Recht auf mehr Museum?! - Reformierte Stadtkirche
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Recht auf mehr Museum?! Letzte Woche hat ein Forschungsteam der Universität Wien seine vorläufigen Ergebnisse einer gerade beendeten 5-wöchigen Feldforschung durch die Projekt- leiterin Luise Reitstätter im Volkskundemuseum vorgestellt. Gut 1.000 Perso- nen haben die Einladung in 5 beteiligte Museen angenommen und Rückmeldun- gen zu ihren Besuchen und ihrer Person gegeben. Wer will Kultur und wie und welche? Dass der Anteil der Museumsinteressenten unter den Akademikern deut- lich höher war als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung, überrascht mich nicht. Immerhin waren bereits in der Antike Museen als Bildungsstätten errichtet wor- den. Die andere Feststellung, dass mehr als doppelt so viel Frauen wie Männer sich für einen Museumsbesuch begeistern können (ca. 70% zu 30%), trifft mich schon, da es mich als eifrigen Museumsbesucher unerwartet unter die Minderheit stellt. Inzwischen habe ich mir jedoch von Galerien die Beobachtung bestätigen lassen, dass deutlich mehr Frauen kommen. In den Interviews wurde u.a. um positive und negative Eindrücke gebeten. Über zwei kritische Anmerkungen bin ich gestolpert, weil ich sie eigentlich unter Unaufmerksamkeit verbuchen müsste. „Auch wenn Klimt und Schiele wichtige Maler und wahrscheinlich die Verkaufsschlager sind, gibt es viele interessante Künstler:innen, die auch einen Platz verdient haben.“ „Wo bitte sind die Künst- lerinnen??? Man kann sie an einer Hand abzählen. Das muss sich ändern!“ Das trifft auf das Belvedere, dem es zugeschrieben wurde, gerade nicht zu. Die vor einigen Jahren weltweit ausgetragene Debatte unter den Museen um den mit- unter recht geringen Anteil von Künstlerinnen bei den präsentierten Werken, hat längst Konsequenzen gezeigt. Die Dauerausstellung im Oberen Belvedere ist ge- zielt um das Schaffen der Künstlerinnen erweitert und ergänzt worden. Außer- dem hat die Sonderausstellung Stadt der Frauen. Künstlerinnen in Wien von 1900 bis 1938 im Unteren Belvedere im ersten Halbjahr 2019 nicht nur ein gro- ßes und reiches Schaffensspektrum gezeigt, sondern auch deutlich machen kön- nen, warum und wie lange Frauen von den Kunstakademien ausgeschlossen wa- ren und wie sie sich gemeinsam gegen die Benachteiligung im Ausstellungsbe- trieb gewehrt haben.
Die „Beschränkung“ auf Klimt und Schiele ist vielleicht dem faszinierten Blick geschuldet, der sich nicht weiter umsieht. Doch gerade erst hat das Obere Belvedere zwei Sonderausstellungen eröffnet: BESSERE ZEITEN? WALDMÜLLER UND DAS WIENER BIEDERMEIER (bis Ende Feber nächsten Jahres) und dieser Tage Lovis Corinth. Das Leben – ein Fest (bis Anfang Oktober). Die umfas- sende Retrospektive dieses auffälligen Künstlers geht anschließend ins Saarland- museum nach Saarbrücken, mit dem die Schau gemeinsam zusammengestellt wurde. Lovis Corinth, der Mitbegründer der Münchner Secession, sperrt sich der Zuordnung zu dieser oder jener Stilrichtung. Er ist ein exzessiver Maler, der es aus sich heraus explodieren lässt. Was auch sein Leben durch Wildheit beschreibt - bis hin zu einem Schlaganfall (1911) auf dem Höhepunkt seines Schaffens und seiner Berühmtheit - ist in seinen Werken eine dynamische Kraft, die sich auf den oder die Betrachtende unmittelbar überträgt. Farbmasse, die herausspringt, Pinselzüge, die im wechselnden Licht den schwungvollen, breitflächigen Strich des Künstlers miterleben lassen. Themenbreite, die mit liebevollem Blick Familie und Freunde porträtiert. Stillleben, die auch den krassen Einblick in Schlachthöfe darbieten. Idylle und Landschaftsbilder seines geliebten Walchensees. Selbst- porträts in unterschiedlichen Posen. Ungeschönte Aktbilder und die Um- setzung mythischer und biblischer Szenen, in denen ja klassischerweise das Leben tobt und den Künsten aller Zeiten und Sparten üppige Vorlagen geschenkt hat. „Joseph und Potiphars Weib“ die Aufregung und die konträ- ren Bewegung der beiden wie aus ei- nem wutgeladenen Malakt der Zerris- senheit entstanden. „Die Lebensalter“ an Klimts ungeschminkte Darstellun- gen erinnernd aber dann doch weiter- gehend im Zeugungsakt, bei dem man nicht fragen möchte, ob einver- nehmlich oder nicht. „Tanzender Der- wisch“ von 1904 scheint geradezu ihn selbst und sein Gesamtwerk zu cha- rakterisieren. Auch das mumok hat die Gelegenheit des beschränkten grenzüberschrei- tenden Austausches von Kunstwerken genutzt, um seine eigene Sammlung neu aufzustellen. Enjoy – die mumok Sammlung im Wandel will den erweiterten Blick in die große Sammlung des Hauses und auf die Neuerwerbungen der letz- ten Jahre lenken. Revue Moderne, Gegenwart der Geschichte, Figur und Skulp- tur, (Anti-)Pop, Abstraktion. Natur. Körper, Re/Aktionen und Die Grenzen unse- rer Welt geben der vielfältigen künstlerischen Entwicklung eine gewisse Über- sichtlichkeit. Allerdings sind der Einblick und das Kennenlernen durch die Be- schriftungen der Werke nicht unwesentlich behindert. Zum einen fehlt die in an- deren Häusern bereits erlernte „Barrierefreiheit“ durch Texte in Augenhöhe und ausreichender Größe, um nicht mit der Nase anstoßen zu müssen. Andererseits ist vielfach die Zuordnung der Titel zu den Objekten im Raum oder bei den an der Wandflucht aufgereihten Werken nicht ausreichend erkennbar. Saalpläne machen den Rundgang nicht attraktiver. Aber es bleiben auch 10 Monate, auf
die diese Ausstellung konzipiert ist, um die über das ganze Haus verteilten ein- zelnen Kapitel in Ruhe aufzunehmen. Tetsumi Kudo, Sklaverei und Erhaltung der menschlichen Art, 1972 Durchaus wahrnehmbar ist, dass mit und seit der Klassischen Moderne die Kunst nahe am Puls der Zeit ist, was nicht nur für die Aktivisten gilt, sondern sich in vielen Werken zeigt. Spiegel der Zeit und Fokus auf den gesellschaftlichen Diskurs. Dazu gehört die Feministische Avantgarde und die ihr folgenden Künst- lerinnen. Nicht zuletzt durch sie, denen das Haus vor ein paar Jahren schon einmal eine Sonderschau gewidmet hat, ist der Anteil der gezeigten Werke von Künstlerinnen deutlich höher als oben zitierte Kritik unterstellt. Damit folgt die Präsentation der zunehmenden Bedeutung und dem Anteil der Künstlerinnen am gesamten Kunstmarkt.
Eine Ebene ist bis Mitte Oktober einer Sonderausstellung vorbehalten, die die Direktorin Karola Kraus selbst zusammengestellt hat. Eine Personale für Heimo Zobernig mit Werken der letzten fast 20 Jahre nach seiner gro- ßen Retrospektive von 2003 im mumok. Und wie er damals dem Haus in den Lichtschacht einen weißen Ku- bus gesetzt hat, so hat er diesem nun einen schwarzen Kubus obendrauf ge- geben. Nicht nur die Konzentration auf einen zeitgenössischen Künstler macht die Erfahrung dieser Ausstellung einfa- cher, sondern seine Eigenheit, alle Werke mit dem Titel „ohne Titel“ zu versehen. Das ermöglicht das Erleben, ohne sich einer Deutung zu unterstel- len oder eine Bedeutung hineinzuinter- pretieren. Die großen offenen Räume, freie Wände und Regale, Sitzreihen provozieren wechselnde Raumgefühle. Die monochromen Texturen in abwechselnden Farben wie die großen Kollagen und Rasterbilder aus mosaikartig verteilten bunten Farbschnipseln vermitteln Stimmung. Die in Szene gesetzten kahlen Schaufensterpuppen lassen die Phan- tasie sprießen und erhalten einen selbstironischen Draufsetzer, wo Zobernig eine Figur mit dem Abbild seines eigen Kopfes „krönt“.
Das Leopoldmuseum lädt mit einer ähnlich temperamentvollen Sonder- ausstellung ein wie das Oberen Belvedere mit der Corinth-Präsentation und sprüht ebensolche Fülle und Lebenslust: JOSEF PILLHOFER IM DIALOG MIT CÉZANNE, GIACOMETTI, PICASSO, RODIN ... Anlässlich des 100. Geburts- tages des 2010 verstorbenen Künstlers, der als einer der bedeutendsten öster- reichischen Bildhauer und Zeichner gilt, wird in mehr als 180 Exponaten eine Retrospektive seines Lebenswerks gezeigt und in den Kontext derer gestellt, durch die er sich inspirieren ließ. Ein Vergleich, der umso deutlicher macht, wie intensiv Josef Pillhofer seine eigene Formensprache entwickelt und sich in An- lehnung an die unterschiedlichen Stilrichtungen seiner Zeit und insbesondere der französischen Kunstszene ausprobiert hat. Alle seine Werke strahlen eine kraft- und schwungvolle Dynamik aus. So vermag er selbst in den starren kubischen Formen eine bestechende Lebendig- keit auszudrücken. Ganz zu schweigen von den späten Arbeiten aus gebogenen und geschnittenen Metallen, die nicht von ungefähr als „Woge“ oder „Orkan in Manhattan“ titulieren. Das Leben in abstrakter Form ausdrücken oder umgekehrt die Abstraktion lebendig werden lassen. So der Eindruck beim Defilee vorbei an großen und kleinen, in verschiedenen Materialien, weichen oder harten Formen in grober oder fein polierter Oberfläche gefertigten Skulpturen, die jede für sich eine le- bendige Geschichte anbieten möchte. „Gute Kunst muss nicht nur nach Verein- fachung oder Reduktion streben, sondern auch die Beziehung mit der Wirklich- keit und der Natur nie verlieren“, sein Credo. Arbeiten, wie die nach römischen und etruskischen Vorbildern, die wie unfertig wirken oder als Kopie eines Gra- bungsfundstückes, berühren in ihrem Reiz der Unschärfe.
Wenn man es überhaupt wagen möchte, einzelne Arbeiten hervorzuheben, so müsste das der Zyklus Der Tanz sein. Nach der ersten Fassung von 1978 in den Jahren 1980-82 als größere Fassung in Bronze gegossen für die Aula eines Gymnasiums in der Steiermark. In der Ausstellung ist der Gipsabdruck zu sehen. Die lange Beschäftigung mit dem Thema der Erfassung von Bewegungen ist dazu an beigehängten Zeichenstudien zu erkennen. Der ganze Schwung in einem Mo- ment festgehalten, nicht eingefroren und auch nicht bloß abgebildet, sondern körperlich erfahrbar. Die Wildheit des Tanzes sichtbar. Das sollte man sich nicht entgehen lassen. Die ALBERTINA modern gibt der neusten Einzelausstellung den schlich- ten Titel ARAKI. Das ist wohl selbstredend gemeint, denn den inzwischen 81- jährigen japanischen Fotografen Nobuyoshi Araki könnten viele kennen und er- kennen. Ist er doch mit skandalisierten und zensierten Bildern bekannt gewor- den. Eine Galerie in der Dorotheergasse musste sogar auf öffentlichen Druck hin Bilder von ihm aus der Auslage nehmen. Bondagebilder und ähnliche ge- schlechtsbezogene Inszenierungen sind außerhalb der Szene schwer verständ- lich. Gegen das Vorurteil und die einseitige Zuordnung stellt sich die von Walter Moser und Astrid Mahler kuratierte Aufstellung der zur Sammlung Rafael Jablonka gehörenden Fotografien, die neben den anderen bereits gezeigten Werken der Albertina als langjährige Dauerleihgabe übergeben wurden. Das Interesse des Sammlers und die Handschrift des Chefkurators und seiner Mitkuratorin zeigen einen anderen, sehr einfühlsamen und engagierten Fotokünstler. Die Tokiobilder lenken den Blick auf die verschämt übersehenen Ecken der Stadt und die verlassenen Menschen, die sich im Trubel der Weltmet- ropole verloren haben. Fern ab vom Elends-Voyeurismus weckt der Anblick Ver- stehen und Mitgefühl. Das bestätigt sich in den Bildern des Pseudotagebuchs, worin er dokumentarische und fiktive Szenen aneinanderreiht oder umdatiert. Den Fokus auf Einsamkeit, Verlassenheit oder auch belustigende Andersartigkeit und Einzigartigkeit gelenkt.
Noch mehr in den privaten Fotografien. Er spielt sein Selbst oder hält die Geschichte der Krankheit, des Sterbens und des Abschieds von seiner Frau in sehr berührenden Bildern fest. Wohl auch ein Teil seiner persönlichen Schick- salsverarbeitung. In dieser Folge erscheinen die Bondagebilder im neuen Licht. Sie zeigen die vielfältigen und widersprüchlichen Facetten der Sexualität und Liebe. Und wie das Ritzen und Brennen ein körperlicher verzweifelter Weg ist, unterdrückten seelischen Schmerz rauszulassen, spiegeln die Bilder dieses japa- nischen „Kinbaku“ gemarterte und leidende Seelen. Die Galerie OstLicht hat über Jahre einen großen Fundus von Werken, Bü- chern und Fotografien von Nobuyoshi Araki zusammengekauft und stellt sie derzeit in einer Doppelschau ARAKISS mit der Galerie WestLicht aus. Damit kann sie ein breites Spektrum aus mehr als 50 Jahren präsentieren. Dazu gehören die frühen Bücher, die anfäng- lich das einzige Medium waren, in dem Araki seine Fotografieren an die Öf- fentlichkeit bringen konnte, und wo er sich noch mit der Zensur auseinander- setzen musste, bevor die Galerien ihn entdeckt und angeboten haben. Mit dem in der Albertina modern gewonnen Einblick in die Sensibilität und Empathie von Arakis Kameraführung und Bildinszenierung lassen sich die skan- dalisierten Bilder neu sehen und ganz selbstverständlich neben den Tier- und Landschaftsfotos, die ebenso wenig heile Welt und Idylle vorgaukeln wollen. Da- für aber Mitgefühl für die leidende Kreatur und Schöpfung wecken. Text und Fotos Johannes Langhoff
Sie können auch lesen