Rechtspopulismus - Ausgabe KOMMUNALPOLITIK 2/2017 - GAR NRW
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Grüne/Alternative in den Räten NRW e.V. · Jahrgang 23 · Heft 2 · April–Juni· ISSN 1616-4806 KOMMUNALPOLITIK 2/2017 www.gar-nrw.de GAR NRW e. V. Le Ausgtzate be Rechtspopulismus
KOMMUNALPOLITIK 1/2016 EDITORIAL INHALT Liebe Leserinnen und Leser, liebe Kommunalos, personalia Nicht alle Medien haben in den letzten Wochen und Monaten der AfD Interview Wilhelm Windhuis ....................................................4 den Raum gegeben, sich so zu zeigen, wie sie gesehen werden will. Interview Annette Lostermann-De Nil .......................................6 Aber viele. Da konnte Frauke Petry bei „Hart aber Fair“ Angela Merkel gar aktuell für den Terror in Deutschland verantwortlich machen, Marcus Pretzell Landtagswahl 2017 ..................................................................3 konnte Sylvia Löhrmann in der WDR-Wahlarena eine „Obergrenze für Kommunaler Bundeskongress..................................................8 die GRÜNEN“ androhen sowie den anderen Kandidat*innen Verlo- Eine Infrastrukturoffensive für das Fahrrad ............................10 genheit vorwerfen – und den Medien Dummheit. Dass die AfD zu den Ein GRÜNES Netzwerk............................................................14 Sieger*innen der Landtagswahl gehört, ist eine der bitteren Pillen, die Forum wir schlucken müssen. Was den Politikstil der „Alternative für Deutsch- Intro .......................................................................................15 land“ angeht, eine Mischung aus emotionalisierter Hetze und Opferrol- Interview Prof. Andreas Zick...................................................17 le, müssen wir uns im Landtag wohl noch auf Einiges gefasst machen. GAR-Analyse ..........................................................................20 Wir selbst - die GRÜNEN – lecken angesichts der Wahlverluste, die wir Backup-Opferberatung ...........................................................22 hinnehmen müssen, unsere Wunden und versuchen zu heilen. Ein Pro- Schule ohne Rassismus .........................................................24 zess, dessen Ziel Erneuerung sein soll, und der das Ziel nur erreicht, wenn er von Herzen geführt wird. Ob das tatsächlich so ist, wird sich Service/info zeigen. Weißbuch Stadtgrün ..............................................................25 Zu den Konsequenzen dieser Wahl gehört leider auch, dass die GAR Spiegelbildlichkeit der Ausschüsse .......................................26 aufgrund der Förderbedingungen des Landes NRW einen großen Teil Genderranking deutscher Großstädte .....................................28 ihres Budgets verlieren wird. Somit können wir das Quartalsmagazin Rezension FORUM, das wir als besonderes zusätzliches Serviceangebot betrie- Schwarzbuch AfD ...................................................................30 ben und weiterentwickelt haben, nicht mehr fortführen. Der „Rund- Die Kultur der Stadt ................................................................30 brief“ war nicht nur uns ans Herz gewachsen, er hatte sich zum gerne gelesenen Fachblatt für GRÜNE Kommunalpolitiker*innen gemausert. GARnet Jetzt heißt es Federn lassen. Unsere Öffentlichkeitsarbeit wird ab sofort Resonanzräume der Rechtspopulisten ....................................31 verstärkt über unseren Mailverteiler, auf der GAR-Homepage und in den sozialen Medien stattfinden. Wir sind stolz auf die vorläufig letzte Ausgabe und wünschen angenehme Lektüre! Dr. Didem Ozan Impressum Forum Kommunalpolitik erscheint viermal im Jahr und wird an die Mitglieder der GAR NRW Layout: Dr. Didem Ozan kostenlos abgegeben. Der Abonnentenpreis für Nicht-Mitglieder beträgt 18,40 € inklusive Titelfoto: OpenIcons/Pixabay Versandkosten. Der Einzelpreis beträgt 5 € . Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben Fotos: Grüne Alfter, S. 4; Gönül Eglence, S. 9; Wiciok/ nicht unbedingt die Meinung der GAR NRW wieder. Die Redaktion behält sich vor, Beiträge RVR, S. 10; RVR, S. 11f.; sentidocomun/Pixabay, in gekürzter Form abzudrucken. Nachdruck, auch auszugsweise, ist nur mit Genehmigung S. 15; Andreas Zick, S. 17; makunin/Pixabay, der Redaktion und unter Quellenangabe gestattet. S. 19; correctiv.org, S. 21; Pexels/Pixabay, S. Herausgeber: GAR NRW, Grüne/Alternative in den Räten NRW 23; Hans-Jürgen Serwe, S. 25, 31; Anna Gerdt/ Oststr. 41-43 · 40211 Düsseldorf Pixabay, S. 26; Heinrich Böll Stiftung, S. 29 0211–38476–0 info@gar-nrw.de www.gar-nrw.de Druck: TIAMATdruck GmbH, Düsseldorf ISSN:1616-4806 Redaktion, Anzeigen: Dr. Didem Ozan (V.i.S.d.P) 2 FORUM KOMMUNALPOLTIK 2 | 2017
GAR muss Arbeit deutlich einschränken Mindereinnahmen von mehr als einer halben Million Euro Nicht nur für GRÜNE insgesamt hat das Ergebnis der NRW-Wahl Folgen. Auch für die GAR hat der Wahl- verlust herbe Konsequenzen. Mit dem Wahlergebnis vom 14. Mai verliert die kommunalpolitische Verei- nigung der GRÜNEN fast ein Drittel ihrer finanziellen Mittel. Das Ergebnis der Landtagswahl hat direkte und nachhaltige Auswirkungen auf die bestehende finanzielle Situation der GAR. Der Zuwendungsbescheid des Landes für die ab 2018 einzusparen. In dem von Personalkosten kommunalpolitischen Vereinigungen ist für das bestimmten GAR-Haushalt bedeutet dies unter Jahr 2017 auf den Wahlmonat Mai befristet. Denn Abwägung aller Möglichkeiten, dass eine Perso- mit dem Ergebnis der Landtagswahl ändert sich nalstelle und die damit verbundenen Aufgaben auch direkt der Landeszuschuss für kommunalpo- gestrichen und bei den verbleibenden Stellen die litische Vereinigungen, der an das Wahlergebnis - wöchentlichen Arbeitszeiten reduziert werden konkret an das Zweitstimmenergebnis - gekoppelt müssen. Mit einer Einsparung von 91T Euro und ist. Dabei müssen für eine Förderung mindestens einem verbleibenden Personaltableau von drei 2,5 Prozent der Zweitstimmen erreicht werden. Im Teilzeitstellen würde damit - unter Beachtung der Vergleich zur Wahl 2012 erreichen dies die Piraten Pflichtaufgaben Weiterbildung und Fachberatung nicht mehr, dafür sind die Linke und die AFD mit von Fraktionen und Ratsmitgliedern - die Redakti- ihren kommunalpolitischen Vereinigungen neu on des Rundbriefs entfallen. Damit einher entfallen dabei. Die Anzahl der geförderten Vereinigungen auch die reinen Produktionskosten des Rundbriefs steigt damit bei gleichbleibendem Haushaltstitel (15T Euro). Der Online-Bereich, so das umfang- von fünf auf sechs. reiche Informationsangebot auf der Webseite, bleibt erhalten. Der Rest ergibt sich aus kleintei- DRAMATISCH SCHLECHTERE SITUATION FÜR DIE GAR ligen Kürzungen im Sachhaushalt. Die GAR wird Die finanzielle Situation der GAR hat sich mit den nunmehr mit deutlich reduzierteren finanziellen Verlusten der NRW-Grünen bei der Landtags- Möglichkeiten ihren Aufgaben nachgehen, bleibt wahl leider dramatisch verschlechtert. Die Zahlen aber natürlich für alle Fragen ihrer Mitglieder nach sprechen Bände. In der Summe reduziert sich der wie vor jederzeit und kompetent ansprechbar. jährliche Landeszuschuss von derzeit 239.729,24 Euro für die Folgejahre auf 131.166,14 Euro. Dies Hilde Scheidt und Günter Karen-Jungen heißt also für die mittelfristige Finanzplanung Geschäftsführender GAR-Vorstand über die Legislaturperiode eine Reduzierung um 108.563,10 Euro pro Jahr. Da die Mittelkürzung +++ Landtagswahl NRW +++ bereits zum 01.06.2017 greift, müssen bereits für das laufende Jahr kurzfristig 63.328,48 Euro antei- GRÜNE holten bei der Wahl am 14. Mai mit 6,4 lig eingespart werden. Prozent ganze 4,9 Prozent weniger als 2012 und halbierten ihr Ergebnis fast! Die SPD brach eben- FÜR DIE WAHLPERIODE 2017- 2022 BEDEUTET DIES INS- falls auf 31,2 Prozent ein. Die CDU gewann mit 33 GESAMT MINDEREINNAHMEN IN HÖHE VON 542.815,50 Prozent mehr als 6 Prozent im Vergleich zur letzten EURO. Landtagswahl. Gestärkt hervor ging die FDP: sie legte um 4 Prozentpunkte auf 12,6 Prozent zu. Die Linken FORUM KOMMUNALPOLITIK MUSS verpassten mit 4,9 Prozent knapp den erneuten Einzug EINGESTELLT WERDEN in das NRW-Parlament während die AfD mit 7,4 Pro- Für den Haushalt der GAR hat dies die sehr un- zent einzog. CDU und FDP verfügen über eine Stimme angenehme Folge, im laufenden Jahr 64T Euro Mehrheit und befinden sich zum Redaktionsschluss und fast 109T Euro strukturell im Jahreshaushalt noch in Koalitionsverhandlungen. g a r ak t uel l FORUM KOMMUNALPOLTIK 2 | 2017 3
Wilhelm Windhuis im Interview „Man selbst bleiben, nicht verbiegen lassen“ Im Februar verabschiedete sich Wilhelm Windhuis nach zehn Jahren Engagement aus dem Vorstand der GAR. Der Fraktionssprecher der GRÜNEN in Alfter (Rhein-Sieg) wurde 1954 in Rheinkamp (Moers) geboren und ist Beamter in der technischen Laufbahn. FORUM sprach mit ihm über die GAR, seine kommunalpolitischen Erfahrungen und was für ihn gute Kommunalpolitik ist. Lieber Wilhelm Windhuis, Sie haben sich eine werden sicher auch neue Aufgaben auf sie zukom- Dekade im ehrenamtlichen Vorstand der GAR enga- men. Aber im Großen und Ganzen soll die GAR giert. Wie blicken Sie darauf zurück? bleiben, wie sie ist. Im Rückblick war die Zeit angenehm, die Zusam- In die GAR-Arbeit haben Sie Ihre kommunal- menarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen im- politische Erfahrung eingebracht. Die begann 1998 mer gut, wir hatten viele sachliche Diskussionen. in Alfter bei Bonn. Warum sind Sie in die Kommunal- Besondere Akzente konnte ich zum Beispiel bei politik gegangen? Gab es einen besonderen Anlass? den Finanzen setzen. Das Seminarprogramm ha- ben wir erweitern können. Also zusammenfassend Einen besonderen Anlass gab es, das war der zehn gute Jahre. geplante Bau einer Ortsumgehung bei uns in der Nachbarschaft. Die GRÜNEN waren die einzige Was wünschen Sie uns für die Zukunft? Partei, die sich dieser Problematik angenommen hat, und so bin ich zur Partei und zur Kommu- Die GAR ist für die Zukunft gut aufgestellt, und nalpolitik in Alfter gekommen. Ich habe dann in ich wünsche der GRÜNEN kommunalpolitischen meiner Gemeinde als sachkundiger Bürger im Pla- Vereinigung, dass sie ihre Arbeit in der bisherigen nungsausschuss angefangen, damals haben die Qualität fortsetzt. Natürlich sind mit der Zeit neue GRÜNEN vor Ort nach Personal gesucht, und ich Aufgaben hinzugekommen, so die Sozialen Medi- hatte den Wunsch, mich dort einzubringen. en, die jetzt auch bespielt werden, und in Zukunft Wilhelm Windhuis (Mitte) 44 FORUM KOMMUNALPOLTIK 2 | 2017 GAR a k t u e l l
Sie sind dabeigeblieben, sind seit 2004 Rats- Sie für die Kommunen ändern? mitglied. Warum haben Sie weitergemacht? Den Kommunen endlich mehr Geld zur Verfügung Kommunalpolitische Themen sind keine Eintags- stellen, die finanzielle Ausstattung verbessern. fliegen und so gab es nach dem konkreten Anlass, in die Politik vor Ort einzusteigen, auch andere Von der Ausbildung zum Technischen Zeich- Themen, wo ich mich eingebracht habe. Beispiels- ner nach der Hauptschule über die Fachoberschule weise haben wir gegen ein Bebauungsvorhaben bis zum Diplom-Ingenieur im Maschinenbau – Sie in den Hanglagen gekämpft. Diese Arbeit vor Ort haben eine beachtliche berufliche Laufbahn hinter hat uns als GRÜNE zusammengeschweißt. Unsere sich. Bildung bewegt Sie auch mit Blick auf GRÜNE Fraktion besteht momentan aus acht Mitgliedern, Politik. Wie würden Sie unser Bildungssystem um- von denen zwei bei der letzten Wahl neu dazuge- gestalten? kommen sind, sechs von uns sind schon lange dabei. Verhindern konnten wir diese Bebauung Ein Bildungssystem sollte so gebaut sein, dass leider nicht, aber wir haben insgesamt durch gute möglichst viele Wege offengehalten werden. Ab- politische Arbeit überzeugt und konnten bei den seits aller Kritik ist das auch der Kern GRÜNER letzten Wahlen sogar die SPD überholen, die ins- Bildungs- und Schulpolitik. Mein eigener Bildungs- gesamt sieben Ratsmitglieder stellen. Die Arbeit, weg zeigt es: Hätte es Möglichkeiten für weitere die wir machen, wird anerkannt. Bildungsabschlüsse nicht gegeben, wäre ich nach Hauptschulabschluss und Lehre in den Beruf ge- Was sind die aktuellen Fragen oder Projekte, gangen. Ich weiß nicht, wo ich dann jetzt wäre. mit denen Sie sich in Ihrem Mandat auseinanderset- Diese Vielfalt der Möglichkeiten und Chancen zen? sollte beibehalten werden. In Alfter, einer 25.000 Einwohner*innen großen Sie reden nicht nur über GRÜNE Politik, sie Gemeinde, gibt es wie vielerorts Veränderungen versuchen diese umzusetzen. Sie haben eine eigene durch den demographischen Wandel. Einfamilien- Solaranlage. Warum betreiben Sie diese? häuser werden für ältere Paare zu groß, weil deren Kinder erwachsen geworden sind und ausziehen. Da ist natürlich auch ein Stück weit Idealismus Da möchte ich Lösungen finden, damit die Men- dabei. Es funktioniert tatsächlich, mit der Anlage schen im Alter nicht aus ihren Quartieren wegzie- speise ich Strom ins Netz und erhalte dafür einen hen müssen, weil es dort keine passenden Wohn- kleinen zweistelligen Ertrag. möglichkeiten gibt. Sie arbeiten bei der Postbank als technischer In der Kommunalpolitik kann es auch mal Beamter. Gibt es Synergien mit Kommunalpolitik? spannend werden, chaotisch, ärgerlich oder heiter. Was war für Sie ein prägender emotionaler Moment? Das sind natürlich erst einmal zwei abgetrennte Bereiche. Aber man lernt in der Kommunalpolitik Das war, als wir 2009 erstmalig zweitstärkste Frak- auch viel, was man im Beruf einsetzen kann. Per- tion geworden sind. Wir waren vorher zu Dritt und sonalpolitik beispielsweise. konnten dann stolz auf eine Fraktion von acht Mit- gliedern blicken. Das war schon ein toller, auch Wie gewinnen Sie Abstand von Beruf und emotionaler Moment. Ehrenamt? Was würden Sie Neueinsteiger*innen empfeh- Ich habe zwei Hobbies: Radfahren und Kochen. len, wie macht man gute Kommunalpolitik? Dieses Jahr planen wir eine Radtour von Alfter nach Bozen, los geht es im Juli, insgesamt 1000 Gute Kommunalpolitik bedeutet für mich: Man Kilometer. Mit 90 Kilometern pro Tag haben wir bleibt man selbst, lässt sich nicht verbiegen, bleibt uns da eine sportliche Aufgabe gestellt. Erholen aber auch offen für die Bürgerinnen und Bürger. kann ich mich sehr gut beim Kochen, gerne mit viel Gemüse, im Wok zum Beispiel, und wenn es Was wäre wenn…Sie bei der Bundestagswahl mal Fleisch gibt, dann Metzgerfleisch, niedrigtem- im September Kanzler werden würden? Was würden periert gegart. p e r s onal i a FORUM KOMMUNALPOLTIK 2 | 2017 5
Annette Lostermann-De Nil im Interview „Wichtig ist, dass man Herzblut mitbringt“ Auch Annette Lostermann-De Nil hat im Februar ihr langjähriges Engagement als Vorstandsmitglied beendet. Sie war seit 2001 ehrenamtliches geschäftsführendes Vorstandsmitglied der GAR. Die ausge- schiedene langjährige Fraktionssprecherin in Mülheim a. d. Ruhr und pensionierte Lehrerin bleibt auch im Ruhestand aktiv. Liebe Annette Lostermann-De Nil, wie Wil- zu Sachfragen. Empfehlen kann ich der GAR, dass helm Windhuis haben auch Sie sich lange im ehren- sie sich weiterhin aus innerparteilichen Turbu- amtlichen Vorstand der GAR engagiert. Was war für lenzen heraushält. sie besonders beeindruckend? Sie sind kommunalpolitisch erfahren. Wie ha- Natürlich gab es verschiedene beeindru- ben Sie Ihren Weg in die Mühlheimer Kommunalpo- ckende Erlebnisse. Das ungewohnte Agieren als litik gefunden? Arbeitgeber*in, die Trennung von Mitarbeiter*innen oder die Beschränkung der Arbeitsstunden Meine kommunalpolitische Laufbahn habe ich aus aufgrund schlechterer Wahlergebnisse, der der Initiative gegen Ausländerfeindlichkeit kom- tragische Tod von Magda, der langjährigen mend als sachkundige Bürgerin im Ausländerbei- Vorstandssprecher*in der GAR, bleiben in Erin- rat gestartet. Sehr schnell musste ich feststellen, nerung, aber auch die spannende Begleitung der dass Politik schon eine ganze Menge an Zeit, Planung und Durchführung großer Veranstaltungen Engagement und Durchhaltevermögen braucht. zu zentralen Themen, wie auch die Fachseminare, Aber das Ergebnis konnte sich sehen lassen: die der Besuch GRÜNER hauptamtlicher Bürgermei- entsprechenden städtischen Einnahmen aus dem ster in ihren Gemeinden, die Ratsfrauentreffen. Asylbewerberleistungsgesetz wurden nach ei- Die Vorstandsarbeit hat mir viele neue Einblicke ner längeren anstrengenden Auseinandersetzung verschafft, die ich sowohl für die eigene kommu- zweckentsprechend für ein mehrköpfiges Team von nalpolitische Arbeit, aber zum Teil auch für meine Sozialarbeiter*innen für Flüchtlingsbegleitung und berufliche Tätigkeit nutzen konnte. Beratung eingesetzt. Zwar hatte ich an Teilen ein- zelner Ratssitzungen als Zuschauerin teilgenom- Wie sehen Sie die GAR der Zukunft? men, dennoch kam für mich die Frage, ob ich nicht auf der Ratsliste der GRÜNEN kandidieren wolle, Die GAR hat sich als Dienstleisterin für die Kom- sehr überraschend. Noch überraschender war für munalfraktionen aufgestellt und bietet eine Platt- mich die Aufforderung, auf dem ersten Platz zu form für den Austausch zwischen den Fraktionen kandidieren. 1989 wurde ich, damals ohne Partei- Annette Lostermann-De Nil (stehend) 6 FORUM KOMMUNALPOLTIK 2 | 2017
mitglied zu sein, Fraktionssprecherin (Doppelspit- Was würden Sie Neueinsteiger*innen empfeh- ze), 1994 gab es kommunal einen Mehrheitswech- len, wie macht man gute Kommunalpolitik? sel und die erste GRÜN-schwarze Koalition wurde ausgehandelt. In der Zeit wurden das autonome Wenn möglich, einen Mentor oder eine Mentorin Jugendzentrum und das soziokulturelle Zentrum finden, der/die den Start etwas begleitet. Zu An- Ringlokschuppen realisiert, die Mülheimer Ener- fang kann es ganz schön nützlich sein, wenn man giedienstleistungsgesellschaft mit einer deutlich eine hohe Frustrationstoleranz mitbringt, denn Po- ökologischen Ausrichtung gegründet, Flüchtlings- litik ist wirklich das „Bohren dicker Bretter“ (Max gutscheine abgeschafft, eine verträglichere Flücht- Weber). Wichtig ist aber auch, dass man Herzblut lingsunterbringung durchgesetzt, Obdachlosen- mitbringt, authentisch ist, etwas mit Leuten bewe- unterkünfte aufgelöst, Stadtfinanzen transparenter gen will, mit Leuten auf Augenhöhe redet und ih- gemacht usw. Das zu erreichen war eine Menge nen zuhört, und das nicht nur zu Wahlkampfzeiten, Arbeit, doch 1999 erfolgte erneut ein Mehrheits- Betroffene in Entscheidungen einbezieht, immer wechsel und wir waren wieder in der Opposition. bedenkt, dass nur ein Bruchteil der Bevölkerung in 2014 gab ich meinen Ausstand aus der Ratsarbeit Parteien organisiert ist. und der Fraktionsarbeit nach gut 25 Jahren. Wenn Sie bei der Bundestagswahl im Sep- Was waren wichtige Fragen oder Projekte, mit tember Kanzlerin werden würden: Was machen Sie? denen Sie sich auseinandergesetzt haben? Zunächst muss die finanzielle Ausstattung der Ich hatte mehrere Herzensprojekte. Der bessere Kommunen entsprechend ihrer Aufgaben ver- Zugang der Bürger*innen zur Verwaltung (deshalb bessert werden. Aber auch ein stärkerer Blick auf Beschwerdeausschussvorsitz, später Bürgeraus- globale Zusammenhänge ist erforderlich. Das be- schuss), der Sozialbereich insgesamt: z. B. Ver- inhaltet zum Beispiel ein anderes Vorgehen in der abschiedung von der Verwaltung von Obdachlo- Klimapolitik, aber auch in der Frage der sozialen sigkeit hin zu Krisenmanagement, die kommunale Gerechtigkeit. Und Willkommenskultur muss sei- Verantwortung im Umgang mit Geflüchteten nen Niederschlag in der Gesetzgebung finden. (dezentrale Unterbringung, Mindeststandards, psychosoziale Begleitung), mit von Wohnungslo- Was machen Sie zur Zeit? sigkeit bedrohten Menschen (Wohnfachstelle), mit Arbeitslosen (Optionskommune), mit behinderten Ich bin im sogenannten Unruhestand, unterrichte Menschen (Barrierefreiheit). Das sozialpolitische jedoch noch einige Stunden Deutsch als Zweit- Engagement setze ich außerhalb der Rats- und sprache. Fraktionsarbeit fort, beispielsweise als Vorsitzende des Mülheimer Arbeitslosenzentrums. Wie gewinnen Sie Abstand? In der Kommunalpolitik kann es auch mal Das gelingt mir nicht so recht. Ich glaube auch spannend werden, chaotisch, ärgerlich oder heiter. nicht, dass ich das wirklich so will. Die Art des Was war für Sie ein prägender emotionaler Moment? Engagements, jede Menge Treffen mit neu Zuge- wanderten, zum Teil, um ergänzend Deutsch zu In der ersten Fraktion mussten wir uns nach kurzer unterrichten, Fragen des Alltags zu besprechen, Zeit mit einem Fraktionsausschluss befassen, um aber auch gesellige Treffen, ich lass mich beko- zu verhindern, dass mehrere andere Fraktionsmit- chen. Das gehört für mich zusammen, das gehört glieder das Handtuch werfen. Spannend war in der zu mir. Selbst die vielfältigen Theaterbesuche Zeit der grün-schwarzen Koalition, in der es häu- sind insofern kein Kontrastprogramm sondern figer die Situation des aktiven Gestaltens gab, die eine Ergänzung, insbesondere die Theaterland- Möglichkeit abzuschaffen, was wir vorher aus der schaften des Theater an der Ruhr, die Ruhrorter, Opposition heraus nur kritisieren konnten. Den- die Musiklandschaften… Wenn ich wirklich allein noch war es auch in dieser Phase ärgerlich, häu- sein will, dann gibt es einen Krimi oder Reisebe- figer auf festgefahrene Strukturen zu treffen, die richte oder den Spaziergang oder die Fahrradtour nicht durch eine theoretisch vorhandene Mehrheit an der Ruhr entlang, oder sollte das Wetter ganz gekippt werden konnten. schlecht oder die Beweglichkeit eingeschränkt sein, die Schiffstour auf der Ruhr. p e r s onal i a FORUM KOMMUNALPOLTIK 2 | 2017 7
Kommunaler Bundeskongress Stadt und Gemeinde gemeinsam gestalten Als Strategie- und Netzwerktreffen für er- Essen als Grüne Hauptstadt Europas. Die Exkursi- fahrene und neu gewählte Stadträt*innen, on zur Grünen Hauptstadt, die die Themenfelder Verwaltungsmitarbeiter*innen und andere kom- Mobilität, Flüsse, Grünflächen, nachhaltiger Kon- munalpolitisch Aktive in NRW fand Ende März der sum und Zukunftsjobs bearbeitet, wurde von der fünfte kommunalpolitische Bundeskongress in GAR betreut. Gelsenkirchen statt. Den Teilnehmenden bot sich im Wissenschaftspark ein Programm mit hochak- BEGRÜSSUNG UND INPUT tuellen Impulsvorträgen, kontroversen Diskussi- „GRÜNE STÄDTE DER ZUKUNFT“ onen, lehrreichen Workshops, lebendigen Exkur- Sabine Drewes von der Böll-Stiftung und GAR- sionen und viel Gelegenheit zum Networking. Die Bildungsmanagerin Gönül Eglence begrüßten Tagung der Heinrich Böll Stiftung fand in Koope- die ca. 100 Teilnehmenden des ersten Tages ration mit der GAR NRW sowie der Heinrich Böll und gingen kurz auf die Bedeutung kommunal- Stiftung NRW statt. politischer Bildung ein. Anschließend stellten Die Tagung hatte zwei Schwerpunkte: Das Thema drei Referenten ihre Konzepte für ökologischere „Die grüne Kommune der Zukunft“ wurde insbe- Städte der Zukunft vor: Bruno Bebié, Energiebe- sondere unter den Leitfragen „Wie kann man aus auftragter der Stadt Zürich, erklärte das Konzept der Energiewende Antworten auf den Strukturwan- der „2000-Watt-Gesellschaft“. Martin Tönnes, del gewinnen? Wie kann man Mobilität in der Regi- Dezernent für Raumplanung, Regionalverband on mit weniger Lärm und Luftverschmutzung und Ruhr, stellte das Langzeitprojekt Radschnellweg mehr Lebensqualität organisieren?“ beleuchtet. Ruhr vor. Simone Raskob, Umweltdezernentin in Unter dem Motto „Wegducken ist keine Lösung“ Essen, berichtete von den Aktivitäten in der ak- widmete sich der zweite Schwerpunkt „Kommu- tuellen „Grünen Hauptstadt Europas“. Anschlie- nalpolitik in der gespalteten Gesellschaft“ dem ßend hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, Auftreten neuer Rechter wie der AfD in den Kom- fachliche Fragen zu stellen und die vorgestellten munalparlamenten ebenso wie dem Problem der Konzepte zu diskutieren. Nach einer kurzen Pause islamistischen Radikalisierung. Von Interesse war fanden sich alle an Thementischen beispielsweise hier insbesondere, wie tatsächlich reagiert werden zum „Umgang mit der AfD“ oder zur „Wärmwen- kann, um in Kommunen trotz auseinanderfallender de in Kommunen“ zusammen und tauschten sich Gesellschaft gut zusammenzuleben. mit den Expert*innen aus. Gegen Abend referierte NRW-Umweltminister Johannes Remmel zur Öko- EXKURSIONEN logisierung von Städten. Um einen lebendigen Einstieg in das Thema „Grüne Kommunen“ sowohl aus ökologischer WORKSHOPS als auch aus sozialer Sicht zu haben, startete die Im Anschluss vertieften vier Workshops die Tagung am Freitag morgen mit vier Exkursionen: Schwerpunkte und stellten diese auch in einen den Radschnellweg Ruhr als Europas längstem bundesweiten Zusammenhang, wozu Expert*innen Radschnellweg mit dem Potential, bis zu 50.000 aus ganz BRD eingeladen waren. Im Workshop Autofahrten pro Tag einzusparen, das Quartier Bo- „Grüne Mobilität in der Region“ vertieften Evrim chumerstraße in Gelsenkirchen als neuer Weg der Camuz aus Hannover, Michael Münter aus Stutt- Stadtentwicklung und Talentförderung, das Elting- gart zusammen mit Martin Tönnes vom RVR Mög- viertel in Essen als Teil der InnovationCity Ruhr und lichkeiten, den ÖPNV ökologischer zu gestalten. 8 FORUM KOMMUNALPOLTIK 2 | 2017 g a r a k t u e l l
Im Workshop „Grüne Wirtschaft/Energiewende als und für ein lebendiges Gemeinwesen. Auch wenn Antwort auf Transformationsprozesse“ ging es um eine Verrohung in der politischen Diskussion eben- den Wandel der Energie- und Umweltwirtschaft, so wie Bedrohungen auch auf kommunaler Ebene den Börje Wichert von der Wirtschaftsförderung stattfinden, sollten sich Kommunalpolitiker*innen Metropole Ruhr, Kerstin Faber aus Thüringen und davon nicht ins Bockshorn jagen lassen. Ulrich Ahlke vom Kreis Steinfurt vorstellten und diskutierten. Der Workshop „Das Quartier – urbane VERBESSERUNGEN IM EHRENAMT Enklave?“ beschäftigte sich mit neuen Formen Inwieweit die Hasstiraden der AfDw in Vorurteilen des Zusammenlebens in der Stadt, auch aus dem der Bevölkerung Nährboden finden, warum sich Blickwinkel des Wohnraums als Lebensraum. Der Jugendliche dem radikalisierten Islam zuwenden Workshop, den Tim Rienits von der StadtBaukultur und dass man in Kommunen ins Gespräch insbe- NRW, Brigitte Karhoff von KoOperativ eG (Ober- sondere mit den muslimischen Religionsgemein- hausen) und Christoph Stark von Kitev (Oberhau- schaften kommen muss, diskutierten Mouhanade sen) bestritten, wurde von der GAR konzipiert und Khorchide, Professor für islamische Religionspä- betreut und von Gönül Eglence moderiert. Der dagogik, Berivan Aymaz von der GRÜNEN Rats- vierte Workshop widmete sich der „Aktiven kom- fraktion in Köln, Andreas Zick vom Institut für munalen Wohnungspolitik“ angesichts steigender Interdisziplinare Gewalt- und Konfliktforschung, Mieten und Wohnungsknappheit in vielen Städten. und Tina Siebeneicher, Stadträtin in Dresden. In Anna Hanusch aus München, Gerhard Joksch aus den folgenden zwei Workshops ging es zum Einen Münster und Claudia Becker aus Darmstadt stell- um den Werkstattbericht „Geteilte Räume“ der ten Instrumente wie gemeinwohlorientierte Boden- Fachkommission für räumliche Ungleichheit der nutzung, Erhaltungssatzung und städtebauliche Heinrich Böll Stiftung. Hier wurde dargestellt, wie Verträge an den Beispielen ihrer jeweiligen Kom- ungleich Infrastrukturen in Ost- und Westdeutsch- mune vor. land sind. Im Workshop „Willkommenskommune konkret“ ging es um die generelle Aufnahme, die GESPALTENE GESELLSCHAFT Arbeitsmarktintegration und das Wohnen von Ge- Der zweite Tag der Tagung begann mit einem klaren flüchteten in Kommunen. Zum Abschluss warf der Input „Gegen Rechts“ von Britta Haßelmann, Poli- Vorsitzende der Grünen Landtagsfraktion NRW, tische Geschäftsführerin und kommunalpolitische Mehrdad Mostofizadeh, einen Blick auf das poli- Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion. Die tische Ehrenamt und die Verbesserungen, die die MdB machte klar, dass GRÜNE als Gegenpol von Grünen in den letzten Jahren dafür in NRW durch- Rechtspopulisten wie der AfD für Toleranz, gegen setzen konnten. (do) Klimakrise, für Asyl- und Grundrechte und Gleich- berechtigung stehen. Gegen eine eskalierende Politik von Feindbildern der Rechten brauche es Auf der Homepage der GAR findet sich ein eine klare GRÜNE Stimme für mehr Gerechtigkeit Themendossier mit ausgewählten Beiträgen! FORUM KOMMUNALPOLTIK 2 | 2017 9
Martin Tönnes im Interview Eine Infrastrukturoffensive für das Fahrrad Eines der ambitioniertesten Fahrradprojekte hier- Bahnen ist mit 16 Prozent in der Gesamtregion zulande ist der „Radschnellweg Ruhr“. Martin unterdurchschnittlich und knapp ein Drittel aller Tönnes hat diesen zusammen mit anderen erfun- Wege werden nichtmotorisiert zurückgelegt - als den und setzt Deutschlands größtes Fahrradpro- Radverkehr (8 Prozent ) sowie als Fußverkehr (23 jekt auch planerisch um. Mit viel Spannung wurde Prozent). Hierbei ist aber zu betonen, dass der deswegen der Bereichsleiter Planung des Regio- Modal-Split in den großen Kernstädten wie z. B. nalverbands Ruhr beim Bundeskongress erwartet. Bochum, Dortmund, Duisburg und Essen höhere Im Nachgang spricht er im Interview über nach- Anteile für den Umweltverbund aufweisen als die haltige Mobilität und deren Bedeutung für Klima- kreisangehörigen Klein- und Mittelstädte in den schutz und Wachstum, auch angesichts besonde- Kreisen Ennepe-Ruhr, Recklinghausen, Wesel und rer Herausforderungen in Metropolregionen. Unna, die auch zu den insgesamt 53 Städten des Ruhrgebietes gehören. Herr Tönnes, was ist für Sie nachhaltige bzw. „grüne“ Mobilität? Der Verkehr ist ein Sektor, in dem in den letz- ten zehn Jahren die Treibhausgasemissionen nicht Mobilität ist für die Teilhabe am Leben unverzicht- gesunken sind. Was muss sich im Verkehrssektor bar. Die Frage ist, wie es gelingen kann, den Ver- tun, damit die Pariser Klimaziele erreicht werden kehr als die umgesetzte Mobilität für die Menschen können? und die Wirtschaft sozialverträglich, bezahlbar und umweltfreundlich zu gestalten. Wir müssen Mobi- Mit 36 Prozent oder rund 15 Millionen Tonnen CO2 lität für die Menschen und die Wirtschaft sicher- liegt der Anteil des Verkehrs in der Metropole Ruhr stellen und dies mit einem möglichst lärmarmen, mittlerweile leicht über dem Anteil der Wirtschaft schadstofffreien und klimaschonenden Verkehr re- mit 35 Prozent oder rund 14 Millionen Tonnen an alisieren. Dieser Satz ist einfach gesagt, stellt aber den Treibhausgas-Emissionen. Die Haushalte tra- für alle hieran Beteiligten eine besondere Heraus- gen mit 29 Prozent oder rund 12 Millionen Tonnen forderung dar. CO2 dazu bei. Als wir als Regionalverband Ruhr im letzten Jahr die erste gesamtregionale Treibhaus- Wie sieht der Modal Split im Ruhrgebiet aus gas-Bilanz für das Ruhrgebiet veröffentlicht haben, im Verhältnis zu den einzelnen Städten? haben mich die Ergebnisse im negativen Sinne dann doch überrascht. Natürlich ist der Struktur- Die Metropole Ruhr ist mit rund 5,1 Millionen wandel mit dem Wegbrechen der montanindustri- Einwohner*innen der drittgrößte Ballungsraum ellen Strukturen einer der wesentlichen Reduzie- in Europa. Das Ruhrgebiet ist dabei geprägt von rungsgründe bei der Wirtschaft. polyzentralen Strukturen bei gleichzeitig hoher Wir brauchen umso dringender die Energiewende Dichte. Diese räumliche Struktur bietet eigentlich im Verkehrsbereich, denn hier hat sich in den letz- gute Voraussetzungen für einen umweltfreund- ten Jahren überhaupt nichts getan. Die marginalen lichen Verkehr mit Bussen und Bahnen sowie für Werte zur Reduzierung des Flottenverbrauchs bei den Fuß- und Radverkehr. Aktuell werden aber 53 den Kraftfahrzeugen werden in aller Regel durch Prozent aller Wege mit dem PKW zurückgelegt, das Verkehrswachstum überkompensiert. Neben ein im Vergleich mit anderen Metropolregionen einer vor allem qualitativen und punktuell auch relativ hoher Wert. Die Nutzung von Bussen und quantitativen Ausbauoffensive bei den Bussen 10 FORUM KOMMUNALPOLTIK 2 | 2017 g a r a k t u e l l
und Bahnen muss das Fahrrad für den Bereich der der letzten Jahrzehnte. Die Lobby der Autoindus- Nahmobilität zu einem vollwertigen Verkehrsträ- trie sorgt auf der europäischen Ebene für vollkom- ger in den Metropolregionen werden. Hier bieten men irreale Test- und Zulassungsverfahren und ein die technischen Möglichkeiten der Fahrräder mit großer deutscher Autokonzern betrügt dann auch Elektromotor bislang noch viel zu wenig beachte- noch bei diesen realitätsfernen Tests. te Potenziale, um einen klimaschonenden Verkehr Dies alles wird durch ein zahnloses Kraftfahrt- in Metropolen zu gestalten. Wenn im gesamten bundesamt sowie einen Bundesverkehrsminister Ruhrgebiet 87 Prozent aller Wege nach zehn Ki- gedeckt, dem die Gewinne der Autoindustrie nä- lometern enden, dann wird das Zukunftspotenzial herstehen als die Gesundheit der Bevölkerung. der Pedelecs oder E-Bikes für den Klimaschutz Unsere Behörden und Kontrollmechanismen ha- deutlich. Hierzu brauchen wir aber eine Ausbauof- ben bei diesem Skandal aus meiner Sicht voll- fensive für die passende Radverkehrsinfrastruktur. umfänglich versagt. Deshalb bin ich der Meinung, Bei dem immensen Nachholbedarf für die Fahr- dass wir jetzt nicht die Bürgerinnen und Bürger radinfrastruktur darf sich der Bund nicht weiter mit Fahrverboten bestrafen dürfen, die den Wer- verweigern und diese Aufgabe alleine den Ländern beversprechen der Autoindustrie geglaubt sowie und Kommunen überlassen. Für den Bereich des zusätzlich der Politik vertraut haben und sich mit überörtlichen Verkehrs kann sich der Bund nicht diesem Vertrauen ein vermeintlich umweltfreund- alleine auf den Bau und die Unterhaltung für die liches Auto gekauft haben. Zur wirksamen Redu- Straße und die Schiene beschränken. Insoweit zierung der Stickoxyd- und Feinstaub-Belastung geht der im letzten Jahr neu aufgelegte Bundes- in unseren Städten ist dringend ein inhaltlicher und verkehrswegeplan an den verkehrspolitischen Re- finanzieller Aktionsplan mit Maßnahmen und Zie- alitäten vorbei. Noch einmal werden zig Milliarden len für eine ökologische Verkehrswende notwen- Euro vor allem in den Ausbau der Straße investiert dig, mit dem Verantwortlichkeiten vom Bund über mit all seinen negativen Folgewirkungen für das die Länder bis hin zu den Kommunen zugeordnet Klima. und dann auch konsequent umgesetzt werden. Für das bundespolitische Versagen können nicht Zu Beginn des Jahres macht die Nachricht die Städte und Regionen alleine in die Verantwor- die Runde, dass einige Städte im Ruhrgebiet über tung genommen werden. Diesel-Fahrverbote wegen zu hoher Stickoxyd-Be- lastung nachdenken. Wie weit sind diese Überle- Nachhaltige Mobilität in den Städten scheint gungen inzwischen gediehen? nicht so sehr das Problem zu sein – viele Städte ha- ben in den letzten Jahren ihre Fahrradanteile erhöht Die Stickoxyd-Belastung in den Städten, die ne- und den öffentlichen Nahverkehr ausgebaut, auch ben der vorhandenen Hintergrundbelastung zu- solche, von denen man das nicht so direkt vermu- sätzlich durch den motorisierten Verkehr ganz tet. Eine weitaus größere Herausforderung ist nach- erheblich zur Gesundheitsbelastung wird, ist für haltige Mobilität in der Region, denn hier sind die mich zuerst einmal das größte politische Versagen Strecken weiter und der schnelle Rückgriff aufs Auto FORUM KOMMUNALPOLTIK 2 | 2017 11
Ruhr damit landesgesetzlich in die Lage versetzt wurde, sich mit dem Thema aus Sicht der Gesamt- region zu beschäftigen und dies im Rahmen seiner Verbandsumlage zu finanzieren. Aktuell erarbeiten wir intensiv ein Mobilitätskon- zept für die Gesamtregion. Unter dem Oberbe- griff „Die vernetzte Metropole Ruhr“ sind ver- kehrsträgerübergreifend Leitsätze und jeweils dazugehörige Handlungsansätze und messbare scheint naheliegender. Warum ist es so wichtig, Mo- Ziele beschrieben und bereits beschlossen wor- bilität regional zu betrachten? den. Die Kerninhalte sind: nach Außen vernetzte Metropole Ruhr, die in sich vernetzte Metropole, Jede einzelne Stadt ist damit überfordert einerseits der starke Wirtschaftsstandort, die raumdifferen- die Mobilität für die Menschen und die Wirtschaft zierte Mobilität, der umwelt- und stadtverträgliche zu sichern und andererseits wirksame Lösungen Verkehr sowie eine Mobilität für Alle. Aktuell sind für die Treibhausgas-Emissionen, die Feinstaub- hierzu noch die entsprechenden Maßnahmen und und die Stickoxyd-Belastungen des Verkehrs in- Beispielprojekte zu entwickeln. In diesem Zusam- nerhalb der kommunalen Grenzen zu finden. Die menhang ist von Bedeutung, dass sich in den Mobilität der Menschen und der Transport von Gü- Jahren 2012/2013 das Ruhrgebiet als Gesamtre- tern endet doch nicht an den jeweiligen Stadtgren- gion darum bemüht hat, sich bei der Europäischen zen. Die bundesdeutsche Planungspraxis blendet Kommission als Grüne Hauptstadt Europas zu be- aber die regionale Ebene weitgehend aus. werben. Bekanntlich ist am Ende die Stadt Essen Nach meiner Wahrnehmung wird in Deutschland in „European Green Capital“ im Jahr 2017 geworden. der Region Stuttgart und in der Region Hannover Seinerzeit hatte sich die Region mit den Unter- durch die dort vorhandenen Regionalverbände das schriften von allen 15 Oberbürgermeisterinnen Thema Mobilität durch eine integrierte Regional- und Oberbürgermeistern sowie den Landräten da- entwicklung betrachtet. Beide Verbände steuern rauf verständigt, langfristig einen Modal-Split von durch die Regionalplanung die Entwicklung der 25:25:25:25 als Zielwert für das Jahr 2035 umzu- Siedlungs- und Gewerbeflächen und verantworten setzen. Bis zum Jahr 2020 sollte hiernach der An- gleichzeitig die Planung und die Finanzierung der teil in öffentlichen Verkehrsmitteln von aktuell 16 öffentlichen Verkehrsmittel. Prozent auf 20 Prozent erhöht und der Anteil des In beiden Regionen findet eine integrierte Sied- Radverkehrs von aktuell 8 Prozent auf dann 16 lungs- und Verkehrsentwicklung auf der regionalen Prozent verdoppelt werden. Bei der Definition der Ebene aus einem Guss statt. Für den Regionalver- Zielwerte für den Radverkehr spielte unser ausge- band Ruhr werde ich erstmals in NRW im Rahmen bautes regionales Radwegenetz mit aktuell rund der Regionalplanung ein regionales, also über- 700 Kilometer Länge und die bereits laufenden örtliches Radwegenetz planerisch darstellen und Planungen für den Radschnellweg Ruhr eine ganz sichern. Ich denke, solchen regionalen Koopera- wesentliche Rolle. tionsmodellen gehört die Zukunft, um die Mobilität und den daraus resultierenden Verkehr stadt- und Der Radschnellweg Ruhr ist das größte Fahr- regionalverträglich zu gestalten. radprojekt Deutschlands. War es schwierig, poli- tische Entscheider*innen und Bürger*innen von der Welches sind die wesentlichen Stellschrau- Sinnhaftigkeit des Projektes zu überzeugen? Was ben für nachhaltige Mobilität im Ruhrgebiet? Welche war die größte Hürde? Was verhalf dem Projekt zum Rolle spielen dabei der Radverkehr und welche der Durchbruch? ÖPNV-Ausbau? Welche Art ÖPNV soll ausgebaut werden? Welche Rolle soll das Carsharing spielen? Die Projektidee für den Radschnellweg Ruhr ist bei dem Projekt „Stillleben“ im Rahmen der europä- Der Landtag von NRW hat im Jahr 2015 das Pro- ischen Kulturhauptstadt im Jahr 2010 entstanden. blem erkannt und dem Regionalverband Ruhr ge- Bei der Sperrung der A 40 im Sommer 2010 haben setzlich die Aufgabe übertragen, das Thema regi- rund drei Millionen Menschen aus dem sogenann- onale Mobilität zu bearbeiten. Dies war insoweit ten „Ruhrschnellweg“ einen urbanen Stadtboule- ein bedeutender Schritt, weil der Regionalverband vard gemacht. Ich selbst bin an diesem Tag mit 12 FORUM KOMMUNALPOLTIK 2 | 2017 g a r a k t u e l l
dem Fahrrad von Essen bis Dortmund gefahren gesichts der existierenden Verkehrsprobleme noch und habe zum ersten Mal in meinen Leben dreimal leisten, den Radschnellweg nicht zu bauen? Mit im Fahrradstau gestanden. Als wir beim Regional- der Änderung des Straßen- und Wegegesetzes ist verband Ruhr die Idee für den Radschnellweg ent- seit Ende 2016 der Bau von Radschnellwegen in wickelt haben, fanden wir schnell und sehr unbü- NRW mittlerweile Aufgabe des Landes geworden. rokratisch große Unterstützung sowohl innerhalb Radschnellwege sind in NRW hinsichtlich dem der Region, aber auch im Landesverkehrsministe- Bau und dem Unterhalt den Landesstraßen gleich- rium. Die rot-grüne Landesregierung hatte wenige gestellt. Und ab dem Jahr 2017 stehen im Etat Wochen zuvor den „Aktionsplan Nahmobilität“ des Bundesverkehrsministers für den Bau von Ra- verabschiedet, in dem sich die Idee für den Ra- dschnellwegen bundesweit pro Jahr 25 Millionen dschnellweg hervorragend einfügte. Euro Investitionsmittel zur Verfügung. Dies alles Nachdem die erste Konzeptstudie durch die Ver- wäre ohne die Projektidee für den Radschnellweg bandsversammlung beim Regionalverband Ruhr Ruhr in dieser Geschwindigkeit wahrscheinlich mit breiter Mehrheit Zustimmung gefunden hatte, nicht so schnell eingetreten. Auf jeden Fall wird konnte auf dieser Basis die umfassende Machbar- der Radschnellweg Ruhr in den nächsten Jahren keitsstudie mit Förderung durch das Bundesver- verkehrspolitische Realität. kehrsministerium beauftragt werden. Das Ergebnis ist bekannt: Der Radschnellweg Ruhr ist machbar! Was sind für Sie die wesentlichen Argumente Mit der ersten volkswirtschaftlichen Rechnung für eine Verkehrswende in Deutschland? für ein Radverkehrsprojekt und einem Nutzen- Kosten-Faktor von 4,8 konnte der Gewinn für das Wenn die Bundesrepublik Deutschland die inter- Ruhrgebiet durch den Radschnellweg Ruhr belegt national eingegangenen Ziele für den Klimaschutz werden. erreichen will, dann wird der Verkehrsbereich hier- Der volkswirtschaftliche Gewinn entwickelte die zu noch einen erheblichen Beitrag leisten müssen. notwendige Argumentationskraft für den erfolg- Dies ist die politische Verantwortung aller Ent- reichen Durchbruch des Projektes. Die große scheidungsträger über alle Ebenen hinweg. Aus Stärke dieses Projektes war zudem, dass sich die meiner Erfahrung werden die Menschen diesen Gesamtregion geschlossen und mit einer einheit- Weg auch mitgehen, wenn dies mit einem quali- lichen Stimme zu diesem Projekt bekannt hat. Die tativen und quantitativen Ausbau der notwendi- internationale Strahlkraft des Radschnellweges gen Infrastruktur umgesetzt wird. Urbane Mobilität Ruhr resultiert aus seiner Länge von 100 Kilome- braucht eine Infrastrukturoffensive für das Fahr- tern und den damit verbundenen Baukosten von rad, wie das Beispiel der Stadt Kopenhagen zeigt. 180 Millionen Euro. Regionale und nationale Mobilität zwischen den Ich bin immer wieder gefragt worden, ob das Ruhr- Städten und den Metropolen braucht leistungs- gebiet nichts Besseres zu tun habe als 180 Millio- fähige öffentliche Verkehrsmittel – als Elektromo- nen Euro in einen Radweg zu investieren. Meine bilität, die nicht erst morgen, sondern heute und Antwort hierauf war: Wie können wir es uns an- schon jetzt funktioniert. FORUM KOMMUNALPOLTIK 2 | 2017 13
GRÜNKOM e.V. Ein Fachverband, der’s in sich hat GRÜNKOM e.V. wurde 1999 als Verband bünd- nen ist fester Bestandteil der Arbeit. Regelmäßig nisgrüner kommunaler Wahlbeamtinnen und stellt die Fraktionsspitze der Bundestagsfraktion Wahlbeamten e.V. gegründet. Vereinszweck ist von Bündnis 90/Die GRÜNEN ihre konzeptionellen die Förderung der kommunalen Selbstverwaltung kommunalrelevanten Strategien und Konzepte vor. sowie der Stellung und Funktion der kommunalen Natürlich ist die kritische Auseinandersetzung mit Wahlbeamt*innen. Unser kommunaler Fachver- den kommunalen Hauptamtler*innen eine wichtige band bietet den gewählten grünen und grünnahen Ressource für die Arbeit der Partei auf Bundes- Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, Beige- ebene: außerhalb der üblichen Parteistrukturen ordneten und hauptamtlichen Stadträt*innen als und in wesentlich breiterem Umfang können die Vertretung bündnisgrüner und grünnaher Politik Anliegen großer und kleiner Städte, von Stadt und ein politisches Forum zur Meinungsbildung. Mit Land, unter verschiedenen Perspektiven europä- seiner Tätigkeit zielt der Verein auf die gesetzge- isch, regional und urban, einbezogen werden. benden Körperschaften in Bund und Ländern bei der Vorbereitung und Ausarbeitung einschlägiger STRATEGISCHER AUSTAUSCH Gesetzesvorhaben und Rechtsverordnungen, GRÜNKOM e.V. bietet seinen Mitgliedern die Mög- durch die Gemeinden und Städte mittelbar oder lichkeit, sich zu den für die strategische Arbeit vor unmittelbar betroffen sind. Ort relevanten Fragen auszutauschen – zwischen Regionen, zwischen Stadt und Land, zwischen GRÜNE IN VERANTWORTUNG urbanen Zentren, zwischen den Ebenen. Informa- Heute stellen die GRÜNEN zahlreiche Hauptver- tionen aus den kommunalen Spitzenverbänden, waltungsbeamten, Oberbürgermeister*innen und Informationen aus Ländern mit grüner Regierungs- Bürgermeister*innen in Städten aller Größenklas- beteiligung werden einbezogen. Strategische sen und in verschiedenen Bundesländern – so- Stadtentwicklung, Infrastrukturentwicklung und gar zwei Landräte. GRÜNKOM e.V. gehören über -finanzierung, nachhaltige Bildungspolitik für 100 Mitglieder an. Sie tragen Verantwortung als Kommunen, nachhaltige Verkehrskonzepte, Wirt- Dezernent*innen in den verschiedensten Be- schaftsförderung und „green new deal“, Kohleaus- reichen: Soziales, Schule, Umwelt, Wirtschaft stieg und kommunale Beteiligungen, kommunale ebenso wie Liegenschaften, Finanzen, Stadtent- Gesundheitspolitik und der GRÜNE Wohlstands- wicklung oder Verkehr. GRÜNE Stimmen sind bericht werden uns als Themen auch weiterhin wichtig bei der Besetzung von Spitzenpersonal begleiten. Die Sicherheit in den Städten, die Nach- der Kommunalen Unternehmen. Dem Präsidi- haltigkeitsstrategie der Bundesregierung und ihre um des Deutschen Städtetags gehören mehrere Folgen für Stadtstrategien, den digitalen Wandel GRÜNE Hauptverwaltungsbeamte, darunter ei- in der Daseinsvorsorge und seine Auswirkungen ner als Vizepräsident, an. Last, but not least - in auf die öffentlich verantwortete Daseinsvorsorge der Kommunal-Arbeitsgruppe des Deutschen in den Städten mit ihren Beteiligungen werden Rats für Nachhaltigkeit tragen grüne Oberbürger- hinzutreten. Neben externen Expert*innen stützen meister und Beigeordnete zur Berücksichtigung wir uns auf die Expertise unserer Mitglieder. Erstre- kommunaler Einschätzungen bei der Entwicklung benswert ist, die Ergebnisse auch ausarbeiten zu der Nachhaltigkeitsstrategie bei. In den letzten können – aber das sprengt unsere ehrenamtlichen Jahren standen Strategien und Instrumente einer Strukturen - vielleicht künftig als Projekt mit Koo- nachhaltigen Kommunalpolitik sowie der Erfah- perationspartnern? rungsaustausch der Mitglieder aus den jeweiligen Gabriele C. Klug Fachperspektiven im Mittelpunkt, Input von exter- Vorsitzende Grünkom e.V. nen Fachleuten und Fachpolitiker*innen aller Ebe- Stadtkämmerin der Stadt Köln 14 FORUM KOMMUNALPOLTIK 2 | 2017 g a r a k t u e l l
Rechtspopulismus „One of the key problems today is that politics land Mandate für das Europaparlament und in zwölf is such a disgrace. Good people don’t go into Landesparlamenten zu erringen. Es ist davon auszu- government.“ gehen, dass sie in diesem Jahr auch in den Bundes- tag einziehen wird. Dass Rechtspopulismus nichts Lapidar teilte Donald J. Trump am 10.08.2016 über anderes als Menschenfeindlichkeit ist, erklärt An- den Kurznachrichtendienst Twitter mit, was er von ge- dreas Zick vom Institut für Konflikt- und Gewaltfor- wählten Politiker*innen hält. Rechtspopulisten wie der schung in Bielefeld im Interview. Um die im rechten amtierende US-Präsident gehen davon aus, dass die Populismus liegende Gefahr für Kommunen deutlich Gesellschaft in zwei homogene Gruppen getrennt ist. zu machen, analysiert Didem Ozan beispielhaft Aus- Dem „reinen“ Volk steht eine korrupte Elite gegenüber, sagen der AfD in ihrem Grundsatzprogramm und das amoralisch, im Kern verdorben. Das ist kein neues Verhalten von AfD-Ratsvertreter*innen in Sitzungen. Phänomen, ebensowenig wie es eine neu in Europa Wie sie Betroffenen rechtsextremer und rassistischer auftretende Tendenz ist, man denke nur an Silvio Ber- Gewalt zur Seite stehen, erklären Franca Ziboworius lusconi, der seine Forza Italia 1993 gründete. Doch und Alexander Sherko Kejo von der „Back up – Op- mit der „Alternative für Deutschland“ scheint hier im ferberatung“ in Dortmund. Zum Abschluss stellt Julia Land eine Zeitenwende erreicht: Erstmals schafft es Rombeck das vielbeachtete Programm „Schule ohne eine rechtspopulistische Partei dauerhaft, in Deutsch- Rassismus - Schule mit Courage“ vor. f or um FORUM KOMMUNALPOLTIK 2 | 2017 15
Prof. Andreas Zick im FORUM Ausgrenzung und Gegenstrategien „Rechtspopulismus ist ein Container menschenfeindlicher Vorurteile“ Nachdem die neuen Rechten wie die AfD zum Ärgernis fast aller Kommunalpolitiker*innen in die Stadträte eingezogen sind, brachte die Landtagswahl auch den Einzug der AfD in das NRW-Parlament. Eines ist sicher: Der politische Ton wird rauer werden. Auf der anderen Seite haben wir gerade in NRW ernsthafte Probleme mit einem sich radikalisierenden Islam. Über Gründe und Lösungsansätze haben wir Andreas Zick vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung in Bielefeld befragt. Das Institut beschäftigt sich mit gesellschaftlichen Phänomenen wie Ausgrenzung. Herr Zick, seit 2002 untersuchen Vorurteile. Mit einem groben Blick sehen als Fremdgruppen für Menschen an und Sie gruppenbezogene Menschenfeindlich- wir, dass dort, wo Menschen positive ihre Abwertung suggeriert Höherwertigkeit keit. Sie haben festgestellt, dass negative Erfahrungen mit Gruppen machen, und Bindung an Gesellschaft. Arbeitslose Meinungen über bestimmte Gruppen eher gegenüber denen Vorurteile bestehen, werden als schwache, belastende rückläufig sind. Wir denken beispielsweise wo eine starke Zivilgesellschaft ist, die Gruppe stigmatisiert, die selbst über Menschen mit Behinderungen oder Zivilcourage und Solidarität beherrscht schuld sind. Vorurteile gegenüber mit homosexuellen Orientierungen weniger und wo Rechte die Gleichstellung von dem Islam und Muslimen sind enorm schlecht. Andererseits ist die Feindschaft identitätsbildend, insbesondere für gegenüber dem Islam und Muslimen ge- jene, die sich national identifizieren. In stiegen (19 %, Geflüchtete 50 %). Ähnlich Europa ist die Ablehnung des Islam für hoch ist der Wert bei langzeitarbeitslosen „Die Anstiege und viele Menschen identitätsbildend. Für Menschen. Wie erklären Sie sich das? Rückgänge von rechtspopulistische wie rechtsextreme Macht Ihnen das Sorgen? menschenfeindlichen Gruppen ist das Feindbild Islam Vorurteilen sind nie wichtig für die Zugehörigkeit. Vorurteile Andreas Zick Die Anstiege und einfach zu erklären.“ gegenüber Geflüchteten – die im Übrigen Rückgänge von menschenfeindlichen zwischen 2014 und 2016 in unserer Mitte- Vorurteilen sind nie einfach zu erklären. Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung Albert Einstein wird ja oft zitiert mit signifikant gestiegen sind – sind dagegen dem Ausspruch, es sei schwieriger Gruppen stärken, gehen Vorurteile zurück. bei Menschen verbreitet, die Migration ein Vorurteil zu zertrümmern als ein Wo gesellschaftliche Gruppen oder sogar und Vielfalt als Bedrohung wahrnehmen Atom. Um ein Atom zu zertrümmern, Länder ihre Identität aus der Höher- und meinen, die Fluchtbewegung wäre müssen sie es verstehen. Sie müssen und Minderwertigkeit von Gruppen nicht zu bewältigen. Fasst man die den Kern bestimmen, die Kräfte, die bestimmen, sind die Abwertungen stabil Befunde vereinfachend zusammen, dort wirken. Das Vorurteil hat viele oder steigen. Sie haben Arbeitslose und dann wird deutlich: Wo Normen die Kerne, es ist wandelbar, verändert sich Muslime genannt. Tatsächlich sind hier menschenfeindlichen Vorurteile, je nach Zeitgeist und die Bearbeitung die menschenfeindlichen Vorurteile stabil. Stereotype und rassistischen Ideologien der Ursachen führt nicht einfach zum Sie steigen seit 2014 sogar mit Blick auf nicht bremsen, wo Feindseligkeit Verschwinden der menschenfeindlichen Geflüchtete. Alle drei Gruppen bieten sich Zugehörigkeit, Einfluss, eine Ideologie zur 16 FORUM KOMMUNALPOLTIK 2 | 2017 f o r u m
Welterklärung, Selbstwert und Vertrauen Umwelt die Abwertung von anderen die AZ Diskriminierungserfahrungen hängen herstellen, nehmen sie zu. eigene Bindung an Gruppen stärkt, das mit Radikalisierung zusammen, aber das Vorurteil einen Vorteil bietet, wir uns da- ist kein einfacher kausaler Prozess. Viel Sind wir eine Gesellschaft, der die durch aufwerten und wir nicht gebremst mehr Menschen fühlen sich als minder- Ausgrenzung von Menschen, wie sie auch werden. Wir werten auch ab, wenn ande- wertig behandelt und radikalisieren sich Teil des Programms rechtspopulistischer re uns nicht abhalten. Es fällt uns teilwei- nicht, als junge Menschen in radikalen Parteien ist, leicht fällt? Und wenn ja, wa- se aber heute auch viel schwerer abzu- Gruppen abtauchen. Die Diskriminie- rum tun wir das? werten. Auch Rechtspopulisten wissen, rungserfahrung befeuert und beschleu- dass man mit banalem Rassismus nur nigt Radikalisierung. Propagandisten AZ Das ist eine interessante Frage, die in Teilen Zuspruch gewinnen kann. Die spielen mit ihr, indem sie junge Menschen nicht einfach zu beantworten ist, weil Gesellschaft wertet Menschen mit Behin- darauf verweisen und sie in den Zustand Sie fragen, ob es uns leichtfällt. Es fällt derungen nicht mehr so leicht ab, wie es der Ohnmacht versetzen. Es wäre aber uns leicht, an negative Stereotype über früher der Fall war. Insofern fällt es Men- nicht sinnvoll, einfach anzunehmen, dass alle möglichen Gruppen zu denken. Wir schen da leichter abzuwerten, wo Zivili- eine Aufhebung der Diskriminierung die wissen um die negativen Stereotype sationskräfte nicht wirken. Radikalisierung bremst. Es hilft, aber über Asylsuchende, Geflüchtete, Mus- dazu kommen noch Ungerechtigkeitser- lime, Afro-Deutsche, Frauen und viele fahrungen, der Reiz radikaler Identitäten andere Gruppen, die ungleichwertig be- und viele andere Faktoren, wie der sozi- urteilt werden. Es fällt uns leicht, sie zu „Auch Rechtspopulisten ale Druck in radikalen Gruppen. Diskri- äußern, wenn sie nicht durch die Umwelt wissen, dass man mit minierung ist auch ohne die Kenntnisse, gebremst werden. Es fällt uns leicht, An- banalem Rassismus dass sie in Propaganda aufgegriffen wird, erkennung und Wertschätzung vorzuent- nur in Teilen Zuspruch schädigend. halten. Auch gebildeten Menschen fällt gewinnen kann.“ es leicht, andere subtil auszugrenzen, in- Was denken Sie über den Aufwind dem sie Gruppen etwas vorenthalten. Es der Populisten und Rechten in Europa? scheint vielen Bürgerinnen und Bürgern Was gibt es für Gegenreaktionen der Wohin kann uns das führen? leicht zu fallen, Gruppen anzupöbeln, sie Ausgegrenzten? Wird die islamistische Ra- anzugreifen. Die vorurteilsbasierten Has- dikalisierung deutscher Jugendlicher nicht AZ Das beantwortet sich am besten, staten haben ein enormes Ausmaß ange- durch unsere ausgrenzende Gesellschaft wenn Sie das Programm populistischer kommen. Wir werten ab, wenn in unserer befeuert? Parteien lesen, oder wenn Sie verfolgen, f or um FORUM KOMMUNALPOLTIK 2 | 2017 17
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