AUSGEPRESST - Hinter den Kulissen der Saftindustrie - Christliche Initiative Romero eV
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
IMPRESSUM Herausgeberin: Christliche Initiative Romero e.V. (CIR) Schillerstraße 44a 48155 Münster Tel: 02 51 / 67 44 13 - 0 Fax: 02 51 / 67 44 13 - 11 cir@ci-romero.de | www.ci-romero.de Redaktion: Sandra Dusch Silva (V.i.S.d.P.), Daisy Ribeiro, Peter Knobloch Lektorat: Dietmar Damwerth Übersetzung: Christian Russau Gestaltung, Layout, Infografiken, Illustrationen: Marco Fischer – grafischer.com Druck: COS Druck & Verlag GmbH Houbirgstraße 20, 91217 Hersbruck © 2018 Gedruckt auf 100% Recyclingpapier. Die Studie wurde mit finanzieller Unterstützung der Europäi schen Union und von ENGAGEMENT GLOBAL im Auftrag des BMZ ermöglicht. Für den Inhalt der Veröffentlichung ist allein die Christliche Initiative Romero verantwortlich; der Inhalt kann in keiner Weise als Standpunkt von Engagement Global gGmbH, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam menarbeit und Entwicklung oder der EU angesehen werden. Christliche Initiative Romero > AUSGEPRESST – Hinter den Kulissen der Saftindustrie
INHALT Vorwort .................................................................................................................................... 5 Die Lieferkette im Überblick: Von der Plantage ins Glas .................................................. 6 1 – DER ANBAU.................................................................................................................. 8 Der Preis für die Orangen................................................................................................................ 10 Saftkartell bestraft........................................................................................................................... 13 Arbeiten beim Zulieferer.................................................................................................................. 14 Streik beim Zulieferer....................................................................................................................... 16 Neue Gesetze................................................................................................................................... 20 Pflanzenkrankheit „Greening“........................................................................................................ 22 Agrargiftweltmeister........................................................................................................................ 23 Bienensterben................................................................................................................................... 24 2 – DIE HERSTELLER.......................................................................................................... 26 Cutrale................................................................................................................................................ 27 Citrosuco............................................................................................................................................ 35 Louis Dreyfus Company (LDC)....................................................................................................... 41 3 – DIE ABFÜLLER.............................................................................................................. 46 Coca-Cola ......................................................................................................................................... 47 Pepsico ............................................................................................................................................... 48 Fruchtsaft-Weltmeister.................................................................................................................... 49 Eckes-Granini..................................................................................................................................... 51 Refresco.............................................................................................................................................. 54 Riha-Wesergold................................................................................................................................. 55 Valensina............................................................................................................................................ 56 Beckers Bester................................................................................................................................... 56 Hassia-Gruppe.................................................................................................................................. 57 Pfanner............................................................................................................................................... 58 Verpackung und Umwelt................................................................................................................. 58 4 – DER HANDEL................................................................................................................ 60 Wertschöpfungskette in Zahlen .................................................................................................... 63 Edeka ................................................................................................................................................. 63 Rewe................................................................................................................................................... 66 Aldi...................................................................................................................................................... 68 Lidl....................................................................................................................................................... 70 5 – DER KONSUM.............................................................................................................. 72 Siegel, Zertifikate & Co.................................................................................................................... 73 Was können Sie als Konsument*in tun?......................................................................................... 79 FORDERUNGEN AN POLITIK UND HANDEL................................................................. 80 Quellenverzeichnis............................................................................................................... 82 Über uns ................................................................................................................................... 84 Bestellschein............................................................................................................................ 85 INHALT Christliche Initiative Romero > AUSGEPRESST – Hinter den Kulissen der Saftindustrie 3
Foto: M. Fischer 4 Christliche Initiative Romero > AUSGEPRESST – Hinter den Kulissen der Saftindustrie
Vorwort Evaluierungen von Arbeits-, Sozial- und Um- weltstandards multinationaler Konzerne in Brasilien. Die ausführlichen und ergebnisof- fenen Interviews wurden mit Arbeiter*innen und Expert*innen im Hauptanbaugebiet von Orangen für die industrielle Saftproduktion geführt, dem Bundesstaat São Paulo und an- grenzende Nachbarstaaten. Zusätzlich zu den Primärquellen – Ein- zelinterviews mit Arbeiter*innen und ihren Gewerkschaftsvertreter*innen – dienen als Se- kundärquellen Auskünfte von Unternehmen und Industrie, Behörden beziehungsweise Informationen von Fachverbänden, Handels- presse und Universitäten. Zur Forschungs- strategie: Die Untersuchung konzentriert sich auf Fallbeispiele von Arbeiter*innen und auf jene Fälle, die von Gewerkschaften oder von der Bundesstaatsanwaltschaft für Arbeitsrecht verfolgt wurden. Sie beleuchtet neben allge- D ie vorliegende Studie zeigt, wie der meinen Vergehen, die mit Bußgeldbeschei- Orangensaft in die Regale hiesiger den geahndet werden, insbesondere den Tat- Supermärkte und Discounter kommt bestand der sklavenähnlichen Arbeit. – angefangen beim Anbau der Frucht bis zum Unser besonderer Dank gilt allen Perso- Marketing des Safts. Forschungsergebnisse nen, die zu dieser Arbeit beigetragen haben: aus Brasilien und Europa beleuchten Proble- den Arbeiter*innen, die uns ihre Geschich- me, die die Lebensmittelhändler gerne verber- ten anvertraut haben, den Gewerkschafts gen würden: Abhängigkeit und Ausbeutung. führer*innen, Universitätsexpert*innen und Im Visier stehen die Safthersteller Cutra- NGO-Vertreter* innen, die uns mit ihrem le, Citrosuco und Louis Dreyfus Company Wissen unterstützt haben. An dieser Stelle ge- (LDC) sowie die wichtigsten Abfüllbetriebe in nannt seien: Articulação dos Empregados Ru- Europa. rais do Estado de Minas Gerais (Adere-MG), Die Studie verfolgt einen qualitativen Tie Brasil, Movimento dos Trabalhadores Forschungsansatz. Die Beschreibung der Sem-Terra (MST), Federação dos Empregados Arbeitsbedingungen und die Identifizierung Rurais Assalariados do Estado de São Paulo von Umweltproblemen bei der Saft-Herstel- (Feraesp/SP), Sindicato dos Empregados Ru- lung basieren auf Feldstudien, die von der rais de Duartina (SER Duartina), Sindicato Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 dos Trabalhadores e Empregados Rurais de und der Christlichen Initiative Romero (CIR) Piratininga (STER Piratininga), Sindicato dos in Brasilien durchgeführt wurden sowie einer Trabalhadores nas Indústrias de Alimentação 2017 im Auftrag der CIR erstellten Studie von e Afins de Mogi Mirim e Região (Stiaamm) Repórter Brasil. Das Recherche-Team kon- und Sindicato dos Trabalhadores e Emprega- zentriert sich auf die Untersuchungen und dos Rurais de Bauru (STR Bauru). VORWORT Christliche Initiative Romero > AUSGEPRESST – Hinter den Kulissen der Saftindustrie 5
Die Lieferkette im Überblick: VON DER PLANTAGE INS GLAS 1 2 TRANSPORT UM DIE WELT 3 Die wichtigsten Stufen: 1 DER ANBAU ab S. 8 4 2 DIE HERSTELLER ab S. 26 3 DIE ABFÜLLER ab S. 46 4 DER HANDEL ab S. 60 5 DER KONSUM ab S. 72 SUPERKAUF 5 6 Christliche Initiative Romero > AUSGEPRESST – Hinter den Kulissen der Saftindustrie
D ie Ursprünge der Orange reichen werden für andere Produkte verwendet, wie 4.000 Jahre zurück und liegen ver- etwa für ätherische Öle oder Pellets als Vieh- mutlich in Südostasien, genauer im futter. An dieser Stelle teilt sich der weitere heutigen China. Davon zeugt auch, dass in Verarbeitungsprozess, je nachdem, ob Frucht- vielen Sprachen die Frucht als Apfel aus Chi- saft oder Saftkonzentrat hergestellt wird. na (Apfelsine) bezeichnet wird. Im Mittelalter Fruchtsaft (Not from concentrated – brachten die Araber die Orange schließlich NFC) wird zur besseren Haltbarkeit kurz er- nach Europa. Nach Amerika gelangte sie bei hitzt (pasteurisiert) und passiert eine Entlüf- einer der Expeditionen von Christoph Kolum- tungsanlage, um den gelösten Sauerstoff zu bus um das Jahr 1500. Dabei fanden die Pflan- entziehen und Vitamine vor der Oxidation zen in Brasilien bessere Bedingungen vor als zu schützen. Für die Herstellung von Frucht- in ihrer Ursprungsregion. Ein Drittel aller saftkonzentrat wird dem Saft das Wasser Orangen sowie über die Hälfte des weltweit durch Vakuum-Verdampfung entzogen und konsumierten Orangensaftes stammen heute auf etwa ein Fünftel bis ein Sechstel des Ur- aus Brasilien.1 sprungvolumens eingedampft. Die dabei ent- Saftorangen gehören zu speziellen weichenden flüchtigen Aromastoffe werden Fruchtsorten, die auf hohen Saftgehalt hin aufgefangen. Dieses Konzentrat wird dann gezüchtet wurden. Dazu zählen: Hamlin, auf bis zu -18 °Celsius tiefgefroren. In dieser Westin, Rubi, Pera, Valencia, Natal und Folha Form (Frozen Concentrated Orange Juice – Murcha. Diese reifen zu verschiedenen Zei- FCOJ) hält das Konzentrat bis zu 18 Monate. ten, sodass sich die Erntezeit in Brasilien Nach einer Untersuchung des brasilianischen von Juli bis Januar erstreckt. Da die einzel- Orangensaftsektors benötigt die Produktion nen Früchte nicht alle zur gleichen Zeit reif von einer Tonne FCOJ (in der handelsübli- sind, müssen sie weitgehend von Hand ge- chen Qualität von 66 °Brix) durchschnittlich erntet werden. Werden die Orangen zu früh 238 Kisten Orangen (rund 9700 kg).2 Um gepflückt, schmeckt der Saft sauer. Pflück- das ganze Jahr über einen gleichbleibenden reife Orangen sind nicht notwendigerweise Geschmack zu halten, werden verschiedene orangefarben, denn die Farbe entwickelt sich Saftsorten während und nach der Herstel- erst nach vielen kälteren Nächten bei etwa 5 lung zu unterschiedlichen Anteilen gemischt. °Celsius. In Brasilien sind die Nächte nicht Über spezielle Gefriercontainer werden die so kühl, deshalb bleiben die Orangen zum Säfte in LKWs gepumpt und zum Hafen von größten Teil eher grün oder gelb. Auch grüne Santos transportiert, hier ebenfalls in speziel- Orangen können bereits reif und süß genug le Schiffe verladen und exportiert. für Saft sein. Nach der Ankunft in Europa wird das In den Fabriken werden zunächst Proben Fruchtsaftkonzentrat auf das ursprüngliche von den eintreffenden Orangen genommen Volumen rückverdünnt und ggf. die Pulpa und im Labor auf Qualität, Säuregehalt und wieder zugesetzt. Zur besseren Haltbarkeit Dichte/Süße (Grad Brix) überprüft. Danach wird der Saft durch kurzes Erhitzen auf 85 werden die Orangen gewaschen, nach Grö- °Celsius pasteurisiert, abgefüllt und gelangt ßen sortiert und gepresst. Da die Schale nicht so in den Einzelhandel. FCOJ wird auch für mitgepresst werden darf, muss jede Orange die Herstellung anderer Getränke wie Limo- einzeln gepresst werden. Das Fruchtfleisch naden oder Nektar verwendet. LIEFERKETTE IM ÜBERBLICK (Pulpa) wird zerkleinert und tiefgefroren. Auch die Schale und weitere feste Abfallstoffe 1 Vgl. Neves, Marcos: O retrato da Citricultura Brasileira, 2010: 2 Vgl. Neves, Marcos/ Trombin, Gustavo et. al.: Food and Fuel S. 29-32. – The example of Brazil, 2011: S. 99 ff. Christliche Initiative Romero > AUSGEPRESST – Hinter den Kulissen der Saftindustrie 7
1 DER ANBAU Foto: Emese Gulyás (TVE) 8 Christliche Initiative Romero > AUSGEPRESST – Hinter den Kulissen der Saftindustrie
D ie weltweite Produktion von Orangen Kaffee sind auch Orangen ein sehr arbeitsin- belief sich in den vergangenen Jah- tensives Agrarprodukt.5 ren mit kleineren Schwankungen auf Der Orangensektor in Brasilien ist hoch rund 50 Millionen Tonnen.1 Brasilien hat mit effizient; angefangen von den Gärtnereien für rund einem Drittel den weltweit größten An- Setzlinge, über den Anbau bis hin zur Pro- teil an der Produktion, gefolgt von China und duktion und den internationalen Vertrieb von den USA. Nur ein geringer Teil der in Brasi- Saft in seinen verschiedensten Ausführungen lien geernteten Orangen wird im Land selbst mittels ausgefeilter Massengutlogistik für den als Frucht konsumiert. Der Großteil geht in Konsum in Europa, Amerika und Asien.6 die Saftproduktion. 95 Prozent des Saftes werden exportiert. Es gibt drei VENEZUELA GUYANA F. GUYANA SUR INA große Familienunternehmen, die 80 KOLUMBIEN M ATLANTISCHER OZEAN Prozent der globalen Saftproduktion Roraima Amapá auf sich vereinen: Cutrale (S. 27), Citrosuco (S. 35) und Louis Drey- Amazonas Pará Maranháo Ceará Rio Grande fus Company, kurz LDC (S. 41). do Norte Paraíba Im Jahr 2016 wurden in Brasi- Piauí Pernambuco Acre lien 73,3 Prozent aller Orangen in Alagoas Tocantins Sergipe der Region in und um den Bundes- Rondônia Mato Grosso Bahia staat São Paulo gepflückt.2 Die Re- PERU BRASILIA gion, einschließlich des westlichen BOLIVIEN Goiás Teils des Bundesstaates Minas Ge- Minas Gerais PAZIFISCHER Mato Grosso Espirito Santo rais, Triângulo Mineiro, ist die mit do Sul São Paulo Rio de Janeiro Abstand wichtigste Anbauregion in OZEAN PARA- GUAY Paraná Brasilien. 3 Deutlich über 90 Pro- zent der Saftproduktion (FCOJ und Santa Catarina NFC) kommen von hier.4 Seit den CHILE ARGENTINIEN Rio Grande do Sul 70er Jahren wird der Orangenanbau in der Region intensiviert, nachdem URUGUAY Fröste und Krankheiten, insbeson- dere Kaffeerost, die dortigen Kaffeeplantagen Rund 200 Millionen Orangenbäume liefern im flächendeckend vernichteten. Orangen boten Bundesstaat São Paulo die Rohstoffe für die sich seinerzeit als Alternativen besonders an: Saftproduktion. Weitere wichtige Orangen anbaugebiete in Brasilien sind der Nordwesten Zum einen passten Klima und Bodenbeschaf- des Bundesstaates Paraná, das Triângulo Mineiro fenheit, zum anderen waren auch genügend im Bundesstaat Minas Gerais sowie der Norden billige Arbeitskräfte vorhanden. Denn wie des Bundesstaates Bahia. 1 2016/17 49.3 Millionen Tonnen. Vgl. United States Depart- ment of Agriculture, The Foreign Agricultural Service, https:// Die Produktivität pro Hektar hat sich in apps.fas.usda.gov/psdonline/circulars/citrus.pdf S.1 (Zugriff: 05.03.2018). den vergangenen Jahren deutlich erhöht: Lag 2 Vgl. Produktionsstatistik „Produção Agrícola Municipal der landesweite Durchschnitt im Jahr 1990 2016”, Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística (IBGE): https://sidra.ibge.gov.br/tabela/1613 (Zugriff 06.03.2018). noch bei 380 Kisten je Hektar, waren es 2010 3 Wenn im Folgenden von der Region São Paulo die Rede ist, schließt dies in der Regel auch diese Produktionsgebiete mit ein. 5 Vgl. Borges, Claudia / Costa, Vera: A Evolução do Agro- 4 Vgl. United States Department of Agriculture, The Foreign negócio Citrícola Paulista e o Perfil da Intervenção do Estado. Agricultural Service, Gain Report Nr. BR17004, 2017 https:// Revista Uniara, n. 17/18, 2005/2006: S. 101 -102. http://www. gain.fas.usda.gov/Recent%20GAIN%20Publications/ revistarebram.com/index.php/revistauniara/article/view/270 Citrus%20Semi-annual_Sao%20Paulo%20ATO_Bra- (Zugriff: 06.03.2018). zil_6-9-2017.pdf: S.2 (Zugriff: 05.03.2018). 6 Vgl. Neves, Marcos / Trombin, Gustavo et. al, 2011: S. 10. DER ANBAU Christliche Initiative Romero > AUSGEPRESST – Hinter den Kulissen der Saftindustrie 9
? > Nach Angaben der Arbeiter*innen enthält ein Großsack 20 Kisten Orangen á 40,8 kg (siehe Die Pflücker*innen sammeln Orangen in diesen rechts). Die verantwortlichen Vorarbeiter veran Großsäcken. Foto: CIR schlagen hingegen nur etwa 17–18 Kisten. bereits 475 Kisten.7 Aus den Daten des US- Orangen, die in der Saftindustrie verarbeitet amerikanischen Landwirtschaftsministeri- werden, wächst auf unternehmenseigenen ums (U.S. D epartment of Agriculture) lassen Plantagen. Ein weiteres Drittel liefern Ver- sich für das Wirtschaftsjahr 2017/18 gar 781 tragsbäuerinnen und -bauern, meist zu festen Kisten je Hektar errechnen, für die Region Abnahmepreisen. Das verbleibende knappe São Paulo sogar 905 Kisten. Dies ist allerdings Drittel wird auf dem freien Markt erworben, in erster Linie auf eine höhere Baumdichte in der Regel zu niedrigeren Preisen.10 zurückzuführen. Der Ertrag pro Baum hängt Die Preisvolatilität für Orangensaft ist vor allem von klimatischen Bedingungen ab sehr hoch, Weltmarktpreise für Konzentrat und schwankt erheblich. Zwischen 1988/89 (FCOJ) können je nach jährlicher Produkti- und 2009/10 lag die Spanne in der Regi- onsmenge und Beständen erheblich schwan- on São Paulo zwischen 69 kg und 124 kg je ken. Allein zwischen Januar 2001 und Juli Baum.8 Für 2017/2018 wird der Wert auf 85 2007 stieg der Preis, der in Europa für eine kg pro Baum geschätzt.9 Tonne FCOJ gezahlt wurde, von 712 US-Dol- lar (579 Euro)11 auf 2.230 US-Dollar (1.813 Euro).12 Aktuell liegt der Tonnenpreis zwi- DER PREIS schen 2.100 und 2.400 US-Dollar (1.707 und FÜR DIE ORANGEN Verkauft werden die Orangen in Kisten á 40,8 kg. Orangenproduzenten erzielen beim 10 Vgl. Neves, Marcos/ Trombin, Gustavo et. al.: Food and Fuel Verkauf ihrer Früchte an die Saftindustrie ge- – The example of Brazil, 2011: S. 109. 11 1 Euro = 1,23 Dollar Wechselkurs vom 12.03.2018 für die nerell geringere Preise als beim Verkauf für gesamte Studie: https://www.finanzen.net/devisen/dollarkurs den heimischen Markt. Ein gutes Drittel der (Zugriff: 12.03.2018). 12 Vgl. Neves, Marcos/ Trombin, Gustavo/ Kalaki, Rafael: Competitiveness of the Orange Juice Chain in Brazil. Internati- 7 Vgl. ebenda: S. 46. onal Food and Agribusiness Management Review, Volume 16, 8 Vgl. ebenda: S. 60. Special Issue 4, 2013: S. 151. https://www.ifama.org/resour- 9 Vgl. United States Department of Agriculture, The Foreign ces/Documents/v16i4/Neves-Trombin-Kalaki.pdf (Zugriff: Agricultural Service, Gain Report Nr. BR17004, 2017, S.3. 06.03.2018). 10 Christliche Initiative Romero > AUSGEPRESST – Hinter den Kulissen der Saftindustrie
Produktionskosten der Orangen Durchschnittliche Produktionskosten je Box á 40,8 kg auf betriebseigenen Plantagen Real Euro* Löhne, Betriebsausgaben, Schutzkleidung, Leiharbeit 2,65 0,68 Pestizide, Herbizide + Dünger (organisch, mineralisch, 3,54 0,91 Bodenzusätze) Pflegemaßnahmen und andere Kosten 0,70 0,18 Gesamtkosten an den Bäumen 6,89 1,78 Ernte (Löhne, Betriebsausgaben, Schutzkleidung, 3,00 0,78 Leiharbeit) Transport zur Fabrik, Abgaben 2,04 0,53 Beratung 0,23 0,06 Kosten Gesamt (bis zur Fabrik) 12,16 3,14 * In dieser Studie beziehen wir uns auf den Wechselkurs von Dezember 2017 1 Euro = 3,87 Real https://www.finanzen.net/devisen/euro-real-kurs/historisch (Zugriff: 07.03.2018). 1.951 Euro).13 Im Mai 2011 kam es zu einem sich LDC eines Tricks. Bei der Anlieferung erheblichen Preisabfall, nachdem zwei gute der Orangen bemängelte LDC deren Qualität. Produktionsjahre vorausgegangen waren, in Diese wird anhand des Säuregehalts im Saft denen sich auch die Lagerbestände deutlich bestimmt. Wird ein bestimmter Säuregrad anhäuften. Die Folge war ein massiver Oran- überschritten, können Preisminderungen ge- gen-Überschuss. Die Industrie hatte nicht fordert werden. Auf diese Weise hat LDC zehn nur 40 Prozent Eigenproduktion, sondern Prozent vom Preis einbehalten. Von der Straf- auch noch zusätzlich Orangen auf Lager. Die zahlung waren über 300 Lieferant*innen be- Saftproduzenten nahmen so den Bäuerinnen troffen.14 Für die falschen Angaben zur Quali- und Bauern ihre Orangen nicht vollständig tät der Früchte wurde LDC verurteilt. ab, sodass diese knapp die Hälfte der Ernte Die Produktionskosten für eine Kiste wegwarfen oder an Schulen verschenkten. Bei Orangen lag in der Saison 2014/15 bei 3,14 anderen Rohwaren wie Kaffee oder Kakao be- Euro. Dies berechnete die Vereinigung der sitzt die verarbeitende Industrie in der Regel Zitrusfarmer in Brasilien (Associtrus) ausge- keine eigenen Plantagen. Somit besteht dort hend von einer Besatzdichte von 400 Bäu- auch anders als bei Orangen nicht die Gefahr, men pro Hektar. Pestizide und Herbizide dass sie mit ihrer Eigenproduktion die Preise werden genauso wie Düngemittel in großem der Bäuerinnen und Bauern unterbietet. Maßstab eingesetzt. Sie sind der größte Kos- LDC hatte bereits vor der Ernte 2011 ei- tenfaktor bei der Produktion und betragen nen Abnahmepreis von etwa drei Euro pro fast ein Drittel der Gesamtkosten. Da klei- Kiste ausgehandelt. Da aber der Weltmarkt- nere Produzenten bei der Beschaffung eine preis unter diese Marge fiel, bemächtigte schlechtere Verhandlungsposition haben als die großen Akteure der Saftindustrie, haben 13 Vgl. Neves, Marcos Revista Coopercitrus, Juli 2017, S. 14 sie für einzelne Inputfaktoren höhere Kosten (http://www.coopercitrus.com.br/index.php?pag=revista&p =home&edicao=369, (Zugriff: 06.03.2018) / CBI - Centre for zu tragen. Der Zwang zur ständigen Produkti- the Promotion of Imports from developing countries from the Ministry of Foreig Affairs (Netherlands) 14 Vgl. Notícias Agrícolas: Entrevista com Fábio Mes- https://www.cbi.eu/market-information/processed-fruit-vege- quita Ribeiro,11.05.2012. https://www.youtube.com/ tables-edible-nuts/citrus-juices/ (Zugriff: 06.03.2018). watch?v=1cTLKN50WR8 (Zugriff: 06.03.2018). DER ANBAU Christliche Initiative Romero > AUSGEPRESST – Hinter den Kulissen der Saftindustrie 11
vitätssteigerung bei gleichzeitiger Einhaltung geltender Arbeits- und Sozialstandards hat in Aufgliederung den vergangenen Jahren zu einer deutlichen der Orangen- Konzentration innerhalb der Orangenproduk- tion geführt: Der Anteil der Großproduzenten produzenten ist gestiegen. Obwohl knapp 90 Prozent der nach der Zahl im Orangenanbau tätigen Betriebe von Klein- produzenten bewirtschaftet werden, besitzen ihrer Bäume sie nur rund ein Fünftel der Bäume. In den (1. Halbjahr 2016*) 80er und 90er Jahren gab es noch fünf Mil- lionen Bäuerinnen und Bauern. Doch schon 1995 gab es nur noch 35.879 Betriebe. Alle Produzenten in Brasilien Kleinproduzenten, die Früchte an die Industrie verkaufen, müssen teilweise zehn Tage auf einen LKW warten, dann erneut drei 9.093 1.062 165 Tage vor den Werkstoren stehen, bis ihnen Klein- mittel- Groß- die Früchte abgenommen werden. Wenn es pro- große produ- dann Mängel an der Ware gibt, wird ein Ra- duz. Produz. zenten batt von zehn Prozent gefordert oder der Preis (bis (20.000 bis (über neu verhandelt beziehungsweise gesetzt. Für 20.000 200.000 200.000 Bäume) Bäume) Bäume) die kleinen Produzenten sind das ungleiche Kräfteverhältnis, die Intransparenz sowie 88,1 % 10,3 % 1,6 % der niedrige Preis die zentralen Probleme auf dem Markt. Wie beschrieben nutzen die Saftfabriken bevorzugt Orangen aus der eige- nen Produktion auch als Druckmittel, um die Preise niedrig zu halten. Allein zwischen 2013 und 2016 wuchs die von Cutrale direkt bewirt- schaftete Fläche um 20 Prozent. Gleichzeitig 18,4 % 34,2 % 47,4 % ging der Aufkauf von Orangen von unabhän- gigen Produzenten, um 38,5 Prozent zurück. Bei Louis Dreyfus stieg die Eigenproduktion Alle Orangenbäume in Brasilien zwischen 2013 und 2016 um zehn Prozent, während der Kauf bei Dritten um 23,5 Prozent sank.15 * Vgl. Coordenadoria de Defesa Agropecuária do Estado de São Paulo, zusammengetragene Daten der Zitruskulturen des Bundesstaats São Paulo https://www.defesa.agricultura.sp.gov. br/www/gdsv/index.php?action=dadosCitricul turaPaulista (Zugriff: 06.03.2018). 15 Diese Daten wurden von einer parlamentarischen Untersu- chungskommission (Parlament des Bundesstaates São Paulo), die im Jahr 2017 vom Landesparlament zur Untersuchung der Kartellbildung des Sektors eingesetzt worden war, erhoben. Obwohl das Vorgehen von Citrosuco von der parlamentarischen Untersuchungskommission untersucht wurde, antwortete die Firma nicht auf deren Fragen nach Größe der eigenen Produk- tion und Volumen der Käufe von Zulieferern. Vgl. Abschluss- bericht der Untersuchungskomission Alesp http://www.al.sp. gov.br/repositorio/arquivoWeb/com/com4932.pdf (Zugriff: 06.03.2018). 12 Christliche Initiative Romero > AUSGEPRESST – Hinter den Kulissen der Saftindustrie
SAFTKARTELL gens der kleinen und mittleren Produzenten voran.17 Ab 2012 wurde die Schaffung eines BESTRAFT paritätisch besetzten Organs – Consecitrus Im November 2016 unterzeichnete die bra- – diskutiert, welches den an der ganzen Wert- silianische Bundeskartellbehörde (Conselho schöpfungskette der Orangenproduktion und Administrativo de Defesa Econômica – Cade) -verarbeitung beteiligten Firmen ein Diskus- ein Abkommen mit den großen Orangenpro- sions- und Austauschforum bieten würde. Im duzenten des Landes, das die Zahlung einer Juni 2015 schlugen Orangenproduzenten der Strafe in Höhe von 301 Millionen Real (rund Industrie einen Regelsatz vor, der den Oran- 84 Millionen Euro) wegen Kartellbildung gensaftfirmen zugestünde, 40 Prozent eigene beim Kauf von Orangen vorsah. Unterzeich- Orangen zu verarbeiten, und sie verpflichte, net wurde die Übereinkunft zur Strafzahlung die restlichen 60 Prozent von unabhängi- unter anderem von den Firmen Cutrale, Cit- gen Produzenten zu beziehen. Die Industrie rosuco und Coinbra – gehört heute zu Louis lehnte den Vorschlag ab. Im September 2017 Dreyfus in Brasilien.16 entschied die Kartellbe- Die Firmen gestan- hörde, das Organ aufzu- den ihre Teilhabe an der lösen, da es dort zwischen untersuchten Kartellbil- den Produzenten und der dung ein, versprachen, Industrie zu keiner Eini- diese Praxis einzustel- gung kam.18 len, und sollen laut Aus- Auch die brasilia- kunft der Kartellbehörde nische Vereinigung der bei der Aufklärung der Zitrusproduzenten (As- Fakten aktiv mitgewirkt sociação Brasileira de Ci- haben. Bei der 1999 be- tricultores – Associtrus) gonnenen Untersuchung kritisierte das Abkom- handelte es sich um den men der Behörde mit langwierigsten Fall der Kartellbehörde. Im der Saftindustrie: Die verhängte Strafhöhe Lauf der Untersuchung kam es zu mehreren entspräche nur dem Umsatz der Firmen in Rechtsstreitigkeiten; die Industrie stellte die einer Woche. „Diese Strafzahlung ist außeror- Rechtmäßigkeiten der im Rahmen der soge- dentlich niedrig. Alles deutet darauf hin, dass nannten „Operation Fanta“ 2006 vorgenom- dieses Kartell fortbesteht und weiterhin unge- men Haus- und Firmendurchsuchungen in straft agiert, genauso, wie sie es seit mehr als Frage und versuchte so, die entsprechenden 40 Jahren tun”, erklärte der Präsident der Ver- Durchsuchungsbefehle zu kippen. einigung, Flávio Viegas.19 Das Kartell nehme Der Abschlussbericht der vom Landes- nicht nur massiv Einfluss auf den Kaufpreis. parlament São Paulo (ALESP) eingesetzten Gestiegen sei auch der dadurch aufgebaute parlamentarischen Untersuchungskommissi- Druck auf die Produzenten, den diese auf die on hob hervor, dass es anhaltende Indizien für unter Vertrag genommenen Arbeiter*innen den Fortbestand dieses Kartells gäbe. Außer- 17 Vgl. Abschlussbericht der Untersuchungskommission ALESP. dem schreite der Vorgang der Vertikalisierung 18 Vgl. Revista Globo Rural, „Cade reprova formação do und der Prozess des Aus-dem-Markte-Drän- Consecitrus“ http://revistagloborural.globo.com/Noticias/ Agricultura/Laranja/noticia/2017/09/cade-reprova-formacao- 16 Vgl. Kartellbehörde Cade, Conselho Administrativo de Defe- do-consecitrus.html (Zugriff: 06.03.2018). sa Econômica „Cade celebra acordos em investigação de cartel 19 Vgl. Online-Magazin Jota: Os erros de cálculo do Cade no de compra de laranjas“ http://www.cade.gov.br/noticias/ cartel do suco de laranja, 2016: https://jota.info/artigos/os- cade-celebra-acordos-em-investigacao-de-cartel-de-compra- erros-de-calculo-cade-no-cartel-suco-de-laranja-08122016 de-laranjas (Zugriff: 06.03.2018). (Zugriff: 06.03.2018). DER ANBAU Christliche Initiative Romero > AUSGEPRESST – Hinter den Kulissen der Saftindustrie 13
weitergeben. Unabhängige Produzenten, so „Du hast da einen Liefervertrag, darfst die Viegas, würden von den Saftfirmen keine Orangen aber nicht abladen“, erläutert Flávio ausgearbeiteten Pläne für Ernte und Liefe- Viegas. „Also musst du die Ernte immer öfter rung bekommen. Lieferzeiten und Mengen unterbrechen und die ganzen Arbeiter*innen würden immer unilateral und sehr kurzfristig pflücken nicht mehr. Klar, dass wir Kleineren mitgeteilt, um die Früchte der eigenen Planta- dann schlechtere Arbeitsbedingungen bieten gen zu bevorzugen. Dies führe sogar zu uner- als die Industrie. Die Pflücker*innen selbst warteten Pflückstopps bei den unabhängigen wollen oft gar nicht mit geregelten Arbeitspa- Produzenten. Diese verlören dadurch Ernte- pieren arbeiten, aber wir sind dazu verpflich- erträge, was ihre Produktion weiter verteuere. tet, sie zu registrieren.“ Diese Realität, so der Associtrus-Präsi- dent, habe auch Auswirkungen auf die Ar- beitsbedingungen auf den kleinen und mittle- ARBEITEN ren Fazendas (Plantagen): BEIM ZULIEFERER Wettbewerb um Arbeitskräfte: Da die Repórter Brasil hat Orangenpflücker*innen Industrie zuerst ihre eigenen Früchte in interviewt, die auf kleineren Plantagen ge- den Fabriken verarbeitet, beginnt sie frü- arbeitet haben. Die Arbeiter*innen konnten her mit der Ernte. Sie suche daher auch nicht mit Sicherheit sagen, wer die Abneh- als erste nach Erntehelfer*innen und ent- mer der Früchte dieser Plantagen waren. ziehe dem Markt die Arbeitskräfte. Aber sie bestätigten, dass zumindest aus ei- ner Fazenda das Obst zu einer Saftfabrik in Längere Erntezeit: Die Industrie besitzt Bebedouro (São Paulo) geliefert wurde. Die mehr Plantagen und größere Landflä- Erntepflücker*innen erläuterten, dass die Ar- chen. Dies bewirkt auch eine längere beit auf der Plantage ohne Arbeitspapiere er- Erntezeit, die bis zu acht Monate dau- folgte und dass sie pro Tag entlohnt wurden. ern kann. Die kleinen und mittleren Es gab keine Schutzkleidung, frisches Wasser Produzenten ernten in kürzerer Zeit. wurde nicht gestellt. Die tägliche Arbeitszeit Da sie kürzer Arbeit bieten, sind sie überschritt regelmäßig zehn Stunden, und für die Arbeitskräfte auch weniger der wöchentliche Ruhetag am Sonntag wurde attraktiv. nicht beachtet. Ein Arbeiter berichtete zudem, dass Nicht-Erscheinen nicht geduldet wurde, Ernteunterbrechungen: Die Industrie er- selbst bei Krankheit oder nach Arbeitsunfäl- zwinge ein flexibles System beim Ankauf len. Von einer anderen Zulieferplantage be- von Dritten sowie der Warenlieferung. So richteten Erntepflücker*innen von ähnlichen verursache sie Unterbrechungen der Ern- Zuständen: informelle Arbeit, keine Zurverfü- te und der Arbeit. Dies schädigt die Pro- gungstellung von Schutzkleidung sowie eine duzenten, aber auch die Arbeiter*innen; Arbeitswoche häufig ohne freie Samstage und denn ihre Bezahlung hängt ganz wesent- Sonntage. lich von der eigenen Produktivität ab. Die- se Schwankungen fördern die Informali- tät des Sektors, sodass die Arbeiter*innen nur auf Nachfrage angestellt und ver- mehrt als Tagelöhner beschäftigt werden. 14 Christliche Initiative Romero > AUSGEPRESST – Hinter den Kulissen der Saftindustrie
Foto: André Campos Deshalb gibt es dauernd Schlangen.« Bis Ende 2015 habe ich auf der Plantage Orangen gepflückt. Da geht alles drun- ter und drüber. Es gibt keine geregelten Arbeitspapiere – nichts dergleichen. Du wirst für deine Leistung bezahlt, und das war‘s. Die Ernte dauert zwei Monate, und die Arbeit geht von Sonntag bis Sonntag. Kein Pausentag. Der Lastwagen holt die Orangen und du musst dich verpflichten, die Ernte abzuliefern. Sie brin- gen die Orangen dann nach Bebedouro (São Paulo), um daraus Saft zu pressen. Man kann so 100 Real am Tag machen (rund 26 Euro*), hier gibt es kaum bessere Jobs. Aber da machst du dich echt fertig und du hast keinerlei Sicherheit. Der Farmbesitzer ist ein sehr strenger Kerl. Der verlangt Produktivität, Trödelei akzeptiert der nicht. Wenn es regnete, mussten wir klatschnass in den Obstgär- ten arbeiten. Du schwimmst da wie in einer Suppe. Und wenn du krank wirst, dann ruft er dich an, verlangt, dass du zur Arbeit kommst. Ich selbst war schon mehr als einmal trotz Fieber arbeiten. Verletzt habe ich mich schon mehrmals. Bei den höheren Bäumen lehnen wir die Leiter an den Stamm, um die Früchte zu ernten. Das ist echt gefährlich, da runterzufallen. Und dann diese Stacheln erst. Einmal ist so ein Stachel von ei- nem Ast in meinen Arm gedrungen und hat da eine Vene durchtrennt. Das hörte gar nicht mehr auf zu bluten, also nahm ich das Hemd und habe mir damit ei- nen Notverband angelegt. Das war um 13:00 Uhr. Ich habe dann noch bis 17:00 Uhr gearbeitet, erst dann ging es zum Krankenhaus. Ich wurde mit neun Stichen genäht und habe nur einen Tag nicht gearbeitet, weil wenn du nicht zur Arbeit kommst, dann drohen sie dir, jemand andern an deine Stelle zu setzen. Und so zwingen sie dich – das wirkt echt wie so eine Sache aus der Zeit der Sklaverei. Was anderes, was da echt schlimm war, das ist, dass der Orangenhain voll mit Unkraut ist. Deshalb gibt es dauernd Schlangen. Zum Glück ist da noch nichts passiert. Aber niemand gibt dir irgendeine Schutzkleidung. Zumindest Schien- beinschoner gegen die Schlangen, Handschuhe, Armschoner, so etwas müsste es geben... Da gibt es keine Schutzbrillen, du läufst so glatt Gefahr, dass ein Stachel dich direkt im Auge erwischt. Erntehelfer, 22 Jahre alt, auf der Orangenplantage eines Kleinproduzenten. * In dieser Studie beziehen wir uns auf den Wechselkurs von Dezember 2017 EUR/REAl=1/3,87 https://www.finanzen.net/devisen/euro-real-kurs/historisch (Zugriff: 07.03.2018). DER ANBAU Christliche Initiative Romero > AUSGEPRESST – Hinter den Kulissen der Saftindustrie 15
STREIK die Entlohnung für die geernteten Orangen, BEIM ZULIEFERER gegen die Arbeitsbedingungen und gegen die Situation in den Firmen-Unterkünften. Die Firma Agroterenas ist einer der größten, Die Pflücker*innen, die sich am Streik be- unabhängigen brasilianischen Orangenzulie- teiligten, sind Binnenmigrant*innen aus ferer. Die Firma hat 3,7 Millionen Orangen- nordöstlichen Bundesstaaten, vor allem aus bäume auf einer Fläche von 7.350 Hektar mit Paraíba, die in ihren Heimatstädten von Plantagen in drei Gemeinden im Bundesstaat Anwerber*innen rekrutiert worden waren. São Paulo gelegen. Die Firma verkauft sowohl Laut ihren Aussagen entsprach die von ihnen ganze Früchte als auch Orangen für die Saft bei der Ankunft in São Paulo vorgefundene herstellung. Laut Auskunft der Arbeiter*innen Realität nicht dem, was ihnen versprochen und Gewerkschaftsvertreter*innen ist Cit- wurde. rosuco (S. 35) einer der Abnehmer. Eine ihrer vorrangigen Beschwerden Im Oktober 2017 traten auf der Fazen- richtet sich gegen die Verpflegungskosten da Guaco in Santa Cruz do Rio Pardo (São und die von ihrem Lohn einbehaltenen Ge- Paulo) Dutzende der bei Agroterenas unter bühren für die Unterbringung von monatlich Vertrag stehenden Orangenpflücker*innen über 200 Real (52 Euro). Dazu kommt ihr in den Streik. Sie protestierten damit gegen Ärger über den für die gepflückten Orangen 16 Christliche Initiative Romero > AUSGEPRESST – Hinter den Kulissen der Saftindustrie
ausgezahlten Lohn. Sie warfen der Firma wurden Beschwerden durch die Firma mit Betrug bei der Berechnung der abgelieferten Sperrzeiten geahndet. Diejenigen, die es Ware vor. Diese Masche würde den Akkord- gewagt hatten, die Arbeitsbedingungen zu lohn der Erntepflücker*innen deutlich sen- kritisieren, wurden für einige Tage von der ken. Agroterenas bestreitet diese Vorwürfe: Ernte ausgeschlossen. Sie verloren somit ihre „Die den Mitarbeitern geleisteten Zahlungen Akkord-Boni, die den Hauptteil des Lohnes sind in perfektem Einklang mit der gelten- ausmachen. Die Firma äußert sich zu diesem den Gesetzeslage erfolgt. Alle Arbeiter von Vorwurf, wie folgt: „Dies ist absurd. Die Re- Agroterenas erhalten einen Lohn, der über geln für die Entlohnung nach Produktivität dem gesetzlichen Minimum des Bundesstaats werden ausführlich mit den Mitarbeitern von São Paulo liegt“, so das Unternehmen in besprochen und folgen den Prinzipien von seiner Stellungnahme zur vorliegenden Stu- Ethik und Transparenz, die in allen Bezie- die. Repórter Brasil gelang es, die Lohnzettel hungen grundlegend sind, vor allem in den einiger Erntehelfer*innen einzusehen und Arbeitsbeziehungen. Agroterenas S/A Citrus konnte feststellen, dass das Monatsgehalt in toleriert unter keinerlei Umständen jegliche einigen Fällen, nach Abzug aller Unkosten, Praxis der Vergeltung, ganz unabhängig aus unter dem gesetzlichen Mindestlohn lag. welcher hierarchischen Position heraus auch Laut Aussage einiger Arbeiter*innen immer. Mit anderen Worten, falls der Arbeiter Obere Reihe, v. l.: Streikende Arbeiter*innen bei ihrer Unterkunft; Außenwand der Unter kunft; Innenbereich der Unterkunft; Schlafraum. Fotos: André Campos Untere Reihe, v. l.: Polizist*innen auf der Fazenda Guacho während des Streiks; Arbeiter*innen in einem Bus der Firma; Arbeiter*innen von Agro terenas bei der Ernte. Fotos von einem Arbeiter zur Verfügung gestellt DER ANBAU Christliche Initiative Romero > AUSGEPRESST – Hinter den Kulissen der Saftindustrie 17
Für mich hat es sich nicht gelohnt, hierher zu kommen.« Ich bin aus dem Bundesstaats Paraíba und Ich musste meine Frau bitten, mit ihm zu zum Orangenpflücken nach São Paulo reden, ihm zu sagen, dass meine Bezahlung gekommen. Ich arbeite auf einer Plantage, hier sich verzögert. Ich hoffe, dass, wenn ich die zu Agroterenas gehört. Ich habe mir in das Geld hier bekomme, ich alles bezahlen meiner Heimatstadt Geld geborgt, um die kann. Reise zu bezahlen. Zu Hause da brauchen wir das Geld aus Die Firma hat Baracken für die Arbeiter dem „Bolsa Família“-Sozialprogramm. gemietet. Um kurz nach 5:00 Uhr am Mor- Meine Frau erhält 300 Real von der Regie- gen holt uns der Bus der Firma ab, an der rung (78 Euro), um damit sieben Personen Fazenda kommen wir so gegen 6:30 Uhr zu ernähren. Das ist sehr wenig. Aber da, an. Die Ernte dauert bis zum Spätnach- wo ich herkomme, da ist der Sertão (Anm. mittag. Um 15:20 Uhr nehmen sie unsere d. Red. die Halbwüste). Jetzt mit dieser Karten und tragen uns an der Zeitmessuhr Dürre gibt es dort keine Arbeit. aus, um so das Ende des Arbeitstages zu dokumentieren. Aber wir müssen weiter Ich pflücke höchstens vier Großsäcke am arbeiten bis zum späten Nachmittag oder Tag. Und bei jedem meiner Großsäcke tra- Abend. Und so geht das von Montag bis gen die Vorarbeiter höchstens 16 Kisten ein Samstag, an Feiertagen arbeiten wir auch. mit je 40,8 Kilo. Die machen das Abwiegen Nur am Sonntag nicht. nicht ganz richtig. Alle beschweren sich über deren Messerei. Alle sagen, dass in die Ich kam hier vor zwei Monaten an und bis Großsäcke mindestens 20 Kisten reinpassen. heute habe ich nur den Scheck über den Abschlag für die ersten 15 Tage, also 433 Für mich hat es sich nicht gelohnt, hierher Real erhalten (rund 112 Euro). Den Rest zu kommen. Die versprechen dir eine Sache des Lohnes für August und September habe und halten es dann nicht. Die versprechen ich nicht bekommen. Meine Familie ist dir, dass du Geld verdienen wirst, dass die groß. Ich habe sechs Kinder großzuziehen, Unterkunft nichts kosten wird, dass alles sei der Älteste ist 18 Jahre alt. Meine Frau auf Kosten der Firma... Aber wenn du dann und meine Kinder sind von dem, was ich hierher kommst, ist alles ganz anders, nicht verdiene, abhängig. Da ich keinen Lohn wahr? bekam, haben mir meine Kollegen (andere Orangenpflücker) Geld geborgt, damit ich es nach Hause schicken kann. Arbeiter, von der Firma Agroterenas zum Orangenpflücken während der Erntesaison Jetzt schulde ich meinen Kollegen hier Geld 2017/2018 unter Vertrag genommen. – und dem, der mir das Geld für die Reise geborgt hatte. Der nimmt einen Zinssatz von zehn Prozent im Monat. Wir hatten abgemacht, dass ich das bezahlen würde, sobald ich mein erstes Gehalt bekäme. 18 Christliche Initiative Romero > AUSGEPRESST – Hinter den Kulissen der Saftindustrie
So hat er mich entlassen ...« Ich wurde in Paraíba geboren, bin aber ja immer nur die Seite der Firma. Samstags nach São Paulo zum Arbeiten bei Agro- wird auch gearbeitet... In einem Monat terenas gegangen. Ich arbeite als Traktor- kam ich mal auf 54 Überstunden. Da hast fahrer bei Agroterenas, aber stelle auch die du gar keine Wahl. Du musst das machen. Mischung des Agrargifts zusammen und Das Essen nehmen wir von zu Hause mit kümmere mich um die Instandhaltung der und essen das direkt im Traktor, alles voll Traktoren. Um das Gift zu mischen, geben mit diesem Gift... Unser Wasser müssen sie dir eine Atemmaske aus Baumwolle und wir auch selbst mitbringen. So gegen 16:00 dünne Handschuhe, die schnell reißen. Und Uhr kocht das Wasser, aber wir müssen es wenn du um ein neues Paar bittest, weil dir trinken, da hast du keine Wahl. deine Handschuhe gerade wieder zerrissen sind, dann kriegst du keine. Denn die müs- Eines Tages gab es ein Treffen mit dem sen ja für mindestens drei, vier Tage reichen, Farmverwalter, und am Ende habe ich die bevor sie ausgetauscht werden. Bei der Hand gehoben und erzählt, dass ich mit Maske ist es das Gleiche. Auf der Packung einer Heckenschermaschine arbeite, die ist steht, man solle sie täglich wechseln, aber gefährlicher als andere, und sie hat eine an- wir benutzen die in einem fort über mehrere dere Bedienung als die vorherige, die auch Tage. in meiner Arbeitskarte eingetragen ist, als ich eingestellt wurde. Sie hatten verspro- Wir gehen aufs Feld, gleich nachdem sie chen, dass sie meine Papiere entsprechend gesprüht haben, dann sind da noch all aktualisieren würden, und ich forderte das die Rückstände. Dort gibt es dann einen nochmal ein. Der Verwalter bat mich, doch beißenden Geruch, das schmerzt im Kopf. nach dem Treffen noch zu bleiben. Und als Oft besprühen sie ein Nachbarfeld, und alle weg waren, kam er und war gleich sehr wir sind direkt daneben und kriegen diese wütend. Er sagte: „Wie kannst du das vor Giftwolken ab. Ich hab schon darum gebe- all den Leuten sagen? Das hättest du nur ten, in Schutzkleidung arbeiten zu dürfen, mir sagen dürfen. In meinen Augen taugst das haben sie jedoch abgelehnt. Sie sagten, du nichts. Nimm deine Karre und beweg die seien zu teuer zum Waschen. Die, die dich zum Haupthaus und mach da deine da schon länger mitarbeiten, klagen ganz Papiere fertig”. So hat er mich entlassen. schön über Kopfschmerzen und Hautrei- zungen. Hier in der Gegend gibt es keine andere Arbeit. Die Mütter und Väter, die Familie Wir arbeiten viel. Wenn Trockenzeit haben, sind gezwungen dazubleiben. Es herrscht, dann müssen wir früh am Morgen ist nur darum keine Sklavenarbeit, weil sie arbeiten. Von Mitternacht bis 10:00 Uhr dir am Ende des Monats dieses Kleingeld am Folgetag. Sie versprühen die Agrargifte auszahlen. lieber nachts, um die Verdunstung gering zu halten. Also haben sie ein Abkommen mit 23-jähriger Ex-Angestellter der Firma der Gewerkschaft vor Ort erzielt, damit die Agroterenas. dem zustimmen. Die Gewerkschaften sehen DER ANBAU Christliche Initiative Romero > AUSGEPRESST – Hinter den Kulissen der Saftindustrie 19
solche, diesen hypothetischen Fall belegende NEUE GESETZE Beweise vorbringt, wird die Firma umgehend entsprechende Maßnahmen, einschließlich Im Juli 2017 verabschiedete der brasilianische der fristlosen Entlassung des Vorgesetzten, in Nationalkongress eine umfassende Reform die Wege leiten.“ der Arbeitsgesetzgebung im Land. Diese Än- Die Arbeiter*innen berichten auch von derungen betreffen Beschäftigte vieler Sekto- Arbeitstagen über dem gesetzlichen Maxi- ren, auch die Landarbeiter*innen. Das neue mum, ohne dass die gesetzlich vorgeschrie- Gesetz trat im November 2017 in Kraft. benen Überstunden ausbezahlt wurden. Um Einige der zentralen Punkte, die das Le- 15:20 Uhr sammelte ein Angestellter die ben der Orangenpflücker*innen und anderer Stempelkarten der Pflücker*innen ein und Erntehelfer*innen betreffen, beziehen sich checkte sie bei der Stempeluhr von Agrote- auf das Folgende: renas aus, um so das Ende des Arbeitstages zu simulieren. Die Arbeit ging jedoch wei- Fahrtzeit zur Einsatzstelle: Nach alter, ter. Trotz Müdigkeit sahen die Arbeiter*innen bis November 2017 geltender Arbeits- dies als Möglichkeit, ihre Entlohnung durch gesetzgebung zählte die Fahrtzeit zum Produktivitätssteigerungen zu erhöhen. Auch Einsatzort auf dem Feld als zu entlohnen- diese betrügerische Praxis bestreitet die Fir- de Arbeitszeit, wenn das Fahrzeug vom menleitung. Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wur- Laut Auskunft der Landarbeiter*innen de, weil die Farm abgelegen lag. Seit No- gewerkschaft von Bauru nahmen zu Beginn vember ist die Anrechnung der Fahrtzeit ungefähr 250 Arbeiter*innen an dem Streik als zu entlohnende Arbeitszeit den Ar- teil. Am Tag, als der Streik anfing, rief Agro- beitgebern nach Gutdünken freigestellt. terenas die Polizei. Die Polizeipräsens auf der Die Landarbeiter*innengewerkschaft von Fazenda sollte die Streikenden einschüchtern. Paulistânia (São Paulo), in deren Ein- Nachdem ihnen in Verhandlungen zugesagt zugsgebiet sich etliche Plantagen befin- wurde, den Akkord-Bonus zu erhöhen, setzte den, schätzt, dass die rund achttausend die Mehrzahl der Pflücker*innen die Arbeit Arbeiter*innen der Region im Schnitt fort. Rund 40 Arbeiter*innen hielten den täglich zwei Stunden mit den Firmen- Streik jedoch aufrecht. Bussen unterwegs sind. Wenn sie für „Die Arbeiter werden genötigt, den Ver- diese Zeiten fortan nicht mehr bezahlt trag schnell – kurz vor Einsteigen in den werden, sinkt ihr Monatslohn um bis zu Bus – zu unterschreiben und zur Ernte zu 170 Real (umgerechnet 44 Euro). „Die- fahren. Wenn sie dann hier ankommen, ist ser Betrag scheint gering zu sein, aber er alles ganz anders als zuvor vereinbart. Sie wird den Arbeitern sehr fehlen”, erklärt ernten Orangen im Regen, die Orangen der Präsident der Gewerkschaft, Abílio werden nicht richtig gewogen, da gibt es gar Penteado da Silva. keine Transparenz, und was sie bekommen, das reicht kaum, um die Familie zu ernäh- Entlohnung nach Produktivität: Die ren”, erklärt José Paschoal Alves, Chef der Bezahlung nach Ernte- bzw. Pflück- Landarbeiter*innengewerkschaft von Bau- menge bildet die Basis der Löhne vie- ru (São Paulo), die die Beschwerden der ler Landarbeiter*innen, so auch der Arbeiter*innen dokumentiert hat. Orangenpflücker*innen. Die auf Pro- duktivitätsbasis erzielten Lohneinkünfte können durch die Reform jedoch stark beeinträchtigt werden, da „Prämien und 20 Christliche Initiative Romero > AUSGEPRESST – Hinter den Kulissen der Saftindustrie
Gratifikationen“ sowie weitere Zuschlä- Auslagerung an Drittfirmen: Brasiliens ge nicht länger Bestandteil des Gehalts Feldarbeit konzentriert die schlimmsten sein werden. In der Praxis kann so jeder Formen der Ausbeutung von Arbeits- Aufschlag infolge der erbrachten Akkord- kräften: Zwischen 1995 und 2015 wur- leistung als einfache Prämie bezahlt wer- den 50.000 Arbeiter*innen aus sklaven- den – unabhängig vom Lohn. Verdiente arbeitsähnlichen Zwangsverhältnissen eine Landarbeiter*in beispielsweise un- befreit, 88 Prozent von ihnen waren ter Berücksichtigung des für den Sektor Landarbeiter*innen. In den allermeisten geltenden Basissatzes und der persönli- Fällen sind Arbeitsvermittler involviert, chen Produktivität 1.600 Real (413 Euro), sogenannte „gatos”. 2017 wurde ein Ge- werde fortan nur noch 1.100 Real (284 setz verabschiedet, das die Anstellung Euro) auf ihrem Lohnzettel vermerkt. Zu- über Drittfirmen bei jeglicher Arbeitsleis- sätzlich erhält sie zwar einen Akkord-Zu- tung gestattet. In der Praxis erlaubt die- schlag von 500 Real (129 Euro). Auf diese ses Gesetz, dass diese „gatos” die Arbeits- 500 Real erfolgt aber keinerlei Anrech- kräfte ganz legal unter Vertrag nehmen nung auf die Arbeits- und Sozialversiche- und sich den Plantagen als Dienstleister rung – sprich: Die soziale Absicherung anbieten. Die Reform verhindert, dass der Landarbeiter*innen wird durch die Auftraggeber für Arbeitsrechtsverletzun- Bestimmung deutlich prekärer. gen durch diese Dienstleiter juristisch be- langt werden können. Farmer und Agrar- Gesetzlicher Mindestlohn: Die Zahlung firmen werden so in Zukunft kaum mehr des gesetzlichen Mindestlohnes wird für Fälle von Sklavenarbeit verantwortlich durch die neuen Regeln in mehrerer gemacht werden können. Hinsicht bedroht. Zum einen können nun Verträge mit Festanstellung durch Arbeitszeiten: Das neue Gesetz gestat- Zeitverträge ersetzt werden, sodass tet flexiblere Arbeitszeiten, so darf bis Arbeiter*innen auf Abruf verbleiben und zu zwölf Stunden täglich gearbeitet wer- nur noch für geleistete Arbeitsstunden den, wenn die Stunden bezahlt werden. bezahlt werden. Laut dem verabschie- Es sieht des Weiteren eine Verkürzung deten Gesetzestext entspricht die Min- der Pausenzeiten vor. Für diesen Bericht destzahlung je Arbeitstag einem vom interviewte Personen erklärten Repórter Monat auf den Tag heruntergerechneten Brasil, dass sie bereits starke Auswirkun- Mindesttagessatz. Mit anderen Worten: gen der Arbeitsrechtsreform spürten, ob- Bekommen Arbeitende im Laufe eines wohl die neuen Gesetze zum Zeitpunkt Monats z. B. wegen Krankheit nicht ge- der Gespräche noch gar nicht in Kraft nügend Arbeitstage zusammen, kann es waren: „Sie zwingen uns zu Überstun- vorkommen, dass sie am Monatsende den. Sie kommen zu uns und sagen, dass weniger als den gesetzlichen Mindest- diese neue Gesetzgebung schon verab- lohn erhalten. Eine der am meisten da- schiedet wurde und dass wir von nun an von betroffenen Berufsgruppen sind die vier Überstunden machen müssen. Die Orangenarbeiter*innen von kleinen oder wollen das nun alles in einem Abwasch mittelgroßen Produzenten. Da diese von durchziehen”, berichtete ein Angestellter den flexiblen Lieferzeitplänen der Indus- der Firma Agroterenas im Oktober 2017. trie abhängig sind, kommt es für sie oft zu Ernteunterbrechungen und damit zu faktischen Lohnausfällen. DER ANBAU Christliche Initiative Romero > AUSGEPRESST – Hinter den Kulissen der Saftindustrie 21
Sie können auch lesen