Russischer Überfall auf die Ukraine: Putins brandgefährliches Finale?
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stratos digital #11 Forum – Russischer Überfall auf die Ukraine: Putins brandgefährliches Finale? 18. März 2022 1 www.armee.ch/stratos Forum Russischer Überfall auf die Ukraine: Putins brandgefährliches Finale? THE O D O R H . WINKLE R Abstract Mit dem Überfall russischer menbruch der internationalen Ordnung Truppen auf die Ukraine im Februar 2022 besiegeln. Internationale Konflikte und endete die Nachkriegszeit. Sie hatte uns Spannungen sind in Zukunft sicher. Alle seit 1945 Frieden und enormen Fortschritt scheinbaren Gewissheiten, auf die wir die gebracht. Seit dem von Nukleardrohun internationalen Beziehungen und unser gen begleitetem Einmarsch Putins in die Weltbild seit dem Ende des Zweiten Welt Ukraine leben wir in einer anderen Ära – kriegs aufbauten, sind in Frage gestellt. möglicherweise wieder einer Vorkriegszeit. Noch fehlen uns die Jalons, die zur Beurtei Die Zukunft ist völlig unberechenbar. lung der neuen Lage notwendig sind und Krieg, auch ein grosser Krieg zwischen mit denen wir eine neue Strategie zur Kris dem Westen und Putins Russland und/ enbewältigung entwickeln könnten. Die oder China ist möglich. China könnte mit Lage ist ungewohnt – und brandgefährlich. einem Angriff auf Taiwan nun den Zusam A LT- B O T S C H A F T E R D R . T H E O D O R H . W I N K LE R gilt als «sicherheitspolitischer Vordenker» der Schweiz (Neue Zürcher Zeitung). Er ist einer der Architekten der Schweizer Sicherheits politik der 1990er Jahre und geistiger Vater der drei Genfer Zentren des Bundes: Sicherheitspolitik (GCSP), humanitäre Minenräumung (GICHD) sowie gute Regierungsführung im Sicherheitsbereich (DCAF). Theodor Winkler stand dem DCAF von 2000 bis 2016 als dessen Direktor vor. Zusammen mit Philippe Burrin konzipierte Winkler auch die «Maison de la Paix», einen modernen Glaskomplex im Zentrum des interna tionalen Genf, der eine der bedeutsamsten sicherheitspolitischen Denkfabriken der Welt beherbergt. E-Mail: thewinklers@bluewin.ch
stratos digital #11 Forum – Russischer Überfall auf die Ukraine: Putins brandgefährliches Finale? 18. März 2022 2 www.armee.ch/stratos Entwicklungen der letzten zehn Jahre In den First»- Ideologie belastete die transatlantischen Be- letzten zehn Jahren haben sich aus der Perspektive der ziehungen schwer. Tumps Putschversuch vom 6. Ja- Sicherheitspolitik tektonische Platten in Bewegung ge- nuar 2021, Macrons Qualifikation der NATO als «brain setzt: China ist im Begriff, die USA zu überholen und dead» und den verstörenden Bildern des Rückzugs der zur grössten Volkswirtschaft der Welt zu werden. Hie- NATO und der Amerikaner aus Kabul dürften ihn voll- raus leitet Beijing einen Anspruch auch auf eine poli- ends überzeugt haben, dass der Westen nicht mehr zu tische und militärische Führungsrolle ab. Es ist ent- entschlossenen gemeinsamen Handeln in der Lage sei. schlossen, seine territorialen Grenzen zu verschieben – im Süd- und im Ostchinesischen Meer, im Himalaya, Machterhalt, nicht Ideologie um die Senkaku-Inseln, vor allem aber durch die not- Putins Ziel ist die falls gewaltsame Wiedereingliederung von Taiwan. Wiederherstellung des Status und der Glorie der aus- Dieses Vorgehen trägt das Risiko in sich, zu einem mi- einandergebrochenen Sowjetunion. Es geht ihm dabei litärischen Konflikt mit den USA zu führen. US-Präsi- nicht um Ideologie, sondern um Macht. Er sieht sich dent Biden hat bereits erklärt, die USA würden Taiwan als Nachfolger Peter des Grossen und er ist entschlos- im Falle eines chinesischen Angriffs beistehen. China sen, in die Geschichtsbücher einzugehen. Er glaubt, weicht diesem Risiko nicht aus, sondern scheint ent- dass Russland nach dem Ende des Kalten Krieges vom schlossen, die USA als militärische Führungsmacht im Westen über den Tisch gezogen wurde, dass insbeson- Westpazifik notfalls gewaltsam zu verdrängen. China dere Zusagen, dass die NATO auf eine Osterweiterung erhöht sein Verteidigungsbudget (das zweitgrösste verzichten würde, gebrochen worden seien. Ganz un- Budget der Welt nach jenem der USA) und baut sein abhängig davon, wie rechtsverbindlich sie gewesen konventionelles und nukleares Arsenal massiv aus. Die seien: für Russland seien sie politisch relevant gewesen. moderate Reaktion der westlichen Welt auf die poli- Die Fakten sprachen für sich. Russlands Bevölkerung tische Gleichschaltung Hongkongs bestätigte Chinas schrumpfte um die Hälfte als Folge des Auseinander- Präsident Xi Jinping in seiner Meinung, dass die west- brechens der UdSSR 1991 (von 290 Mio auf 147 Mio). lichen liberalen Demokratien abgewirtschaftet haben, Die Wirtschaft des Landes ist wenig beeindruckend dekadent und morsch geworden sind und nicht mehr und gleicht derjenigen eines Entwicklungslandes (85% eine globale Führungsrolle spielen können. Er ist über- der Exporte sind Rohstoffe). Die Konsumgüterindust- zeugt, dass dem chinesischen Modell, das auf dem Kol- rie entspricht nicht internationalen Standards. Kein lektiv statt dem Individuum aufbaut, die Zukunft ge- Mensch fährt nach Moskau, um eine Waschmaschine hört. Gleichzeitig schafft Xi Jinping – für den Fall der zu kaufen. Im Cyberbereich verliert Russland techno- Fälle – einen noch nie gesehenen Überwachungsstaat, logisch ständig an Boden. Von den 500 weltweit gröss- der Aldous Huxleys «Brave New World» weit in den ten Supercomputern befinden sich gerade mal sechs Schatten stellt und verübt Genozid gegenüber den Ui- in Russland (verglichen mit 173 in China und 149 in guren in seinem Land. den USA). Aus der Perspektive Putins, der das russi- sche politische System euphemistisch eine «gelenkte Wladimir Wladimirowitsch Putin teilt Xis Einschät- Demokratie» nennt, mehren sich seit dem Euromaidan zung der liberalen Demokratie. Die Trump-Präsident- 2013/14 in der Ukraine und den starken Protesten gegen schaft, der Brexit, die Erosion der Wertegemeinschaft Wahlbetrug durch die Regierungen in Belarus und Ka- zwischen Bürger und Staat sowie zwischen den Mitglie- sachstan auch die Omen einer politischen Lage, die dern der sich in einer Dauerkrise befindlichen EU, das seiner Kontrolle entgleitet. Für einen narzisstischen Fehlen einer entschiedenen Reaktion auf Russlands Putin, der die Verehrung durch die Bevölkerung sucht systematische Einmischung in die Wahlkämpfe in den und der sich gerne mit nacktem Oberkörper als männ- USA und Europa und auf seine ständigen Provokatio- licher Kraftstrotz in allen möglichen Heldenposen ab- nen (beispielsweise das Sprengen eines Munitionsde- bilden lässt, ist Unzufriedenheit in der Bevölkerung pots in Tschechien oder der Giftmord von Salisbury), etwas Beunruhigendes. Er sucht aber nicht nach der vor allem aber der Annexion der Krim 2014, schienen Ursache, sondern nach den Schuldigen. Er ist gegen ihm Recht zu geben. Der Westen verhängte damals Kritik einerseits immun, andererseits leicht durch sie wohl Sanktionen, aber nicht koordiniert und oft nur gekränkt, was ihn rachsüchtig macht. Navalny, der be- mit halbem Herzen. Trumps Polterei und «America kannteste Oppositionspolitiker nutzt diese Disposition
stratos digital #11 Forum – Russischer Überfall auf die Ukraine: Putins brandgefährliches Finale? 18. März 2022 3 www.armee.ch/stratos von Putin, um ihn regelmässig öffentlich als Diktator Seine Forderungen, die er nun mit militärischen Mit- vorzuführen. Putin sieht die innenpolitische Lage als teln durchzusetzen ankündigte, sind fundamental: Ein explosiver an als sie in der Realität wohl ist. Er fürch- zweites Jalta (Neuaufteilung Europas), die Ukraine, die tet, dass eine von der EU-Mitgliedschaft profitierende Putin als ethnisch weitgehend russisch einschätzt und Ukraine mit deutlichem Wirtschaftswachstum sein Re- der er eine staatliche Souveränität abspricht, zu einem gime schlecht aussehen liesse und letztlich untermi- russischen Satellitenstaat zu machen sowie ein Rück- nieren würde. Er glaubte auch aus innenpolitischen zug der NATO-Truppen aus Osteuropa. Diese Forderun- Gründen, handeln zu müssen. gen stellen die gesamte politische Entwicklung der letzten Jahrzehnte auf den Kopf, brechen alle Verträge, Russland besitzt mit 6.250 Gefechtsköpfen das grösste denen Russland zugestimmt hatte, beginnend mit der Nukleararsenal der Welt. Jeder Versuch, Russlands Helsinki-Schlussakte von 1975, und stellt eine atembe- Macht zu mehren, dem Land zu neuer Grösse zu verhel- raubende Rückkehr zu imperialem Gebaren und Na- fen, es zu mehr zu machen als «ein Lesotho mit Kern- tionalismus dar. waffen» (Helmut Schmidt), muss angesichts dieser Ein- dimensionalität zwangsläufig auf militärischer Macht Das unmittelbare Ziel der Schaffung eines Gross-Russ- aufbauen, also disruptiv sein. Der Versuch muss darauf lands wird ergänzt durch ein offensives operatives Vor- abzielen, die internationale Ordnung zu schwächen, gehen im «Globalen Süden», wo Russland sich bereits nicht sie zu stärken. Russland wächst, indem es sich die solide im Nahen Osten (insbesondere in Syrien) etab- Kadaver anderer Staaten einverleibt. Weltpolitisch ist liert hat, in Libyen eine starke Rolle spielt, und Frank- es eine Hyäne, nicht ein brüllender Löwe. Russland hat reich aus seiner Schlüsselstellung in Mali vertrieben aber auch im militärischen Bereich Schwächen, was hat. Auch Venezuelas Regime hängt von Moskau ab. der Ukraine-Feldzug mehr als deutlich unterstreicht. Dieses globale Umpflügen der geopolitischen Land- karte ist von Putin konzeptionell eingebettet in eine Weshalb griff Putin jetzt an? Putin will einen enge Partnerschaft mit China – das unter Xi Jinping Staatenbund unter russischer Führung schaffen, dem ebenfalls in eine «neue Ära» eingetreten ist und nicht Russland, Weissrussland, die Ukraine, die von ihm an- zögert, dem Westen seinerseits offen feindselig ent- erkannten Splitter-Volkrepubliken des Donezbeckens gegenzutreten. China würde in dieser Partnerschaft und Georgiens, allenfalls weitere Absplitterungen die wirtschaftliche Führungsposition einnehmen, der Ukraine, wie Cheson, und marode Überreste der Russland die militärische. Der Westen wäre in diesem UdSSR, wie Transnistrien, sowie Teile Zentralasiens Szenario militärisch handlungsunwillig, wenn nicht angehören sollen. Er sah seine Ambitionen durch die -unfähig, müsste allenfalls schwere militärische Nie- Wiederannäherung Europas und Amerikas nach der derlagen hinnehmen (China rechnet mit einer offe- Präsidentschaft Trumps, aber auch durch die wach- nen Konfrontation mit der US-Navy). Die freie Welt sende Überlegenheit Chinas gefährdet, dessen Brutto- wäre politisch zutiefst gespalten durch eine aus Pu- sozialprodukt heute zehnmal grösser ist als das russi- tins Sicht wahrscheinliche zweite Trump-Administra- sche und Putin auf Dauer zum Junior-Partner von Xi tion politisch zerstritten und weltpolitisch auf dem ab- Jinping Gnaden werden lässt. Putin träumt davon, die steigenden Ast. Seit Adolf Hitler und seiner Achse mit Macht der Zaren wiederherzustellen und nicht zu Chi- Italien und den japanischen Militaristen sowie dem nas Pudel zu werden. Wenn Russland als noch eigen- «Hitler-Stalin-Pakt» hat niemand mehr einen solchen ständiger Partner handeln wollte, so hatte es keine Zeit radikalen antidemokratischen Plan zur Erringung der zu verlieren. Putin dürfte befürchtet haben, dass China Weltherrschaft formuliert. Wie heute Putin die Alli- bald in Taiwan zuschlagen dürfte, was Russland zwin- anz mit China sucht, suchte auch Hitler pragmatisch gen würde, China politisch zu unterstützen, gleichzei- das Bündnis mit allen, die den Westen niederkämpfen tig aber auch den Westen alarmieren dürfte und ihm könnten. Russland, dessen Politik noch unter Trotzki so den Weg zu neuer imperialer Grösse definitiv ver- und Lenin stark ideologisch geprägt war, degenerierte bauen könnte. Die Zeit stand eindeutig nicht auf Pu- unter Stalin zu einem Protagonisten reiner Machtpoli- tins Seite. Er musste handeln – und er ging aufs Ganze. tik. Entsprechend ging es bei Ukrainekrise von Anfang
stratos digital #11 Forum – Russischer Überfall auf die Ukraine: Putins brandgefährliches Finale? 18. März 2022 4 www.armee.ch/stratos an um mehr als die Ukraine; es geht um nichts weniger als darum, in welcher Welt wir leben werden. Als Putin im Herbst 2021 seine Absichten aufzudecken «Dass er sie bis zum Einmarsch in die begann, war der Westen sprachlos, pilgerte nach Mos- Ukraine durchziehen würde, glaubte kau, um einen gemeinsamen Nenner zu finden. Der absurd lange Tisch, an den Putin Macron und andere allerdings niemand. Als er es dennoch westliche Führungspersönlichkeiten setzte, und die tat und zudem die nukleare Keule ins zunehmende Verhärtung der russischen Haltung be- Spiel brachte, brach er bewusst mit lehrte die Moskau-Besucher schnell eines Besseren. Es gab keinen gemeinsamen Nenner, es hatte nie einen einer Ära der Zusammenarbeit, der solchen gegeben. Putin hatte sie offen angelogen und Verhandlungen, der Diplomatie, der er behielt die Eskalationsdominanz. Dass er sie bis Suche nach Stabilität und Frieden.» zum Einmarsch in die Ukraine durchziehen würde, glaubte allerdings niemand. Als er es dennoch tat und zudem die nukleare Keule ins Spiel brachte, brach er bewusst mit einer Ära der Zusammenarbeit, der Ver- handlungen, der Diplomatie, der Suche nach Stabili- nicht bereit, auch nur einen einzigen Wirtschafts- tät und Frieden. Seine westlichen Gesprächspartner flüchtling aufzunehmen, und das noch im Sommer erkannten, dass sie systematisch hintergangen wor- 2021 mit militärischen Mittel die Nahostflüchtlinge, den waren, dass kein gemeinsames Tun mehr möglich die Lukatschenko eingeflogen hatte, am Grenzüber- war. Nicht nur die Ukraine würde angegriffen werden. tritt zu hinderte, nimmt heute hunderttausende, wenn Auch die baltischen Staaten (allen voran Litauen, das nicht Millionen von Ukraine-Flüchtlingen grosszügig Kaliningrad vom Resten Russlands trennt), Polen und auf. Orban hat sich von Putin losgesagt. Deutschland Georgien fühlten sich akut bedroht. Die Träume von hat eine einmalige Aufstockung seines Verteidigungs- einer Détente und einer allmählichen Demokratisie- haushaltes um 100 Milliarden beschlossen und sich rung Russlands und Chinas platzten im Februar 2022. zum Ziel bekannt, den Verteidigungshaushalt ab 2024 Die Herausforderung war wohl kalkuliert, umfassend auf 2% des BIP anzuheben. Biden erhielt in seiner «State und brandgefährlich. Die Reaktion des Westens war of the Union»-Botschaft auch von den Republikanern scharf. Sie war nicht nur rational, sondern auch emo- eine Standing Ovation für sein Bekenntnis zur Uk- tional. Man sah sich nicht nur bedroht, sondern auch raine. Ein milliardenschweres Hilfsprogramm für die hintergangen. Man realisierte, dass man viel Zeit, mög- Ukraine wird von beiden Parteien getragen, Präsident licherweise zu viel Zeit, vertan hatte, dass einem ein Selenski für eine Rede vor beiden Häusern des Kon- russischer Bär aufgebunden worden war. Typisch für gresses zugeschaltet. Schweden liefert Waffen an Kiew. die neue Stimmungslage waren die Bilder des emotio- Finnland überprüft seine Neutralität. Die Schweiz hat nalen parteiübergreifenden Schulterschlusses im Deut- nach anfänglichem Zögern, die Sanktionen der EU in- schen Bundestag, das weitverbreitete Erkennen, dass tegral übernommen und dadurch seine Neutralitäts- eine Zeitenwende im Gang war. politik modifiziert. Die UNO-Vollversammlung hat mit 141 : 4 Stimmen Russlands Vorgehen verurteilt. Die Folgen: eine erste Einschätzung Der Wes- Putin steht diesem weltweiten Scherbenhaufen völ- ten hat nach diesem Schock entschieden und koordi- lig überrascht und hilflos gegenüber. Damit hatte er niert reagiert. Die Kriegsbilder aus der Ukraine und nicht gerechnet. Die Auswirkungen der Sanktionen ihres mutigen Präsidenten brannten sich in unser kol- sind unabsehbar. Das Land steht vor dem Staatsbank- lektives politisches Bewusstsein ein. Putin hat einen rott. Der Rubel befindet sich in freiem Fall. Die Russen hoffnungslos gespaltenen Westen in einem Ausmass können nicht mehr ins Ausland reisen. Es gibt keine wieder zu einer Wertegemeinschaft zusammenge- Flüge mehr, der Luftraum weiter Teile der Erde ist für schweisst, von der noch vor Kurzem niemand auch sie gesperrt, der Erwerb von Devisen unmöglich. West- nur zu träumen wagte. Polen, in den letzten Jahren liche Firmen schliessen zu Dutzenden ihre Niederlas-
stratos digital #11 Forum – Russischer Überfall auf die Ukraine: Putins brandgefährliches Finale? 18. März 2022 5 www.armee.ch/stratos sungen. Besonders hart werden die unteren Einkom- Sein Schicksal ist heute untrennbar mit dem Ausgang mensklassen und der Mittelstand getroffen. Aber auch des Ukraine-Kriegs verknüpft. Ein Funke kann weitere mehr als 1.000 Oligarchen und Spitzenbeamten, die Pulverfässer jederzeit zur Explosion bringen. Putin besonders nahe sind, erhielten ihre Bankkonten im Westen eingefroren. Super-Luxus-Yachten wurden Die Palette der Möglichkeiten reicht nach meiner Ein- beschlagnahmt; ebenso ein guter Teil der russischen schätzung von einem Sturz Putins durch die Oligar- Devisenreserven. Erdöl- und Erdgas-Exporte in die USA chen, die Armee oder den Apparat über die Ausdeh- und weitere westliche Staaten werden gestoppt, wäh- nung des russischen Drucks auf andere Staaten (das rend «North Stream 2», die umstrittene Gaspipeline Baltikum und Osteuropa) bis hin zum Einsatz (vermut- von Russland via Ostsee nach Deutschland, keine Be- lich taktischer) Atomwaffen – etwa gegen die Logistik- triebsbewilligung erhält. Weitere Sanktionen werden zenten in der westlichen Ukraine und Ostpolen, über folgen, sollte Kiew fallen und dort eine Satelliten-Regie- die die Ukraine mit Waffen, Kämpfern und Hilfsgü- rung eingesetzt werden. Die Sanktionen mögen even- tern aller Art versorgt wird. Die militärische Schwä- tuell die Ukraine nicht retten – aber vielleicht Taiwan. che, die Putins Truppe in der Ukraine zeigt, wirkt hin- China beobachtet, die Reaktion des Westens genau. gegen etwas beruhigend auf Litauen und die seine Es dürfte auch mit einer weit milderen Reaktion ge- baltischen Nachbarn. Auch Finnland beginnt vorsich- rechnet haben. tig aufzuatmen. Ein Kernwaffeneinsatz hat angesichts der besonnen, aber entschiedenen amerikanischen Re- Der erbitterte ukrainische Widerstand gegen den An- aktion an Glaubwürdigkeit verloren. In den Vorder- greifer und die Wandlung des ehemaligen Komikers grund schiebt sich die Sorge, dass Putin in der Ukraine Selenski an der Staatsspitze zu einem genuinen Hel- – wie zuvor Assad in Syrien – chemische Waffen einset- den, der Menschen und Nation zu inspirieren und die zen könnte. Kehrt wieder Vernunft ein, ist der wahr- Welt zu beschämen versteht, war jenseits dessen, was scheinlichste Ausgang ein Waffenstillstand in naher er kannte. Auf die miserable Leistung seiner Invasions- Zukunft, gefolgt von Verhandlungen, nicht der mör- kräfte war er ebenso wenig vorbereitet. Die Berichte derische Häuserkampf in Kiew und anderen ukraini- der russischen Armee über ihre eigene Kampfkraft wa- schen Grosstädten. Die russischen Streitkräfte wollen ren übertrieben. Wofür Putin Tage einrechnete, waren nicht noch mehr Verluste, ja beginnen nicht einmal Wochen nicht ausreichend. Panzer, Lastwagenkolon- mehr eine Niederlage auszuschliessen. Selenski weiss, nen und anderes Kriegsmaterial blieb im Schlamm, dass er gewonnen hat, wenn die Russen die Operatio- der die Jahreszeit auszeichnet, stecken, wurden stehen nen unterbrechen. Ob Putin dem zustimmen kann, gelassen und verlassen, weil ihnen das Benzin ausging. steht auf einem anderen Blatt. Nicht einmal die Verpflegung war gesichert. Viele hun- gerten in den kilometerlangen Fahrzeugkolonnen, die Was bedeutet das alles für uns? von den modernen Panzerabwehrwaffen und Drohnen, die die NATO zu Tausenden lieferte, systematisch zu- Erstens: Die Demokratien und die Kooperation sammengeschossen wurden. Die Moral sank markant. stärken. Der Westen ist überraschend und völlig un- Viele hatten nicht einmal gewusst, dass sie Teil eines vorbereitet, quasi über Nacht, in die gefährlichste Kon- Angriffs auf die Ukraine waren. Die Verluste stiegen fliktsituation seit der Kuba-Krise von 1962 geworfen bald ebenso markant. Mit 150.000 Mann mag Putin die worden. Es ist entscheidend, wie er mit der Herausfor- Ukraine erobern können; um sie zu besetzen und hal- derung umgehen kann. Die transatlantische Geschlos- ten zu können, sind es zu wenige. Russland scheint in senheit ist zwingend (man erschaudert, wenn man an den ersten zwei Wochen der Invasion mehr Soldaten eine eventuelle zweite Trump-Administration denkt). und mehr schweres Kriegsgerät verloren zu haben als Die Erneuerung der Wertegemeinschaft im westlichen in den 15 Jahren in Afghanistan (oder die Amerikaner Lager bleibt abzustützen durch Gipfel, enge Konsulta- in 20 Jahren im Irak). Wenn er nicht schnell einen Aus- tionen, flankierende Massnahmen und durch ausge- weg aus der von ihm selbst provozierten Krise findet, wogene Kompromisse. Eine Bekräftigung der Ziele der riskiert Putin alles. Er sieht aber offenbar nur noch die Union anlässlich des Versailler EU-Gipfels sollte dem Flucht nach vorne – vielleicht auch nur deshalb, weil dienen. Die Europäische Union muss zwingend eine es für ihn keinen Weg zurück mehr zu geben scheint. klare und allseitig getragene geopolitische Vision und
stratos digital #11 Forum – Russischer Überfall auf die Ukraine: Putins brandgefährliches Finale? 18. März 2022 6 www.armee.ch/stratos eine darauf aufbauende Strategie haben. Neu ist, dass auslöst. Chinas Bevölkerung zu zahlreich, um mehr der Anstoss hierzu nicht länger nur von der Achse Pa- als ein taktisches Bündnis zu gestatten. China hat kei- ris-Berlin kommt, sondern nun auch von den kleine- nerlei Interesse an einem Nuklearkrieg. Es hat seine ren Partnern – allen voran Polen und dem Baltikum. konventionellen Streitkräfte – insbesondere die Ma- Notwendig ist auch eine politische Verschränkung der rine – stark ausgebaut. Beijing ordert jedes Jahr Kriegs- euroatlantischen Partnerschaft mit den asiatischen De- schiffe, die an Tonnage und Bewaffnung der ganzen bri- mokratien (z.B. in Form einer «Union of Democracies»). tischen Royal Navy entsprechen. Es könnte ab diesem Dem Bündnis von China und Russland darf es nicht Herbst eine Korrelation der Kräfte mit der US-Navy in gelingen, Europa und Asien gegeneinander auszuspie- Westpazifik erreichen, die einen Angriff ermöglichen len. Der Westen will keinen Krieg. Sein Haupttrumpf würde, Beijing dürfte damit aber noch zuwarten bis ist seine Fähigkeit, mit Sanktionen seine Gegenspieler seine Trägerkomponente sechs Flugzeugträger um- zum Nachgeben zu bewegen. Die westliche operative fasst. Dies würde es China erlauben, durch die Statio- Antwort ist somit asymmetrisch zur militärischen He- nierung eines solchen Verbandes östlich von Taiwan, rausforderung. Sie muss aber getragen werden durch die Insel zu isolieren. Das wird wohl ab Ende 2024 eine deutliche Stärkung der Verteidigungsanstren- der Fall sein. Hätte Putin mit seinem Vabanquespiel in gungen. Das bedarf des Willens, den Gürtel enger zu der Ukraine Erfolg, so erschiene ein früher Angriffsbe- schnallen und einer Durchhaltefähigkeit. Schliesslich fehl wahrscheinlich. Sollte Putin scheitern, dürfte das müssen sich die Demokratien im Klaren sein, dass auch Taiwan wertvolle Zeit verschaffen. Die Reaktion Sanktionen, die Russland Eindruck machen, auch den des Westens auf Putins Invasion ist daher gleichzeitig Westen etwas kosten. Es wird nicht einfach sein, den eine strategische Kommunikation mit China. Biden Konvoi zusammenzuhalten. Die Einmütigkeit, die der lässt China wissen, dass der er trotz (ja gerade wegen) erste Schock schuf, muss bewahrt bleiben. der Krise in Europa Taiwan im Falle einer Invasion als Alliierter zur Seite stehen würde. Der Westen will Zweitens: Trotzdem gemeinsam handeln. Es ist un- nicht den Krieg mit China; aber die Ukraine darf nicht endlich schwieriger geworden, die grossen Probleme Schule machen, wenn wir einen Weltenbrand vermei- unserer Zeit zu lösen: Klimawandel, Bio-Sicherheit und den wollen. Pandemien, Cyber und der Übergang zu künstlicher In- telligenz und Quantencomputern, die demografische Viertens: Das neue Kriegsbild wird jetzt geprägt. Explosion in Afrika und die daraus resultierenden Mi- Der Krieg in der Ukraine hat direkte Auswirkungen grationszwänge, die Verknappung von Energie, vor al- auf andere Krisenherde der Welt. So fehlt einem gu- lem der elektrischen Energie (viele nationale Energie- ten Teil Nordafrikas und des Nahen und des Mittleren strategien sind de facto schon gescheitert) sowie eine Ostens das ukrainische Getreide, dessen Export ein- anhaltende (und durch die Sanktionen gegen Russland gestellt wurde. Wird das Brot jedoch zur Mangelware, noch erhöhte) Volatilität der Finanzmärkte. Hier Lö- ist mit Unruhen im Libanon, in Tunesien und in Ma- sungen zu finden, erfordert gemeinsames Handeln – rokko zu rechnen. In Serbien und Bosnien könnte Pu- und der Wille dazu wird rar sein. Putins Verbrechen tin das antiwestliche Klima zum Wiederanstacheln von droht, unsere Fähigkeit die Probleme zu lösen, die für Feindseligkeiten nutzen. Der Ausgang des Krieges wird das Überleben unseres Planeten wichtig sind, mutwil- lig zu zerstören. Drittens: Das Ukraine-Beispiel darf nicht Schule «Der Westen ist überraschend und machen. China nimmt in der gegenwärtigen Krise eine Schlüsselstellung ein. Es stützt Russland (Putin völlig unvorbereitet, quasi über hatte Xi Jinping über seine Angriffspläne vororientiert), Nacht, in die gefährlichste Konflikt «im wichtigsten Bündnis» der Gegenwart – aber nur situation seit der Kuba-Krise 1962 oberflächlich (und sicherlich zu einem Preis). Die Al- geworfen worden. Es ist entscheidend, lianz ist letztlich brüchig. Sibirien ist für eine wahre Interessensgemeinschaft zu gross. China ist still dabei, wie er mit der Herausforderung Sibirien zu besiedeln, was erhebliche russische Unruhe umgehen kann.»
stratos digital #11 Forum – Russischer Überfall auf die Ukraine: Putins brandgefährliches Finale? 18. März 2022 7 www.armee.ch/stratos auch die künftige Struktur der Streitkräfte beeinflus- Souveränität besser schützen können. Die Schweiz sen. Russland wird seine irregulären Kräfte, allen vo- wird ihr Verteidigungsbudget aufstocken müssen. ran die Wagner-Gruppe und die Cyberkampfmittel in privater Hand, weiter stärken und öfter einsetzen. Der Sechstens: Sicherheitspolitische Prioritäten ver- Stellenwert weitreichender Boden-Luft-Raketen wird ändern. Wir müssen unsere Diplomatie neu über- zunehmen. Die Bedeutung von ausgewogenen Kampf- denken. Die Ukraine-Krise hat alle von uns geliebten gruppen, die in der Lage sind, den Kampf der verbun- Projekte schwer angeschlagen: Der OSZE-Prozess, die denen Waffen zu führen und über ihre eigene Logistik Helsinki-Akte, Russland hat alle Auflagen punkto Rüs- verfügen, wurde unterstrichen. tungskontrollen missachtet, ebenso das Minsker Ab- kommen. Das will nicht heissen, dass wir diese Inst- Umgekehrt hat Elon Musk kurz nach der Invasion rumente aufgeben sollten, aber wir werden sie ohne seine Firma Space-X angewiesen, das beschädigte Inter- Russland verfolgen müssen. Henry Kissinger hat die net der Ukraine durch Starlink-Stationen aus dem All Diplomatie als das Werkzeug bezeichnet, die Prioritä- wieder zu reparieren. Ein Novum, das eine vertiefte ten eines Landes zu definieren. Putins Blutbad in der Analyse verdient. Das Ringen am Boden wird auch zei- Ukraine zwingt uns, unsere Prioritäten zu verändern. gen, ob weiter stark gepanzerte Verbände das Schlacht- Die Fähigkeit, nicht erpressbar zu werden, gewinnt feld beherrschen oder ob diese durch Infanterie mit an Bedeutung. modernsten panzerbrechenden Waffen und schulter- gestützten Flabraketen effektiv nicht nur gestoppt, sondern auch in Gegenangriffen geschlagen werden können. Der Kampf in stark überbauten, urbanen Ge- biet bringt neue Erkenntnisse (Für die Schweiz beson- «Die Fähigkeit, nicht erpressbar zu ders wichtig: auch für die Frage, wie die Genfer Rot- kreuz-Konventionen modifiziert oder ergänzt werden werden, gewinnt an Bedeutung.» sollten, um die Zivilbevölkerung besser zu schützen). Der Konflikt ist für unsere Einschätzung des Kriegs- bildes wichtig. Fünftens: Die Verteidigungsfähigkeiten – auch Siebtens: Die klassische Neutralitätspolitik der der Schweiz – stärken. Wir müssen uns «wärmer Schweiz hat ausgedient. Die Staatengemeinschaft anziehen». Der Westen muss wieder eine glaubwür- ist nicht bereit, Konzepte wie den «Courant normal» dige Verteidigungsfähigkeit aufbauen. Das trifft be- weiter zu tolerieren. Es wird von uns erwartet, echte sonders für Europa zu, gerade auch für die Schweiz. und sehr konkrete Beiträge zur Lösung der uns bedrän- Der Rückzug der F-35-Initiative und das Streichen der genden Probleme zu leisten. So hat die autonome Über- GSoA-Passage im Parteiprogramm der SP sind über- nahme der EU-Sanktionen gegen Russland internatio- fällig. Die Streitkräfte müssen polyvalenter werden. nal ein sehr positives Echo ausgelöst und den Druck Eine Generalmobilmachung wie im Zweiten Weltkrieg auf Putin deutlich erhöht. Neutralität muss als Ver- ist unwahrscheinlich. Die Armee muss aber jederzeit zicht darauf verstanden werden, einer Konfliktpartei eine oder mehrere massgeschneiderte Task Forces mi- militärisch beizustehen. Sie kann aber nicht bedeuten, litärischer oder zivil-militärischer Natur mobilisieren dass wir die Werte verraten, für die unser Land steht. können, die dem Staat als Schwerpunktmittel zur Be- Wir werden während unserer UNO-Sicherheitsratsmit- kämpfung von spezifischen Krisen dienen können (Ver- gliedschaft nicht daran gemessen, ob wir brav sind, teidigung, Katastrophenhilfe, Empfang von Flüchtlin- sondern was wir konkret für den Frieden tun. gen und Grenzsicherung, Bio-Sicherheit/Pandemien, andere subsidiäre Einsätze). Europa kann es sich nicht Dazu gehört nicht nur unsere Disponibilität für Gute länger leisten, erpressbar zu sein, bzw. letztlich von Dienste, sondern zwingend auch unsere Bereitschaft, den USA abhängig zu sein. Die anstehenden Wahlen aktiv nach Optionen zu suchen, die zur Entspannung in den USA belegen, an welch seidenem Faden die Ko- beitragen und gleichzeitig unseren Interessen und häsion der westlichen Welt hängt. Wir müssen unsere Möglichkeiten entsprechen. Wir haben ein Interesse,
stratos digital #11 Forum – Russischer Überfall auf die Ukraine: Putins brandgefährliches Finale? 18. März 2022 8 www.armee.ch/stratos im Viereck USA-China-Russland-EU formelle und in- gehalten, über neue Formen der Guten Dienste nach- formelle Gesprächskanäle zu eröffnen, die mögliche zudenken, die unsere Welt in raschem Wandel benö- Kooperationsbereiche identifizieren und diese gezielt tigt. Das internationale Genf mit seiner weltweit füh- entwickeln. Die Palette von Möglichkeiten ist breit. Sie renden Konzentration an Wissen – von der WHO über reicht von Track 1-Gesprächen (informelle Treffen der die Weltmeteorologische Organisation bis zum CERN Entscheidträger) bis Track 2-Gesprächen (Regierungs- – ist in dieser Hinsicht ein unschätzbarer Trumpf. Das spezialisten) bis zu verschiedenen anderen Formen gleiche trifft für die Maison de la Paix in Genf, die ETH gegenseitigen Abtastens. Denkbar sind etwa thema- in Zürich und die EPF Lausanne zu. Die Schweiz muss tische Mittagessen auf Botschafterebene in Genf und ihr Wissen nur mobilisieren – und sich aus den en- New York über Bereiche, wo zur Lösung eine interna- gen, restriktiven Bahnen des Neutralitätsdenkens des tionale, multidisziplinäre Kooperation nötig ist. Die 19. Jahrhunderts lösen. Schweiz sollte aktiv abklären, wo multilaterale Zusam- menarbeit noch möglich ist, bzw. welche Entwicklun- Achtens: Mit Putin wird kein Weiterkommen sein. gen eine multilaterale Kooperation erzwingen. Aus Seit dem Einmarsch wirkt er täglich aufgedunsener, diesen informellen Kontakten sollte idealerweise ein erschöpfter. Er suggeriert mit seinen theatralischen Gewebe von Kooperationsbaustellen entstehen, die ein Inszenierungen (Nationaler Sicherheitsrat, Flugperso- vollständiges Abstürzen der gegenseitigen Beziehun- nal), dass er alles vollumfänglich unter Kontrolle hat. gen unter den grossen Vier verhindern. Zu unserem Das ist stark zu bezweifeln. Er dürfte weitgehend be- Angebot sollte gerade auch die Simulation der Zusam- ratungsresistent sein. Der Kreis der Vertrauten um ihn menarbeitsmöglichkeiten im Falle gravierender Natur- herum hat stark abgenommen. Es sind vorwiegend Ereignisse (Ausbruch eines Supervulkans; Sonnenerup- alte Kumpane aus seinen KGB-Zeiten (was insbeson- tionen, die die Erde mit elektromagnetischen Stahlen dere den Streitkräften sauer aufstösst). Wie bei den treffen; grosser Asteroid, der auf Kollisionskurs mit der meisten Diktaturen schrumpft die Qualität des Bera- Erde ist; wie einem Pandemie-Risiko begegnen, das von terstabes schnell. Kritische Expertise wird durch nutz- einem besonders gefährlichen Erreger ausgeht – wie lose Ja-Sagerei ersetzt. Putin steckt seit dem Ausbruch z.B. von einem luftübertragbaren Ebola-Erreger). Diese der Corona-Pandemie weitgehend in seinen Bunkern, Simulationen eignen sich nicht nur, um den Dialog am trifft niemanden. Da nichts von seinen Auftritten dem Leben zu erhalten, sondern retten konkret tausende Zufall überlassen bleibt, geben die Bilder, die er evo- von Leben, wenn eine solche Katastrophe eines Tages ziert, besonders zu denken: Etwa der Schreibtisch mit eintreten würde. Wesentlich ist, gerade in diesen Be- einer ganzen Batterie veralteter analoger Telefone im reichen den Gesprächsfaden nicht abreissen zu lassen. Hintergrund. Er scheint nicht zu bemerken, dass das Wir müssen uns von den traditionellen Guten Diens- Bild Abgeschottetheit und Rückständigkeit vermittelt. ten als Paradebeispiel lösen. Die Interessenvertretung Auch viele seiner Handlungen vermitteln nicht den gehört ins Kapitel des Nationalstaates. Dieses wird je- Eindruck eines Mannes, der die Lage im Griff hat. Be- doch von der Globalisierung überholt. Wir sind daher sonders die Drohung mit der Atombombe und die Ab- setzung von acht Generälen wegen Unfähigkeit und zweier hoher Beamter des Geheimdienstes zwei Wo- chen nach Kriegsbeginn sandten ganz andere Signale an die Welt als Putin beabsichtigt hatte. Er sieht aus «Neutralität muss als Verzicht darauf wie ein Mann, der alles auf eine Karte gesetzt hat und verstanden werden, einer Konflikt sich verzweifelt gegen die Erkenntnis sträubt, dass er partei militärisch beizustehen. Sie verloren haben könnte. Er gibt die Schuld anderen, er kann aber nicht bedeuten, dass wir ist zur Selbstkritik nicht fähig. Man muss aber noch weiterdenken. Es ist fraglich, ob er zur kühlen Ana- die Werte verraten, für die unser Land lyse fähig ist, was im Ukraine-Feldzug schieflief. Es steht.» besteht vielmehr die Gefahr, dass er dieselben Fehler erneut macht – mit den baltischen Staaten oder Polen als Ziel. Er dürfte die Ukrainekrise politisch auf Dauer nicht überleben.
stratos digital #11 Forum – Russischer Überfall auf die Ukraine: Putins brandgefährliches Finale? 18. März 2022 9 www.armee.ch/stratos Er mag Kiew einnehmen und die dortige Regierung dieser Frage der Konsens der ersten Stunde verloren stürzen, aber er kann nicht die Ukraine unterwerfen. geht. Das IKRK rechnet mit mehr als 10 Millionen Flüchtlin- gen. Diese Diaspora enthält ein gewaltiges Konflikt- In seiner Anfangsphase hat der Krieg den Westen ge- potential, sollte die russische Eroberung von einem eint. Trumps Aktien etwa begannen, in den Keller zu Guerillakrieg gefolgt werden. Je brutaler der Feldzug fallen. Ob diese Einmütigkeit ein Abkommen zur Been- und je länger die Ukraine Widerstand leistet, desto digung der Feindseligkeiten überlebt, steht auf einem kostspieliger wird Putins Abenteuer; im wachsenden anderen Blatt geschrieben. Die Antwort hat entschei- Berg von Toten, im Schwinden seiner Ressourcen, in denden Einfluss auf die Frage, wie Putins Flucht nach sich stetig noch weiter verschärfenden Sanktionen vorn von der russischen Seite bewertet wird. und einer internationalen Isolierung, bzw. in einer zu- nehmenden Abhängigkeit von China. Die Streitkräfte, Offen bleibt auch der Einfluss auf das chinesisch-rus- für die Putin ein Tschekist (Geheimdienstler) ist, wer- sische Verhältnis: Sieht Xi Putins Gewaltexplosion als den sich nicht aufreiben lassen. Sie dürften auch ein- einmaligen Versuch zu einem Befreiungsschlag aus schreiten, sollte er die nukleare Schwelle überschrei- dem drohenden langsamen Bedeutungsverlust Russ- ten wollen (wie dies die amerikanischen Militärs in der lands? Oder sieht China Moskau jetzt als «loose cannon Endphase von Trumps Präsidentschaft taten). Die Sank- on board», die jederzeit erneut loszubrechen fähig ist? tionen werden zunehmend schmerzen. Das Risiko Geht die Reduktion Putins, wenn er denn überlebt, zu eines offenen Krieges mit der NATO bleibt hoch. Olig- Xis Pudel schneller voran? archen und Bevölkerung werden dies nur beschränkt hinnehmen. Putin hat sich in eine Sackgasse manöv- riert, aus der er kaum mehr herausfinden dürfte. Das russische Ukraine-Abenteuer ist sehr wahrscheinlich nicht nur ein weltpolitischer, sondern auch ein russi- scher Wendepunkt. «Wir sind nicht länger nur von Freun den umgeben. Einige der Akteure in Mögliche Verhandlungspositionen unserem Umfeld wollen uns übel. Wir Die unmit- telbare Zukunft hängt stark davon ab, ob es Putin ge- müssen die Mittel, gerade auch die lingt, die Bilanz seiner kurzsichtigen Aktion zu opti- militärischen Mittel beschaffen, um es mieren. Dies spräche für einen Verhandlungsfrieden, jederzeit mit ihnen aufnehmen zu unter dem die Ukraine die Krim und die beiden Volks- können.» republiken des Donezk an Russland abtreten und die immerwährende Neutralität in ihre Verfassung schrei- ben würde. Die Ukraine dürfte im Gegenzug das Recht auf die Mitgliedschaft in der EU fordern und keinerlei Rüstungskontrollauflagen (ausserhalb des Bereiches Schlussbemerkungen der Massenvernichtungswaffen) akzeptieren. Das mag Die Zukunft bleibt weit mehr sein, als Putin zuzugestehen bereit ist. Viel hinge offen. Klar ist jedoch, dass dem Westen nur Einheit, davon ab, ob sich die Parteien auf einen Waffenstill- Wachsamkeit und Abwehrbereitschaft helfen werden. stand einigen können, oder ob unter dem Leid eines Wir sind nicht länger nur von Freunden umgeben. Ei- erbitterten Häuserkampfes verhandelt wird. Je grös- nige der Akteure in unserem Umfeld wollen uns übel. ser die Zahl der Opfer, umso schwieriger wird es sein, Wir müssen die Mittel, gerade auch die militärischen einen Kompromiss zu finden. Und: Putin braucht nicht Mittel beschaffen, um es jederzeit mit ihnen aufneh- einen Kompromiss, sondern muss zu Hause einen Sieg men zu können. verkünden können. Ebenso offen ist, was der Westen als Bedingung für die Aufhebung seiner Sanktionen verlangen wird – und ob er verhindern kann, dass in
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