Ressourcenfluch 4.0 Die sozialen und ökologischen Auswirkungen von Industrie 4.0 auf den Rohstoffsektor
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Ressourcenfluch 4.0 Die sozialen und ökologischen Auswirkungen von Industrie 4.0 auf den Rohstoffsektor P werShift
Impressum Ressourcenfluch 4.0 Die sozialen und ökologischen Auswirkungen von Industrie 4.0 auf den Rohstoffsektor Herausgeber PowerShift – Verein für eine ökologisch-solidarische Energie- & Weltwirtschaft e. V. Greifswalder Str. 4 (Haus der Demokratie & Menschenrechte), 10405 Berlin Tel.: +49-(0)30-42805479 Email: Michael.Reckordt@power-shift.de Twitter: @MichaelReckordt http://power-shift.de Autor*in: Hannah Pilgrim (Kapitel 3, 4 und Infoxbox 1), Merle Groneweg (Kapitel 3.2, 3.3 und Infobox 2 und 3), Michael Reckordt (Kapitel 1, 2, 5 und 6) Layout, Satz und Reinzeichnung: Tilla Balzer | balzerundkoeniger.de nach einer Layoutvorlage von Monika Brinkmöller Titelgraphik: Tilla Balzer Redaktion: Merle Groneweg, Hannah Pilgrim, Michael Reckordt Berlin, Februar 2017 © PowerShift e. V. ISBN: 978-3-9814344-9-1 Gedruckte Exemplare können kostenlos über bestellung@rosalux.de bezogen werden. Gefördert durch die Rosa Luxemburg Stiftung aus Mitteln des Auswärtigen Amts. Die Veröffentlichung wurde mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union ermöglicht. Für den Inhalt dieser Veröffentlichung ist allein PowerShift e. V. im Rahmen der Stop Mad Minnig Kampagne verantwortlich; der Inhalt kann in keiner Weise als Standpunkt der Europäischen Union angesehen werden. Gefördert von ENGAGEMENT GLOBAL im Auf trag des. Für den Inhalt dieser Publikation ist allein PowerShift e. V. verantwortlich;die hier dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt von Engagement Global gGmbH und dem Bundes ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wieder.
Ressourcenfluch 4.0 Die sozialen und ökologischen Auswirkungen von Industrie 4.0 auf den Rohstoffsektor
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung S. 5 2. Was ist Industrie 4.0? S. 9 2.1. Die politischen Treiber der Industrie 4.0 2.2. Die technologischen Treiber der Industrie 4.0 3. Rohstoffbedarf für Zukunftstechnologien S. 12 3.1. Technologien der Industrie 4.0 3.2. Elektromobilität 3.3. Energiewende 4. Rohstoffe – Abbau und Herausforderungen S. 18 4.1. Aluminiumerz Bauxit / Aluminium / Gallium 4.2. Germanium / Indium / Zink 4.3. Kobalt Informationsbox # 1: Tiefseebergbau 4.4. Kupfer 4.5. Lithium 4 Informationsbox # 2: Graphit für Batterien 4.6. Palladium und Platin (Platin-Gruppen-Metalle; PGM) 4.7. Seltenerdmetalle 4.8. Silber 4.9. Tantal (Coltan) 4.10. Zinn Informationsbox # 3: Konfliktmineralien 5. Alter Wein aus neuen Schläuchen S. 37 5.1. Falsche rohstoffpolitische Forderungen der Industrie 5.2. Dematerialisierung – uneinlösbares Versprechen der Industrie 4.0 5.3. Ressourceneffizienz 5.4. Grünes Internet und Datensicherheit 6. Politisches Umsteuern notwendig S. 43 6.1. Absolute Senkung der Rohstoffverbrauchs 6.2. Menschenrechte schützen Literaturverzeichnis S. 46 Abkürzungsverzeichnis S. 54
1. Einleitung In den letzten Jahren kommt kaum ein industrie politischer Artikel ohne den Begriff „Industrie 4.0“ aus. „Industrie 4.0“ soll deutlich machen, dass wir unmittelbar vor der vierten industriellen Revo- lution stehen und die voranschreitende Digita- lisierung Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit bietet. Internet 2.0 war gestern, der Einsatz von Elektrotechnik und Informations technologie zur Automatisierung der Produktion seit den 1970ern nur der Anfang (vgl. Abbildung 3, Seite 10). In einer Zeit, in der das globale Wirt- schaf tswachstum gedämpf t ist und sich Staa- ten in der Rezession befinden, scheint Industrie 4.0 das helle Licht am Ende des Krisentunnels zu sein. Mit zunehmender Digitalisierung, so das Credo, würde das Wirtschaftswachstum wieder anziehen und gleichzeitig einige der drängenden ökologischen, ökonomischen und sozialen Krisen gelöst. Das herrschende Wirtschaf tsmodell steckt in einer tiefen Krise. Viele Staaten sind überschul- det, die (Jugend-) Arbeitslosigkeit ist in vielen Rohstoffe. Protestgemälde von philippinischen Künstler*innen für mehr Menschenrechte (Foto: Michael Reckordt) Regionen konstant hoch, die Krisenanfälligkeit nach Finanz- und Wirtschaf tskrisen, platzen- den Blasen (Immobilien, New Economy, etc.) wirtschaftspolitische Maßnahmen stehen unter und des sich nicht einstellenden Erfolgs einer Dauerfeuer. Einhellig fordern Wirtschaf tsver- Niedrigzinspolitik gestiegen. Die neoliberale bände und konservative, liberale sowie sozial- Deregulierung durch sogenannte Freihandels- demokratische Parteien die Fortführung dieser abkommen und institutionalisierten Schutz von Politik. Die Ausrichtung der nationalen Wirt- ausländischen Investoren1 hat die globale Wirt- schaf t auf die Herausforderungen der Digitali- schaft nicht stabilisieren können. Genau im Ge- sierung der Produktion gibt ihnen eine Vision, in genteil: Handelsabkommen stehen stärker denn der sie die negativen Begleiterscheinungen der je in der Kritik, wie momentan die geplanten neoliberalen Deregulierung ignorieren können. Abkommen zwischen der EU und den USA bzw. Kanada. In ihnen wird politische Regulierung Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass die pla- zu Gunsten von Einflussnahme der Industrie netaren Grenzen durch das globale Wirtschafts- aufgegeben. Schiedsgerichte und zukünf tig re- system noch häufiger überschritten werden. Der formierte Investitionsgerichte geben einseitige Klimawandel, ausgelöst durch die zu hohen Treib- Klage- und Entschädigungsmöglichkeiten an hausgasemissionen (v. a. CO2- und Methangase), ausländische Investoren (Jaeger 2016, Reckordt die überdünkten Felder und Wiesen, das Abhol- 2017). Regulative Kooperation gibt multinatio- zen von (Primär-) Wäldern, die Überfischung der nalen Konzernen Möglichkeiten zur Intervention, Meere und die Übernutzung der Rohstofflager- bevor Gesetze oder Regulierungen zu Umwelt- stätten sind Zeugnisse dessen. Wir legen eine schutz, Sozialstandards, Verbraucher*innen- imperiale Lebensweise (Brand und Wissen 2011) Rechten oder Arbeitsrechten erlassen werden an den Tag, die die Kosten unseres Lebensstils können. Schutzklauseln für die heimische Wirt- immer weiter in die rohstoffreichen Länder ver- schaf t, Exportzölle auf Rohstof fe2 und andere lagert. Die negativen ökologischen und sozialen Kosten sind externalisiert und bleiben häufig 1 Bei Worten wie „Investor“ verwenden wir nicht die sonst geschlechtergerechte Formulierung (Investor*innen), wenn es an den lokalen Gemeinschaften vor Ort hängen. nicht um Personen, sondern um Unternehmen oder Körper- Derweil dreht sich in Europa und Deutschland der schaften geht. Diskurs von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft 2 In der vorliegenden Publikation konzentrieren wir uns vor allem auf die abiotischen Rohstoffe und hier wiederum über- vor allem um das „Rennen um die noch vorhandenen wiegend auf die metallischen und mineralischen Rohstoffe. Rohstoffe“ (Klare 2012). Das, was noch da ist, muss
Abbildung 1: Konflikte um den Abbau von metallischen (orange) und fossilen Rohstoffen (schwarz). (Quelle: http://ejatlas.org) „fair und frei“ verteilt werden, fordert unter ande- Arbeitskräf te in den letzten beiden Jahrhunderten rem der Bundesverband der Deutschen Industrie unter Beteiligung der Europäer so edel und sozial (BDI). Die Übernutzung der Welt und die (post-) verantwortungsvoll nun auch nicht gewesen sei. kolonialen Ausbeutungsschemata fallen nicht Das ist richtig. Wir werden das Selbstbewusstsein weiter ins Gewicht, wenn es darum geht, „unsere entwickeln müssen, trotz dieser geschichtlichen Ver Interessen“ durchzusetzen. Schon 2007 brachte antwortung – teilweise auch Schuld – einzufordern, dies der damalige hessische Ministerpräsident dass heute Regeln gefunden werden, die unsere Inte 6 der CDU, Roland Koch, auf den Punkt: ressen am Erhalt unseres Wohlstandes angemessen berücksichtigen“ (Koch 2007). „Manche unserer Verhandlungspartner in den sich gerade entwickelnden Staaten werden uns darauf Gegen das Durchsetzen dieser Interessensdurch- hinweisen, dass die Ausbeutung ihrer Rohstoffe und setzung am „Erhalt unseres Wohlstandes“ protes- tieren verstärkt Menschen in Abbauregionen auf der ganzen Welt (vgl. Abbildung 1). Dieser Abbau geschieht nicht selten auf Kosten von Umwelt und Menschenrechten. Vor allem die Proteste gegen Bergbau fordern in den letzten Jahren immer mehr Menschenleben. Die britische Orga- nisation Global Witness berichtet, dass im Jahr 2015 185 Umweltschützer*innen ihren Protest mit ihrem Leben bezahlten (Global Witness 2016). Allein 42 von ihnen wandten sich ge- gen Bergbauprojekte. Kein anderer Indus- triesektor war in so viele Morde verwickelt. Das unterstreichen auch Zahlen der UN: In den letzten 60 Jahren standen 40 Pro- zent aller Konflikte mit Rohstoffen in Ver- bindung, wobei die UN auch Konflikte um die Gewinnung energetischer Rohstof fe mit einschließt (UNEP 2009). Ambivalent ist auch die Rolle der Rohstof f- gewinnung und Aufbereitung für die Ziele der nachhaltigen Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs) (Abbildung 2). An einigen Stellen kann der Bergbau direkt, zum Beispiel durch die Schaffung von guten Arbeits- plätzen, sowie indirekt, etwa durch die Möglich- Abbildung 2: Bergbau und die Ziele zur Nachhaltigen Entwicklung. keiten des Ausbaus von Erneuerbarer Energie
2000 2010 2017 2020 2030 Aluminium in 1000 t 31.000 40.000 66.000 74.674 112.698 Kupfer in 1000 t 13.000 15.000 21.000 25.138 33.808 Gold in t 2.540 2.460 3.250 3.640 5.311 Rohstahl in 1000 t 848.000 1.140.000 1.720.000 1.873.863 2.493.270 Palladium in kg 173.000 209.000 236.000 259.259 354.657 Platin in kg 153.000 210.000 248.000 281.090 426.736 Metalle Zinn in t 279.000 299.000 256.000 260.019 273.875 Blei in t 3.200.000 3.470.000 5.679.412 6.229.124 9.372.461 Zink in t 8.770.000 10.000.000 17.010.798 18.657.280 28.072.104 Silber in t 18.100 20.800 32.109 35.217 52.988 Chrom in t 3.260.000 6.910.000 10.476.364 11.413.531 15.186.283 Magnesium in t 428.000 622.000 1.032.191 1.127.837 1.500.644 Erdöl 1000 Barrels/ 74.955 83.272 91.955 95.437 99.525 Tag Fossile Brennstoffe Erdgas Mrd. m3 2.411 3.192 3.735 3.957 4.646 Kohle in Mio. Tonnen 4.701 7.252 8.352 8.644 9.007 Tabelle 1: Jährliche Produktionsmengen verschiedener Rohstoffe (2017, 2020, 2030 geschätzt) (Quelle: UBA 2015) oder „Urban Mining“, der Rückgewinnung von Entwicklung an den Staaten des Globalen Nor- Rohstoffen aus Abfallstoffen, beitragen, die Zie- dens, dessen Wirtschaf tswachstum bis heute le zu erreichen. Gleichzeitig gefährdet aber der nicht vom Rohstoffverbrauch entkoppelt werden Abbau viele SDGs, da er Landkonflikte auslösen, konnte. Selbst mit erhöhter Rohstoffeffizienz 7 Öko-Systeme, Wasserversorgung, Luf tqualität steigt der Verbrauch weiterhin. So verursacht oder die Gesundheit gefährden oder durch Kor- zum Beispiel allein das Gold in einem Smart ruption die nachhaltige Entwicklung verhindern phone bis zu 100 Kilogramm Abraum, also nicht kann. Die Gefahren bestehen jedoch nicht nur an genutztes Gestein und Material. Gleichzeitig häu- Land. Durch unkalkulierbare Risiken des Tiefsee- fen sich – trotz scheinbarer besserer Technologie bergbaus (s. Informationsbox #1), die unsachge- im Abbau – die Unglücke. Im Jahr 1996 wurde ein mäße Errichtung oder den fehlerhaften Betrieb Großteil des Ökosystems der Insel Marinduque von Rückhaltebecken für toxische Schlämme, ge- (Philippinen) durch das Brechen eines Rückhalte- fährdet der Bergbau massiv das maritime Leben. beckens zerstört; durch den Unfall in Baia Mare (Rumänien) wurde im Jahr 2000 das Trinkwasser Wie Bergbau grundsätzlich die Umsetzung der von 2,5 Millionen Ungar*innen verseucht. Zu- Menschenrechte unterlaufen kann, hat die Max letzt zerstörte der Bruch des Rückhaltebeckens Planck Foundation im Auftrag der Bundesanstalt in der brasilianischen Eisenerzmine Samarco für Geowissenschaf ten und Rohstof fe (BGR) das Flusssystem des Doce Flusses und somit die untersucht. Die Grundlagenstudie zeigt, dass Lebensgrundlage von zehntausenden von Men- selbst anhand einer konservativen Definition schen. Allein 19 starben durch die Schlammlawi- von Menschenrechten – ohne die Beachtung ne, 700 Menschen wurden obdachlos und 8.000 von extra-territorialen Staatenpflichten und der Fischer*innen klagen momentan gegen das Verantwortung der Unternehmen entlang der verantwortliche Unternehmen BHP Billiton auf- Lieferkette, Menschenrechte zu achten – eine grund der Verlustes ihrer Lebensgrundlage (The Vielzahl an Rechtsverletzungen bei der Erkun- Telegraph 2016). dung, der Errichtung, des Betriebs und der Schlie- ßung einer Mine auftreten können (Max Planck Nachdem auf dem Klimagipfel in Paris im Jahr Foundation 2016). 2015 beschlossen wurde, den globalen Tempe- raturanstieg auf maximal 1,5 Grad Celsius zu Neben den menschenrechtlichen Auswirkungen begrenzen, ist ein schneller Ausstieg aus der unseres Rohstoffkonsums sind auch die ökologi- Verstromung von fossilen Energieträgern un- schen groß. Der Verbrauch an metallischen und umgänglich geworden. Rohstof fabbau und mineralischen Rohstoffen, wie auch an fossilen die Weiterverarbeitung verbrauchen in der Re- Energieträgern, steigt weiter an. Viele Länder gel große Mengen an Elektrizität – allein die des Globalen Südens orientieren sich in ihrer energieintensivste Industrie, die Herstellung
von Aluminium, hatte 2013 einen Anteil von drei Doch während sich Graswurzelorganisationen, Prozent am globalen Stromverbrauch und sogar globale Zivilgesellschaf t und auch ein immer 7,4 Prozent am industriellen Stromverbrauch größer werdender Teil der Wissenschaf t mit (Ruettinger et al. 2016b). In Island benötigen al- Alternativen zu dem herrschenden Paradigma lein drei Aluminiumhütten 70 Prozent des Ener- auseinandersetzt, orientieren sich die wirt- gieverbrauchs. Das Land verzeichnet daher den schaf tspolitischen Diskurse der Industrie, der höchsten elektrischen Energieverbrauch pro Finanzwirtschaft und der Politik an einem neuen Kopf und Jahr (World Bank 2016). Deshalb wird Versprechen, das sich am Horizont abzeichnet: ein sehr schnelles Umdenken auch bei dem Ver- Industrie 4.0. brauch von metallischen Rohstoffen nötig sein, um die globalen Klimaziele zu erreichen (vgl. Ta- Daher beschäftigen wir uns in dieser Publikation belle 1). detaillierter mit der Industrie 4.0. Wir setzen uns im zweiten Kapitel mit den Fragen auseinander, was Industrie 4.0 eigentlich ist und welche Hoff- Der Club of Rome geht davon aus, dass bei eini- nungen vor allem die deutsche Regierung damit gen Rohstoffen (z. B. Kupfer, Zink, Nickel, Gold verbindet. Im Kapitel drei widmen wir uns ver- und Silber) in den nächsten Jahren und Jahr- tiefend den Rohstoffbedarfen von Industrie 4.0 zehnten das Fördermaximum erreicht sein wird sowie der Elektromobilität und der Umstellung (Bardi 2012). Während sich an Land also bereits auf Erneuerbare Energien. Beide sind eng mit der stark sinkende Rohstof fkonzentrationen und Industrie 4.0-Diskussion verwoben und haben immer schwieriger zu erreichende Lagerstätten aus rohstoffpolitischer Sicht noch einmal spezifi- verzeichnen lassen, sorgt der Hunger nach wei- sche Auswirkungen. Unser Fokus liegt dabei auf teren Rohstof fen dafür, dass selbst nahezu un- den gesteigerten Bedarfen an metallischen Roh- erforschte Gebiete wie die Tiefsee, die Arktis, das stoffen, denn hier sind aus menschenrechtlicher Weltall oder entlegene Gebiete des Regenwaldes und ökologischer Perspektive die größten Her- immer stärker in das rohstoffpolitische Interesse ausforderungen zu erwarten. Wir untersuchen rücken. Gleichzeitig gibt es eine Unternehmens- daher die Fragen, welche Zukunftstechnologien 8 konzentration beim Abbau, die Rohstof fpreise für Industrie 4.0 gebraucht werden und welche unterliegen Schwankungen und je nach Rohstoff Metalle und Mineralien wiederum maßgeblich spielt die Preisspekulationen an Börsen eine ge- für diese Zukunftstechnologien sind. Im vierten wisse Rolle. Kapitel werfen wir dann einen Blick auf die öko- logischen, menschenrechtlichen und sozialen Zunehmend kritisieren Menschen im Globalen Herausforderungen beim Abbau der Rohstoffe Norden diese Art von Wachstum. Auf einem be- anhand von zehn kompakten Rohstof fsteck grenzten Planeten ist ein unendliches Wachstum, briefen. Im Kapitel fünf analysieren wir einige der das vor allem auf der materiellen Produktion Versprechungen von Industrie 4.0, um schluss von Dingen basiert, unmöglich. Die Postwachs- endlich im letzten Kapitel politische Forderun- tumsbewegung hat immer mehr Anhänger*in- gen für eine zukunf tsfähige Rohstof fpolitik zu nen. Auch der Glaube daran, für die globalen formulieren. Herausforderungen und lebensbedrohlichen Probleme – vor allem für Menschen, die sich den neuen klimatischen und ökologischen Gegeben- heiten nicht so einfach anpassen können – tech- nische Lösungen zu finden, wird immer stärker angezweifelt (Fatheuer et al. 2015). Gleichzeitig sind einige dieser Diskussionen, wie jene um CCS-Technologien (Carbon Capture and Storage, also die Versprechung, CO2-Emission in der Tiefe einzulagern) immer noch nicht gestorben, ob- wohl CCS unklare Risiken birgt und bisher nicht umsetzbar war. Auch die vermehrte Digitalisie- rung in den letzten zwei Jahrzehnten hat den materiellen Verbrauch an Rohstof fen nicht ge- senkt. Im Gegenteil – wir verbrauchen von allem immer mehr: mehr fossile Energieträger, mehr Metalle und Mineralien (vgl. Tabelle 1), mehr Bau- materialien und mehr Biomasse.
2. Was ist Industrie 4.0? 4. Industrielle Revolution auf Basis von Cyber-Physical Systems 1. Speicherprogrammier- bare Steuerung (SPS), Modicon 084, 1969 3. Industrielle Revolution durch Einsatz von Elektronik und IT zur weiteren Grad der Komplexität 1. Fließband, Schlachthöfe Automatisierung der Produktion in Cininnati, 1870 2. Industrielle Revolution durch Einführung arbeitsteiliger Massenproduktion 1. mechanischer mithilfe von elektrischer Energie Webstuhl, 1784 1. Industrielle Revolution durch Einführung mechanischer Produktionsanlagen mithilfe von Wasser und Dampfkraft Ende 18. Jhdt Beginn 20. Jhdt Beginn 1970er Jahre heute Zeit Abbildung 3: Die vier Stufen der industriellen Revolution (Quelle: Eigene Darstellung nach Plattform Industrie 4.0) 9 Seit einigen Jahren versprechen Wirtschaf t, 2.1. Die politischen Treiber der olitik und Forschungsinstitute die vierte Welle P Industrie 4.0 der industriellen Revolution. Im angelsächsi- schen Raum wird von dem Internet der Dinge Es sind vor allem große Wirtschaftsverbände und („Internet of Things“) gesprochen. In Deutschland einzelne Unternehmen aus dem Bereich Elektro- firmiert die Digitalisierung der Fertigung und des nikindustrie (ZVEI), Maschinen- und Anlagenbau Vertriebs unter dem Begriff „Industrie 4.0“. „Wenn (VDMA) sowie der Verband der digitalen Industrie Bauteile eigenständig mit der Produktionsanlage (BITKOM), die, unterstützt von der Bundespolitik, kommunizieren und bei Bedarf selbst eine Repara den Diskurs der Industrie 4.0 und entsprechen- tur veranlassen – wenn sich Menschen, Maschinen de Prozesse vorantreiben. Alle drei Verbände und industrielle Prozesse intelligent vernetzen, spre sind wichtige Mitglieder im BDI. Wie deutlich der chen wir von Industrie 4.0“, schreibt das Wirt- Schwerpunkt der Wirtschaf tsverbände auf In- schaftsministerium (BMWi) auf seiner Webseite dustrie 4.0 liegt, zeigt sich auch an den Persona- (BMWi 2016). Für den Wirtschaf tsverband BDI lentscheidungen im BDI. So löste Dieter Kempf, ist Industrie 4.0 ein radikaler Strukturwandel: ehemaliger Vorsitzender von BITKOM, Ulrich Gril- „Neue Daten, Vernetzung, Automatisierung und die lo als Vorsitzenden des BDI zum 1. Januar 2017 ab. digitale Kundenschnittstelle sprengen bestehende Kempf gilt als Experte im Bereich Digitalisierung Wertschöpfungsketten“ (Roland Berger / BDI 2015). und Industrie 4.0. Sein Vorgänger Grillo, der aus Industrie 4.0 sei die Neukonfigurierung des glo- der rohstof fverarbeitenden Industrie kommt, balen Produktionssystems oder gar eine „Rein lobt Kempf. Dieser habe die Expertise und Erfah- dustrialisierung“ (ebd.). Industrie 4.0 ist nicht nur rung, „die notwendig ist, um unsere Industrien und die Digitalisierung der horizontalen und verti- den Industriestandort Deutschland insgesamt beim kalen Wertschöpfungsketten der Unternehmen, Weg durch die vierte industrielle Revolution zu unter sondern wird auch große Veränderungen im stützen“ (zitiert nach: Jahberg 2016). Produkt- und Dienstleistungsportfolio der Unter nehmen nach sich ziehen (PWC 2014). Die drei Verbände ZVEI, VDMA und BITKOM haben ebenfalls die Plattform Industrie 4.0 initiiert. „Bundeswirtschaf tsminister Sigmar Gabriel und Bundesforschungsministerin Prof. Dr. Johanna W anka steuern und leiten die Plattform
in Frankreich die A lliance Industrie du Futur ge- gründet, die britische Regierung hat 2015 die In- itiative I oTUK (Internet of Things UK) ins Leben gerufen und in Schweden hat die dortige Regie- rung einen Handlungsplan mit 45 Maßnahmen beschlossen (GTAI 2016f). Zuletzt bekam auch die Strategie der chinesischen Regierung, Made in China 2025, eine stärkere mediale Aufmerk- samkeit. Das Land bereitet sich vor allem durch die Mehrheitssicherung von Aktien ausländi- scher Technologiekonzerne, unter anderem dem Industrieroboter-Hersteller Kuka, aber auch mit großen Investitionen in den Ausbau der Internet infrastruktur, auf Industrie 4.0 vor. In einer vom BMWi (2015) erarbeiteten Zukunfts- vision geht die Bundesregierung von Verände- rungen auf unterschiedlichen Ebenen aus: Dazu gehören neue Marktchancen und Exportmög- lichkeiten, eine nachhaltigere Wirtschaft inklusi- ve Ressourcenschonung und Energieeffizienz, Die EU will die Industrie wieder stärken (Foto: Michael Reckordt) Entstehung von qualitativ hochwertigen Ar- beitsplätzen, neue Freiräume und soziale Teil- gemeinsam mit hochrangigen Vertretern aus habe sowie eine steigende Lebensqualität, Wirtschaf t, Wissenschaf t und Gewerkschaf ten. „weil die Digitalisierung zum Nutzen der Menschen In themenspezifischen Arbeitsgruppen erarbei eingesetzt wird“ (BMWi 2015). Auch eine durch die ten Expertinnen und Experten aus Unternehmen, vierte industrielle Revolution ausgelöste Erhö- 10 Wissenschaf t, Verbänden und Gewerkschaf ten hung der Industrieproduktion zählt zu den Hoff- gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern ver nungen der deutschen Politik und Wirtschaf t. schiedener Bundesministerien operative Lösungs Vor allem aufgrund der Krisenanfälligkeit des ansätze“ (Plattform Industrie 4.0 o.J.a). Das Ziel globalen Finanzs ystems, setzen Bundesregie- der Plattform ist, gemeinsame Handlungs rung und E uropäische Union verstärkt auf die empfehlungen für einheitliche und verlässliche Produktion von Gütern. „Schließlich ist es im Inte Rahmenbedingungen auszuarbeiten. Zwar arbei- resse der Wiederbelebung der Wirtschaf t in der EU tet das von der Industrie dominierte Bündnis in erforderlich, die Reindustrialisierungsbemühungen der Plattform mit einigen Forschungsinstituten im Einklang mit dem Anspruch der Kommission, den und der Gewerkschaft IG Metall zusammen, eine Beitrag der Industrie zum BIP bis 2020 auf 20 % zu Beteiligung von U mwelt- oder Entwicklungsver- steigern, mitzutragen“ (EU-Kommission 2014). bänden findet aber nicht statt. Das verwundert wenig, da auch das Bundesumweltministerium Während es zu den gesamtgesellschaf tlichen (BMUB) oder das Umweltbundesamt (UBA) nicht Chancen keine verlässlichen Studien gibt und in der Plattform aktiv sind (Plattform Industrie die Chancen für den Arbeitsmarkt unterschied- 4.0 o.J.b). Der Bund flankiert diese Plattformen lich bewertet werden (vgl. Matuschek 2016), sind und Netzwerke durch eine Hightech-Strategie, bisher vor allem die industriepolitischen Auswir- Forschungsprojekte und politische Projekte, wie kungen dominant in der Diskussion. PWC rech- den Ausbau der Breitband-Infrastruktur, um die net damit, dass allein die europäische Industrie großen Datenmengen irgendwann auch trans- im Jahr 2020 140 Milliarden Euro in „industrial portieren zu können. internet applications“ investieren wird (PWC 2014). Roland Berger und der BDI gehen sogar davon Auch in anderen Ländern wird zu diesem Thema aus, dass ein Zuwachs von 1,25 Billionen Euro gearbeitet: In den USA ist es das von der Indus- an industrieller Bruttowertschöpfung bis 2015 trie initiierte Industrial Internet Consortium möglich ist, warnen aber auch vor möglichen (vgl. Roland Berger / BDI 2015), in Südkorea die Verlusten in Höhe von 605 Milliarden Euro in der Korea Industrial Technology Association (KOI- Wertschöpfung, wenn nicht die passenden Wei- TA). Laut Roland Berger und BDI gibt es in Süd- chen gestellt werden (Roland Berger / BDI 2015). korea sogar ein eigenes Ministerium, dass sich Mit solchen Zahlenspielen wird indirekt auch um Industrie 4.0 und die vierte industrielle Re- eine Warnung an die Bundesregierung ausge- volution kümmert. Auch in Europa treiben die sprochen: Wenn ihr die gigantischen Chancen Regierungen die Industrie 4.0 voran. So wurde nicht nutzt, drohen große Verluste.
2.2. Die technologischen Treiber der optimales und ganzheitliches Management des Pro Industrie 4.0 duktlebenszyklus von der Entwicklung und Produk tion über den Betrieb bis hin zur Demontage und dem Das Bundeswirtschaftsministerium identifiziert Recycling“ (BMWi 2015). vor allem vier technologische Treiber, die so ge- nannten Enablertechnologien, als bedeutsam für Cloud-Technologien werden als dritter techno- die Industrie 4.0. Erst diese Technik ermöglicht logischer Treiber genannt. Die Besonderheit ist, (English: enable) die vierte industrielle Revolution. dass durch das Internet schon heute von jedem An erster Stelle sind dies die Cyber-Physische- Ort zu jeder Zeit auf die gesammelten Daten zu- Systeme (CPS). „CPS sind Netzwerke kleiner mit rückgegriffen werden kann. Produktionsabläufe Sensoren und Aktoren ausgestatteter Computer, die und -fortschritte können so zeitnah kontrolliert als sogenannte Eingebettete Systeme in Materia und von verschiedenen Stellen abgefragt wer- lien, Gegenstände, Geräte und Maschinenteile einge den. Auch Bergbaukonzerne nutzen vermehrt baut und über das Internet miteinander verbunden diese Technologie, um unternehmensinterne werden“ (BMBF 2013). In diesen Systemen stehen Ablaufprozesse besser zu gestalten. So sollen vernetzte Geräte, Maschinen und bewegliche nun laut gemeinsamer Presseerklärung mit dem Gegenstände (z. B. Autos, Trucks, Gabelstapler) Service-Anbieter Box allein bei Anglo American mittels IT in einem kontinuierlichen Datenaus- 10.000 Angestellte mit über 9.000 konzern tausch. „Durch die Vernetzung können Planung und eigenen Laptops Zugang zur Cloud haben. In die- Steuerung von Fertigungs- und Logistik-Prozessen au ser werden Daten gespeichert und verarbeitet. tomatisiert und autonomisiert werden“ (BMWi 2015). Anglo American benötigte laut eigener Aussage Vertikal bedeutet das für Unternehmen, dass sie die externe Unterstützung vor allem für das er- Unternehmensprozesse permanent nachverfol- weiterte Content-Management, den mobilen gen und dezentral in Produktionsprozesse und Zugang zu Informationen und die betriebseigene Lieferketten eingreifen können. Gleichzeitig kön- soziale Plattform (Box 2014). nen theoretisch Neukonfigurationen von außer- halb vorgenommen werden. Horizontal werden Als vierte und letzte Enablertechnologie nennt so auch Unternehmen in der Lieferkette vernetzt. das BMWi die additiven Fertigungsverfahren. 11 „Das Internet ermöglicht diese ständige Koordinierung Bisher waren vor allem substraktive Verfahren an- auch zwischen weltweit verteilten Standorten und gewandt, zum Beispiel beim Stanzen, Zerspanen über Unternehmensgrenzen hinweg“ (ebd.). oder Fräsen. Von einem Ausgangsmaterial wurde also per Reduktion ein Teil gewonnen. Jetzt kön- Das Bildungs- und Forschungsministerium sah nen unter anderem 3D-Drucker „Bauteile Schicht schon 2013 in ihrem „Zukunf tsbild Industrie 4.0“ für Schicht aus Materialien wie Metallen, Kunst die knappen Rohstoffe und die steigenden Ener- stof fen und Verbundwerkstof fen“ (BMWi 2015) giepreise (BMBF 2013) als die größten Herausfor- quasi aus- bzw. aufdrucken. Von dem additiven derungen. Cyber-physische Systeme begreift das Verfahren, das heute schon in Gießereien einge- BMBF dabei als zentralen Lösungsansatz, weil sie setzt wird, werden sich Materialeinsparungen theoretisch zu einer Verbrauchsreduzierung auf- und die effizientere Rohstoffnutzung erhofft. grund besserer Vernetzung beitragen k önnten. Hier gehen die Zukunftstechnologien der auto- nomen Mobilität bzw. Elektromobilität und In- dustrie 4.0 ineinander über. Ein Beispiel für diese Automatisierung sind selbstfahrende Trucks in einer australischen Mine von Rio Tinto. Die Steu- erung findet in einem 15 Kilometer entfernten Kontrollzentrum statt (vgl. George 2016). Als zweite Enablertechnologie gelten integrierte Daten, Datenströme und Big Data. „Zum Erfolgs faktor wird künftig, dass im Sinne einer horizontalen und vertikalen Integration alle verfügbaren Daten miteinander verknüpft werden“ (BMWi 2015). Das bedeutet, dass zeitgleich sowohl zwischen ver- schiedenen Akteuren der Zulieferkette als auch auf einer Stufe der Wertschöpfungskette Daten und Datenströme ausgetauscht werden können. „Die Kombination und die Auswertung dieser Daten durch innovative Analysetools sind die Basis für ein Die Maschinen agieren vernetzt untereinander, ohne Einfluss der Poltik? (Foto: Michael Reckordt)
3. Rohstoffbedarf für Zukunftstechnologien wirtschaf tlichen Entwicklungen – Digitalisie- rung, Entwicklung neuer Produkte und Prozesse, etc. – abhängig. Die Studie analysiert allerdings keine Gesamtnachfrage nach Rohstoffen; es han- delt sich ausschließlich um eine Prognose für die 42 ausgewählten Zukunf tstechnologien. Wur- den 2009 noch Gallium, leichte Seltenerdmetalle (Neodym), Indium und Germanium am relevan- testen eingeschätzt, so prognostizieren die Wis- senschaf ter*innen in der aktuellen Studie der DERA vor allem für Lithium, leichte und schwere Seltenerdmetalle (Neodym/Praseodym, Dyspro- sium/Terbium), Rhenium und Tantal einen gro- ßen Nachfrageanstieg (Angerer et al. 2009, DERA 2016). Um die wichtigsten Rohstoffe hinsichtlich Industrie 4.0 herauszuarbeiten, kann der Blick auf die notwendigen Technologien hilfreich sein. Dabei ergibt sich nochmals eine veränderte Roh- Windfarm in Neuseeland (Foto: Nicola Jaeger) stoff-Relevanz, die in Kapitel 4 vertieft wird. 3.1 Technologien der Industrie 4.0 Sensoren: Um die Daten aus dem Produkti- onsprozess selbstständig auswerten, nutzen 12 Laut BMBF ermöglicht Industrie 4.0 den Unter- und schlussendlich durch Algorithmen wieder nehmen eine höhere Flexibilität, um etwa „auf reduzieren zu können, werden intelligente Sen- Marktentwicklungen, auf kurzfristig geänderte soren als zentral für die Umsetzung der Indust- Produktanforderungen oder auf schwankende Roh rie 4.0 erachtet. Sie werden bspw. zur Messung stoff- und Energiepreise“ (BMBF 2013) zu reagieren. der Position oder Temperatur der Maschine, für Durch die hohe Spezialisierung und Verwendung die Qualitätskontrolle innerhalb des Produkti- von spezifischen Rohstoffen mit bestimmten onsprozesses oder die automatische Bildverar- Charakteristiken – hohe Dichte, Leitfähigkeit, beitung verwendet. Es existiert eine Vielzahl an Schwere, Elastizität, etc. – sind allerdings Roh- unterschiedlichen Sensoren, und ihre Verwen- stof fe für diese Technologien nicht einfach zu dung steigt (DERA 2016). So stecken zum Bei- substituieren. Spezifische Technologien schaffen spiel Smartphones voller Sensoren, die Daten spezifischen Rohstoffbedarf. Das zeigt auch die über die Nutzer*innen sammeln. „Entsprechende Studie der Deutschen Rohstof fagentur (DERA) Programme können damit sehen, hören und fühlen, „Rohstoffe für Zukunftstechnologien 2016“, die das was in der Umgebung des Gerätes geschieht“ (Bier- Fraunhofer-Institut für System- und Innovations- mann 2014). Gleichzeitig hat sich die Zahl der forschung ISI für die BGR und die DERA erstellt verkauften Smartphones in den letzten Jahren hat (DERA 2016). vervielfacht. Wurden im Jahr 2010 weltweit über 300 Millionen Smartphones verkauft, waren es In der Studie werden 42 Zukunftstechnologien fünf Jahre später mehr als 1,4 Milliarden (Statista betrachtet und ihre zukünftigen Rohstoffbedar- 2016c). Ansteigend ist ebenfalls die Anzahl der in fe für das Jahr 2035 erarbeitet.3 Für 16 Rohstoffe den Smartphones integrierten Sensoren (Buzin- ergibt sich daraus eine besondere Relevanz für ga App Development 2016). In einem Auto sind den zukünftigen Bedarf.4 Diese Relevanz ist so- etwa 100 unterschiedliche Sensoren eingebaut; wohl von politischen Faktoren – u. a. Exportein- bei Elektroautos mit Autopilotfunktion werden schränkungen von Seltenen Erden – als auch von es noch einmal mehr sein (DERA 2016, Electrek). Schwierigkeiten bestehen darin, den weiteren 3 Zu diesen 42 Technologien gehören u.a.: Elektrische Trak- Bedarf an Sensoren sowie wissenschaftlich vali- tionsmotoren für Hybrid-, Elektro- und Brennstoffzellenfahr- zeuge, Indium-Zinn-Oxide für die Displaytechnik, Glasfaserka- de Aussagen über den genauen Rohstoffbedarf bel oder Hochleistungspermanentmagnete (DERA 2016). von Sensoren zu tref fen. Fest steht aber, dass 4 Diese 16 Rohstoffe sind: Gallium, Germanium, Indium, in den Sensoren zahlreiche in ihrem Abbau kri- Kobalt, Kupfer, Lithium, Palladium, Platin, Rhenium, Scandium, leichte Seltenerdmetalle (Neodym und Praseodym), schwere tische Metalle wie Zinn, Wolfram, Platin oder Seltenerdmetalle (Dysprosium und Terbium), Silber, Tantal, Tantal genutzt werden (DERA 2016). So besteht Titan und Zinn (DERA 2016)
beispielsweise ein Wärmetönungssensor, der analysieren braucht es ebenso RFID-Lesegeräte. in Katalysatoren integriert ist, aus einer Kera- Je nach Technik können diese passiven RFID- mik-Perle, die in Platin eingewickelt ist (ebd.). Chips, die keine Batterie besitzen und selbst Daten senden, von Lesegeräten aus größerer Unter Energy-Harvesting versteht man eine Entfernung abgelesen werden (Digitalcourage Technologie, die es ermöglicht, kabelfrei und 2003). Die benötigten Rohstof fe sind vor allem ohne Batterie aus der Umwelt Energie zu gewin- Silber, Kupfer und Aluminium (DERA 2016). nen. Sie stellt eine Schlüsseltechnologie dar, die in vielen Bereichen Anwendung findet (DERA Bleifreie Lote: Um metallische Stof fe zu ver- 2016). Bekannte Einsatzgebiete sind zum Beispiel binden, sind Lote notwendig. Ob Datenspeicher, die Bremskraf trückgewinnung beim Auto oder Smartphone oder Laptop, nahezu jedes elektro- die Energiegewinnung durch Sonne, Wasser nische Gerät enthält eine gelötete Leiterplatte. und Wind im Bereich Erneuerbare Energien. Bei Bis 2002 wurden Lote aus Blei hergestellt, doch Micro-Energy-Harvesting-Technologien funk- aufgrund der gesundheits- und umweltge- tioniert dies im kleineren Maßstab: Speziell für fährdenden Produktion legte die EU den Blei- Anwendungen mit drahtlosen Sensoren gewin- Grenzwert von 0,1 Prozent in Werkstof fen von nen Mikrosysteme kleinere Mengen elektrischer elektronischen Geräten fest. Aufgrund dessen Energie aus der Umgebung (z. B. durch Tempe- bestehen sie seitdem vor allem aus Silber und ratur oder Vibration). Diese Technologie wird zu- Zinn. Es wird prognostiziert, dass die vernetz- künftig vor allem bei der Zustandsüberwachung te Produktionstechnik der Industrie 4.0 den von Transportmitteln oder der Echtzeitaufnah- Marktanteil bleifreier Lote bis 2025 von 73 auf 89 me von Daten in der Industrie 4.0 verwendet. Die Prozent steigen lassen wird. Dennoch wird der DERA spricht von einem „signifikanten“ Anstieg Bedarf an Zinn für diese Technologie laut DERA der Nutzung dieser Technologie in der zukünfti- zurückgehen (DERA 2016). gen industriellen Produktion. Dabei wird ange- nommen, dass bis 2035 rund zehn Prozent der Displays: Die Digitalisierung der Produktion ist weltweiten Dysprosium-Produktion in diese Zu- maßgeblich auf Flachbildschirme und Touch- kunftstechnologie fließen wird. Neben Dyspro- screens angewiesen. Indium-Zinn-Oxide, die 13 sium bestehen sie zudem aus Neodym, Kobalt hauptsächlich aus Indiumoxid bestehen, werden und Kupfer. für die Herstellung von Bildschirmen in einer Vielzahl von elektronischen Geräten benötigt. Radio Frequency IDentification-Tags (RFID): Hinsichtlich des Rohstof fs Indium wird davon Das Unternehmen Siemens bezeichnet sie als ausgegangen, dass 2035 bis zu 34 Prozent der die „Augen und Ohren der IT“ (Siemens 2015) weltweiten Indium-Produktion in Displays ver- oder Digitalcourage e. V. als „Schnüf felchips“ baut sein wird (ebd.). (Digitalcourage 2013), denn die Transponder- Technologien bieten die Möglichkeit, Objekte Hochleistungsmikrochips werden vorwiegend im Raum über Funk zu orten. Sie bestehen aus in Mobiltelefonen und WLAN-Chips verbaut einem Transponder („Tag“) als mobilem Daten (ebd.). Für diese Nutzung gibt es tendenziell träger, einem Lesegerät, welches mit einem ein hohes Wachstum, da zum Beispiel WLAN- weiteren Datengerät verbunden ist, und einem Chips immer häufiger in Geräte integriert wer- integrierten Mikrochip (DERA 2016). Dadurch den. Auch der im Rahmen von Industrie 4.0 können „Dinge“ und Menschen miteinander geplante Ausbau der drahtlosen Kommunika- kommunizieren. In der Produktion kann ana- tion in weitläufigen Produktionsanlagen setzt lysiert werden, wann und wo etwas hergestellt auf diese Hochleistungsmikrochips. Sie sind wurde. RFID-Tags befinden sich zudem an di- versen alltäglichen Gegenständen. So kann die Leitung eines Kleidungsgeschäf ts durch die Funkchips exakt nachvollziehen, wo sich ge- rade ihre Ware befindet (Wall Street Journal 2014). Erklärtes Ziel der Industrie ist es, „in den kommenden Jahren alles, jede Steckdose, jede Hose, jeden Schuh und jeden Joghurtbecher mit RFID aus zustatten“ (Digitalcourage 2013). Unterschied liche Berechnungen geben an, dass 2035 jährlich 2,1 bis 85 Billionen RFID-Tags verkauf t werden, was im Vergleich zu den 2014 verkauf- ten 6,3 Milliarden RFID-Tags eine enorme Stei- gerung darstellt (DERA 2016). Um die Daten zu Leiterplatten von Smartphones (Quelle: hollandrecycling)
wesentlich wesentlich kleiner als herkömmliche Feinstaubemissionen sowie der Verbrauch fos- Mikrochips und gelten im Vergleich zu diesen als siler Rohstoffe Gesundheit und Umwelt gefähr- leistungsstärker und energieeffizienter. Außer- den. Elektromobilität scheint da – zumindest dem können sie bei hohen Temperaturen und im in Bezug auf Emissionen und Verbrauch fossiler ultrahochfrequenten Bereich verlässlicher arbei- Rohstof fe – eine Lösung zu versprechen. Wür- ten. Sie bestehen hauptsächlich aus Gallium. den die Batterien mit Strom aus Erneuerbaren Energien aufgeladen, so führen Elektrofahrzeuge Industrie-Roboter: Dabei handelt es sich um „praktisch ohne Schadstoffausstoß“, heißt es auf der programmierbare Maschinen, die in der Lage Website der deutschen Bundesregierung. So ist sind, Produktionsschritte autonom auszufüh- es ihr erklärtes Ziel, bis 2020 eine Million und bis ren. Sie bestehen aus einem Manipulator (dem 2030 gar sechs Millionen Elektrofahrzeuge auf die Roboterarm), der Steuerung und dem Ef fektor Straßen zu bringen. Um dies zu erreichen, hat der (dem Werkzeug oder Greifer). Auch sie werden Bundesrat Steuervergünstigen zugestimmt, etwa zunehmend mit Sensoren ausgestattet. Ergeb- der Befreiung von der Kfz-Steuer für zehn Jahre nisse einer Studie der International Federation of ab Erstzulassung. Darüber hinaus wurden im Juli Robotics (IFR) zeigen, dass der Absatz von Indus- 2016 Fördergelder in Höhe von 1,2 Milliarden Euro trie-Robotern seit mehreren Jahren voran schrei- bereitgestellt, um den Kauf eines rein elektrisch tet: Waren es 2005 noch 120.000, so wurden im betriebenen Fahrzeugs mit einer Prämie von Jahr 2015 schon Absatzzahlen von über 250.000 4.000 Euro zu unterstützen. Doch einen Monat Robotern erreicht. Dabei entfielen auf Deutsch- nach Verkündung der Prämie wurden nicht ein- land etwa 20.000 (IFR 2016a). Südkorea, Japan, mal 1.800 Anträge gestellt – bei gleichbleiben- China, USA und Deutschland machen drei Vier- dem Tempo wäre die Fördersumme so erst in 14 tel des weltweiten Absatzes aus. Bis 2018 sollen Jahren ausgeschöpft (SPIEGEL Online 2016). weltweit 2,3 Millionen Roboter in der Produktion Ein Grund dafür sind die höheren Anschaffungs- arbeiten. Vor allem in der Metall-, Kunststof f- und Elektronikbranche wird zunehmend auf kosten. Die von VW und Daimler angebotenen automatisierte Produktion gesetzt (IFR 2016b).Elektrovarianten bekannter Modelle (z. B. der 14 Roboter bestehen hauptsächlich aus Stahl, Kup-e-Golf) sind deutlich teurer als ihre Benzin- und Dieselvorbilder. Der Aufpreis wird von der Kauf- fer, Zinn und Silizium, hinzukommen die verwen- deten Rohstoffe für die Sensorik. prämie nicht gedeckt. BMW ist derzeit der einzige deutsche Autohersteller, der ein von 3.2 Elektromobilität vornherein als Elektroauto konzipiertes Modell anbietet. Grundsätzlich ist die deutsche Automo- Die heutige Automobilität stellt Mensch und bilindustrie der Idee von Elektroautos nicht abge- Umwelt vor zahlreiche Herausforderungen: Ver- neigt, da sie den bisherigen Status des Autos in kehrswege und Stellplätze für Pkws und Lkws einer zukünftigen Mobilität aufrecht erhält: „Als verbrauchen viel Fläche, während CO2- und Automobilhersteller bietet uns die Digitalisierung der Heute werden für Elektroautos Parkplätze eingrichtet. Doch die Idee zu Elektromobilität ist über 100 Jahre alt (Foto: Glenn Wallace / Insomnia Cured Here)
Gesellschaft die Chance, auch in Zukunft dem Auto einen Platz in der Stadt zu sichern“, sagt Rupert Stadler, Vorstandsvorsitzender von Audi (zitiert nach: Roland Berger / BDI 2015). Branchenvertreter*innen hoffen, dass Deutsch- land nicht nur Produktionsstandort für Elektro autos, sondern auch für die Batterie- und Zellproduktion werden kann. Laut McKinsey könnten bis zu 75 Prozent der Wertschöpfungs- kette in Deutschland stattfinden, die restlichen 25 Prozent entfielen lediglich auf den Einkauf von im Land nicht vorhandenen Rohstof fen. Aus entwicklungspolitischer Perspektive ist dies höchst bedenklich, da die Wertschöpfung nicht in den Ländern stattfindet, in denen die Rohstof- fe abgebaut werden. Stattdessen werden sie auf die Rolle des Rohstofflieferanten reduziert und müssen die sozialen wie ökologischen Kosten des Erzeugt neue Zukunf tstechnologie weitere Altlasten in der Gegenwart, wie hier in Rosia Montana, Rumänien? (Foto: Michael Reckordt) Abbaus alleine tragen (vgl. PowerShift 2012). Auch aus rohstoffpolitischer Sicht ist das Heils- Würde die Motortechnik zukünftig vermehrt auf versprechen E-Auto Besorgnis erregend. Der Elektro- statt Permanentmagnete setzen, würde Bergbaukonzern BHP Billiton rechnet vor, dass dies zwar den Verbrauch Seltener Erden reduzie- in einem konventionellen Verbrennungsmotor ren, zugleich jedoch den Kupferverbrauch erhö- knapp 20 Kilogramm Kupfer verbaut sind. In hen. Auch der Lithium-Verbrauch würde durch einem Hybrid-Auto wird bereits die doppelte die Produktion von Großbatterien für Elekt- Menge verwendet und in einem elektrischen roautos um ein Vielfaches steigen. Während 15 Auto 80 Kilogramm. So erwartet das Unterneh- der Bedarf für Lithium-Ionen-Hochleistungs- men, dass 2035 die Kupfernachfrage um 8,5 bis Elektrizitätsspeicher 2013 bei etwa zwei Prozent 12 Millionen Tonnen pro Jahr steigen wird. Dass der Lithium-Förderung lag, könnte diese Menge das weltweit größte Bergbauunternehmen BHP bis 2035 laut einer DERA-Studie um den Faktor Billiton elektrische Fahrzeuge als „wichtigen Ver 200 ansteigen. Die zukünf tige Nachfrage von bündeten“ begreift, verwundert bei diesem Aus- Kobalt und Graphit hängt ebenfalls stark von der blick nicht mehr (BHP Billiton 2016). Entwicklung der Akkus ab, denn beide Rohstoffe werden bislang überwiegend für die Kathoden Die Produktion von Elektro-Fahrzeugen führt und Anoden genutzt. also mitnichten zu einer grundsätzlichen Re- duktion des Materialverbrauchs in der PKW- Rohstof fpolitisch führt die eins-zu-eins-Erset- Produktion, sondern erhöht ihn sogar. Das zung von Diesel und Benzin betriebenen PKWs lässt sich anhand von aktuellen Modellen mit durch Elektroautos in eine Sackgasse. Der Status schlichten Zahlen untermauern: Ein Renault Clio Quo eines hohen Rohstof fverbrauchs und der wiegt ca. 1.100 bis 1.280 Kilogramm, während damit einhergehenden Umwelt- und menschen- die Variante mit Elektro-Antrieb, der Renault rechtlichen Folgen wird beibehalten, profitieren Zoe, über 1.500 Kilogramm wiegt. Das ab Ende wird davon wohl nur die Automobilindustrie. 2016 verfügbare Modell des VW-e-Golf bringt Stattdessen sollten neue Konzepte von Mobilität 1.605 Kilogramm auf die Waage, ein Golf GTE erforscht und umgesetzt werden. Vor allem in mit Plug-in-Hybrid 1.599 Kilogramm. Die Werte den urbanen Ballungsgebieten muss der ÖPNV für die verschiedenen Modelle mit Diesel- oder gestärkt sowie auf Fahrrad- und Fußverkehr ge- Benzinmotoren liegen mit 1.280 bis maximal setzt werden. 1.540 Kilogramm zum Teil deutlich darunter. Der 1974 auf den Markt gekommene VW Golf 1 hat so- 3.3 Energiewende gar nur 750 bis 800 Kilogramm gewogen. „Ohne Wenn und Aber“ startet Deutschland „ins Für die in der Elektro-Motortechnik verwendeten Zeitalter der Erneuerbaren Energien“ – so stellt die Permanentmagnete werden Kobalt, Neodym Bundesregierung ihr Energiekonzept vor (Bun- und Dysprosium genutzt, da sie im Vergleich zu desregierung 2016a). Die am 1. Januar 2012 in Kraft anderen Materialien eine höhere Energiedichte getretene Novelle des Erneuerbare-Energien- aufweisen. Die Magnete sind somit leichter. Gesetzes (EEG) soll „die Markteinführung
an Baurohstoffen und Basismetallen wie Alumini- um und Kupfer benötigt. Der „Repowering“-Ansatz der Bundesregierung, „alte, kleinere [Windräder-] Anlagen durch moderne und leistungsstärkere Anla gen“ zu ersetzen, um die Energieeffizienz zu stei- gern, soll die „negativen Umwelteinwirkungen auf Mensch und Natur“ reduzieren (Bundesregierung 2016e). Dabei wird außer Acht gelassen, dass die Erzeugung von Primärstahl und Beton selbst mit einem erheblichen Energieverbrauch verbun- den ist (vgl. Fatheuer et al. 2015). Darüber hinaus erhöht sich der Bedarf an Spezialmetallen, die aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften in der Hightech-Branche genutzt werden. Dazu zäh- len beispielsweise die Seltenen Erden Neodym, Praseodym und Dysprosium, die als Bestandteile Großer Energieverbraucher in den Philippinen, Goldabbau von OceanaGold von Permanentmagneten für die Generatoren (Foto: Michael Reckordt) von Windkraftanlagen im Offshore-Bereich zum Einsatz kommen. Permanentmagnetisch ange- zukunf tsfähiger Technologien“ fördern und so triebene Direct-Drive-Windkraftanlagen (PM-DD) mithelfen, den Anteil Erneuerbarer Energien an benötigen „deutlich höhere Magnetmassen als ande der Stromerzeugung bis zum Jahr 2035 auf 55 bis re Antriebstechnologien. Die eingesetzte Menge von 60 Prozent auszubauen. Nicht nur Biogas und Neodym liegt zwischen 194 und 201 Kilogramm pro Biomasse sollen vermehrt energetisch genutzt Megawatt, die von Dysprosium zwischen 13 und 29 werden, auch die Geothermie-Forschung in meh- Kilogramm pro Megawatt“ (BGR und DERA 2016). reren Kilometern Tiefe wird vorangetrieben, um Erdwärme nutzbar zu machen. Darüber hinaus Auch die Photovoltaikproduktion erhöht den 16 setzt die Bundesregierung auf den Ausbau der Rohstoffverbrauch, beispielsweise durch die zur Wind-, Wasser- und Sonnenenergie. Stromspeicherung genutzten Lithium-Ionen- Akkus. Während derzeit noch rund 90 Prozent Eine „zentrale Rolle“ wird dabei der Windenergie der ausgelieferten Module Dickschichtsolar- zugeschrieben; ein Schwerpunkt liegt auf der zellen sind, sprechen BGR und DERA von dem Offshore-Windenergienutzung. Fünf Milliarden hohen Potential der Dünnschichttechnologie. Euro stehen zur Finanzierung von Windparks auf Diese Dünnschichtsolarzellen nutzen für die Be- dem Meer zur Verfügung. Die Bundesregierung schichtungsmaterialien amorphes Silizium (a-Si), sieht „große wirtschaf tliche Chancen für die deut Kupfer-Indium(Gallium-)Diselenid (CIGS) oder schen Küstenregionen, für den deutschen Maschinen- Kadmium-Tellurid (CdTe). Bereits jetzt ist dies und Anlagenbau und für die maritime Wirtschaf t“ das mit 40 Prozent Anteil größte Anwendungs- (Bundesregierung 2016e). gebiet für Tellur (ebd.). So überrascht es nicht, dass sich die DERA und Die genannten, für die Herstellung der „grünen“ die BGR dem Thema annehmen. In ihrem im Technologien verwendeten Rohstof fe werden Juli 2016 erschienenen Kurzbericht „Mineralische überwiegend in Ländern des Globalen Südens Rohstoffe für die Energiewende“ identifizieren sie abgebaut. Dies geht oft mit Menschenrechtsver- einen „spezifischen Rohstoffbedarf für Erneuerbare- letzungen und hohen Umweltschäden einher. Die Energietechnologien“ und „die damit verbundenen Behauptung, dass mit Erneuerbaren Energien Herausforderungen auf den internationalen Rohstoff „die Energieversorgung umweltfreundlich“ würde märkten“ (BGR und DERA 2016). Der prognostizierte (Bundesregierung 2016c), ist deshalb nicht richtig. erhöhte Bedarf spezifischer Rohstoffe könne auf- Sie träfe nur dann zu, wenn hohe Umweltstan- grund der gleichzeitigen Angebotskonzentration dards bei Abbau und Verarbeitung der Erze einge- auf wenige Produktionsländer zu „Lieferrisiken“ halten würden und ein Großteil der Rohstoffe aus führen. Dies gelte insbesondere für Rohstoffe „mit Recyclingmaterial gewonnen würde. kleinen Märkten, wie z. B. Indium, Gallium, Tellur und schwere Seltene Erden“ (ebd.). Produzenten und ver- Solange dies nicht der Fall ist, tritt ein weiterer arbeitendes Gewerbe stünden in Hinblick auf dieverzerrender Ef fekt ein: Die Rohstoffindustrie Rohstoffsicherung bereits jetzt vor neuen Heraus taucht als negativer Faktor in den Bilanzen der forderungen. fördernden Länder auf, auch wenn deren Be- völkerung selbst durch ihren Lebensstandard Tatsächlich werden für den Anlagen- und Netz eher wenig zu hohem Energieverbrauch und ausbau Erneuerbarer Energien eine große Menge CO2-Ausstoß beiträgt. So gilt die Volksrepublik
China nicht zuletzt deshalb als einer der größten Angesichts dieses hohen elektrischen Energie- Umweltverschmutzer der Welt, weil sie zugleich verbrauchs in Deutschland ist es grundsätzlich als ihre Produktionsbank dient. zu begrüßen, dass sich die Bundesregierung zumindest rhetorisch zu den Erneuerbaren Diese Verzerrung trifft auch auf andere Länder Energien bekennt. Um die 2015 auf der UN- zu. So ist in der unten angeführten Tabelle zu Klimakonferenz in Paris beschlossenen Ziele zu sehen (vgl. Tabelle 2), dass Sambias elektrischer realisieren, ist ein rascher Ausstieg aus fossilen Energieverbrauch pro Kopf im Jahr um ein Viel- Energieträgern notwendig. Zugleich jedoch be- faches höher ist als jener des Nachbarlandes deutet eine bloße Umstellung von fossiler auf Tansania. Dieser höhere Verbrauch ist vor allem Erneuerbare Energie eine Fortführung der impe- dem Verbrauch der Kupferindustrie Sambias zu- rialen Lebensweise (Brand und Wissen 2011) und zuschreiben, die von ausländischen Konzernen des darin inhärenten Machtverhältnisses, wenn dominiert wird. Mehr als 54 Prozent des Strom- sich die Bedingungen des Rohstoffabbaus nicht verbrauchs des Landes geht in den Bergbau ändern. sektor (GIZ 2016). Darüber hinaus jedoch gilt das Prinzip: Die um- Dazu besteht die Gefahr, dass Erneuerbare Ener- weltfreundlichste Kilowattstunde ist stets jene, gien in Zukunft gar zu einem Greenwashing von die gar nicht erst verbraucht wird. Zwar spricht Abbauvorhaben dienen können. Gleichzeitig auch die Bundesregierung von einer bis 2050 zu stellt sich auch die Frage, ob zum Beispiel Groß- erzielenden Reduktion des Primärenergiebe- staudämme ebenfalls zu der Erneuerbaren Ener- darfs um 50 Prozent, scheint politisch jedoch gie gezählt werden. In Chile ist zum Beispiel das eher Programme zur Energieeffizienz zu fördern. Wasserkraftprojekt Alto Maipo in den Fokus der Die angekündigten Maßnahmen zur Reduktion Kritik gerückt. Lokale Initiativen fürchten um die sind vor allem auf der individuellen Ebene an- Wasserversorgung der Hauptstadtregion von gesiedelt, obwohl nur 40 Prozent des Gesamt Santiago de Chile (Siegner o. J.). energieverbrauchs in den Privathaushalten anfällt. Sie zielen nicht auf Industrieregulierung beziehungsweise konkrete Einsparvorgaben der 17 Staat Elektr. Energieverbrauch in Wirtschaft ab. Stattdessen geht es um Energie Kilowattstunden pro Kopf einsparverordnungen für Neubauten, Inves- (1992) (2013) titionszuschüsse für Wärmedämmung und moderne Heizungsanlagen für Gebäude sowie Argentinien 1.405 3.093 Elektro-Produkte, deren Stromverbrauch für Bolivien 291 705 Konsumierende gekennzeichnet werden soll Chile 1.474 3.879 (Bundesregierung 2016b). China 605 3.762 Es ist fraglich, ob diese Maßnahmen reichen, Demokratische 114 110 um die notwendige Reduktion des Energie Republik Kongo verbrauchs zu erreichen. Anstelle von Ef fizienz Deutschland 6.446 7.019 und Erneuerbaren Energien muss diese unbe- dingte Reduktion eine zentrale Forderung sein, Frankreich 6.476 7.374 um einen global gerechteren Verbrauch zu er- Großbritannien 5.452 5.407 reichen. Indien 305 765 Malaysia 1.404 4.152 Peru 476 1.270 Polen 2.961 3.938 Russland 6.107 6.539 Sambia 725 731 Tansania 53 89 Usbekistan 2.128 1.637 USA 12.015 12.988 Tabelle 2: Elektrischer Energieverbrauch im Vergleich: von der Rio-Konferenz bis heute (World Bank 2016)
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