Rassismuskritik in der Lehrer/-innenfortbildung Bausteine einer europäischen Fortbildung für Leh-rerinnen und Lehrer zu den Themen Migration ...
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1/2011 Politik unterrichten Rassismuskritik in der Lehrer/-innenfortbil- dung Bausteine einer europäischen Fortbildung für Leh- rerinnen und Lehrer zu den Themen Migration und politisch-interkulturelle Kompetenz Meike Jens Fortbildungen für Lehrkräfte im Schulalltag zu unbewussten zum Thema Interkulturalität Diskriminierungen durch Leh- machen häufig „die Anderen“, rende gegenüber Schülerinnen aktuell z.B. „die“ Muslime, und Schülern mit Migrationshin- zum Gegenstand und wollen tergrund. Dies wirkt sich negativ deren Verhalten erklären. Die auf die Lernmotivation dieser Dimension der Selbstreflexion Klientel aus. Wie weiter unten bezüglich der eigenen Normen erläutert wird, geht es in dem und Werte sowie der eigenen Fortbildungsmodul nicht darum, gesellschaftlichen Machtposi- Lehrerinnen und Lehrern „fal- tion wird in vielen Fällen nicht sches“ Denken abzugewöhnen. thematisiert. Das gleiche gilt Stattdessen werden Vorurteile für das Phänomen der struktu- und potentiell diskriminierendes Kommission verändert werden, rellen Diskriminierung, von der Verhalten unter der Berücksich- weil sie nicht mit internationalen Schülerinnen und Schüler mit tigung gesellschaftlicher Macht- Menschenrechtsnormen zu ver- Migrationshintergrund betroffen verhältnisse analysiert. Daneben einbaren war, dies betraf bspw. sind, jedoch auch viele andere werden in der Fortbildung Materi- das Recht auf Freizügigkeit. Ein Gruppen. alien für Grundschullehrer/-innen kleiner Ausflug in Rechtsgefil- vorgestellt, welche im Unterricht de wird vom MIRACLE Kon- Das MIRACLE Projekt eingesetzt werden können. Die sortium als sinnvoll erachtet, Lerngegenstände Flucht und Mi- um z.B. die Vorstellungen von Eine Fortbildung, die derzeit gration stehen im Zentrum dieser Teilnehmer/-innen über die An- innerhalb des multilateralen Materialien, welche größtenteils zahl von Flüchtlingen und Asyl- Comenius Projekts MIRACLE – an den didaktischen Prinzipien suchenden in der EU bzw. über Migrants and Refugees a Chal- Dialog- und Koopartionsorientie- Anerkennungsquoten von Asyl- lenge for Learning in European rung ausgerichtet sind. gesuchen mit aktuellen statisti- Schools konzipiert wird, be- Lehrer/-innen haben in der schen Angaben aufeinander zu rücksichtigt diese beiden Kom- Fortbildung ebenfalls die Mög- beziehen. ponenten. An der Entwicklung lichkeit, sich über grundlegende beteiligt sind insgesamt ca. 25 Vereinbarungen der EU Asylpo- Rassismus Mitarbeiterinnen und Mitarbei- litik zu informieren. Zum einen ter aus Forschungsinstituten, kann potentiell jede Lehrkraft Die Themen Flucht und Migra- NGOs, Verbänden sowie Leh- Schüler/-innen in der Klasse ha- tion und politisch-interkulturelle rerinnen und Lehrer aus sechs ben, für die und deren Familien Kompetenz können nicht be- europäischen Ländern. Koor- andere Gesetze gelten als für handelt werden, ohne das Phä- dinierende Einrichtung ist die jene Schülerinnen mit deutscher nomen Rassismus zu erörtern. Professur für Didaktik der Poli- Staatsangehörigkeit. Bei einem Vielmehr ist rassismus-kritische tischen Bildung an der Leibniz Klassenausflug muss evtl. dar- Bildung ein zentraler Bestand- Universität Hannover. auf geachtet werden, dass eine teil der interkulturellen Päda- Genehmigung zum Verlassen gogik als auch der politischen Inhalte der Fortbildung des Landkreises vorliegt. Zum Bildung. Die Verfolgung von anderen soll es die Möglichkeit People of Colour (Sklavenhan- In diesem Text geht es haupt- geben, über Hintergründe und sächlich um das Fortbildungs- Auswirkungen bestimmter Re- modul „rassismuskritische gelungen, z.B. der EU Richtlinie 1 European Centre on Racism politische Bildung“. Ausschlag- zur Festlegung von Mindest- and Xenophobia (2004) Mig- gebend für die starke Stellung normen für die Aufnahme von rants, Minorities and Education dieses Moduls in der Fortbil- Asylbewerbern in den Mitglied- – Documenting Discrimination dung sind die Ergebnisse der staaten (2003/9/EG), zu disku- and Integration in 15 Member Studie „Migrants, Minorities and tieren. Diese musste beispiels- States of the EU Education“1: Zum Teil kommt es weise mehrfach durch die EU 25
Politik unterrichten 1/2011 del, Apartheidsysteme in den USA und im südlichen Afrika etc.) wirkt sich bis in die heutige Zeit aus. Unsere Imaginationen sind geprägt von rassistischen Zuschreibungen (s. Abb. 1 und Abb. 2).2 Während der Kolonialzeit wurden schwarze Menschen in deutschen Zoos zur Schau ge- stellt. Die Auswahl des Fotos (Abb. 2) sowie der Textauszug aus der Werbebroschüre (s. u.) des Eberswalder Zoos, könn- ten den Gedanken nahe legen, dass Menschen im Zoo zu „be- wundern“ sind: Abb. 1: Werbeanzeige einer Mietwagenfirma -- Entdecken Sie nachtaktive Tiere im Zoo bei einem individuellen nächtlichen Zoo-Rundgang -- Lernen macht Spaß – Angebote der Zooschule für die Jüngsten -- Erfreuen Sie sich an Informationen über Namibia und die San, die vom Aussterben bedrohten letzten ersten Menschen -- Bewundern und erwerben Sie die Schnitzereien, Flechtarbeiten und weiteres Kunsthandwerk, das von ihnen geschaffen wurde. Textauszug aus Werbebroschüre (2010) des Eberswalder Zoos Im Broschürentext wird kein Absatz zwischen Zoo/Tieren vs. Menschen eingefügt – es wird auch keine andere Form der visuellen und inhaltlichen Trennung vorgenommen.3 Das Phänomen Rassismus basiert maßgeblich auf hierarchischen Unterscheidungen, „Andere“ werden als minderwertig konst- ruiert, ihnen werden in der Fol- ge häufig weniger Rechte zuge- standen (vgl. LEIPRECHT 2001: Abb. 2: Dieses Bild stammt von der Seite: http://www.zoo.eberswalde.de/ 25f).4 Im Alltag ebenso wie im veranstaltungen/index.html (Zugriff 5.7.2011), es weist auf die Veranstal- Bildungswesen kommt es zu tung: „Afrikanische Zoo-Nacht“ am 30. Juli 2011 hin. 2 Weiterführende Literatur zu diesen Themen, z.B. Eggers, Maureen et al. (Hg.) (2005): Kritische Weißseinsfor- schung in Deutschland. Mythen, Masken und Subjekte. Münster. Unrast-Verlag 3 Da in diesem Aufsatz aus Platzgründen nicht detaillierter auf Kolonialismen und deren Kontinuitäten einge- gangen werden kann, verweise ich auf folgendes Buch: Kundrus, Birthe (2003) (Hg.): Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus. Frankfurt/M., Campus 4 Leiprecht bezieht sich auf Arbeiten von Balibar, Etienne (1990) (s. Literatur), Hall, Stuart (1989), Kalpaka, An- nita; Räthzel, Nora (1990), Miles, Robert (1989) und andere - Hall, Stuart (1989): Ausgewählte Schriften – Ideologie, Kultur, Medien, Neue Rechte, Rassismus. Herausge- geben von Nora Räthzel. Hamburg - Kalpaka, Annita; Räthzel, Nora (Hg) (1990): Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein. Leer, 2. überarb. Auflage - Miles; Robert (1989): Bedeutungskonstitution und der Begriff des Rassismus. In: das Argument. Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften. 31. Jg. Heft 3. Hamburg Mai/Juni 1989, 353-368 26
1/2011 Politik unterrichten Ausschlüssen und Diskriminie- werden. Diskriminierungen auf de Afrika-Bild von Armut und rungen. In heutiger Zeit finden institutioneller Ebene sind ein- Rückständigkeit wider. Auch in rassistische Diskriminierungen gebettet in Organisationsstruk- Werken zur politischen Bildung weniger anhand vermeintlicher turen von Institutionen, d.h. lassen sich stereotype Afrika- Merkmale bzgl. der „Rasse“ rassistische Diskriminierungen Bilder nachweisen.6 statt5, sondern es werden eher finden auch innerhalb des Orga- Dominante Diskurse können Distinktionen anhand der Diffe- nisationsablaufs der Schule statt sich in Gesetzen und Verord- renzlinie „Kultur“ vorgenommen. (vgl. GOMOLLA 2005: 4). Dies nungen manifestieren. Schul- So hat BALIBAR herausgear- wird weiter unten detaillierter leitungen sind z.B. verpflichtet, beitet, dass häufig angenom- erläutert. Rassistische Diskrimi- Schülerinnen und Schüler ohne men wird, „fremde“ Kulturen nierungen auf diskursiv-ideolo- anerkannten Aufenthaltstitel an seien nicht mit der jeweiligen gischer Ebene sind Bestandteil die Ausländerbehörde zu mel- Mehrheits-Kultur vereinbar (vgl. von politischen, sozialen, juristi- den. Dies kann dazu beitragen, BALIBAR 1990: 28). Ein Be- schen und medialen Diskursen. dass die Familie dieser Schüle- standteil dessen ist, dass das Diskurse werden hier verstan- rinnen und Schüler abgescho- Verhalten einer Person aus- den als herrschende, d.h. offizi- ben wird. Des Weiteren besteht schließlich mit ihrer vermeint- ell akzeptierte und praktizierte für Kinder, deren Eltern ein Asyl- lichen Gruppenzugehörigkeit, Sprach- und Lesarten. Diskurse gesuch gestellt haben in den (z.B. „Kulturkreis“, „Mentalität“) drücken gleichzeitig Praktiken meisten Bundesländern keine erklärt wird. So wird Kultur als aus und ziehen diese nach sich Schulpflicht.7 So trägt die Ins- etwas Statisches festgeschrie- (vgl. HOLZKAMP 1994: 16). Bei- titution Schule zur Entstehung ben und hybride Zugehörigkeit spielsweise hat Sarrazin nicht und Aufrechterhaltung sozialer wird negiert. Auch Lehrende endlich das ausgedrückt, was in Ungleichheit bei. Zur Analyse erklären das Verhalten von den Augen vieler Menschen hät- der (re-)produzierten Diskrimi- „Schülern mit Migrationshinter- te längst schon einmal gesagt nierungen können folgende Fra- grund“ teilweise ausschließlich werden müssen. Stattdessen gen dienen: mit deren vermeintlicher kul- hat er die seit Jahren währenden turellen Zugehörigkeit. So do- rassistischen Diskurse zusam- 1. Welchen rechtlichen und po- kumentiert WEBER, dass das mengefasst, niedergeschrie- litischen Vorgaben muss ent- „Sich-schlau-Fragen“ eines ben und geschickt vermarktet, sprochen werden? deutsch-türkischen Schülers u.a. mit Hilfe des Vorabdrucks 2. Wie sehen die Beziehungen vom Lehrer nicht als solches im SPIEGEL. Foucault hat ge- zwischen den Angehörigen, identifiziert wird, statt dessen zeigt, dass Diskurs und Macht die ebenfalls Teil der Organi- erklärt er dieses Verhalten mit miteinander verbunden sind, sation sind, aus? der angeblichen „Basar-Menta- woraus eine Definitionsmacht 3. Welches sind Normen, lität“ des Schülers (vgl. WEBER erwächst: Welche Art zu Reden, etablierte Praxen und 2008: 49ff). Je nach Frequenz z.B. über eine bestimmte Grup- Organisations“zwänge“ der und Intensität solcher Zuschrei- pe von Menschen, gilt als (noch) Schule? bungen kann es zu Leistungs- angemessen und wahr? (vgl. (vgl. FEAGIN/FEAGIN 1986 zit. abfall und Selbstwertproblemen ebd.). Erinnert werden kann in nach: GOMOLLA 2005: 6) bei Schülerinnen und Schülern diesem Zusammenhang an Zi- kommen. tate von Politikerinnen und Po- (Rassistische) Diskriminie- litikern Anfang der 1990er Jahre rungen können auf unterschied- über sog. „Asylanten“, „Asylan- 5 Die Vorstellung, dass mensch- lichen Ebenen stattfinden, im tenflut“, „Asylantenschwemme“ liche Rassen existieren ist Alltagsverständnis dominiert etc. Die Abb. 1, Werbeanzeige wissenschaftlich nicht halt- allerdings die Vorstellung, dass einer Mietwagenfirma, verdeut- bar. Wenn in diesem Text von sich Rassismus hauptsächlich licht zum einen den dominanten „Rasse“ die Rede ist, bezieht auf der zwischenmenschlichen rassistischen Diskurs, nach dem sich dies auf ihre soziale Kon- Ebene, z.B. in Form von ver- die Schwarzen den Weißen un- struktion. balen oder tätlichen Angriffen terlegen seien. Selbstverständ- 6 Vgl.: Bendix, Daniel (2007): zeigt. Viele Fortbildungen zum lich bezieht sich dies an dieser ‘Afrika’ in der politischen Er- wachsenenbildung in Deutsch- Thema interkulturelle Kompe- Stelle vordergründig auf den land. In: kursiv. Journal für po- tenz fokussieren ebenfalls die Fußball. Die durch Weiße über litische Bildung, 3/07: 74-80 individuellen Einstellungen bzw. Jahrhunderte hinweg vorgenom- 7 Obwohl die UN-Kinderrechts- Vorurteile der Teilnehmenden. men Abwertungen gegenüber konvention, die von der Bun- Jedoch können Diskriminierun- Schwarzen bzw. People of Co- desrepublik Deutschland rati- gen ebenso auf institutioneller lour schwingen hier jedoch mit. fiziert wurde, dies in Artikel 28 als auch auf einer ideologisch- Weiterhin spiegelt die Anzeige vorsieht. diskursiver Ebene identifiziert das in den Medien vorherrschen- 27
Politik unterrichten 1/2011 Institutionelle Diskriminierung ist Dieses sind die Hauptziele in Menschen wird nicht nur in Be- Bestandteil des Organisations- der Anti-Bias Arbeit. An dieser zug auf „kulturalisierende“ oder systems Schule. Sie kann z.B. Stelle muss darauf hingewie- „rassialisierende“ Kategorisie- vorliegen, wenn einschulungs- sen werden, dass im Anti-Bias rungen thematisiert, sondern pflichtige Kinder mit dem alleini- Verständnis kein deterministi- ebenso bezüglich des Ge- gen Hinweis in den Schulkinder- scher Zusammenhang zwischen schlechts, der Geschlechtsiden- garten zurück gestellt werden, herrschenden rassistischen tität, der sexuellen Orientierung, dass dort der Spracherwerb Diskursen und je individuellem der körperlichen und geistigen erfolgen soll (GOMOLLA 2005: rassistischen Denken und Han- Gesundheit, des Alters oder der 6). Schülerinnen und Schüler deln besteht. Jeder Mensch sozialen Schicht. mit Migrationsgeschichte er- kann sich vielmehr bewusst zu halten überproportional häufig jenen herrschenden Diskursen Fazit eine Empfehlung für Förder- und den darin evidenten Prämis- und Hauptschulen (s. Fazit). sen verhalten (vgl. HOLZKAMP Die Fortbildung des MIRAC- GOMOLLA und RADTKE erklä- 1994, S. 17). LE Konsortiums, die im Okto- ren dies u.a. damit, dass diese Dominante resp. herrschende ber 2011 unter dem Titel Civic Schülerinnen und Schüler dem Diskurse prägen das Bild von Cross-Cultural Competencies Normalisierungs- und Homoge- „den Anderen“. Beispiele dafür for Elementary School Teachers nisierungsprinzip der Institution sind Abbildung eins und zwei. in Berlin angeboten wird, be- Schule zuwiderlaufen (monolin- Diese stereotypen Vorstellungen inhaltet zentrale Aspekte der guale, christliche, mittelständi- von „Anderen“ sind Menschen je- rassismuskritischen politischen sche Ausrichtung von Schule). doch oft nicht bewusst. Deshalb Bildung. Die Teilnehmenden sind selbstreflexive Elemente in können erkennen bzw. erfah- Anti-Bias Ansatz einer Fortbildung zu den The- ren, wie Herrschaft und soziale men Migration und interkulturelle Ungleichheit legitimiert werden. Anti-Bias (engl. „bias“8 bedeutet Kompetenz von entscheidender Sie können sich z. B. ihrer indivi- Voreingenommenheit, Schief- Bedeutung. Mit Übungen aus duellen Privilegien bewusst wer- lage oder Vorurteil) wurde in dem Anti-Bias Ansatz können den, die ihnen allein aufgrund den 1980er-Jahren von Louise sich die Teilnehmenden den ei- ihres Weißseins zuteil werden. DERMAN-SPARKS und Ca- genen gesellschaftlichen Kon- Mit der Verankerung des Mo- rol BRUNSON-PHILLIPS in text vergegenwärtigen, innerhalb duls „strukturelle Diskriminie- den USA entwickelt, Zielgrup- dessen sie agieren. Denn jede rung“ innerhalb der Fortbildung, pe waren damals in erster Li- Vorstellung, die wir von anderen soll gezeigt werden, dass die nie Kinder des Elementar- und haben, hängt mit diesem Kontext quasi-selbstverständlichen Mo- Primarbereichs. Es wird da- UND mit uns selbst zusammen. tive institutionell-rassistischer von ausgegangen, dass jeder Dementsprechend stehen die Diskurse, Einfluss auf Individu- Mensch andere diskriminiert individuellen Einstellungen der en haben können. Jedoch ist und selbst diskriminiert wird. Teilnehmer nicht im Mittelpunkt es möglich, dass jeder Mensch Dementsprechend hat jeder des diskriminierungskritischen sich bewusst zu diesen Motiven Mensch Vorurteile. Sie werden Moduls, eigene Einstellungen verhält, so dass die scheinbar im Anti-Bias Ansatz jedoch nicht und Vorstellungen werden je- allgemeingültigen Denk- und in erster Linie als individuelle doch auch thematisiert. Auf die- Handlungsmöglichkeiten reflek- Fehlurteile angesehen, sondern se Weise wird vermieden, dass tiert und gegebenenfalls in Fra- es wird davon ausgegangen, sich die Teilnehmerinnen und ge gestellt werden können. Ein dass Vorurteile und Diskriminie- Teilnehmer wie Objekte fühlen, Beispiel soll dies verdeutlichen: rungen in der Gesellschaft ins- denen „falsches“ Denken ab- Eine hessische Studie zu Über- titutionalisiert sind. Rassistische erzogen werden soll. Des Wei- gangsempfehlungen zeigt, dass oder andere diskriminierende teren kann so dem Entstehen Lehrerinnen und Lehrer Kinder Diskurse können sich im eige- von Schuldgefühlen entgegen nen Handeln und Denken nie- gewirkt werden. Diese würden derschlagen, gewissermaßen einen Reflexionsprozess blo- als Prämissen (vgl. HOLZKAMP ckieren. 1994: 17). Durch die Verge- Ein weiteres Spezifikum des 8 „Bias“ wird durch Louise Der- genwärtigung dieses Zusam- Anti-Bias-Ansatzes ist, neben man-Sparks so erklärt: „Any menhangs, können zum einen der Einbeziehung von verschie- attitude, belief, or feeling that die eigenen Verhaltensweisen denen Diskriminierungsebenen results in, and helps to justify, reflektiert werden. Gleichzeitig (s. o.), dass unterschiedliche unfair treatment of an individu- können institutionalisierte un- Formen von Diskriminierung al because of his or her identi- terdrückende Ideologien aufge- analysiert werden. Die Ausgren- ty.” (Derman-Sparks 1989: 3) deckt und hinterfragt werden. zung und Herabsetzung von 28
1/2011 Politik unterrichten aus der sogenannten „Unter- Viele ökonomisch benach- Handeln in ihrer Schule analy- schicht“ seltener für das Gym- teiligte Kinder haben gleichzei- sieren werden, welches insbe- nasium empfehlen als Kinder tig einen Migrationshintergrund, sondere zu Ungleichbehand- aus der Mittel- und Oberschicht, der herrschende Diskurs über lungen von Schüler/-innen führt. trotz gleichen Notendurch- diese Gruppe beinhaltet, dass Übergeordnete Ziele der hier schnitts. Dies ist in den meisten Sprachprobleme in erster Li- skizzierten rassismuskritischen Fällen kein Akt von absichtli- nie der Grund für schlechtere politischen Bildung sind dem- cher Diskriminierung, sondern Leistungen seien. Es kann an- entsprechend eine egalitärere es geschieht häufig unbewusst, genommen werden, dass eini- Gesellschaft und die damit ver- quasi im Fahrwasser der Ho- ge Lehrerinnen und Lehrer, die bundenen gesellschaftlichen mogensierungstendenz der Or- an einer MIRACLE Fortbildung und politischen Partizipations- ganisation Schule (s.o.). Statt teilnehmen, ebenfalls dieser An- möglichkeiten der unterschied- dass sich der Auftraggeber sicht sind. Da in der Fortbildung lichsten Gesellschaftsmitglieder. der Studie, das Sozialdezernat jedoch auch über institutionelle Geplant ist, dass die MIRACLE Wiesbaden, mit der Produktion Diskriminierung diskutiert wird Fortbildung regelmäßig, d.h. von sozialer Ungleichheit be- (s. Studie zu Übergangsempfeh- ein bis zwei Mal jährlich an- fasst, indem z. B. das Organi- lungen), kann es möglich wer- geboten wird. Auch wenn sich sationshandeln innerhalb der den, dass Teilnehmer/-innen die der Tagungsort außerhalb der Institution Schule systematisch Eindimensionalität dominanter Bundesrepublik befindet, kön- untersucht wird und Schullei- Diskurse (z.B. Sprachprobleme nen sich deutsche Lehrerinnen tungen und Lehrkräfte darüber > schlechtere Leistungen) er- und Lehrer bewerben. Im Falle informiert werden, empfiehlt es, kennen. Auf diese Weise würde einer positiven Antwort der nati- die Elternbildung zu verstärken dieses Motiv einen Teil seiner onalen Agentur (Pädagogischer und Kitas und Grundschulen mit Wirkungsmacht verlieren. Hinzu Austauschdienst) werden alle vielen armen Kindern personell kommt, dass einige Teilnehmer/- Kosten übernommen. Nähere und materiell besser auszustat- innen im Anschluss an die Fort- Informationen sind auf dieser ten (KALPAKA 2009 in: LANGE/ bildung eventuell widerständig Webseite zu finden: http://www. POLAT: 180). auf diese Diskurse einwirken miracle-comenius.org. bzw. auch das organisatorische Literatur: BALIBAR, Etienne (1990): Gibt es einen “Neo-Rassismus“? In: BALIBAR, Etienne; WALLERSTEIN, Immanuel: Rasse Klasse Nation. Ambivalente Identitäten. Hamburg. Argument-Verlag, S. 23-38 DERMAN-SPARKS, Louise and the A.B.C. Task Force (1989) Anti-Bias-Curriculum. Tools for empowering young children. National Association for the Education of Young Children. Washington D.C. GOMOLLA, Mechthild (2005): Schulerfolg in der Einwanderungsgesellschaft. Lokale Strategien – internationale Erfahrungen. URL: http://egora.uni-muenster.de/ew/ikp/medien/gomolla2005iksQuer9.pdf (Stand 7.7.2011). GOMOLLA, Mechthild, RADTKE, Frank Olaf (2002) Institutionelle Diskriminierung. Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule. Opladen. Leske und Budrich. HOLZKAMP, Klaus (1994): Antirassistische Erziehung als Änderung rassistischer „Einstellungen“? - Funktions- kritik und subjektwissenschaftliche Alternative. In: Jäger, Siegfried (Hg.) Aus der Werkstatt: Anti-rassistische Praxen. Konzepte – Erfahrungen – Forschung. Duisburg. DISS KALPAKA, Annita (2009) Funktionales Wissen und Nicht-Wissen in der Migrationsgesellschaft. Ansatzpunkte für reflexive politische Bildungsarbeit. In: LANGE, Dirk; POLAT, Ayça (Hg): Unsere Wirklichkeit ist anders. Migrati- on und Alltag. Bonn. BpB LEIPRECHT, Rudolf (2001) Alltagsrassismus. Eine Untersuchung bei Jugendlichen in Deutschland und der Nie- derlande. Münster, New York. Waxmann WEBER, Martina (2008): Intersektionalität sozialer Unterscheidungen im Schulalltag. In: Seemann, Malwine (Hg.): Ethnische Diversitäten, Gender und Schule. Geschlechterverhältnisse in Theorie und Praxis. Oldenbur- ger Beiträge zur Geschlechterforschung. Oldenburg. BIS-Verlag 3. Fachdidaktische Tagung für Geschichte und Politik: „Ausgrenzung - Vertreibung – Völkermord“ 23./24. Februar 2012 Akademie des Sports Hannover 29
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