RDURCHBLICK - GEMEINSAM MEHR SEHEN! - Halbjahr 2017 - Blinden- und ...
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Mitteilungen des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Österreich DURCHBLICK DER 2. Halbjahr 2017 GEMEINSAM MEHR SEHEN! Hietzinger Kai 85/DG, 1130 Wien T + 43 1 9827584-0 www.blindenverband.at D E R D URCHB L ICK 2/ 2017 1
Editorial Dr. Markus Wolf Präsident des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Österreich seit 2012 Liebe Leserinnen! Liebe Leser! Leben bedeutet Verände- folgen durfte, rung. Sei es das persönliche waren sowohl negativ – etwa Wachsen oder ein Stand- eine steigende ortwechsel, sei es der Arbeitslosenquote Entschluss, neue Wege zu bei Menschen mit gehen oder sich von alten Behinderungen – Routinen zu befreien. als auch wirklich positiv. So haben sich im Bereich der Blindenführ- Veränderung kann in alle Rich- hundfinanzierung, tungen ausschlagen – zum für die sich der Guten, oder zum weniger Guten. BSVÖ seit langem Damit Veränderung positiven einsetzte, große Dr. Markus Wolf: „Der BSVÖ wird auch in Fortschritt bedeutet, ist eine Erfolge abgezeich- Zukunft ein starkes Wort mitreden!” stete, gemeinsame Arbeit und net. Und auch das umfassender Einsatz von allen noch vor der Wahl beschlossene setzen, dass Veränderung in Beteiligten notwendig. Inklusionspaket lässt auf erfreu- die richtige Richtung geht und liche Entwicklungen hoffen. schlussendlich zu Fortschritt Die Veränderungen, die ich als wird. Präsident des Blinden- und Der Blinden- und Sehbehinder- Sehbehindertenverbands Ös- tenverband wird sich auch im Gehen Sie den Weg weiterhin terreich im letzten Jahr mitver- kommenden Jahr dafür ein- mit uns! Gemeinsam mehr sehen Praxistipps Blindenführhunde Gibt Antworten auf zentrale Fragen: Wie verläuft die Ausbildung? Was kann der Hund kosten? Wer kann mir weiterhelfen? Auch online unter www.blindenverband.at 2 DER DURCHBLICK 2/2017
DER DURCHBLICK Inhalt IMPRESSUM Seite Mitteilungen des Blinden- und Sehbehinderten- Zuverlässige finanzielle Unterstützung verbandes Österreich; Selbsthilfeorganisation Aufgaben der Zukunft – Markus Wolf 4 blinder und sehbehinderter Menschen Sichere, selbstständige Mobilität Nr. 02/2017, 71. Jahrgang Für alle perfekt? – Doris Ossberger 8 Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich (BSVÖ) Die große Unbekannte – Josef Sögner 10 Hietzinger Kai 85, 1130 Wien Kommentar: Martin Ladstätter 12 ZVR-Zahl: 903235877 DVR-Nummer: 4004475 Gleichberechtigte Bildungs- und www.blindenverband.at Berufschancen An Chancen glauben – Herausgeber Dr. Markus Wolf, Präsident Vielnascher & Schretzmayer 14 T + 43 1 9827584-200, Fax-DW: 209 E praesident@blindenverband.at Vollwertige politische und Chefredakteurin kulturelle Teilhabe Dr. Iris Gassenbauer, PR-Referat Chancen zur Veränderung nutzen – T + 43 1 9827584-202, Fax-DW: 209 E iris.gassenbauer@blindenverband.at Hansjörg Hofer 18 Ein Kuss für alle – Abo-Verwaltung Hauptner & Wögerbauer 21 Sina Brychta, Bundessekretariat T + 43 1 9827584-201, Fax-DW: 209 Mehr „Wir”! – Herbert Pichler 24 E office@blindenverband.at Portrait: Phil Hubbe und Grafik & Layout die Macht des Lächelns 26 Werbeservice | Martin Hlavacek, 1230 Wien www.werbeservice.at Umfassender Zugang zu Druck Informationsmedien kb-offset Kroiss & Bichler GmbH & CoKG „Ich erzähle dir etwas“ – www.kb-offset.at Getrud Guano & Alexander Guano 28 Offenlegung gem. § 25 Mediengesetz Der Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich (BSVÖ) ist als Dachorganisation seiner sieben Landesorganisationen Film: Das blinde Wunderkind 31 (Kärnten, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarl- berg sowie Wien/Niederösterreich/Burgenland) überparteilich und religiös neutral und hat seinen Sitz am Hietzinger Kai 85, 1130 Wien. Seine zentrale Aufgabe ist die Förderung der Inter- essen und Bedürfnisse blinder und sehbehinderter Menschen und die Anleitung zur Selbsthilfe. Der Vorstand besteht aus dem Präsidenten des BSVÖ Dr. Markus Wolf, den Obleuten der Landesorganisationen Willibald Kavalirek, Dr. Alexander Niederwimmer, Josef Schinwald, Johann Kohlbacher, Klaus Guggenberger, Dieter Wolter und Kurt Prall, dem Kassier Ger- hard Schmelzer sowie der Schriftführerin Magdalena Marin- ger. Grundlegende Richtung: Die Zeitschrift „Der Durchblick“ ist eine Sammlung von Texten und Bildmaterial mit behinde- rungsspezifischem Inhalt und auch Wissenswertem von all- gemeinem Interesse mit Informationen über wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leistungen und Unterhaltung. Medieninhaber ist zu 100 % der BSVÖ. Coverbild: Iris Gassenbauer (BSVÖ) D E R D URCHB L ICK 2/ 2017 3
Dr. Markus Wolf Präsident des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Österreich Aufgaben der Zukunft „Was getan werden muss? liert werden mussten, hatten Das ist aber nicht der einzige Armut verringern, es Menschen mit Behinderung Grund, weshalb Menschen mit im Allgemeinen und blinde und Behinderung auch heute noch Nachteile ausgleichen, stark sehbehinderte Menschen viel häufiger von Armut betrof- Chancen ermöglichen!“ im Besonderen schwer. Wenn fen sind als Menschen ohne Ressourcen knapp sind, dann Behinderung. Tatsächlich gibt sind sie für diese Gruppen es mehrere Faktoren. Die Dinge Ich werde manchmal gefragt, meistens noch knapper. die blinde und sehbehinderte wie es den blinden und sehbe- Menschen im Alltag benötigen, hinderten Menschen in Öster- Das ist auch heute noch so. kosten leider oft ein Vielfaches reich heute geht und oft wird Wenn die Arbeitslosenrate von denen der „Normalbevölke- gleich die Frage angefügt, ob steigt, steigt sie meist unter rung“. Das fängt schon bei ganz sich die Rolle des Blinden- und Menschen mit Behinderung normalen Produkten wie Haus- Sehbehindertenverbandes noch stärker. In den Jahren 2008 haltsgeräten an. Eine normale Österreich (BSVÖ) in den letzten bis 2016, in der problematischen Waschmaschine ist heute – ab- Jahren stark verändert habe. Zeit nach dem Ausbruch der hängig von Angeboten – schon Finanzkrise, ist die Als der BSVÖ kurz nach dem 2. Arbeitslosigkeit in Weltkrieg gegründet wurde, war der Gesamtbevölke- Der Alltag von Menschen eine der zentralen Aufgaben rung um ungefähr mit Behinderung kann der Landesorganisationen, die 13 % gestiegen – schnell sehr teuer werden. finanzielle und materielle Unter- unter Personen mit stützung in diesen schwierigen einer Behinderung Zeiten sicherzustellen. In den betrug der Anstieg ca. 65 %! relativ günstig erhältlich. Blinde Jahren nach den Kriegswirren und stark sehbehinderte Men- und dem anlaufenden Wieder- Wenn dann bessere Zeiten schen müssen auf Produkte aus- aufbau ging es wirklich oft um anbrechen, sind Menschen mit weichen, die sie selbstständig das Überleben im Alltag. Nicht Behinderung leider auch jene, bedienen können. Das bedeutet selten hatten die Menschen die zuletzt davon profitieren. Die zum Beispiel, dass Geräte nicht damals zu wenig, um die reinen Arbeitslosenrate ist seit unge- mittels Touchscreen gesteuert Grundbedürfnisse abdecken zu fähr acht Monaten in der Ge- werden und auch sonst taktil zu können. In einer Zeit hoher samtbevölkerung in Österreich erfassen sind. Leider ist hier Arbeitslosigkeit und einem wieder rückläufig, unter Men- neben einer oft sehr einge- Klima, in dem gesellschaftliche schen mit Behinderung steigt sie schränkten Auswahl der Strukturen erst wieder etab- leider noch immer an. Kostenfaktor hoch. 4 DER DURCHBLICK 2/2017
Wenn das Gerät – sagen wir ein Küchengerät, wie etwa eine Mi- krowelle – auch noch mit einer Sprachausgabe versehen sein soll, um alle Funktionen, wie jeder normalsehende Verbrau- cher, vollständig und selbststän- dig benutzen zu können, dann liegt die sprechende Mikrowelle weit über dem Acht- bis Zehnfa- chem der regulären Variante. Ein Notebook ist für normalsehende Personen schon für ein paar hundert Euro erhältlich. Aber Präsident des BSVÖ Dr. Markus Wolf (Foto: BSVÖ) was machen blinde und sehbe- hinderte Menschen mit einem einfachen Notebook? Sie brau- heute schon kostenlos, oder sehr kleinen, eingeschränkten chen ein komplett angepasstes zu einem geringen Preis. Aber Teil ausmacht. Hinzu kommt, System, das – erschrecken Sie kommen Sie damit wirklich ver- dass es in manchen Bereichen jetzt nicht – schon mehr als lässlich ans Ziel? Die guten Apps noch schwieriger – oder sogar 20.000 Euro kosten kann. Auch kosten auch heute noch einiges. unmöglich – geworden ist Arbeit, eine Braille-Zeile ist teuer. Sie zu finden, weil früher analoge ist kein Massenprodukt. Handys Das Leben eines blinden und Systeme heute digital ablaufen gibt es seit vielen Jahren gratis hochgradig sehbehinderten und somit für uns nicht mehr, zum Mobilfunkvertrag, aber Menschen ist heute noch immer oder nur noch schwer, bedien- nicht für blinde und hochgradig viel teurer als es ohne Behinde- bar sind. Das größte Problem bei sehbehinderte Menschen. Wir rung wäre. Aber es kommt noch der Jobsuche ist es aber, einen benötigen nämlich Geräte die mehr dazu. Blinde und sehbe- Arbeitgeber zu finden, der bereit ein bisschen mehr können. Das hinderte Menschen gehören in ist, einen Menschen mit einer Smartphone wird heute nicht der Regel nicht zu den Gutver- Behinderung anzustellen, den er nur zum Telefonieren benutzt. dienern. Oft haben sie gar keine – und das wird leider oft falsch Blinde Menschen nutzen diesen Arbeit. Sie fragen sich vielleicht, angenommen, nicht mehr „los kompakten Hochleistungsta- wie dies möglich ist, wo es doch wird“, falls er sich doch nicht schencomputer um sich mittels theoretisch viele Optionen gibt. bewähren sollte. Blinde und Navigationsapp verlässlich von Das stimmt wohl. Die Anzahl der hochgradig sehbehinderte Men- A bis B zu bewegen. Wir nutzen Berufe die wir heute ausüben schen bekommen oft leider gar ihn auch, um die Speisekarte zu (können) ist viel größer als noch nie die Chance zu beweisen, wie lesen, den Fahrplan abzurufen, vor einer oder zwei Generatio- motiviert, engagiert und fähig unsere Post zu scannen und nen. Aber man muss bedenken, sie wirklich sein können. von der synthetischen Stimme dass sie im Vergleich zu den Be- vorgelesen zu bekommen. Es rufsmöglichkeiten der Normal- stimmt, manche Apps gibt es bevölkerung noch immer einen >> D E R D URCHB L ICK 2/ 2017 5
Auch in der Freizeit will man letzten 70 Jahren nicht wirklich es keine Armut gibt. Ebenjene selbstständig lesen können. Eine verändert, außer, dass sie heut- Armut zu verringern und uns sehende Person nimmt einfach zutage vielfältiger ist als damals. dafür einzusetzen, dass auf allen eine Zeitung, einen Roman, ein Gerade deshalb sind Spenden Ebenen ein selbstbestimmtes Rezeptbuch, oder eine Land- und Zuwendungen heute noch Leben möglich ist, ist eines der karte, und liest los. Eine stark genau so wichtig wie damals. vielen und wichtigen Ziele des sehbehinderte Person braucht dafür erst ein Lesegerät das jen- Diese Rolle werden seits von 4.000 Euro liegt. Das wir auch in abseh- ist eine Summe, die nicht jeder barer Zukunft noch einfach noch zusätzlich aus dem erfüllen müssen, Haushaltsbudget finanzieren auch wenn ich der kann, vor allem wenn er nicht Meinung bin, dass viel verdient, oder vielleicht gar der Staat in man- nicht beschäftigt ist. Hier spie- chen Bereichen eine Nicht immer können Sehschwächen kostengüns- len der BSVÖ und seine sieben größere Verantwor- tig mit einfachen Brillen ausgeglichen werden Landesorganisationen eine wich- tung zu tragen hätte. tige und wesentliche Rolle bei Denn selbst wenn Österreich Blinden- und Sehbehinderten- der Armutsbekämpfung. Diese zu den reichsten Ländern der verbandes und seiner Landesor- Rolle hat sich leider auch in den Welt gehört, heißt es nicht, dass ganisationen. Zuverlässige finanzielle Unterstützung Menschen mit Behinderung viele Bezieher kein ausreichen- führt dazu, dass Menschen mit sind nicht nur von einer höhe- der Zuschuss, um die durch Behinderung in einem Bundes- ren und seit Jahren wachsenden die Behinderung entstandenen land im Bezug auf persönliche Arbeitslosenquote betroffen, Kosten mitzutragen. Assistenz besser gefördert sondern müssen auch mit ge- werden als in einem anderen steigerten Ausgaben rechnen. Persönliche Assistenz, die am Bundesland. Es ist das Ziel des Die Anschaffung von Hilfsmit- Arbeitsplatz, beim Studium und BSVÖ, auf nationaler Ebene für teln im privaten Bereich kann in Bundesschulen im Zuständig- zuverlässige finanzielle Unter- schnell zu einem teuren Unter- keitsbereich des Bundes liegt, stützung gesorgt zu wissen, fangen werden, selbst wenn ist in anderen Lebensbereichen ohne dass Bürgerinnen und Förderungen eingeholt werden. in der Zuständigkeit der Län- Bürger grobe Unterschiede Auch Programme zur Behand- der angesiedelt. Bei letzteren zwischen den Ländern in Kauf lung oder Rehabilitation sind herrschen unterschiedliche nehmen müssen. Eine Harmo- nicht immer finanziell gedeckt. Regelungen, was die Förde- nisierung, die in allen Ländern Ebenso ist das seit Jahren nicht rung und Organisation betrifft. die bestmögliche Unterstützung mehr valorisierte Pflegegeld für Diese nicht-harmonisierte Lage zum Ziel hat, ist anzustreben. D E R D URCHB L ICK 2/ 2017 7
Thema Sichere selbstständige Mobilität Doris Ossberger | Leiterin Referat für barrierefreies Bauen Für alle perfekt? „Besser für die meisten OK, ist eine endgültige Definition GMI, dem Gremium für Mobilität als für wenige perfekt.“ Als nicht in allen Fällen gegeben. Es und Infrastruktur, und im KMS, ist hier noch viel in Entwicklung dem organisationsübergrei- Leiterin des Referats für – was allerdings klar ist, ist das fenden Komitee für Mobilität barrierefreies Bauen erlebt Grundprinzip: „Nichts über uns, sehbeeinträchtigter Menschen Doris Ossberger, wie ohne uns“, betont Ossberger Österreichs ist, kennt die Prob- Barrierefreiheit in Österreich und verweist somit auch auf leme. Einerseits alle Interessen ausgelegt werden kann. eine der wichtigsten Grundlagen unter einen Hut zu bekommen überhaupt. Regeln und Richtli- und gleichzeitig durchführbare nien im Dienste einer Sache zu Lösungen zu erarbeiten ist ein erstellen, ohne die Sache selbst nicht immer einfacher und vor Baut man ein Haus, ohne auf aus Insidersicht heraus kennen allem ein langsamer Prozess. die Regeln der Statik Rücksicht gelernt zu haben, ist ein Pro- Dazu kommt, dass bestehen- zu nehmen, stehen die Chancen jekt, das scheitern muss. Nur de Normen ebenfalls nicht für gut, dass eine Wand nachgibt indem Personen, die selbst immer in Stein gemeißelt sind, oder der Dachstuhl zusammen- betroffen sind, mitreden können sondern in Anpassung an tech- fällt. Baut man ein Haus, ohne und somit auch ihr Nutzerwis- nische Entwicklungen immer auf die Barrierefreiheit Acht zu sen einbringen können, ist die wieder überarbeitet werden geben, wird das Haus dennoch Möglichkeit gegeben, das Gebiet müssen. Ende nie? Wahrschein- stehen. Dass sich nicht alle im ganzheitlich zu verstehen. lich. Dennoch ist es die Arbeit Haus zurechtfinden werden oder „Die interne Positionsfindung der qualifizierten Interessenver- es überhaupt über die Schwelle und die Erarbeitung von Normen treter, die nicht nur die Diskussi- schaffen, scheint ein Risiko zu ist immer auch Kompromissar- on aufrecht hält, sondern auch sein, mit dem sich einige Planer beit. Aber gerade deswegen ist dafür sorgt, dass Barrierefreiheit arrangieren. Eine, die sich seit die Zusammenarbeit der Inter- nicht übergangen wird. Jahren dafür einsetzt, dass Räu- essenvertreter unentbehrlich. me für alle erschlossen werden, Gäbe es niemanden, der beste- Die Tendenz zur Digitalisierung ist DI Doris Ossberger, Leiterin hende Probleme aufzeigt und sieht Doris Ossberger ambiva- des Referats für barrierefreies gleichzeitig fundierte Lösungs- lent. Einerseits haben Innova- Bauen des BSVÖ. vorschläge bringt, so würde tionen der letzten Jahre durch auch die Barrierefreiheit nicht universelles Design, schnelle, Gerade was die Barrierefreiheit weiterkommen.“ intuitive Bedienbarkeit und für blinde und sehbehinder- bestmögliche Nutzerfreund- te Menschen betrifft, sind die Doris Ossberger, die selbst lichkeit Spezialgeräte abgelöst Vorgaben nicht so eindeutig und BSVÖ-interne Koordinatorin im und der Nutzergruppe, die 8 DER DURCHBLICK 2/2017
gelernt hat, damit umzuge- meint Doris Ossberger. Selbst Auf die Frage nach Etappenzie- hen, einen wichtigen Faktor Normen für Barrierefreiheit len gäbe es viele Antworten. am Weg zur Selbstständigkeit gewährleisten noch lange keine Eine davon lautet wohl: die geliefert. Andererseits gibt es Umsetzung - vor allem nicht, Verankerung von sinnvollen auch Entwicklungen, die der wenn andere Interessengruppen Mindestanforderungen und rich- Barrierefreiheit entgegenwir- stärker sind. „Erst durch die ge- tigen Kriterien in Gesetzen auf ken. Überdigitalisierung, die auf setzliche Verankerung wird eine Europaebene. So reicht es etwa visuelle Steuerelemente baut, Norm zur Vorschrift und gerade nicht, die minimale Innengröße ist ein Trend, der scheinbar im Bereich der Barrierefreiheit einer Aufzugs-Kabine festzule- nicht aufzuhalten ist. Seien es wird leider vieles nur als gutge- gen. Es muss auch dafür gesorgt Thermostate, Postabholstati- meinter Ratschlag aufgefasst. sein, dass die Bedienelemente onen oder Kaffeeautomaten- Obwohl bauliche Barrieren laut bedienbar bleiben und dass Bedienung mittels „Sehen und Bundesbehindertengleichstel- technische Entwicklungen, seien Berühren“ ist groß in Mode. Wo lungsgesetz Menschen diskrimi- sie auch noch so spannend und der Touch-Panel-Hype in den nieren und man rechtlich an sich elegant, nutzerfreundlich aus- letzten Jahren besonders kri- dagegen vorgehen kann …“ fallen. tisch beobachtet wurde, ist bei Dass man mit dem Behinder- der Steuerung von Aufzügen. tengleichstellungsgesetz eine Und auch wenn der Weg zu Sensorplatten ohne erstastbare Möglichkeit hat, sich gegen neuen Normen ein langer und Knöpfe fügen sich zwar ins futu- Diskriminierung zu wehren, ist aufwendiger ist, darf nicht außer ristisch minimalistische Design sehr gut und wesentlich. Dass Acht gelassen werden, was neuer Liftkonstruktionen, für es aber, damit die Wichtigkeit schon passiert ist. Auch steigt blinde oder sehbeeinträchtigte barrierefreien Bauens als real die Sensibilisierung bei den Nutzer wird die glatte Fläche anerkannt wird, Privatperso- Umsetzenden, was Doris Oss- aber zum Hindernis. Auch die nen braucht, die aktiv ihr Recht berger als grundlegend erachtet. sogenannte Zielrufsteuerung, einfordern wenn unter anderem „Es ist auch unsere Aufgabe, bei der angegeben werden der tägliche Weg zur eigenen im Rahmen der Projektbera- muss, in welches Stockwerk die Wohnungstür zum Hürdenlauf tung Bewusstseinsbildung zu Reise gehen soll, um den Lift zu wird, ist nicht zumutbar. Halblö- betreiben. Oft scheitert die rufen, ist, freundlich formuliert, sungen, wo nach einigem Inter- Barrierefreiheit einfach nur an eine gewisse Herausforderung. venieren dann doch barrierefrei mangelndem Wissen darüber, „Hier sind nicht nur blinde und nachgerüstet wird, sieht Doris was und wie viel davon von ver- sehbehinderte Menschen betrof- Ossberger kritisch. „Selbst wenn schiedenen Personengruppen fen. Auch etwa ältere Leute, die individuelle Lösungen gefunden wirklich gebraucht wird, um et- ohnehin nicht mehr gut zu Fuß werden, bedeutet das nicht, was gut nutzen zu können. Das sind, oder Menschen mit Mehr- dass die Bedürfnisse anderer aufmerksame Beschäftigen mit fachbehinderung werden hier Nutzer auch damit gedeckt sind. der Materie und das Gespräch im schlimmsten Fall durch die Das eigentliche Ziel muss es mit Personen und Organisatio- komplizierte Bedienung davon sein, dass schon von vornherein nen, die aus eigener Erfahrung abgehalten ans Ziel zu gelangen. an einen größtmöglichen Nut- heraus darüber Auskunft geben Da arbeitet man wirklich der ge- zerkreis gedacht und entspre- können, ist und bleibt unersetz- nerellen Nutzbarkeit entgegen“, chend geplant wird.“ bar.“ D E R D URCHB L ICK 2/ 2017 9
Thema Sichere selbstständige Mobilität Josef Sögner| Referent für barrierefreies Bauen Die große Unbekannte Josef Sögner über missver- wenn sie leider immer noch oft erefreiheit vorausschauend und standene Barrierefreiheit, so wahrgenommen wird, keine durchdacht eingesetzt. Da der Schikane.“ Idealfall zwar eine wünschens- den Schrecken des Nachrüs- werte Variante ist, meistens tens und warum Überschuss Dass es oft nicht am Willen aber Utopie bleibt, zeigen sich oft kontraproduktiv ist. oder der Motivation der Bau- eher die anderen Wege. Auf träger, sondern an mangelnder dem einen wird Barrierefreiheit Nutzungserfahrung liegt, dass übergangen, am anderen über- Projekte in ihrer Barrierefreiheit trieben eingesetzt. „Das kann „Da kommt es nicht selten zu scheitern, ist eine Problematik, man sich vorstellen, wie einen einem großen AHA seitens der die sich lösen ließe. Theoretisch Schilderwald für Sehende. Zu Planer“, sagt Josef Sögner, Re- zumindest, denn die Praxis viele Informationen auf einmal ferent für barrierefreies Bauen sieht anders aus. Während es können nicht verarbeitet werden des BSVÖ. Etwa, wenn ein tak- Instanzen wie das KMS, das GMI und bewirken das Gegenteil des- und eben das sen, was eigentlich beabsichtigt Referat für war“, so Sögner, der in seiner Barrierefrei- Funktion als Berater oft vor sol- heit gibt, die cherlei Problemen steht. „Nicht sich mit aktu- selten wird davon ausgegangen, ellen Normen- dass taktile Bodenleitsysteme Überholungen in öffentlichen Gebäuden zu beschäftigen beinahe allen Räumen verlegt und die in werden müssen. Es gibt die Linie der Materie und es gibt ein Feld, das Abzwei- fix sind, fehlt gungen und Situationsänderun- Ingenieur Josef Sögner unterwegs in Wien. dennoch gen anzeigt. Früher war das ein einerseits die Noppenfeld, neuerdings gibt es tiles Bodenleitsystem ins Kopf- gesetzliche Implementierung hierfür auch andere, robuste Lö- steinpflaster gefräst wird und und andererseits die Routine sungen. Wenn also in gedachten man das akustische Umsetzen der Planer, sich vorab zu infor- komplexen Liniensystemen eine des Musters und des Pflasters mieren. Das selbstständige Pla- Situationsänderung eingeführt nicht mehr unterscheiden kann. nen und Bauen kann zu dreierlei wird, zum Beispiel eine T-Kreu- „Es braucht links und rechts eine Ergebnissen führen: Im Idealfall zung, so ist hier noch in keiner glatte Fläche, wenn das Umfeld wird alles richtig gemacht und Weise angezeigt, wohin die rau ist. Barrierefreiheit ist, auch werden alle Elemente der Barri- Abzweigung führt. Blinde und 10 DER DURCHBLICK 2/2017
sehbehinderte Menschen, die Gerade in neuen Projekten Das Konsultieren von kompeten- solch ein System zum ersten Mal steht Design nicht selten über ten Vertretern der Behinderten- benutzen, werden sozusagen Bedienfreundlichkeit. Waren vereinigungen ist die Grundlage vor die Wahl gestellt, ohne die sogenannte Zehnertastaturen in für ein im Ende erfolgreiches Wahlmöglichkeiten zu kennen.“ Aufzügen durch tastbare Felder Bauprojekt. Bei komplexen Bodenleitsys- noch grundsätzlich bedienbar, temen wäre für die sinnvolle sind neuartige Touch Panels Josef Sögner hofft hierbei auf Benutzung eine Schulung not- zwar glatt, gut zu reinigen und einen Multiplikationseffekt. wendig und diese wiederrum wahrscheinlich weniger störungs- Planer, die die Norm und die zahlt sich nur aus, wenn das Ob- anfällig – barrierefrei sind sie al- Grundlagen der Barrierefreiheit jekt mehrmals oder sogar regel- lerdings nicht. „Trotzdem kommt verstehen, können ihr Wissen in mäßig benutzt wird. „Bahnhöfe das Touch Panel in Liften immer verschiedenen Projekten weiter- wären solch ein Beispiel“, sagte wieder. Wohnt eine blinde oder geben und selbst für die Anfor- Sögner. „oder natürlich auch Bil- sehbehinderte Person in einem derungen barrierefreien Bauens dungseinrichtungen. Trotzdem solchen Gebäude, darf es nicht sensibel werden. „Es braucht sollte die intuitive Nutzung jedes alleine an ihr liegen, sich mit das Gespräch mit Experten und Leitsystems im Vordergrund der großem Aufwand für ein barrie- Nutzungserfahrung. Nur die Planung stehen.“ refreies Bedienen einzusetzen.“ Norm zu kaufen, ist zu wenig.“ Sichere selbstständige Mobilität Selbstständig mobil zu sein, be- Werden neue Projekte umge- zu Planern und Ausführenden deutet auch, Anforderungen im setzt bei denen die Barrierefrei- kann dauerhaft zu einer Ver- Alltag eigenständig bewältigen heit nicht schon von Anfang an minderung von Hürden und zu können und nicht auf frem- mitgedacht wird, ist ein Nach- zur Beseitigung von Barrieren de Hilfe angewiesen zu sein. rüsten mit viel Aufwand und führen. Der BSVÖ und seine Werden aber bauliche Barrieren meist hohen Kosten verbunden. Landesorganisationen bieten durch Unwissenheit oder auf- mit Experten aus verschiede- grund neuer Standards seitens Um bauliche Barrieren zu ver- nen Bereichen ein breites Pool der Bauplaner geschaffen, ist meiden und die selbstständige an Optionen, vorab Informati- diese Selbstständigkeit schnell Mobilität blinder und sehbehin- on einzuholen. Die Forderung beschränkt. derter Menschen nicht einzu- auf sichere und selbstständi- schränken, ist der Dialog mit ge Mobilität ist eine wichtige Navigation, die auf visuelle Be- Experten, Interessenvertreten Grundlage im Programm des dienung baut, ist für blinde und und Betroffenen unumgäng- Verbandes, um blinde- und sehbehinderte Menschen eine lich. Nur der interne Austausch sehbehinderte Menschen darin diskriminierende Hürde, die zu zwischen den Gruppen, die zu unterstützen, ein selbst- einer Gefährdung der persön- gemeinsame Arbeit an Ver- bestimmtes Leben führen zu lichen Sicherheit werden kann. besserungen und der Kontakt können. D E R D URCHB L ICK 2/ 2017 11
Kommentar Martin Ladstätter Schnecken und rostige Au Traurige Gleichnisse Von der Schule für alle immer wieder schockierende der Gleichstellung – noch weit entfernt Menschenrechtsverletzungen Von Inklusion im Bildungsbe- aufgedeckt werden, sollte jede ein Kommentar. reich sind wir noch weit ent- und jeder dort leben können wo fernt. Immer noch sprechen sich sie oder er möchte und ihr oder Politikerinnen und Politiker, Leh- sein Leben so führen können, wie Schnecken und rostige Autos, rerinnen und Lehrer und Eltern sie oder er es für richtig hält. In das sind Metaphern, die be- für den Erhalt der Sonderschule einem Heim ist das nicht möglich. nutzt werden, wenn man über aus. Rund die Hälfte der Schüle- die Themen Gleichstellung und rinnen und Schüler mit Behinde- Strukturelle und personelle Inklusion spricht. Betrachtet rungen besuchen eine solche. Mängel in Heimen verhindern man die österreichische Behin- die Selbstbestimmung der dertenpolitik, sind diese sprach- Diese Tatsache bedingt meis- Bewohnerinnen und Bewohner lichen Bilder leider nicht ganz tens eine „Karriere“ in anderen und können im schlimmsten Fall unangebracht. Die Umsetzung Sondersystemen wie des Behindertengleichstellungs- zum Beispiel Werkstatt ... doch sind Menschen mit gesetzes geht schleppend voran. oder Beschäftigungs- therapie. Zwar sagen Behinderungen eigentlich im Blickfeld Ein Beispiel dafür sind die Etap- diese Einrichtungen der Gesellschaft? penpläne zur Barrierefreiheit von sich, dass sie Über- von öffentlichen Gebäuden. gangsstationen sein wollen, wer- auch zu psychischer und körper- Diese sollten eigentlich schon den jedoch oft zu Endstationen. licher Gewalt führen. 2015 umgesetzt sein, doch Mit gesellschaftlicher Teilhabe selbst 2017 ist noch nicht klar, hat das nichts zu tun. Teilhabe Die Lösung hierfür kann nicht wann zumindest die öffentlichen wäre, dieselben Bildungschan- in der Aufstockung des Perso- Gebäude barrierefrei zugänglich cen zu haben wie Menschen nals liegen, sie liegt viel mehr sein werden. Aber das ist nicht ohne Behinderungen. in einem Paradigmenwechsel, die einzige Baustelle im Behin- weg von Betreuung und hin zu dertenbereich. Heime vs. einer selbstbestimmten Lebens- Persönliche Assistenz führung. Ein Konzept, das ein Auch Behindertenheime haben solches selbstbestimmtes Leben nichts mit Gleichstellung und ermöglichen kann, ist das der Inklusion zu tun. Mal abgesehen Persönlichen Assistenz. Dieses davon, dass durch die Prüfkom- Modell ermöglicht ein Maximum mission der Volksanwaltschaft an Selbstbestimmung für den 12 DER DURCHBLICK 2/2017
utos Menschen mit Behinderungen. Dem steht häufig der österrei- chische Föderalismus im Weg. Martin Ladstätter, Gründungsmitglied und Obmann von Persönliche Assistenz im Privat- BIZEPS – Zentrum für selbstbestimmtes Leben bereich fällt nämlich wie vieles andere auch in den Zuständig- keitsbereich der Bundesländer. Zu Herzen gehende Geschichten Die UN-Konvention muss end- Das bedeutet: „Sag mir wo du wie die einer Stabhochspringe- lich umgesetzt werden lebst und ich sage dir, ob du rin, die sich nach einem Unfall Österreichs Stärken und Schwä- Assistenz bekommst“. zurück ins Leben kämpft, ver- chen im Inklusionsbereich zeigen kaufen sich gut. Was sich gut sich am besten an der Umset- Zwischen Opfer und Held verkauft, wird gesendet und zung der UN-Konvention. Der Um Inklusion und Gleichstel- gedruckt. ORF-Generaldirektor Nationale Aktionsplan Behinde- lung zu erreichen, ist es wichtig, Alexander Wrabetz brachte rung (NAP) wäre eine wichtige Präsenz zu zeigen und sich ins diese Haltung bei einer Veran- Grundlage für die Umsetzung. Gespräch zu bringen. Doch sind staltung im Bundeskanzleramt Dieser ist jedoch ambitionslos Menschen mit Behinderungen auf den Punkt, indem er zu und es krankt dennoch an seiner eigentlich im Blickfeld der Ge- verstehen gab, dass Medien Umsetzung. sellschaft? nun einmal schubladisieren und dass sie nicht am Alltag, sondern Lange fordert man schon Indika- Die Medien sind nicht nur ein- an „Menschen mit besonderen toren, die eine Überprüfung der fache Informationslieferanten, Herausforderungen“ interessiert Umsetzung der UN-Konvention sondern fungieren als Meinungs- seien. und des NAP ermöglichen. Doch bildnerinnen und Meinungs- die Notwendigkeit einer wissen- bildner. Die Darstellung von Wenn man bedenkt, wie wichtig schaftlichen Evaluierung auf der Menschen mit Behinderungen Medien für die Bewusstseins- Grundlage fundierter Fakten in den österreichischen Medi- bildung sind, dann ist hier noch und Zahlen wird von der Poli- en ist von Schubladendenken einiges zu tun. Menschen mit tik noch nicht gesehen. Um die geprägt und schwankt zwischen Behinderungen müssen nicht Schnecken und rostigen Autos zwei Extrempolen. Das hat eine nur an der Gesellschaft teil- der Behindertenpolitik am Lau- Studie aus dem Vorjahr ergeben. haben, sondern auch an der fen zu halten, braucht es Durch- Entweder werden Menschen mit Medienlandschaft. Sowohl als haltevermögen und Kampfgeist. Behinderungen in den Medien Teil von Berichterstattungen Mal sehen, was die neue Regie- gar nicht erwähnt oder sind Teil als auch hinter den Kulissen als rung in diesem Bereich weiter- einer Inszenierung. Akteurinnen und Akteure. bringt. D E R D URCHB L ICK 2/ 2017 13
Thema SEBUS – Gleichberechtige Bildungs- und Berufschancen Michaela Schretzmayer und Barbara Vielnascher | SEBUS An Chancen glauben Mit SEBUS, der Schulungs- fördern...erst all diese ‚Rundher- nicht selten auch das Selbst- einrichtung für blinde und um-Anstrengungen‘ machen das bewusstsein. „Wieder Chancen eigentliche Förderziel möglich.“ aufgezeigt zu bekommen und sehbehinderte Menschen, in der Gruppe zu erkennen, ist im „Haus des Sehens“ Eines der wesentlichen Elemen- was alles durch Technologie, in Wien eine Drehscheibe te, die bei anderen Schulungs- Hilfsmittel und durch Training für Bildung und persönliche einrichtungen wahrscheinlich möglich ist, ist grundlegend für Weiterentwicklung gege- vor der Tür gelassen werden unsere Arbeit“, weiß Schretz- ben. Barbara Vielnascher müssen, ist auch gleichzeitig ei- mayer. Aber auch das Einfordern und Michaela Schretzmay- ner der allgemeinsten Bausteine: von Leistung kann helfen, das er über ein Aufgabenfeld, den Alltag zu meistern. Das Spe- Selbstvertrauen zu stärken und zifische des Alltags der Teilneh- den persönlichen Einsatz anzu- das weit über den Auftrag merinnen und Teilnehmer – die kurbeln. „Der Anspruch an die hinausgeht. Sehbehinderung oder Blindheit Person ist mitunter höher als – wird in dieser Einrichtung er vielleicht bei anderen Stellen zum Teil der Gemeinschaft, die ist“, meint Vielnascher dazu. „Wir Der Auftrag durch den Förderge- einen regen Austausch zulässt. geben die Grundlagen und for- ber beinhaltet die Qualifizierung Das, was außerhalb vielleicht als dern, dass damit auch gearbei- für blinde und sehbehinderte exkludierende Einschränkung tet wird. Ganz nach der Devise: Menschen im erwerbsfähigen Al- oder Extraleistung als unange- ‚Setze dich damit auseinander, ter, die arbeitsfähig und arbeits- nehm empfunden wird, ist hier beschäftige dich, dann kannst willig sind. Eine relativ trockene integrierte Routine – sei es der du es schaffen!‘“ Ansage also, hinter der aber viel Umgang mit Hilfsmittel, das zur mehr steht, wie Mag. Barbara Verfügung gestellte barrierefreie Wenn du es tun kannst, Vielnascher, Projektleiterin von Lernmaterial oder auch das dann tue es selbst SEBUS, und ihre Kollegin Mag. entgegengebrachte Zutrauen Zwischen 60 und 80 Teilnehmer Michaela Schretzmayer, Pädago- durch die Ausbildnerinnen und nützen SEBUS jährlich, wobei gisch Verantwortliche, wissen. Ausbildner. die Betreuungsdauer unter- „Unmittelbar auf einen Job hin schiedlich lang ist. In den letz- auszubilden, ist in den wenigs- Fördern = Fordern?! ten Jahren hat sich die Tendenz ten Fällen möglich“, betont Das (plötzliche) Auftreten ei- abgezeichnet, dass Teilneh- Vielnascher. „Wir setzen früher ner Sehbehinderung bedeutet mende eher länger bleiben und und mit viel Drumherum an. einen nicht zu unterschätzenden gleichzeitig die Betreuungs- Basisbildung, Soziales, Dinge, die Einschnitt im Leben der betrof- zahlen weniger hoch sind. Aber die Persönlichkeitsentwicklung fenen Person und schwächt Entwicklung braucht Zeit, so 14 DER DURCHBLICK 2/2017
wie eben auch das Lernen Zeit wird 1,5 Jahre dauern und modu- und Mag. Schretzmayer einen braucht. „Davon, zwei Wochen lar aufgebaut sein. Die Flexibilität besonderen Stellenwert haben, hier zu sein, wird man noch kei- der Ausbildung zeigt sich aber lässt sich keine eindeutige Ant- nen Job finden. Längere Zeiten auch darin, dass nicht alle Kurse wort finden. Mit „JUMP Jugend bedeuten in unserem Fall mehr am Stück absolviert werden müs- mit Potential“ ist eine der wich- Qualität und größere Wirkung.“ sen. Hin und wieder ergänzt ein tigsten Ausbildungsgrundlagen Mit 1,5 Jahren ist im Moment die Arbeitstraining oder das Berufs- gegeben. „Es ist auch deswegen Massageausbildung die längs- erproben die Ausbildung. so speziell für uns, weil man hier te Ausbildung im Angebot und den größten Entwicklungsschritt auch die neue Büroausbildung Auf die persönliche Frage nach beobachten kann“, so Vielna- mit dem optionalen Lehrab- den Projekten und Arbeitsberei- scher. „Wir dürfen die ganze Zeit schluss zu Bürokauffmann/-frau chen, die für Mag. Vielnascher >> Bildungs- und Berufschancen Bildung ist eine wichtige die Ausbildungsmöglichkeiten Behinderung kontinuierlich. Grundlage dafür, sich im gesell- immer noch beschränkt, selbst Frauen mit Behinderung sind schaftlichen und beruflichen wenn Potential seitens der grundsätzlich länger und häufi- Leben behaupten zu können Menschen mit Behinderung ger von Arbeitslosigkeit betrof- und auf einer weiteren Ebene vorhanden ist. Auch wenn in fen, als Männer und erhalten Zusammenhänge zu verstehen. den letzten Jahren dahingehend aufgrund eines im Schnitt nied- Wird einem Menschen Bildung gearbeitet wurde, bloße nieder- rigeren Erwerbseinkommens verwehrt, bedeutet das auch schwellige Qualifizierungen und auch weniger Arbeitslosengeld. gleichzeitig eine grobe Be- Basisbildung zugunsten einer schneidung späterer Möglich- weitreichenderen Berufsbil- Es ist ein wichtiges und grundle- keiten. Das gilt natürlich auch dung mit formalem Abschluss gendes Ziel des BSVÖ, nicht nur für Aus- und Weiterbildungen, aufzuwerten, ist die Lage noch (Aus-)Bildungsmöglichkeiten die den persönlichen Interessen lange nicht ideal. Fehlende und ein breites Angebot an Op- und Fähigkeiten einer Person Ressourcen und fehlende Aus- tionen für blinde Menschen und entsprechen. bildungsmöglichkeiten prägen Menschen mit Sehbehinderung Menschen mit Behinderungen noch immer das große Gan- zu erreichen, sondern auch eine kommt im Bereich der Bildung ze und auch ein Blick auf die Etablierung am Arbeitsmarkt leider noch immer ein Son- Aufstellung am Arbeitsmarkt ist durchzusetzen. Blinden und derstatus zu. Angefangen bei weiterhin kein positiver. sehbehinderten Personen muss der Diskussion um integrative Trotz sinkender Arbeitslosen- die gleichberechtigte Chance Lehrmodelle und Schulen für zahlen steigt die Quote bei gegeben sein, ihre Fähigkeiten Kinder und Jugendliche mit „Menschen mit gesundheitli- zu üben und auch anzuwenden, sogenanntem sonderpädago- chen Vermittlungseinschrän- um ein selbstbestimmtes Leben gischen Förderbedarf, bleiben kungen“ und Personen mit führen zu können. D E R D URCHB L ICK 2/ 2017 15
sehbehinderter Personen sieht BUS oder wie der Blinden- und sehbehinderte Menschen durch Barbara Vielnascher im Fehlen Sehbehindertenverband können Kooperationen zu öffnen. In von grundlegender Informati- Expertise und Erfahrung anbie- Zusammenarbeit mit der Berufli- on auf Seiten der potentiellen ten. Workshops, Jobcoachings, chen Assistenz des BSVWNB soll Arbeitsplatzanbieter. „Man darf Informationsveranstaltungen – behinderungsspezifische päda- den Unternehmen aber auch die Palette an Möglichkeiten ist gogische, organisatorische und nicht ankreiden, dass sie sich riesig. Unterstützung für Unter- technische Unterstützung beim mit dem Thema Blindheit und nehmen, um Kapazitäten für die Kursbesuch angeboten werden. Sehbehinderung nicht ausken- Beschäftigung mit Inklusionsthe- Hand in Hand damit geht auch nen und nicht wissen, welche men freizuschaufeln, muss von die Sensibilisierung der Trainer, Voraussetzungen im Betrieb anderer Stelle beigesteuert wer- die Aufbereitung von Unterlagen benötigt werden und welches den“, konkretisiert Vielnascher. durch die hauseigene Medien- Potential die Arbeitnehmer mit- produktion sowie in weiterer bringen könnten. Das Problem Querdenken in einer Folge das Bewusstseinschaffen ist, dass es Zeit und Ressourcen hochflexiblen Welt bei verschiedenen Schulungsein- braucht, sich damit auseinander Das Kursprogramm für 2018 richtungen und Kursinstituten zu setzen und es im eigenen steht schon. Modulare und für die bestehende Nachfrage. Unternehmen zu testen. Und ge- anschlussfähige Teilqualifizie- „Vielleicht gibt es dann auch Mut nau hier treffen wir heutzutage rung, die in einer Gesamtkurs- bei den Anbietern für andere auf schlechte Voraussetzungen.“ maßnahme gebündelt oder wie Berufsrichtungen, die wir nicht Damit die berufliche Integration ein Puzzle zusammengesetzt abdecken können“, so Vielna- auch in neuen Unternehmen werden können, sind hierbei ein scher und Schretzmayer schließt und Betrieben gelingt, müssen zukunftsträchtiges System, das an: „Viele Teilnehmerinnen und Kapazitäten in Anspruch genom- Niveauunterschiede ausgleichen Teilnehmer brauchen nur ein men werden, auch wenn der kann. So soll auch eine Speziali- Fünkchen, damit es klappt.“ Trend der Zeit in eine andere sierung unter dem Überbegriff Richtung geht. Sensibilisierungs- „Büroarbeit“ ganzjährig laufen Meistens geht mehr, arbeit ist also weiterhin auf brei- und Einstiege erleichtern. Der als man glaubt ter Basis notwendig. Denn wo es Fokus auf einen Austausch zwi- Das Angebot, das SEBUS offe- auf der einen Seite manchmal schen SEBUS unter dem Begriff riert, ist weitläufig. Dennoch sehr wohl als zeitgemäß wahr- der Bildungsassistenz und der endet es nicht strikt mit dem genommen wird, sich mit dem Beruflicher Assistenz des BSV Rahmen der Kurse, die im Pro- Label der Diversität zu schmü- Wien- Niederösterreich und gramm stehen. cken (leider häufig ohne der Burgenland (BSVWNB), sowie „Das Schlimmste ist, wenn notwendigen vorangegangenen auf Netzwerktreffen und regel- Leute umdrehen, bevor sie mit Auseinandersetzung mit dem mäßige Coachings ist ein ebenso uns gesprochen haben“, meint Thema), wird auf der anderen wichtiger, neuer Baustein der Barbara Vielnascher. „Das gilt für Seite immer noch Barrierefrei- SEBUS-Arbeit. Hinter der Idee Interessenten, für Unternehmen heit oft ausschließlich darüber der Bildungsassistenz steht der oder für Kooperationsprojekte. definiert, ob ein Mensch im Gedanke, Ausbildungsbereiche, Kommt zu uns, redet mit uns. Rollstuhl zufahren kann, oder die nicht vor Ort angeboten Dann lassen sich bestimmt Wege nicht. „Einrichtungen wie SE- werden können, für blinde und finden.“ D E R D URCHB L ICK 2/ 2017 17
Thema Vollwertige politische und kulturelle Teilhabe Dr. Hansjörg Hofer, Behindertenanwalt Chancen zur Veränderun Am 5. Mai 2017, dem wahr- stellvertretender Sektionsleiter und sind verschiedene Stellen scheinlich nicht ganz zufällig (Sektion für Pflegevorsorge, eher geneigt, ein offenes Ohr zu Behinderten-, Versorgungs- und präsentieren. Aber auch nach gewählten Europäischen Sozialhilfeangelegenheiten des den Wahlen, wenn das neue Protesttag zur Gleichstellung BMASK) und Leiter der Gruppe Regierungsprogramm verfasst von Menschen mit Behinde- für Integration von Menschen wird, soll das Thema „Leben mit rungen, wurde Dr. Hansjörg mit Behinderung gearbeitet hat Behinderung“ ein sensibilisiertes Hofer von Sozialminister und der bisher, heruntergebro- sein. „Das ist der Grund für mei- Alois Stöger zum neuen chen gesprochen, als Beamter ne Gesprächs- und Presserun- Behindertenanwalt bestellt. das Statut verteidigt hat, bedeu- den. Nach der Wahl geht es mit tet der Jobwechsel jetzt nicht nur der Volksanwaltschaft und dem mehr Freiheit im eigenen Vor- Monitoringausschuss weiter. gehen, sondern gleichzeitig ein Und dann, einige Monate nach Als unparteiischer Nachfolger neues Level an Verantwortung. der Wahl, werden wir sehen, Herbert Haupts und Erwin was tatsächlich ins Programm Buchingers, der im März 2017 „Eine Verantwortung, die darin genommen wird und wieder relativ überraschend schon liegt, Chancen zu nutzen und Monitoring betreiben“, fasst Ho- vor Ablauf seiner Amtsperiode nicht ungenutzt ver- zurücktrat, ist es nun an Dr. streichen zu lassen“, Voll Energie in die tägliche Hofer, eine eloquente und starke betont Dr. Hofer, der Konfrontation mit Baustellen der Stimme für rund 1,3 Millionen seit Mai umtriebig und Menschen mit Behinderung in mit großem Einsatz sei- Gleichstellung und Barrierefreiheit Österreich zu stellen. Die Auf- nen Job angegangen ist. gaben des Behindertenanwalts, fer zusammen. Die ewige Frage wie die volksmündliche Bezeich- Medien und Öffentlichkeit mit danach, was wirklich umgesetzt nung ist – korrekt wäre wohl einzuschalten, sieht Hofer als wird und was als Punkt zwar „Anwalt für Gleichbehandlungs- eine der größten jener Chancen. auf geduldiges Papier gedruckt, fragen für Menschen mit Be- Sind die Gespräche mit Minis- später aber nicht verfolgt wird, hinderung“ – sind vielseitig und tern und Entscheidungsträgern macht einen der vielen Aufga- komplex. Beraten, Beobachten, wichtig, ist er sich der Öffent- benbereiche des Behinderten- Unterstützen, (Prä-)Monitorisie- lichkeit als durchaus wirksames anwalts aus. ren, Vorschläge bringen und den Druckmittel bewusst. Jetzt, im Finger auf bestehende Probleme Umkreis der Wahlen, ist das Und woher rührt die Energie, legen. Für Dr. Hofer, der über 30 Aufmerksamkeitsfeld ansich sich trotz der doch frustrieren- Jahre im Sozialministerium als größer als zu anderen Zeiten den Situation, sich täglich mit 18 DER DURCHBLICK 2/2017
ng nutzen Baustellen der Gleichstellung und Barrierefreiheit konfrontiert zu sehen, mit Eifer an die Sache Der neue Behindertenanwalt Dr. Hansjörg Hofer in seinem Büro zu machen? „Zum einen ist es die persönli- wahrscheinlich auch nicht mehr Ein genaues Äquivalent zum che Betroffenheit“, sagt Hofer, passieren.“ österreichischen Behinder- der selbst nicht nur einmal Ziel Die persönliche Betroffenheit tenanwalt gibt es in anderen von Diskriminierung und Unter- führt aber auch in anderen Ländern nicht, sehr wohl aber schätzung wurde. Er, der nach Bereichen zu besonders ge- europäische Ombudsstellen. dem Gymnasialbesuch und der schärfter Wahrnehmung. „Bar- Mit diesen plant Dr. Hofer im universitären Promotion zum rierefreiheit ist etwas, das mir kommenden Jahr, wenn Öster- Doktor der Rechtswissenschaf- inzwischen noch mehr auffällt reich die EU-Präsidentschaft ten wurde, bekam damals, in als früher. Die Tatsache, be- innehat, eine Tagung. Aus dem einem noch rauen Klima der hindert zu sein und älter zu Erfahrungsaustausch unter dem Achtzigerjahre, die Chance ver- werden, hat Folgewirkungen. Großthema Bildung darf man weigert, in einer Rechtskanzlei Natürlich wird jeder Mensch im sich einiges erhoffen. Gleichzei- als Konzipient zu arbeiten. „Die Alter zunehmend immobiler. tig ist es wieder das schon zuvor Begründung war nicht fachlich, Eine Behinderung verstärkt die- angesprochene Wahrnehmen sondern bestand einerseits in se Immobilität aber maßgeblich.“ einer Chance: wenn Österreich der Angst des Chefs, nicht zu Der wichtigste Antrieb hinter Dr. schon diese besondere Rolle wissen, was er mit meiner An- Hofers Motivation ist es aber, zukommt, gibt es auch entspre- stellung auf sich nehmen würde für 1,3 Millionen Menschen zu chende Fazilitäten, 28 Delegati- und andererseits in Beden- sprechen, die sich selbst als onen – sollten alle kommen – zu ken vor dem Kundenkontakt“, behindert bezeichnen und somit empfangen und eine fruchtbare konstatiert Hofer erstaunlich Betroffene sind. Seien es die Veranstaltung auszurichten. abgeklärt, dann setzt er nach: großen Themen der Bildung, der Einen Einblick in die anderen „Damals nahm ich das zur Barrierefreiheit, der Finanzie- Pläne für die kommende Zeit, Kenntnis. Musste ich ja wohl. rung oder seien es individuelle gewährt Dr. Hofer ebenfalls. Aber heute würde ich das zum Fälle, in denen Gleichstellung Waren die letzten drei, vier Jahre Anlass für ein Schlichtungsver- nicht praktiziert wird oder an- nicht von großen Fortschritten fahren nehmen, um aufzuzeigen, ders geartete Diskriminierungen geprägt – steigende Arbeitslosig- dass solche Begründungsan- von Menschen mit Behinderung keit und die überall spürbaren sätze nicht diskutabel sind. vorliegen, das Einsatzfeld ist ein Jedoch würde das in der Form weites. >> D E R D URCHB L ICK 2/ 2017 19
Thema Vollwertige politische und kulturelle Teilhabe Brigitte Hauptner und Susanne Wögerbauer, , Belvedere Museum Wien Ein Kuss für alle Mag. Brigitte Hauptner und Publikum, die Selfiehand ausge- als Barrierefreiheit im öffentli- Mag. Susanne Wögerbauer streckt und bereit, das perfekte chen Raum noch in den Kinder- Bild zu machen, sich im Gespräch über Innova- quasi selbst mit da- tionen in der barrierefreien zuzuschummeln zu Kunstvermittlung, erlaubtes ihm und ihr und dem Anfassen und das langsame Goldregen ringsum. Abtragen von Hindernissen. Links neben dem hoheitlichen Superstar unter den Belvedere- „Wer nach Wien kommt, kommt Exponaten stehen zwei an Klimt nicht vorbei“, heißt Frauen, die den „Kuss“ es in einem Reiseführer. Und besser kennen, als die tatsächlich, schon am Vormit- meisten Kunsthungri- tag wandern Kunstinteressier- gen. Brigitte Hauptner te durch die Prunkräume des und Susanne Wöger- Oberen Belvedere, vorbei an bauer sind Ruhepole Kokoschka und Schiele – deren im aufgeregten Wech- sperrige Schönheit wird später sel der Gruppen. Die untersucht, sollte die Zeit noch Hände haben sie auf reichen – aber das erkorene einem Relief, das sich Gustav Klimts „Kuss“ zum Anfassen Ziel heißt: Klimt!, das Gemälde: perfekt in sein Umfeld (Fotos: Andreas Reichinger, VRVis) der „Kuss“! Was sich in einer fügt. Weiß und tast- breiten Palette an Merchandi- bar ist er hier abgebildet, der schuhen steckte, begonnen, sich singprodukten findet, sei es in „Kuss“. Taktil gemacht in dem mit der Thematik auseinander Form von Schlüsselanhängern, Projekt AMBAVis (mitgetragen zu setzen und nach Lösungen zu Tassen oder Seidenschals, hängt vom BSVÖ unter der Leitung von suchen. Vor gut fünfzehn Jahren dort an der Wand, goldstrah- Mag. Stefanie Steinbauer, Refe- ging der Ausruf aus Frankreich lend und endlich zum Greifen rentin für internationale Zusam- an europäische Museen, einen nahe (im doppelten Wortsinne.) menarbeit), das 2016 für Furore Tag im Jahr unter ein besonde- Er, die Efeukrone im schwarzen in der Kunstwelt sorgte. res Motto zu stellen. Damals gab Lockenhaar, sie, kniend vor ihm, es Kunstvermittlung in erster das Gesicht von einem Lächeln Die Frauen sind Idealistinnen errötet. Davor: das staunende und Vordenkerinnen. Sie haben, >> D E R D URCHB L ICK 2/ 2017 21
rierefreiheit in österreichischen Sei es im baulichen Bereich weil der Neigungswinkel der Museen die Exotik genommen oder im Bereich der Kunstver- barocken Rampen einfach zu wurde und jene zu einem – zu- mittlung selbst, Barrierefreiheit steil ist. Man muss im Denken mindest gedanklich angelegten – wirkt grenz- internen Fixprogramm wurden. übergreifend. So berühren Das Bewusstsein, dass Barrie- auch sehende refreiheit zum Bildungsauftrag Besucher das und auch zum gesellschaftlichen haptisch-taktile Auftrag dazu gehört, ist in den Kussrelief regel- letzten Jahren geschärft worden. mäßig, und so Die mühsame Bodenarbeit hat kann die detail- sich ausgezahlt, dennoch dauert reiche Beschrei- es, bis sie auch tatsächlich zu- bung eines friedenstellend umgesetzt wird. Bildes den Blick Eine spanische Touristen beim Ertasten Gerade im Bereich der zeitge- im mehrfachen des Reliefs von Gustav Klimts Kuss nössischen Kunst ist eine beson- Sinne öffnen. dere Offenheit zu spüren. So ließ Gleichzeitig wird das Bewusst- des Gesamtpakets bleiben. Na- Ai Weiwei in einer Ausstellung sein sensibilisiert. Museen dür- türlich sind Hunde im Museum des 21er Haus ganz selbstver- fen in der breiten Wahrnehmung verboten – und natürlich darf ständlich zu, dass alle Exponate nicht einem bestimmten, präde- ein Blindenführhund hinein, ein auch ertastet werden durften. stinierten Publikum vorbehalten SMS-Service für gehörlose Men- sein. Das Recht auf schen, das Abholen von blinden Teilhabe obliegt allen. und sehbehinderten Menschen Barrierefreiheit, das muss man im von der nächsten Straßenbahn- Hinterkopf behalten, kommt allen Für das kommende haltestelle. Das alles sind viele, Besuchern zu gute. Jahr stehen neue kleine Details, die das Praktische Projekte schon in den erst ermöglichen, und die an Natürlich muss der Schutz der Startlöchern. Zu Schiele sind sich keinen großen Kostenauf- Objekte an erster Stelle stehen, weitere Tastreliefs geplant, die in wand bedeuten. Nur bewusst dennoch ist auch von kuratori- die ständige Sammlung einfließen muss man sich ihrer werden. scher Seite aus die Bereitschaft, sollen. Auch ein Accessibility- Und das passiert erst, wenn Exponate speziell mit Hinblick Guide, der die Zugänglichkeit man mit der Zielgruppe in einen auf Tastbarkeit zugänglich zu und die Angebote des Hauses Dialog tritt. machen, gewachsen. auf einen Blick zusammenfasst, liegt in den Skizzen. In dem soll Das Schlusswort, das Hauptner Das No-Go, Kunst anzufassen, dann auch auf ganz einfache, und Wögerbauer in das Gespräch bröckelt, die schweigsame Erha- praktische Umstände verwiesen einbringen, ist genauso grund- benheit der Ausstellungsräume werden – unter anderem darauf, legend wie rahmenschließend: wird, langsam aber doch, zu- dass ein Rollstuhlbenutzer nicht „Niemals ohne die Betroffenen. gunsten vielseitiger Kommunika- durch den Garten vom Oberen Nichts über uns, ohne uns.“ Nur tion aufgebrochen. ins Untere Belvedere gelangt, so kann es funktionieren. D E R D URCHB L ICK 2/ 2017 23
Thema Vollwertige politische und kulturelle Teilhabe Herbert Pichler, Präsident des Behindertenrats Mehr „Wir”! Wer Herbert Pichler persön- grund: „Ich bringe gerne Men- Auf zur Gesundheitserhaltung lich kennen gelernt hat, wird schen zusammen – auch welche und Wiedergesundung.“ in den unterschiedlichsten Posi- Dieses Miteinander wünscht er sich schnell von zwei Dingen tionen“, so der Netzwerker, der sich auf allen Ebenen – auch was überzeugt haben: erstens diesem Thema schon viel Zeit die Kooperation verschiedener kennt der gebürtige Nieder- und Energie gewidmet hat. Seit Interessenvertreter angeht. „Es bayer Gott und die Welt und seiner Ausbildung im Bereich ist eine wichtige Thematik, dass zweitens haben seine Tage des Sozial- und Kapitalmanage- sich Minderheitengruppen nicht scheinbar mehr als 24 Stun- ments 2009 forscht er auf dem bekämpfen sollen. Es gefällt den. Denn die vielen Funkti- Gebiet. Im „Chancen Nutzen mir, wenn verschiedene Inter- onen, die Pichler erfüllt und Büro“ des Österreichischen Ge- essenvertretergruppen neben- werkschaftsbunds, das Pichler einander sitzen – etwa in der Unternehmungen, die er gemeinsam mit Mag. Czeskleba gemeinderätlichen Interessen- verfolgt, passen nur schwer- aufbaute, wurde Ende 2014 ein vertretung für Wien oder auch lich in eine herkömmliche weltweit einzigartiges Netzwerk- im Präsidium des Behinderten- Woche. analyseinstrument entwickelt. Es rats und wenn hier ein Aus- zeigt nicht nur die zur Verfügung tausch stattfindet, anstatt sich stehenden Netzwerke, sondern auch deren Keine Behinderungsform darf Warum Herbert Pichler dennoch Reichweite und wie zu kurz kommen. Jede Gruppe den Spagat zwischen den teil- sie genützt werden. weise sogar beinahe unverein- In Coachings kann es ist gleich wichtig. baren Funktionen schafft, hat auf Einzelpersonen mehrere Gründe. Einer ist, dass aber auch Betriebe angewendet als Konkurrenz wahrzunehmen.“ die verschiedenen Funktionen und somit gemeinsam erar- Die Interessen sind immerhin Einblicke in Strukturen bringen, beitet werden, wie die eigenen die gleichen: größere Chancen- die von außen nicht zu erkennen Netzwerke erweitert und besser gleichheit, verbesserter Zugang sind und somit ein größeres genützt werden können. Pro zu Bildung, umfassende Barrie- Verständnis – und nicht zuletzt Jahr werden zwischen 800 und refreiheit, spezifische Förderun- einen größeren Einflussbereich 1000 solcher Analysecoachings gen, vollwertige Anerkennung in für denjenigen öffnen, der sie durchgeführt. Pichler erkennt der öffentlichen Wahrnehmung besetzt. Hier, wie auch in allen die Stärke im Miteinander und – die Punkte wiederholen sich anderen Wirkungsbereichen, die der Verbindung zu anderen: „Die wohl auf allen Listen. „Anstatt Herbert Pichler innehat, steht persönlichen Netzwerke – nicht sich um einen kleinen Kuchen zu das Miteinander im Vorder- die digitalen – sind das Um und streiten, wäre es doch viel sinn- 24 DER DURCHBLICK 2/2017
voller, sich dafür einzusetzen, dass der gemeinsame Kuchen größer wird“, resümiert Pichler. Herbert Pichler, begeisterter Fußballspieler, vor einem großen Rasenfeld in der Donaustadt Seit Mai 2017 ist eine neue Position hinzugekommen: als einstimmig gewählter Präsident gemeinsamen Pressekonferenz dann werden sie es nicht schaf- des Behindertenrats – vormals im September auch mit dem fen, ein Unternehmen langfristig Österreichische Arbeitsge- Behindertenanwalt Dr. Hofer zu führen und zu erhalten. Das meinschaft für Rehabilitation Schulterschluss. „Auch von der lässt sich einfach auf den Inklusi- – leitet Herbert Pichler nicht Persönlichkeit her ergänzen wir onsfonds umlegen.“ nur einen Generationswechsel uns“, meint Herbert Pichler, er- ein; mit dem Namenswechsel freut über die Zusammenarbeit. Als Präsident des Behinder- soll der Behindertenrat auch Die Ziele sind groß und grundle- tenrats betont Herbert Pichler zu einem wichtigen Sozialpart- gend – eine besondere Stellung einmal mehr, wie wichtig es ist, ner und einer umfangreichen unter ihnen nimmt der Inklu- alle Stimmen zu hören. „Keine Interessenvertretung werden. sionsfonds ein. Hierbei soll es Behinderungsform darf zu kurz Die großen Ziele des neuen sich um einen eigenen, abgesi- kommen. Jede Gruppe ist gleich Präsidenten? „Allumfassende cherten Geldfonds handeln, der wichtig.“ Pichler ist deshalb gern Barrierefreiheit“, „Schulreform als Basis dient, um weitere Ziele gesehener Gast auf Veranstal- sowie Schulinklusion“ und eine anzugehen. Dass der Inklusions- tungen verschiedener Organisa- Arbeitsmarktpolitik, die Men- fonds kostet, ist Pichler bewusst, tionen und Interessenvertreter. schen mit Behinderungen zur aber im Endeffekt würden „Da kann man so viel lernen, Zielgruppe Nummer eins am genau diese Kosten auch wieder auch was die Bedürfnisse der Arbeitsmarktservice macht. Für Gewinn bringen: „Wenn Unter- einzelnen Gruppen betrifft. Ganz das Erreichen der Anliegen sucht nehmerinnen und Unternehmer häufig treffe ich auf die selben Pichler die Zusammenarbeit mit bei der Betriebsgründung zu Anliegen und Forderungen. Und anderen Institutionen. So zeigte sparen beginnen und nicht gut natürlich gibt es trotzdem im- der Behindertenrat in einer und mit Weitsicht investieren, mer wieder Neues zu erfahren.“ Hatten Sie schon einmal ein Blind Date? 318.000 Menschen in Österreich kennen die Spielregeln! >> D E R D URCHB L ICK 2/ 2017 25
Thema Vollwertige politische und kulturelle Teilhabe Portrait Phil Hubbe und die Macht des Lächelns Darf man das überhaupt? Phil Hubbes Cartoons sind Koffer in der Hand, freut sich: laubt, was gesellschaftlich noch klare, farbenfrohe Aquarelle, „Klasse dieses Blindenleitsys- nicht salonreif geworden ist: tem. Ich kann den Zug schon Ironie in einem Thema zu finden, in denen ein fast unschuldig hören.“ Doch sind sie anstelle das sonst meist entweder mit naiver Zeichenstil die tiefe des Bahnsteigs auf den Schie- Mitleid bedacht oder geflissent- Beobachtungsgabe des nen unterwegs – der Zug samt lich übergangen wird. Dass Phil Künstlers trifft. verdutztem Lokführer wenige Hubbe, der als 22-Jähriger mit Schritte vor ihnen, ist bereit zur Multiple Sklerose diagnostiziert Abfahrt. wird, hier den richtigen Ton an- stimmt, macht den Charme der Drei Beispiele: ein Mann und Bei der Ankunft im Ferienho- Cartoons aus; gelacht wird nicht eine Frau laufen mit ausge- tel ist das Urlauberpaar über- über die Betroffenen, sondern streckten Armen aufeinander rascht: Am Strand tummeln über ihre Selbstironie. Gleichzei- zu, den freudigen Zusammen- sich Menschen mit fehlenden tig trifft es aber auch blatante schluss erwartend – jedoch Gliedmaßen, in Rollstühlen, mit Diskriminierung oder die Ent- Sehbehinde- tarnung falscher Zurückhaltung. rung. Die neu Hubbe zensiert seine Werke Angekomme- nicht durch den Gedanken, ne stemmt etwas nicht zeigen zu dürfen die Hände in und bleibt dennoch weit außer die Hüften Reichweite der Beleidigung. und motzt: In einem der vielen Gespräche, „Na klasse! Du die Hubbe in den letzten Jahren solltest ‚All In- mit interessierten Medienver- clusive‘ buchen tretern geführt hat, nennt der Der Cartoonist und Zeichner und nicht ‚alle Künstler den Amerikaner John Phil Hubbes in seinem Atelier inklusive!‘…“ Callahan als Vorreiter in Sachen Cartoons, die sich mit dem verpassen sie sich. Beide tragen Dass Phil Hubbe mit seinen Car- Thema Behinderungen ausein- die gelbe Dreipunktschleife und toons polarisiert, ist ein gutes andersetzen. Callahans Stil war, schwarze Sonnengläser, unterge- Zeichen. Die Motive – illustrierte bedingt durch seine Lähmung, titelt ist mit „Blind Date“. Pointen unausgesprochener ein ganz anderer, dennoch erziel- Zwei blinde Bahnhofsbesucher Witze – kreisen gerne um Be- ten die harten, minimalistischen am Weg zum Reiseantritt. Der hinderung, um Inklusion und Striche ihre Wirkung. Hubbes eine, mit weißem Stock und Gleichstellung. In ihnen ist er- Cartoons sind, im Vergleich zu 26 DER DURCHBLICK 2/2017
? Callahans schwarz-weiß Zeich- nungen, saubere, bunte und man möchte fast sagen „fami- lienfreundliche“ Varianten der Thematik. Bei Bleistift, Zeichen- feder und Pinsel hat sich Hub- be von Anfang an wohlgefühlt und auch heute, in der Zeit von Zeichenprogrammen und digita- lisierter Schaffensprozesse, ar- beitet er noch immer gerne auf Papier: „An die Arbeit mit einem Grafikprogramm und Tabletts habe ich mich noch nicht so rich- tig herangewagt. Ich werde es Inklusions-Thematik in Berüh- notwendig. Material gäbe es wohl aber irgendwann müssen. rung kommen und leistet hier aber zur Genüge: „Meine eigene In einigen Punkten vereinfacht herausragende, weitgreifende Lebensgeschichte würde schon es die Arbeit, was natürlich von Arbeit. Aber auch nach sechs keine schlechte Story abgeben – Vorteil ist, wenn man unter Ter- Bänden der erfolgreichen Reihe meine Krankheit und die dama- mindruck steht und eine Dead- „Behinderte Cartoons“ (zuletzt: lige Wende in Deutschland…so line einhalten muss. Ich werde „Mein letztes Selfie – Behinder- schnell werde ich als Comic-Fan aber auch bei meinen nächsten te Cartoons 6“, Lappan Verlag die Idee wohl nicht aufgeben“ Arbeiten noch beim ‚klassischen Oldenburg) ist noch genügend Schwarzhumorig könnte man Handwerk‘ bleiben. Zumal es mit Ideenmaterial vorhanden – auch also die Cartoons des beinahe einer Umstellung auch nicht so für den Kalender „Handicaps“, schon rebellischen Illustrators schnell funktioniert. Außerdem den Hubbe seit acht Jahren nennen, oder in einigen Beispie- ist es ja nebenbei auch ein ge- illustriert. Das Ergebnis einer len auch einfach schmerzhaft wisses Alleinstellungsmerkmal…“ anderen Kalender-Kooperation ehrlich. So oder so sind sie ein Dass dem Themenkreis Behinde- zwischen dem Künstler, der wichtiger Beitrag zur Sensibili- rung medial nur relativ begrenzt Deutschen Bahn und der ÖBB zu sierung, da sie Aufmerksamkeit Aufmerksamkeit zukommt und dem Thema „Bahn und Behinde- schaffen, wo sich andere an die immer noch Berührungsängste rung“ wurde im November 2017 Thematik aus Angst vor Kritik bestehen, die oft genug in einem in Wien präsentiert. nicht heranwagen. Ausblenden enden, ist Hubbe sehr wohl bewusst. Das Weg- Darüber, ein Comic oder eine Und wenn der Musenkuss schauen aber kann durch den Graphic Novel zu machen, hat ausbleibt? „Ich bin relativ diszi- Witz gebrochen werden. Hier Phil Hubbe schon öfters nach- pliniert, was vielleicht auch ein lacht man auch, weil man sich gedacht. „Das wird vielleicht bisschen meiner Krankheit ge- denkt: darf man das eigentlich? aber auch nur ein Traum blei- schuldet ist“, so Hubbe, der sei- Phil Hubbe tritt als Advokat auf, ben“, meint der Zeichner dazu, nen Optimismus nicht verbirgt. der Menschen erreicht, die sonst denn unter anderem wäre eine „Bis jetzt hat es immer noch vielleicht erst gar nicht mit der Auszeit von anderen Projekten irgendwie bei mir geklappt.“ D E R D URCHB L ICK 2/ 2017 27
Thema Umfassender Zugang zu Informationsmedien Gertrud Guano & Alexander Guano, Hörbücherei des BSVÖ „Ich erzähle dir etwas …“ Die Hörbücherei wächst in Hörbücherei aufgenommen. Umstellung auf digitales Material mehrere Richtungen und Das kommt auf unglaubliche so rasch wie möglich durchzu- 32 Tage, die man rund um die bringen“, blickt Guano zurück. ist schon lange die bedeu- Uhr damit verbringen könnte, Jetzt steht die Hörbücherei bei tendste Institut ihrer Art in sich vorlesen zu lassen. In den ungefähr 1500 registrierten Österreich. Alexander und Archiven der Hörbücherei wür- Hörerinnen und Hörern. Mitver- Getrud Guano erzählen, den dann aber immer noch um sorgt werden aber auch unter warum die Kooperation mit die 12.000 ungekürzten Bücher anderem drei große Altersheime anderen Organisationen darauf warten, gehört zu wer- und das Sozialpädagogische Zen- und Partnern wichtig ist und den. Rechnet man die Möglich- trum in Innsbruck, das Bundes- welche Bedeutung die Stim- keit hinzu, Mittels MediBuS, der Blindenerziehungsinstitut (BBI) „Mediengemeinschaft für blinde und mehrere geschützte Werk- me für den Text hat. und sehbehinderte Menschen stätten. „Das summiert sich auf e.V.“ auf den Bestandskatalog an die 50.000 Entlehnungen im zuzugreifen, der über Fernleihe Jahr und davon kann man wie- Sprache ist ein mächtiges Werk- beziehbar ist, ergibt sich die der eine Buch-pro-Kopf Ratio ab- zeug. In einer ihrer schönsten Summe von rund 60.000 Werken leiten. Allein unser Bestand geht Formen, der Narration, eröffnet denen gelauscht werden kann. fast fünfmal im Jahr komplett und füllt sie Räume mit Bildern Daran, dass es nicht immer so raus“, fasst Mag. Getrud Gua- aus fremden Köpfen und lässt war, erinnert sich Mag. Alexan- no zusammen, die neben der die Konsumierenden somit in der Guano, Leiter der Hörbüche- Mitorganisation der beliebten anderen Gedankenwelten wan- rei, noch gut. Offene Baustellen Lesungsreihe auch im Bereich dern. Das Konsumieren selbst waren damals zum Beispiel die Aufnahme- und Digitaltechnik kann natürlich unterschiedliche kommende Digitalisierung, die für die Hörbücherei im Einsatz Formen annehmen – damit aber technische Infrastruktur und ist. „Öffentliche Büchereien auch jene Menschen, die nicht Ausstattung, die Finanzierung. würden sich freuen, wenn sie die auf traditionell gedruckte Lese- Auch die Hörerzahlen waren im Umlaufzahlen der Hörbücherei ware zurückgreifen können, zu Sinken begriffen und was wohl hätten.“ ihrem literarischen Genuss kom- einer der größten Rückstän- men, sind Institutionen wie die de war, war ein Bestand, den Zwei Punkte offenbaren sich in Hörbücherei des BSVÖ wichtige zu gut zwei Drittel Kassetten diesen Zahlen: erstens, dass die Leuchttürme im Kulturbetrieb. ausmachten. „Da haben sich die Höherinnen und Hörer der Bü- 773 Stunden Literatur wurden Ressourcen sozusagen auf einen cherei tatsächlich eifriges Inter- alleine 2016 von den Spre- sterbenden Ast konzentriert. Wir esse daran zeigen, auszuleihen cherinnen und Sprechern der haben uns damals bemüht, die und zweitens, dass der Bestand 28 DER DURCHBLICK 2/2017
gerne aufgestockt werden kann. „Finde einmal Sprecher, die Alt- hindertes Publikum zugänglich Darüber, welche Bücher neu auf- griechisch und Latein können“, gemacht. All jene, die nicht live genommen werden, bestimmen so Alexander Guano. Aber sogar dabei sein können, können die mehrere Seiten. So kommen von Weltsprachen können zu lautli- Lesung samt Fragen und Diskus- Hörern selbst Anstöße auf neues chen Stolpersteinen werden. „Es sion zu einem späteren Zeit- Material, ebenso wie von Mitar- gibt nicht viele österreichische punkt auf CD nachhören. beitern, Sprechern, Verlagska- oder deutsche Sprecherinnen Eines der großen Projekte der talogen und Bestellerlisten. Der und Sprecher, die entweder Hörbücherei für 2017 ist „Buch- Schwerpunkt liegt aber immer akzentfreies britisches oder knacker“ – eine Online-Bibliothek auf österreichischer Literatur. amerikanisches Englisch zusam- die sich speziell an Kinder und Mit MediBuS wird koordiniert, menbringen. Oft kippt es im Jugendliche mit Dyslexie oder dass es zu einem Austausch, Satz und dann kommt ein lus- Legasthenie richtet und die in nicht aber zu doppelten Aufnah- tiges Gemisch heraus“, erzählt der Schweizer Bibliothek für men kommt – so etwas wäre Gertrud Guano, die als studierte Blinde, Seh- und Lesebehinderte ein nicht zuletzt kostspieliger Anglistin die Unterschiede sofort (SBS) ihren Ursprung hat. „Auf- Fehler. Neben dem Auflesen des heraushört. Den Einfluss, den grund des Marrakesch-Vertrags Textes in voller Länge muss die die Stimme der Sprecherinnen können nun auch andere Perso- Aufnahme nacheditiert werden oder Sprecher selbst auf den nengruppen mitbetreut werden. – ein Prozess, der exponentiell Text hat, darf nicht unterschätzt Darunter fallen unter anderem zur Länge des Werks steigt. Wo werden. Nicht jede Sprechfarbe Legastheniker oder andere lese- kommerzielle Bücher im Schnitt passt zu jedem Genre – gleich- behinderte Personen. Die Koope- um ein Drittel gekürzt sind, wer- zeitig kann die richtige Stimme ration mit der Schweiz macht den in der Hörbücherei neben dem literarischen Material einen es möglich, das Portal auch in bibliographischen Angaben und ganz neuen Schwung geben Österreich zu verwenden.“ Klappentexte auch Glossare und „Unter anderen Friedrich Wag- Mit dem neuen Portal werden Fußnoten mit aufgesprochen. ner, der schon seit den Siebzi- Bücher in leicht verständlicher Im gesamdeutschsprachigen gern Sprecher bei uns ist, liebe Sprache, Hörbücher und E-Books Raum werden an die 2000 ich sehr“, kommt Getrud Guano im Umfang von circa 30.000 DAISY-Hörbücher jährlich pro- ins Schwärmen. „Er hat eine Medien angeboten. Der gesamte duziert. Die Hörbücherei kommt sonore, reifere Stimme – aber Bestand, der von Schulen ge- auf um die 100 Werke, bezeich- nicht greisenhaft. Seine Stimme nutzt wird und der auf Antolin, nender ist aber eher die tatsäch- hat sich auch im Laufe der Jahre einem web-basierten Programm liche Spieldauer, als die reine kaum verändert. Aber es gibt so zur Leseförderung, zu finden Stückzahl. „Es gibt auch Bücher, viele Stimmen, die ganz wunder- ist, ist unter Buchknacker als die sich nicht umsetzen lassen“, bar sind und die Texte ganz neu barrierefreies Material vorhan- sagte Gertrud Guano. Zu großer beleben.“ Um die 20 Sprecher den. Bücher, die in der Schule Bezug auf Tabellen und Grafiken sind für die große Bandbreite über Antolin bearbeitet werden, ist ein Hindernis und leider fal- der Hörbücherei im Einsatz. können von Schülerinnen und len auch Bilderbücher durch den Fünfmal im Jahr werden Auto- Schülern somit auch als barriere- Rost der Machbarkeit. rinnen oder Autoren zu Lesun- freies Medium genutzt werden. Auch bei historischen Werken gen eingeladen und auch über sind logistische Grenzen gesetzt. Induktionsschleife für ein hörbe- >> D E R D URCHB L ICK 2/ 2017 29
Filmtipp Das blinde Wunderkind Barbara Alberts gefühlvolles Films ausmacht, bringt der von on, die sich von verschiedenen Historiendrama über die einem Tag auf den anderen er- Seiten her dem Thema nähert. blindeten 18-Jährigen die Aner- „Ist es schön, das Sehen?“, fragt verlorene und wiederge- kennung eines Publikums, das Resi die junge Magd Agnes fundene Virtuosität einer auf Attraktionen wartet. Mit den in Mesmers Herrschaftssitz. jungen, blinden Frau im Ös- tatsächlichen Erfolgen der „ma- „Kommt drauf an“, lautet die terreich des ausgehenden gnetischen Kuren“, die Friedrich Antwort und nimmt somit der 18. Jahrhunderts überzeugt Anton Mesmer anwendet und Frage die Wucht. auf vielen Ebenen. dem in kleinen Stücken zurück- kehrenden Sehsinn Resis verliert sich aber die natürliche Gabe der Musik. Die junge Frau findet Der Film der österreichischen sich zwischen den Ansprüchen Regisseurin debütierte beim einer drängenden, um Erfolg Toronto Filmfest und in San bemühten Familie und dem eige- Sebastian, Österreichpremiere nen Streben nach persönlichem feierte er im Zuge der Viennale, Glück. wo er das Publikum und Kritiker überzeugte. Barbara Albert („Die Lebenden“, „Böse Zellen“, „Fallen“) ist mit „Schön ist sie nicht. Aber spielen „Licht“ ein großer Wurf gelun- tut’s gut!“, lautet das Urteil einer gen. Basierend auf Alissa Wals- der weißgepuderten Damen im ers Roman „Am Anfang war die Seitenprofil der Hauptdar- barocken Salon über die jun- Nacht Musik“ (2010) erzählt sie tellerin in grauer Perücke und Perlohrringen, darunter ge Mademoiselle Paradis am in Farben und Geräuschen. Das in klarer, roter Schrift der Klavier. Maria Theresia – „Resi“ langsame Tempo des Films wird Filmtitel „Licht“ – entstellt durch die experi- nur an wenigen Stellen gebro- mentellen Heilungsversuche, chen und lässt, nicht zuletzt die ihre Eltern finanzierten, um durch den Einsatz einer Spra- Mit der Greta-App von Greta das Mädchen wieder sehend zu che, die gekonnt Wienerisch mit und Starks ist für Audiodeskrip- machen, wird als Pianistin und den modischen französischen tion gesorgt. Komponistin und nicht zuletzt Einwürfen des späten 18. Jahr- als Kuriosum gefeiert. Ihr Spiel hunderts mischt, ein Eintauchen Der Roman „Am Anfang war die am Hammerklavier, das den zu. Die Blindheit Resis bleibt das Nacht Musik“ ist im Katalog der großartigen Soundtrack des zentrale Element einer Narrati- Hörbücherei vorhanden! D E R D URCHB L ICK 2/ 2017 31
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