen zur globalen Ver- in Deutschland etwa 55 % des gesamten Nettover- mögensverteilung. Allerdings sind auch dessen mögens. Diese Zahl dürfte jedoch den tatsächlichen Zahlen mit Vorsicht zu interpretieren. Hohe Ver- Anteil unterschätzen, da in solchen Befragungen mögen sind typischerweise sehr viel konjunktur- typischerweise sehr große Vermögen nicht erfasst abhängiger als geringe Vermögen; in der Rezession werden. Auch OECD-Zahlen zeigen eine ähnliche geht die Ungleichheit regelmäßig zurück, im Auf- Größenordnung und legen zudem nahe, dass das schwung steigt sie an. Neben Aktien- und Kapital- Vermögen in Deutschland stärker konzentriert ist markt- können auch Wechselkursbewegungen die als in vielen anderen Ländern. Nach den OECD-Da- Ergebnisse stark verzerren. Der jüngste Bericht der ten für 2017 halten 10 % der Deutschen circa 60 % Credit Suisse beschreibt eine seit der globalen Fi- des gesamten Nettohaushaltsvermögens. Der nanzkrise stark ansteigende Anzahl an Millionä- Durchschnitt in den OECD-Staaten beträgt 52 %. rinnen und Millionären und sogenannten Ultrarei- Ansprüche an staatliche Rentenversicherungssys- chen mit einem Vermögen von mehr als 50 Mio. $, teme bleiben allerdings im Ländervergleich in allen insbesondere in den USA und Europa, sowie ein diesen zitierten Daten unberücksichtigt, wodurch stetig steigendes Medianvermögen in den meisten die Vermögen in Deutschland unterschätzt werden. Regionen (Ausnahme: Afrika). Gemessen am An- teil des reichsten 1 % der Bevölkerung am Gesamt- vermögen ist die Vermögensungleichheit seit der Chancengleichheit globalen Finanzkrise angestiegen, nachdem sie in den Jahren vor der Finanzkrise gefallen war: Laut Nicht jede Ungleichheit wird per se als „unge- der Credit Suisse ist dieser Anteil in der Zeit zwi- recht“ empfunden; ohne Ungleichheit ist eine auf schen 2000 und 2008 von 47 % auf 42 % zurückge- Wettbewerb basierende Ökonomie auch gar nicht gangen. Nach 2008 ist der Wert wieder gestiegen denkbar. So sollten sich z. B. Anstrengung bei der und übertrifft seit 2016 den für 2000 geschätzten Ausbildung, harte Arbeit und Risikobereitschaft fi- Wert leicht. nanziell lohnen, ansonsten stimmen die Anreize in einer Volkswirtschaft nicht. Allerdings ist für das Ge- In Deutschland ist die Verteilung der Vermögen rechtigkeitsempfinden wichtig, dass alle Menschen deutlich konzentrierter als die der verfügbaren Ein- dieselben Grundvoraussetzungen und Startbedin- kommen. Dies bestätigt auch die Deutsche Bundes- gungen haben. Entsprechend ist die normative Ver- bank in ihrem Monatsbericht vom April 2019. Da- teilungsdiskussion stark geprägt von der Diskussion rin stellt sie die Ergebnisse ihrer Panel-Befragung um Chancengleichheit. Werden Einkommens- oder vor, die alle drei Jahre durchgeführt wird und eine Vermögensunterschiede durch persönliche Leistung Stichprobe von 5.000 Haushalten umfasst. Die Bun- bestimmt, so sind sie mit dem Gerechtigkeitsemp- desbank kommt zu dem Ergebnis, dass eine ver- finden einer Gesellschaft sehr viel eher zu vereinba- gleichsweise hohe Ungleichverteilung der Ver- ren, als wenn sie durch externe Umstände bestimmt mögen in Deutschland vorliegt. Hinsichtlich der werden, auf die das Individuum selbst keinen Ein- Entwicklung der Vermögensungleichheit ließe sich fluss hat. Solche externen Umstände sind z. B. die in den vergangenen Jahren jedoch kein eindeu- sozioökonomische Stellung des Elternhauses, das tiger Trend feststellen. Der Gini-Koeffizient liege Geschlecht oder die Herkunft. Mit Analysen zur 17
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Soziale Ungleichheit und inklusives Wachstum im internationalen Vergleich Mai 2019 sozialen Mobilität, zur Durchlässigkeit des Bildungs- schwächsten Bevölkerungsteile seien in Entwick- systems oder zur unterschiedlichen Entlohnung von lungsländern sogar zurückgegangen. Frauen und Männern (Gender Pay Gap) wird daher versucht, sich dem Konzept der Chancengleichheit Hinsichtlich der Bildungsmobilität zeichnet die empirisch zu nähern. OECD für Deutschland im internationalen Ver- gleich immer noch ein relativ ungünstiges Bild. Die In einer umfassenden Studie zur sozialen Mobili- OECD-Daten weisen darauf hin, dass akademische tät zeichnet die Weltbank hinsichtlich der Situa- Abschlüsse hierzulande mehr als anderswo abhän- tion auf globaler Ebene ein unbefriedigendes Bild. gig vom Bildungsstand der Eltern sind, wie Abbil- Demnach habe sich die Durchlässigkeit von Ge- dung 8 illustriert. Demnach weisen fast 60 % der sellschaften in den vergangenen 30 Jahren nicht Bevölkerung intergenerationelle Stagnation in der verbessert und die Aufstiegschancen für die sozial Bildung auf und nur etwas mehr als 20 % schaffen einen Bildungsaufstieg gegenüber ihren Eltern. Personen, die Bildungsstagnation erfahren Abbildung 8 in % Deutschland USA Frankreich Korea 70 60 50 40 30 20 10 0 Status quo: Unterhalb der Sekundarstufe 2 Status quo: Sekundarstufe 2 oder darüber, aber keine Hochschulbildung Status quo: Hochschulbildung Personen, die Bildungsmobilität erfahren in % Deutschland USA Frankreich Korea 0 10 20 30 40 50 60 70 Aufwärtsgerichtete Mobilität Abwärtsgerichtete Mobilität Quelle: OECD, 2013 18
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Soziale Ungleichheit und inklusives Wachstum im internationalen Vergleich Mai 2019 Abbildung 9 Prozentsatz der durch den sozioökonomischen Status der Schülerinnen und Schüler erklärten Varianz bei den Leistungen in Naturwissenschaften, 2015 Analysen und Berichte in % Kanada Italien Japan Vereinigtes Königreich USA Deutschland Frankreich 0 5 10 15 20 25 Quellen: OECD, PISA-Studie 2015 Die PISA-Studie 2015 untersuchte, wie stark der Ausgangsvoraussetzungen der einzelnen Schüle- sozioökonomische Hintergrund der Schülerinnen rinnen und Schüler relativ ungleich verteilt sind. und Schüler deren schulische Leistungen in Natur- wissenschaften bestimmt. Das in Abbildung 9 dar- Chancenungleichheit und Ungleichbehandlung gestellte Ergebnis zeigt, dass unter den G7-Staa- kann sich auch in einer unterschiedlichen Ent- ten die schulischen Leistungen von 15-jährigen lohnung von Männern und Frauen manifestieren. Schülerinnen und Schülern in Frankreich und in Diese liegt vor, wenn bei gleicher Leistung Frauen Deutschland am stärksten von deren sozioökono- weniger verdienen als Männer. In den G7-Staaten mischem Hintergrund beeinflusst werden. sind signifikante Unterschiede zwischen den Ein- kommen der beiden Geschlechter erkennbar. Aller- Auch diese Zahlen suggerieren, dass in Deutsch- dings geht diese „Gender Pay Gap“ in allen G7-Staa- land nicht alle Potenziale im Bildungssystem ge- ten zurück, wie Abbildung 10 zeigt. hoben werden, die möglich wären, und dass die 19
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Soziale Ungleichheit und inklusives Wachstum im internationalen Vergleich Mai 2019 Abbildung 10 Geschlechtsspezifisches Lohngefälle in % 35 30 25 20 15 10 5 0 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 Kanada Frankreich Deutschland Italien Japan Vereinigtes Königreich USA Quelle: OECD In Abbildung 10 ist die unbereinigte „Gender Wage Entlohnung zeigen, dass die Bemühungen zur Gap“ angegeben. D. h., diese Zahl ist nicht bereinigt Gleichstellung von Frauen und Männern weiterhin um die strukturellen Unterschiede in den Beschäf- konsequent fortgeführt werden müssen. tigungsverhältnissen von Männern und Frauen. Das statistische Bundesamt hingegen errechnet alle drei Jahre eine „bereinigte Gender Pay Gap“ für Fazit Deutschland unter Berücksichtigung der Auswir- kungen der Berufswahl, des Bildungsstands sowie Nach einem gewissen Anstieg nach der deutschen der Berufserfahrung und berücksichtigt z. B. auch Einheit ist die Ungleichheit der verfügbaren Ein- den geringeren Anteil von Frauen in Führungsposi- kommen in Deutschland seit 2005 stabil. Auch tionen. Auch nach dem Herausrechnen dieser Fak- was die Höhe dieser Ungleichheit anbelangt, steht toren bleiben für das Jahr 2014 immer noch Lohn- Deutschland dank der umfassenden Umvertei- unterschiede in Höhe von 6 % bestehen, die nicht lung innerhalb des Steuer- und Transfersystems erklärbar sind. Zwar wird das Thema geschlechter- im internationalen Vergleich gut da. Bei der Ver- spezifische Lohndiskriminierung in vielen Staaten mögensungleichheit sieht das Bild etwas anders durch Maßnahmen, wie z. B. Diskriminierungs- aus. Im internationalen Vergleich ist für Deutsch- verbote oder Transparenzinitiativen angegangen. land eine stärkere Vermögenskonzentration als in Es wird jedoch ganz entscheidend sein, in diesen den meisten anderen Industrieländern zu konsta- Bemühungen nun nicht nachzulassen. Im Ge- tieren. Auch bei der Chancengleichheit schneidet genteil, die weiterhin hohen Unterschiede in der Deutschland im internationalen Vergleich nicht 20
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Soziale Ungleichheit und inklusives Wachstum im internationalen Vergleich Mai 2019 gut ab. Die Daten der OECD zur Chancengleichheit international abgestimmten Ansatzes zur ange- zeigen, wie wichtig gut funktionierende Bildungs- messenen Besteuerung globaler Unternehmen, systeme sind – von der frühkindlichen Bildung wofür sich Deutschland international mit Nach- Analysen und Berichte über die Schul- und Hochschulausbildung bis hin druck einsetzt. zu Weiterbildungsmöglichkeiten für (ältere) Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer. Eine immer weitergehende Flexibilisierung des Ar- beitsmarkts und eine Schwächung der Arbeitneh- Die Forschungsergebnisse zum Einfluss der Wett- mervertretung können die Einkommensungleich- bewerbsintensität und der Abschöpfung ökono- heit verschärfen. Daher sollte versucht werden, die mischer Renten lassen den Schluss zu, dass nicht Einhaltung von Arbeitsstandards zu verbessern, die protektionistische Maßnahmen, sondern mehr Arbeitnehmervertretungen zu stärken und für si- funktionierender Wettbewerb die Ungleichheit cherere Beschäftigungsverhältnisse insbesondere verringern hilft. Dynamisch betrachtet können in unteren Lohnsegmenten zu sorgen. Monopolrenten zwar in einer Ökonomie durch- aus Sinn machen, etwa um Innovations- und For- Angesichts der steigenden Ungleichheit der ver- schungsanreize zu schaffen. Allerdings sprechen fügbaren Einkommen in den meisten G7-Staaten, die über Jahre hinweg sehr hohen Erträge mancher insbesondere in den USA, ist es zu begrüßen, dass (häufig digitaler) Unternehmen für die Notwendig- Frankreich dem Thema im Rahmen seiner G7-Prä- keit einer effektiveren Sicherung eines fairen Wett- sidentschaft eine hohe Bedeutung beimisst. Insbe- bewerbs, eines angemessenen Marktzugangs und sondere ist der Ansatz der französischen Präsident- der Innovationskraft der Industrie. Hinzu kommt, schaft zu begrüßen, für eine verbesserte Einhaltung dass viele dieser großen global tätigen Unterneh- internationaler Arbeitsstandards in Form der Kern men nur unzureichend besteuert werden. Dies un- arbeitsnormen der International Labour Organiza- terstreicht die Notwendigkeit eines umfassenden, tion zu sorgen. 21
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Mai 2019 Bedeutung des Brexits für die europäische Integration ●● Die vom 23. bis 26. Mai 2019 stattfindenden Europawahlen sind geprägt von der seit mehr als drei Jahren im Wege eines Referendums getroffenen Entscheidung über einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU). ●● Das BMF hat angesichts der Wichtigkeit der Wirtschafts- und Finanzstabilität umfassende Vorbe- reitungen im Finanzbereich für den Fall eines Austritts ohne Abkommen getroffen. ●● Der Umfang dieser Vorbereitungen und die Komplexität der Austrittsfragen haben die engen Ver- flechtungen innerhalb der EU in rechtlicher, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht aufgezeigt. Brexit und die Europawahl gestärkt wurde. Die vom 23. bis 26. Mai 2019 in den Mitgliedstaaten stattfindenden neunten Europa- Die Europäische Union gilt gemeinhin als das be- wahlen, sind nun – 40 Jahre später – geprägt von der deutenste Friedensprojekt nach dem Zweiten Welt- seit mehr als drei Jahren im Wege eines Referend- krieg. Es hat die europäischen Nationalstaaten und ums getroffenen Entscheidung über einen Austritt vor allem ihre Bürgerinnen und Bürger zusammen- des Vereinigten Königreichs aus der EU, dem Brexit. gebracht. Dieses Projekt, das von überzeugten Euro- päerinnen und Europäern immer weiterentwickelt Die innerbritischen Entscheidungsprozesse zum wurde und wird, unternahm in den 1970er Jahren Austritt beziehungsweise zur Ratifizierung des zwei wesentliche Schritte: Zum einen trat 1972 das von der britischen Regierung mit der EU ausge- Vereinigte Königreich der Gemeinschaft bei und handelten Austrittsabkommens prägen die Euro- brachte damit neue Perspektiven in die Gemein- pawahlen bereits deshalb, weil auch die Bürgerin- schaft. Zum anderen fanden 1979 die ersten Di- nen und Bürger in den anderen 27 Mitgliedstaaten rektwahlen zum Europäischen Parlament statt, ihre Wahlentscheidung vor dem Hintergrund des wodurch der demokratische Charakter der Union Brexits treffen werden. 22
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Bedeutung des Brexits für die europäische Integration Mai 2019 Zeitablauf zu den Wahlen zum Europäischen Parlament (EP) und der Ernennung Tabelle 1 der neuen EU-Kommission 18. April 2019 Letzte Plenartagung des scheidenden EP Analysen und Berichte 15. Mai 2019 Debatte der Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten im Plenarsaal des EP in Brüssel 23. bis 26. Mai 2019 EP-Wahlen in allen Mitgliedstaaten, in Deutschland am 26. Mai 2019 1. Juli 2019 Ende der 8. Wahlperiode des scheidenden EP 2. Juli 2019 Konstituierende Plenarsitzung des neugewählten EP Juli¹ 2019 Erste Möglichkeit, die Präsidentin/den Präsidenten der EU-Kommission zu wählen (Abbildung der Mehrheits- verhältnisse im EP) Oktober/ Ernennung der Kommissarinnen und Kommissare durch die Präsidentin/den Präsidenten der EU-Kommission November¹ 2019 und Bestätigung durch das EP 1 Noch nicht genauer terminiert. Aber auch „technisch“ wird sich ein Brexit auf die Königreichs gewählten) Parlaments würde das Ver- politischen Ergebnisse der Europawahl auswirken. einigte Königreich zunächst 73 Abgeordnete in das Vom Zeitpunkt eines Austritts des Vereinigten Kö- Europaparlament entsenden. Mit einem späteren nigreichs hängt nicht nur die künftige Zusammen- Austritt des Vereinigten Königreichs würden diese setzung des Europäischen Parlaments ab, sondern britischen Abgeordneten dann ausscheiden und auch die Besetzung zentraler Ämter, insbesondere 27 Abgeordnete der unterrepräsentierten Mitglied- der Europäischen Kommission, da das Europäi- staaten nachrücken. sche Parlament die neue EU-Kommission mit der Mehrheit seiner Mitglieder bestätigt. Die britische Regierung hat inzwischen bestätigt, dass die Britin- Vorbereitungen auf den Brexit nen und Briten an den Europawahlen teilnehmen und europapolitischer Ausblick werden. Die Regierung kündigte aber an, weiterhin zu versuchen, das Austrittsabkommen noch vor Sowohl die Europäische Kommission als auch die der Konstituierung des neuen Europäischen Parla- Bundesregierung sind der festen Überzeugung, dass ments am 2. Juli 2019 zu ratifizieren, um eine Ent- ein geordneter Austritt des Vereinigten Königreichs sendung der britischen Abgeordneten zu verhin- auf der Grundlage des mit der Regierung des Verei- dern. Bei einem Austritt des Vereinten Königreichs nigten Königreichs verhandelten und vom Europä- nach Durchführung der Europawahlen, aber noch ischen Rat am 25. November 2018 angenommenen vor der Konstituierung des Europaparlaments am Austrittsabkommens eine ausgewogene Lösung 2. Juli 2019 würden keine britischen Abgeordne- für die komplexe Entflechtung von EU und Verei- ten mehr in das Parlament entsandt. In diesem Fall nigtem Königreich darstellen würde. Die Anstren- würden dem neuen Europaparlament dann nur gungen der Bundesregierung sind daher weiter noch 705 statt 751 Abgeordnete angehören. Von auf das Erreichen dieser Lösung gerichtet. Mit der den 73 britischen Sitzen verblieben 46 Sitze als Re- Entscheidung des Europäischen Rates vom 10. Ap- serve für mögliche EU-Erweiterungen und 27 Sitze ril 2019, die Austrittsfrist bis zum 31. Oktober 2019 würden auf 14 Mitgliedstaaten verteilt, die bisher zu verlängern, wurde zudem erneut eine auch zeit- leicht unterrepräsentiert waren. Bei einem Aus- lich flexible Lösung zur Entscheidungsfindung im tritt des Vereinigten Königreichs nach der Kons- Vereinigten Königreich gefunden. tituierung des (unter Teilnahme des Vereinigten 23
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Bedeutung des Brexits für die europäische Integration Mai 2019 Bisheriger Verlauf des Brexits Tabelle 2 23. Juni 2016 Referendum im Vereinigten Königreich: knapp 52 % der Wählerinnen und Wähler stimmen für den sogenannten Brexit 29. März 2017 Austrittsantrag des Vereinigten Königreichs nach Art. 50 des Vertrags über die Europäische Union Beginn zweijähriger Frist bis zum Brexit 19. Juni 2017 Offizieller Beginn der Austrittsverhandlungen November 2018 Einigung Verhandlungsführer der EU-Kommission und des Vereinigten Königreichs auf Wortlaut des Austrittsabkom- mens Billigung des Austrittsabkommens und der Politischen Erklärung durch die EU-Kommission und den Europäischen Rat 20. März 2019 Vereinigtes Königreich beantragt Verlängerung des Austrittsdatums bis zum 30. Juni 2019 zur Ratifizierung des Aus- trittsabkommens, weil keine Mehrheit im britischen Unterhaus für Austrittsabkommen zustande kommt 22. März 2019 Europäischer Rat gewährt Austrittsverlängerung bis zum 12. April 2019 (beziehungsweise bis zum 22. Mai 2019, falls das Austrittsabkommen vor dem 29. März 2019 vom Vereinigten Königreich ratifiziert worden wäre) 29. März 2019 Keine Einigung im britischen Unterhaus über eine Ratifizierung des Austrittabkommens 5. April 2019 Vereinigtes Königreich bittet um Verlängerung der Austrittsfrist bis zum 30. Juni 2019 10. April 2019 Sonder-Europäischer Rat entscheidet: Flexible Verlängerung bis 31. Oktober 2019 mit Pflicht des Vereinigten Königreichs zur Teilnahme an Europawahlen, wenn kein Austritt des Vereinigten Königreichs vor dem 22. Mai 2019 erfolgt Da angesichts der Unsicherheiten mit Blick auf die auch der Mitgliedstaaten und der Bürgerinnen und Ratifizierung des Austrittsabkommens durch das Bürger von enormer Bedeutung sind. britische Parlament ein Ausscheiden ohne Abkom- men weiterhin nicht ausgeschlossen werden kann, haben die Europäische Kommission, alle EU-Or- Steuern gane und die Mitgliedstaaten zahlreiche Maßnah- men zur Vorbereitung aller möglichen Szenarien Das am 29. März 2019 in Kraft getretene Brexit-Steu- für den Austritt des Vereinigten Königreichs ge- erbegleitgesetz sieht in verschiedenen Bereichen des troffen und eng mit jeweils betroffenen privaten deutschen Steuerrechts Übergangs- beziehungs- Interessenträgern zusammengearbeitet, um mög- weise Vertrauensschutzregelungen vor, um ins- liche negative Auswirkungen eines No-Deal-Sze- besondere in bereits weitgehend abgeschlossenen narios abzumildern. Aufgrund dieser kollektiven Sachverhalten, deren rechtliche Wirkungen aber Anstrengungen ist die EU der 27 heute auch auf ei- über den Zeitpunkt des Brexits hinaus andauern, nen ungeordneten Austritt vorbereitet. Maßnah- nachteilige Folgen allein aufgrund des Brexits zu ver- men und Vorgaben der Europäischen Kommission meiden. Dies betrifft Sachverhalte aus dem Bereich dienen in erster Linie dem Schutz der EU-Bürge- der Unternehmensbesteuerung, der „Riester“-För- rinnen und -Bürger im Vereinigten Königreich so- derung, des Außensteuergesetzes, der Grunderwerb- wie der Bürgerinnen und Bürger des Vereinigten steuer sowie der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Königreichs in der EU. Auf nationaler Ebene ha- ben in Deutschland alle Bundesressorts gesetzliche und untergesetzliche Maßnahmen für den Fall ei- Vorbereitung des Finanzmarkts nes No-Deal-Szenarios ausgearbeitet. Die Vorbe- reitungen im Zuständigkeitsbereich des BMF bil- Auf europäischer Ebene hat die Europäische Kom- den dabei einen wesentlichen Eckpfeiler, da sie für mission dem wichtigsten Risiko für die Finanz- die wirtschaftliche Lage der Union als Ganzes, aber marktstabilität aus einem Austritt ohne Abkom- men durch ihre für diesen Fall übergangsweise (auf 24
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Bedeutung des Brexits für die europäische Integration Mai 2019 zwölf Monate befristete) getroffene positive Äqui- Sterbekassen und kleinen Versicherungsunterneh- valenz-Entscheidung zu britischen zentralen Kon- men genommen werden.1 trahenten (Central Counterparties beziehungs- Analysen und Berichte weise CCPs) Rechnung getragen. CCPs treten im Wertpapier- und Derivatehandel auf als Mittler Stärkung des Finanzstandorts zwischen Gegenparteien. Das Clearing über CCPs Deutschland dient der Ausschaltung des Gegenparteiausfallri- sikos. In diesem Bereich wäre der ungeregelte Bre- Wenngleich die Entscheidung des Vereinigten Kö- xit besonders folgenreich, da britische CCPs derzeit nigreichs, die EU zu verlassen, von der Bundesre- stark von EU-Marktteilnehmern genutzt werden. gierung nach wie vor bedauert wird, führt diese gleichzeitig bereits jetzt zu einer Neuorientierung Zudem hat die Europäische Wertpapier- und in der Standortpolitik vieler Finanzdienstleister Marktaufsichtsbehörde (ESMA) sich für die euro- und zur Verlagerung entsprechender Geschäfts- päischen Finanzaufsichtsbehörden mit der briti- aktivitäten in die EU-27. Da aus Sicht der Bundes- schen Financial Conduct Authority (FCA) auf ein regierung Deutschland als zentraler europäischer Muster-Memorandum-of-Understanding (MoU) Finanzstandort hervorragende Bedingungen als zur Zusammenarbeit der Finanzaufsichtsbehör- künftiger Standort nicht nur für diese zur Verla- den im Wertpapierbereich geeinigt. Die Bundesan- gerung anstehenden Aktivitäten, sondern auch für stalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat die Schaffung zahlreicher weiterer hochqualifizier- dieses MoU mit der FCA unterzeichnet. Ein MoU ter Arbeitsplätze im deutschen Finanzsektor bietet, ist eine Voraussetzung für den grenzüberschreiten- setzt sie sich dafür ein, auch weitere internationale den Austausch von Finanzdienstleistungen, z. B. im Unternehmen der Realwirtschaft und internatio- Investmentfondsbereich. nale Finanzdienstleister in Deutschland anzusie- deln. Dementsprechend hat sie Deutschland glo- Auf nationaler Ebene hat das Brexit-Steuerbegleit- bal als attraktiven Wirtschafts- und Finanzstandort gesetz u. a. für bestimmte langfristige grenzüber- positioniert und arbeitet kontinuierlich an einer schreitende Finanzdienstleistungsverträge zeitlich weiteren Erhöhung der Attraktivität des Standorts. befristete Notfallbefugnisse für die BaFin geschaf- Im Rahmen des Brexit-Steuerbegleitgesetzes wurde fen, um Nachteile für die Funktionsfähigkeit und der Kündigungsschutz für bestimmte Risikoträge- die Stabilität der Finanzmärkte sowie für deutsche rinen und Risikoträger von bedeutenden Finan- Versicherungsnehmerinnen und Versicherungs- zinstituten an die Regelungen für leitende Ange- nehmer zu vermeiden. Zudem sieht dieses Gesetz stellte angeglichen. Hierdurch werden die Risiken u. a. Bestandsschutzregelungen für Pfandbriefban- für diese Institute weiter verringert und die Attrak- ken und Bausparkassen vor; ebenso sind bestands- tivität des Finanzstandorts Deutschland gesteigert. schützende Regelungen in der Anlageverordnung sowie der Pensionsfonds-Aufsichtsverordnung be- Das BMF setzt sich gemeinsam mit anderen Akteu- treffend die Kataloge der in diesen Verordnungen ren und der hessischen Landesregierung sowohl zulässigen Anlageformen vorgesehen. Andernfalls aktiv für den Finanzplatz Rhein-Main als auch für müssten mit dem Ausscheiden des Vereinigten Kö- den Finanzstandort Deutschland insgesamt ein. nigreichs aus dem Europäischen Wirtschaftsraum Hierzu werden im jeweils angemessenen Rahmen sonst ordnungsgemäß erworbene Vermögensge- genstände gegebenenfalls aus dem Sicherungs- 1 Vergleiche hierzu vertiefend den Monatsbericht BMF vermögen der Pensionskassen, Pensionsfonds, April 2019, Das Brexit-Steuerbegleitgesetz. 25
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