Rückkopplungen aus dem Zodiak Free Arts Lab 21.-26.9.2021 - Hebbel am ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Bildet Nischen! Rückkopplungen aus dem Zodiak Free Arts Lab 21.–26.9.2021 / HAU1 Im Winter des Jahres 1967 begann der Musiker und Künstler Conrad Schnitzler, auf Einladung des Wirtes Paul Glaser in zwei Räumen unter der damaligen Schaubühne am Halleschen Ufer, dem heutigen HAU2, das Programm zu gestalten. Mit Mitstrei- ter:innen betrieb er das Zodiak Free Arts Lab über ein Jahr lang als hierarchiefreien Raum für musikalische Experimente und interdisziplinären Austausch. Bis 1969 diente das Zodiak als künstlerischer wie sozialer Treffpunkt. Trotz des kurzen Be- stehens kann es als initiierender Ort für zahlreiche musikalische Entwicklungen ver- standen werden – vor allem für die kurze Zeit später entstehende “Berliner Schule”, deren Sound oft unter dem Begriff “Krautrock” zusammengefasst wird und der bis heute in diversen musikalischen Strömungen nachhallt. “Bildet Nischen! Rückkopplungen aus dem Zodiak Free Arts Lab” begibt sich auf Spurensuche und beleuchtet die Verbindungen aus politischen, sozialen und kultu- rellen Verhältnissen, die auf die Szene um das Zodiak einwirkten. Welche Gemenge- lagen setzen auch heute noch Energien frei, die sich in (pop-)kulturellen Entwick- lungen manifestieren? Wie findet sich Gegenkultur und welcher Räume bedarf es dafür? Lassen sich Spuren und Bezüge des Zodiak in der kulturellen Praxis späterer subkultureller Entwicklungen im Berliner Underground aufzeigen? Fragestellungen wie diese bleiben bis in die aktuelle Gegenwart für die Entwicklung künstlerischer Positionen relevant. In einem Programm aus Konzerten, Kollaborationen, Installa- tionen, Gesprächen und einer Lecture Performance geht das HAU ihnen nach. Ein Festival des HAU Hebbel am Ufer. Gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds. Inhalt “Streifzug durch die Hallräume des Zodiak” von Tobias Schurig 4 “Wir haben die Dinge nicht bewahrt, wir haben einfach gemacht.” Elke Lixfeld, Alfred 23 Harth, Alexander Hacke und Andrea Neumann im Gespräch mit Jens Uthoff 7 “Namenlose Experimente” von Patrick Hohlweck 19 “Der glühende Raum” von Hendrik Otremba 23 Programm und Akteur:innen 26 Die Fotografien in dieser Publikation sind von Detlef Krenz, gelernter Büromaschinenmechaniker, später studierte er Zeitplan 30 Geschichte und Medienwissenschaften. Er war einst Gast im Zodiak, dabei sind die folgenden Bilder entstanden. Impressum 31 ➝ Während des Festivals wird auch eine Ausstellung mit seinen Fotos im Rangfoyer des HAU1 zu sehen sein. ➝ Parts of this publication will be translated into English and published on HAU3000: www.hebbel-am-ufer.de/HAU3000 2 3
Kulturelle Nischen sind vielfältig. Ihnen im- Mit “Bildet Nischen!“ begeben wir uns nun auf Dass unser Zodiak-Festival nun aufgrund von manent ist die Randständigkeit, eine Exis- eine Spurensuche in die Geschichte unseres Sanierungsarbeiten am und im HAU2 nicht in Streifzug tenz jenseits dessen, was wir als Mainstream Hauses. Wir wollen einem Phänomen seiner den Originalräumen wird stattfinden können, bezeichnen. Bezogen auf das menschliche Zeit nachspüren und seine Wirkung bis in un- empfinden wir nach einer kurzen Phase der Er- Zusammenleben im urbanen Raum sind sie sere Gegenwart hinein untersuchen. Wir wollen nüchterung schließlich auch als Erleichterung. gleichbedeutend mit der kreativen Nutzung genau hinhören auf das Echo einer Initialzün- Die Gefahr der Musealisierung, die Versuchung von Zwischenräumen – ebenjener Zwischen- dung, eines Schauplatzes nicht nur für eine Mu- des Nachstellens von Schauplätzen und Inhal- und Freiräume, deren Verschwinden mono- sik, die Popgeschichte geschrieben hat. Son- ten ist so von vornherein gebannt. Unser Ex- kulturelle Ödnis hervorbringt. Das Wegfal- dern auch für einen Geist und eine Haltung, die kurs in den Mikrokosmos Zodiak nimmt zwar len solcher Räume ist ein aktuell drängen- sich weder von gesellschaftlichen Normen Vergangenes in den Blick, zielt aber auf Gegen- des Problem in vielen Städten, in Berlin ein noch von künstlerischen Gepflogenheiten ein- wart und Zukunft. Das Festivalprogramm stellt durch viel diskutiertes Politikum. Nicht allein des- schränken lassen wollen. Denen Freiheitsdrang dies in unterschiedlichen Facetten dar. Einen halb, weil Verdrängung und die Frage, wem und eine tief sitzende Skepsis gegenüber den Schwerpunkt bilden exklusive Kollaborationen, nun die Stadt gehört, hier allgegenwärtig verkrusteten Verhältnissen innewohnt, künst- etwa zwischen dem Noise-Duo die ANGEL (Dirk sind, sondern auch weil genau die Nutzung lerisch und auch politisch. Dresselhaus & Ilpo Väisänen) und dem Psyche- von Frei- oder Zwischenräumen, mithin die delic-Visionär Günter Schickert. Schickert war kreative Freiheit, selbst untrennbar zur Ber- Dieses Festival kann und soll nicht abbilden, damals dabei, ging im Zodiak ein und aus, liner Identität gehören. Sie sind es, die das wie es damals war. Statt einer musealen Auf- ebenso wie natürlich der Pionier Hans-Joachim Gesicht dieser Stadt und das Selbstver- bereitung wollen wir den Geist des Zodiak im Roedelius. Roedelius wird wiederum mit dem die ständnis ihrer Bewohner:innen viele Jahre Austausch mit Akteur:innen der heutigen Ber- Gitarristen Manuel Göttsching ein gemeinsa- lang geprägt haben. Und die kulturellen Ni- liner Musikszene und darüber hinaus zum mes Set spielen. Der Schlagzeuger und Kompo- schen sind ihre Experimentierfelder und die Schwingen bringen. Wir suchen die Auseinan- nist Sven Åke Johansson kollaboriert mit dem Bühnen, auf denen sich ihre teils enorme dersetzung mit dem, was am Ende der 1960er- Elektroniker Jan Jelinek. Valentina Magaletti, Strahlkraft entwickelt. Das Zodiak war so Jahre in diesen Räumen passierte. Und wir stel- Andrea Belfi, Marta Sagnoli und Katharina Ernst eine Nische. Einer jener kurzzeitig genutzten len die Frage, was uns dieses kurze, intensive spielen das exklusive Projekt “merge/emerge”. Orte, deren Echo dafür umso länger anhält. und kaum rezipierte Kapitel (West-)Berliner Und vieles andere mehr. Kulturgeschichte heute noch zu sagen hat. In- Hallräume Ende der 1960er-Jahre entstand im Erdge- wieweit bestimmten urbane Freiräume die Ge- Die vorliegende Publikation versammelt Texte, schoss des heutigen HAU2-Gebäudes am Hal- staltungsmöglichkeiten der Akteur:innen von die sich der Wirkung und Geschichte des Zo- leschen Ufer in Berlin-Kreuzberg eine Musik, die damals? Wie tun sie dies immer noch? Welche diak auf verschiedene Weise und aus unter- bis heute nachhallt. Der Wirkungsmacht dieser Konstellationen sind es, die künstlerische Ener- schiedlichen Perspektiven annähern. Hendrik Musik, der künstlerischen Positionen ihrer Ma- gieentladungen ermöglichen, so wie sie da- Otremba, Künstler, Autor und Sänger der Grup- cher:innen und der gesellschaftlichen Relevanz mals im Zodiak stattfanden? pe Messer, hat dem Free Arts Lab einen essay- von beidem widmen wir nun ein Festival. “Bil- istischen Text gewidmet. Mit der ehemaligen det Nischen! Rückkopplungen aus dem Zodiak Wir nehmen Protagonist:innen des Orts und Zodiak-Mitstreiterin Elke Lixfeld und den Musik- Free Arts Lab” setzt gewissermaßen eine Tra- der Zeit in den Fokus, u.a. Conrad Schnitzler. schaffenden Alfred 23 Harth, Alexander Hacke des dition des Hauses fort. Schon die HAU-Musik- Schnitzler war so etwas wie der künstlerische und Andrea Neumann sprach der Journalist schwerpunkte “Detroit – Berlin: One Circle” Kompass des Zodiak, obwohl er sich selbst Jens Uthoff. Und eine zeitgeschichtliche Ein- (2018) oder “Nachtleben Berlin – 1974 bis wohl nie so bezeichnen würde. Er gab entschei- ordnung und Reflexion liefert der Literaturwis- heute” (2013) befassten sich mit dem vielfäl- dende Impulse, er hatte eine Antenne für Men- senschaftler Patrick Hohlweck. tigen musikalischen Erbe des Berliner Under- schen, die künstlerisch ebenso auf der Suche grounds. Eine kritische Begleitung der aktuel- waren wie er selbst. Diese Menschen vernetzte Wir danken dem Hauptstadtkulturfonds für die len Stadtentwicklungsprozesse, die das kultu- er miteinander und setzte so Dinge in Bewe- großzügige Unterstützung, wünschen eine an- relle, aber auch das Alltagsleben in dieser gung. Die Interaktion, die Schnitzler und andere regende Lektüre und elektrisierende Rück- Zodiak Stadt zunehmend unter eine kapitalistische initiierten, war nicht zielgerichtet, sondern kopplungen während der Konzerte! Logik stellen und damit einengen, ist fester Be- Selbstzweck. So gelang es, mit dem Zodiak für standteil des Programms. Die Reihe “Berlin einen kurzen Zeitraum ein kreatives Milieu an- Tobias Schurig (Kurator Musik) und das Team bleibt! #1–3” (2019–2021) stellte kontinuier- zulegen. Ein Biotop, das ohne jede Absicht rich- des HAU Hebbel am Ufer lich künstlerische und aktivistische Stimmen tungweisende Kunst hervorgebracht hat. aus Berlin und vor allem aus der direkten Nach- barschaft des HAU vor. 5
Was passierte im Zodiak Free Arts Lab? Wie inspirierten sich die unterschiedlichen Factory, wo es verschiedene intermediale Aktio- nen gegeben hatte. In Köln veranstaltete vorher Szenen gegenseitig? Welchen Einfluss hatte das Zodiak auf nachfolgende Genera- schon Mary Bauermeister in ihrem Atelier Bau- tionen? Um diese Fragen zu klären, haben wir mehrere Generationen an den virtuellen ermeister Anfang der 1960er-Jahre Happenings und intermediale Abende. Spätere Berühmthei- Zoom-Tisch gesetzt. Die Malerin Elke Lixfeld, die das Zodiak mitgegründet hat; ten wie Nam June Paik traten dort auf. Mit Karl- den Musiker Alfred 23 Harth, der dort 1968 das Inventar ansägte; den Musiker heinz Stockhausen war Mary Bauermeister ei- nige Jahre ab 1967 verheiratet. Stockhausen Alexander Hacke, der in Berlin den Postpunk mitgeprägt hat; die Musikerin Andrea hat natürlich auch einen sehr großen Einfluss Neumann, die in den Neunzigern erlebte, dass Berlin zur Hauptstadt der improvisier- ausgeübt, nicht nur in Westdeutschland. Auch ten Musik wurde. Ein Gespräch über Experimente, Befreiung, Solidarität – und den die Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik ha- ben wichtigen Input gegeben. Was unsere Ge- unverzichtbaren Underground. neration ausmachte: Wir haben die Dinge nicht bewahrt, wir haben einfach gemacht. Wir waren “Täter:innen”, das Tun stand vor dem Bewahren. Wir konnten deswegen kaum fotografieren oder Das Zodiak Free Arts Lab existierte nur rund unsere Gruppe Human Being übergeben. Fortan Kiffer:innenin diesem weißen Raum liegen. Das archivieren. Heute ist es ja so, dass man alles zu- eineinhalb Jahre, zwischen Ende 1967 und haben wir als Kollektiv das Zodiak betrieben. Bo- war ein offener Glasraum, wie ein Schaufenster. gleich macht. Es wird ein Event kreiert, um ihn Mitte 1969, aber es gilt als legendärer Ort. ris Schaak, der 2012 leider verstorben ist, war ein im nächsten Moment bei Instagram oder Face- Es gibt wenige Bild- und Tonaufnahmen aus bisschen unser Mastermind. Es gab auch noch ei- Alfred, du hast auch im Zodiak gespielt. Wie book zu posten. dem Zodiak. Elke, was war das überhaupt nen Wirt, den habe ich aber nie groß wahrgenom- hast du den Ort in Erinnerung? für ein Raum? men. (Anm.: Der Wirt war der Fotograf Paul Glaser. Welche Rolle spielten Student:innenbewe- Glaser war der offizielle Betreiber des Zodiak, er Alfred Harth: Ich performte 1968 zusammen mit gung und Außerparlamentarische Opposi- Elke Lixfeld: Es gab zwei Räume im Zodiak. Der überließ die Programmgestaltung jedoch nach Sven-Åke Johansson, Rüdiger Carl und Werner tion im Zodiak? vordere war ganz weiß, ein knallheller Raum einer Weile Conrad Schnitzler, der sie wiederum Götz im Zodiak. Die Hauptaktion spielte sich im mit grellem Licht. Überall standen Plüschsessel in die Hände von Human Being legte.) schwarzen Raum ab. Unser Auftritt war orgias- Elke Lixfeld: Es war eine politisch aufgeladene Si- und Kanapees, auf denen die tisch und wild. Wir machten nicht nur Instru- tuation. Auch die Baader-Meinhof-Gruppe hat Leute saßen und rauchten. Alfred Harth: Conrad Schnitzler mentalmusik, sondern ich hatte auch eine “Oben in die sich öfter vor dem Zodiak aufgehalten. Wir ha- Um in den hinteren Raum zu war eine entscheidende Figur große Säge dabei, mit der ich die Bühne oder Schaubühne gingen ben eine freundschaftliche Beziehung zu denen gelangen, musste man durch dieser Zeit. Schnitzler hatte ja das Podium ansägte als Happening-Aktion, im die reichen, schick gehabt. “Sympathisant” war ein häufig benutz- einen kleinen Tunnel hin- bei Beuys studiert, er war ur- Sinne von Fluxus. Fluxus war ja durch die Aus- durch. Dann kam man in einen angezogenen sprünglich bildender Künstler. stellung in Wiesbaden – also in der Nähe von tes Schimpfwort zu der Zeit. Holger Meins, ein riesigen, schwarzen Raum. Das Leute. Und während Er hat sich dann von der bil- Frankfurt am Main, wo ich lebte – im Jahr 1962 wunderbarer Mensch, war damals ein junger Fil- der Pau se sahen memacher und kam ins Zodiak. Ulrike Meinhof war der “Aktionsraum”, darin denden Kunst abgesetzt, viel- groß geworden. sie die jungen kannte ich sehr gut, wir haben gemeinsam dafür waren die Tätigen, die Aktiven. leicht auch von Beuys. Rau cher:innen und gekämpft, dass das Bethanien in Kreuzberg ein Dort wurde Musik gemacht, Schnitzler hat das Cello ge- Welches waren weitere wichtige Einflüsse? Kiffer:innen in Kinderkrankenhaus bleibt. Astrid Proll schenkte aber es wurde auch immer spielt, obwohl er es im her- mir Kinderklamotten. Ich habe damals versucht, dazu agiert. Mit unserer Grup- diesem weißen kömmlichen Sinne nicht Elke Lixfeld: Das Living Theatre! Wir waren ja fast viele Leute von ihren politischen Aktionen, die pe Human Being sind wir dort Raum liegen.” “konnte”. Er hat es als Klang- erschüttert vor Freude, was diese Gruppe uns ich für destruktiv hielt, abzubringen. Also zum jeden Tag aufgetreten, die be- (Elke Lixfeld) objekt genutzt, es wie ein:e an Theater, Aktionskunst und Geräuschen ge- Beispiel das IBM-Gebäude mit Steinen zu bewer- stand aus Norbert Eisbrenner, spätere Punkmusiker:in ge- boten hat. Der Theatervisionär Frank Burckner fen. Die Parole “Macht kaputt, was euch kaputt- Broderick Price, Beatrix Rief, spielt. Oder er hat sich seinen (Anm.: bürgerlich Helmut Kraut) hat das Living macht” hatte schon ihre Berechtigung, doch für Hans-Joachim Roedelius, Bo- Lautsprecherhelm aufgesetzt Theatre nach Berlin geholt. Burckner hat uns mich stand im Vordergrund, dass man seinen ei- ris Schaak, Verena Schirz, Christoph Sievernich und den Kassettenrekorder umgeschnallt. Das Jüngere mit Kunst bekannt gemacht, die wir genen Weg geht, sich kreativ äußert und sich und mir. Das Zodiak war ein Ort, an dem man war schon alles sehr originär. nicht kannten, er war wie unser Mentor. Wir ha- bewusst macht, wer und was man eigentlich ist seine Freiheit ausleben konnte. Ein Szeneplatz, ben am Forum-Theater am Kurfürstendamm ge- und was man tun kann. an den alle Kreativen kamen, auch die Filme- Die Schaubühne befand sich damals im glei- meinsam mit dem Living Theatre das Stück macher:innen. Es wurde Tag und Nacht Musik chen Gebäude wie das Zodiak, beides war “Connection” aufgeführt. Aus dieser Gruppe Alfred, du hast am 17. Juni 1967 das cen- gemacht. Es wurden auch Filme wie “Chelsea im Haus des heutigen HAU2. In der Schau- gingen später Human Being und das Zodiak trum freier cunst in Frankfurt am Main be- Girls” (Anm.: Andy Warhol, 1966) gezeigt, um bühne hat Peter Stein 1969 erstmals Stü- hervor. Den Einfluss des Living Theatre kann gründet. Auch in Frankfurt gab es eine enge das Bewusstsein zu erweitern. cke aufgeführt. Wie war die Beziehung zu man meiner Meinung nach gar nicht hoch ge- Verbindung zwischen der linken Polit- und dem Theater? nug einschätzen. Eine Künstlerin wie Pina der Kunstszene. Wer hat denn das Zodiak betrieben? Bausch hätte es zum Beispiel ohne das Living Elke Lixfeld: Das war eher eine gespaltene Szene- Theatre so nicht gegeben. Alfred Harth: Unsere Musikszene hatten wir als Elke Lixfeld: Conrad Schnitzler hatte den Raum rie: Oben in die Schaubühne gingen die reichen, Free-Music-Szene begriffen. Wir waren in dem ausfindig gemacht, er hat das Projekt aufge- schick angezogenen Leute. Und während der Alfred Harth: Wir hatten auch internationale Vorbil- Sinne politisch, dass wir herrschaftsfreie Kom- baut. Er hat es dann aber relativ schnell an Pause sahen sie die jungen Raucher:innen und der wie The Velvet Underground oder Warhols munikation betreiben wollten in unserer Musik, 8 9
mit unserer Musik. Wir grenzten uns damit von ung” (1969) von einer Revolution der Sinne haben ihn als ironischen Begriff gesetzt – wie- am Theater am Turm die Experimenta mit Hand- rischen Entwicklungen. Man muss dazusagen, “The Box with the Sound of its Own Making” von dem Free Jazz der Wuppertaler Szene um Peter und der Wahrnehmung, es gab die Literatur derum gegen die Übermacht der Mangelsdorff- kes “Publikumsbeschimpfung” begonnen, John dass es damals viel stärker als heute eine Form Robert Morris und Objekte von Laurie Anderson. Brötzmann ab, die eher am “Kaputtspielen” in- der Neuen Sensibilität. Und das Wort “frei” Clique im Jazz, die in Frankfurt das Territorium Cage war bei den Darmstädter Ferienkursen von Lokalchauvinismus gab. Wir Berliner:innen Und auf eine Gegebenheit weise ich auch immer teressiert war. Aber auch diese Szene hatte ei- kommt überall vor, ob im Zodiak Free Arts beherrschte und die Stadt zur westdeutschen gewesen – an verschiedensten Orten gab es galten als besonders dekadent, morbide und ar- wieder hin: Damals gab es in Berlin fünf und an- nen gewissen politischen Im- Lab, bei Free Agitation, im Jazzhauptstadt machte. Für den Nachwuchs, Experimente im Geiste des Umsturzes und Auf- rogant. All das ist vorteilhaft eingeflossen in derswo in Westdeutschland drei Fernsehpro- petus, denn das war ein Auf- “Es ging uns centrum freier cunst oder zu dem ich gehörte, war da kein Platz. Also bruchs. Wir wollten die Welt verändern. das, was da entstanden ist. gramme, die um Mitternacht Sendeschluss hat- schrei. Mit Just Music, der Mu- bei Free Music Production mussten wir unser Ding do-it-yourself-mäßig ten. Danach musstest du dir etwas einfallen las- insgesamt darum, sikgruppe, in der ich damals (FMP). aufziehen. Alexander, die Do-it-yourself-Haltung und Was hat dich in erster Linie geprägt? sen, woran du dich erfreuen konntest. die ganzen alten, spielte, wollten wir weg von intermediale Performances gab es auch in vom Dritten Reich dem Leaderprinzip, das im Elke Lixfeld: Das Wort “Befrei- Es kam damals sehr vieles aus unterschied- den frühen Achtzigern – und dass jemand Alexander Hacke: Meine musikalische und künstleri- Elke Lixfeld: Zu unserer Zeit gab es Radio Luxem- Jazz damals üblich war. Die kommenden ung” bezog sich auf die Väter- lichsten Richtungen zusammen, aus Rock mit einer Säge auf die Bühne geht, dürfte dir sche Sozialisation fand im Zensor-Plattenladen bourg, da haben wir Bill Haley, Bob Dylan und Bands waren seinerzeit alle Haltungen aufzu- generation. Es ging gegen die und Pop, Free Jazz, dem Performance- auch nicht fremd sein. Inwieweit war der Zo- statt, den Burkhardt Seiler in der Belziger Straße Donovan zum ersten Mal gehört. Der Radiomo- nach ihren Leadern benannt, sprengen und Väter, wo viele noch aus dem bereich, der Neuen Musik. War das deshalb diak-Zirkel ein bewusster Einfluss auf die in Schöneberg betrieb. Dort gab es Punk- derator Walter Bachauer vom RIAS war auch wie etwa das Albert Mangels- aufzulösen. Bloß NS kamen und dort fleißig mit- ein so wichtiger Moment der Kulturge- Berliner Musikszene der frühen Achtziger? rockplatten, aber ich entdeck- eine wichtige Figur, der hat dorff Quintett oder das Man- keine Führer:innen- gemacht hatten. In unserer Er- schichte, weil da alles kulminierte? te auch Gruppen wie The Plas- Wir Berliner:innen uns Musik verständlich ge- fred Schoof Quintett. Es ging figuren!” ziehung – ich bin 1942 gebo- Alexander Hacke: So blauäugig und naiv, wie ich da- tic People of the Universe aus galten als beson- macht. Und er hat tolle Kon- uns insgesamt darum, die gan- (Alfred Harth) ren – war das Autoritäre noch Alfred Harth: Kulmination wäre eine Anhäufung – mals war, habe ich unsere Performances und der Tschechoslowakei oder ders dekadent, zerte in der Akademie der zen alten, vom Dritten Reich vorhanden. Wir haben uns da- ich denke, es war eher wie ein Aufspringen ver- Musik in den frühen Achtzigern als eine Ent- The Nihilist Spasm Band aus morbide und Künste veranstaltet. kommenden Haltungen aufzu- gegen aufgelehnt. schiedener Knospen. Einerseits waren wir in wicklung gesehen, die einzigartig war, die es Kanada, die sich 1965 gegrün- arrogant.” sprengen und aufzulösen. Bloß das Space Age eingetreten, es gab den Wett- vorher so nie gegeben hat. Erst im Laufe der det hatten und mit Alltagsge- Alexander Hacke: In Westberlin (Alexander Hacke) keine Führer:innenfiguren! Der Name Just Music Alfred Harth: Das Wörtchen “frei” war wirklich lauf ins All, den Kalten Krieg, technologische Zeit habe ich festgestellt: Das Prinzip der genständen Musik machten. gab es auch schon immer Ver- hatte diese Doppelbedeutung, die uns gut ge- überall. Eben auch in der Musik, etwa im Free Entwicklungen, die Mondlandung 1969. Dann Zweckentfremdung gab es schon einmal oder Sehr wichtig für mich war die schmelzungen zwischen den fiel: Es ist “nur Musik” oder auch “just in dem Jazz – ein Idiom, das in den USA entstanden ist. gab es die Student:innenbewegung mit sehr auch diese bestimmte Form von Humor und Iro- Ausstellung “Für Augen und unterschiedlichen Kunstfor- Moment entstandene Musik”. Insofern lässt sich das nicht nur politisch erklä- vielen unterschiedlichen Facetten, Woodstock, nie. Da wurde mir erst bewusst, welche Vorge- Ohren” in der Akademie der Künste im Jahr men. Man hat nie getrennt zwischen Musi- ren als Aufbegehren gegen die Väter. Für unser die Entstehung alternativer Bewegungen, Ver- schichte das hatte. Der Ort Westberlin, diese 1980. Die habe ich als 14-Jähriger bestimmt vier ker:innen, Filmemacher:innen und bildenden Es lag auch viel Theorie in der Luft. Herbert centrum freier cunst haben wir bewusst einen suche, durch Drogen das Bewusstsein zu er- abgeschlossene Enklave, in der eigene Regeln oder fünf Mal besucht. Dort stellten sie selbstge- Künstler:innen, die Sparten haben sich immer Marcuse schrieb in “Versuch über die Befrei- überheblich klingenden Namen gewählt. Wir weitern. In Frankfurt hatte Claus Peymann 1966 zu gelten schienen, war wichtig für die künstle- baute Instrumente von Harry Partch aus oder vermischt. Auch die Politszene hatte ihren Platz 10 11
in diesem Gemisch. Für den Untergrund ist die gespielt, die sonst nirgendwo Platz hatte. Es war Alfred Harth: Essenziell ist, dass sich bei den Krea- Reibung, die dadurch entsteht, essenziell. Rei- ein selbst organisierter Raum in einem besetz- tiven aller Zeiten solche Energien des Aufbe- bung erzeugt Hitze erzeugt Energie. Es ist wich- ten Haus in der Dunckerstraße in Prenzlauer gehrens zeigen. Ich finde es auch einleuchtend, tig, dass die Themen von unterschiedlichen Ge- Berg. Der Anorak machte nach der Wende auf. dass ihr, Andrea, den Begriff “Echtzeitmusik” für sichtspunkten aus bearbeitet werden. Das Publikum dort war sehr gemischt, von Ob- diese Szene eingeführt habt und ein Buch mit dachlosen über Punks mit Hunden bis hin zu diesem Titel veröffentlicht habt. Dadurch habt Alfred Harth: Die Vermischung gab es in Frankfurt Leuten mit ganz konzentrierten, ästhetisch bi- ihr ja fast ein Genre gefestigt. Zumindest gibt allerdings auch. Das hatte Westberlin nicht ex- zarren musikalischen und theatralen Ansätzen. der Begriff eine Richtung vor. klusiv. Das alles ging dort durcheinander. Die Hunde lie- fen über die Bühne; die Leute im Publikum Wobei Echtzeitmusik wahrscheinlich eher Zwischen dem Zodiak und ploppten mit den Bierflaschen, Nicht-Genre, Post-Genre, Anti-Genre ist. den frühen Tagen des SO36 “Für den Unter- wenn sie sich langweilten. Es hatte sich Punk ereignet. grund ist die war sehr bunt, sehr krass, su- Andrea Neuman: Ich finde den Begriff auch proble- Wenn man sich einen Auf- Reibung (…) essen- perkaputt. Das Klo war im Win- matisch. Dass wir ihn einführten, hatte eben- tritt von dir, Alexander, beim ziell. Reibung ter zum Beispiel immer zuge- falls mit einer Gegenbewegung zu tun. Denn im- Atonal Festival 1982 an- erzeugt Hitze froren. Aber zu der Zeit war provisierte Musik hat man zu der Zeit als etwas schaut, erkennt man: Da ist erzeugt Energie.” völlig klar: Sonntags ging man abgetan, das aus dem Bauch kommt. Dem woll- ein anderer Style, eine an- in den Anorak. Der Ort hat ten wir – auch musiktheoretisch – etwas entge- (Alexander Hacke) dere Energie. Was hat Punk auch die internationale Szene gensetzen. Gleichzeitig ist bis heute unklar, bewirkt? angezogen, die Sängerin und welche Musik unter diesen Begriff fällt und wel- Komponistin Shelley Hirsch che nicht. Alexander Hacke: Punk war als Idee und Haltung oder der Perkussionist und Performancekünstler wichtig, von der Attitüde her war das für mich David Moss traten da auf. Vom Zodiak habe ich Wie war das Verhältnis der alten Improv-/ als Teenager eine Offenbarung. Aber musika- nur mal gehört, dass Leute mitten im Raum Sex Jazzszene der DDR zu den Echtzeitmusi- lisch war es noch wichtiger, über Punk hinaus- hatten. Das habe ich im Anorak nie erlebt. ker:innen der frühen Nachwendezeit? zugehen. Man hat schnell festgestellt, dass auch Punk Rock’n’Roll-Musik ist. Klar, ein biss- Gibt es auch von der Haltung und der Grund- Andrea Neuman: Die ältere Generation war sehr prä- chen schneller und lauter gespielt, doch die idee her Parallelen zu den Vorgängergene- sent, hatte aus meiner Perspektive das Sagen. Strukturen sind die gleichen: Strophe-Chorus- rationen? Es war – wie wahrscheinlich häufig – für eine Strophe-Chorus. Das hat uns gelangweilt. In jüngere Generation nicht einfach, Gehör zu be- den Kreisen, in denen ich mich bewegte, war Andrea Neuman: Auch wir waren ziemlich ignorant, kommen, ernst genommen zu werden. Gleich- man eigentlich auch sehr stolz darauf, dass wir auch wir haben geglaubt, wir erfänden gerade et- zeitig haben die neuen musikalischen Ansätze in Deutschland diese Krautrockgeschichte hat- was völlig Neues. Wenn man aus Berlin kam, sag- das Alte auch infrage gestellt. Es gab aber auch ten, die eben nicht einfach die angloamerikani- ten die Leute oft zu einem: “Ah, Berlin, die Stadt teilweise Neugier, gemeinsame Sessions und sche Musik übernommen hat. Bands wie Neu! des Techno”. Und ich dachte Konzerte. aus Düsseldorf, die den 1/1-Rhythmus spielten dann immer: Berlin ist die Stadt “Berlin ist die Stadt und niemals den Akkord innerhalb einer Num- der frei improvisierten Musik der frei improvisier- Mit Echtzeitmusik kann man mer wechselten. Und Ton Steine Scherben wa- mit reduziertem Ansatz, das ten Musik mit redu- jedoch, ähnlich wie mit den ren mir wichtig. Ich habe die Scherben geliebt. müssen die doch wissen! Oder ziertem Ansatz, das früheren Avantgardemusi- man wurde auf die Einstürzen- müssen die doch ken, kein Geld verdienen, Alfred Harth: Die elektronische Szene in Berlin, also den Neubauten angesprochen oder? wissen!” das, was man später Berliner Schule nannte, und inwieweit die einen ge- (Andrea Neumann) hat ja auch ganz wesentlich seinen Ursprung prägt hätten. Ehrlich gesagt Andrea Neuman: Geld ist ein wich- im Zodiak gehabt. Ich denke da an Tangerine waren die aber gar nicht so ein tiger Punkt. Das Nicht-Kom- Dream oder Ash Ra Tempel. wichtiger Einfluss für mich. merzielle war Teil der ganzen Diese Ignoranz ist vielleicht auch wichtig, um Ideologie. Bis heute ist das eine prekäre Szene, Andrea, in den frühen Neunzigern gab es sich abzugrenzen. Wenn eine jüngere Generation inzwischen lebt sie von Kulturförderung. In den dann Orte wie das Anorak im Ostteil der auf den Plan tritt, dann wird oft erst mal abge- Neunzigern war das anders. Es gab diese Frei- Stadt, aus dem später das ausland hervor- wertet, was vorher war. Bei uns war das vor allem räume im Osten, die nichts kosteten. Man ging. Zwischen dem Zodiak und dem Ano- der energetische Free Jazz, bei dem es darum konnte mit sehr wenig Geld seinen Lebensun- rak gibt es einige Parallelen: Es gibt wenig ging, immer lauter, schneller und krachiger zu terhalt bestreiten, ähnlich wie in den Achtzigern Bewahrtes und Archiviertes. Hat dich das spielen. Das haben wir abgelehnt. Wir sind auf in Westberlin. eben Beschriebene an die Szene im Anorak Gegenkurs gegangen, indem wir die Stille zum erinnert? Nonplusultra erhoben haben. Das war irgend- Alexander Hacke: Ich möchte an der Stelle mal eine wann eine ästhetische Entscheidung innerhalb Lanze brechen für den Untergrund. Es sollte al- Andrea Neuman: Teils, teils. Im Anorak war es auf je- dieser Szene, die auch Berliner Reduktionismus len klar sein, wie wichtig dieser radikale Unter- den Fall auch ziemlich wild. Dort wurde Musik genannt wurde. grund für die Entwicklung von Kultur und Ge- 13
sellschaft ist. Das Zodiak war totaler Unter- Männer haben frei rumexperimentiert, auch Alexander Hacke: Die Zweckentfremdung. Also dass grund, selbst wenn da vielleicht auch mal ein wenn sie kein Instrument spielen konnten; sie ein Raum wie ein Theater genutzt werden kann, paar Hundert Leute vor der Tür standen. Es war waren mutiger. Die Frauen dagegen sollten erst dass da aber auch etwas anderes und mögli- eine Gegenbewegung. Ich finde es wichtig, dass mal beweisen, was sie können. Der Anorak hat cherweise weniger kommerziell Verwertbares auch die nächsten Generationen ermutigt wer- diesbezüglich einfach die Gesellschaft abgebil- stattfinden kann. Das sind wichtige Orte, an de- den, eigene radikale Wege zu gehen. det. Da hat sich in den vergangenen 25 Jahren, nen radikale, ungewöhnliche, aufregende Dinge in denen ich aktiv bin, enorm passieren können. Elke Lixfeld: Im Zodiak waren an- “Die schlichte viel verändert. fangs alle Veranstaltungen Andrea Neuman: Der Wert der Solidarität. Solidari- Tatsache, dass da kostenlos. Aber wir haben Alfred Harth: Seit Ende der Sech- tät in dem Sinne, dass Leute so dringlich etwas ein Raum zur Ver- eben auch wenige Ausgaben ziger arbeite ich mit der belgi- wollen, dass sie sich zusammentun und für die- fügung gestellt wird gehabt. Wir haben auf Mate- schen Künstlerin und Pianistin ses Ziel hart arbeiten. Ich habe diese Solidarität rielles nicht viel gegeben, ge- und dass einem Nicole Van den Plas zusam- in den Neunzigern erlebt, und ich sehe sie auch brauchte Kleidung getragen, signalisiert wird: men. Ich habe schon damals im Zodiak widergespiegelt. Die Musikerin und alte Möbel benutzt. Ich muss Hier kann alles festgestellt, dass mit Frauen Kuratorin Steffi Weismann hat eines ihrer Kol- aber dazu sagen, dass ich die passieren. Allein innerhalb eines frei improvisie- lektive Fernwärme genannt. Der Begriff passt ganze Technik, die in den das erzeugt einen renden Idioms ein ganz ande- gut. Es geht darum, dass man sich gegenseitig Räumen stand, viel später im- Magnetismus.” rer Sound entstehen kann. Es unterstützt, ohne als Erstes daran zu denken, mer noch abbezahlt habe. (Alfred Harth) kommen andere Parameter was man selbst davon hat. Das waren Fernseher, Geräte zum Vorschein. Wir spielten in und Instrumente im Wert von einer Zeit zusammen, als es Elke Lixfeld: Ich antworte mal aus meiner persön- 60.000 D-Mark. Ich habe im- die Feminist Improvising Group lichen Warte: Ich habe meine Kreativität im Zo- mer Geld ins Zodiak reingesteckt, ohne mich mit Lindsay Cooper und Irène Schweizer noch diak weiterentwickelt, weil ich dort meine Per- hätte es das vielleicht gar nicht gegeben. Als lange nicht gab. Und die Wuppertaler Jazzkul- formances machen konnte. Und ich denke gern Malerin hatte ich damals mehr Möglichkeiten, tur war eben ein reiner Männerclub, nicht selten an die vielen Einflüsse und die tollen Menschen Geld zu verdienen, als die Musiker:innen. Erst in mit Alkohol als Motor. Damit hatte ich als Mann und Musiker:innen zurück, die ich kennenge- späten Tagen des Zodiak fing Hans-Joachim damals auch Probleme, weil es hieß: Nur wenn lernt habe. An Human Being, aber auch an Sven- Roedelius an, etwas Eintritt zu nehmen, damit du ein richtiger Trinker bist, bist du auch ein Åke Johansson und Tangerine Dream, die sehr durch die Veranstaltungen zumindest ein biss- richtiger Mann. Das waren so verblödete oder oft bei uns spielten. chen Geld reinkam. verblödende Realitäten. Alfred Harth: Die Idee des Freiraums. Die schlichte Andrea Neuman: Da möchte ich anmerken: Wenn Wenn wir das Zodiak aus dem Jahr 2021 Tatsache, dass da ein Raum zur Verfügung ge- man über das Zodiak liest, werden dort meist heraus betrachten: Was ist die prägende stellt wird und dass einem signalisiert wird: Hier lauter Männernamen genannt. Die Musikge- wichtige Idee, die bleibt? kann alles passieren. Allein das erzeugt einen schichtsschreibung ist oft sehr männlich. Bei Magnetismus. Da wollen die Leute hin, das uns im Anorak war die Szene auch männerlas- spricht sich rum. Es ist ganz wichtig, dass so et- tig, die Frauen standen oft hinter der Theke. Die was kulturell erhalten bleibt. Elke Lixfeld, *1942, ist freie Künstlerin und Malerin. Sie hat mit der Gruppe Human Being im Zodiak das Programm kuratiert. Sie lebt in Berlin und La Palma. Alfred Harth (auch: Alfred 23 Harth), *1949, ist Komponist, Experimentalmusiker und Multimediakünstler. Er lebt heute in Seoul. Alexander Hacke, *1965, ist u.a. Bassist bei den Einstürzenden Neubauten, arbeitet als Solomusiker, gemeinsam mit seiner Frau Danielle de Picciotto und in vielen weiteren Projekten. Er lebt in Berlin. Andrea Neumann, *1968, ist Komponistin und Musikerin. Sie hat Klavier an der Hochschule für Künste studiert und macht seit vielen Jahren experimentelle Musik mit dem Innenklavier (einem nur aus Resonanzboden und Saiten bestehenden Instrument). Sie ist Mitorganisatorin der Reihe “Labor Sonor”. Sie lebt in Berlin. Der freie Autor und Journalist Jens Uthoff hat das Gespräch im Auftrag des HAU Hebbel am Ufer geführt und redaktionell bearbeitet. Er lebt in Berlin und schreibt u.a. für “taz. die tageszeitung”, “Jungle World”, “Musikexpress” und die “Literarische Welt”. 14
Das Zodiak Free Arts Lab war ein Ort für Experimente mit offenem Resultat. Die Ak- einen Prozess der permanenten Reflexion über- führt wurden. Wenn auf diese Weise die Wieder- teur:innen wollten Traditionen überwinden und Bedingungen für Unbekanntes schaf- holbarkeit der klanglichen Ereignisse entschei- fen. In seinem Text ordnet Patrick Hohlweck das Zodiak zeitlich, räumlich und musi- dend die Zeitform des Gespielten veränderte, war es die Einführung des Synthesizers in Kess- kalisch ein und schlägt vor, es weniger als spezifisch Berliner oder deutsche Gegen- lers Studio, die den Musiker:innen ein neuarti- kultur zu verstehen, sondern vielmehr als Teil eines transnationalen Netzwerks von ges, nicht mit der Assoziation einer musikali- schen Tradition belastetes Instrument in die genreübergreifenden Projekten. Hand gab. Im Zodiak Free Arts Lab wurde ein Imperativ des In einem 1937 gehaltenen Vortrag zur “Future gegenüber bundesdeutschen Verkrustungen. “Electronic Meditation” von 1970 zu hören ist, Experiments, des Neuen und Unbestimmten kul- of Music” plädierte John Cage für die Einrich- Nun, Ende der 1960er-Jahre, erschienen sie vie- hat mit Blues nichts zu tun; vielmehr verrät tiviert, der spezifisch für die ästhetisch-politi- tung von “Zentren experimenteller Musik”: Dort len vor allem als Ausdruck von Kulturimperia- Froeses behelfsmäßiger Sprachgebrauch, dass sche Gemengelage im Westberlin der späten stünden, so malte Cage es sich aus, “die neuen lismus. Selbst Jazz in seiner inzwischen etab- die Bewegung auf einem noch unmarkierten 1960er-Jahre war. Trotz dieser frenetischen Zu- Materialien, Oszillatoren, Plattenspieler, Gene- lierten Form war – so der Labelbetreiber Rolf- musikalischen Terrain eine unsichere ist. Die kunftsgewandtheit versteht sich damit noch ratoren, Mittel zur Verstärkung leiser Klänge, Ulrich Kaiser – längst auch “in den Konsumpro- Akteur:innen gehen von tradierten Formen aus, nicht von selbst, dass das Zodiak, wie eine gut Filmphonographen usw. zur Verfügung. Kom- zeß bürgerlicher Kunstverwalter integriert“ um sie zu überschreiten: sei es die Qualifikation etablierte historische Erzählung lautet, damit ponisten, die die Mittel des zwanzigsten Jahr- und damit zu überwinden. Mit Neuer Musik, von Blues als “experimentell”, sei es die Orga- zur Geburtsstätte des Krautrocks wurde. Denn hunderts verwenden, um Musik zu machen. angloamerikanischer Popmusik und Jazz sind nisationsform als Band, die im Zodiak durch die es bedurfte dafür einer Gestaltung der am Hal- Aufführungen der Resultate. Klangorganisation wohl die wichtigsten musikalischen Impulse Einbeziehung des Publikums überschritten leschen Ufer freigesetzten Potenziale, die ent- zu außermusikalischen Zwecken (Theater, für Krautrock benannt; dennoch ist damit noch wird, oder sei es eine rock- oder jazztypische weder, wie die technologischen Erweiterungen Tanz, Radio, Film).” Als dreißig wenig bis nichts über die Instrumentierung, die durch unsachgemäßen in Kesslers Wilmersdorfer Studio, die Arbeit am Jahre später das Zodiak Free Soundhappenings ausgesagt, Gebrauch oder die Verwendung nicht-musika- kompositorischen Prozess und von dort aus die Mit Neuer Musik, Arts Lab einen mindestens die im Zodiak stattfanden. Die lischer Gegenstände aufgebrochen wird. musikalische Form betrafen oder aber die angloamerikani- ähnlichen Impuls in den Räum- wenigen Dokumente, die er- Marktgängigkeit der Musik mit Kategorien wie scher Popmusik und der des “Kosmischen” oder später des Kraut- lichkeiten am Halleschen Ufer halten sind – die Fragmente Damit ist für die Aktivitäten im Zodiak eine ge- Jazz sind wohl die rocks: auf unterschiedlichen Ebenen angesie- aufgriff, war die Zeit in beson- der Auftritte von Human Being wisse Gegenständlichkeit ohne Gegenstand wichtigsten musika- delte Handhabungen und Handhabbarmachun- derer Weise reif für Experi- und Guru Guru in Dietmar veranschlagt. Die Performances markieren eine mente dieser Art. Die avant- lischen Impulse für Buchmanns und Rainer Boldts ereignishafte Suchbewegung, deren Gelin- gen eines ungreifbaren Phänomens, die not- gardistischen Entwürfe der Krautrock benannt; Kurzfilm “Zodiak” (1969) so- gensbedingungen im Dunklen liegen und die wendig einen Rest zurückbehalten. Minimal Music, der Musique dennoch ist damit wie Human Beings erst 2009 sich der Benennung und Identifikation, zumin- concrète oder der frühen noch wenig bis erschienenes Album “Live at dest teilweise, entzieht. Die nebligen Improvi- Ein Ort ohne Gegenstand: Was der Betreiber des elektronischen Musik trafen nichts über die the Zodiak” –, lassen keinen sationen, die das Geschehen im Zodiak bestim- Zodiak, der zu Unrecht vielfach vergessene Paul ebenso wie die Einsätze der Soundhappenings Zweifel daran, dass das, was men, markieren etwas, das als reines Potenzial Glaser, seinem künstlerischen Direktor Conrad “Happenings” oder des Fluxus ausgesagt, die im dort geschah, in keinem der beschrieben werden könnte und dessen äthe- Schnitzler ermöglichte, war die Schaffung einer Ende der 1960er-Jahre auf Zodiak stattfanden. musikalischen Einflüsse auf- rischer, unkörperlicher Charakter auf unter- gegenkulturellen Infrastruktur, innerhalb derer eine politische Imagination, ging. Vielmehr ist das Zodiak schiedliche Weise kanalisiert werden musste. Akteur:innen weitgehend ohne allfällige Ver- die häufig genug in Spannung Schauplatz echter Experi- Für die Entwicklung einer eigenen Formenspra- wertungszwänge arbeiten konnten. So ent- zu den künstlerischen Experi- mente, ein Zentrum für expe- che dieser neuen Generation von Berliner Mu- stand, für einen flüchtigen Augenblick, ein Ge- menten stand, aber auf ähnliche Weise an Zä- rimentelle Musik im Sinn Cages: “Experimen- siker:innen etwa war tatsächlich erst ab 1969 genort oder eine Nische, die an den zeitlichen suren, Diskontinuitäten und Neuheit interes- tell“ als Beschreibung einer Handlung, die nicht – und damit im direkten Anschluss an die inten- (man öffnete erst um 22:00 Uhr), räumlichen siert war. Dies galt, aus anderen Gründen, be- scheitern oder gelingen kann, sondern deren sive Zodiak-Zeit – das Electronic Beat Studio und ideellen Rändern des bürgerlichen West- sonders für Westdeutschland: Der erst kürzlich Resultate unbekannt sind. maßgeblich, das der Schweizer Komponist berlins einen Raum für Außenseiter:innen aller geschehene Zivilisationsbruch der Shoah und Thomas Kessler im Keller einer Wilmersdorfer Art bildete: “Typen Kommunarden Künstler Pro- die personellen Kontinuitäten in praktisch allen Zeitgenössisch geht damit auch einher, dass Berufsschule eingerichtet hatte und in der pheten […] Fixer […] Sensible Esoteriker […] Bereichen des Disziplinarapparats des NS- gerade diese Namenlosigkeit der Ereignisse Künstler:innen wie Tangerine Dream, Ash Ra Schläfer Abgeschlaffte” und viele mehr. Nicht Nachfolgestaats machten nicht nur für die Pro- und die Unvorhersehbarkeit der Performances Tempel, Klaus Schulze oder Agitation Free die einen spezifischen Stil oder Sound auszuprä- tagonist:innen dessen, was später Krautrock im Zodiak – Proben vor Publikum, wie Klaus Möglichkeit hatten zu proben. An die Stelle der gen, sondern Bedingungen zu schaffen für das heißen sollte, radikal antitraditionalistische Schulze sie beschrieb – es erschwerten, eine Proben vor Publikum, die im Zodiak die musi- Weirde und Unbekannte, so lautete die Aufgabe Entwürfe besonders attraktiv. Sprache für sie zu finden: Tangerine-Dream- kalischen Ereignisse ganz im Raum der Koprä- dieses Raums. Darin war das Zodiak impulsge- Gründer Edgar Froese suchte noch Ende 1968 senz und in einer irreversiblen Zeit der Perfor- bend für Künstler:innen aus ganz Deutschland, Die angloamerikanischen Beat oder Blues, per Anzeige im britischen “Melody Maker” nach mance hatten aufgehen lassen, trat in Kesslers die dort auftraten oder, wie etwa Irmin Schmidt Werkzeuge der Re-education eigenen Rechts, Mitstreiter:innen, “(long haired) to re-form one Studio eine Praxis der geradezu obsessiven (Can), als Besucher inspiriert wurden. Trotzdem waren nicht nur für viele der Zodiak-Protago- of the best German experimental blues Bandaufnahmen von Sessions, die angefertigt, ist das Zodiak vielleicht weniger als Teil einer nist:innen lange Zeit Medien der Emanzipation groups”. Was auf Tangerine Dreams Debüt angehört sowie diskutiert wurden und damit in spezifisch deutschen oder Berliner Gegenkul- 20 21
Der glü- hende Raum turgeschichte zu verstehen als vielmehr als schreitungen arbeiten, wäre allerdings nicht als Kitchen in New York, das Warehouse in Chicago, Element eines transnationalen, historischen die Geschichte eines umfassenden, künstleri- wo der eklektische Mix, den DJ Frankie Knuckles Netzwerks von crossmedialen und transdiszip- schen Projekts zu beschreiben, sondern als die zwischen 1977 und 1983 spielte, behelfsweise linären Gegenorten, deren Zusammengehörig- Geschichte eines Spuks, der an unterschiedli- als “Warehouse Music” und später als “House keit sich häufig nicht über direkte Einfluss- chen Orten unterschiedliche Gestalt annahm Music” bekannt werden sollte. Als Gegenge- nahme, sondern über eine Art Geistesver- und annimmt. Sicher würden zu diesem Netz- schichte ernst genommen wäre sie jedoch in wandtschaft vermittelt. werk neben früheren Unternehmungen wie dem erster Linie die Geschichte jener unzähligen Institute of Contemporary Art in London oder Räume, die ihren Protagonist:innen einen siche- Eine Geschichte dieser teilweise ungesicherten Andy Warhols Factory auch das dem Zodiak ren, inspirierenden Rückzugsort geben, um sich und ihrerseits potenziellen Geistesverwandt- zeitgenössische und namensgebende Arts Lab auszuprobieren und zu entfalten: namenlose schaften zwischen Orten, die mit “Mitteln des in London gehören. Eine solche Geschichte um- Orte des Experiments, des Do-it-Yourself, Gegen- zwanzigsten Jahrhunderts” (Cage) an Über- fasste außerdem sagenumwobene Orte wie The orte, Nischen. Der Literatur- und Kulturwissenschaftler Otto-Suhr-Siedlung, Kreuzberg Patrick Hohlweck lehrt an der Humboldt-Universität zu Berlin. 22
Jede Avantgarde braucht günstige räumliche Bedingungen zum Gedeihen. Das West- berlin der 1960er-Jahre bot mit seinen vielen frei und unkommerziell nutzbaren Orten diverse Möglichkeiten zum künstlerischen Experiment, von denen auch das Zodiak Free Arts Lab profitierte. In seinem Text bedauert Hendrik Otremba das Verschwin- den solcher Orte heute und verlangt nach mehr Freiraum und freien Räumen. Das Entstehen jener Avantgarden, deren Strahl- als früher Beuys-Schüler mit Fluxus infiziert, ei- dem schnellen Ende, zog es viele der Künst- kraft über die Jahrzehnte nicht an Intensität nige elektronische Impulse aus Düsseldorf mit- ler:innen wieder zurück in die Provinzen, wo sie abnimmt und die in ihrer Innovation rückbli- brachte. Berlin begegnete ihm ungeebnet, war – zum Teil bis heute – mit der Erfahrung jenes ckend noch zu wachsen scheinen, ist in der spürbar noch Ruine, Brachland, Spielplatz. unwiederholbaren Momentums ausarbeiteten, Kunstgeschichte oft an einen bestimmten Ort Klaus Schulze sagt: “Berlin war zu der Zeit im was sie im Zodiak so prägte: Formen reiner, mu- gebunden: Ein Zeitgeist bringt gleichgesinnt allerbesten Sinn kaputt, es herrschte eine auf- sikalischer Energie. Suchende zusammen, die sich auf sozialer Ebe- regende destruktive Romantik.” Ab 1968 be- ne zunächst in Abgrenzung und Distinktions- spielte Schnitzler mit einigen anderen den Zo- Legt man diesen Grundriss fünfzig Jahre später bestreben gegenüber Feindbildern und frühe- diak Club, in dem – für eine Dauer von einem über den Bauplan des HAU, wird klar, dass die ren Generationen formieren. Die Anhänger:in- Jahr schon als situativ gedachtes Labor ange- Linien in ihren letztendlichen Bedingungen nenschaft der so entstehenden (verschwore- legt – in kurzer Zeit möglichst viel passieren kaum noch aufeinander passen: War das Zo- nen) Gemeinschaft eignet sich dann in dilet- sollte. Oben die Schaubühne, unten, nach 22:00 diak ein spontan erschlossener Raum ohne Ge- tantisch gefärbter Experimen- Uhr, wenn der letzte Vorhang winnabsicht, Bringschuld, Verantwortung (und tierfreude nicht selten neue gefallen war, ein schwarzer auch ohne finanzielle Förderung einer manifest Die Gestrandeten Technologien an oder deutet und ein weißer Raum. Bau- formulierten Ausrichtung oder bewussten Per- sehnten sich nach bestehende Verfahren um. haus statt Hippietum. Im spektive im Sinne eines Kulturauftrags), ist das Somit verbindet sich ein pro- Freiheit und waren schwarzen Raum vier Po- heutige HAU Hebbel am Ufer eine Kulturstätte, grammatisches Streben nach nicht selten dem deste, auf denen bald impro- die – gefördert, kuratiert, abgesichert und re- ungeahnten Formen mit äs- biederen Bürgertum visiert wurde zwischen Free daktionell begleitet – den damals freigesetzten thetisch radikalen und darin der geistigen Jazz, Rock und elektronischer Energien nachspürt, jedoch kaum als Raum für in Opposition zu den vorherr- Provinzialität Musik – was letztlich zur Ur- das Entstehen einer solch folgenreichen Explo- schenden bürgerlichen Ge- entflohen. suppe werden sollte für jenen sion dienen kann. Die Programme sind von lan- sellschaftsnormen stehenden diffusen Genrebegriff, der heu- ger Hand geplant. Das ist nicht schlimm; ganz Inhalten. Es entsteht etwas, te zum weltweiten Bezugs- im Gegenteil lässt sich insbesondere an diesem das sich an seiner Intensität punkt des musikalisch Pro- Festival aufzeigen, wie wichtig Orte wie das gemessen als originell und neuartig, ja, als gressiven gilt: Krautrock. Wenn man sich an- HAU sind: um an die Bedeutung des konkreten avantgardistisch beschreiben lässt. Und dieser schaut, wer da binnen eines Jahres aufeinan- künstlerischen Freiraums zu erinnern und den Prozess vollzieht sich dabei auch bezogen auf dertraf und was dann aus diesen Leuten später gegenwärtigen Freigeistern überhaupt eine seine Orte eben nicht im luftleeren Raum. Die wurde, lässt das Vergleiche mit Warhols Spielstätte zu bieten. Doch lässt diese imagi- Avantgarden werden vielmehr begünstigt – Factory und dem CBGB in New York zu. Hier tra- näre Überblendung zweier Ortsbedeutungen und nicht selten inspiriert – von lokalen, räum- fen sich die, die später “Berliner Schule” ge- eine:n mit dem bedauernden Bewusstsein zu- lichen Bedingungen. nannt wurden – besagte Schnitzler und Schulze, rück, dass die Petrischalen der Avantgarden Edgar Froese, Günter Schickert, Michael Hoenig, durch die Dichte des Kapitalismus schlicht ih- In den 1960er-Jahren der alten BRD war West- Dieter Moebius, Roedelius u.v.m. (u.a. in folgen- res Raums in der Stadt beraubt sind. Wo einst berlin eine Stadt, die ein solches Potenzial bot: den Bands: Human Being, Agitation Free, Ash Erfindungsreichtum stattfand, steht heute Ei- eine Insel, vergleichsweise frei von Repression, Ra Tempel, Tangerine Dream). Jede:r mit je- gentum. Berlin, das lässt sich nicht leugnen, ist billig, bespielbar. Die Gestrandeten sehnten der:m bildeten die autodidaktischen Klangfor- verkauft. Was es also braucht – und was die sich nach Freiheit und waren nicht selten dem scher:innen kurze, situative Gruppen, die die Berührung von Vergangenheit, Gegenwart und biederen Bürgertum der geistigen Provinziali- Aura ihrer Werke bewahrten, indem sie sie Zukunft, die dieses Festival ganz unmissver- tät entflohen. Abenteuer statt Wirtschaftswun- nicht planten, konservierten oder wiederhol- ständlich entwirft –, sind Räume, die noch nicht der. Conrad Schnitzler kam auf verschlunge- ten. Das Zodiak war im wahrsten Sinne des wissen, was in ihnen geschehen wird! nen Wegen nach Berlin, wohin er, nicht zuletzt Wortes ein glühender Freiraum. 1969, nach Hendrik Otremba, Schriftsteller und Musiker, spürt seit vielen Jahren den Pionier:innen musikalischer Avantgarden nach. Collage aus Archivmaterial von Sven-Åke Johansson und einem Filmstill aus Dietmar Buchmanns Kurzfilm “ZODIAK” (1969, © DFFB Archiv). 24 25
Bildet Nischen! Programm und Akteur:innen 21.–26.9. / HAU1, Foyers Mi 22.9., 19:00 / HAU1 Mi 22.9., 21:00 / HAU1 Do 23.9., 18:00 / HAU1 Music Is Not Language. Neither Is It Painting. Just Music. Soundinstallation von Conrad Schnitzler & Wolfgang Seidel Valentina Magaletti, Günter Schickert & Galina Ozeran, Etkin Çekin, Conrad Schnitzler und Wolfgang Seidel arbeiteten seit den frühen 1970er- Andrea Belfi, Marta Salogni, die ANGEL (Dirk Dresselhaus, Sebastian Lee Philipp Jahren zusammen, als Seidel Mitmusiker in Schnitzlers frei improvisierender Katharina Ernst Ilpo Väisänen) The Ghost Zoo / Konzert Gruppe Eruption wurde. Kurz vor Schnitzlers Tod im Jahr 2011 überreichte er Seidel eine Festplatte mit seinem Archiv. Ein Stück stellte sich als eine merge/emerge / Konzert Konzert Galina Ozeran, Etkin Çekin und Sebastian Lee Philipp treffen sich zum ers- Spoken-Word-Aufnahme heraus, passend “CONtext” benannt, in der ten Mal zusammen auf der Bühne, um im Unterbewusstsein schlafende Ah- Valentina Magaletti, Andrea Belfi, Marta Salogni und Katharina Ernst wer- Günter Schickert und die ANGEL (Ilpo Väisänen und Dirk Dresselhaus) wer- nentiere zu wecken. Mit ihrem improvisierten Zusammenspiel rufen sie Schnitzler humorvoll seine musikalische Philosophie beschreibt. Um diese den im HAU das erste Mal als Quartett auftreten. Drei explodierende den zum ersten Mal im Trio für “Bildet Nischen!” ein Konzert spielen. Schi- diese auf, sich dem sakralen Klangritual anzuschließen. Welche Geister- Art Manifest arrangierte Seidel eine Raumklanginstallation für acht Boxen, Schlagzeuge. Klangsplitter, die in unerwarteten Kombinationen zueinan- ckert wird mittels selbstgebauter Klangobjekte sowie Blas- und Perkus- wesen zur Wasserstelle kommen werden, wissen nicht einmal die die bei “Bildet Nischen!” erstmalig in der angedachten 8-Kanal-Installation der finden. Aufgezeichnet auf Tonbändern, die sich in Unendlichkeiten wie- sionsinstrumente akustische Signale in die Mischpulte von Dresselhaus Musiker:innen selbst. Inspiriert von Pauline Oliveros’ Ansatz, immersive zu hören sein wird. derholen. merge/emerge. und Väisänen senden. Durch Effektschleifen, Elektronik und Re-Sampling Hörerfahrungen durch das Sammeln von Klängen aus der Atmosphäre zu Grau abgestuft – Zwischen weißem und schwarzem Raum verarbeiten und arrangieren sie diese neu und erweitern sie durch eigene Valentina Magaletti ist Schlagzeugerin, Komponistin und Perkussionis- schaffen, wird das Stück Feldaufnahmen von der aktuellen HAU2-Baustelle Fotografien von Detlef Krenz Klänge aus Analog-Synthesizer und präparierter E-Gitarre. Das Arrange- tin, deren Ziel es ist, eine folkloristische und eklektische Palette durch end- beinhalten. Auf diese Weise will The Ghost Zoo die Geister der Vergangen- Detlef Krenz kam als 19-jähriger Musik- und Fotografie-Enthusiast ins Zodiak. ment dieses speziellen Set-ups eröffnet einen Raum für Improvisation, in heit einfangen und die Erfahrung eines längeren Jetzt schaffen − von den loses Zuhören und Experimentieren mit neuen Materialien und Klängen Begeistert von den Konzerten, von ihm als “ungewöhnliche Klänge” beschrie- dem alles offen und möglich ist, so wie es auch im Zodiak Free Arts Lab Zeiten des Zodiak bis heute. strategisch zu bereichern. Sie hat mit vielen Künstler:innen zusammenge- ben, begann er, das Erlebte mit einer alten Contax-Kamera festzuhalten. Krenz’ war. arbeitet, darunter Nicolas Jaar, Jandek, Helm, Raime, Malcom Catto, Galina Ozeran, besser bekannt als Chikiss, ist eine Sängerin und Pianistin, atmosphärische Fotografien sind einige der wenigen dokumentarischen Über- Charles Hayward, Graham Lewis, Tightpaul Sandra, Thurston Moore, Bat Günter Schickert, in Westberlin aufgewachsen, begann im Zodiak, noch Komponistin und Elektronikproduzentin. Seit der Aufnahme ihres ersten bleibsel aus der kurzen, intensiven Zeit des Zodiak Free Arts Lab. for Lashes, Gruff Rhys u.a. Ihr aktuelles Projekt Vanishing Twin, bei dem ihr mit Trompete in erste freie Kollaborationen zu gehen, bevor er in den Albums im Jahr 2005 hat sie ein umfangreiches musikalisches Werk ge- Schlagzeugspiel einer eher konventionellen Jazzidee folgt, steht dem ex- frühen 1970er-Jahren zu seinem hypnotischen Krautrock-Gitarrensound schaffen, das von Post-Punk und Psychedelic Rock bis zu minimalisti- perimentelleren, auf Drone und Field Recordings basierenden, Percussion- fand, der u.a. mit “Samtvogel”, 1975 erschienen auf Brain, und “Überfäl- schem Synthesizer-Pop und avantgardistischer elektronischer Musik Ansatz in ihrem Duo Tomaga entgegen. lig”, erschienen 1980 auf Sky, Veröffentlichung fand. Schickert wirkte Di 21.9., 19:00 / HAU1 reicht. Als Solokünstlerin und in verschiedenen Kollaborationen mit ande- als Musiker wie auch als Teil des Kollektivs im Berliner Club SO36 mit. ren Musiker:innen und Künstler:innen hat Ozeran ihren persönlichen und Andrea Belfi ist Schlagzeuger und Komponist. Belfi hat sich eine Repu- Mit Unterbrechungen ist er bis heute mit der Band Ziguri aktiv und spielt eigenwilligen Stil entwickelt. Zusammen mit Etkin Çekin bildet sie das Duo Nika Son tation mit seinen charismatischen Soloauftritten erspielt. So eröffnete er 2019 Thom Yorkes “Tomorrow’s Modern Boxes”-Tour in Europa und den als Mitglied des Berliner Feedback Orchesters. 2018 entstand in Zusam- God Is God, deren Debütalbum “Metamorphoses” demnächst auf dem elek- Konzert USA 2016 sowie Nils Frahms Projekt Nonkeen. Belfi kollaboriert regelmä- menarbeit mit Andreas Spechtl das Album “Nachtfalter”, erschienen auf tronischen Label Bureau B erscheinen wird. Bureau B. Nika Breithaupt alias Nika Son arbeitet als freischaffende Musikerin, Künstle- ßig mit anderen Musiker:innen, so u.a. mit Mouse On Mars, Jóhann Jó- Etkin Çekin, bekannt unter dem Pseudonym Et Kin, ist ein Musiker, Multi- rin, Filmkomponistin und DJ. Beeinflusst von Musique Concrète und den Au- hannsson, Mike Watt und David Grubbs. Seine Musik, in der sich Akustik die ANGEL (oder anfangs nur Angel), das Duoprojekt von Ilpo Väisänen instrumentalist und Produzent experimenteller Musik. Derzeit lebt Çekin ßenrändern elektronischer Musik erarbeitet sie ihre Kompositionen aus modi- und Elektronik kunstvoll vermischen, ist gleichermaßen energiegeladen (Ex-Pan Sonic) und Dirk Dresselhaus alias Schneider TM, entstand 1999 in Berlin. Er betreibt das Kassettenlabel Kinship und bietet damit Berliner fizierten Field Recordings, verwoben mit analogen Klangsynthesen, gebroche- und hypnotisch und zeichnet sich durch weitläufige, immersive Klang- während einer gemeinsamen Europatournee von Pan sonic und Schneider Künstler:innen wie Anadol, Spiritczualic Enhancement Center oder Isabassi nen Rhythmen, verstreuten Stimmfetzen und moduliertem Tonband. Ihr neu- landschaften aus. TM mit dem Ziel, mithilfe von Elektronik, Streichinstrumenten und Effekt- eine Plattform. estes Album “To Eeyore” erschien 2020 auf dem Label Entr'acte. Sie ist Ko-Ku- schleifen eine Klangwelt jenseits fester Strukturen und klar definierter Marta Salogni begann ihre musikalische Laufbahn als Tontechnikerin in Sebastian Lee Philipp tritt als Musiker unter dem Namen Die Wilde Jagd ratorin des Papiripar Festivals und veranstaltet seit 2011 regelmäßige Reihen Genres zu entwickeln. die ANGEL tauchen tief in den Mikrokosmos der verschiedenen unabhängigen, linken Non-Profit-Zentren und Clubs sowie auf. Er hat drei Studioalben veröffentlicht: “Die Wilde Jagd” (2015), “Uhr- im Golden Pudel Club Hamburg. Dort fand auch 2018 ihr Festival Eruption statt, Töne ein und formen nuancierte Schichten abstrakter Klänge, die Ele- bei der Radiostation Onda D’Urto in ihrer italienischen Heimat. Mit ihrem wald Orange” (2018) und “Haut” (2020). Für das HAU Hebbel am Ufer hat das sich explizit mit dem Schaffen von Conrad Schnitzler auseinandersetzte. mente von Musique Concrète, Minimal Music, Industrial, Noise, Blues und Umzug nach London begann Salogni, sich mehr und mehr auf die Arbeit er bereits das audiovisuelle Stück “Haut Ontogenesis” geschaffen, das Psychedelia integrieren und dennoch die unverwechselbare Handschrift als Studiotechnikerin und Produzentin zu konzentrieren. So arbeitete sie 2020 im Rahmen von #HAUonline präsentiert wurde. von die ANGEL tragen. u.a. mit Björk, Bon Iver, Black Midi, Holly Herndon, Liars und M.I.A. Für das Di 21.9., 21:00 / HAU1 Konzert im HAU Hebbel am Ufer wird Salogni analog mit Tonbändern Sounds verfremden, morphen und verdichten. Do 23.9., 20:00 / HAU1 Taste Tribes Katharina Ernst studierte Malerei an der Akademie der bildenden Künste Musik: Wolfgang Seidel, Günter Wien. Sie spielt seit ihrem neunten Lebensjahr Schlagzeug und beschäf- tigt sich mit polymetrischen, komplexen und chaotischen Strukturen im The Notwist Konzert Müller, Hans Joachim Irmler / Spannungsfeld von Musik, bildender Kunst und Choreografie. Nach ihrem Die Band The Notwist um die Brüder Markus und Micha Acher zeichnet Debüt “Extrametric” (2018) erscheint nun ihre neue Solo EP “le temps” bei Video: Alfred 23 Harth Ventil und Trost Records. Sie lebt in Berlin. sich durch eine stilistische Offenheit aus, die den frühen Bandsound von (punk-)rockigen Anfängen bis zur intelligenten und melancholischen Fu- Konzert sion von Elektronik und komplexer Popmusik weiterentwickelte. Die 2007 gründete Alfred 23 Harth das Trio Taste Tribes mit Hans Joachim Irm- Acher-Brüder waren darüber hinaus an der Gründung zahlreicher, teils in- ler, dem Mitbegründer und Organist der Band Faust, und dem Elektro-Impro- ternational erfolgreicher Bands beteiligt und wirken im Zentrum eines viser Günter Müller von Nachtluft und MKM. Es erschien eine CD. Pandemie- Netzwerks von Projekten lokaler Musiker:innen. 2003 gründeten sie das bedingt ist Harth im HAU Hebbel am Ufer nur virtuell zugegen. Wolfgang Sei- Musiklabel Alien Transistor, seit 2016 kuratieren sie das internationale, del vom Trio Eruption (mit Conrad Schnitzler) und von Ton Steine Scherben genreoffene Musikfestival Alien Disko in den Münchner Kammerspielen. ist der Schlagwerker von Taste Tribes. Er ist ein früher Besucher des Zodiak, ebenso wie Harth, der dort 1968 mit Sven-Åke Johansson u.a. performte. 26 27
Sie können auch lesen