Rechtssicherheit und Fairness bei Grundsicherung nötig Diakonie-Umfrage ergibt: SGB-II-Rechtsansprüche regelmäßig nicht umgesetzt - Diakonie Texte ...

 
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Diakonie Texte | Positionspapier | 05.2012

Rechtssicherheit und Fairness
bei Grundsicherung nötig
Diakonie-Umfrage ergibt:
SGB-II-Rechtsansprüche regelmäßig
nicht umgesetzt

Diakonie für Menschen
in Not

Juni 2012
2   Diakonie Texte 05.2012   Inhalt

Inhalt

3   Vorwort

4   Einführung

5  Befragungsergebnisse
5   1. Die Befragungsergebnisse im Überblick
7   2. Organisation: Reform der Jobcenter und Steuerung
7   3. Arbeitsmarktintegration
9   4. Stellung der Betroffenen, Leistungsgewährung und Servicequalität
12  5. Zielgruppenorientierung
15  6. Zusätzliche materielle Bedarfe
19  7. Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes
22  8. Anrechnung von familienpolitischen Leistungen und Erwerbseinkommen
25  9. Wohnen
29 10. Sanktionen
32 11. Dauerhafte Unterschreitung des Existenzminimums

34 Das verfassungsmäßige Recht auf Sicherung des Existenzminimums

36 Überblick: Analysen und Forderungen der Diakonie zum SGB II

37 Notizen

38 Notizen

39 Impressum
Vorwort   Diakonie Texte 05.2012   3

Vorwort

Jeder Mensch hat einen verfassungsrechtlich garantierten         Das Diakonische Werk der EKD hat in einer bundesweiten
Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Exis-         Umfrage die Erfahrungen aus 110 Beratungsstellen zusam-
tenzminimums. Seinem wegweisenden Urteil vom 9. Februar          mengetragen. Es zeigt sich, dass nicht nur die willkürlichen
2010 hat das Bundesverfassungsgericht dies zugrundegelegt        Abschläge bei der Ermittlung des Regelsatzes 2010 zu einer
und festgestellt, dass die Regeleistungen des SGB II nicht       dauerhaften Unterschreitung des Existenzminimums führen.
verfassungskonform sind. Ein umfangreiches gesetzgebe-           Auch der Regelsatz sowie die Ansprüche auf einmalige oder
risches Handeln wurde notwendig. Die Diakonie hat diesen         personenbezogene Leistungen sind für viele Leistungsberech-
Gesetzgebungsprozess kritisch begleitet und immer wieder         tigte nicht gesichert. Das gilt ebenso für eine gute Beratung
deutlich gemacht, dass die Ermittlung des Regelsatzes wie-       in den Jobcentern oder die Einlösung persönlicher Integrati-
derum weder ausreichend transparent, noch sach- und reali-       onsansprüche etwa durch Fördermaßnahmen oder zielgrup-
tätsgerecht erfolgt ist.                                         penspezifische Ansprache. Diese Situation hat sich durch
                                                                 viele Rechtsänderungen in 2010/11 verschärft, die mit der
Aber nicht nur der Regelsatz ist Gegenstand der Kritik, es       Neubemessung der Regelsätze und dem Bildungs- und Teil-
gibt viele weitere Mängel. Beratende in den Jobcentern sind      habepaket am 30. März 2011 in Kraft traten.
kaum erreichbar, die Bescheide über die Leistung sind unver-
ständlich, junge Erwachsene unter 25 Jahren werden gegän-        Die vorliegende Veröffentlichung gibt für die Betroffenen, die
gelt und aus dem Leistungsbezug gedrängt, Sanktionen             Beratenden und für die politischen Entscheidungsträger einen
erfolgen pauschal und ohne nachträgliche Änderungsmög-           konzentrierten Überblick über die Praxiserfahrungen der dia-
lichkeiten, das Bildungs- und Teilhabepaket erreicht die Leis-   konischen Beratungsstellen, aber auch über die Anforderun-
tungsberechtigten nicht und bezahlbarer Wohnraum steht           gen der Diakonie an eine menschenwürdige soziale Grund-
nicht ausreichend zur Verfügung.                                 sicherung in Deutschland. Aus Sicht der Diakonie ist das
                                                                 SGB II – und seine Umsetzung in der Praxis – ein Prüfstein
Das Recht auf ein soziokulturelles Existenzminimum, auf Teil-    für eine sozial gerechte, solidarische und inklusive Gesell-
habe am sozialen, kulturellen und politischen Leben ist aber     schaft. Wir wollen im Interesse derjenigen, die auf SGB-II-
unverfügbar und muss voll umgesetzt werden. Es ist nicht         Leistungen angewiesen sind, einen Beitrag zu seiner Weiter-
hinnehmbar, wenn Menschen in Deutschland jeden Tag aufs          entwicklung leisten.
Neue um Lebensmittel, Kleidung, ein Dach über dem Kopf
kämpfen müssen und Armut und soziale Ausgrenzung ihren
Alltag bestimmen. Die Hauptleidtragenden sind die Kinder,        Oberkirchenrat
die so in Armut, beständiger Sorge und Perspektivlosigkeit       Johannes Stockmeier            Maria Loheide
heranwachsen müssen.                                             Präsident                      Vorstand Sozialpolitik
4   Diakonie Texte 05.2012   Einführung

Einführung

Von Mai bis November 2011 befragte das Diakonische Werk       und Rechtsansprüche nicht gewährt werden. Die durchge-
der EKD 110 Beratungsstellen bundesweit – in qualitativen     führte qualitative Erhebung erlaubt es, ein differenziertes Bild
Experteninterviews mit den Beratenden – nach ihren Erfah-     dieser Rechtsverstöße zu zeichnen und Wege aufzuzeigen,
rungen mit der Leistungsgewährung nach dem SGB II (Arbeits-   wie Rechtssicherheit und Existenzsicherung hergestellt wer-
losengeld II / „Hartz IV“). Die Befragungsergebnisse wurden   den können.
im Frühjahr 2012 nach Rückmeldungen aus den Landesver-
bänden aktualisiert. Anlass dieser Befragung war das vom      Die Diakonie fordert die Verantwortlichen auf, dafür zu sor-
Bundesverfassungsgericht am 9. Februar 2010 bestätigte        gen, dass die Rechtsansprüche tatsächlich individuell einge-
verfassungsmäßige Recht des Einzelnen auf Sicherung des       löst werden. Sie macht vor dem Hintergrund ihrer Praxiser-
Existenzminimums. Ausgehend von diesem Urteil geht die        fahrungen umfassende Vorschläge, welche Voraussetzungen
Diakonie davon aus, dass ein solches Recht in jedem Fall      dafür geschaffen werden müssen. Der vorliegende Bericht
umgesetzt werden muss. Es ist nicht hinnehmbar, wenn in       fasst die Ergebnisse der Befragung und die Forderungen der
zahllosen Einzelfällen das Existenzminimum unterschritten     Diakonie zusammen.
Befragungsergebnisse   Diakonie Texte 05.2012   5

Befragungsergebnisse

1. Die Befragungsergebnisse im Überblick                        So zahlt ein großer Teil der Leistungsberechtigten aus dem
                                                                Regelsatz zu den Kosten der Unterkunft hinzu, weil der Woh-
Mängel bei Beratung, Betreuung und Angeboten zur                nungsmarkt keinen Wohnraum unterhalb der Mietrichtwerte
sozialen Integration                                            hergibt. Einmalige Bedarfe wie Kühlschrank oder Wasch-
                                                                maschine sind weder im Regelsatz enthalten, noch werden
Einsparungen bei den arbeitsmarktpolitischen Leistungen         sie gesondert erstattet. Darlehen werden restriktiv gewährt
gehen zu Lasten Langzeiterwerbsloser mit besonderen Inte-       und mit 10 Prozent vom Regelsatz abgezogen. Vorhandene
grationsbedarfen.                                               Rechtsansprüche – wie auf Wohnungsausstattung, medi-
                                                                zinische Hilfsmittel oder Haushaltsgeräte – werden kaum
Beratende sind nur zum Teil fachlich für ihre Aufgaben aus-     umgesetzt. Im Falle von Strom- und Gassperren erfahren die
gebildet. Es gibt kaum eine persönliche oder telefonische       meisten Leistungsberechtigten keine Hilfe, auch wenn Nach-
Erreichbarkeit von Vermittelnden, der Leistungsabteilung        forderungen sich aus veralteten und verbrauchsintensiven
oder der Fallmanagerinnen und Fallmanager für die Leis-         technischen Geräten oder schlecht isolierten Wohnungen
tungsberechtigten. Persönliche Ansprechpartner sind zwar        erklären.
in der Regel vorgesehen, de facto wechseln sie aber häufig.
Rückrufe erfolgen selten und unzuverlässig. Die langen Warte-   Kautionsdarlehen werden entweder gar nicht gewährt oder in
zeiten während der Sprechzeiten können auch für Schwan-         Raten vom Regelsatz abgezogen, was zu einer dauerhaften
gere, chronisch Kranke und Alleinerziehende in Begleitung       Unterschreitung der Regelsätze führt. Übersteigt die Miete
von Kindern nicht abgekürzt werden.                             die Mietrichtwerte, wird auch die Kaution nicht übernommen.

Als großes Problem gilt, dass die Bescheide weder für die       Leistungsberechtigten, die hinzuverdienen, wird zunächst die
Leistungsberechtigten verständlich sind, noch durch Bera-       Leistung gekürzt, bis zu einem späteren Zeitpunkt die korrekte
tungsstellen ohne größeren Aufwand nachvollzogen werden         Einkommensanrechnung erfolgt. Familienpolitische Leistungen
können. In vielen Fällen werden Rechtsansprüche vorenthalten.   wie Kindergeld und Elterngeld werden angerechnet, bevor es
                                                                zu ihrer Auszahlung kommt.
In den Jobcentern gibt es kaum zielgruppenspezifische Ange-
bote etwa für Migrantinnen und Migranten, Alleinerziehende,     Die folgenden Bedarfe werden regelmäßig nicht gedeckt:
Kranke oder Wohnungslose.
                                                                 Mobilitätskosten: Monatsticket für den öffentlichen Nah-
Sanktionen werden ohne Rücksicht auf die persönliche Situ-        verkehr, Autoreparatur- und Versicherungskosten
ation der Betroffenen verhängt. Die Tatsache, dass etliche
Menschen aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten den Schrift-      Führerschein, um Arbeitsmarktchancen zu verbessern
wechsel mit dem Jobcenter nicht nachvollziehen können, wird
ignoriert. An vielen Orten gehen die Jobcenter bei Sanktionen    Fahrtkosten zum Jobcenter
rigide vor und bieten nicht einmal Lebensmittelgutscheine.
                                                                 Besondere Schwangerschaftsbedarfe, Gesundheitskosten,
Existenzminimum regelmäßig unterschritten                         Verhütungsmittel

Das im SGB II in Regelsätzen festgelegte Existenzminimum         Reparaturen / Wiederbeschaffung von Elektrogroßgeräten,
wird bei der Leistungsgewährung regelmäßig unterschritten.        Möbel, Einrichtungsgegenstände
6    Diakonie Texte 05.2012   Befragungsergebnisse

 Jahreszeitengemäße Bekleidung für Kinder im Wachstum             Für Familien kommt es immer wieder zu Engpässen, wenn
                                                                   Kinder schneller als in den Regelsätzen vorgesehen wachsen
   Kindergartenkleidung (zweites Paar Hausschuhe, zweites         und zusätzliche Bedarfe entstehen. Wenn ein Geschwister-
      Paar Gummistiefel und Ähnliches)                             kind geboren wird, werden die Kosten für die Erstausstattung
                                                                   oft mit Verweis auf die bereits für das ältere Kind geleistete
   Anschaffungen von neuen Betten für Kinder, die aus dem         Erstausstattung nicht übernommen, auch wenn diese durch
      Babybett herausgewachsen sind                                Verschleiß nicht mehr verfügbar ist.

   Mehrkosten wie Windeln bei Kleinkindern                        Die scharfe Sanktionierung von unter 25-Jährigen sowie die
                                                                   Pflicht, bei den Eltern wohnen zu bleiben, befördert in sehr
   Schulische Bedarfe (finanzieller Rahmen durch Bildungs-        vielen Fällen Wohnungslosigkeit und führt zur Ablehnung von
      und Teilhabepaket reicht nicht aus)                          Integrationsbemühungen durch die jungen Erwachsenen.

   Besonderer Bedarf bei Einschulung                              Kernforderungen der Diakonie:

   Lernförderung bei Bedarfen über Versetzungsgefährdung           Beschäftigung von sozialpädagogisch qualifizierten Fach-
      hinaus                                                         kräften in der Beratung.

   Winterbekleidung                                                dauerhafte und gut erreichbare Ansprechpartner für die
                                                                     Leistungsberechtigten.
   Umzugs- und Kautionskosten, Renovierungskosten, Nach-
      zahlungen für Strom und Gas                                   zielgruppenspezifische Ansätze bei Antragsstellung, Bera-
                                                                     tung und Integrationsleistungen.
   Gebühren bei Ämtern
                                                                    Berücksichtigung der besonderen Lebenslagen von
   Sprachkurse und -prüfungen                                       Frauen, Erziehenden und Alleinerziehenden.

   Umfassende Hilfen zur Entschuldung                              Der bei der Regelbedarfsermittlung festgelegte Regelsatz
                                                                     ist auch tatsächlich auszuzahlen.
  Besondere Bedarfe für Kinder, Familien, Schwangere
  und junge Erwachsene nicht gedeckt                                Differenzierung zwischen.
                                                                     a) dem allgemeinen Bedarf für alle Leistungsbezieherinnen
  Das Bildungs- und Teilhabepaket erreicht nur eine Minderheit          und -bezieher,
  der Leistungsberechtigten, da bis zu acht pro Kind erforder-       b) weiteren regelmäßigen personenbezogenen Bedarfen,
  liche Anträge mit unterschiedlichen Bewilligungszeiträumen         c) einmaligen Bedarfen, die nicht pauschalisiert gewähr-
  etwa für Familien mit mehreren Kindern eine kaum zu über-             leistet werden können.
  windende Hürde darstellen. Für Beiträge etwa bei Musik-
  schulen sind die angesetzten Beträge zu gering, zusätzliche       Vereinfachung des Bildungs- und Teilhabepakets: Beantra-
  Kosten wie Sportbekleidung oder Instrumente werden nicht           gung aller Leistungen mit dem Regelantrag, direkte Aus-
  übernommen.                                                        zahlung und Verwendungsnachweis durch die Leistungs-
                                                                     berechtigten.
  Besondere Bedarfe für Schwangere werden trotz Rechtsan-
  spruch oft nicht gewährt, Schwangere unter 25 Jahren trotz        Finanzierung von Ausrüstung wie Sportbekleidung bei
  eigenen Leistungsanspruchs auf Unterstützung durch ihre            Inanspruchnahme des Bildungspakets.
  Eltern verwiesen, ihre Anträge auf Regelleistungen oder ergän-
  zende Leistungen nach dem SGB II werden nicht entgegen-           Erstattung der tatsächlichen Wohnkosten in angemesse-
  genommen. Zusätzlicher Raumbedarf für das Kind wird bei            ner Höhe. Die Orientierung allein am Mietspiegel ist nicht
  Schwangeren oft noch nicht in die Wohnungsgröße einge-             mehr ausreichend, vielmehr müssen der tatsächlich
  rechnet, sodass angemessener Wohnraum nicht rechtzeitig            verfügbare Wohnraum und seine Kosten berücksichtigt
  angemietet werden kann.                                            werden.
Befragungsergebnisse   Diakonie Texte 05.2012   7

 Keine Anrechnung von Mietkautionen auf die Regelleistung.      In den Beiräten gibt es ein oder mehrere Vertreterinnen und
                                                                 Vertreter der Wohlfahrtsverbände, oft auch der Diakonie. An
 Neufassung der Regelbedarfsermittlung, bei der die unte-       verschiedenen Orten besteht zukünftig nur noch ein Sitz für
  ren 20 Prozent der Einkommen Bezugsgröße sind und              die Wohlfahrtsverbände oder diese werden gar nicht berück-
  ergänzende Plausibilitätsprüfungen zur Bedarfsdeckung          sichtigt. Oft sind Sitzungsfrequenz und erforderliche fachli-
  erfolgen.                                                      che Qualifikation der Teilnehmenden noch unklar. Die Mög-
                                                                 lichkeiten der Mitarbeit reichen vom Beiratsvorsitz bis dahin,
 Zurücknahme der Verschärfung der Sanktionen, umfas-            dass noch in keiner Weise klar ist, welche Auswirkungen die
  sende Evaluation der Sanktionspraxis und eine Zulassung        Arbeit des Beirates vor Ort hat. Die Beiräte fassen Empfeh-
  flexibler und angemessener Lösungen für den Einzelfall bei     lungen gegenüber der Geschäftsführung der Jobcenter,
  einer Neufassung.                                              ermöglichen die direkte Information der Wohlfahrtsverbände
                                                                 und machen auf Missstände aufmerksam. Die Mitarbeit von
 Sanktionierung in Höhe von maximal 30 Prozent des              Vertreterinnen und Vertretern der Diakonie in den Beiräten
  Regelsatzes.                                                   wird überwiegend positiv dargestellt, der direkte Einfluss
                                                                 aber als eher gering eingeschätzt.
 Ergänzende Sachleistungen bei Sanktionen, mindestens
  entsprechend zwei Drittel des Sanktionsbetrags.                Aus der Beratungspraxis:
                                                                  „Der Beirat wird seitens der Freien Wohlfahrtspflege vor
 Eine schrittweise, längerfristige, soziale und arbeitsmarkt-     allem genutzt, um wiederkehrende Probleme in der Umset-
  politische Integrationsstrategie und die Rücknahme von           zung des SGB II kritisch zu thematisieren. (…) In vielen Fäl-
  Kürzungen im Eingliederungsbudget.                               len konnte deutlich gemacht werden, dass es zwischen
                                                                   Vorstellungen der Leitungsebene über die Praxis und der
 Ausbau sozialversicherungspflichtiger öffentlich geförder-       Praxis selber Differenzen gibt. (…) Seitens der Beschäfti-
  ter Arbeit auf Basis von Mindeststandards.                       gungsträger gab es Tendenzen, die Gestaltungsmöglich-
                                                                   keiten des Beirats (und der Vertreter der Freien Wohlfahrts-
 Orientierung der Zumutbarkeit an einem gesetzlichen              pflege) zu überschätzen.“
  Mindestlohn in existenzsichernder Höhe.
                                                                  „Die Mitarbeit im Beirat hat die Rolle der Freien Wohlfahrts-
                                                                   pflege als Gegenüber des Jobcenters in vielen Belangen
2. Organisation: Reform der Jobcenter                              gestärkt.“
   und Steuerung
                                                                 Organisation und Steuerung:
Gemeinsame Einrichtungen und Beiräte                             Verbesserungsvorschläge der Diakonie

Durch die Reform der Trägerschaft wurden flächendeckend           Dezentrale, wohnortnahe Organisation der Jobcenter
Jobcenter als gemeinsame Einrichtungen eingerichtet, was
meist nur eine nominelle Änderung bestehender Strukturen          Verbindliche Klärung der Befugnisse und fachlichen Auf-
darstellt. Wo zuvor eine getrennte Aufgabenwahrnehmung             gaben der Beiräte
erfolgt war, bedeutet dies im Sinne der Leistungsberechtigten
eine große Erleichterung. An manchen Orten werden Stand-
orte zusammen gelegt, sodass für die Leistungsberechtigten       3. Arbeitsmarktintegration
längere Wege entstehen.
                                                                 Folgen der Kürzungen bei Eingliederungsleistungen
Aus der Beratungspraxis:
 „Nachteil wird sein, dass nur noch fünf Geschäftsstellen       Aufgrund von Kürzungen bei den Eingliederungsleistungen
  beziehungsweise Dienststellen bestehen. Für einige Regio-      sowie im Vorfeld der Umsetzung der Instrumentenreform
  nen bedeutet dies, dass Klienten für Anträge oder wahrzu-      berichten die diakonischen Träger von deutlichen Kürzungen
  nehmende Termine Fahrtstrecken von circa 30 bis 40 Kilo-       bei Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung –
  metern in Kauf nehmen müssen.“                                 nach § 16 des SGB II oder als Entgeltvariante, bei Leistungen
                                                                 zur Beschäftigungsförderung nach § 16 e – bei Bildungsgut-
8    Diakonie Texte 05.2012   Befragungsergebnisse

scheinen, Qualifikationsmaßnahmen, Zuschüssen für Bewer-           Modellprojekt Bürgerarbeit
bungsmaterialien und -fahrtkosten sowie Umschulungen. Vor
allem Qualifizierungsanteile oder regional fortgeführte Förder-    Das Modellprojekt Bürgerarbeit wird nur sehr zögerlich und
maßnahmen wie „Hilfe zur Arbeit“ für Leistungsberechtigte          mit mäßigen Erfolgen umgesetzt. Die Kriterien „Zusätzlich-
mit starken Vermittlungshemmnissen werden weiter reduziert.        keit“ und „im öffentlichen Interesse“ bremsen stark. Arbeits-
Dabei wurde gerade in solchen zielgruppenspezifischen Maß-         marktferne Leistungsberechtigte werden kaum berücksichtigt.
nahmen in Verbindung mit dem Einsatz von Fallmanagern
über gute Erfolge berichtet. Insgesamt erfolgt eine Verlage-       Aus der Beratungspraxis:
rung zu arbeitsmarktnahen Personen und jungen Erwach-               „Selbst die Arbeitsagentur in unserem Bereich zog eine
senen, seltener werden noch Schwerpunkte bei den über                „nüchterne Halbzeitbilanz“. (…) Problematisch sei das
50-Jährigen gesetzt. Gekürzt wird aber in allen Bereichen.           restriktive Prüfungsverfahren des Bundesverwaltungsamts
                                                                     im Hinblick auf Zusätzlichkeit und Gemeinnützigkeit. Außer-
Aus der Beratungspraxis:                                             dem fehlen Klienten, die für diese Tätigkeiten „geeignet“ sind.“
 „Erhalten blieben AGHs1 ohne sozialpädagogische Beglei-
    tung oder Qualifizierung bei den Kommunen, sowie länger-       Arbeitsmarktintegration: Verbesserungsvorschläge
    fristig angelegte Projekte, die mit Mitteln aus dem euro-      der Diakonie
    päischen Sozialfonds kofinanziert werden.“
                                                                    Rücknahme der Kürzungen bei den Eingliederungstiteln
 „Für einzelne Menschen bedeutet die Streichung der Maß-            SGB II und SGB III.
    nahmen nach § 16e SGB II eine besondere Härte. Nach
    der alten Regelung hätten diese Beschäftigungsverhält-          Ausbau sozialversicherungspflichtiger öffentlich geförder-
    nisse unbegrenzt verlängert werden können. Dies bedeu-           ter Arbeit auf Basis von Mindeststandards (Integration in
    tete für einige arbeitslose Menschen mit erheblichen Ver-        Sozialversicherung, Arbeitnehmerrechte und existenz-
    mittlungshemmnissen den Aufbau einer langfristigen beruf-        sicherndes Einkommen).
    lichen Chance.“
                                                                    Einführung des Passiv-Aktiv-Transfers zur Finanzierung
 „Die Verwaltung kann durch diese Situation weder neue              öffentlich geförderter Beschäftigung. Hierdurch können Trans-
    sinnvolle Maßnahmen umsetzen, noch kann sie die Anfra-           ferleistungen (Arbeitslosengeld II, Kosten der Unterkunft)
    gen der Ratsuchenden auf Fördermaßnahmen (zum Beispiel           in solche der Arbeitsförderung umgewidmet und begrenzt
    Weiterbildungsmaßnahmen, Führerschein) bewilligen.“              deckungsfähig zu aktiven Eingliederungsmitteln werden.

 „Entgeltvarianten wurden nur noch individuell für einzelne        Kleinschrittige soziale Integrationserfolge sind ebenso wie
    Personen bewilligt, zum Beispiel als Vorschaltmaßnahme           arbeitsmarktpolitische Vermittlungserfolge anerkanntes
    zur Übernahme in ein festes Arbeitsverhältnis. Als Projekt       Erfolgskriterium.
    kam gar kein Angebot zustande.“
                                                                    Gewährleistung der Freiwilligkeit bei Zugang zu Arbeits-
Zu bisherigen Erfolgen:                                              förderleistungen.

 „Der Kontakt zwischen Fallmanagern und Teilnehmern der            Orientierung der Anzahl von öffentlich geförderten Arbeits-
    Maßnahme „Hilfe zur Arbeit“ ist oft gut. Die Mitarbeiter der     plätzen am regionalen Bedarf.
    Jobcenter kennen ihre Kunden häufig gut und können
    zuweilen im Vorfeld der Maßnahme Einzelheiten zum Teil-         Die Möglichkeit, für die Beschäftigung Langzeiterwerbslo-
    nehmer mitteilen. Der Austausch zwischen den Mitarbei-           ser Nachteilsausgleiche in Form von Lohnkostenzuschüs-
    tern des Jobcenters und den Mitarbeitern der Maßnahme            sen zu erhalten, unterschiedslos für alle Unternehmen.
    über die Teilnehmer ist rege. Beschwerden von Teilneh-
    mern sind soweit nicht bekannt.“                                Festlegung von „Zusätzlichkeit“ und „öffentlichem Inter-
                                                                     esse“ bei Arbeitsgelegenheiten erfolgt unter Einbeziehung
                                                                     der Arbeitsmarktakteure (Tarifpartner, Freie Wohlfahrts-
1 Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung, sogenannte     pflege, Kammern, Arbeitsagentur, Kommune) in gemein-
„1-Euro-Jobs“                                                        samen Gremien vor Ort.
Befragungsergebnisse   Diakonie Texte 05.2012   9

 Ergänzende Gewährleistung der Kosten für Qualifizierung,         für den Leistungsbezug sind zum Teil Wochen nach dem
  sozialpädagogische Betreuung und Infrastruktur des               ersten Kontakt erfolgt und der Leistungsbezug auch erst
  Trägers.                                                         von diesem Termin an (…).“

                                                                  „Es passiert immer wieder, dass Fallmanager bei uns
4. Stellung der Betroffenen, Leistungs­                            anrufen und darum bitten, dass wir einen Konflikt mit der
   gewährung und Servicequalität                                   Leistungsabteilung klären, da sie das „anscheinend“ nicht
                                                                   können.“
Erreichbarkeit der Beratenden
                                                                  „Die Vermittlung scheint mit der Leistungsabteilung zu
Für die Leistungsberechtigten sind die Mitarbeitenden der          wenig zu sprechen. Da gibt es dann Fälle, dass die Leis-
Jobcenter an den meisten Orten auch während der telefoni-          tung fehlende Mitwirkung vorwirft, aber der Klient nach-
schen Sprechzeiten nur äußerst selten direkt per Telefon           weislich dem Vermittler Nachricht gegeben hat.“
oder Mail zu erreichen. Nur in seltenen Fällen erfolgen Rück-
rufe. Die Wartezeiten in den persönlichen Sprechzeiten sind      Positive Beispiele:
unzumutbar lang. Auch Schwangere, chronisch Kranke und
Alleinerziehende in Begleitung von Kindern oder Säuglingen        „Für die Beraterinnen hat sich die Erreichbarkeit durch
können sie nicht abkürzen. Weil wochenlang auf Termine             Einführung einer „VIP-Hotline“ sehr verbessert, das heißt,
gewartet werden muss, verzögert sich die Antragsbear-              einer nur den Beraterinnen zur Verfügung stehenden Tele-
beitung. Für die Leistungsberechtigten gibt es zwar feste          fonnummer, unter der dann an den jeweilig zuständigen
Ansprechpartner, diese wechseln aber regelmäßig. Oft arbei-        Sachbearbeiter vermittelt wird.“
ten Fallmanger und Sachbearbeitung aneinander vorbei. Die
Erreichbarkeit von Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern        „Die Erreichbarkeit für die Leistungsberechtigten bei der
und die Zuverlässigkeit der Bearbeitung von Anträgen schwan-       Kreisagentur ist gut aufgrund offener Sprechstunden. Die
ken von Serviceteam zu Serviceteam und von Standort zu             Erreichbarkeit für die Beraterinnen ist ebenfalls gut, es
Standort. Die Bearbeitung von akuten Problemfällen wird an         besteht außerdem die Vereinbarung des direkten Mail-
einigen Orten durch spezielle Ansprechpartner und beson-           Kontaktes mit dem Vorgesetzten, wenn es im Einzelfall zu
dere Telefonnummern für die diakonischen Beratungseinrich-         Problemen kommt. Dieses erspart häufig Zeit und Auf-
tungen gesichert. Wenigen Jobcentern gelingt es, dauerhaft         wand eines Widerspruchsverfahrens.“
einen engen Kontakt der Leistungsberechtigten zu Beraten-
den und Fallmanagern zu gewährleisten. Ob alle Leistungs-         „Im Fallmanagement und der Vermittlung gibt es fest
berechtigten oder nur bestimmte Zielgruppen Zugang zum             definierte Ansprechpartner nach Alter und Anfangsbuch-
Fallmanagement erhalten, ist unterschiedlich geregelt. Die         staben des Nachnamens der Ratsuchenden. Hier findet
Nutzung von Angeboten der Ämterbegleitung durch Freiwillig         zum Teil, je nach Fall, ein wöchentlicher Kontakt statt. Die-
Engagierte, die dafür geschult worden sind, verbessert den         ser ermöglicht eine gewinnbringende Zusammenarbeit für
Zugang zu Jobcentern und erhöht die Wahrscheinlichkeit             uns und die Ratsuchenden.“
korrekter Behandlung.
                                                                 Qualität von Betreuung und Beratung
Aus der Beratungspraxis:
Negativbeispiele:                                                Die Qualifikation der Beratenden ist unterschiedlich. Sie sind
                                                                 oft sozialpädagogisch qualifiziert, zu einem spürbaren Anteil
 „Häufige Wechsel von Zuständigkeiten, dadurch Häufung          aber ohne entsprechende Qualifikation. Auflagen, die den
  von Unübersichtlichkeit für Leistungsberechtigte, Verzöge-     Leistungsberechtigten gemacht werden, sind oft wenig ziel-
  rungen in der Bearbeitung, Verlust von eingereichten Unter-    führend. Der Betreuungsschlüssel ist selbst im Fallmanage-
  lagen und so fort.“                                            ment schlecht. Das Fallmanagement kommt zudem nur einem
                                                                 Teil der Leistungsberechtigten zugute. Nach Angaben der
 „Das Schalten einer Hotline hat die Erreichbarkeit von Sach-   Diakonie-Beratungsstellen ist mit mindestens 75 zugewiese-
  bearbeitern sehr minimiert. Direkte Erreichbarkeit und         nen Personen pro Fallmanager/Fallmanagerin zu rechnen, oft
  damit direkte Nachfragen und Antworten sind nicht mehr         aber auch mit 125 bis 200 Leistungsberechtigten.
  möglich. Terminvergaben für das Einreichen von Anträgen
10   Diakonie Texte 05.2012   Befragungsergebnisse

Aus der Beratungspraxis:                                         Die Bescheide werden umso intransparenter, je größer die
 „Eingliederungsvereinbarung mit Auflagen, deren Sinn ich       Bedarfsgemeinschaft ist und je mehr sich die Mitglieder der
  hinterfrage. Zum Beispiel: acht Bewerbungen im Monat           Bedarfsgemeinschaft um eigene Einkünfte jenseits des Leis-
  unabhängig davon, ob es überhaupt Stellen gibt! Warum          tungsbezuges bemühen. Nur selten erläutern die Mitarbeiten-
  soll der Klient, wenn er sich bei allen Baumärkten bewor-      den der Leistungsabteilungen aus eigenem Engagement her-
  ben hat, wieder von vorne anfangen? (…) Jobcenter sollen       aus im Fließtext die Bescheide.
  Stellenangebote zusenden, aber die wenigsten meiner Kli-
  enten erhalten tatsächlich welche und wenn, dann sind          Die Antragsbearbeitung ist oft kompliziert. Mitunter werden
  diese unsinnig, zum Beispiel wird ausdrücklich ein Führer-     eingereichte Unterlagen später nicht mehr aufgefunden oder
  schein gefordert, der Klient hat aber keinen, was der Ver-     als Antragsdatum wird nicht die erste Bedarfsmeldung genom-
  mittler weiß (…).“                                             men, sondern ein späterer Zeitpunkt. So kommt es immer
                                                                 wieder zu Zahlungsverzögerungen. Manche Jobcenter ver-
Die Qualität von Betreuung und Beratung in den Jobcentern        weisen für die Zwischenzeit auf mögliche Leistungen der
wird von den Leistungsberechtigten und von den Beratungs-        Tafeln oder Mutter-Kind-Stiftung. Zahlungsverzögerungen
stellen orts- und personengebunden unterschiedlich wahrge-       treffen insbesondere die Leistungsberechtigten, die sich um
nommen. Es fehlen Beratungsmöglichkeiten und -zeit.              einen Zuverdienst und um Teilhabe am Arbeitsleben bemü-
                                                                 hen. Erst bei Folgeanträgen gestaltet sich die Leistungsge-
Aus der Beratungspraxis:                                         währung unproblematischer. Rückmeldungen von Beratungs-
 „Die Bewertung der Fallmanager ist meist besser als die der    stellen, dass Jobcenter schnell und zuverlässig Bescheide
  Sachbearbeiter. Trotzdem wird durchgehend bemängelt,           geben, sind die Ausnahme. Mitunter werden Anträge von
  dass nicht über zustehende Leistungen aufgeklärt und dar-      bestimmten Personen weder angenommen noch geprüft.
  über beraten wird. Oftmals ist die Beratung auch auf Nach-
  frage der Klienten dort unvollständig, manchmal falsch.“       Aus der Beratungspraxis:
                                                                  „Im Rahmen der Grundsicherungsberatung muss regel-
 „Viele meiner Klienten haben Angst vor ihrem Vermittler          mäßig Zeit auf die Erläuterung der Bescheide verwendet
  beziehungsweise Angst sanktioniert zu werden. Da habe            werden. Bestimmte Fragen sind nicht ohne Hinzuziehung
  ich schon erlebt, dass ein 56jähriger gestandener Mann           der Leistungsabteilung zu klären, da sie nicht aus dem
  trotz meiner Begleitung Angstschweiß auf der Stirn hatte!“       Bescheid ersichtlich sind. Besondere Schwierigkeiten
                                                                   ergeben sich bei der Anrechnungsdarstellung von „Ein-
 „Die Situation auf den Ämtern wird als eine erlebt, die die      künften“ der Kinder in einer Bedarfsgemeinschaft (umge-
  subjektive Krise der Menschen in Erwerbslosigkeit verstärkt:     legt auf verschiedene Bedarfsgemeinschafts-Mitglieder in
  autoritäre Bevormundung, Intransparenz der Ermessens-            nicht nachvollziehbaren Anteilen).“
  spielräume, Rechtsunsicherheit, Unfreundlichkeit, Respekt-
  losigkeit. Keine Hilfe und keine Arbeit wird geboten, son-      „Bei der Erstantragsstellung ergeben sich immer wieder
  dern Ersatzhandlungen. Die Arbeitsverwaltung wird von            Schwierigkeiten dahingehend, dass als Antragsdatum
  denjenigen, die sie in Anspruch nehmen, meist als Gegen-         häufig nicht die erste Anmeldung des Bedarfes gesetzt
  spielerin, nicht aber als eine hilfreiche Instanz wahrgenom-     wird. Außerdem erfolgt die erste Zahlung in der Regel erst
  men. Nahezu alle Leistungsberechtigten fühlen sich den           nach Bescheidung, diese kann sich aber bei etwas schwie-
  SGB-II-Institutionen mehr oder weniger ausgeliefert.“            riger Ausgangslage hinziehen. Damit wird der Mittellosig-
                                                                   keit des Leistungsberechtigten nicht Rechnung getragen,
Verständlichkeit der Bescheide                                     teilweise mit existenzbedrohenden Folgen.“

Die Bescheide werden von den Leistungsberechtigten in der         „Das (Erst-)Antragsverfahren ist umständlich und umfasst
Regel nicht verstanden und erschließen sich auch den Bera-         zum Teil mehrere Termine, weil immer wieder neue Unter-
tenden erst nach längerer Recherche. Wenn es zur Anrech-           lagen vorgelegt werden müssen. Besonders in ländlichen
nung von Einkünften, zu Abschlägen wegen der Rückzahlung           Bereichen mit langer Anfahrtsstrecke zur Arbeitsagentur
von Darlehen kommt oder Abschläge bei der Beantragung              ist dies für Klienten mühevoll und oft teuer. Fahrtkosten zu
von einmaligen Bedarfen vorgenommen werden, werden                 den Terminen werden nicht immer erstattet. Bei Einzel-
diese Positionen nicht transparent dargestellt. Bei Änderungen     fragen ist keine schnelle Beratung möglich; es muss ein
der Zahlungshöhe gibt es nicht immer Änderungsbescheide.           Termin vereinbart werden.“
Befragungsergebnisse   Diakonie Texte 05.2012   11

 „Einzelne Sachbearbeiter erklären Sachverhalte im Fließ-            „Wir empfinden viele Rechtsbeugungen. (…) Die Rechts-
  text der Bescheide als Reaktion auf mehrjährige, regel-              durchsetzung erfolgt häufig über unsere informellen Kon-
  mäßige Bemühungen im Austausch der Sozialberaterinnen                takte und über Widersprüche, die zwar Zeit brauchten,
  der Wohlfahrtsverbände mit der Leistungsabteilung.“                  dann aber in der Sache relativ gut beschieden wurden.“

 „Ein weiteres Problem, das immer wieder auftaucht, obwohl           „In Hamburg gibt es in mehreren Jobcentern ein Formblatt
  Abhilfe versprochen wurde: Die Kundentheke beim Job-                 außerhalb des Antrags, auf dem extra begründet werden
  center schickt Menschen einfach weg, die einen Antrag                soll, warum man einen Antrag auf SGB-II-Leistungen stellt.
  auf ALG II stellen wollen, ohne den Antrag entgegenzuneh-            Diese rechtlich nicht erforderliche Hürde wurde schon
  men!, weil sie zum Beispiel fälschlicherweise denken, EU-            mehrfach von der Diakonie kritisiert. Ein vollständiges Ver-
  Bürgerinnen und -Bürger hätten prinzipiell erst nach drei            schwinden des Extraformulars kann bisher leider noch
  Monaten Anspruch …“                                                  nicht festgestellt werden.“

Rechtsansprüche nicht umgesetzt                                      Kommunale Eingliederungsleistungen

Immer wieder werden Rechtsansprüche nicht umgesetzt,                 Es bleibt unklar, ob Leistungsberechtigte, die psychosoziale
ohne dass Abstriche daran erfolgen. Um das Recht durch-              Hilfebedarfe haben, auch entsprechende Hilfen als kommu-
zusetzen, sind in strittigen Fällen Sozialberatung und anwalt-       nale Eingliederungsleistung nach § 16 a SGB II erhalten. Teil-
liche Hilfen nötig, die die Diakonie vermittelt. Eine schriftliche   weise werden gleiche Fallgruppen unterschiedlich behandelt.
Antragstellung ist dringend anzuraten. Widerspruchsverfah-           Mitunter wird die Gesamtzahl der Beratungsgutscheine auf
ren dauern oft sehr lang, sodass die kurzfristige Entschei-          eine bestimmte Zahl beschränkt. Insbesondere besteht ein
dungsfindung über die Sozialgerichte erfolgen muss.                  immenser Bedarf an Schuldnerberatung. In wiederholten
                                                                     Fällen werden in der Beratung durch Mitarbeitende des Job-
Rechtsansprüche für unter 25-Jährige werden in vielen Fällen         centers eine Entschuldung und ein Termin bei der Schuldner-
nur zum Teil oder bei Schwangeren erst nach der Geburt               beratung vorgeschlagen, dann aber durch die Leistungsab-
umgesetzt. Einmalige oder zusätzliche Bedarfe werden auch            teilung abgelehnt. Es bleibt unklar, ob die Inanspruchnahme
bei Vorliegen der Voraussetzungen nicht immer übernommen.            psychosozialer Hilfen freiwillig ist oder dem Sanktionsregime
Wiederholte Probleme gibt es bei den Kosten der Unterkunft,          unterliegt.
Kautionsdarlehen und Kautionsrückzahlungen sowie bei der
Anrechnung von Einkommen oder Einkünften. Es gibt aber –             Aus der Beratungspraxis:
auch das sei gesagt – auch Positivbeispiele von Jobcentern,           „Die Gewährung von Schuldnerberatung erfolgt unter dem
bei denen kaum strittige Fälle auftreten und Widersprüche              Aspekt der „Beseitigung des Vermittlungshemmnis Schul-
sehr schnell und meist im Sinne der Betroffenen geklärt                den“. Die Bewilligungspraxis ist nicht immer nachzuvoll-
werden.                                                                ziehen, Personen mit gleichen Merkmalen, zum Beispiel
                                                                       Alleinerziehende, Ältere, Kranke, Menschen in Langzeit-
Aus der Beratungspraxis:                                               therapie erhalten manchmal eine Kostenübernahme, manch-
 „So kam es immer wieder vor, dass Klientinnen der Mehr-              mal nicht. Präventive Beratungsleistungen für Menschen
  bedarf für Schwangerschaften gewährt wurde, sie jedoch               mit Erwerbseinkommen, die ebenfalls am Rande des Exi-
  nicht auf die Möglichkeit der einmaligen Beihilfen für die           stenzminimums leben, werden (…) nicht mehr übernom-
  Umstandskleidung und die Säuglingserstausstattung hin-               men. Die Stadt finanziert seit 2008 zusätzliche Stellen, um
  gewiesen wurden. Desgleichen gibt es immer wieder Pro-               insbesondere dem Personenkreis, der keinen Anspruch
  bleme bei der Gewährung von Kautionen und bei Umzugs-                auf Beratung nach SGB II hat, den Zugang zu Beratung zu
  kosten. (…) Die Berechnung von Freibeträgen und Bereini-             ermöglichen.“
  gung des Einkommens sind oft fehlerhaft (…).“
                                                                      „Ein Beratungsschein für die Schuldnerberatung ist für die
 „Manchmal wird auf Ansprüche nicht hingewiesen. Zum                  Leistungsberechtigten nur schwer erhältlich, wenn Verschul-
  Beispiel Anspruch auf Erstausstattung einer Wohnung, even-           dung nicht das oberste Vermittlungshemmnis ist. Die Folge
  tuell Anspruch auf Zuschuss zur Heizkostennachzahlung.“              ist, dass die Verzweiflung und der Druck durch Überschul-
                                                                       dung und Gläubigerdrohungen zunehmen“
12   Diakonie Texte 05.2012   Befragungsergebnisse

 „Ob alle Kunden des Jobcenters, bei denen eine Sucht-             mit der endgültigen Bescheidung eine Verrechnung der im
  problematik vorliegt, erkannt und zugewiesen werden, ist          Voraus darlehensweise gewährten Leistung erfolgt.
  fraglich. Die Bemühungen der Suchthilfe, ein weitreichen-
  deres Konzept für diese Zielgruppe zu entwickeln (sucht-         Antrags- und Bewilligungsdatum müssen tatsächlicher
  spezifisches Fallmanagement, Sprechstunden der Sucht-             Antragstellung entsprechen.
  beratung im Jobcenter, spezifische Angebotsmodule,
  Arbeitsprojekte für Suchtkranke …) wurden vom Jobcenter          Schriftliche Bescheide über Änderungen in der Leistungs-
  leider abgelehnt.“                                                gewährung.

Leistungsgewährung und Servicequalität:                            Regelmäßige Zahlungsstands-Mitteilungen, die den Über-
Verbesserungsvorschläge der Diakonie:                               blick erleichtern.

 Beschäftigung von sozialpädagogisch qualifizierten Fach-         Formulierung und Erläuterung der Bescheide in einer Form,
  kräften in der Beratung.                                          dass sie inklusive Einkommensanrechnung und Verrech-
                                                                    nung von Darlehen auch für Laien verständlich sind.
 Personelle Kontinuität der Ansprechpartner für die Leistungs-
  berechtigten mit guter Erreichbarkeit und entsprechendem         Verbot zusätzlicher Formblätter, die nicht der Ermittlung
  Betreuungsschlüssel.                                              des Leistungsumfangs dienen.

 Einhaltung der umfassenden Informations- und Beratungs-          Gewährleistung psychosozialer Hilfen nach Bedarf, nicht
  pflicht über Sozialleistungsansprüche.                            nur im Fall von Vermittlungshemmnissen.

 Pflicht zum Verweis auf Rechtsansprüche.
                                                                  5. Zielgruppenorientierung
 Freiwilligkeit des Abschlusses von Eingliederungsverein-
  barungen mit Inhalten, die nachweislich die soziale und         Zielgruppenspezifische Ansätze fehlen
  Arbeitsmarktintegration befördern können.
                                                                  Einzelne Jobcenter arbeiten mit zielgruppenspezifischen
 Weisungsrecht der Fallmanagerinnen und Fallmanager              Ansätzen etwa für Erziehende, ältere Erwerbslose, Wohnungs-
  gegenüber der Leistungsabteilung bei sozialen Integrations-     lose, Jugendliche, chronisch Kranke, psychisch Kranke. Dies
  leistungen.                                                     ist jedoch – insbesondere in ländlichen Regionen – jenseits
                                                                  spezieller Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene
 Schaffung von Ombudsstellen.                                    eher die Ausnahme. Wo es zielgruppenspezifische Angebote
                                                                  gibt, werden diese positiv aufgenommen.
 Einrichtung von Betroffenenvertretungen bei den Jobcen-
  tern mit eigenem Budget.                                        Aus der Beratungspraxis:
                                                                   „Für komplizierte Fälle stehen spezielle Ansprechpartner
 Sicherstellung unabhängiger Rechtsberatung aus Mitteln            zur Verfügung, jeweils mit einem Themenschwerpunkt wie
  der Jobcenter.                                                    zum Beispiel Wohnungslose oder MigrantInnen, die sich
                                                                    tatsächlich umgehend einsetzen und zur Klärung bis hin
 Sicherstellung unabhängiger Sozialberatung.                       zur Lösung des Problems sehr hilfreich beitragen.“

 Pflicht zur Annahme und Prüfung von Anträgen durch die           „… das JobCenter (…) hat einen eigenen Bereich für woh-
  Jobcenter.                                                        nungslose Hilfebedürftige, das Team 716. Zu diesem Team
                                                                    haben wir gute Arbeitskontakte. Wir haben uns bereits zu
 Eingangsbestätigung für alle Anträge.                             einer Arbeitssitzung mit den Kolleginnen und Kollegen
                                                                    getroffen, um die Zusammenarbeit zu optimieren. Uns liegt
 Nach Antragstellung sollten aufgrund einer einfachen Plau-        eine aktuelle Telefonliste mit Zuständigkeiten der Mitar-
  sibilitätsprüfung zunächst darlehensweise der Regelsatz           beitenden aus diesem Team vor, was eine schnelle und
  und die Kosten der Unterkunft gezahlt werden, bis dann            unkomplizierte Arbeitsweise gewährleistet. Eine Wieder-
Befragungsergebnisse   Diakonie Texte 05.2012   13

  eingliederung von Hilfebedürftigen in das Hilfesystem kann       Aus der Beratungspraxis:
  über diese Schnittstelle schnell und unkompliziert in die         „Das Frauen-Aktiv-Center ist eine Maßnahme für Frauen
  Wege geleitet werden.“                                             mit Kindern in Teilzeit zur Integration in den Arbeitsmarkt
                                                                     (gute Maßnahme, leider Kindesbetreuungsaspekte vom
 „Zielgruppenbezogene besondere Aktivitäten sind mir                Jobcenter bezüglich Urlaubszeiten der Teilnehmerinnen zu
  kaum bekannt. Wahrscheinlich wären die zu aktivierenden            wenig berücksichtigt).“
  Gruppen zu klein in der Provinz, als dass es sich lohnte.“
                                                                    „Die natürlichen und arbeitsmarktrelevanten Besonder-
 „Insgesamt erhalten die Fallmanagerinnen des Projekts              heiten einer Schwangerschaft werden nicht zur Kenntnis
  50+ sehr positive Rückmeldungen. Ein sehr freundlicher             genommen. Beispiele: Hochschwangere haben noch Ein-
  und höflicher Umgangston und sehr konstruktives und                gliederungsvereinbarungen zu unterschreiben, Bewer-
  durchdachtes Vorgehen der Vermittlerinnen trägt zur                bungsdruck (Nachweispflicht der Bemühungen) trotz
  Zufriedenheit bei. In vielen Fällen klären sie vorab die           Schwangerschaft, Aufforderungen von Teilzeit auf Vollzeit
  Chancen der betreuten Arbeitssuchenden ab und ersparen             aufzustocken.“
  ihnen oftmals frustrierende Misserfolge. Zudem ist eine
  Fallmanagerin für Arbeitssuchende zuständig, die auf dem          „kein fester Ansprechpartner für die speziellen Fragen
  ersten Arbeitsmarkt kaum noch Chancen haben. Sie ver-              aufgrund des Einzugs in ein Frauenhaus“
  sucht, sie zu motivieren, aus ihrer Isolation herauszugehen
  und aktiv zu werden. Einmal im Monat treffen sich alle von       Alleinerziehende
  ihr Betreuten zum Kaffeetrinken, einmal zum Wandern und
  einmal zu einem Museumsbesuch. Die Auslagen werden in            Spezielle Angebote für Alleinerziehende sind selten, häufig
  Form einer Pauschale von 16 Euro erstattet. Die im Projekt       werden sie weder besonders angesprochen oder gefördert,
  betreuten Arbeitssuchenden sind durchweg begeistert.             noch haben sie Maßregelungen zu befürchten. Auf ihre beson-
  Hier werden die Vermittlerinnen mittlerweile tatsächlich als     dere Situation wird im Alltagsgeschäft der Jobcenter wenig
  Kooperationspartner gesehen.“                                    Rücksicht genommen, auch mit den Jugendämtern wird
                                                                   wenig kooperiert.
Junge Erwachsene
                                                                   Aus der Beratungspraxis:
Für junge Erwachsene ist der Betreuungsschlüssel besser             „Keine besondere Behandlung ersichtlich, außer der Gewäh-
und es gibt zielgenauere Angebote zur sozialen Integration           rung des Mehrbedarfes für Alleinerziehende. Gelegentlich
und Arbeitsmarktintegration. Die Gewährung der materiellen           wird von Betroffenen kritisiert, dass unspezifische Profiling-
Leistungen gestaltet sich dagegen restriktiv und kompliziert.        angebote wenig abgestimmt sind auf die Mehrbelastung
Immer wieder wird auf die Eltern verwiesen, statt Leistungs-         durch Erziehung und Betreuung.“
ansprüche zu prüfen.
                                                                    „Es gab wohl Veranstaltungen für Alleinerziehende mit
Aus der Beratungspraxis:                                             Anwesenheitspflicht, einer Messe nicht unähnlich, und
 „Klientinnen werden oft von einer Abteilung (für über oder für     durchaus interessant. Klientinnen, die für die Betreuung
  unter 25-Jährige) in die andere geschickt – ohne Klärung der       ihrer Kinder ohne familiäre Unterstützung auskommen
  Situation – zum Beispiel wenn einer der Partner einer              müssen, wurden durch den zeitlichen Rahmen der Veran-
  Bedarfsgemeinschaft unter 25, der andere über 25 Jahre             staltung überfordert beziehungsweise passte der zeitliche
  alt ist.“                                                          Rahmen nicht zu den Betreuungszeiten.“

Lebenslagen von Frauen und Erziehenden                              „Es gibt viele verschiedene Programme für Alleinerziehende
                                                                     wie „Vermittlung und Integration Alleinerziehender“ oder
Besondere Lebenslagen von Frauen und insbesondere Erzie-             „Netzwerk wirksamer Hilfen für Alleinerziehende“.
henden werden innerhalb der Jobcenter wenig oder nicht hin-
reichend wahrgenommen. Die Arbeit von Gleichstellungsbeauf-         „Es gibt Vermittler, die Rücksicht auf nicht vorhandene
tragten kann kaum beurteilt werden, da entsprechende Stellen         Betreuungsmöglichkeiten nehmen. Alleinerziehende haben
meist erst vor kurzem geschaffen wurden. In Konfliktsituatio-        es meiner Erfahrung nach auch etwas leichter und werden
nen gibt es kaum Ansprechpartnerinnen für spezielle Fragen.          weniger in unsinnige Jobsuche und Sanktionen gedrängt.“
14   Diakonie Texte 05.2012   Befragungsergebnisse

 „Probleme für Alleinerziehende gibt es immer wieder bei       „Es gibt in einer der Dienststellen einen Integrationsbeauf-
  der Unterbringung von Kindern in Kitas. Aufgrund der           tragten. Das wird jedoch von den Migrationsberatenden
  Kriterien des Kita-Gutscheinsystems haben Erwerbslose          der Freien Wohlfahrtspflege nicht nur als förderlich ange-
  nachrangig Zugang. Auch können Plätze häufig nicht in          sehen, da der entsprechende Mitarbeiter ein sehr rigides
  der nötigen Geschwindigkeit und im nötigen zeitlichen          Umgehen mit den Leistungsberechtigten hat und wenig
  Umfang besetzt werden, wenn zum Beispiel ein Maßnah-           Spielraum und Weiterentwicklung gemäß der Kompeten-
  meeintritt ansteht.“                                           zen ermöglicht. Sensibilität im Umgang mit Migrantinnen
                                                                 und Migranten, insbesondere auch mit Menschen mit wenig
 „Von einer Zusammenarbeit der Jobcenter mit den Jugend-        Deutschkenntnissen, ist nur in sehr begrenztem Umfang
  ämtern wissen wir nur insofern, als es Bestrebungen gibt,      vorhanden, Info-Materialien und Bescheide sind durch-
  Betreuungsplätze für Kinder zu sichern, damit auch die         gängig in deutscher Sprache. Die Bereitschaft, sich auf
  Mütter dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.“                 längere Beratungen einzulassen, da kaum Deutschkennt-
                                                                 nisse vorhanden sind, ist selten gegeben – eigentlich ist
Schwangere Frauen unter 25 Jahren                                hier immer eine „deutsche“ Begleitung erforderlich.“

Die besonderen Regelungen für schwangere Frauen unter 25        „Aus einem Bezirk wird erzählt, dass Schulkinder, statt in
Jahren werden oft nicht angewandt. So wird die Offenlegung       die Schule zu gehen, für ihre Eltern in der Behörde dolmet-
von Einkommen und Vermögen der Eltern verlangt. In man-          schen. Das Vorgehen, dass mehrsprachige Mitarbeiter nur
chen Jobcentern werden schwangere junge Frauen zunächst          Deutsch sprechen sollen, wird mit dem Argument vertei-
abgewiesen, Anträge werden nicht entgegengenommen. Sie           digt, dass sie sonst in der Gefahr der Arbeitsüberlastung
benötigen Unterstützung durch Beratungsstellen, um ihre          stehen. Für besonders komplizierte Fälle von Verständi-
Ansprüche durchzusetzen.                                         gungsschwierigkeiten im Erstkontakt sind Einzellösungen
                                                                 möglich. Insgesamt wird versucht, den SGB-II-Berechtigten,
Aus der Beratungspraxis:                                         die Verständigungsprobleme auf Deutsch haben, Sprach-
 „Obwohl diese einen von den Eltern unabhängigen Anspruch       förderung anzubieten.“
  auf ALG II haben, wird immer wieder die Offenlegung ihres
  Einkommens beziehungsweise Vermögens verlangt, oft            „Die „Zentrale Zielgruppenarbeit Migranten“ im Jobcenter
  auch der gesamten Bedarfsgemeinschaft, das gleiche Spiel       ist sehr bemüht, hinsichtlich der Spezialfrage „Anerken-
  bei Gründung eines eigenen Hausstandes beziehungs-             nung ausländischer Abschlüsse“ Unwissen bei den Sach-
  weise Bezug einer eigenen Wohnung der Schwangeren              bearbeiterinnen und Sachbearbeitern abzubauen. Für den
  unter 25 Jahren.“                                              Herbst sind Schulungen der Jobcenter-Mitarbeitenden
                                                                 durch das DW-Projekt „Zentrale Anlaufstelle Anerken-
Interkulturelle Aspekte                                          nung“ vereinbart. Problematisch ist, dass es für Sprach-
                                                                 kurse, die notwendig sind, um das für die Anerkennung
Während an manchen Orten interkulturelle Aspekte in der          eines ausländischen Abschlusses notwendige Sprach-
Arbeit der Jobcenter eine Rolle spielen und es besondere         niveau zu erlangen, oft keine Bildungsgutscheine gibt.“
Beratungs- oder Integrationsangebote sowie Schulungen für
die Mitarbeitenden der Jobcenter gibt, ist das Verständnis     Wohnungslose
hierfür an anderen Orten kaum oder gar nicht ausgeprägt.
Hierdurch kann es immer wieder zu Missverständnissen und       An den Schnittstellen zwischen SGB II und XII bestehen
zu Benachteiligungen kommen. Oft fehlt eine zielgruppen-       besondere Probleme für Wohnungslose, die teilweise vor Ort
spezifische Förderung, etwa durch Sprachkurse.                 noch verschärft werden. So wird an manchen Orten durch
                                                               die Kommunen die volle SGB-II-Leistung auf die Leistung
Aus der Beratungspraxis:                                       nach dem SGB XII für Bewohnende von stationären Einrich-
 „Eine interkulturelle Öffnung der Jobcenter ist in unserem   tungen angerechnet, sodass der Träger im Fall von Sanktio-
  Landkreis erfolgt. Es besteht eine Kooperationsverein-       nen, Zahlungsverzögerungen oder Ähnlichem den Differenz-
  barung mit der Migrationsberatung des Diakonischen Wer-      betrag aus eigenen Mitteln ausgleichen muss.
  kes. Für die Migrationsberatung und Migranten gibt es in
  jedem Jobcenter einen Ansprechpartner.“
Befragungsergebnisse   Diakonie Texte 05.2012   15

Zielgruppenorientierung: Verbesserungsvorschläge              sind und es so zu ungewollten Schwangerschaften oder
der Diakonie                                                  schließlich zu Abtreibungen kommt.

 Verpflichtung zu zielgruppenspezifischen Ansätzen bei       Regelmäßig nicht gedeckte Bedarfe:
  Antragstellung, Beratung und Integrationsleistungen.
                                                               Mobilitätskosten: Monatsticket, Autoreparatur- und Ver-
 Berücksichtigung der besonderen Lebenslagen von Frauen,       sicherungskosten
  Erziehenden und Alleinerziehenden bei der Ausrichtung
  von Integrations- und Arbeitsangeboten, Wartezeiten und      Fahrtkosten zum Jobcenter
  Erreichbarkeit.
                                                               Beruflich notwendiger Führerschein
 Mit dem Jugendamt koordiniertes Vorgehen zur Verbesse-
  rung der Betreuungssituation.                                Gesundheitskosten

 Besondere Förderung für junge Schwangere.                    Besondere Bedarfe in der Schwangerschaft

 Rechtsanspruch auf zielgruppenspezifische Integrations-      Verhütungsmittel
  angebote.
                                                               Möbel, Einrichtungsgegenstände
 Berücksichtigung interkultureller Verständigungsprobleme.
                                                               Reparaturen/Wiederbeschaffung von Elektrogroßgeräten
 Interkulturelle Schulungen der Jobcenter-Mitarbeitenden.
                                                               Winterbekleidung
 Erhöhung des Anteils von Beschäftigten mit Migrations-
  geschichte.                                                  Umzugs- und Kautionskosten

 Nutzung vorhandener Fremdsprachenkenntnisse von Mit-         Renovierungskosten
  arbeitenden statt „Deutsch ist Amtssprache“.
                                                               Nachzahlungen für Strom und Heizkosten
 Abschaffung der restriktiven Sonderregelungen für junge
  Erwachsene.                                                  Gebühren bei Ämtern

                                                               Zusätzliche Sprachkurse und -prüfungen bei Migrantinnen
6. Zusätzliche materielle Bedarfe                               und Migranten

Nicht gedeckte Bedarfe                                        Besondere Bedarfe für Kinder und Jugendliche:

Nach Auskunft der diakonischen Beratungsstellen können die     Jahreszeitengemäße Bekleidung für Kinder im Wachstum
unten aufgeführten Bedarfe regelmäßig nicht aus der Regel-
leistung gedeckt werden. Die Gewährung von Darlehen hier-      Kindergartenkleidung (zweites Paar Hausschuhe, zweites
für wird restriktiv gehandhabt; gewährte Darlehen führen        Paar Gummistiefel und Ähnliches)
jedoch zur dauerhaften Unterschreitung des Regelsatzes. Vor
Darlehensgewährung müssen alle Rücklagen aufgebraucht          Anschaffungen von neuen Betten für Kinder, wenn sie aus
sein. Besondere Härten entstehen, wenn einmalige Hilfen         dem Babybett oder Kinderbett herausgewachsen sind
schon einmal gewährt wurden, die Bedarfe aber aufgrund
einer Trennung, einer neuerlichen Schwangerschaft oder         Mehrkosten wie Windeln bei Kleinkindern
Ähnlichem nochmals entstehen. Härtefälle werden oft nicht
als solche anerkannt. Große Probleme entstehen regelmäßig      Schulische Bedarfe (finanzieller Rahmen durch Bildungs-
dadurch, dass die Kosten für Verhütungsmittel nicht gedeckt     und Teilhabepaket reicht nicht aus)
16   Diakonie Texte 05.2012   Befragungsergebnisse

 Besonderer Bedarf bei Einschulung                              in einer vergleichbaren finanziellen Situation befinden, haben
                                                                 es schwer, die auch ihnen gesetzlich zustehenden einmaligen
 Nachhilfeunterricht jenseits der Versetzungsgefährdung,        Leistungen für Schwangerschaftsbekleidung und Babyerst-
  weil die Eltern zum Beispiel nicht gut deutsch können oder     ausstattung zu erhalten. In einzelnen Jobcentern laufen dage-
  nur geringe Schreib- und Lesekenntnisse besitzen.              gen Hinweise auf Rechtsansprüche und Bewilligungen von
                                                                 Zusatzleistungen vollkommen unproblematisch.
In der Beratung werden die Probleme wie folgt deutlich:
                                                                 Regelmäßig nicht als zusätzliche Bedarfe übernommen wer-
 „Größere Haushaltsgeräte, wie Kühlschrank, Waschmaschine,      den:
  Herd können nicht aus der Regelleistung gedeckt werden.
  Die Rückzahlung, teilweise mehrerer Kredite, etwa für Kau-      Zusätzliche Gesundheitskosten wie vom Arzt angeratene
  tion oder Stromschulden, belastet das Haushaltsbudget            Nahrungsergänzungsmittel
  vieler Klienten so stark, dass sie nicht ohne zusätzliche
  Hilfen, wie zum Beispiel das Angebot der Tafeln, existieren     Besondere Bedarfe, die sich indirekt aus der Schwanger-
  können. Der tatsächliche Bedarf wurde in einigen Fällen          schaft ergeben wie zum Beispiel höhere Umzugskosten
  erst durch die Unterstützung durch unsere Beratungsstelle        oder höhere Renovierungskosten, da nicht mehr körperlich
  berücksichtigt.“                                                 gearbeitet werden darf

 „Viele Klientinnen können sich nur gebrauchte Elektroge-        Zusatzkosten für den Vater des Kindes, etwa Geburtsvor-
  räte leisten, die relativ schnell kaputt gehen und oft nicht     bereitung, Familienzimmer in Klinik
  mehr repariert werden können. Es werden keine Repara-
  turkosten geschweige neue Elektrogeräte bewilligt. Eine         Ärztlich empfohlene Zusatzuntersuchungen
  Ausnahme stellen Alleinerziehende mit mindestens zwei
  Kindern dar, denen Darlehen für die Anschaffung von sol-        Kosten für nicht verschreibungspflichtige Medikamente
  chen Geräten gewährt wird.“
                                                                  Hebammenpauschale
 „Der Topf, der als Kann-Leistung im Kreis für Verhütungs-
  mittel zur Verfügung gestellt wird, war im zweiten Jahr         Kosten bei Hausgeburt
  schon nach fünf Monaten ausgeschöpft. Den Einzelfall mit
  Hilfe des Gesundheitsamtes zu erstreiten, scheuen einige        Einmalige Beihilfen, wenn Geschwisterkinder unter drei
  Frauen.“                                                         Jahren vorhanden sind (Problem, wenn alte Babyausstat-
                                                                   tung verschlissen)
 „Auch bei Trennung gibt es fast ausschließlich nur mit Hilfe
  eines Rechtsbeistandes zum zweiten Mal Herd, Kühlschrank        Eigenes Bett für das zweite Kind
  oder Waschmaschine.“
                                                                  Die Einbeziehung des ungeborenen Kindes in die Berech-
 „Der Erstausstattungsbedarf des Kindes ist nicht gedeckt,        nung der Wohnungsgröße
  weil für das vorige Kind gezahlt wurde – das weitere Kind
  hat damit kein eigenes Bett“                                    Besonderheiten wie Mehrlingsgeburten (Pauschalen liegen
                                                                   nicht deutlich über denen für ein Einzelkind)
Bedarfe von Schwangeren
                                                                  Mehrbedarf wegen Schwangerschaft rückwirkend ab der
Bei Schwangeren werden oft auch nicht die gesetzlich vorge-        12. Schwangerschaftswoche
sehenen einmaligen und zusätzlichen Bedarfe erstattet. Je
nach Sachbearbeiter ist die Behandlung sehr unterschiedlich.     Aus der Beratungspraxis:
Oft fehlen Hinweise auf mögliche Hilfen und Zusatzbedarfe         „Information/Beratung der Leistungsberechtigten: sehr (!)
und die Kostenübernahme erfolgt nur in geringem Umfang.            unterschiedlich, je nach Sachbearbeiter. Leider häufiger
Die Bewilligungen etwa für Schwangerschaftskleidung und            unvollständig oder fehlerhaft. Ein gemeinsam mit den
Babyerstausstattung treffen oft verspätet ein. Schwangere          Schwangerschaftsberatungsstellen im Kreis erarbeitetes
Frauen, die nicht im laufenden ALG-II-Bezug sind, sich aber        Informationsblatt für schwangere ALG-Berechtigte wird
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