Qualitätsstandards für die sicherere und bewohnerorientierte Medikation in Pflegeheimen - Patientensicherheit Schweiz
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Nationales Pilotprogramm «progress! Sichere Medikation in Pflegeheimen» Qualitätsstandards für die sicherere und bewohnerorientierte Medikation in Pflegeheimen Dr. Lea Brühwiler, MSc Pharm. Wiss. Dr. med. Simone Fischer Andrea Niederhauser, MPH Prof. Dr. David Schwappach, MPH März 2021
Inhalt 1 Handlungsbedarf 4 2 Programmziele 4 3 Qualitätsstandards 5 3.1 Ziele, Zielgruppe und Anwendungsgebiet 5 3.2 Methoden 5 3.2.1 Systematische Recherche nach Guidelines 5 3.2.2 Ergebnisse Grundlagenprojekt, Wirkungsmodell und Expertengespräche 6 3.2.3 Erarbeitung der Präzisierungen und Rationalen 6 3.3 Definition der Qualitätsstandards 6 3.3.1 Qualitätsstandard I: Die Medikation wird regelmässig und in definierten Situationen überprüft. 7 3.3.2 Qualitätsstandard II: Die Medikationsüberprüfung wird strukturiert durchgeführt. 8 3.3.3 Qualitätsstandard III: Die Medikation wird strukturiert monitorisiert. 10 3.3.4 Qualitätsstandard IV: Alle Fachpersonen engagieren sich für eine optimale interprofessionelle Zusammenarbeit. 11 3.3.5 Qualitätsstandard V: Die Bewohnerinnen werden aktiv in den Medikationsprozess einbezogen. 13 4 Delphi-Verfahren 14 4.1 Ziel 14 4.2 Vorgehen 14 4.2.1 Rekrutierung der Expertinnen 14 4.2.2 Pilotierung 15 4.2.3 Durchführung 15 4.2.4 Auswertung 16 4.3 Ethik 17 5 Literaturverzeichnis 18 6 Anhang 22 6.1 Verwendete Suchbegriffe für die systematische Suche in wissenschaftlichen Datenbanken 22 6.2 Guideline-Datenbanken für die systematische Suche 23 2 Stiftung Patientensicherheit Schweiz · «progress! Sichere Medikation in Pflegeheimen» · Qualitätsstandards
Hinweise • Der Begriff Pflegeheim wird aus Gründen der besse- ren Lesbarkeit synonym für Alters- und Pflegeinstitutio- nen verwendet. Nicht gemeint sind Einrichtungen für betreutes Wohnen, Wohngruppen oder Hospize. • Die gesetzlichen und fachlichen Anforderungen an sämt- liche hier beschriebenen Verhaltensweisen und Prozesse werden über die in den Qualitätsstandards beschrie- benen Anforderungen gestellt. Die verantwortlichen Per- sonen in den Pflegeheimen müssen gewährleisten, dass die Gesetze eingehalten werden. • Die hier beschriebenen Qualitätsstandards beschreiben Mindestanforderungen an die Versorgung. Es gibt Situationen, bei denen vertiefte klinische Aktivitäten notwendig sind. Abkürzungen AIMS Struktur für die Medikationsüberprüfung (vgl. QS III) CDSS Clinical Decision Support System GPGP Good-Palliative Geriatric-Practice Algorithmus PIM Potenziell inadäquate Medikation (Unterkategorie von PIP) PIP Potentially inappropriate prescribing, potenziell inadäquate Verschreibung QS Qualitätsstandard UAE Unerwünschte arzneimittelbezogene Ereignisse Stiftung Patientensicherheit Schweiz · «progress! Sichere Medikation in Pflegeheimen» · Qualitätsstandards 3
1 Handlungsbedarf 2 Programmziele Rund 120 000 meist betagte und multimorbide Personen le- Das Programm «progress! Sichere Medikation in Pflegehei- ben schweizweit über längere Zeit in Pflegeheimen (1). Al- men» hat das übergeordnete Ziel, UAE bei Bewohnerinnen tersbedingte Einschränkungen und Multimorbidität führen und Bewohnern von Schweizer Pflegeheimen zu reduzieren. sehr häufig zum Problem der Polypharmazie, die wieder- Die verordnete Medikation soll zu diesem Zweck sichererer um die Wahrscheinlichkeit für Interaktionen, fehlerhafte An- und bewohnerorientiert werden. D. h. es ist der grösste Nut- wendungen, Verwechslungen, schlechte Therapieadhärenz zen im Verhältnis zum geringsten Risiko anzustreben und der Bewohnerinnen und Bewohner und insbesondere für un- die individuellen Präferenzen und Bedürfnisse der Bewoh- erwünschte Arzneimittelereignisse (UAE) erhöht (2–4). Die nerinnen und Bewohner sollen Berücksichtigung finden. Im Einnahme jedes zusätzlichen Medikaments erhöht auch Fokus stehen dabei die im ersten Kapitel erläuterten Prob- das Risiko für einen kognitiven Abbau, Spitaleinweisungen lemfelder Polypharmazie und PIP. und Mortalität (5–10). Bereits ab zwei Medikamenten steigt Im Programm «progress! Sichere Medikation in Pflegehei- das Risiko für UAE für jedes weitere Medikament um 8,6 % men» verstehen wir als sicherere Medikation eine Verände- (11). In der Schweiz erhalten Bewohnerinnen und Bewohner rung hin zu: von Pflegeheimen durchschnittlich 9,3 Medikamente, wobei • weniger Medikamenten (Reduktion der Polypharmazie); 85,5 % der Heimbewohnerinnen von Polypharmazie (Bezug • weniger PIM, d. h. weniger Medikationen mit einem un- von mindestens 5 Medikamenten innert 3 Monaten) betrof- günstigen Nutzen-Risiko-Verhältnis bei Pflegeheimbe- fen sind (12). wohnerinnen und -bewohnern, insbesondere weniger antipsychotische Substanzen, Benzodiazepine oder Me- Problematisch ist die Polypharmazie insbesondere dann, dikamente mit anticholinergen Nebenwirkungen; wenn eine potenziell inadäquate Verordnung vorliegt (poten- • weniger potenziell schädliche Interaktionen und Duplika- tially inappropriate prescribing, kurz PIP). PIP lässt sich in tionen. Über-, Unter- und Fehlversorgung kategorisieren (13). Eine Überversorgung (overprescribing) ist definiert als eine nicht Damit eine sicherere Medikation im Pflegeheim erreicht wer- indizierte Therapie. In einer Schweizer Interventionsstudie den kann, müssen also Unter-, Über- und Fehlversorgung wurden im Rahmen eines Medication Reviews bei 329 Pfle- identifiziert und kompetent angepasst werden. Hierbei sol- geheimpatientinnen und -patienten 56 Medikamente ohne len insbesondere unnötige und potenziell schädliche Medi- Indikation identifiziert (14). Eine Unterversorgung (under- kamente vermieden und wenn möglich kontrolliert abge- prescribing) liegt vor, wenn indizierte Medikamente nicht setzt oder reduziert werden (deprescribing). Ist eine Reduk- verordnet werden (15). Dies konnte beispielsweise in einer tion der Medikation aus medizinischen Gründen nicht mög- niederländischen Studie bei 43% der geriatrischen Patien- lich, ist auf die Angemessenheit der (Poly-)Medikation zu tinnen und Patienten mit Polypharmazie, aber nur bei 13,5 % achten. Auch sollen Medikamente neu eingesetzt werden, ohne Polypharmazie nachgewiesen werden (16). Unter ei- wenn ihr Nutzen die Risiken überwiegt. ner Fehlversorgung (misprescribing) wird eine inkorrekte re- Unter einer bewohnerorientierten Medikation verstehen wir spektive suboptimale Verschreibung einer indizierten Medi- den Einbezug der Wünsche, Bedürfnisse und Lebenssitu- kation verstanden (13). Dazu gehörige Unterkategorien bil- ation der Bewohnerinnen und Bewohner. Dies kann konse- den: Wirtschaftlichkeit, Follow-up (z. B. inadäquates oder quentermassen nur erfolgen, wenn diese soweit möglich fehlendes Follow-up), Duplikationen und eine sogenann- aktiv in den Medikationsprozess mit einbezogen werden. te PIM (potenziell inadäquate Medikation). PIM weisen bei geriatrischen Patientinnen und Patienten ein schlechtes Nutzen-Risiko-Verhältnis auf. Deren Einsatz birgt ein erhöh- tes Risiko für UAE (17) und Spitaleinweisungen (18–21). Da- ten von 2016 aus der Schweiz zeigen, dass 79,1 % der Pfle- geheimbewohnerinnen und Pflegeheimbewohner mindes- tens ein PIM bezogen (12). Polypharmazie und PIP stellen somit zentrale Problemfel- der in der medikamentösen Behandlung von Pflegeheimbe- wohnerinnen und Pflegeheimbewohnern dar und gefährden deren Sicherheit. 4 Stiftung Patientensicherheit Schweiz · «progress! Sichere Medikation in Pflegeheimen» · Qualitätsstandards
3 Qualitätsstandards 3.1 Ziele, Zielgruppe und Anwendungsgebiet 3.2 Methoden Die im Folgenden definierten Qualitätsstandards (QS) be- Diese Qualitätsstandards wurden auf der Basis einer sys- schreiben Minimalanforderungen an die Medikationspro- tematischen Recherche nach Guidelines sowie anhand der zesse und an das Verhalten der Fachpersonen, um das in Ka- Ergebnisse des Grundlagenprojekts «progress! Sichere Me- pitel 2 erläuterte Ziel – eine sicherere und bewohnerorien- dikation in Pflegeheimen» (22), anhand der Arbeit an einem tierte Medikation – zu erreichen. Schwerpunkte bilden das Wirkungsmodell sowie Gesprächen mit Expertinnen und Überprüfen und Überwachen der Medikation der Bewohne- Experten erarbeitet. Anschliessend wurde ein Set von Qua- rinnen und Bewohner unter Einbezug aller am Medikations- litätsstandards ausgearbeitet und nach weiterer fachlicher prozess involvierten Fachpersonen sowie der Bewohnerin- Vertiefung in Formulierung und Inhalt abschliessend defi- nen und Bewohner selbst. niert und präzisiert. Delphi-Verfahren Kapitel 4. Zielgruppe der Qualitätsstandards sind Fachpersonen al- ler Berufsgruppen, die am Medikationsprozess im Pflege- heim involviert sind: Ärztinnen und Ärzte, Apothekerinnen 3.2.1 Systematische Recherche nach Guidelines und Apotheker, Pflegefachpersonen. Im November 2018 erfolgte eine systematische Recherche Die Empfehlungen der Qualitätsstandards gelten für die nach relevanten Guidelines. Einschlusskriterien waren: Pra- medikamentöse Therapie von in Pflegeheimen wohnhaften xisguidelines für Gesundheitsfachpersonen in den Spra- Personen. Mit medikamentöser Therapie sind jegliche phar- chen Englisch, Deutsch oder Französisch, maximal 10 Jahre makologischen Therapien mit schulmedizinischem oder al- alt, Fokus auf der guten Verordnungspraxis oder der guten ternativmedizinischem Wirkungskreis gemeint, aber auch Praxis der Medikationsüberprüfung sowie Bezug auf Pfle- der Entscheid gegen eine medikamentöse Therapie. geheimbewohnerinnen und -bewohner oder auf ältere Pati- Natürlich gibt es klinische Situationen, bei denen die hier entinnen und Patienten. beschriebenen Minimalanforderungen nicht ausreichen. Die Suche wurde in wissenschaftlichen Datenbanken, Guide- Dort werden vertieftere klinische Aktivitäten der Fachperso- line-Datenbanken und mittels Internet-Suchmaschine nen nötig. durchgeführt: Die Qualitätsstandards beziehen sich explizit nicht auf die • Als wissenschaftliche Datenbanken fanden Pubmed, Ci- Behandlung der End of life-Phase! nahl und Embase Berücksichtigung. Die verwendeten Suchbegriffe sind im Anhang 6.1 aufgelistet. Zudem finden die folgenden Aspekte keine Berücksichti- • Bzgl. Guideline-Datenbanken erfolgte die Suche in Da- gung: tenbanken, welche dem Programm-Team bekannt waren • Anamnese, klinische Untersuchung und Diagnosestel- oder über eine unsystematische Google-Suche gefunden lung; wurden. Die Auswahl der Datenbanken ist im Anhang 6.2 • Prozesse der Bestellung, Lieferung, Lagerung, des Rich- ersichtlich. Die Suche wurde wie bei der Recherche in tens, der Verabreichung und Entsorgung von Medikamen- den wissenschaftlichen Datenbanken auch mit Synony- ten sowie die routinemässige Rezeptvalidierung durch men (z. B. Arzneimittel anstatt Medikation) durchgeführt. die Apothekerin oder den Apotheker; Wenn in nicht-englischen Datenbanken recherchiert wur- • Konkrete indikationsspezifische Therapieempfehlungen de, erfolgte eine Übersetzung der Begriffe in die jeweilige und Auswahl von konkreten therapieüberwachenden dia- Sprache. War keine Freitextsuche möglich, wurden die gnostischen Massnahmen, wie z.B. Labor, EKG, Mini- Dokumente der Guideline-Datenbanken durchgesehen Mental-State-Test; (Titel-screening). • Nicht-pharmakologische Therapieformen, wie z. B. Psy- • Die systematische Suche via Internet-Suchmaschine chotherapie, Physiotherapie sowie Medizinprodukte und (Google) erzielte eine sehr hohe Zahl an Treffern, welche operative Eingriffe; deshalb nicht systematisch gesichtet werden konnten. • Arzneimitteladhärenz der Bewohnerinnen und Bewohner. Aus der systematischen Recherche resultierten fünf Guide- lines, welche den oben genannten Einschlusskriterien ent- sprachen (23–27). Diese wurden anhand ihrer Vor- und Nachteile bewertet. Ein gewichtiger Nachteil zweier Guide- lines (26, 27) ist die fehlende Beschreibung der Erarbeitungs- methode. Des Weiteren ist die Leitlinie Multimorbidität (25) Stiftung Patientensicherheit Schweiz · «progress! Sichere Medikation in Pflegeheimen» · Qualitätsstandards 5
3 Qualitätsstandards 3.2 Methoden indikationsbezogen aufgebaut und eignet sich deshalb 3.2.3 Erarbeitung der Präzisierungen nicht für die vorliegende Fragestellung. Daher erfolgte der und Rationalen Ausschluss dieser drei Guidelines. Als solide Grundlage für Die definierten Qualitätsstandards wurden so präzisiert, die Erstellung der vorliegenden Qualitätsstandards wurden dass diese in den Pflegeheimen im Sinne von Minimalanfor- somit die «Managing medicines in care homes» (23) und die derungen konkret umgesetzt werden können. Hausärztliche Leitlinie Multimedikation (24) in die weitere Die wissenschaftliche Literatur war die wesentliche Grund- Arbeit einbezogen. lage für die Erarbeitung der jeweiligen Präzisierungen. Eben- falls wurden – im Gegensatz zu den Qualitätsstandards, wo nur die in der systematischen Suche gefundenen NICE und 3.2.2 Ergebnisse Grundlagenprojekt, Wirkungs- DEGAM-Guidelines einbezogen wurden – für die Präzisierun- modell und Expertengespräche gen weitere Guidelines als Informationsquelle hinzugezo- Im Grundlagenprojekt «progress! Sichere Medikation in gen. Diese waren aufgrund ihrer Heterogenität (Herkunfts- Pflegeheimen» wurden mittels Literaturrecherche, einer On- land, Gesundheitssystem, Autoren) für die Präzisierung der line-Befragung von Pflegedienstleitungen in schweizeri- Qualitätsstandards eine wertvolle Informationsquelle. schen Pflegeheimen sowie durch explorative Interviews mit Die Rationalen begründen die Auswahl der Präzisierungen an- Ärztinnen und Ärzten die folgenden Erkenntnisse gewon- hand oben genannter Quellen (Stand 2019). Sie sollen den nen. Diese fanden bei der Erstellung der Qualitätsstandards Fachpersonen dazu dienen, die Präzisierungen nachvollzie- Berücksichtigung: hen zu können. • Multimodale Interventionen scheinen vielversprechend. Um das Programmziel zu erreichen, muss deshalb an ver- schiedenen Stellen angesetzt werden. • National und international getestete Interventionen unter- 3.3 Definition der Qualitätsstandards stützen bei der Definition der Qualitätsstandards, sind aber nicht auf die ganze Schweiz übertragbar. Die Anpassbar- Es wurden die folgenden fünf Qualitätsstandards als Mini- keit an die sehr heterogenen schweizerischen Gegeben- malanforderungen an die Versorgung von Pflegeheimbewoh- heiten soll genügend Aufmerksamkeit erhalten. nerinnen und -bewohner definiert: • Anzustreben sind eine Förderung der interprofessionellen • Die Medikation wird regelmässig und in definierten Situatio- Zusammenarbeit, die Etablierung von Austauschgefässen nen überprüft. und Kommunikationswegen sowie von interprofessionel- • Die Medikationsüberprüfung wird strukturiert durchge- len Prozessen und die Klärung der Verantwortlichkeiten. führt. • Geregelte, strukturierte Prozesse bei der Medikations- • Die Medikation wird strukturiert monitorisiert. überprüfung und bei der Überwachung der Therapie müs- • Alle Fachpersonen engagieren sich für eine optimale inter- sen in der Schweiz verbreitet und implementiert werden. professionelle Zusammenarbeit. Hilfsmittel und Anleitungen sind dazu nötig. • Die Bewohnerinnen und Bewohner werden aktiv in den • Die Medikationsüberprüfung soll regelmässig (nicht pro- Medikamentenprozess einbezogen. blemorientiert) und situationsbedingt (problemorientiert) stattfinden. Grundlegende Voraussetzung für die Umsetzung der Qua- litätsstandards (I–III) ist, dass allen Fachpersonen zu jeder Die detaillierten Resultate sind in den veröffentlichten Do- Bewohnerin oder jedem Bewohner eine Dokumentation mit kumenten des Grundlagenprojektes einsehbar (22, 28–30). aktuellen, korrekten und verständlichen Informationen zur Bereits während des Grundlagenprojektes und auch in der Verfügung steht (23, 24, 31). Auch sollten alle involvierten ersten Phase des Vertiefungsprojektes wurde ein Wirkungs- Fachpersonen über die gleichen Informationen verfügen. modell entwickelt, welches aufzeigt, welche Wirkungen im Das heisst beispielweise, dass Änderungen in der Medikati- Projekt mit welchen Massnahmen und Aktivitäten erzielt wer- on bei allen Fachpersonen angepasst werden müssen. Da- den sollen. In diversen teaminternen Diskussionen wurde für sind klar definierte Prozesse zum Informationsabgleich die Wirkungslogik diskutiert und abschliessend festgelegt. an den Schnittstellen und bestenfalls Zugang zum Doku- Auch Gespräche mit Praxis- und/oder Fachexpertinnen und mentationssystem der anderen Fachgruppe respektive ein -experten haben das Wirkungsmodell sowie die Erarbeitung zentrales oder einheitliches Dokumentationssystem erfor- und Definition der Qualitätsstandards entscheidend mitbe- derlich. Auch sollten sich alle Fachpersonen auf eine ge- einflusst. meinsame Sprache, d. h. gleiche Abkürzungen, Masseinhei- ten etc. verständigen. 6 Stiftung Patientensicherheit Schweiz · «progress! Sichere Medikation in Pflegeheimen» · Qualitätsstandards
3 Qualitätsstandards 3.3 Definition der Qualitätsstandards Generell leistet das Programm einen Beitrag zur Entwick- lung einer Sicherheitskultur in Pflegeheimen. Eine wesent- • Die situationsbedingte Medikationsüberprüfung wird bei liche Grundvoraussetzung dafür ist, dass sich alle beteilig- jedem Ereignis durchgeführt, auch wenn kürzlich bereits ten Fachpersonen hinter diesem Ziel und Anspruch versam- eine regelmässige oder situationsbedingte Überprüfung meln. stattgefunden hat. Im Folgenden werden die fünf Qualitätsstandards präzisiert und anhand einer Rationalen, welche die Evidenz für den jeweiligen Qualitätsstandard sowie dessen Präzisierungen Rationale referenziert, deren Auswahl begründet (vgl. Kapitel 3.2.3). In der wissenschaftlichen Literatur und auch in diversen Guidelines wird der «Medication Review» (dt. Medikations- analyse) beschrieben. Da diese teilweise sehr umfassende und heterogen umgesetzte Medikationsanalyse der hier be- 3.3.1 Qualitätsstandard I: schriebenen Medikationsüberprüfung am nächsten kommt, Die Medikation wird regelmässig und bezieht sich die Rationale auf solche Studien und Guideli- in definierten Situationen überprüft. nes. Bei jeder Bewohnerin und jedem Bewohner wird regelmäs- Die in der wissenschaftlichen Literatur beschriebene und in sig eine Überprüfung der Medikation durchgeführt («regel- Guidelines empfohlene Frequenz für Medication Reviews mässige Medikationsüberprüfung»). ist sehr heterogen. Auf Evidenz und Expertenkonsens beru- • Die Zeitabstände zwischen zwei regelmässigen Überprü- hende Guidelines empfehlen eine Überprüfung mindestens fungen betragen höchstens ein halbes Jahr. einmal jährlich (23, 24). Weitere Guidelines postulieren eine • Das Fälligkeitsdatum der nächsten regelmässigen Über- Durchführung alle 6–12 Monate (32), alle 12 Monate (27, 33), prüfung ist für jede Bewohnerin und jeden Bewohner indi- alle 15 Monate (34) oder sie empfehlen eine Regelmässig- viduell schriftlich dokumentiert. keit, ohne eine Frequenz zu definieren (35–40). Nur weni- • Eine designierte Fachperson ist für das Management der ge Studien geben Hinweise darauf, in welchen Intervallen Fälligkeiten verantwortlich, d. h. sie monitorisiert die Fällig- eine Medikationsüberprüfung stattfinden soll, um medikati- keit. onsbezogene Endpunkte zu verbessern: Preliminäre Daten aus der Schweizer Chronic Care Studie in der ambulanten Die Medikation der Bewohnerin oder des Bewohners wird Versorgung zeigen, dass die Anzahl Medikamente nach dem in definierten Situationen überprüft («situationsbedingte Me- Medication Review in der Interventionsgruppe signifikant dikationsüberprüfung»). tiefer ist als in der Kontrollgruppe. Nach 6 Monaten ist dieser • Definierte Situationen sind: Unterschied aber nicht mehr nachweisbar (Neuner-Jehle – Jede klinisch relevante Veränderung des Allgemeinzu- et al., unpublizierte Daten aus der Chronic Care Studie). Eine standes, der Vitalparameter oder Laborwerte randomisiert kontrollierte Studie aus Israel testete einen – Neueintritt ins Heim Medication Review zum Studienstart und nach 6 Monaten – Jeder Wiedereintritt nach einem Spitalaufenthalt (41, 42). Die Studie zeigte, dass sich die Outcomes (Anzahl – Wenn eine konsiliarisch beigezogene Spezialistin bzw. Medikamente, potenziell inadäquate Verschreibung, Kosten, ein Spezialist oder andere Ärztin bzw. ein anderer Arzt Stürze) innerhalb der Interventionsgruppe nach dem ersten (z. B. Notfallärztin oder -arzt, Stellvertretung) eine Neu- und zweiten Review verbesserten. Aufgrund dieser Evidenz verordnung vornimmt scheint es sinnvoll und ist auch plausibel, eine Medikations- – Hinweise einer Fachperson (z. B. einer Pflegefachper- überprüfung alle 6 Monate durchzuführen. son, einer Apothekerin oder eines Apothekers, einer Veränderung: Es ist plausibel, dass bei jeder Veränderung Spezialistin oder eines Spezialisten), dass eine Über- des Gesundheitszustandes die Medikamente überprüft prüfung aufgrund von Sicherheitsbedenken sinnvoll ist werden sollen. Einerseits, um Medikamente als mögliche – Wenn dies im Monitoring anberaumt wurde (Verweis Faktoren für die Veränderung zu identifizieren, andererseits QS III) um Medikamente zu identifizieren, welche in der akuten Si- • Die Pflegefachperson meldet jede dieser Situationen der tuation nicht angemessen sind. Ärztin oder dem Arzt, sobald sie davon Kenntnis erhält. Neu- und Wiedereintritt: Vor einem (erneuten) Pflegeheim- • Die Ärztin oder der Arzt ist dafür verantwortlich, dass die aufenthalt steht häufig ein Spitalaufenthalt (43). Während situationsbedingte Medikationsüberprüfung durchge- eines Spitalaufenthalts werden im Allgemeinen viele The- führt wird, wenn eine Situation auftritt. rapieänderungen vorgenommen und danach vermehrt PIM Stiftung Patientensicherheit Schweiz · «progress! Sichere Medikation in Pflegeheimen» · Qualitätsstandards 7
3 Qualitätsstandards 3.3 Definition der Qualitätsstandards eingesetzt, wie zwei Schweizer Studien aus dem stationä- ren respektive ambulanten Bereich gezeigt haben (20, 44). – Potenziell inadäquate Dosierung (inkl. Dosis, Intervalle, Bei Neueintritten muss die Medikation erneut systematisch Zeitpunkte)* erfasst werden, was eine fehleranfällige Aktivität darstellt – Potenziell inadäquate Therapiedauer* (45). Daher ist es aus fachlicher und organisatorischer Sicht • Zur Prüfung der * verwendet die Apothekerin oder der sinnvoll, bei Neu- und Wiedereintritten eine Medikations- Apotheker eine explizite PIP-Liste. überprüfung durchzuführen. • Die Apothekerin oder der Apotheker erarbeitet konkrete Verordnung durch eine Spezialistin bzw. einen Spezialisten Empfehlungen und leitet sämtliche Informationen an die oder eine andere Ärztin bzw. einen anderen Arzt: Es kann Ärztin oder den Arzt und eine designierte Pflegefachper- für Spezialistinnen und Spezialisten oder für im Notfall hin- son weiter. zugezogene Ärztinnen und Ärzte herausfordernd sein, die • Wenn bei der regelmässigen Überprüfung keine Apothe- Gesamtsituation der Bewohnerin oder des Bewohners zu kerin oder Apotheker zur Verfügung steht und bei jeder erfassen. Daher ist es plausibel, dass die betreuende Ärztin situationsbedingten Überprüfung, liegt die pharmazeuti- bzw. der betreuende Arzt ebenfalls sicherstellt, dass Thera- sche Prüfung in der Verantwortung der Ärztin oder des pieänderungen durch die Spezialistin bzw. den Spezialisten Arztes. oder durch die Notfallärztin bzw. den Notfallarzt bewohner- orientiert sind. Ein Editorial (46) und auch zwei Guidelines Pflegerische Beobachtung (37, 38) unterstreichen diese Rolle der Ärztin oder des Arz- • Die Pflegefachperson macht folgende Beobachtungen: tes im Falle von «shared care». (Verweis QS III) Sicherheitsbedenken: Diverse Guidelines heben die Sinn- – Beobachtungen zum Gesundheitszustand (z. B. Ver- haftigkeit einer Überprüfung der Medikation auf Wunsch der wirrtheit, Schläfrigkeit, neue Beschwerden, funktionelle Patientin bzw. des Patienten oder einer Fachperson hervor Verschlechterung) (35, 40). Verschiedene Fachpersonen können aufgrund ihres – Beobachtungen, ob potenziell inadäquate Darrei- Fachwissens und ihrer Beobachtungen Sicherheitsbeden- chungsformen und -wege verwendet werden ken gegenüber der bestehenden Medikation erkennen und – Beobachtungen, ob Einnahme- oder Anwendungs- äussern (sog. «speak up»-Verhalten). In der wissenschaftli- schwierigkeiten bestehen chen Literatur wird das speak-up Verhalten mehrfach aufge- • Eine dafür qualifizierte Pflegefachperson bewertet die griffen oder als positiv bewertet (47, 48) und man geht da- Beobachtungen. von aus, dass dies zu einer Erhöhung der Patientensicher- • Die Pflegefachperson leitet diese Informationen an die heit führen kann (49). Ärztin oder den Arzt weiter und bringt ihr Wissen zu mög- lichen Problemlösungen mit ein. Medizinische Beurteilung 3.3.2 Qualitätsstandard II: • Die Ärztin oder der Arzt geht bei der Beurteilung nach fol- Die Medikationsüberprüfung wird gender Struktur («AIMS») vor: strukturiert durchgeführt. • Acute Problems: Die Ärztin oder der Arzt beurteilt, ob • Dieser Qualitätsstandard gilt sowohl für die regelmässige akute Probleme mit der Medikation bestehen (z. B. Ne- als auch für die situationsbedingte Überprüfung, wenn benwirkungen, Einnahmeschwierigkeiten). auch die Ausführung in einigen Aspekten variieren kann. – Hierbei werden die Informationen aus der pflegeri- • Jede Fachperson, welche an der Überprüfung beteiligt ist, schen Beobachtung und – wenn vorliegend – aus der stellt sicher, dass ihr eine vollständige, aktuelle und kor- pharmazeutischen Prüfung einbezogen. rekte Medikationsliste vorliegt. • Indication*: Die Ärztin bzw. der Arzt beurteilt, ob die Indikation mit der Medikation übereinstimmt, ob also Pharmazeutische Prüfung eine Unter- oder Überversorgung vorliegt. • Die Apothekerin oder der Apotheker prüft soweit möglich, • Misprescribing*: Basierend auf den Informationen aus ob eine Fehlversorgung vorliegt: der pharmazeutischen Prüfung und der pflegerischen – relevante Interaktionen Beobachtung beurteilt die Ärztin oder der Arzt, ob eine – Duplikationen von Wirkstoffen oder Wirkstoffgruppen Fehlversorgung vorliegt: – Potenziell inadäquater Wirkstoff* – Potenziell inadäquater Wirkstoff* 8 Stiftung Patientensicherheit Schweiz · «progress! Sichere Medikation in Pflegeheimen» · Qualitätsstandards
3 Qualitätsstandards 3.3 Definition der Qualitätsstandards Rationale – Potenziell inadäquate Dosierung (inkl. Dosis, Intervall, Ziel der Medikationsüberprüfung ist das Erkennen und Be- Zeitpunkt, Darreichungsform und -weg)* arbeiten aller Aspekte einer PIP. Es liegt nahe, dass durch – Potenziell inadäquate Therapiedauer* ein systematisches «Abarbeiten» von potenziellen arznei- – Duplikationen von Wirkstoffen oder Wirkstoffgruppen mittelbezogenen Problemen «blinde Flecken» vermieden – relevante Interaktionen werden können. Diverse Guidelines greifen diesen Gedan- • Solutions: Die Ärztin oder der Arzt erarbeitet Lösungs- ken auf (24, 27, 39, 50). vorschläge (z. B. Alternativen) Um PIP zu identifizieren, können implizite und explizite – Lösungsvorschläge (aus pharmazeutischer Prüfung Hilfsmittel eingesetzt werden (13). Implizite PIM-Listen oder und pflegerischer Beobachtung) werden mitberück- Algorithmen leiten die Fachpersonen mittels Fragen oder sichtigt. Stichworten an, verschiedene Aspekte einer PIP zu beden- – Deprescribing, also das kontrollierte Absetzen oder ken (13). Das älteste und bekannte implizite Hilfsmittel ist Reduzieren von Medikamenten, wird als mögliche Lö- der Medication Appropriateness Index (MAI) (51). Ein neu- sung immer in Betracht gezogen. eres Hilfsmittel ist der Good-Palliative Geriatric-Practice – Das Prozedere wird festgelegt. (GPGP) Algorithmus (52, 53), der auch bereits für die Schweiz – Das Follow-up wird über das Monitoring sicherge- adaptiert wurde (9). Die Anwendung des GPGP-Algorith- stellt (Verweis QS III). mus ist effektiv, um die Zahl der Medikamente zu reduzie- • Zur Beurteilung werden der Allgemeinzustand, zudem ren und den Gesundheitszustand zu optimieren (54). Labor, Vitalparameter, Allergien, Alter, Frailty, Komorbidi- Es liegt nahe, dass ein solches Hilfsmittel einfach verständ- täten und die Wünsche und Bedürfnisse der Bewohnerin- lich und schnell anwendbar sein muss, damit es in der Praxis nen und Bewohner mitberücksichtigt (Verweis QS V). angewendet wird. Ausserdem soll es der üblichen Vorge- • Zur Beurteilung der * verwendet die Ärztin und der Arzt hensweise von Ärztinnen oder Ärzten und Apothekerinnen eine explizite PIP-Liste. oder Apothekern entsprechen. Der MAI enthält viele Fragen und entspricht deshalb nicht den genannten Kriterien. Der Rahmenbedingungen/Durchführung adaptierte GPGP-Algorithmus nach Neuner-Jehle ist kurz • Die regelmässige Überprüfung beinhaltet mindestens je und prägnant, greift aber nicht explizit alle Aspekte einer einen persönlichen Austausch PIP (z. B. Duplikationen) und möglicher Lösungsvorschläge – zwischen Ärztin bzw. Arzt und Pflegefachperson (Ver- auf. Daher wurde für diesen Qualitätsstandard ein struktu- weis QS IV) riertes Vorgehen nach AIMS erarbeitet. – zwischen der Ärztin bzw. dem Arzt oder einer von ihr Zur konkreten Identifikation von PIP können auch explizite bzw. ihm designierten Fachperson und der Bewoh- Hilfsmittel eingesetzt werden. Diese Listen führen konkre- nerin bzw. dem Bewohner, in dem die Ergebnisse der te Wirkstoffe auf, welche mit einer Medikation abgeglichen Überprüfung mit der Bewohnerin bzw. dem Bewohner werden können. Sie adressieren oft das Thema PIM (PIM- besprochen werden (Verweis QS V). Listen wie Priscus-Liste (55), Forta-Liste (56), Norgep-NH • Bei der regelmässigen Überprüfung muss mindestens (57)), einige aber auch zusätzliche Aspekte einer PIP wie Un- ein Teilschritt (z. B. das Festlegen des Prozedere) im Pfle- ter- oder Überversorgung (PIP-Listen, z. B. STOPP/START geheim vor Ort durchgeführt werden, um den oben ge- (58), PIM-Check (59)). Interventionsstudien zu Medication nannten Austausch zwischen Ärztin oder Arzt und Pfle- Reviews verwenden in der Regel eine solche explizite Liste gefachperson in die Routine einzubinden. (41, 60). Gemäss einer aktuellen Übersichtsarbeit gibt es ei- • Im Gegensatz zur regelmässigen Überprüfung können ne wachsende positive Evidenz, dass der Einsatz einer PIM- bei der situationsbedingten Überprüfung Ort und Form oder PIP-Liste die Medikation (z. B. Anzahl PIM) und klini- des Austausches variieren und werden der jeweiligen Si- sche Endpunkte (z. B. Stürze) optimieren kann, wobei die tuation angepasst. Evidenz pro Liste meist immer noch ungenügend ist (61). Deprescribing beschreibt ein durch Fachpersonen über- wachtes Absetzen oder Reduzieren von Medikamenten mit dem Ziel, die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner zu verbessern (62). Eine Metaanalyse kommt zum Schluss, dass PIP, Mortalität und Stürze reduziert werden können, wenn ein deprescribing-fokussierter Medication Review durchgeführt wird (63). Für ein Deprescribing kommen in- Stiftung Patientensicherheit Schweiz · «progress! Sichere Medikation in Pflegeheimen» · Qualitätsstandards 9
3 Qualitätsstandards 3.3 Definition der Qualitätsstandards adäquate oder unnötige Verschreibungen (PIM und Überver- sorgung) in Frage. PIM werden bei 79,1 % der Schweizer • Sicherstellung, dass obige Informationen den Pflegefach- Pflegeheimbewohnerinnen und Bewohner eingesetzt (12) personen kommuniziert werden. und in einer Studie der Westschweiz wurden bei 329 Patien- • Überwachung des gewünschten therapeutischen Effekts tinnen und Patienten 56 Medikamente ohne Indikation iden- sowie potenzieller Nebenwirkungen. Die von der Pflege- tifiziert (14). Bedenken über die gesundheitlichen Folgen des fachperson weitergeleiteten Beobachtungen werden da- Absetzens sind sowohl bei Fachpersonen (64, 65) als auch bei einbezogen. bei Patientinnen und Patienten (66) ein Hindernis für Depre- scribing. Eine zunehmende Anzahl neuer Studien zeigt je- Aufgaben Pflegefachperson doch, dass Deprescribing nicht zu einem verschlechterten • Sicherstellung, dass die von der Ärztin oder dem Arzt Gesundheitszustand führten (54, 67). kommunizierten Beobachtungshinweise dokumentiert Da die Medikationsüberprüfung unterschiedliche fachspezi- werden. fische Kenntnisse und Kenntnisse über die Bewohnerinnen • Überwachung des allgemeinen Gesundheitszustandes und Bewohner voraussetzt, ist es sinnvoll, dass jede Fach- und möglicher Nebenwirkungen gemäss von der Ärztin person ihre Kompetenzen einbringt. Übersichtsarbeiten zei- oder dem Arzt kommunizierten Beobachtungshinweisen. gen teilweise positive Resultate von apothekergeleiteten In- • Umsetzung des durch die Ärztin oder den Arzt festgeleg- terventionen auf die Medikation in Pflegeheimen (68–70). ten Prozedere beim Auftreten von potenziellen Nebenwir- Der Einbezug der Pflege in Medication Reviews ist wenig kungen (z. B. Reservemedikament verabreichen, soforti- untersucht. Eine Studie aus Schweden verglich Medication ge Kontaktaufnahme mit der Ärztin oder dem Arzt). Reviews mithilfe von Clinical Decision Support Systemen • Beobachtungen, ob potenziell inadäquate Darreichungs- (CDSS) gegenüber Reviews durch Pflegefachpersonen. formen und -wege verwendet werden. Die Ergebnisse zeigten, dass Pflegefachpersonen im Ver- • Beobachtungen, ob Einnahme- oder Anwendungsschwie- gleich zum CDSS zusätzliche arzneimittelbezogene Proble- rigkeiten bestehen. me identifizierten (71). Das deutet darauf hin, dass sie über • Schriftliche Dokumentation der obigen Beobachtungen sehr spezifisches Wissen über Bewohnerinnen und Bewoh- für die regelmässige Überprüfung. ner verfügen, die ein Computersystem nicht hat. • Kenntnis der Situationen, in welchen eine situationsbe- dingte Überprüfung notwendig ist, und Information an die Ärztin oder den Arzt, falls diese eintreten (Verweis QS I). 3.3.3 Qualitätsstandard III: Die Medikation wird strukturiert Rationale monitorisiert. Das Monitoring wird als fester Bestandteil im Medikations- Folgende Arbeitsschritte werden von den jeweiligen Fach- prozess gesehen (72). Es dient grundsätzlich der Sicher- personen durchgeführt: stellung, dass die medikamentöse Therapie das Problem der Patientin oder des Patienten gelöst hat, also effektiv ist, Aufgaben Ärztin oder Arzt oder ob unerwünschte Effekte auftreten (73). Das Monito- • Jede Änderung der Medikation inkl. Neuverordnung er- ring findet daher in den DEGAM- und NICE-Leitlinien sowie fordert die Festlegung von: in diversen anderen Guidelines Berücksichtigung (23, 24, – einem Start- sowie Stoppdatum oder Datum der 36, 73). nächsten Re-Evaluation. Die Re-Evaluation erfolgt spä- Vermeidbare UAE sind häufig auf eine unzureichende Thera- testens bei der nächsten regelmässigen Medikations- pieüberwachung zurückzuführen. In einer prospektiven Stu- überprüfung (Verweis QS I). die in zwei Langzeitpflegeeinrichtungen in den USA und in – weiteren Massnahmen zur Therapieüberwachung (z.B. Kanada wurde die Inzidenz von UAE erhoben. Pro 100 Be- Labor, EKG, Minimentaltest) mit Datum, falls nötig. wohnermonate traten 9,8 UAE auf, davon wurden 42 % als – Beobachtungshinweisen zu wichtigen Nebenwirkun- potenziell vermeidbar eingestuft. Diese wurden hauptsäch- gen, worauf aufgrund der geänderten Medikation ge- lich auf Fehler bei der Therapieüberwachung zurückgeführt, achtet werden muss. v. a. auf eine unzureichende Monitorisierung von Laborwer- – einem Prozedere im Fall von auftretenden Nebenwir- ten sowie keine oder zu späte Reaktion auf auffällige Sym- kungen (z. B. Reservemedikation, Ärztin oder Arzt kon- ptome (74). In einer weiteren prospektiven Studie in zwei taktieren). deutschen Altersheimen konnte als Ursache von UAE ein 10 Stiftung Patientensicherheit Schweiz · «progress! Sichere Medikation in Pflegeheimen» · Qualitätsstandards
3 Qualitätsstandards 3.3 Definition der Qualitätsstandards unzureichendes Monitoring der Arzneimitteleffekte nachge- tation abhängt (79). Eine bessere Dokumentation ist aus wiesen werden (75). Für eine sicherere Medikation ist daher Sicht von Fachpersonen auch wichtig, um Spitaleintritte zu das strukturierte Monitoring von wesentlicher Bedeutung. vermeiden (80). Da Symptome und Veränderungen des Allgemeinzustands aufgrund von Nebenwirkungen häufig erst im zeitlichen Ver- lauf auftreten, müssen diese kontinuierlich beobachtet und, wenn aufgetreten, an die zuständige Ärztin oder den zu- 3.3.4 Qualitätsstandard IV: ständigen Arzt weitergeleitet werden (76). Besonders für die Alle Fachpersonen engagieren sich Pflegepersonen ist es jedoch nicht immer einfach, Neben- für eine optimale interprofessionelle wirkungen als solche zu erkennen. In einer Befragung von Zusammenarbeit. 408 Pflegefachpersonen und Pflegehilfen in den Niederlan- • Die Fachpersonen kennen einander. den wurden fehlende Informationen zu Nebenwirkungen • Die Kompetenzen der anderen involvierten Fachpersonen sowie ungenügendes Wissen zu Nebenwirkungen als wich- sind bekannt und werden respektiert. tige Barrieren für ein effektives Monitoring angegeben (77). • Die Aufgaben und Verantwortlichkeiten aller involvierten In mehreren Pflegeheimen in England wurden die Mach- Fachpersonen im Medikationsprozess sind definiert und barkeit und Effekte eines durch Pflegefachpersonen ange- allen bekannt. wendeten Screening-Tools zur Identifizierung von Neben- • Für jede Bewohnerin und jeden Bewohner wird von allen wirkungen von Psychopharmaka untersucht. Durch die An- Fachpersonen ein gemeinsames Behandlungsziel festge- wendung des Tools konnten mehr arzneimittelbezogene legt und verfolgt. Probleme identifiziert werden als ohne Tool (78). In der deut- • Es wird eine offene Kommunikationskultur zwischen allen schen AMPEL-Studie erfolgte eine schriftliche Dokumen- Fachpersonen gelebt, d. h. sie teilen Wissen, äussern ge- tation von neu aufgetretenen klinischen Symptomen mit- genseitig Bedenken und geben Feedback. tels eines Therapiebeobachtungsbogens. Die Symptome • Hinweise, Bedenken und Informationen (z. B. zur Sicher- wurden dann im Verlauf mit einer Apothekerin oder einem heit und Behandlung, zum Gesundheitszustand) anderer Apotheker diskutiert. Anschliessend erfolgte eine Informa- Fachpersonen werden ernst genommen und bei den ei- tion an die zuständige Ärztin oder den zuständigen Arzt mit genen Aufgaben einbezogen. einer konkreten Handlungsempfehlung. Der Therapiebeob- • Die Kommunikationswege (wie/wer/wann/wo) zwischen achtungsbogen wurde von Pflegepersonal und Apotheke- den Fachpersonen sind festgelegt. rinnen und Apothekern als hilfreiches Instrument zur Beob- • Die Fachpersonen gewährleisten, dass sie innert nützlicher achtung der Bewohnerinnen und Bewohner eingeschätzt, Frist für andere Fachpersonen erreichbar sind. allerdings gab ein relevanter Teil der Teilnehmenden an, den • Die gemeinsam durchgeführten Prozessschritte sind op- Bogen nach Studienende nicht weiter benutzen zu wollen timal organisiert, d. h. beispielsweise ein Termin für ein ge- (75). Ob und mit welchem Hilfsmittel die Pflegefachperso- meinsames Bewohnergespräch wurde festgelegt, die Visi- nen das Monitoring effizient und zielsicher im Alltag umset- te wurde vorbereitet. zen können, ist demnach nicht abschliessend geklärt. Es • Es werden interprofessionelle Austauschgefässe geschaf- erscheint jedoch sinnvoll, dass das Wissen der Pflegefach- fen und genutzt, z. B. regelmässige interprofessionelle personen zu Nebenwirkungen, z. B. mittels Fortbildungen, Teamsitzungen zu organisatorischen und klinischen The- verbessert werden sollte. men, Qualitätszirkel. Schlüssel zur Sicherstellung einer korrekten Monitorisierung • Die Heimleitung bestimmt eine Person aus dem Behand- der vereinbarten Massnahmen sowie deren Effekte und ei- lungsteam, die zur Förderung der interprofessionellen Zu- nem angemessenen Medikamentenabgleich zwischen den sammenarbeit Massnahmen initiiert und deren Umset- Fachgruppen ist eine gute Dokumentation. Auch in nicht- zung sicherstellt. konsensbasierten Guidelines zur Überprüfung der Medi- kation wird die Wichtigkeit der Dokumentation aufgegrif- fen (31). In einer retrospektiven Studie zu Faktoren, die zu schwerwiegenden UAE wie Medikationsfehlern, Stürzen, verpassten oder unangemessenen Interventionen in Pflege- heimen führen, zeigte sich, dass die Sicherheit der Bewoh- nerinnen und Bewohner von einer angemessenen Dokumen- Stiftung Patientensicherheit Schweiz · «progress! Sichere Medikation in Pflegeheimen» · Qualitätsstandards 11
3 Qualitätsstandards 3.3 Definition der Qualitätsstandards Rationale die Diskussion von aggregiert analysierten Medikationsda- Im Zentrum der interprofessionellen Zusammenarbeit ste- ten in interprofessionellen Qualitätszirkeln erreicht werden, hen die Bewohnerinnen und Bewohner, da alle im Medika- welche im Kanton Freiburg eingeführt wurden (99, 100). tionsprozess involvierten Fachpersonen gemeinsam mit ih- Gemäss einer Übersichtsarbeit wirkt sich auch in Pflegehei- nen das gleiche Ziel verfolgen (81). men eine suboptimale interprofessionelle Zusammenarbeit Die Präzisierungen wurden unter Berücksichtigung der Mo- negativ auf die Medikationssicherheit der Bewohnerinnen delle von D’Amour (82) und Gerber (81) definiert. Ausserdem und Bewohner aus (101). In einem systematischen Review zu sind gemäss Müller et al. folgende Aspekte zur Verbesse- interprofessionellen Interventionen in Pflegeheimen konnte rung der interprofessionellen Zusammenarbeit zwischen gezeigt werden, dass eine verbesserte interprofessionelle Ärztinnen und Ärzten und Pflegefachpersonen in Pflegehei- Zusammenarbeit und Kommunikation (z. B. Teambesprechun- men wichtig: gegenseitige Erreichbarkeit; dass Termine für gen oder Schulung in Teamarbeit und Kommunikationsfähig- den nächsten Arztbesuch festgelegt sind; deren Vorberei- keit) insgesamt einen positiven Einfluss auf unterschiedliche tung, Begleitung und Nachbereitung sowie die klare Defini- primäre Outcomes der Bewohnerinnen und Bewohner hat- tion von Aufgaben (83). In einer Mixed-Method Studie in 26 te (69). Die Beteiligung der Hausärztin bzw. des Hausarztes Pflegeheimen in Conneticut wurde ein Kommunikationsmo- und/oder einer Apothekerin bzw. eines Apothekers an der dell zwischen Ärztinnen und Ärzten und Pflegefachpersonen Intervention sowie die Kommunikation und Koordination im erarbeitet (84). Dieses beinhaltet ebenfalls Faktoren einer Team waren konsistente Merkmale erfolgreicher Interventio- offenen und klar strukturierten Kommunikation. Weissen- nen (69). In einem systematischen Review führten interpro- born identifizierte potentielle Erfolgsindikatoren für Projekte fessionell durchgeführte Interventionen zu einer Optimie- zur Zusammenarbeit zwischen Ärztinnen bzw. Ärzten und rung der Medikationsverordnungen von Pflegeheimbewoh- Apothekerinnen bzw. Apothekern in Deutschland (85). Als nerinnen und -bewohnern, jedoch nicht zu Veränderungen Grundvoraussetzung einer erfolgreichen Zusammenarbeit der klinischen Outcomes (102). Weitere nationale (14) und wurden unter anderem die Kenntnisse der Kompetenzen der internationale Studien und Übersichtsarbeiten (68, 75, 103– anderen, ein offenes Miteinander und die Etablierung ge- 107) zeigten, dass eine interprofessionelle Zusammenarbeit meinsamer Informationsveranstaltungen postuliert. In einem zu positiven Ergebnissen bei der Identifikation und Lösung vom Bundesamt für Gesundheit in Auftrag gegebenen Be- arzneimittelbezogener Probleme führt. richt zur Interprofessionellen Zusammenarbeit zwischen Häufig ist die Interprofessionalität Teil von multimodalen In- Apothekerinnen und Apothekern und anderen universitären terventionsarten, wie z. B. Fortbildungen, Implementierung Medizinalpersonen und/oder Gesundheitsfachpersonen von Tools, multidisziplinären Fallbesprechungen, Medika- werden eine klare Definition der Aufgaben und Verteilung der tionsüberprüfung durch verschiedene Fachpersonen usw. Rollen sowie klar definierte Verantwortlichkeiten und das Kombinierte Interventionsstrategien sind gemäss Logana- Follow-up als wichtige Faktoren deklariert (86). Diese Rol- than et al. (103) für ein besseres Outcome wahrscheinlich er- len und Aufgaben werden in einem Artikel von Levenson et forderlich. Es gibt bisher jedoch ungenügende Evidenz, wel- al. ausführlich dargelegt (87). che Umstände und welche Form der interprofessionellen Zu- Wie stark die einzelnen Faktoren jedoch im Rahmen der in- sammenarbeit zu einer qualitativ besseren Patientenversor- terprofessionellen Zusammenarbeit wirken und mit welcher gung führen, da es nur wenige Forschungsarbeiten zu Pa- Relevanz, konnte in bisherigen Studien noch nicht ausrei- tientenoutcomes und zum Kosten-Nutzenverhältnis gibt (81). chend belegt werden (88, 89). Grundsätzlich kann gesagt Im Rahmen des Vertiefungsprojektes «progress! Sichere werden, dass eine schlechte Kommunikation und Zusam- Medikation in Pflegeheimen» werden zur Optimierung der menarbeit zwischen medizinischen Fachpersonen häufig interprofessionellen Zusammenarbeit die folgenden Inter- als einer der Hauptfaktoren für unerwünschte Ereignisse ventionen gewählt: bei der Patientensicherheit gesehen werden (89–91). Zum • Strukturierung der Medikationsprozesse Erreichen einer effizienten, sicheren und qualitativ hochwer- • Medikationsüberprüfung durch Fachpersonen verschie- tigen Patientenversorgung ist daher die Zusammenarbeit von dener Berufsgruppen medizinischem Fachpersonal aus verschiedenen Diszipli- • Gemeinsames Monitoring nen entscheidend (92–94). Zudem erhöht die Interprofessi- • Implementierung von gemeinsamen Hilfsmitteln wie z. B. onalität in der Gesundheitsversorgung die Arbeitszufrieden- PIP-Liste heit der involvierten Personen sowie die Zufriedenheit der • Interprofessionelle Standortbestimmung Patientinnen und Patienten und reduziert Gesundheitskos- • Fortbildung ten (92, 95–98). Eine Kostenreduktion konnte auch durch 12 Stiftung Patientensicherheit Schweiz · «progress! Sichere Medikation in Pflegeheimen» · Qualitätsstandards
3 Qualitätsstandards 3.3 Definition der Qualitätsstandards bewohnerzentrierten Versorgung (112). Das Bedürfnis von 3.3.5 Qualitätsstandard V: Patientinnen und Patienten nach Informationen und einem Die Bewohnerinnen und Bewohner werden aktiven Einbezug in die Behandlungsentscheidungen ist je- aktiv in den Medikationsprozess einbezogen. doch unterschiedlich ausgeprägt. Während gewisse Patien- • Die Fachpersonen ermutigen die Bewohnerinnen und Be- tinnen und Patienten primär gut informiert sein wollen, wol- wohner und die Angehörigen, ihre Bedürfnisse, Beden- len andere auch aktiv mitentscheiden können. In Bezug auf ken und Veränderungen des Gesundheitszustandes zu die medikamentöse Behandlung zeigte beispielsweise eine kommunizieren. Studie in der finnischen und maltesischen Allgemeinbevöl- • Die Bedürfnisse und Präferenzen der Bewohnerin oder kerung, dass ca. 60 % der Patientinnen und Patienten ver- des Bewohners werden bei der Erarbeitung der Behand- schiedene medikamentöse Behandlungsoptionen diskutie- lungsoptionen mitberücksichtigt. ren möchten, ca. 50 % möchten die Auswahl der Medika- • Die Fachpersonen ermöglichen, dass sich die Bewohne- mente diskutieren und ca. 40 % möchten die Entscheidung rinnen und Bewohner am Behandlungsentscheid beteili- zusammen mit der Ärztin oder dem Arzt treffen (113). Der gen können. Einbezug in den Medikationsprozess sollte deshalb ent- • Die Bewohnerinnen und Bewohner erhalten ausreichend sprechend den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Bewoh- und verständliche Informationen, damit sie sich am Be- nerin oder des Bewohners individuell gestaltet werden. Ge- handlungsentscheid beteiligen können. mäss den NICE Guidelines sollen Bewohnende von Pflege- • Die Fachpersonen stellen sicher, dass die Bewohnerin heimen dieselben Möglichkeiten erhalten wie Personen, die oder der Bewohner die Informationen verstanden hat. nicht in einem Pflegeheim wohnen, sich an Entscheidungen • Bei nicht-urteilsfähigen Bewohnerinnen und Bewohnern zu ihrer Therapie und Behandlung zu beteiligen. Dabei sol- wird für sämtliche oben genannten Aktivitäten die medizi- len sie von den Fachpersonen darin unterstützt werden, in- nisch vertretungsberechtigte Person einbezogen. formierte Entscheidungen zu treffen (23). Rationale Das Konzept der bewohnerzentrierten Versorgung stellt die Bewohnerin bzw. den Bewohner als Person und ihre bzw. sei- ne Erfahrungen, Bedürfnisse und Präferenzen ins Zentrum der medizinischen Behandlung. Die bewohnerzentrierte Ver- sorgung wird als einer der Eckpfeiler einer qualitativ hoch- stehenden Gesundheitsversorgung angesehen (108). Studi- en zeigen gemischte Effekte einer patientenzentrierten Ver- sorgung auf die Patientenzufriedenheit, das Gesundheits- verhalten und gesundheitsbezogene Outcomes, wobei die Vielfalt an Studiendesigns und konzeptionellen Definitionen die Stärke der Evidenz einschränken (109, 110). Die bewohnerzentrierte Versorgung beinhaltet verschiede- ne, sich überschneidende Dimensionen. Die Dimensionen können grob in drei Aspekte eingeteilt werden: das Verständ- nis für die Situation der Bewohnerinnen und Bewohner, die Beziehung zwischen ihnen und Fachpersonen sowie die ko- ordinierte oder integrierte Versorgung innerhalb des Ge- sundheitssystems (111). Gemäss dem integrativen Modell von Scholl et al. gehören der wechselseitige Informations- austausch zwischen der Fachperson und der Bewohnerin oder dem Bewohner, deren aktive Einbezug in die Behand- lung und die Entscheidungsfindung, die Information und der Einbezug von Angehörigen und anderen nahestehen- den Personen, Patienten-Empowerment und physische und emotionale Unterstützung zu den zentralen Aktivitäten einer Stiftung Patientensicherheit Schweiz · «progress! Sichere Medikation in Pflegeheimen» · Qualitätsstandards 13
4 Delphi-Verfahren 4.1 Ziel Folgende Expertinnen und Experten konnten für das Delphi rekrutiert werden: Das methodische Vorgehen für die Entwicklung und Präzi- 1. Dr. Gaby Bieri, Chefärztin Geriatrischer Dienst, sierung der fünf Qualitätsstandards wird im Kapitel 3.2 be- Ärztliche Direktorin, Pflegezentren Stadt Zürich schrieben. Ziel der Delphi-Bewertung war es, einen Konsens 2. Mélanie Brulhart, Pharmacienne-cheffe adjointe de la zur Relevanz der Präzisierungen unter Expertinnen und Ex- Pharmacie interjurassienne, Responsable de l’Officine perten zu finden. Beurteilt wurde die Wirkungsbeziehung zwi- publique, Moutier schen den Vorgaben der Qualitätsstandards und dem Pro- 3. Prof. Dr. med. Alessandro Ceschi, FMH Farmacolo- grammziel. Diese Wirkungsbeziehung ist aus der Literatur gia e tossicologia clinica, FMH Medicina interna gene- nicht eindeutig abzuleiten und bedurfte darum einer Absi- rale, Direttore medico e scientifico, Istituto di Scienze cherung durch entsprechende Expertinnen und Experten. Farmacologiche della Svizzera Italiana & Presidente Commissione terapeutica, Ente Ospedaliero Cantonale & Professore titolare, Facoltà di Scienze biomediche, Università della Svizzera italiana 4.2 Vorgehen 4. Dr. med. Susanne Christen, Fachärztin für Innere Medizin und Hämatologie FMH, Hausärztin Praxiszen- 4.2.1 Rekrutierung der Expertinnen und Experten trum Frick, Leitende Ärztin Hämatologie GZF Spital Das wichtigste Einschlusskriterium für die Auswahl der Ex- Rheinfelden pertinnen und Experten war das fachliche Know-how zur 5. Andreina D’Onofrio, Master es Sciences infirmières, Medikation von geriatrischen Patientinnen und Patienten. Coordinatrice du Pôle Accompagnement, Cheffe de Folgende Berufsgruppen wurden eingeschlossen: Ärztinnen projet coRAI-EMS, Association vaudoise d’institutions bzw. Ärzte, Apothekerinnen bzw. Apotheker und Pflegefach- médico-psycho-sociales (HévivA), Renens personen. Vertreterinnen und Vertreter der drei Berufsgrup- 6. Sabine Felber, Geschäftsleitung Pflege und Betreuung pen wurden in der Deutschschweiz, der Romandie und dem & Stv. CEO, Betagtenzentren Emmen AG, Emmen Tessin rekrutiert. Dabei wurden Personen aus der Wissen- 7. Dr. med. Rolf Goldbach, Leitender Arzt, Arztdienst schaft sowie Personen mit einer Praxisexpertise berück- Pflegezentren Stadt Zürich, Zürich sichtigt. Zusätzlich wurden aus jeder Sprachregion zwei Per- 8. Saadet Grandazzo, Leiterin Betreuung und Pflege, sonen aus dem Bereich Qualitätsmanagement/Patientensi- Alterszentrum Gellert Hof, Bethesda Alterszentren AG, cherheit gesucht. Ausgeschlossen waren pensionierte Fach- Basel personen. Bei der Rekrutierung wurde folgendermassen vor- 9. Prof. Dr. Blaise Guinchard, Professeur HES associé, gegangen: Haute Ecole de la Santé la Source 1. Einbezug von Mitgliedern der Fachbegleitgruppe des pro- 10. Prof. Dr. Kurt Hersberger, Pharmaceutical Care gress!-Grundlagenprojekts Research Group, Departement Pharmazeutische 2. Bestehende Kontakte des Programmteams (z. B. Refe- Wissenschaften, Universität Basel & Inhaber Toppharm rentinnen und Referenten, Autorinnen und Autoren, Wis- Apotheke Hersberger, Basel senschaftlerinnen und Wissenschaftler, Praktikerinnen 11. Dr. phil. II Markus L. Lampert, Stv. Chefapotheker, und Praktiker) und aus anderen Projekten (z. B. Interview- Institut für Spitalpharmazie, Solothurner Spitäler AG partnerinnen und -partner) & Senior Research Associate, Pharmaceutical Care 3. Bei Berufsgruppen, in denen noch nicht genügend mög- Research Group, Universität Basel liche Expertinnen und Experten identifiziert werden konn- 12. Dr. Alexandre Lo Russo, Pharmacien FPH respon- ten, wurden passende Fachgesellschaften angefragt sable Pharmacie du Galicien Prilly, pharmacien (Langzeit Schweiz, Kommission für Langzeitgeriatrie der répondant d’EMS SFGG, EQUAM, VPF). 13. Martine Ruggli, Pharmacienne répondante d’EMS, Formatrice pour la formation complémentaire FPH des pharmaciens en assistance pharmaceutique d’institutions du système de santé, Coordinatrice des projets stratégiques, Direction générale ofac 14. Prof. Dr. med. Stefan Neuner-Jehle, MPH, Leiter Chronic Care, Institut für Hausarztmedizin, Universität und Universitätsspital Zürich 14 Stiftung Patientensicherheit Schweiz · «progress! Sichere Medikation in Pflegeheimen» · Qualitätsstandards
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