Ressourcenfluch 4.0 Die sozialen und ökologischen Auswirkungen von Industrie 4.0 auf den Rohstoffsektor

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Ressourcenfluch 4.0 Die sozialen und ökologischen Auswirkungen von Industrie 4.0 auf den Rohstoffsektor
Ressourcenfluch 4.0
              Die sozialen und ökologischen
             Auswirkungen von Industrie 4.0
                     auf den Rohstoffsektor

P werShift
Ressourcenfluch 4.0 Die sozialen und ökologischen Auswirkungen von Industrie 4.0 auf den Rohstoffsektor
Impressum

Ressourcenfluch 4.0
Die sozialen und ökologischen Auswirkungen von Industrie 4.0
auf den Rohstoffsektor

Herausgeber

PowerShift – Verein für eine ökologisch-solidarische
Energie- & Weltwirtschaft e. V.
Greifswalder Str. 4 (Haus der Demokratie & Menschenrechte), 10405 Berlin
Tel.: +49-(0)30-42805479
Email: Michael.Reckordt@power-shift.de
Twitter: @MichaelReckordt
http://power-shift.de

Autor*in: Hannah Pilgrim (Kapitel 3, 4 und Infoxbox 1), Merle Groneweg
­(Kapitel 3.2, 3.3 und Infobox 2 und 3), Michael Reckordt (Kapitel 1, 2, 5 und 6)
 Layout, Satz und Reinzeichnung: Tilla Balzer | balzerundkoeniger.de
 nach einer Layoutvorlage von Monika Brinkmöller
 Titelgraphik: Tilla Balzer
 Redaktion: Merle Groneweg, Hannah Pilgrim, Michael Reckordt

Berlin, Februar 2017
© PowerShift e. V.

ISBN: 978-3-9814344-9-1
Gedruckte Exemplare können kostenlos über bestellung@rosalux.de
bezogen werden.

                                                   Gefördert durch die Rosa Luxemburg Stiftung aus Mitteln des Auswärtigen Amts.

                                                   Die Veröffentlichung wurde mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union ­ermöglicht.
                                                   Für den Inhalt dieser Veröffentlichung ist allein PowerShift e. V. im Rahmen der
                                                   Stop Mad ­Minnig Kampagne verantwortlich; der Inhalt kann in keiner Weise als Standpunkt der
                                                   ­Europäischen Union angesehen werden.

Gefördert von ENGAGEMENT GLOBAL im Auf trag des.   Für den Inhalt dieser Publikation ist allein PowerShift e. V. verantwortlich;die hier dargestellten
                                                   Positionen geben nicht den Standpunkt von Engagement Global gGmbH und dem Bundes­
                                                   ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wieder.
Ressourcenfluch 4.0 Die sozialen und ökologischen Auswirkungen von Industrie 4.0 auf den Rohstoffsektor
Ressourcenfluch 4.0
 Die sozialen und ökologischen
Auswirkungen von Industrie 4.0
        auf den Rohstoffsektor
Ressourcenfluch 4.0 Die sozialen und ökologischen Auswirkungen von Industrie 4.0 auf den Rohstoffsektor
Inhaltsverzeichnis

    1. Einleitung 			 S. 5

    2. 	Was ist Industrie 4.0?			 S. 9
         2.1. Die politischen Treiber der Industrie 4.0
         2.2. Die technologischen Treiber der Industrie 4.0

    3. Rohstoffbedarf für Zukunftstechnologien 		 S. 12
       3.1. Technologien der Industrie 4.0
       3.2. Elektromobilität
       3.3. Energiewende

    4. Rohstoffe – Abbau und Herausforderungen 		 S. 18
       4.1. Aluminiumerz Bauxit / Aluminium / Gallium
       4.2. Germanium / Indium / Zink
       4.3. Kobalt
       Informationsbox # 1: Tiefseebergbau
    	4.4. Kupfer
    	4.5. Lithium
4   	Informationsbox # 2: Graphit für Batterien
    	4.6. Palladium und Platin (Platin-Gruppen-Metalle; PGM)
    	4.7. Seltenerdmetalle
       4.8. Silber
    	4.9. Tantal (Coltan)
       4.10. Zinn
       Informationsbox # 3: Konfliktmineralien

    5. Alter Wein aus neuen Schläuchen			 S. 37
       5.1. Falsche rohstoffpolitische Forderungen der Industrie
       5.2.	Dematerialisierung –
             uneinlösbares Versprechen der Industrie 4.0
       5.3.	Ressourceneffizienz
    	5.4. Grünes Internet und Datensicherheit

    6. Politisches Umsteuern notwendig 			 S. 43
       6.1. Absolute Senkung der Rohstoffverbrauchs
       6.2.	Menschenrechte schützen

    Literaturverzeichnis 			 S. 46

    Abkürzungsverzeichnis			 S. 54
Ressourcenfluch 4.0 Die sozialen und ökologischen Auswirkungen von Industrie 4.0 auf den Rohstoffsektor
1. Einleitung

In den letzten Jahren kommt kaum ein industrie­
politischer Artikel ohne den Begriff „Industrie 4.0“
aus. „Industrie 4.0“ soll deutlich machen, dass wir
unmittelbar vor der vierten industriellen Revo-
lution stehen und die voranschreitende Digita-
lisierung Lösungen für die Herausforderungen
unserer Zeit bietet. Internet 2.0 war gestern, der
Einsatz von Elektrotechnik und Informations­
technologie zur Automatisierung der Produktion
seit den 1970ern nur der Anfang (vgl. Abbildung 3,
Seite 10). In einer Zeit, in der das globale Wirt-
schaf tswachstum gedämpf t ist und sich Staa-
ten in der Rezession befinden, scheint Industrie
4.0 das helle Licht am Ende des Krisentunnels zu
sein. Mit zunehmender Digitalisierung, so das
Credo, würde das Wirtschaftswachstum wieder
anziehen und gleichzeitig einige der drängenden
ökologischen, ökonomischen und sozialen Krisen
gelöst.

Das herrschende Wirtschaf tsmodell steckt in
einer tiefen Krise. Viele Staaten sind überschul-
det, die (Jugend-) Arbeitslosigkeit ist in vielen                Rohstoffe. Protestgemälde von philippinischen Künstler*innen für mehr Menschenrechte
                                                                 (Foto: Michael Reckordt)
Regionen konstant hoch, die Krisenanfälligkeit
nach Finanz- und Wirtschaf tskrisen, platzen-
den Blasen (Immobilien, New Economy, etc.)                       wirtschaftspolitische Maßnahmen stehen unter
und des sich nicht einstellenden Erfolgs einer                   Dauerfeuer. Einhellig fordern Wirtschaf tsver-
Niedrig­zins­politik gestiegen. Die neoliberale                  bände und konservative, liberale sowie sozial-
Deregulierung durch sogenannte Freihandels-                      demokratische Parteien die Fortführung dieser
abkommen und institutionalisierten Schutz von                    Politik. Die Ausrichtung der nationalen Wirt-
ausländischen Investoren1 hat die globale Wirt-                  schaf t auf die Herausforderungen der Digitali-
schaft nicht stabilisieren können. Genau im Ge-                  sierung der Produktion gibt ihnen eine Vision, in
genteil: Handelsabkommen stehen stärker denn                     der sie die negativen Begleiterscheinungen der
je in der Kritik, wie momentan die geplanten                     neoliberalen Deregulierung ignorieren können.
Abkommen zwischen der EU und den USA bzw.
Kanada. In ihnen wird politische Regulierung                     Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass die pla-
zu Gunsten von Einflussnahme der Industrie                       netaren Grenzen durch das globale Wirtschafts-
aufgegeben. Schiedsgerichte und zukünf tig re-                   system noch häufiger überschritten werden. Der
formierte Investitionsgerichte geben ein­seitige                 Klimawandel, ausgelöst durch die zu hohen Treib-
Klage- und Entschädigungsmöglichkeiten an                        hausgasemissionen (v. a. CO2- und Methangase),
ausländische Investoren (Jaeger 2016, Reckordt                   die überdünkten Felder und Wiesen, das Abhol-
2017). Regulative Kooperation gibt multinatio-                   zen von (Primär-) Wäldern, die Überfischung der
nalen Konzernen Möglichkeiten zur Intervention,                  Meere und die Übernutzung der Rohstofflager-
bevor Gesetze oder Regulierungen zu Umwelt-                      stätten sind Zeugnisse dessen. Wir legen eine
schutz, Sozialstandards, Verbraucher*innen-­                     imperiale Lebensweise (Brand und Wissen 2011)
Rechten oder Arbeitsrechten erlassen werden                      an den Tag, die die Kosten unseres Lebensstils
können. Schutzklauseln für die heimische Wirt-                   immer weiter in die rohstoffreichen Länder ver-
schaf t, Exportzölle auf Rohstof fe2 und andere                  lagert. Die negativen ökologischen und sozialen
                                                                 Kosten sind externalisiert und bleiben häufig
1    Bei Worten wie „Investor“ verwenden wir nicht die sonst
geschlechtergerechte Formulierung (Investor*innen), wenn es
                                                                 an den lokalen Gemeinschaften vor Ort hängen.
nicht um Personen, sondern um Unternehmen oder Körper-           Derweil dreht sich in Europa und Deutschland der
schaften geht.                                                   Diskurs von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft
2    In der vorliegenden Publikation konzentrieren wir uns vor
allem auf die abiotischen Rohstoffe und hier wiederum über-
                                                                 vor allem um das „Rennen um die noch vorhandenen
wiegend auf die metallischen und mineralischen Rohstoffe.        Rohstoffe“ (Klare 2012). Das, was noch da ist, muss
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Abbildung 1: Konflikte um den Abbau von metallischen (orange) und fossilen Rohstoffen (schwarz). (Quelle: http://ejatlas.org)

         „fair und frei“ verteilt werden, fordert unter ande-                  Arbeitskräf te in den letzten beiden Jahrhunderten
          rem der Bundesverband der Deutschen Industrie                        unter Beteiligung der Europäer so edel und sozial
          (BDI). Die Übernutzung der Welt und die (post-)                      verantwortungsvoll nun auch nicht gewesen sei.
          kolonialen Ausbeutungsschemata fallen nicht                          Das ist richtig. Wir werden das Selbstbewusstsein
          weiter ins Gewicht, wenn es darum geht, „unsere                      entwickeln müssen, trotz dieser geschichtlichen Ver­
          Interessen“ durchzusetzen. Schon 2007 brachte                        antwortung – teilweise auch Schuld – einzufordern,
          dies der damalige hessische Minister­präsident                       dass heute Regeln gefunden werden, die unsere Inte­
6         der CDU, Roland Koch, auf den Punkt:                                 ressen am Erhalt unseres Wohlstandes angemessen
                                                                               berücksichtigen“ (Koch 2007).
         „Manche unserer Verhandlungspartner in den sich
          gerade entwickelnden Staaten werden uns darauf                       Gegen das Durchsetzen dieser Interessensdurch-
          hinweisen, dass die Ausbeutung ihrer Rohstoffe und                   setzung am „Erhalt unseres Wohlstandes“ protes-
                                                                               tieren verstärkt Menschen in Abbauregionen auf
                                                                               der ganzen Welt (vgl. Abbildung 1). Dieser Abbau
                                                                               geschieht nicht selten auf Kosten von Umwelt
                                                                               und Menschenrechten. Vor allem die Proteste
                                                                               gegen Bergbau fordern in den letzten Jahren
                                                                               immer mehr Menschenleben. Die britische Orga-
                                                                                nisation Global Witness berichtet, dass im Jahr
                                                                                  2015 185 Umweltschützer*innen ihren Protest
                                                                                   mit ihrem Leben bezahlten (Global Witness
                                                                                    2016). Allein 42 von ihnen wandten sich ge-
                                                                                      gen Bergbauprojekte. Kein anderer Indus-
                                                                                      triesektor war in so viele Morde verwickelt.
                                                                                       Das unterstreichen auch Zahlen der UN:
                                                                                       In den letzten 60 Jahren standen 40 Pro-
                                                                                       zent aller Konflikte mit Rohstoffen in Ver-
                                                                                       bindung, wobei die UN auch Konflikte um
                                                                                      die Gewinnung energetischer Rohstof fe
                                                                                     mit einschließt (UNEP 2009).

                                                                                   Ambivalent ist auch die Rolle der Rohstof f-
                                                                                 gewinnung und Aufbereitung für die Ziele
                                                                               der nachhaltigen Entwicklung, den Sustain­able
                                                                               Development Goals (SDGs) (Abbildung 2). An
                                                                               einigen Stellen kann der Bergbau direkt, zum
                                                                               Beispiel durch die Schaffung von guten Arbeits-
                                                                               plätzen, sowie indirekt, etwa durch die Möglich-
    Abbildung 2: Bergbau und die Ziele zur Nachhaltigen Entwicklung.           keiten des Ausbaus von Erneuerbarer Energie
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2000            2010            2017           2020        2030
                   Aluminium        in 1000 t         31.000          40.000          66.000         74.674       112.698
                   Kupfer           in 1000 t         13.000          15.000          21.000         25.138       33.808
                   Gold             in t              2.540           2.460           3.250          3.640        5.311
                   Rohstahl         in 1000 t         848.000         1.140.000       1.720.000      1.873.863    2.493.270
                   Palladium        in kg             173.000         209.000         236.000        259.259      354.657
                   Platin           in kg             153.000         210.000         248.000        281.090      426.736
    Metalle
                   Zinn             in t              279.000         299.000         256.000        260.019      273.875
                   Blei             in t              3.200.000       3.470.000       5.679.412      6.229.124    9.372.461
                   Zink             in t              8.770.000       10.000.000 17.010.798          18.657.280   28.072.104
                   Silber           in t              18.100          20.800          32.109         35.217       52.988
                   Chrom            in t              3.260.000       6.910.000       10.476.364     11.413.531   15.186.283
                   Magnesium        in t              428.000         622.000         1.032.191      1.127.837    1.500.644
                   Erdöl            1000 Barrels/     74.955          83.272          91.955         95.437       99.525
                                    Tag
     Fossile
  ­Brennstoffe     Erdgas           Mrd. m3           2.411           3.192           3.735          3.957        4.646
                   Kohle            in Mio. Tonnen 4.701              7.252           8.352          8.644        9.007

Tabelle 1: Jährliche Produktionsmengen verschiedener Rohstoffe (2017, 2020, 2030 geschätzt) (Quelle: UBA 2015)

oder „Urban Mining“, der Rückgewinnung von         Entwicklung an den Staaten des Globalen Nor-
Rohstoffen aus Abfallstoffen, beitragen, die Zie-  dens, dessen Wirtschaf tswachstum bis heute
le zu erreichen. Gleichzeitig gefährdet aber der   nicht vom Rohstoffverbrauch entkoppelt werden
Abbau viele SDGs, da er Landkonflikte auslösen,    konnte. Selbst mit erhöhter Rohstoffeffizienz                               7
Öko-Systeme, Wasserversorgung, Luf t­qualität      steigt der Verbrauch weiterhin. So verursacht
oder die Gesundheit gefährden oder durch Kor-      zum Beispiel allein das Gold in einem Smart­
ruption die nachhaltige Entwicklung verhindern     phone bis zu 100 Kilogramm Abraum, also nicht
kann. Die Gefahren bestehen jedoch nicht nur an    genutztes Gestein und Material. Gleichzeitig häu-
Land. Durch unkalkulierbare Risiken des Tiefsee-   fen sich – trotz scheinbarer besserer Technologie
bergbaus (s. Informationsbox #1), die unsachge-    im Abbau – die Unglücke. Im Jahr 1996 wurde ein
mäße Errichtung oder den fehlerhaften Betrieb      Großteil des Ökosystems der Insel Marinduque
von Rückhaltebecken für toxische Schlämme, ge-     (Philippinen) durch das Brechen eines Rückhalte-
fährdet der Bergbau massiv das maritime Leben.     beckens zerstört; durch den Unfall in Baia Mare
                                                   (Rumänien) wurde im Jahr 2000 das Trinkwasser
Wie Bergbau grundsätzlich die Umsetzung der von 2,5 Millionen Ungar*innen verseucht. Zu-
Menschenrechte unterlaufen kann, hat die Max letzt zerstörte der Bruch des Rückhaltebeckens
Planck Foundation im Auftrag der Bundesanstalt in der brasilianischen Eisenerzmine Samarco
für Geowissenschaf ten und Rohstof fe (BGR) das Flusssystem des Doce Flusses und somit die
untersucht. Die Grundlagenstudie zeigt, dass Lebensgrundlage von zehntausenden von Men-
selbst anhand einer konservativen Definition schen. Allein 19 starben durch die Schlammlawi-
von Menschenrechten – ohne die Beachtung ne, 700 Menschen wurden obdachlos und 8.000
von extra-territorialen Staatenpflichten und der Fischer*innen klagen momentan gegen das
Verantwortung der Unternehmen entlang der verantwortliche Unternehmen BHP Billiton auf-
Lieferkette, Menschenrechte zu achten – eine grund der Verlustes ihrer Lebens­grundlage (The
Vielzahl an Rechtsverletzungen bei der Erkun- Telegraph 2016).
dung, der Errichtung, des Betriebs und der Schlie-
ßung einer Mine auftreten können (Max Planck Nachdem auf dem Klimagipfel in Paris im Jahr
Foundation 2016).                                  2015 beschlossen wurde, den globalen Tempe-
                                                   raturanstieg auf maximal 1,5 Grad Celsius zu
Neben den menschenrechtlichen Auswirkungen begrenzen, ist ein schneller Ausstieg aus der
unseres Rohstoffkonsums sind auch die ökologi- Verstromung von fossilen Energieträgern un-
schen groß. Der Verbrauch an metallischen und umgänglich geworden. Rohstof fabbau und
mineralischen Rohstoffen, wie auch an fossilen die Weiterverarbeitung verbrauchen in der Re-
Energieträgern, steigt weiter an. Viele Länder gel große Mengen an Elektrizität – allein die
des Globalen Südens orientieren sich in ihrer energie­intensivste Industrie, die Herstellung
Ressourcenfluch 4.0 Die sozialen und ökologischen Auswirkungen von Industrie 4.0 auf den Rohstoffsektor
von Aluminium, hatte 2013 einen Anteil von drei       Doch während sich Graswurzelorganisationen,
    Prozent am globalen Stromverbrauch und sogar          globale Zivilgesellschaf t und auch ein immer
    7,4 Prozent am industriellen Stromverbrauch           größer werdender Teil der Wissenschaf t mit
    (Ruettinger et al. 2016b). In Island benötigen al-    Alternativen zu dem herrschenden Paradigma
    lein drei Aluminiumhütten 70 Prozent des Ener-        auseinandersetzt, orientieren sich die wirt-
    gieverbrauchs. Das Land verzeichnet daher den         schaf tspolitischen Diskurse der Industrie, der
    höchsten elektrischen Energieverbrauch pro            Finanzwirtschaft und der Politik an einem neuen
    Kopf und Jahr (World Bank 2016). Deshalb wird         Versprechen, das sich am Horizont abzeichnet:
    ein sehr schnelles Umdenken auch bei dem Ver-         Industrie 4.0.
    brauch von metallischen Rohstoffen nötig sein,
    um die globalen Klimaziele zu erreichen (vgl. Ta-     Daher beschäftigen wir uns in dieser Publikation
    belle 1).                                             detaillierter mit der Industrie 4.0. Wir setzen uns
                                                          im zweiten Kapitel mit den Fragen auseinander,
                                                          was Industrie 4.0 eigentlich ist und welche Hoff-
    Der Club of Rome geht davon aus, dass bei eini-       nungen vor allem die deutsche Regierung damit
    gen Rohstoffen (z. B. Kupfer, Zink, Nickel, Gold      verbindet. Im Kapitel drei widmen wir uns ver-
    und Silber) in den nächsten Jahren und Jahr-          tiefend den Rohstoffbedarfen von Industrie 4.0
    zehnten das Fördermaximum erreicht sein wird          sowie der Elektromobilität und der Umstellung
    (Bardi 2012). Während sich an Land also bereits       auf Erneuerbare Energien. Beide sind eng mit der
    stark sinkende Rohstof fkonzentrationen und           Industrie 4.0-Diskussion verwoben und haben
    immer schwieriger zu erreichende Lagerstätten         aus rohstoffpolitischer Sicht noch einmal spezifi-
    verzeichnen lassen, sorgt der Hunger nach wei-        sche Auswirkungen. Unser Fokus liegt dabei auf
    teren Rohstof fen dafür, dass selbst nahezu un-       den gesteigerten Bedarfen an metallischen Roh-
    erforschte Gebiete wie die Tiefsee, die Arktis, das   stoffen, denn hier sind aus menschenrechtlicher
    Weltall oder entlegene Gebiete des Regenwaldes        und ökologischer Perspektive die größten Her-
    immer stärker in das rohstoffpolitische Interesse     ausforderungen zu erwarten. Wir untersuchen
    rücken. Gleichzeitig gibt es eine Unternehmens-       daher die Fragen, welche Zukunftstechnologien
8   konzentration beim Abbau, die Rohstof fpreise         für Industrie 4.0 gebraucht werden und welche
    unterliegen Schwankungen und je nach Rohstoff         Metalle und Mineralien wiederum maßgeblich
    spielt die Preisspekulationen an Börsen eine ge-      für diese Zukunftstechnologien sind. Im vierten
    wisse Rolle.                                          Kapitel werfen wir dann einen Blick auf die öko-
                                                          logischen, menschenrechtlichen und sozialen
    Zunehmend kritisieren Menschen im Globalen            Herausforderungen beim Abbau der Rohstoffe
    Norden diese Art von Wachstum. Auf einem be-          anhand von zehn kompakten Rohstof fsteck­
    grenzten Planeten ist ein unendliches Wachstum,       briefen. Im Kapitel fünf analysieren wir einige der
    das vor allem auf der materiellen Produktion          Versprechungen von Industrie 4.0, um schluss­
    von Dingen basiert, unmöglich. Die Postwachs-         endlich im letzten Kapitel politische Forderun-
    tumsbewegung hat immer mehr Anhänger*in-              gen für eine zukunf tsfähige Rohstof fpolitik zu
    nen. Auch der Glaube daran, für die globalen          formulieren.
    Herausforderungen und lebensbedrohlichen
    Probleme – vor allem für Menschen, die sich den
    neuen klimatischen und ökologischen Gegeben-
    heiten nicht so einfach anpassen können – tech-
    nische Lösungen zu finden, wird immer stärker
    angezweifelt (Fatheuer et al. 2015). Gleichzeitig
    sind einige dieser Diskussionen, wie jene um
    CCS-Technologien (Carbon Capture and Storage,
    also die Versprechung, CO2-Emission in der Tiefe
    einzulagern) immer noch nicht gestorben, ob-
    wohl CCS unklare Risiken birgt und bisher nicht
    umsetzbar war. Auch die vermehrte Digitalisie-
    rung in den letzten zwei Jahrzehnten hat den
    materiellen Verbrauch an Rohstof fen nicht ge-
    senkt. Im Gegenteil – wir verbrauchen von allem
    immer mehr: mehr fossile Energieträger, mehr
    Metalle und Mineralien (vgl. Tabelle 1), mehr Bau-
    materialien und mehr Biomasse.
Ressourcenfluch 4.0 Die sozialen und ökologischen Auswirkungen von Industrie 4.0 auf den Rohstoffsektor
2. Was ist Industrie 4.0?

                                                                                     4. Industrielle Revolution
                                                                                     auf Basis von Cyber-Physical Systems
                                                           1. Speicherprogrammier-
                                                           bare Steuerung (SPS),
                                                           Modicon 084, 1969

                                                           3. Industrielle Revolution
                                                           durch Einsatz von Elektronik und IT zur weiteren

                                                                                                                            Grad der Komplexität
                              1. Fließband, Schlachthöfe
                                                           ­Automatisierung der Produktion
                              in Cininnati, 1870

                              2. Industrielle Revolution
                              durch Einführung arbeitsteiliger Massenproduktion
      1. mechanischer
                              mithilfe von elektrischer Energie
      Webstuhl, 1784

     1. Industrielle Revolution
     durch Einführung mechanischer Produktionsanlagen
     mithilfe von Wasser und Dampfkraft

     Ende 18. Jhdt            Beginn 20. Jhdt              Beginn 1970er Jahre       heute                        Zeit

Abbildung 3: Die vier Stufen der industriellen Revolution (Quelle: Eigene Darstellung nach Plattform Industrie 4.0)
                                                                                                                                                   9
 Seit einigen Jahren versprechen Wirtschaf t,                               2.1. Die politischen Treiber der
 ­ olitik und Forschungsinstitute die vierte Welle
 P                                                                          Industrie 4.0
 der industriellen Revolution. Im angelsächsi-
 schen Raum wird von dem Internet der Dinge                                 Es sind vor allem große Wirtschaftsverbände und
 („Internet of Things“) gesprochen. In Deutschland                          einzelne Unternehmen aus dem Bereich Elektro-
 firmiert die Digitalisierung der Fertigung und des                         nikindustrie (ZVEI), Maschinen- und Anlagenbau
 Vertriebs unter dem Begriff „Industrie 4.0“. „Wenn                         (VDMA) sowie der Verband der digitalen Industrie
 Bauteile eigenständig mit der Produktionsanlage                            (BITKOM), die, unterstützt von der Bundespolitik,
 kommunizieren und bei Bedarf selbst eine Repara­                           den Diskurs der Industrie 4.0 und entsprechen-
 tur veranlassen – wenn sich Menschen, Maschinen                            de Prozesse vorantreiben. Alle drei Verbände
 und industrielle Prozesse intelligent vernetzen, spre­                     sind wichtige Mitglieder im BDI. Wie deutlich der
 chen wir von Industrie 4.0“, schreibt das Wirt-                            Schwerpunkt der Wirtschaf tsverbände auf In-
 schaftsministerium (BMWi) auf seiner Webseite                              dustrie 4.0 liegt, zeigt sich auch an den Persona-
 (BMWi 2016). Für den Wirtschaf tsverband BDI                               lentscheidungen im BDI. So löste Dieter Kempf,
 ist Industrie 4.0 ein radikaler Strukturwandel:                            ehemaliger Vorsitzender von BITKOM, Ulrich Gril-
„Neue Daten, Vernetzung, Automatisierung und die                            lo als Vorsitzenden des BDI zum 1. Januar 2017 ab.
 digitale Kundenschnittstelle sprengen bestehende                           Kempf gilt als Experte im Bereich Digitalisierung
 Wertschöpfungsketten“ (Roland Berger / BDI 2015).                          und Industrie 4.0. Sein Vorgänger Grillo, der aus
 Industrie 4.0 sei die Neukonfigurierung des glo-                           der rohstof fverarbeitenden Industrie kommt,
 balen Produktionssystems oder gar eine „Rein­                              lobt Kempf. Dieser habe die Expertise und Erfah-
 dustrialisierung“ (ebd.). Industrie 4.0 ist nicht nur                      rung, „die notwendig ist, um unsere Industrien und
 die Digitalisierung der horizontalen und verti-                            den Indus­triestandort Deutschland insgesamt beim
 kalen Wertschöpfungsketten der Unternehmen,                                Weg durch die vierte industrielle Revolution zu unter­
 sondern wird auch große Veränderungen im                                   stützen“ (zitiert nach: Jahberg 2016).
 Produkt- und Dienstleistungsportfolio der Unter­
 nehmen nach sich ziehen (PWC 2014).                                        Die drei Verbände ZVEI, VDMA und BITKOM
                                                                            haben ebenfalls die Plattform Industrie 4.0
                                                                            initiiert. „Bundeswirtschaf tsminister Sigmar
                                                                            Gabriel und Bundes­forschungsministerin Prof. Dr.
                                                                            Johanna W ­ anka steuern und leiten die Plattform
Ressourcenfluch 4.0 Die sozialen und ökologischen Auswirkungen von Industrie 4.0 auf den Rohstoffsektor
in Frankreich die A  ­ lliance Industrie du Futur ge-
                                                                         gründet, die britische Regierung hat 2015 die In-
                                                                         itiative I­ oTUK (Internet of Things UK) ins Leben
                                                                         gerufen und in Schweden hat die dortige Regie-
                                                                         rung einen Handlungsplan mit 45 Maßnahmen
                                                                         beschlossen (GTAI 2016f). Zuletzt bekam auch
                                                                         die Strategie der chinesischen Regierung, Made
                                                                         in China 2025, eine stärkere mediale Aufmerk-
                                                                         samkeit. Das Land bereitet sich vor allem durch
                                                                         die Mehrheitssicherung von Aktien ausländi-
                                                                         scher Technologiekonzerne, unter anderem dem
                                                                         Industrieroboter-Hersteller Kuka, aber auch mit
                                                                         großen Investitionen in den Ausbau der Internet­
                                                                         infrastruktur, auf Industrie 4.0 vor.

                                                                          In einer vom BMWi (2015) erarbeiteten Zukunfts-
                                                                          vision geht die Bundesregierung von Verände-
                                                                          rungen auf unterschiedlichen Ebenen aus: Dazu
                                                                          gehören neue Marktchancen und Exportmög-
                                                                          lichkeiten, eine nachhaltigere Wirtschaft inklusi-
                                                                             ve Ressourcenschonung und Energieeffizienz,
     Die EU will die Industrie wieder stärken (Foto: Michael Reckordt)       Entstehung von qualitativ hochwertigen Ar-
                                                                             beitsplätzen, neue Freiräume und soziale Teil-
     gemeinsam mit hochrangigen Vertretern aus                               habe sowie eine steigende Lebensqualität,
     Wirtschaf t, Wissenschaf t und Gewerkschaf ten.                     „weil die Digitalisierung zum Nutzen der Menschen
     In themenspezifischen Arbeitsgruppen erarbei­                        eingesetzt wird“ (BMWi 2015). Auch eine durch die
     ten Expertinnen und Experten aus Unternehmen,                        vierte industrielle Revolution ausgelöste Erhö-
10   Wissenschaf t, Verbänden und Gewerkschaf ten                         hung der Industrieproduktion zählt zu den Hoff-
     gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern ver­                     nungen der deutschen Politik und Wirtschaf t.
     schiedener Bundes­ministerien operative Lösungs­                     Vor allem aufgrund der Krisenanfälligkeit des
     ansätze“ (Plattform Industrie 4.0 o.J.a). Das Ziel                   globalen Finanz­s ystems, setzen Bundesregie-
     der Plattform ist, gemein­same Handlungs­                            rung und E­ uropäische Union verstärkt auf die
     empfehlungen für einheitliche und verlässliche                       Produk­tion von Gütern. „Schließlich ist es im Inte­
     Rahmenbedingungen auszuarbeiten. Zwar arbei-                         resse der Wieder­belebung der Wirtschaf t in der EU
     tet das von der Industrie dominierte Bündnis in                      erforderlich, die Reindustrialisierungsbemühungen
     der Plattform mit einigen Forschungsinstituten                       im Einklang mit dem Anspruch der Kommission, den
     und der Gewerkschaft IG Metall zusammen, eine                        Beitrag der Industrie zum BIP bis 2020 auf 20 % zu
     Beteiligung von U ­ mwelt- oder Entwicklungsver-                     steigern, mitzutragen“ (EU-Kommission 2014).
     bänden findet aber nicht statt. Das verwundert
     wenig, da auch das Bundes­umweltministerium                         Während es zu den gesamtgesellschaf tlichen
     (BMUB) oder das Umweltbundesamt (UBA) nicht                         Chancen keine verlässlichen Studien gibt und
     in der Plattform aktiv sind (Plattform Industrie                    die Chancen für den Arbeitsmarkt unterschied-
     4.0 o.J.b). Der Bund flankiert diese Plattformen                    lich bewertet werden (vgl. Matuschek 2016), sind
     und Netzwerke durch eine Hightech-Strategie,                        bisher vor allem die industriepolitischen Auswir-
     Forschungs­projekte und politische Projekte, wie                    kungen dominant in der Diskussion. PWC rech-
     den Ausbau der Breitband-Infrastruktur, um die                      net damit, dass allein die europäische Industrie
     großen Daten­mengen irgendwann auch trans-                          im Jahr 2020 140 Milliarden Euro in „industrial
     portieren zu können.                                                internet applications“ investieren wird (PWC 2014).
                                                                         Roland Berger und der BDI gehen sogar davon
     Auch in anderen Ländern wird zu diesem ­Thema                       aus, dass ein Zuwachs von 1,25 Billionen Euro
      gearbeitet: In den USA ist es das von der Indus-                   an industrieller Bruttowertschöpfung bis 2015
      trie initiierte Industrial Internet Consortium                     möglich ist, warnen aber auch vor möglichen
     (vgl. Roland Berger / BDI 2015), in Südkorea die                    Verlusten in Höhe von 605 Milliarden Euro in der
     ­Korea Industrial Technology Association (KOI-                      Wertschöpfung, wenn nicht die passenden Wei-
     TA). Laut Roland Berger und BDI gibt es in Süd-                     chen gestellt werden (Roland Berger / BDI 2015).
      korea sogar ein eigenes Ministerium, dass sich                     Mit solchen Zahlenspielen wird indirekt auch
      um Industrie 4.0 und die vierte industrielle Re-                   eine Warnung an die Bundesregierung ausge-
      volution kümmert. Auch in Europa treiben die                       sprochen: Wenn ihr die gigantischen Chancen
     Regierungen die Industrie 4.0 voran. So wurde                       nicht nutzt, drohen große Verluste.
2.2. Die technologischen Treiber der                     optimales und ganzheitliches Management des Pro­
Industrie 4.0                                            duktlebenszyklus von der Entwicklung und Produk­
                                                         tion über den Betrieb bis hin zur Demontage und dem
 Das Bundeswirtschaftsministerium identifiziert          Recycling“ (BMWi 2015).
 vor allem vier technologische Treiber, die so ge-
 nannten Enablertechnologien, als bedeutsam für          Cloud-Technologien werden als dritter techno-
 die Industrie 4.0. Erst diese Technik ermöglicht        logischer Treiber genannt. Die Besonderheit ist,
 (English: enable) die vierte industrielle Revolution.   dass durch das Internet schon heute von jedem
 An erster Stelle sind dies die Cyber-­Physische-­       Ort zu jeder Zeit auf die gesammelten Daten zu-
 Systeme (CPS). „CPS sind Netzwerke kleiner mit          rückgegriffen werden kann. Produktionsabläufe
 Sensoren und Aktoren ausgestatteter Computer, die       und -fortschritte können so zeitnah kontrolliert
 als sogenannte Eingebettete Systeme in Materia­         und von verschiedenen Stellen abgefragt wer-
 lien, Gegenstände, Geräte und Maschinenteile einge­     den. Auch Bergbaukonzerne nutzen vermehrt
 baut und über das Internet miteinander verbunden        diese Technologie, um unternehmensinterne
 werden“ (BMBF 2013). In diesen Systemen stehen          Ablaufprozesse besser zu gestalten. So sollen
 vernetzte Geräte, Maschinen und bewegliche              nun laut gemeinsamer Presseerklärung mit dem
 Gegen­stände (z. B. Autos, Trucks, Gabelstapler)        Service-Anbieter Box allein bei Anglo American
 mittels IT in einem kontinuierlichen Datenaus-          10.000 Angestellte mit über 9.000 konzern­
 tausch. „Durch die Vernetzung können Planung und        eigenen Laptops Zugang zur Cloud haben. In die-
 Steuerung von Fertigungs- und Logistik-Prozessen au­    ser werden Daten gespeichert und verarbeitet.
 tomatisiert und autonomisiert werden“ (BMWi 2015).      Anglo American benötigte laut eigener Aussage
 Vertikal bedeutet das für Unternehmen, dass sie         die externe Unterstützung vor allem für das er-
 Unternehmensprozesse permanent nachverfol-              weiterte Content-Management, den mobilen
 gen und dezentral in Produktionsprozesse und            Zugang zu Informationen und die betriebseigene
 Lieferketten eingreifen können. Gleichzeitig kön-       soziale Plattform (Box 2014).
 nen theoretisch Neukonfigurationen von außer-
 halb vorgenommen werden. Horizontal werden              Als vierte und letzte Enablertechnologie nennt
 so auch Unternehmen in der Lieferkette vernetzt.        das BMWi die additiven Fertigungsverfahren.                               11
„Das Internet ermöglicht diese ständige Koordinierung    Bisher waren vor allem substraktive Verfahren an-
 auch zwischen weltweit verteilten Standorten und        gewandt, zum Beispiel beim Stanzen, Zerspanen
 über Unternehmensgrenzen hinweg“ (ebd.).                oder Fräsen. Von einem Ausgangsmaterial wurde
                                                         also per Reduktion ein Teil gewonnen. Jetzt kön-
Das Bildungs- und Forschungsministerium sah              nen unter anderem 3D-Drucker „Bauteile Schicht
schon 2013 in ihrem „Zukunf tsbild Industrie 4.0“        für Schicht aus Materialien wie Metallen, Kunst­
die knappen Rohstoffe und die steigenden Ener-           stof fen und Verbundwerkstof fen“ (BMWi 2015)
giepreise (BMBF 2013) als die größten Herausfor-         quasi aus- bzw. aufdrucken. Von dem additiven
derungen. Cyber-physische Systeme begreift das           Verfahren, das heute schon in Gießereien einge-
BMBF dabei als zentralen Lösungsansatz, weil sie         setzt wird, werden sich Materialeinsparungen
theoretisch zu einer Verbrauchsreduzierung auf-          und die effizientere Rohstoffnutzung erhofft.
grund besserer Vernetzung beitragen k­ önnten.
Hier gehen die Zukunftstechnologien der auto-
nomen Mobilität bzw. Elektromobilität und In-
dustrie 4.0 ineinander über. Ein Beispiel für diese
Automatisierung sind selbstfahrende Trucks in
einer australischen Mine von Rio Tinto. Die Steu-
erung findet in einem 15 Kilometer entfernten
Kontrollzentrum statt (vgl. George 2016).

 Als zweite Enablertechnologie gelten integrierte
 Daten, Datenströme und Big Data. „Zum Erfolgs­
 faktor wird künftig, dass im Sinne einer horizontalen
 und vertikalen Integration alle verfügbaren Daten
 miteinander verknüpft werden“ (BMWi 2015). Das
 bedeutet, dass zeitgleich sowohl zwischen ver-
 schiedenen Akteuren der Zulieferkette als auch
 auf einer Stufe der Wertschöpfungskette Daten
 und Datenströme ausgetauscht werden können.
„Die Kombination und die Auswertung dieser Daten
 durch innovative Analysetools sind die Basis für ein    Die Maschinen agieren vernetzt untereinander, ohne Einfluss der Poltik?
                                                         (Foto: Michael Reckordt)
3. Rohstoffbedarf für Zukunftstechnologien

                                                                      wirtschaf tlichen Entwicklungen – Digitalisie-
                                                                      rung, Entwicklung neuer Produkte und Prozesse,
                                                                      etc. – abhängig. Die Studie analysiert allerdings
                                                                      keine Gesamtnachfrage nach Rohstoffen; es han-
                                                                      delt sich ausschließlich um eine Prognose für die
                                                                      42 ausgewählten Zukunf tstechnologien. Wur-
                                                                      den 2009 noch Gallium, leichte Seltenerdmetalle
                                                                      (Neodym), Indium und Germanium am relevan-
                                                                      testen eingeschätzt, so prognostizieren die Wis-
                                                                      senschaf ter*innen in der aktuellen Studie der
                                                                      DERA vor allem für Lithium, leichte und schwere
                                                                      Seltenerdmetalle (Neodym/Praseodym, Dyspro-
                                                                      sium/Terbium), Rhenium und Tantal einen gro-
                                                                      ßen Nachfrageanstieg (Angerer et al. 2009, DERA
                                                                      2016). Um die wichtigsten Rohstoffe hinsichtlich
                                                                      Industrie 4.0 herauszuarbeiten, kann der Blick
                                                                      auf die notwendigen Technologien hilfreich sein.
                                                                      Dabei ergibt sich nochmals eine veränderte Roh-
     Windfarm in Neuseeland (Foto: Nicola Jaeger)
                                                                      stoff-Relevanz, die in Kapitel 4 vertieft wird.

     3.1 Technologien der Industrie 4.0                               Sensoren: Um die Daten aus dem Produkti-
                                                                      onsprozess selbstständig auswerten, nutzen
12    Laut BMBF ermöglicht Industrie 4.0 den Unter-                   und schlussendlich durch Algorithmen wieder
      nehmen eine höhere Flexibilität, um etwa „auf                   reduzieren zu können, werden intelligente Sen-
      Marktentwicklungen, auf kurzfristig geänderte                   soren als zentral für die Umsetzung der Indust-
      Produktanforderungen oder auf schwankende Roh­                  rie 4.0 erachtet. Sie werden bspw. zur Messung
      stoff- und Energiepreise“ (BMBF 2013) zu reagieren.             der Position oder Temperatur der Maschine, für
      Durch die hohe Spezialisierung und Verwendung                   die Qualitätskontrolle innerhalb des Produkti-
      von spezifischen Rohstoffen mit bestimmten                      onsprozesses oder die automatische Bildverar-
      Charakteristiken – hohe Dichte, Leitfähigkeit,                  beitung verwendet. Es existiert eine Vielzahl an
      Schwere, Elastizität, etc. – sind allerdings Roh-               unterschiedlichen Sensoren, und ihre Verwen-
      stof fe für diese Technologien nicht einfach zu                 dung steigt (DERA 2016). So stecken zum Bei-
      substituieren. Spezifische Technologien schaffen                spiel Smartphones voller Sensoren, die Daten
      spezifischen Rohstoffbedarf. Das zeigt auch die                 über die Nutzer*innen sammeln. „Entsprechende
      Studie der Deutschen Rohstof fagentur (DERA)                    Programme können damit sehen, hören und fühlen,
     „Rohstoffe für Zukunftstechnologien 2016“, die das               was in der Umgebung des Gerätes geschieht“ (Bier-
      Fraunhofer-Institut für System- und Innovations-                mann 2014). Gleichzeitig hat sich die Zahl der
      forschung ISI für die BGR und die DERA erstellt                 verkauften Smartphones in den letzten Jahren
      hat (DERA 2016).                                                vervielfacht. Wurden im Jahr 2010 weltweit über
                                                                      300 Millionen Smartphones verkauft, waren es
     In der Studie werden 42 Zukunftstechnologien                     fünf Jahre später mehr als 1,4 Milliarden (Statista
     betrachtet und ihre zukünftigen Rohstoffbedar-                   2016c). Ansteigend ist ebenfalls die Anzahl der in
     fe für das Jahr 2035 erarbeitet.3 Für 16 Rohstoffe               den Smartphones integrierten Sensoren (Buzin-
     ergibt sich daraus eine besondere Relevanz für                   ga App Development 2016). In einem Auto sind
     den zukünftigen Bedarf.4 Diese Relevanz ist so-                  etwa 100 unterschiedliche Sensoren eingebaut;
     wohl von politischen Faktoren – u. a. Exportein-                 bei Elektroautos mit Autopilotfunktion werden
     schränkungen von Seltenen Erden – als auch von                   es noch einmal mehr sein (DERA 2016, Electrek).
                                                                      Schwierigkeiten bestehen darin, den weiteren
     3    Zu diesen 42 Technologien gehören u.a.: Elektrische Trak-   Bedarf an Sensoren sowie wissenschaftlich vali-
     tionsmotoren für Hybrid-, Elektro- und Brennstoffzellenfahr-
     zeuge, Indium-Zinn-Oxide für die Displaytechnik, Glasfaserka-    de Aussagen über den genauen Rohstoffbedarf
     bel oder Hochleistungspermanentmagnete (DERA 2016).              von Sensoren zu tref fen. Fest steht aber, dass
     4    Diese 16 Rohstoffe sind: Gallium, Germanium, Indium,        in den Sensoren zahlreiche in ihrem Abbau kri-
     Kobalt, Kupfer, Lithium, Palladium, Platin, Rhenium, Scandium,
     leichte Seltenerdmetalle (Neodym und Praseodym), schwere         tische Metalle wie Zinn, Wolfram, Platin oder
     Seltenerdmetalle (Dysprosium und Terbium), Silber, Tantal,       Tantal genutzt werden (DERA 2016). So besteht
     Titan und Zinn (DERA 2016)
beispielsweise ein Wärmetönungssensor, der analysieren braucht es ebenso RFID-Lesegeräte.
in Katalysatoren integriert ist, aus einer Kera- Je nach Technik können diese passiven RFID-
mik-Perle, die in Platin eingewickelt ist (ebd.).   Chips, die keine Batterie besitzen und selbst
                                                    Daten senden, von Lesegeräten aus größerer
Unter Energy-Harvesting versteht man eine Entfernung abgelesen werden (Digitalcourage
Technologie, die es ermöglicht, kabelfrei und 2003). Die benötigten Rohstof fe sind vor allem
ohne Batterie aus der Umwelt Energie zu gewin- Silber, Kupfer und Aluminium (DERA 2016).
nen. Sie stellt eine Schlüsseltechnologie dar, die
in vielen Bereichen Anwendung findet (DERA Bleifreie Lote: Um metallische Stof fe zu ver-
2016). Bekannte Einsatzgebiete sind zum Beispiel binden, sind Lote notwendig. Ob Datenspeicher,
die Bremskraf trückgewinnung beim Auto oder Smartphone oder Laptop, nahezu jedes elektro-
die Energiegewinnung durch Sonne, Wasser nische Gerät enthält eine gelötete Leiterplatte.
und Wind im Bereich Erneuerbare ­Energien. Bei Bis 2002 wurden Lote aus Blei hergestellt, doch
Micro-Energy-Harvesting-Technologien funk- aufgrund der gesundheits- und umweltge-
tioniert dies im kleineren Maßstab: Speziell für fährdenden Produktion legte die EU den Blei-
Anwendungen mit drahtlosen Sensoren gewin- Grenz­wert von 0,1 Prozent in Werkstof fen von
nen Mikrosysteme kleinere Mengen elektrischer elektronischen Geräten fest. Aufgrund dessen
Energie aus der Umgebung (z. B. durch Tempe- bestehen sie seitdem vor allem aus Silber und
ratur oder Vibration). Diese Technologie wird zu- Zinn. Es wird prognostiziert, dass die vernetz-
künftig vor allem bei der Zustands­überwachung te Produktionstechnik der Industrie 4.0 den
von Transportmitteln oder der Echtzeitaufnah- Marktanteil bleifreier Lote bis 2025 von 73 auf 89
me von Daten in der Industrie 4.0 verwendet. Die Prozent steigen lassen wird. Dennoch wird der
DERA spricht von einem „signifikanten“ Anstieg Bedarf an Zinn für diese Technologie laut DERA
der Nutzung dieser Technologie in der zukünfti- zurückgehen (DERA 2016).
gen industriellen Produktion. Dabei wird ange-
nommen, dass bis 2035 rund zehn Prozent der Displays: Die Digitalisierung der Produktion ist
weltweiten Dysprosium-Produktion in diese Zu- maßgeblich auf Flachbildschirme und Touch-
kunftstechnologie fließen wird. Neben Dyspro- screens angewiesen. Indium-Zinn-Oxide, die                 13
sium bestehen sie zudem aus Neodym, Kobalt hauptsächlich aus Indiumoxid bestehen, werden
und Kupfer.                                         für die Herstellung von Bildschirmen in einer
                                                    Vielzahl von elektronischen Geräten benötigt.
Radio Frequency IDentification-Tags (RFID): Hinsichtlich des Rohstof fs Indium wird davon
Das Unternehmen Siemens bezeichnet sie als ausgegangen, dass 2035 bis zu 34 Prozent der
die „Augen und Ohren der IT“ (Siemens 2015) weltweiten Indium-Produktion in Displays ver-
oder Digitalcourage e. V. als „Schnüf felchips“ baut sein wird (ebd.).
(Digitalcourage 2013), denn die Transponder-­
Technologien bieten die Möglichkeit, Objekte Hochleistungsmikrochips werden vorwiegend
im Raum über Funk zu orten. Sie bestehen aus in Mobiltelefonen und WLAN-Chips verbaut
einem Transponder („Tag“) als mobilem Daten­ (ebd.). Für diese Nutzung gibt es tendenziell
träger, einem Lesegerät, welches mit einem ein hohes Wachstum, da zum Beispiel WLAN-
weiteren Datengerät verbunden ist, und einem Chips immer häufiger in Geräte integriert wer-
integrierten Mikrochip (DERA 2016). Dadurch den. Auch der im Rahmen von Industrie 4.0
können „Dinge“ und Menschen miteinander geplante Ausbau der drahtlosen Kommunika-
kommunizieren. In der Produktion kann ana- tion in weitläufigen Produktionsanlagen setzt
lysiert werden, wann und wo etwas hergestellt auf diese Hochleistungsmikrochips. Sie sind
wurde. RFID-Tags befinden sich zudem an di-
versen alltäglichen Gegenständen. So kann die
Leitung eines Kleidungsgeschäf ts durch die
Funkchips exakt nachvollziehen, wo sich ge-
rade ihre Ware befindet (Wall Street Journal
2014). Erklärtes Ziel der Industrie ist es, „in den
kommenden Jahren alles, jede Steckdose, jede Hose,
jeden Schuh und jeden Joghurtbecher mit RFID aus­
zustatten“ (Digitalcourage 2013). Unterschied­
liche Berechnungen geben an, dass 2035
jährlich 2,1 bis 85 Billionen RFID-Tags verkauf t
werden, was im Vergleich zu den 2014 verkauf-
ten 6,3 Milliarden RFID-Tags eine enorme Stei-
gerung darstellt (DERA 2016). Um die Daten zu Leiterplatten von Smartphones (Quelle: hollandrecycling)
wesentlich wesentlich kleiner als herkömmliche                        Feinstaubemissionen sowie der Verbrauch fos-
                      Mikrochips und gelten im Vergleich zu diesen als                      siler Rohstoffe Gesundheit und Umwelt gefähr-
                      leistungsstärker und energieeffizienter. Außer-                       den. Elektromobilität scheint da – zumindest
                      dem können sie bei hohen Temperaturen und im                          in Bezug auf Emissionen und Verbrauch fossiler
                      ultra­hochfrequenten Bereich verlässlicher arbei-                     Rohstof fe – eine Lösung zu versprechen. Wür-
                      ten. Sie bestehen hauptsächlich aus Gallium.                          den die Batterien mit Strom aus Erneuerbaren
                                                                                            Energien aufgeladen, so führen Elektrofahrzeuge
                      Industrie-Roboter: Dabei handelt es sich um                          „praktisch ohne Schadstoffausstoß“, heißt es auf der
                      programmierbare Maschinen, die in der Lage                            Website der deutschen Bundesregierung. So ist
                      sind, Produktionsschritte autonom auszufüh-                           es ihr erklärtes Ziel, bis 2020 eine Million und bis
                      ren. Sie bestehen aus einem Manipulator (dem                          2030 gar sechs Millionen Elektrofahrzeuge auf die
                      Roboterarm), der Steuerung und dem Ef fektor                          Straßen zu bringen. Um dies zu erreichen, hat der
                      (dem Werkzeug oder Greifer). Auch sie werden                          Bundesrat Steuervergünstigen zugestimmt, etwa
                      zunehmend mit Sensoren ausgestattet. Ergeb-                           der Befreiung von der Kfz-Steuer für zehn Jahre
                      nisse einer Studie der International Federation of                    ab Erstzulassung. Darüber hinaus wurden im Juli
                      Robotics (IFR) zeigen, dass der Absatz von Indus-                     2016 Fördergelder in Höhe von 1,2 Milliarden Euro
                      trie-Robotern seit mehreren Jahren voran schrei-                      bereitgestellt, um den Kauf eines rein elektrisch
                      tet: Waren es 2005 noch 120.000, so wurden im                         betriebenen Fahrzeugs mit einer Prämie von
                      Jahr 2015 schon Absatzzahlen von über 250.000                        4.000 Euro zu unterstützen. Doch einen Monat
                      Robotern erreicht. Dabei entfielen auf Deutsch-                       nach Verkündung der Prämie wurden nicht ein-
                      land etwa 20.000 (IFR 2016a). Südkorea, Japan,                        mal 1.800 Anträge gestellt – bei gleichbleiben-
                      China, USA und Deutschland machen drei Vier-                          dem Tempo wäre die Fördersumme so erst in 14
                      tel des weltweiten Absatzes aus. Bis 2018 sollen                      Jahren ausgeschöpft (SPIEGEL Online 2016).
                      weltweit 2,3 Millionen Roboter in der Produktion
                                                                    Ein Grund dafür sind die höheren Anschaffungs-
                      arbeiten. Vor allem in der Metall-, Kunststof f-
                      und Elektronikbranche wird zunehmend auf      kosten. Die von VW und Daimler angebotenen
                      automatisierte Produktion gesetzt (IFR 2016b).Elektrovarianten bekannter Modelle (z. B. der
14                    Roboter bestehen hauptsächlich aus Stahl, Kup-e-Golf) sind deutlich teurer als ihre Benzin- und
                                                                    Dieselvorbilder. Der Aufpreis wird von der Kauf-
                      fer, Zinn und Silizium, hinzukommen die verwen-
                      deten Rohstoffe für die Sensorik.             prämie nicht gedeckt. BMW ist derzeit der
                                                                    einzige deutsche Autohersteller, der ein von
                      3.2 Elektromobilität                          vornherein als Elektroauto konzipiertes Modell
                                                                    anbietet. Grundsätzlich ist die deutsche Automo-
                      Die heutige Automobilität stellt Mensch und bilindustrie der Idee von Elektroautos nicht abge-
                      Umwelt vor zahlreiche Herausforderungen: Ver- neigt, da sie den bisherigen Status des Autos in
                      kehrswege und Stellplätze für Pkws und Lkws einer zukünftigen Mobilität aufrecht erhält: „Als
                      verbrauchen viel Fläche, während CO2- und Automobilhersteller bietet uns die Digitalisierung der

     Heute werden für Elektroautos Parkplätze eingrichtet. Doch die Idee zu Elektromobilität ist über 100 Jahre alt (Foto: Glenn Wallace / Insomnia Cured Here)
Gesellschaft die Chance, auch in Zukunft dem Auto
einen Platz in der Stadt zu sichern“, sagt Rupert
Stadler, Vorstandsvorsitzender von Audi (zitiert
nach: Roland Berger / BDI 2015).

Branchenvertreter*innen hoffen, dass Deutsch-
land nicht nur Produktionsstandort für Elektro­
autos, sondern auch für die Batterie- und
Zellproduktion werden kann. Laut McKinsey
könnten bis zu 75 Prozent der Wertschöpfungs-
kette in Deutschland stattfinden, die restlichen
25 Prozent entfielen lediglich auf den Einkauf
von im Land nicht vorhandenen Rohstof fen.
Aus entwicklungspolitischer Perspektive ist dies
höchst bedenklich, da die Wertschöpfung nicht
in den Ländern stattfindet, in denen die Rohstof-
fe abgebaut werden. Stattdessen werden sie auf
die Rolle des Rohstofflieferanten reduziert und
müssen die sozialen wie ökologischen Kosten des      Erzeugt neue Zukunf tstechnologie weitere Altlasten in der Gegenwart, wie hier in
                                                     Rosia Montana, Rumänien? (Foto: Michael Reckordt)
Abbaus alleine tragen (vgl. PowerShift 2012).

Auch aus rohstoffpolitischer Sicht ist das Heils-    Würde die Motortechnik zukünftig vermehrt auf
versprechen E-Auto Besorgnis erregend. Der           Elektro- statt Permanentmagnete setzen, würde
Bergbaukonzern BHP Billiton rechnet vor, dass        dies zwar den Verbrauch Seltener Erden reduzie-
in einem konventionellen Verbrennungsmotor           ren, zugleich jedoch den Kupferverbrauch erhö-
knapp 20 Kilogramm Kupfer verbaut sind. In           hen. Auch der Lithium-Verbrauch würde durch
­einem Hybrid-Auto wird bereits die doppelte         die Produktion von Großbatterien für Elekt-
Menge verwendet und in einem elektrischen            roautos um ein Vielfaches steigen. Während                                          15
Auto 80 Kilogramm. So erwartet das Unterneh-         der Bedarf für Lithium-Ionen-Hochleistungs-­
men, dass 2035 die Kupfernachfrage um 8,5 bis        Elektrizitätsspeicher 2013 bei etwa zwei Prozent
12 Millionen Tonnen pro Jahr steigen wird. Dass      der Lithium-Förderung lag, könnte diese Menge
 das weltweit größte Bergbauunternehmen BHP          bis 2035 laut einer DERA-Studie um den Faktor
Billiton elektrische Fahrzeuge als „wichtigen Ver­   200 ansteigen. Die zukünf tige Nachfrage von
bündeten“ begreift, verwundert bei diesem Aus-       Kobalt und Graphit hängt ebenfalls stark von der
blick nicht mehr (BHP Billiton 2016).                Entwicklung der Akkus ab, denn beide Rohstoffe
                                                     werden bislang überwiegend für die Kathoden
Die Produktion von Elektro-Fahrzeugen führt          und Anoden genutzt.
also mitnichten zu einer grundsätzlichen Re-
duktion des Materialverbrauchs in der PKW-­          Rohstof fpolitisch führt die eins-zu-eins-Erset-
Produktion, sondern erhöht ihn sogar. Das            zung von Diesel und Benzin betriebenen PKWs
lässt sich anhand von aktuellen Modellen mit         durch Elektroautos in eine Sackgasse. Der Status
schlichten Zahlen untermauern: Ein Renault Clio      Quo eines hohen Rohstof fverbrauchs und der
wiegt ca. 1.100 bis 1.280 Kilogramm, während         damit einhergehenden Umwelt- und menschen-
die Variante mit Elektro-Antrieb, der Renault        rechtlichen Folgen wird beibehalten, profitieren
Zoe, über 1.500 Kilogramm wiegt. Das ab Ende         wird davon wohl nur die Automobilindustrie.
2016 verfügbare Modell des VW-e-Golf bringt          Stattdessen sollten neue Konzepte von Mobilität
1.605 Kilogramm auf die Waage, ein Golf GTE          erforscht und umgesetzt werden. Vor allem in
mit Plug-in-Hybrid 1.599 Kilogramm. Die Werte        den urbanen Ballungsgebieten muss der ÖPNV
für die verschiedenen Modelle mit Diesel- oder       gestärkt sowie auf Fahrrad- und Fußverkehr ge-
Benzin­motoren liegen mit 1.280 bis maximal          setzt werden.
1.540 Kilogramm zum Teil deutlich darunter. Der
1974 auf den Markt gekommene VW Golf 1 hat so-       3.3 Energiewende
gar nur 750 bis 800 Kilogramm gewogen.
                                                     „Ohne Wenn und Aber“ startet Deutschland „ins
Für die in der Elektro-Motortechnik verwendeten       Zeitalter der Erneuerbaren Energien“ – so stellt die
Permanentmagnete werden Kobalt, Neodym                Bundesregierung ihr Energiekonzept vor (Bun-
und Dysprosium genutzt, da sie im Vergleich zu        desregierung 2016a). Die am 1. Januar 2012 in Kraft
anderen Materialien eine höhere Energie­dichte        getretene Novelle des Erneuerbare-­Energien-­
aufweisen. Die Magnete sind somit leichter.           Gesetzes (EEG) soll „die Markteinführung
an Baurohstoffen und Basismetallen wie Alumini-
                                                                             um und Kupfer benötigt. Der „Repowering“-Ansatz
                                                                             der Bundesregierung, „alte, kleinere [Windräder-]
                                                                            Anlagen durch moderne und leistungsstärkere Anla­
                                                                             gen“ zu ersetzen, um die Energieeffizienz zu stei-
                                                                             gern, soll die „negativen Umwelteinwirkungen auf
                                                                             Mensch und Natur“ ­reduzieren (Bundesregierung
                                                                            2016e). Dabei wird außer Acht gelassen, dass die
                                                                             Erzeugung von Primär­stahl und Beton selbst mit
                                                                             einem erheblichen Energieverbrauch verbun-
                                                                             den ist (vgl. ­Fatheuer et al. 2015). Darüber hinaus
                                                                             erhöht sich der Bedarf an Spezialmetallen, die
                                                                             aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften in der
                                                                            Hightech-­Branche genutzt werden. Dazu zäh-
                                                                             len beispielsweise die Seltenen Erden Neodym,
                                                                            ­Praseodym und Dysprosium, die als Bestandteile
     Großer Energieverbraucher in den Philippinen, Goldabbau von OceanaGold  von Permanentmagneten für die Generatoren
     (Foto: Michael Reckordt)
                                                                             von Windkraftanlagen im Offshore-Bereich zum
                                                                             Einsatz kommen. Permanentmagnetisch ange-
                       zukunf tsfähiger Technologien“ fördern und so triebene Direct-Drive-Windkraftanlagen ­(PM-DD)
                       mithelfen, den Anteil Erneuerbarer Energien an benötigen „deutlich höhere Magnetmassen als ande­
                       der Stromerzeugung bis zum Jahr 2035 auf 55 bis re Antriebstechnologien. Die eingesetzte Menge von
                       60 Prozent auszubauen. Nicht nur Biogas und Neodym liegt zwischen 194 und 201 Kilogramm pro
                       Biomasse sollen vermehrt energetisch genutzt Megawatt, die von Dysprosium zwischen 13 und 29
                       werden, auch die Geothermie-Forschung in meh- ­Kilogramm pro Megawatt“ (BGR und DERA 2016).
                       reren Kilometern Tiefe wird vorangetrieben, um
                       Erdwärme nutzbar zu machen. Darüber hinaus Auch die Photovoltaikproduktion erhöht den
16                     setzt die Bundesregierung auf den Ausbau der Rohstoffverbrauch, beispielsweise durch die zur
                       Wind-, Wasser- und Sonnenenergie.                     Stromspeicherung genutzten Lithium-Ionen-­
                                                                            Akkus. Während derzeit noch rund 90 Prozent
                       Eine „zentrale Rolle“ wird dabei der Windenergie der ausgelieferten Module Dickschichtsolar-
                       zugeschrieben; ein Schwerpunkt liegt auf der zellen sind, sprechen BGR und DERA von dem
                       Offshore-Windenergienutzung. Fünf Milliarden hohen Potential der Dünnschichttechnologie.
                       Euro stehen zur Finanzierung von Windparks auf Diese Dünnschichtsolarzellen nutzen für die Be-
                       dem Meer zur Verfügung. Die Bundesregierung schichtungsmaterialien amorphes Silizium (a-Si),
                       sieht „große wirtschaf tliche Chancen für die deut­ Kupfer-Indium(Gallium-)Diselenid (CIGS) oder
                       schen Küstenregionen, für den deutschen Maschinen- Kadmium-Tellurid (CdTe). Bereits jetzt ist dies
                       und Anlagenbau und für die maritime Wirtschaf t“ das mit 40 Prozent Anteil größte Anwendungs-
                       (Bundesregierung 2016e).                              gebiet für Tellur (ebd.).

                  So überrascht es nicht, dass sich die DERA und            Die genannten, für die Herstellung der „grünen“
                  die BGR dem Thema annehmen. In ihrem im                  Technologien verwendeten Rohstof fe werden
                  Juli 2016 erschienenen Kurzbericht „Minera­lische         überwiegend in Ländern des Globalen Südens
                  Rohstoffe für die Energiewende“ identifizieren sie        abgebaut. Dies geht oft mit Menschenrechtsver-
                  einen „spezifischen Rohstoffbedarf für Erneuer­bare-      letzungen und hohen Umweltschäden einher. Die
                  Energietechnologien“ und „die damit verbundenen           Behauptung, dass mit Erneuerbaren Energien
                  Herausforderungen auf den internationalen Rohstoff­      „die Energieversorgung umweltfreundlich“ würde
                  märkten“ (BGR und DERA 2016). Der prognostizierte         (Bundes­regierung 2016c), ist deshalb nicht richtig.
                  erhöhte Bedarf spezifischer Rohstoffe könne auf-          Sie träfe nur dann zu, wenn hohe Umweltstan-
                  grund der gleichzeitigen Angebots­konzentration           dards bei Abbau und Verarbeitung der Erze einge-
                  auf wenige Produk­tionsländer zu „Lieferrisiken“          halten würden und ein Großteil der Rohstoffe aus
                  führen. Dies gelte insbesondere für Rohstoffe „mit        Recyclingmaterial gewonnen würde.
                  kleinen Märkten, wie z. B. Indium, Gallium, Tellur und
                  schwere Seltene Erden“ (ebd.). Produzenten und ver-
                                                                 Solange dies nicht der Fall ist, tritt ein weiterer
                  arbeitendes Gewerbe stünden in Hinblick auf dieverzerrender Ef fekt ein: Die Rohstoffindustrie
                  Rohstoff­sicherung bereits jetzt vor neuen Heraus­
                                                                 taucht als negativer Faktor in den Bilanzen der
                  for­derungen.                                  fördernden Länder auf, auch wenn deren Be-
                                                                 völkerung selbst durch ihren Lebensstandard
                  Tatsächlich werden für den Anlagen- und Netz­ eher wenig zu hohem Energieverbrauch und
                  ausbau Erneuerbarer Energien eine große ­Menge CO2-Ausstoß beiträgt. So gilt die Volksrepublik
China nicht zuletzt deshalb als einer der größten                Angesichts dieses hohen elektrischen Energie-
Umweltverschmutzer der Welt, weil sie zugleich                   verbrauchs in Deutschland ist es grundsätzlich
als ihre Produktionsbank dient.                                  zu begrüßen, dass sich die Bundes­regierung
                                                                 zumindest rhetorisch zu den Erneuerbaren
Diese Verzerrung trifft auch auf andere Länder                   Energien bekennt. Um die 2015 auf der UN-­
zu. So ist in der unten angeführten Tabelle zu                   Klimakonferenz in Paris beschlossenen Ziele zu
sehen (vgl. Tabelle 2), dass Sambias elektrischer                realisieren, ist ein rascher Ausstieg aus fossilen
Energieverbrauch pro Kopf im Jahr um ein Viel-                   Energieträgern notwendig. Zugleich jedoch be-
faches höher ist als jener des Nachbarlandes                     deutet eine bloße Umstellung von fossiler auf
Tansania. Dieser höhere Verbrauch ist vor allem                  Erneuerbare Energie eine Fortführung der impe-
dem Verbrauch der Kupferindustrie Sambias zu-                    rialen Lebensweise (Brand und Wissen 2011) und
zuschreiben, die von ausländischen Konzernen                     des darin inhärenten Machtverhältnisses, wenn
dominiert wird. Mehr als 54 Prozent des Strom-                   sich die Bedingungen des Rohstoffabbaus nicht
verbrauchs des Landes geht in den Bergbau­                       ändern.
sektor (GIZ 2016).
                                                                 Darüber hinaus jedoch gilt das Prinzip: Die um-
Dazu besteht die Gefahr, dass Erneuerbare Ener-                  weltfreundlichste Kilowattstunde ist stets jene,
gien in Zukunft gar zu einem Greenwashing von                    die gar nicht erst verbraucht wird. Zwar spricht
Abbauvorhaben dienen können. Gleichzeitig                        auch die Bundesregierung von einer bis 2050 zu
stellt sich auch die Frage, ob zum Beispiel Groß-                erzielenden Reduktion des Primärenergiebe-
staudämme ebenfalls zu der Erneuerbaren Ener-                    darfs um 50 Prozent, scheint politisch jedoch
gie gezählt werden. In Chile ist zum Beispiel das                eher Programme zur Energieeffizienz zu fördern.
Wasserkraftprojekt Alto Maipo in den Fokus der                   Die angekündigten Maßnahmen zur Reduk­tion
Kritik gerückt. Lokale Initiativen fürchten um die               sind vor allem auf der individuellen Ebene an-
Wasserversorgung der Hauptstadtregion von                        gesiedelt, obwohl nur 40 Prozent des Gesamt­
Santiago de Chile (Siegner o. J.).                               energieverbrauchs in den Privathaushalten
                                                                 anfällt. Sie zielen nicht auf Industrieregulierung
                                                                 beziehungsweise konkrete Einsparvorgaben der         17
 Staat
                             Elektr. Energieverbrauch in         Wirtschaft ab. Stattdessen geht es um Energie­
                             Kilowattstunden pro Kopf            einsparverordnungen für Neubauten, Inves-
                                 (1992)               (2013)     titionszuschüsse für Wärmedämmung und
                                                                 moderne Heizungsanlagen für Gebäude sowie
 Argentinien                      1.405               3.093
                                                                 Elektro-Produkte, deren Stromverbrauch für
 Bolivien                           291                 705      Konsumierende gekennzeichnet werden soll
 Chile                            1.474               3.879      (Bundesregierung 2016b).
 China                              605                3.762     Es ist fraglich, ob diese Maßnahmen reichen,
 Demokratische                       114                 110     um die notwendige Reduktion des Energie­
 Republik Kongo                                                  verbrauchs zu erreichen. Anstelle von Ef fi­zienz
 Deutschland                      6.446                7.019     und Erneuerbaren Energien muss diese unbe-
                                                                 dingte Reduktion eine zentrale Forderung sein,
 Frankreich                       6.476                7.374     um einen global gerechteren Verbrauch zu er-
 Großbritannien                   5.452               5.407      reichen.
 Indien                             305                 765
 Malaysia                         1.404                4.152
 Peru                               476               1.270
 Polen                            2.961               3.938
 Russland                         6.107               6.539
 Sambia                             725                  731
 Tansania                             53                 89
 Usbekistan                       2.128                1.637
 USA                             12.015              12.988

Tabelle 2: Elektrischer Energieverbrauch im Vergleich: von der
Rio-Konferenz bis heute (World Bank 2016)
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