Richtwerte für Methanol in der Innenraumluft - Mitteilung des Ausschusses für Innenraumrichtwerte ( AIR)
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Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen Bundesgesundheitsbl 2022 · 65:128–136 Bekanntmachung des Umweltbundesamtes https://doi.org/10.1007/s00103-021-03461-3 © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil Richtwerte für Methanol von Springer Nature 2021 in der Innenraumluft Mitteilung des Ausschusses für Innenraumrichtwerte (AIR) Stoffidentifikation Anzahl von kommerziell erhältlichen Lö- für Windschutzscheiben herrühren [1, 2, sungsmitteln und Verbrauchsgütern, ein- 4]. Früher wurde Methanol auch in Ko- 55Systematischer Name: Methanol schließlich Farben, Lacken, Verdünnern, pierflüssigkeiten verwendet [5]. Zigaret- 55Synonyme: Methylalkohol, Hydroxy- Reinigungslösungen, Frostschutzmitteln, tenrauch enthält etwa 180 µg Methanol methan Scheibenwaschflüssigkeiten für Autos, pro Zigarette [1]. Rauchen kann daher zu 55C LP-Index-Nr.: 603-001-00-X Denaturierungsmitteln für Ethanol und einer zusätzlichen Methanol-Belastung in 55E C-Nr.: 200-659-6 Hobby-Klebstoffen. Methanol wird auch der Innenraumluft führen. 55C AS-Nr.: 67-56-1 direkt als Kraftstoff verwendet, es dient 55Summenformel: CH4O als Ersatz für Benzin in Benzin- und Die- Außenluft 55Strukturformel: H3C–OH selmischungen. Zudem ist es Bestandteil von Zigarettenrauch, und es kommt na- Expositionen gegenüber Methanol aus der Physikalische und chemische türlicherweise in diversen Lebensmitteln Umwelt erfolgen hauptsächlich durch die Eigenschaften vor [1, 2]. Umgebungsluft mit Konzentrationen im Bereich von wenigen µg/m3 in ländlichen Methanol ist eine farblose, flüchtige und Exposition Gebieten und bis zu 130 µg/m3 in städti- entzündbare Flüssigkeit mit einem leicht schen Gebieten [2]. alkoholischen Geruch. Sie ist vollständig Innenraumluft mit Wasser und den meisten organischen Nahrungsmittel Lösungsmitteln mischbar [1]. Menschen atmen ständig geringe Mengen 55Molekulargewicht: 32,04 g/mol Methanol aus körpereigenen Stoffwech- Methanol ist in zahlreichen Nahrungs- 55Schmelzpunkt: –97,8 °C selprozessen ab. Quantitative Angaben mitteln enthalten, beispielsweise in Obst 55Siedepunkt: 64,7 °C aus Deutschland zu den Methanolkon- und Fruchtsäften (12–640 mg/l, durch- 55Dichte: 0,79 g/cm3 (bei 20 °C) zentrationen in der Raumluft liegen nicht schnittlich 140 mg/l), Bier und Wein (96– 55Dampfdruck: 128 hPa (bei 20 °C) vor. In den Wohn- und Schlafbereichen ei- 321 mg/l), Spirituosen (bis zu 1500 mg/l) 55Wasserlöslichkeit: Vollständig misch- nes neu errichteten Hauses in Melbourne und Gemüse (1,5–7,9 mg/kg). Eine Me- bar (Australien) wurden zwei Tage nach der thanolexposition resultiert auch durch 55Log POctanol/Wasser: –0,824 (bei 19 °C) Fertigstellung Methanol-Konzentratio- Verwendung des künstlichen Süßstoffs 55Umrechnung (bei 20 °C): 1 ml/ nen von 550–860 µg/m3 in der Innen- Aspartam und des „Kaltentkeimungsmit- m3 = 1,33 mg/m3, raumluft gemessen. 246 Tage nach Bau- tels“ Dimethyldicarbonat (DMDC) für 551 mg/m3 = 0,75 ml/m3 ende wurden Methanol-Konzentrationen Fruchtsäfte. Diese Stoffe setzen Methanol von 130–220 µg/m3 gemessen. Die ent- metabolisch im Organismus frei [1, 2, 4]. Vorkommen und Anwendung sprechenden Außenluftwerte betrugen < 5 µg/m3 [3]. In einem Wohnhaus mit Toxikokinetik Methanol wird in der industriellen Pro- Garage in New Jersey (USA) führte die duktion als Ausgangsstoff vieler wichtiger Verwendung von Methanol als Kraftstoff Etwa 60–85 % des inhalierten Methanols organischer Verbindungen verwendet, zu einer Konzentration von 1,7 mg/m3 in werden über die Lunge des Menschen ab- wie Formaldehyd, Essigsäure, Methyl der Garage, 0,31 mg/m3 in einem angren- sorbiert. Orale Exposition führt zu einer tertiärbutylether (MTBE), Glykolmethyl zenden Raum und 0,15 mg/m3 im restli- schnellen, annähernd vollständigen Re- ether, Methylamin, Methylhalogenide chen Haus. Weitere Expositionen können sorption aus dem Gastrointestinaltrakt. und Methylmethacrylat. Darüber hinaus von methanolhaltigen Produkten wie La- Studien mit Freiwilligen ergaben eine der- ist Methanol Bestandteil einer großen cken, Klebstoffen und Waschflüssigkeiten male Absorptionsrate von reinem Metha- 128 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2022
nol von 8,1–11,5 mg/cm2/Stunde. Metha- gen durch die Aktivitäten der Darmflora chen mit reinem Methanol bewirkte bei nol wird rasch in Organen und Geweben oder durch andere enzymatische Prozes- Expositionen bis zu 20 h in einer Studie in direktem Verhältnis zu ihrem Wasser- se gebildet wird. Die endogene Produkti- keine Hautreizung. Eine mäßige Reiz- gehalt verteilt. Die höchsten Konzentrati- on beträgt normalerweise 300 bis 600 mg/ wirkung in einer anderen Studie nach onen wurden im Blut sowie anderen wäss- Tag und führt zu einer Hintergrundbelas- 24-stündiger Exposition wurde dem ge- rigen Kompartimenten, in der Galle, Urin, tung von etwa 0,5 mg/kg KG, welche auch nerell entfettenden Effekt von Alkoholen Niere, Leber und im Gastrointestinaltrakt in der Ausatemluft (0,5–500 µg/m3) sowie zugeschrieben [2, 6, 10]. gefunden. Geringere Konzentrationen an im Blut (0,25–5,2 mg/l) nachgewiesen Methanol wurden im Knochenmark, Fett- werden kann. Auch im Urin wird Metha- Sensibilisierung gewebe, Gehirn und Muskelgewebe nach- nol mit Hintergrundwerten bis zu 10 mg/l gewiesen. ausgeschieden. Die interne Konzentration In Epikutantests mit Methanol gab es ver- Die Metabolisierung von Methanol von Methanol im menschlichen Körper einzelt Hinweise auf eine sensibilisieren- führt im ersten Schritt zur Bildung von steigt an, wenn die exogenen Expositio- de Wirkung, die durch eine Kreuzreaktion Formaldehyd, das weiter zu Ameisensäu- nen ausreichend hoch sind, um den Ab- mit Ethanol begründet wurde. In einigen re (Formiat) und schließlich zu Wasser bau von Methanol zu sättigen [2, 7, 8]. Fällen wurden Hautreaktionen nach dem und Kohlenstoffdioxid abgebaut wird. Die Konsum alkoholischer Getränke berich- Oxidation von Formiat ist abhängig von Gesundheitliche Wirkungen tet. Insgesamt wird der Sensibilisierung der Anwesenheit von Folsäure als Cofak- durch Methanol ein geringer Stellenwert tor. Es bestehen spezifische Unterschiede Irritation zugeschrieben [1, 6]. zwischen Nagern und Primaten hinsicht- lich der Metabolisierung von Methanol. Nach inhalativer Exposition von Freiwil- Wirkungen bei wiederholter Bei Nagern erfolgt der erste Schritt durch ligen gegen bis zu 1000 ppm (1330 mg/ Exposition Katalasen-Peroxidasen und die Geschwin- m3) Methanol wurden keine reizenden digkeit dieses Schritts ist bestimmend für Wirkungen berichtet. Wiederholter oder In einer älteren, eingeschränkt verlässli- den gesamten Methanolabbau. Hohe Do- längerer Hautkontakt mit flüssigem Me- chen Industriestudie wurden bei 19 Ar- sen an Methanol führen bei Nagern da- thanol oder Dämpfen führte zu trockener, beitern nach einer 9-monatigen bis 2-jäh- her zu einer Anreicherung von Metha- rauer oder rissiger Haut [1, 6]. Mann et al. rigen Exposition gegenüber 22–25 ppm nol im Blut bzw. im gesamten Körper. Bei (2002) untersuchten lokale Effekte einer (29–33 mg/m3) Methanol und 40–45 ppm Primaten erfolgt der erste Metabolisie- Methanolexposition auf das Atemepithel (96–108 mg/m3) Aceton keine Symptome rungsschritt hingegen durch Alkoholde- des Menschen an 12 gesunden männli- auf das zentrale Nervensystem oder visu- hydrogenase. Bestimmend für die Ge- chen Probanden nach 4-stündiger Expo- elle Anomalien festgestellt [2]. In anderen schwindigkeit des Methanolabbaus ist hier sition gegenüber 20 oder 200 ppm (26,6 älteren Studien wurde von Kopfschmer- nicht der erste Schritt, sondern der letzte bzw. 266 mg/m3). Die niedrigere Expo- zen nach Exposition gegenüber bis zu zur Umwandlung von Ameisensäure in sition diente als interne Kontrolle. Ex- 375 ppm (499 mg/m3) Methanol beim Be- Kohlendioxid. Bei hohen Methanoldosen position gegen 266 mg Methanol/m3 be- dienen von Kopierern berichtet. Sehstö- kommt es bei Menschen und Affen daher wirkte gegenüber 26,6 mg/m3 leichte, rungen oder andere Effekte wurden nicht nicht zur Anreicherung von Methanol, aber statistisch signifikante Anstiege von geschildert. Informationen zur Anzahl der sondern von Formiat. Bei Primaten kann Interleukin-1β und Interleukin-8. Ande- untersuchten Personen und Dauer der Ex- bei sehr hohen Methanolbelastungen die re immunologische Parameter sowie die position liegen nicht vor [11]. Bildung des Formiats die folat-abhängige Häufigkeit subjektiver Reizsymptome Frederick et al. (1984) untersuchten Oxidation übertreffen, womit eine Akku- waren unverändert. Die Autoren werte- 66 Lehrhilfskräfte, die wiederholt gegen- mulation prinzipiell möglich ist. Die Eli- ten die Ergebnisse als subklinische Reiz- über einer Kopierflüssigkeit (99 % Metha- minationshalbwertszeiten bei Primaten reaktion [9]. nol) exponiert waren. Als Kontrollgruppe und Nagern nach Inhalation oder ora- Tests zur sensorischen Reizung an diente eine Gruppe von 297 Lehrkräften ler Exposition liegen im Bereich von ca. Mäusen ergaben RD50-Werte (50 % respi- mit keiner oder nur geringer Methanolex- 2 bis 3,5 h. Vergleichende toxikokineti- ratory rate decrease-Konzentration, die zu position, von denen 66 als altersangepass- sche Studien an Affen und Ratten zeigten, einer 50 %igen Verminderung der Atem- te Kontrollen ausgewählt wurden. 15-mi- dass eine Dosis von 1000 mg/kg innerhalb frequenz führt) im Bereich von 33.649 bis nütige Luftmessungen im direkten Umfeld von 24 h in 75–80 % zu CO2 metabolisiert 55.214 mg/m3, was auf eine sehr schwa- von 21 Kopierern ergaben bei Arbeitsplät- wurde. 10–18 % der applizierten Dosis che sensorische Reizwirkung hindeutet. zen ohne Belüftung mittlere Konzentrati- wurden abgeatmet und 6–11 % als Metha- Eine gesättigte Methanolatmosphäre (le- onen von 1060 ppm (1409 mg/m3) und nol oder Ameisensäure in den Harn aus- tale Konzentration von > 150.000 mg/m3, zeigten, dass in 15 Fällen die Methanol- geschieden. Methanol wurde auch in der Expositionsdauer nicht angegeben) verur- konzentrationen über 800 ppm (1064 mg/ Muttermilch nachgewiesen. Quantitative sachte bei Ratten eine starke Reizung der m3) und der Maximalwert bei 3080 ppm Angaben liegen hierzu aber nicht vor [1, Schleimhäute und Hornhauttrübung. Die (4096 mg/m3) lagen. Eine zusätzliche der- 6]. Es wird vermutet, dass Methanol endo- okklusive dermale Exposition von Kanin- male Exposition gegenüber mit Methanol Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2022 129
Zusammenfassung · Abstract angefeuchtetem Kopierpapier wurde nicht Bundesgesundheitsbl 2022 · 65:128–136 https://doi.org/10.1007/s00103-021-03461-3 ausgeschlossen. Die Inzidenz von Sympto- © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature #### men, die möglicherweise mit Methanol in Bekanntmachung des Umweltbundesamtes Zusammenhang stehen, war bei den Lehr- hilfskräften signifikant erhöht. Die Symp- Richtwerte für Methanol in der Innenraumluft tome umfassten verschwommenes Sehen (22,7 gegenüber 1,5 % in den Kontrollen), Zusammenfassung Der Ausschuss für Innenraumrichtwerte (AIR) mehrstündiger Expositionsdauer eine N OAEC Kopfschmerzen (34,8 gegenüber 18,1 %), setzt Richtwerte für die Innenraumluft fest, von 266 mg/m3 ermittelt. Als Defaultwert Schwindel (30,3 gegenüber 1,5 %) und um Konzentrationen von Schadstoffen in der zur Abschätzung einer L AEC aus der NOAEC Übelkeit (18 gegenüber 6 %). Symptome, Innenraumluft hinsichtlich gesundheitlicher wird gemäß Basisschema des A IR ein Wert die normalerweise nicht mit Methanolex- Risiken für die Allgemeinbevölkerung zu be- von 3 verwendet. Auf Basis dieser Daten position assoziiert sind, wie z. B. schmerz- urteilen. Für eine gesundheitliche Bewertung ergibt sich mit einem Faktor von 20 (10 für von Methanol liegen akute Inhalationsstudien interindividuelle Variabilität und 2 für die haftes Wasserlassen, Durchfall, Appetitlo- am Menschen sowie Studien an Versuchstie- besondere Empfindlichkeit von Kindern) sigkeit und Gelbsucht unterschieden sich ren zur Entwicklungstoxizität vor. Da für den ein Kurzzeitrichtwert II (60 min) von 40 mg/ bei den Lehrhilfskräften und der Kontroll- Endpunkt der Entwicklungstoxizität davon m3 und ein Kurzzeitrichtwert I (60 min) von gruppe nicht [5]. ausgegangen werden kann, dass Menschen 13 mg/m3 für Methanol in der Innenraumluft. In einer Pilotstudie von Cook et al. deutlich sensitiver als Versuchstiere sind, werden die akuten Effekte am Menschen Schlüsselwörter (1991) wurden 12 gesunde junge Män- vom AIR als bewertungsrelevante Endpunkte Methanol· Innenraumluft · Inhalation · Akute ner 75 min gegenüber unbelasteter Luft (als eingestuft. Aus einer akuten Inhalations- Effekte am Menschen · Richtwert interne Kontrolle) oder 250 mg Methanol/ studie an freiwilligen Probanden wird nach m3 exponiert und auf neurophysiologische und verhaltenstoxikologische Endpunk- te getestet. Die Mehrzahl der Tests, inkl. Indoor air guide values for methanol physiologischer, psychologischer und kli- nischer Veränderungen war negativ. Ge- Abstract ringe, aber statistisch signifikante Abwei- The German Committee on Indoor Air Guide was determined after exposure for several chungen ergaben sich für die Ergebnisse Values (AIR) derives indoor air guide values hours. According to the A IR basic scheme, to evaluate concentrations of substances in a value of 3 is used as the default value for der P-200- und N1-P2-Komponente (evo- indoor air with regard to public health risks. estimating a LAEC from the NOAEC. Based zierte Potenziale der Gehirnwellenmuster For the health evaluation of methanol, acute on these data, a factor of 20 (10 for interin- nach Lichtblitzen und Geräuschen), der inhalation studies on humans and studies dividual variability and 2 for the particular Sternberg-Reaktionszeit und der subjek- on laboratory animals on developmental sensitivity of children) results in a short-term tiven Bewertungen von Konzentrationsfä- toxicity are available. As it can be assumed for guide value II (60 min) of 40 mg/m3 and a the endpoint of developmental toxicity that short-term guide value I (60 min) of 13 mg/m3 higkeit und Ermüdung [12]. humans are significantly more sensitive than for methanol in indoor air. In einer randomisierten Doppelblind- test animals, the acute effects on humans are studie wurden 26 gesunde Probanden evaluated by the AIR as relevant endpoints Keywords nach vierstündiger Exposition gegen- to the assessment. From an acute inhalation Methanol· Indoor air · Inhalation · Acute über 200 ppm (266 mg/m3) Methanol study on volunteers, a N OAEC of 266 mg/m3 effects on humans · Guide value oder Wasserdampf (als interne Kontrol- le) exponiert und die verhaltenstoxikolo- gische, neurophysiologische und visuel- genüber 200 ppm (266 mg/m3) und eine tungen im Θ-Band und einiger Ableitun- le Leistungsfähigkeit untersucht [13]. Die Woche später ebenfalls für 4 h gegenüber gen des δ-Bandes bei Exposition gegen- Mehrzahl der Testergebnisse war negativ 20 ppm (26,6 mg/m3) Methanol exponiert. über 200 ppm signifikant reduziert [14]. (visuelle, neurophysiologische oder neu- Ein E EG wurde vor der Untersuchung Hartwig (2019) wertet diese Ergebnisse rologische Verhaltenstests). Ein geringer, (Referenz) und am Ende der Untersu- hinsichtlich ihrer Aussagekraft als sehr aber statistisch signifikanter Effekt zeigte chung sowie während eines Farberken- begrenzt und weist darauf hin, dass keine sich auf die P300 Amplitude (Gehirnwel- nungs-Reaktions-Stresstestes (color word Schlüsse auf Verhaltensauffälligkeiten der len nach sensorischer Stimulation) und im stress test) geschrieben. Zwischen den bei- Probanden zu ziehen sind [15]. Symbol DigitTest (Verarbeitung von Infor- den Expositionsgruppen ergab sich kein In der Gesamtschau der genannten mationen, psychomotorischen Fähigkei- Unterschied bezogen auf akute Symptome vorliegenden Probandenstudien schluss- ten). Die Autoren merkten an, dass diese wie Kopfschmerz, Übelkeit, Schwindel, folgert Hartwig (2019), dass es sich bei Endpunkte auch durch weitere, unbekann- Wahrnehmung eines schlechten Geruchs, den in kleinen Stichproben bei jungen, te Faktoren beeinflusst werden könnten. Wahrnehmung eines unangenehmen Ge- gesunden Probanden ermittelten Unter- Diese minimalen Effekte werden nicht als schmacks, Schwäche- oder Schwindelge- suchungsergebnissen bei Exposition ge- toxikologisch relevante Effekte gewertet. fühl, Schwierigkeiten beim Atmen sowie genüber 200 ppm (266 mg/m3) Methanol Von Muttray et al. (2001) wurden zwölf Reizeffekte an Haut und Schleimhäuten. um eine NOAEC für akute neurotoxische gesunde männliche Probanden für 4 h ge- Nur im E EG waren die spektralen Leis- Wirkungen handelt [15]. 130 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2022
Viele Fallberichte beschreiben Effekte rücksichtigt [6]. In der Zwischenzeit wur- ters weder Schwesterchromatidaustausch nach versehentlicher oder absichtlicher de der MAK-Kommission der vollständig (SCE) noch Chromosomenaberrationen einmaliger oder wiederholter oraler Ex- übersetzte Originalbericht zur Verfü- induziert [1, 2, 4, 6]. position. Die Symptome umfassten ver- gung gestellt [15]. Demnach wurden F- In Blut- und Lungenzellen sowie schwommenes Sehen und unilaterale oder 344-Ratten und B6C3F1-Mäuse (jeweils Spermatozyten von Mäusen, die 5 Tage bilaterale Erblindung, Krämpfe, Zittern, 52–53 Tiere pro Geschlecht und Grup- lang 6 h/Tag gegenüber bis zu 5200 mg Übelkeit, Kopfschmerzen und Schwindel, pe) gegenüber 0, 10, 100 oder 1000 ppm Methanol/m3 exponiert waren, trat kei- Bauchschmerzen, verschlechterte moto- (0, 13,3, 133 oder 1330 mg/m3) Metha- ne Induktion von Schwesterchromatid- rische Fähigkeiten, metabolische Azido- nol für 19–19,5 h/Tag an 7 Tagen/Wo- austauschen, Chromosomenaberrationen se, Dyspnoe, Verhaltensstörungen und/ che für 104 bzw. 78 Wochen exponiert. oder Mikronuklei auf. In Mäusen wurden oder emotionale Defizite sowie Sprach- Ab 100 ppm Methanol war bei weibli- nach einmaliger intraperitonealer (i. p.) störungen. In schweren Fällen sind auch chen Ratten ein Anstieg an Bilirubin im Exposition bis zu 4480 mg/kg KG keine Koma und Tod berichtet worden. Perso- Urin zu verzeichnen. Weitere Effekte wur- Mikronuklei induziert. In weiteren Stu- nen, die an schwereren Symptomen lit- den ab 1000 ppm (1330 mg/m3) beschrie- dien konnten keine gentoxischen Wir- ten, hatten meist eine metabolische Azi- ben. Berichtet wurde bei weiblichen Rat- kungen in vivo beobachtet werden: i. p. dose (d. h. Blut pH < 7,0). Die niedrigsten ten eine Absenkung des pH-Wertes im Exposition von Mäusen bis zu 2500 mg/ berichteten Letaldosen liegen bei 300– Urin und bei den männlichen Tieren ein (kg KG × Tag) an vier aufeinanderfolgen- 1000 mg/kg KG, allerdings wurde die Ex- Rückgang des Futterverbrauchs sowie ein den Tagen, oder einmalige orale Dosen position in den Fallberichten häufig nicht Anstieg des Glukosegehaltes im Urin. Ab von bis zu 8410 mg/kg KG oder zwei täg- bestimmt. Humane Blut-Methanolspiegel 1000 ppm Methanol waren bei den männ- liche orale Dosen von 2500 mg/kg KG, von > 200 mg/l waren mit ersten ZNS-Ef- lichen Mäusen die Testesgewichte ernied- d. h. mit 5000 mg/(kg KG × Tag) an den fekten assoziiert, > 500 mg/l mit Sehstö- rigt. Bei den weiblichen Mäusen wurde in Trächtigkeitstagen 6–10 induzierten keine rungen und 1500–2000 mg/l mit Mor- dieser Dosisstufe ein Rückgang des Futter- Mikronuklei in Erythrozyten von Mäusen talität [2, 8]. Eine Längsschnittstudie an verbrauchs und ein Anstieg der absoluten [1, 2, 4, 6]. Lu et al. (2012) untersuchten Patienten mit Methanolvergiftung zeig- Nierengewichte beobachtet [15]. die D NA- Adduktbildung in verschie- te, dass methanol-induzierte Sehstörun- denen Geweben und Lymphozyten von gen länger als 3–8 Monate anhalten kön- Mutagenität und Kanzerogenität Ratten, die 5-mal mit oralen Dosen von nen [16]. 500 oder 2000 mg/(kg KG × Tag) mit ra- In tierexperimentellen Studien wur- Methanol war in den meisten Tests an dioaktiv markiertem Methanol behandelt den Sprague-Dawley-Ratten (5 pro Ge- Bakterien und Hefen mit oder ohne me- wurden. In Leber, Lunge, Milz, Thymus, schlecht und Gruppe) und Javaneraffen tabolische Aktivierung nicht mutagen. Knochenmark, Niere und Lymphozyten (Macaca fascicularis, 3 pro Geschlecht Ein schwach positives Ergebnis wurde in zeigte sich ein dosisabhängiger Anstieg und Gruppe) 4 Wochen lang an 6 h/Tag E. coli WP67 und CM871 ohne metabo- an Hydroxymethyl-DNA-Addukten. Al- und an 5 Tagen/Woche gegenüber 0, 500, lische Aktivierung erhalten (mit S9-Mix: lerdings entsprachen diese exogenen, ex- 2000 oder 5000 ppm (0, 665, 2660 oder negativ), wobei die Autoren der Studie positionsverursachten Adduktmengen 6650 mg/m3) Methanol exponiert. Affen spekulierten, dass die Reaktion eventuell weniger als 10 % der endogenen Adduk- zeigten keine klinischen Symptome. An durch Verunreinigungen der Testsubstanz te [18]. Auf der Grundlage der vorlie- den Ratten wurden leichte Augen- und hervorgerufen sein könnte. Methanol war genden Daten zur Gentoxizität gelang- Nasenreizungen beobachtet. Bei Ratten auch in einem Vorwärtsmutationstest in ten u. a. Greim (1999), H CN (2010) und und Affen wurden keine substanzbeding- E. coli SA500 ohne metabolische Akti- Wells et al. (2013) zu dem Schluss, dass ten makroskopischen oder mikroskopi- vierung positiv, jedoch nur bei zytotoxi- Methanol wahrscheinlich kein relevantes schen Organveränderungen beobachtet, schen Konzentrationen (Überlebensra- gentoxisches Potenzial aufweist [2, 6, 19]. ebenso war die Ophthalmoskopie unauf- te < 40 %). Ein positives Ergebnis wurde Auch Hartwig (2019) kommt zum Ergeb- fällig. Die marginalen Reizeffekte wurden weiterhin bei Aspergillus nidulans berich- nis, dass sich Methanol in nicht-zytotoxi- von den Autoren nicht als biologisch re- tet, wo Methanol bei bereits zytotoxischen schen Konzentrationen als nicht mutagen levant angesehen [17]. Aus dieser Studie Konzentrationen zu einer Chromosomen- erweist [15]. kann sowohl für Ratten als auch für Af- fehlverteilung führte. Im L5178Y-Maus- In einer Fall-Kontroll-Studie wurden fen eine NOAEC von 6650 mg/m3 abge- lymphomatest zeigte sich eine mutagene 790 Fälle von akuter lymphatischer Leu- leitet werden. Reaktion bei zytotoxischen Konzentrati- kämie im Kindesalter im Vergleich zu ge- Von Hartwig (2019) wurden im Zuge onen mit metabolischer Aktivierung, je- sunden, nach Alter und Geschlecht an- der Neubewertung des M AK-Wertes von doch nur, wenn S9-Mix in ungewöhnlich gepassten Kontrollen untersucht. Die Methanol die Ergebnisse einer 1987 von hohen Konzentrationen zugegeben wur- berufliche und häusliche Exposition ge- NEDO publizierten Studie berichtet [15]. de. Ohne S9-Mix und mit S9-Standard- genüber Lösungsmitteln vor und während Diese Studie wurde auch von Greim et al. konzentration ergab sich ein negatives der Schwangerschaft wurde nur geschätzt. (1999) zitiert, jedoch aufgrund fehlender Ergebnis. In vitro wurden in Ovar- und Die Studie konnte keinen Zusammenhang Informationen zur Studie nicht weiter be- Lungenzellen des chinesischen Hams- zwischen akuter lymphatischer Leukämie Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2022 131
Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen im Kindesalter und Methanolexposition Inhalation und oraler Exposition zeigten 537 mg/l [24]. Methanolblutspiegel beim der Mutter innerhalb von zwei Jahren vor [23, 24]. Für eine vollständige Übersicht Menschen im Bereich von 500 mg/l wer- der Schwangerschaft bis zur Geburt oder siehe z. B. [2, 15, 19]. Rogers et al. (1993) den aber bereits mit metabolischer Azi- Exposition während der Schwangerschaft exponierten trächtige CD-1-Mäuse (30– dose, Z NS-Wirkungen und Augento- feststellen [2]. 79 Tiere in den Expositionsgruppen, xizität assoziiert [2, 8], d. h. der Mensch Von NEDO (1987) wurden Ratten 114 in der Kontrollgruppe) gegenüber 0, reagiert im Vergleich zum Nager in die- und Mäuse (52–53 Tiere pro Geschlecht 1000, 2000, 5000, 7500, 10.000 oder ser Hinsicht wesentlich sensitiver bei ver- und Gruppe) 24 bzw. 18 Monate lang für 15.000 ppm (0, 1330, 2660, 6650, 9975, gleichbarer innerer Belastung. Aus Sicht 19–19,5 h/Tag an 7 Tagen/Woche gegen- 13.300 oder 19.950 mg/m3) Methanol an von Hartwig (2019) sind die tierexperi- über 0, 10, 100 oder 1000 ppm (0, 13,3, den Trächtigkeitstagen 6–15 für 7 h/Tag. mentellen Daten zur Entwicklungstoxizi- 133 oder 1330 mg/m3) Methanol expo- Die Tiere wurden am Trächtigkeitstag 17 tät wegen der Metabolismusunterschiede niert [20]. Die Ergebnisse aus dem Un- untersucht. Plasma-Methanol-Konzentra- zwischen Mensch und Nager nicht geeig- tersuchungsbericht von NEDO wurden tionen in 3 trächtigen Mäusen pro Grup- net, um arbeitsplatzbezogene Werte für von Hartwig (2019) bewertet. Demnach pe wurden an den Trächtigkeitstagen 6, Menschen abzuleiten [15]. war trotz der vergleichsweise langen Ex- 10 und 15 bestimmt. Die mittleren Plas- Burbacher et al. (1999) exponierten 12 positionsdauer (ca. 20 h/Tag) auch bei makonzentrationen waren ca. 1,6, 97, 537, Affen pro Gruppe an 2,5 h/Tag an 7 Ta- der höchsten Dosisgruppe von 1000 ppm 1650, 3178, 4204 und 7330 mg/l bei Ex- gen/Woche gegenüber 0, 200, 600 oder bei den Ratten kein statistisch signifikan- position gegenüber 0, 1330, 2660, 6650, 1800 ppm (0, 266, 798 oder 2394 mg/m3) ter Anstieg der Tumorinzidenzen zu be- 9975, 13.300 bzw. 19.950 mg/m3. Die Me- Methanol (a) vor und während der Ver- obachten. Bei den Mäusen traten auch in thanolplasmaspiegel waren im Verlauf paarung (insgesamt 180 Tage) oder (b) der höchsten Dosisstufe keine neoplasti- der Trächtigkeit nicht beeinflusst. Mater- während der gesamten Trächtigkeitsdau- schen Wirkungen auf [15]. nal traten weder verringerte Gewichtszu- er (insgesamt 168 Tage). Die Studie un- nahme noch offensichtliche Anzeichen tersuchte die Reproduktionsleistung so- Reproduktionstoxizität von Toxizität auf. Bei Methanolkonzen- wie Wachstum, Zustand und Verhalten trationen ≥ 13.300 mg/m3 waren die Fe- der Nachkommen. Bei den Muttertieren Eine multizentrische europäische Fall- tengewichte signifikant verringert. Die wurden bei Blutspiegeln bis zu 35 mg/l Kontrollstudie mit 851 Frau/Kind-Paa- Anzahl der lebenden Jungtiere pro Wurf keine Auswirkungen auf Körpergewicht ren zeigte eine nicht signifikant erhöh- nahm ab 9975 mg/m3 signifikant ab, und und keine klinischen Symptome festge- te Korrelation zwischen der maternalen in den beiden höchsten Konzentrations- stellt. Menstruationszyklen, Konzepti- Exposition gegenüber Methanol und der gruppen wurde eine erhöhte Anzahl von onsrate und Lebendgeburtsindex waren Ausbildung von Gaumenspalten sowie Würfen vollständig resorbiert. Konzen- ebenfalls nicht beeinflusst. In allen Be- der Spaltlippe. Dieses Ergebnis beruhte trationen von ≥ 6650 mg/m3 erhöhten das handlungsgruppen gab es eine statistisch jedoch auf einer sehr kleinen Fallzahl (2 Auftreten von Gaumenspalten pro Wurf signifikante Abnahme der Trächtigkeits- Fälle mit Gaumenspalte, 4 mit Spaltlip- und das Auftreten von Exenzephalie pro dauer (160, 162, 162 Tage bei jeweils 266, pe) [21]. Wurf signifikant. Bei Konzentrationen 798 oder 2394 mg/m3, verglichen mit 168 Spermatotoxische Wirkungen waren von ≥ 2660 mg/m3 wurde ein statistisch Tagen bei der Kontrolle), aber alle Werte in Ratten nach 6-stündiger inhalativer signifikanter und dosisabhängiger An- lagen innerhalb eines normalen Variati- Exposition gegenüber bis zu 5000 ppm stieg der Anomalien zervikaler Rippen onsbereichs und eine Dosis-Wirkungsbe- (6650 mg/m3) oder nach 7-tägiger Ex- pro Wurf beobachtet, und bei ≥ 6650 mg/ ziehung war nicht erkennbar. In 2 von 9 position gegenüber 200 ppm (266 mg/ m3 wurde ein Anstieg an Brustbeinde- neurologischen Verhaltenstests der Nach- m3) Methanol nicht nachzuweisen. Die fekten beobachtet (die Expositionsgrup- kommen traten nicht klar dosisabhängige letztgenannte Inhalationskonzentration pen 9975 und 13.300 mg/m3 wurden be- Effekte auf (insbesondere verzögerte sen- führte auch nach 13-wöchiger Expositi- züglich Fehlbildungen nicht untersucht). somotorische Entwicklung) [23]. HCN on nicht zu veränderten Testesgewichten. Die Autoren bestimmten eine N OAEC (2010) kam zu dem Schluss, dass die Er- Methanolkonzentrationen von 800 ppm und eine LOAEC für Entwicklungstoxi- gebnisse dieser Studie nicht schlüssig sei- (1064 mg/m3) verursachten keine his- zität von 1000 bzw. 2000 ppm (1330 bzw. en [2]. Im selben Sinne wertete die EPA topathologischen Effekte in den Hoden. 2660 mg/m3). Die Nagerdaten können (2013) die vorliegenden Nagerdaten als B6C3F1-Mäuse, die an aufeinanderfol- jedoch nicht für die Beurteilung des hu- valider [8]. Auch Hartwig (2019) sieht die genden Tagen 5-mal 1000 mg/(kg KG manen Risikos der Entwicklungstoxizi- Studie von Burbacher et al. (1999) als nicht × Tag) Methanol oral verabreicht beka- tät herangezogen werden: So betrug zum geeignet an, um die entwicklungs(neuro) men, zeigten einen leichten, nicht statis- Beispiel die maternale Methanolkonzen- toxischen Wirkungen von Methanol zu tisch signifikanten Anstieg der Spermien tration im Blut von Mäusen nach inha- bewerten [15]. abnormalitäten [4, 22]. lativer Exposition gegenüber 1000 ppm Es liegen mehrere Teratogenitätsstudi- (1330 mg/m3) für 7 h/Tag an den Träch- en an Labortieren vor, die Entwicklungs- tigkeitstagen 6–15 im Mittel 97 mg/l. Bei effekte einschließlich Fehlbildungen nach 2000 ppm (2660 mg/m3) lag sie bereits bei 132 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2022
Geruchswahrnehmung Benchmarkdosen für ein Risikoniveau Ableitung der Richtwerte von 5 und 1 % auf Basis der mittleren in der Innenraumluft Ein Geruchsschwellenwert für Metha- Wahrscheinlichkeit (maximum likeli- nol in Höhe von 33 ppm (44 mg/m3) von hood Schätzung, BMD05 und BMD01) Nach Basisschema des AIR sollte zur Ab- Nagata (2003) wurde mittels der Triangle und des unteren 95 %-Konfidenzinter- leitung von Richtwerten vorrangig von Bag-Methode erhoben, bei der jeweils 6 valls (BMDL05 und BMDL01). Der emp- Humanstudien ausgegangen werden. Im Freiwillige nacheinander den Inhalt von 3 findlichste Endpunkt waren zervikale Falle von Methanol wird dieses Vorgehen Luftsäcken geruchlich bewerteten, von Rippenanomalien. Die entsprechenden zusätzlich dadurch gestützt, dass für den denen zwei Luft und einer die Testsubs- Werte (berechnet von den Autoren der Endpunkt der Entwicklungstoxizität da- tanz enthielten. Dies wurde in 3 Replika- Studie für die 7 h/Tag Exposition) be- von ausgegangen werden kann, dass Men- ten für jeweils verschiedene Substanzver- trugen 824 ppm (1096 mg/m3) für die schen deutlich sensitiver als Versuchstiere dünnungen durchgeführt. Diese Methode BMD05 und 305 ppm (406 mg/m3) für die sind. Die beim Tier beobachteten NO- gilt als verlässlich zur Bestimmung von BMDL05 [24]. AECs für diesen Endpunkt bewegen sich Geruchsschwellen [25]. Es liegen weitere Das O EHHA (Office of Environmen- in einem Bereich, für den beim Menschen Geruchsschwellen anderer Autoren vor, tal Health Hazard Assessment) der kali- bereits entwicklungstoxische Effekte ange- welche aber wegen methodischer Mängel fornischen Umweltschutzbehörde leitete nommen werden können. Somit sind to- und/oder ungenügender Datenpräsentati- einen chronischen Referenz-Expositions- xikologisch relevante Effekte nach Akut- on nicht als verlässlich angesehen werden. wert (chREL) für Methanol ab. Dieser ba- exposition des Menschen als kritischer AIHA (1997) berichtet eine mittle- siert auf der Benchmark-Konzentration bewertungsrelevanter Endpunkt anzuse- re Wahrnehmungsschwelle von 160 ppm (BMDL05) aus der Studie von Rogers et al. hen, und nicht der aus Tierstudien ermit- (212,8 mg/m3), mit einer Spanne „akzep- (1993) für Fehlbildungen zervikaler Rip- telte empfindlichste Endpunkt der Ent- tabler Werte“ von 4,2–5960 ppm (5,6– pen von 305 ppm (406 mg/m3). Nach Kor- wicklungstoxizität. 7927 mg/m3). Die mittlere Erkennungs- rektur der Konzentration von 7 h/Tag auf schwelle wird mit 690 ppm (917,7 mg/ kontinuierliche Exposition ergab sich ein Richtwert I I m3) und einer Spanne „akzeptabler Wer- Wert von 89 ppm (118 mg/m3). Als Ext- In akuten Inhalationsversuchen mit Frei- te“ von 53–8940 ppm (70,5–11.890 mg/ rapolationsfaktoren wurden 3 für Inter- willigen erwiesen sich Konzentrationen m3) angegeben [26]. Amoore und Hauta- speziesunterschiede und 10 für Intraspe- von 200 ppm (266 mg/m3) bei mehrstün- la (1983) berichten eine Geruchsschwel- ziesvarianz (insgesamt 30) verwendet, es diger Expositionsdauer in mehreren Stu- le von 100 ± 2,0 ppm (133 ± 2,66 mg/m3), resultiert eine chREL von 3 ppm entspre- dien als NOAEC oder allenfalls marginale Ruth (1986) entsprechend eine Spanne chend 4 mg/m3 [24, 30]. Effekte für geringfügige neurophysiologi- von 13,1–26.840 mg/m3 [27, 28]. US E PA (2013) verwendete ebenfalls sche und immunologische Veränderun- die Daten der Studie von Rogers et al. gen [9, 12–14]. Die aufgetretenen Effekte Bewertung (1993) zur Entwicklungstoxizität an Mäu- wurden aber nicht als advers eingeschätzt sen sowie die Ein-Generationenstudie von (LOEC). In älteren Studien wurde von Bestehende Regelungen NEDO (1987) an Ratten zur Ableitung Kopfschmerzen nach Exposition gegen- und Bewertungen von Referenzdosen. Die methodische über bis zu 375 ppm (499 mg/m3) Me- Vorgehensweise war dabei mit Ableitung thanol beim Bedienen von Kopierern be- Methanol ist nach EG- Verordnung einer Benchmarkdosis auf Basis der Mo- richtet, Sehstörungen oder andere Effekte 1272/2008 (CLP-VO) als giftig beim Ver- dellierung der internen Belastung prinzi- wurden nicht beobachtet. Informationen schlucken, bei Hautkontakt und Einat- piell gleich. Auf Basis der BMDL05 der je- zur Anzahl der untersuchten Personen men klassifiziert (Acute Tox. 3: H301, weiligen Studien von Rogers et al. (1993) und Dauer der Exposition liegen hierzu H311, H331). Weiterhin ist Methanol als und N EDO (1987) und eines Gesamt-Un- nicht vor [11]. Insofern kann diese An- Verursacher von Organschäden (Nervus sicherheitsfaktors von gerundet 100 (3 für gabe nicht als verlässliche LOAEC ange- opticus, Zentralnervensystem) bei einma- Interspeziesunterschiede, 10 für Intraspe- sehen werden. Als Defaultwert zur Ab- liger Exposition (STOT SE 1, H370) klas- ziesvarianz, 3 für weitere Datenunsicher- schätzung einer LAEC aus der NOAEC sifiziert. heiten hinsichtlich der möglichen Emp- wird gemäß Basisschema des AIR [31] Die Arbeitsplatzgrenzwerte für Metha- findlichkeitsunterschiede bezüglich der ein Wert von 3 verwendet. Auf Basis die- nol liegen in den meisten europäischen internen Belastung (Blutmethanolgehalt) ser Daten ergibt sich mit einem Faktor von und außereuropäischen Ländern bei zwischen Nagern und Primaten) ergaben 20 (Standardfaktoren: 10 für interindivi- 200 ppm (260–270 mg/m3). Ausnahmen sich Referenzkonzentrationen für Metha- duelle Variabilität und 2 für die besondere sind Deutschland (AGW und MAK-Wert: nol von jeweils 20 mg/m3 [8, 20, 24]. Empfindlichkeit von Kindern) ein Kurz- 100 ppm, 130 mg/m3), die Niederlande zeitrichtwert II (60 min) von 266 mg/m3 (133 mg/m3) und Polen (100 mg/m3) [29]. × 3/20 = 39,9 mg/m3, gerundet 40 mg/m3. Rogers et al. (1993) berechneten aus Da Geruchsschwelle und Richtwert II den Dosis-Wirkungsdaten ihrer Studie relativ dicht beieinanderliegen, sind bei zur Entwicklungstoxizität bei Mäusen Raumluft-Konzentrationen im Bereich Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2022 133
Bekanntmachungen – Amtliche Mitteilungen des Richtwertes II geruchliche Auffällig- keiten nicht auszuschließen. Für Methanol wird ein Kurzzeit- Richtwert II (60 min) von 40 mg/m3 festgelegt. Richtwert I Zur Ableitung des Richtwertes I geht der AIR ebenfalls von den in akuten Inhala- tionsversuchen an Freiwilligen getesteten Konzentrationen von 200 ppm (266 mg/ m3) bei mehrstündiger Expositionsdau- er als NOAEC aus [9, 12–14]. Angesichts kurzer Eliminationshalbwertszeiten er- übrigt sich ebenfalls eine Zeitkorrektur (siehe Richtwert I I). Es ergibt sich unter Berücksichtigung eines Gesamtfaktors von 20 (10 für interindividuelle Variabili- tät und 2 für die besondere Empfindlich- keit von Kindern) gemäß Basisschema ein Kurzzeitrichtwert I (60 min) von 266 mg/ m3/20 = 13,3 mg/m3, gerundet 13 mg/m3. Für Methanol wird ein Kurzzeit- Richtwert I (60 min) von 13 mg/m3 fest- gelegt. Der Richtwert I liegt deutlich unter- halb der als verlässlich angesehenen Ge- ruchsschwelle von 44 mg/m3 von Nagata et al. (2003) [25], d. h. eine Geruchsemp- findung dürfte bei Einhaltung des Richt- wertes I keine Rolle spielen. Zum Umgang mit Richtwertüber- schreitungen wird auf das Kapitel 4.3 der Handreichung des AIR zur „Beurteilung von Innenraumluftkontaminationen mit- tels Referenz- und Richtwerten“ verwie- sen [32]. Anmerkungen Der Entwurf dieser Mitteilung wurde auf Grundlage eines Gutachtens von Jens Uwe Voss im Auftrag des Umweltbundesamtes (FKZ 3716 62 205 4) mit Beiträgen von Kerstin Schlufter, Martin Kraft, Madlen David, Malgorzata Debiak und Katrin Schröder erstellt. Korrespondenzadresse Madlen David Umweltbundesamt Berlin, Deutschland Madlen.David@uba.de 134 Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2022
Anhang Derivation of indoor air guide valuesa: key data Substance Methanol Parameter Value/Descriptor Dimension Comments General Information CLP INDEX No 603-001-00-X EC No 200-659-6 CAS No 67-56-1 CLP CMR Classification Indoor Air Guide value status Guide value II (RW II – 40 mg/m³ Health hazard value) Guide value I (RW I -Precautionary value) 13 mg/m³ Conversion factor: 1 ml/m = 3 1.33 mg/m³ Year 2021 Database Key study/Author(s) (Year) Cook et al. (1991), Chuwers et al. (1995), Mann et al. (2002), Muttray et al. (2001) Species Human occupational Route/type of study Inhalation Study length acute Inhalative exposure duration 4h Critical endpoint Deficits in Neurobehavioural tests POD NOAEC POD Value 266 mg/m³ Assessment factors Dose-response assessment factor n.a. Adjusted exposure duration factor (time scaling) n.a. Adjusted study length factor n.a. Route-to-route extrapolation factor n.a. Adjusted absorption factor (inhalation/oral) n.a. Interspecies factor n.a. Intraspecies factor 10 General population Sensitive population factor 2 Children Other adjustment factors – Quality of whole database Result Total assessment factor (TAF) 20 (6.66) POD/TAF 39.9 mg/m³ Guide value II: 40 mg/m³ LAEC/NOAEC 3 mg/m³ Guide value I: 13 mg/m³ referring to the German basic scheme for the derivation of indoor air guide values. Bundesgesundheitsbl 2012:55:279–90; a n. a. = not applied Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 1 · 2022 135
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