Rüstung vor Richtlinien: Machtpolitik und Rüstungsexporte der Europäischen Union - Europäische Studien zur Außen- und Friedenspolitik ...
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Jürgen Wagner Rüstung vor Richtlinien: Machtpolitik und Rüstungsexporte der Europäischen Union Europäische Studien zur Außen- und Friedenspolitik herausgegeben von Ö̈ zlem Alev Demirel MdEP Nr. 2 / 2020
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1. Europas Rüstungsexporte – ein kritischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.1 Europa als Exportvizeweltmeister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.2 Öl ins Feuer: Waffen, Krisen, Kriege. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2. Rüstungskonzerne, Lobby und Profit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.1 Geld im Überfluss. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.2 Lobby und Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 3. Rüstungsexporte: Die machtpolitische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3.1 Weltmachtanspruch und Rüstungsbasis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3.2 Ohne Exporte, keine Rüstungsindustrie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 4. Exportrichtlinien: Zahnloser EU-Standpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 4.1 EU-Richtlinien: Im Ermessen der Mitgliedsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 4.2 Berichtswesen: Fehlende Transparenz – geringe Aussagekraft . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 4.3 Richtlinien-Neufassung: „Kosmetischer Natur“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 4.4 Exportkontrolle vs. Industrieförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 5. PESCO, EVF, EFF: Der drohende Rüstungsexportboom . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 5.1 PESCO und EVF: Subventionierte Wettbewerbsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 5.2 Großprojekte für den Export: RPAS –MGCS – FCAS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 6. Aachener Vertrag: Blankoscheck für Rüstungsexporte . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 6.1 Aachener-Vertrag: Deutsch-französische Rüstungsachse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 6.2 De-minimis und die Aushebelung der Rüstungsexportrichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . 29 7. Verbesserungsoptionen und Rückschritte im EU-Parlamentsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 7.1 Parlamentsbericht stellt Weichen Richtung Rüstung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 7.2 Verbesserungsoptionen: Schließung der Scheunentore . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 7.3 Vorfahrt für Interessen: Ein Problem der Prioritäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 8. Rüstungskonversion statt Rüstungsproduktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3
RÜSTUNG VOR RICHTLINIEN: MACHTPOLITIK UND RÜSTUNGSEXPORTE DER EUROPÄISCHEN UNION Vorwort J ahr um Jahr erreichen die Waffenausfuhren neue Spit- zenwerte und die Europäische Union behauptet in der Rangliste der weltweiten Rüstungsexporteure hinter den USA, aber noch vor Russland den zweiten Platz. Ein Hauptverantwortlicher hierfür ist Frankreich, das nach An- gaben des Stockholmer Friedensforschungsinstitutes SIPRI seine Rüstungsexporte in den letzten Jahren um unglaubliche 72 Prozent gesteigert hat. Aber auch die deutschen Export- genehmigungen haben im vorigen Jahr mit rund 8 Mrd. Euro ein Allzeithoch erreicht. Augenscheinlich sind die europäi- schen Rüstungsexportrichtlinien doch nicht so streng, wie von interessierten Kreisen gerne beklagt wird. Wie sonst hät- ten die EU-Staaten in den letzten zwanzig Jahren Waffen im Wert von über 17,9 Mrd. Euro nach Saudi-Arabien, von 11,1 Mrd. Euro in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und von 4,8 Mrd. Mrd. Euro an die Türkei liefern können, um nur einige Beispiele zu nennen. Immer wieder tauchen dabei europäische Waffen in Kri- Aus Sicht von Politik, sengebieten auf und werden dort auch eingesetzt. So förderte das Investigativprojekt #FrenchArms zutage, dass Frankreich Militär und Industrie 2015 24 Rafale-Kampfjets an Ägypten verkaufte – mindestens sind die eines davon flog auch Angriffe in Libyen. Frankreich ist auch ein Hauptlieferant der Vereinigten Arabischen Emirate, ein Rüstungsexporte in Land, das nach Angaben der Vereinten Nationen im libyschen Bürgerkrieg die Seite von Kahlifa Haftar mit Waffen beliefert Deutschland und und dadurch systematisch das UN-Embargo verletzt. Auch deutsches Gerät kommt auf der Seite Haftars zum Europa eine regelrechte Einsatz, so verwendet seine Armee Luftabwehrsysteme, die auf Militärtrucks von MAN transportiert werden, die mit ho- Erfolgsgeschichte. her Wahrscheinlichkeit ebenfalls über den VAE-Umweg ins Land gelangt sind. Durch Recherchen von #GermanArms Als wichtige Lieferanten der türkischen Regierung sind wurde außerdem zutage gefördert, dass in Deutschland ge- Deutschland und Frankreich zudem auch mit dafür verant- fertigte Waffenteile im Jemen-Krieg von Saudi-Arabien und wortlich, dass über die Türkei auch Waffen an die interna- auch den Vereinigten Arabischen Emiraten eingesetzt werden. tional anerkannte Sarradsch-Regierung in Libyen geliefert Ein weiteres Land, bei dem die fatalen Auswirkungen deut- werden. scher Rüstungsexporte schonungslos vor Augen geführt wer- Dies alles ist auch möglich, weil die dem Wortlaut nach den, ist die Türkei. So wurden zwischen 2006 und 2011 eigentlich recht strengen europäischen Rüstungskontroll- insgesamt 354 Leopard-2-Panzer geliefert, ohne dass dabei richtlinien bei näherer Betrachtung löchrig wie ein Fischer- Auflagen für deren Einsatz gemacht worden wären. Dieser netz sind. Auch ihre Aktualisierung im Herbst vorigen Jahres Panzertyp war unter anderem bei der türkischen Offensive brachte hier keine nennenswerten Verbesserungen – der in Nordsyrien zur Bekämpfung kurdischer Kräfte zum Ein- Standpunkt klingt zwar gut, erweist sich in der Praxis aber satz. als zahnloser Tiger. Was fehlt sind vor allem unabhängige 4
RÜSTUNG VOR RICHTLINIEN: MACHTPOLITIK UND RÜSTUNGSEXPORTE DER EUROPÄISCHEN UNION Überwachungsmechanismen, ob die EU-Exportrichtlinien licher Bedeutung sind, wenn es darum geht, die industrielle verletzt werden. Und vor allem fehlen Sanktionsmöglichkeiten und technologische Basis der europäischen Verteidigungs- gegen EU-Mitgliedstaaten, die notorisch gegen besagte Richt- industrie zu stärken“ oder es wird eine „positive Rolle“ der linien verstoßen, eine Forderung, die schon seit Jahren von „bi- oder multilateralen Zusammenarbeit“ in Rüstungsfragen der Linksfraktion Gue/Ngl erhoben wird. postuliert. Dass die EU-Staaten hieran aktuell aber nicht im Traum Durch diese Befürwortung europäischer Rüstungskoope- denken, ist umso schlimmer, da künftig mit einem weiteren rationsprojekte verkommen alle Aussagen, sich für einen Anstieg der Exporte zu rechnen sein wird: Unter deutsch- restriktiven Umgang mit Rüstungsexporten einsetzen zu wol- französischer Führung wird versucht, möglichst viele län- len, zu bloßen Lippenbekenntnissen. Einmal mehr wird hier derübergreifende Rüstungsprojekte auf den Weg zu bringen, Politik am Willen der Mehrheit der Bevölkerung vorbei be- mit denen – subventioniert durch einen Europäischen Ver- trieben, so ergab Anfang des Jahres eine von Greenpeace in teidigungsfonds – die Weltexportmärkte aufgerollt werden Auftrag gegebenen repräsentativen Befragung, dass 70 Pro- sollen. Als Ziel wird eine „Strategische Autonomie“ ausgege- zent der deutschen Bevölkerung der Auffassung ist, Deutsch- ben, für die eine starke rüstungsindustrielle Basis und damit land solle keine Waffen mehr an Krieg führende Staaten, in der hemmungslose Waffenexport als zwingend notwendig Krisengebiete sowie in Länder außerhalb der EU liefern. erachtet werden. Mit Deutschland und Frankreich unter- Weniger aufgrund der – volkswirtschaftlich eher ver- minieren dabei ausgerechnet die beiden wichtigsten Antreiber nachlässigbaren – Interessen der Rüstungsindustrie, sondern des EU-Militarisierungsprozesses und die beiden „erfolg- vor allem aufgrund machtpolitischer Erwägungen wird die reichsten“ EU-Waffenexporteure systematisch Versuche, auf Politik wohl aber weiter alles daransetzen, dem Export von europäischer Ebene zu einem Rüstungsexportkontrollsystem Waffen Tür und Tor zu öffnen. Um die fatalen Folgen von zu gelangen, das diesen Namen auch verdient. Rüstungsexporten abmildern zu können, wird es deshalb Als zentrale Bausteine für eine eigenständigen europäi- zwingend notwendig sein, dass von zivilgesellschaftlicher sche Großmachtrolle gelten vor allem die wichtigsten aktuel- Seite mehr Druck in dieser Angelegenheit entwickelt wird. len Großprojekte, die Eurodrohne (MALE RPAS), der Der Widerstand italienischer und französischer Hafenarbei- Kampfpanzer (MGCS) und das Kampfflugzeug (FCAS), die ter, die sich weigerten Waffen für den Jemen-Krieg zu ver- aber allesamt ohne Exporte überhaupt nicht realisierbar wä- frachten, oder die umfassenden Proteste gegen den ren. Mit dem deutsch-französischen Aachener-Vertrag wurde Rüstungskonzern Rheinmetall in Deutschland, könnten hier deshalb die Grundlage für den nahezu problemlosen Export als Vorbilder dienen! solcher Rüstungskooperationsprojekte geschaffen und da- durch die – vergleichsweise – strengen deutschen Export- richtlinien auf problematische Weise ausgehöhlt. Gerade deshalb wäre es zwingend erforderlich, die euro- päischen Rüstungsexportrichtlinien zu verschärfen und in vergangenen Jahren hatte das Europäische Parlament in sei- Özlem Alev Demirel, MdEP nen Entschließungen in diesem Zusammenhang eine relativ kritische Haltung eingenommen. Leider wurden in der jüngs- ten Entschließung, die am 17. September vom Europäischen Parlament verabschiedet wurde, viele problematische Aspekte neu aufgenommen. Plötzlich sind in der Entschließung, die auf Grundlage eines unter der Federführung einer Grünen Europaabgeordneten verfassten Berichts verabschiedet wur- de, Dinge zu lesen wie, dass „Rüstungsexporte von wesent- 5
RÜSTUNG VOR RICHTLINIEN: MACHTPOLITIK UND RÜSTUNGSEXPORTE DER EUROPÄISCHEN UNION Einleitung D ie Europäische Union rühmt sich ihrer strengen Weltmacht Europa auch auf ein schlagkräftiges Militär stüt- Rüstungsexportrichtlinien, die dem Verkauf von zen zu müssen, das zwingend einer eigenständigen und ohne Waffen zusätzlich zu den ohnehin existierenden na- Exporte nicht lebensfähigen rüstungsindustriellen Basis be- tionalstaatlichen Mechanismen enge Grenzen auferlegen dürfe, entpuppt sich hier als Wurzel allen Übels (Kapitel 3). würden. Diese Darstellung kollidiert allerdings mit der Rea- Aufgrund des politischen Interesses an steigenden Waf- lität: Seit Jahren steigende Rüstungsexporte landen in im- fenexporten sind die europäischen Exportrichtlinien auch mer mehr Krisengebieten, heizen Konflikte an und verursa- bewusst löchrig gehalten. Das Hauptproblem besteht darin, chen vieltausenfaches Leid. Auch das Europäische Parlament dass die Staaten die Exportrichtlinien so auslegen können, kritisierte 2018 in einer Entschließung, dass die „Ausfuhr wie es ihren jeweiligen Interessen entgegenkommt. Das und Verbringung von Waffen eine unbestreitbare Auswir- mangelhafte Berichtswesen sowie die fehlenden Sanktions- kung auf die Menschenrechte und die Sicherheit von Men- möglichkeiten gegen Staaten, die ganz offensichtlich gegen schen, die sozioökonomische Entwicklung und die Demo- die EU-Exportrichtlinien verstoßen, tragen ebenfalls einen kratie haben; […], dass mit Waffenausfuhren auch zur wichtigen Teil zu der unbefriedigenden Situation bei. Auch Schaffung von Umständen beigetragen wird, die Menschen die im September 2019 abgeschlossene Überprüfung des zur Flucht aus ihren Heimatländern zwingen, und dass es Gemeinsamen Standpunkts brachte kaum Verbesserungen, Gründe gibt, ein striktes, transparentes, wirksames und all- insbesondere nicht in den besonders neuralgischen Berei- gemein anerkanntes und festgelegtes Waffenkontrollsystem chen (Kapitel 4). einzuführen.“1 Dies ist umso misslicher, da aufgrund einer Reihe – Paradoxerweise verstößt ein Großteil der europäischen maßgeblich von Deutschland und Frankreich lancierter – Waffenexporte gegen die dem Wortlaut nach eigentlich re- Initiativen mit einem weiteren deutlichen Anstieg der Ex- lativ engmaschigen EU-Rüstungsexportrichtlinien. Obwohl porttätigkeiten zu rechnen ist. Hervorzuheben sind hier ins- sie rechtlich verbindlich im „Gemeinsamen Standpunkt be- besondere die „Europäische Friedensfazilität“ (engl. EPF) treffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr sowie die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (engl. von Militärtechnologie und Militärgütern“ (im Folgenden PESCO) und der „Europäische Verteidigungsfonds“ (engl. „Gemeinsamer Standpunkt“) festgehalten sind, ist es also EDF). Insbesondere die letzten beiden Instrumente sollen augenscheinlich möglich diese zu umgehen. Die Fragen, erklärtermaßen die „Wettbewerbsfähigkeit“ der europäi- welche Schlupflöcher – oder besser: Scheunentore – hierfür schen Rüstungsindustrie „verbessern“ – und damit ihre Ex- verantwortlich sind und welche ökonomischen und macht- portchancen und Weltmarktanteile erhöhen. Vor allem die politischen Interessen dahinterstecken, stehen im Zentrum Anbahnung künftiger länderübergreifender Rüstungsgroß- dieser Broschüre. In den Worten des Friedensforschers Her- projekte steht dabei ganz oben auf der Agenda. Dement- bert Wulf geht es also um die Beantwortung folgender Fra- sprechend düster fällt die Prognose der „Gemeinsamen Kon- gen: „Die anhaltenden Kriege und gewaltsamen Konflikte ferenz Kirche und Entwicklung“ (GKKE) aus: „Angesichts im Nahen und Mittleren Osten sind kompliziert und mit- von EPF, der Ausrichtung des EDF und von PESCO sowie einander verbunden. […] Es ist eine komplexe Gemengelage, der Umdefinition von Frieden und Sicherheit im Sinne einer in der europäische Länder vor allem mit Rüstungsexporten militärgestützten Sicherheitspolitik, erscheint für die Zeit aktiv sind. […] Wieso liefern EU-Länder ungeniert in diese bis 2027 eine deutliche Zunahme der Rüstungsexporte aus Kriegs- und Konfliktregion? Was sind die EU-Rüstungs- der EU wahrscheinlich.“3 (Kapitel 5). exportregularien wert, wenn sie derart missachtet werden?“2 Neben diesen EU-Initiativen sticht vor allem der bilate- Am Anfang steht aus diesem Grund eine Art Bestands- rale „Aachener-Vertrag“ vom Januar 2019 hervor, mit dem aufnahme, die einen Überblick über die Entwicklungen der Deutschland und Frankreich versuchen, ihre Führungsrolle Rüstungsexporte in der Europäischen Union und speziell in der europäischen Rüstungspolitik zu festigen. Dazu gehört Deutschlands und Frankreichs liefern soll (Kapitel 1). Da auch ein mehrere Monate später abgeschlossenes Zusatz- sich dabei das ohnehin vorhandene Bauchgefühl bestätigt, abkommen, das eine Umgehung der – zumindest vergleichs- dass es mit der Einhaltung der Rüstungsexportrichtlinien weise –strengen deutschen Exportrichtlinien im Falle eu- nicht sonderlich genau genommen wird, wirft dies die Frage ropäischer Rüstungskooperationsprojekte massiv der dahinterstehenden Interessen auf, der im Anschluss da- vereinfachen soll (Kapitel 6). ran nachgegangen wird. Dabei spielt natürlich die Profitgier Vor diesem Hintergrund wäre es dringend nötig, die EU- der in Sachen Lobbyismus „gut“ aufgestellten Rüstungs- Exportrichtlinien engmaschiger und verbindlicher zu ge- unternehmen eine Rolle, die allerdings nicht überschätzt stalten. In den vergangenen Jahren hat das Europäische werden sollte (Kapitel 2). Viel wichtiger sind machtpolitische Parlament in dieser Hinsicht eine durchaus positive Rolle Interessen, die für den Anstieg der Rüstungsexporte in Haf- gespielt und in verschiedenen Entschließungen eine Reihe tung zu nehmen sind. Der fest verankerte Glaube, sich als von Verbesserungen angemahnt. Doch leider stellt der 6
RÜSTUNG VOR RICHTLINIEN: MACHTPOLITIK UND RÜSTUNGSEXPORTE DER EUROPÄISCHEN UNION jüngste im September 2020 verabschiedete Parlamentsent- schließung einen Rückschritt dar, da sie wieder deutlich in- dustriefreundlichere Töne als ihre Vorgänger anschlägt. Dass das Parlament hier von seinem bisherigen kritischen Kurs tendenziell abrückt, ist angesichts des absehbaren weiteren Anstiegs der Rüstungsexporte besonders bedauerlich, wes- halb auch weitergehende Verbesserungsvorschläge unter- breitet werden (Kapitel 7). So richtig es allerdings ist, möglichst strenge Rüstungs- exportrichtlinien einzufordern, so wesentlich ist es, dass Problem der Waffenexporte bei der machtpolitischen Wurzel zu packen. Ohne eine Abkehr von den militärisch unterfüt- terten Weltmachtansprüchen werden Rüstungsexporte wei- ter politisch gewollt bleiben und damit weiterhin Schaden in aller Welt anrichten. Mit einem solchen Verzicht könnte auch auf die Existenz – und die massive Subventionierung – der Rüstungsindustrie verzichtet werden. Der Weg für eine Umstellung der Produktionskapazitäten auf die Her- stellung ziviler Güter wäre frei – sofern denn der politische Wille hierzu vorhanden wäre. Denn am Ende sollte man sich nichts vormachen: Solange eine Rüstungsindustrie existiert, werden ihre Produkte auch ihren Weg ins Ausland finden. Wer also ernsthaft den Export von Waffen spürbar zurück- drängen möchte, muss sich auch für die Konversion der Rüs- tungsindustrie einsetzen und damit allen Plänen für eine militärisch unterfütterte Weltmacht Europa eine Absage er- teilen (Kapitel 8). 1 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. November 2018 zu Waffenexporten und der Umsetzung des Gemeinsamen Standpunkts 2008/944/GASP (2018/2157(INI)), Absatz B. 2 Wulf, Herbert: Das Geschäft mit der Rüstung. Warum Europa aufhören sollte, Waffen in den Mittleren und Nahen Osten zu lie- fern, Internationale Politik und Gesellschaft, 02.05.2019. 3 Rüstungsexportbericht 2019 der GKKE, Schriftenreihe der GKKE 67, S. 79. 11 EU-Topexporteure Platz auf der SIPRI-Rangliste im Niederlande 4 Deutschland Zeitraum 2015 bis 2019. Quelle: Wezeman, Pieter u.a.: Trends in International Arms 3 Transfers, 2019, SIPRI, März 2020.. Frankreich 9 7 Spanien Italien 7
RÜSTUNG VOR RICHTLINIEN: MACHTPOLITIK UND RÜSTUNGSEXPORTE DER EUROPÄISCHEN UNION 1. Europas Rüstungsexporte – ein kritischer Überblick J ede ernsthafte Debatte über Sinn bzw. Unsinn euro- bis 2008 ein Wert der durchschnittlich im Jahr exportierten päischer Rüstungsexporte kommt um eine kritische Waffen von 7 Mrd. Euro. Dieser Betrag verdoppelte sich in Bestandsaufnahme des Ist-Standes nicht herum, die den folgenden zehn Jahren von 2009 bis 2018 nahezu auf Gegenstand des folgenden Kapitels ist. Dabei offenbaren die 13,9 Mrd. Euro (siehe Tabelle). Daten nicht nur einen problematischen Anstieg der absoluten Zahlen – vor allem auch die vielen Länder und Konfliktgebie- Dass im Übrigen die Rüstungsindustrie selbst für das te, in die europäische Waffen gelangen, obwohl sie dies beim Jahr 2018 einen Exportumsatz von 35 Mrd. statt der von besten Willen nicht tun sollten, ist erschreckend. den Einzelstaaten gegenüber der EU offiziell gemeldeten 17,7 Mrd. Euro angibt, offenbart eines der Probleme des willkür- 1.1 Europa als Exportvizeweltmeister lichen Berichtswesens in diesem Bereich (siehe dazu Kapitel 4). Dennoch erlauben die EU-Zahlen eine gewisse Vergleich- Als das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI im barkeit, aus der sich ein Trend ableiten lässt – und dieser März 2020 seine aktuellsten Zahlen veröffentlichte, waren Trend ist eindeutig: er zeigt steil nach oben in Richtung zu- diese einmal mehr ernüchternd: Gegenüber dem Zeitraum nehmender Waffenexporte. von 2009 bis 2014 sind die Weltrüstungsexporte zwischen 2015 und 2019 um 5,5 Prozent gestiegen.1 Die Länder der Frankreich ist hierfür wesentlich verantwortlich: Es belegt Europäischen Union sind hierfür maßgeblich mitverantwort- im SIPRI-Ranking Platz drei und steigerte seinen Anteil am lich, belegen sie doch mit einem Anteil von 26% hinter den globalen Waffenexportmarkt in den Jahren von 2015 bis USA (36%) aber noch vor Russland Platz zwei der Weltrüs- 2019 um 72% auf 7,9% gegenüber dem vorherigen Fünfjah- tungsexporteure.2 reszeitraum.3 Mit hörbarem Stolz kommentierte die in derlei Dingen wenig verschüchterte französische Verteidigungs- ministerin angesichts des jüngsten Rüstungsexportberichts EU-Rüstungsexporte die diesbezüglichen „Erfolge“ mit den Worten: „Das ist eine (in Mrd. Euro) erneute Bestätigung, dass Frankreichs Lieferung von Mili- tärgütern eine bekannte und anerkannte Weltreferenz ist: 2018 17,7 2008 8,4 Die Exporte werden sich 2019 auf 8,33 Milliarden Euro be- 2017 19,0 2007 10,3 laufen. Auf Kunden in der Europäischen Union entfielen 42% der Bestellungen, die von unseren Herstellern entgegen- 2016 19,3 2006 9,6 genommen wurden (und fast 45% einschließlich anderer eu- 2015 17,0 2005 8,8 ropäischer Länder außerhalb Französische 2014 14,0 2004 10,1 der EU).“4 Rüstungsexporte 2013 14,0 2003 3,3 Keinen Deut besser ist es 2019 8,330 2012 11,1 2002 3,4 hier um Deutschland bestellt 2018 6,880 – so zeugt der aktuelle Rüs- 2017 6,635 2011 10,6 2001 7,2 tungsexportbericht der Bun- desregierung von einem 2016 6,955 2010 8,7 2000 7,7 trauriger Rekord, wobei zudem 2015 6,060 2009 10,1 1999 1,9 die allgemeine Tendenz auch 2014 3,846 hier nach oben zeigt: „Im Jahr Ø2009-2018 €13,9 Mrd. Ø1999-2008 €7 Mrd. 2019 wurden in Deutschland 2013 3,694 Quelle: Datenbank des „European Network Against Arms Trade“ insgesamt 11.479 Einzelanträge 2012 3,344 (ENAAT)und eigene Berechnungen. für die endgültige Ausfuhr von 2011 3,647 Rüstungsgütern genehmigt Dabei ist ein nahezu kontinuierlicher Anstieg zu verzeich- (2018: 11.142). Der Gesamt- 2010 3,703 nen, wie ein Blick in die Datenbank des „European Network wert dieser Genehmigungen, Quellen: ENAAT-Datenbank und Against Arms Trade“ (ENAAT) offenbart, die auf den offiziell nicht der tatsächlichen Expor- französischer Rüstungsexportbericht gegenüber der Europäischen Union gemeldeten Zahlen ba- te, betrug rund 8,015 Mrd. € (in Mrd. Euro). siert. Aus diesen Zahlen errechnet sich für die Jahre 1999 (2018: 4,824 Mrd. €).“5 8
RÜSTUNG VOR RICHTLINIEN: MACHTPOLITIK UND RÜSTUNGSEXPORTE DER EUROPÄISCHEN UNION Deutsche Waffenkonzerne auf der Eurosatory, 16.06.2010 1.2 Öl ins Feuer: Waffen, Krisen, Kriege Im Vorwort einer im März 2020 erschienenen Studie über diese Exporte kritisierte der Greenpeace-Abrüstungs- Es liegt auf der Hand, dass Rüstungsexporte nicht mit dem experte Alexander Lurz, dass „systematisch Waffenexporte Handel mit „normalen“ Gütern vergleichbar sind. Dabei ist an Länder und Regionen genehmigt [werden], wo sie […] auch die Lieferung von Kriegsgütern innerhalb von NATO niemals hätten hingelangen dürfen.“ Und weiter: „Vom My- und EU oder an ihnen gleichgestellte Länder6 keineswegs thos der angeblich zurückhaltenden und verantwortungs- unproblematisch. Unter anderem entpuppen sich manche vollen deutschen Exportpolitik bleibt nach der Lektüre dieser Staaten wie zum Beispiel Frankreich als eine Art Drehscheibe, Studie nichts übrig.“11 über die Waffenexporte an Länder weitergereicht werden Diese Aussage lässt sich leider auch auf die EU-Ebene können, die ansonsten nur schwer im Ursprungsland hätten übertragen, wo im Jahr 2018 rund 60% der Exporte an Dritt- bewilligt werden können. Das gravierende Problem solcher staaten gingen.12 Schon der folgende kursorische Überblick Weiterleitungen und fehlender Endverbleibskontrollen wird über die Exporte in einige ausgewählte Empfängerländer später am Beispiel des Aachener-Vertrages noch einmal in- sollte zeigen, wie problematisch diese Ausfuhren sind. Kon- tensiver in den Blick genommen (siehe Kapitel 6). kret geht es dabei um die wichtigsten Länder der Jemen- Das Hauptaugenmerk der Debatte liegt aber nachvoll- Kriegskoalition, also Saudi Arabien, die Vereinigten ziehbarerweise auf Exporten, die direkt in sogenannte Dritt- Arabischen Emirate (VAE) und Ägypten sowie um die Türkei, staaten gehen. Zu den Gründen heißt es in einer aktuellen die nicht zuletzt in Nordsyrien ihr Unwesen treibt. Anfrage der Linkspartei: „Die Exporte in sogenannte Dritt- Allein 2018 gingen nach Saudi Arabien gemäß der an die staaten machten damit 44,1 Prozent [2019] aus. Diese Aus- EU übermittelten Daten EU-Exporte im Umfang von 1,94 fuhren sind vor allem wegen Menschenrechtsverstößen in Mrd. Euro, nach Ägypten von 1,36 Mrd. Euro, in die VAE vielen dieser Staaten heikel, aber in Einzelfällen auch wegen von 393 Mio. Euro und in die Türkei von 663 Mio. Euro. In Verwicklungen in regionale Konflikte.“7 Generell schwankt den letzten zwanzig Jahren wurden nach Saudi Arabien EU- der Anteil der Exporte in Drittstaaten in Deutschland stark8, Rüstungsgüter im Wert von 17,9 Mrd. Euro geliefert, an die seit 2012 lag er aber konstant teils deutlich über 50% (siehe VAE gingen 11,1 Mrd. Euro und an Ägypten 7,4 Mrd. Euro, Tabelle). Zwar fiel der Wert im Jahr 2019 auf die beschrie- während es bei der Türkei 4,8 Mrd. Euro waren. Die wich- benen 44%9, nur um im ersten Halbjahr 2020 gleich wieder tigsten Lieferländer sind dabei Deutschland, Frankreich und auf den bisherigen Rekordwert von 62,7% zu klettern.10 Italien (siehe Tabelle). 9
RÜSTUNG VOR RICHTLINIEN: MACHTPOLITIK UND RÜSTUNGSEXPORTE DER EUROPÄISCHEN UNION Deutsche Standpunktes als problematisch eingestuft werden können. Dabei geht es um 1.091 Lizenzen für die Ausfuhr von Rüs- Rüstungsexportgenehmigungen tungsgütern im Gesamtwert von 941,8 Millionen Euro (2017: 1,519 Milliarden Euro).“14 Lizenzen Jahr Anteil an Drittstaaten (in Mio. Euro) 2004 3806 n.V. 1 Wezeman, Pieter u.a.: Trends in International Arms Transfers, 2019, SIPRI, März 2020. 2005 4215 n.V. 2 Bericht zu Waffenexporten: Umsetzung des Gemeinsamen Stand- punkts 2008/944/GASP (2020/2003(INI)), Ausschuss für aus- 2006 4189 n.V. wärtige Angelegenheiten, Absatz A. 3 2007 3668 34% Wezeman 2020, S. 2. Das „positive“ französische Ergebnis scheint vor allem auf die „Erfolge“ der Naval Group (Kriegsschiffe) und 2008 5788 54% von Dassault Aviation (Kampfflugzeuge) zurückzuführen zu sein. Siehe Mackenzie, Christina: Here’s what’s behind France’s 72% 2009 5043 49% jump in weapons exports, defensenews.com, 10.03.2020. 4 Parly, Florence: Exportations d’armement : le rapport au Parle- 2010 4754 29% ment 2020, 02.06.2020 (übersetzt mit www.DeepL.com/Trans- lator). 2011 5414 42% 5 Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konven- tionelle Rüstungsgüter im Jahre 2019, S. 5. 2012 4704 55% 6 „Im Rahmen der Prüfkriterien wird unter anderem differenziert 2013 5846 62% nach EU-, NATO- und deren gleichgestellten Staaten (Australien, Japan, Neuseeland, Schweiz) einerseits und Drittländern ande- 2014 3974 61% rerseits.“ (Für eine zurückhaltende und verantwortungsvolle Rüs- tungsexportpolitik, Bundesministerium für Wirtschaft und 2015 7500 59% Energie, o.J., https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Dossier/ruestungsexport- 2016 6848 54% kontrolle.html) 7 Der Export von deutschen Kriegswaffen und sonstigen Rüstungs- 2017 6242 61% gütern im ersten Halbjahr 2020, Drucksache 19/21011 (13.07.2020), S. 1. 2018 4820 53% 8 In Frankreich gingen 2019 50% der Exporte in den Mittleren Os- ten, 15% nach Asien und 10% nach Lateinamerika. Siehe Maulny, 2019 8015 44% Jean-Pierre: The Europeanisation of French defence policy? rosa- lux.eu, 15.01.2020. Quelle: Rüstungsexportberichte der Bundesregierung und der 9 „Spitzenreiter der Empfängerländer unter den Drittstaaten war Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) Algerien mit einem Wert von 847 Mio. Euro vor Ägypten mit 802 Mio. Euro. Es folgen Südkorea (373 Mio. Euro), die Vereinigten Arabischen Emirate (257 Mio. Euro), Katar (236 Mio. Euro) und Indonesien (202 Mio. Euro). Weitere aufgeführte Drittstaaten Der Wahnsinn hat Methode: Der schwindelerregenden sind Indien, Kuwait und Brasilien. Insgesamt betrafen 1,35 Mrd. Zahl von 39.323 von EU-Staaten bewilligten Rüstungsexport- Euro der Drittstaaten-Exporte sogenannte Entwicklungsländer (2018: 366 Mio. Euro). Mit Ägypten auf Platz 2 und den Vereinig- anträgen im Jahr 2018 standen im selben Jahr verschwin- ten Arabischen Emiraten auf Platz 9 sind zwei Gründungsmitglie- dend geringe 696 abgelehnte Anträge entgegen. 13 der der von Saudi-Arabien angeführten Militärallianz dabei, die Untersuchungen für Deutschland zeigen, dass die Zahl der Krieg im Jemen […], aber auch in Libyen führen.“ (Drucksache abschlägig beschiedenen Exportanträge um ein Vielfaches 19/21011 (13.07.2020), S. 1) 10 höher liegen müsste, würden die EU-Rüstungsexportricht- Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung im 1. Halbjahr 2020 – vorläufige Genehmigungszahlen, BMWi, Pressemitteilung, linien auch nur ansatzweise eingehalten. So waren von be- 01.07.2020. willigten Exportlizenzen im Gesamtwert von 4,82 Mrd. Euro 11 Wisotzki, Simone: Deutsche Rüstungsexporte in alle Welt? Eine unter Berücksichtigung der EU-Rüstungsexportrichtlinien Bilanz der vergangenen 30 Jahre, Greenpeace, März 2020, S. 1. deutlich über die Hälfte problematisch und rund ein Viertel 12 Eigene Berechnung auf Basis der Enaat-Datenbank: sogar hochproblematisch: „Nach Ermittlungen des BICC hat http://enaat.org/eu-export-browser/licence.de.html die Bundesregierung im Jahr 2018 3.742 Lizenzen für die 13 Eigene Berechnung auf Basis der Enaat-Datenbank. Ausfuhr von Rüstungsgütern in 61 Staaten erteilt, die min- 14 Rüstungsexportbericht 2019 der GKKE, S. 54. destens hinsichtlich eines der acht Kriterien des Gemein- samen Standpunktes der EU als problematisch eingestuft werden können. Der Wert der 2018 erteilten Ausfuhrgeneh- migungen in diese Länder liegt bei 2,69 Milliarden Euro (2017: 3,878 Milliarden Euro). Die Bundesregierung hat 2018 Rüstungsexporte an 18 Länder genehmigt, die mindes- tens hinsichtlich vier der acht Kriterien des Gemeinsamen 10
RÜSTUNG VOR RICHTLINIEN: MACHTPOLITIK UND RÜSTUNGSEXPORTE DER EUROPÄISCHEN UNION 2. Rüstungskonzerne, Lobby und Profit B ei der Frage nach den Ursachen der regen Export- zu, bis 2024 einen Militärhaushalt von mindestens 1,5% des tätigkeit fällt der Blick naheliegenderweise zumeist BIP aufzustellen – nach (vor der Corona-Krise angestellten) zuerst auf die enormen Summen, die mit dem Ge- Berechnungen der Universität der Bundeswehr würde dies schäft mit dem Tod zu verdienen sind. Ergänzt mit dem Ver- einen weiteren Anstieg des Haushaltes auf 57,8 Mrd. Euro weis auf die – zweifellos vorhandenen – Lobbynetzwerke (2024) erfordern.2 der profitierenden Unternehmen wird in ihrem Gewinnstre- ben häufig die wesentliche Triebfeder vermutet. Wie im fol- Zwar ist davon auszugehen, dass die Zuwächse corona- genden Kapitel aber gezeigt werden soll, lässt sich die bedingt etwas flacher ausfallen werden wie geplant, mit einem europäische Exportpraxis allein hieraus nicht erklären. Sie Absturz der Haushalte ist aber in jedem Fall nicht zu rechnen. wird erst verständlich, wenn die mit diesen Waffenausfuhren Dafür schaut auch die Rüstungsindustrie zu optimistisch in verwobenen machtpolitischen Interessen der EU-Länder mit die Zukunft. So hieß es etwa noch Anfang März 2020: „Die in den Blick genommen werden. Rüstungsindustrie boomt wie selten zuvor. Auch Deutsch- lands größter Militärausrüster Rheinmetall profitiert vom 2.1 Geld im Überfluss dringenden Nachholbedarf der nationalen Armeen. Sogar Ungeachtet allen Wehklagens sind die Rüstungshaushalte – das Sorgenkind Bundeswehr verspricht lukrative Aufträge. und damit in der Regel auch die Beschaffungsbudgets – na- […] Der seit 2013 amtierende Rheinmetall-Chef Armin Pap- hezu aller EU-Länder in den letzten Jahren steil angestiegen. perger hat dafür eine Erklärung. Der Konzern profitiere als Das gilt für die EU als Ganzes, wo die aggregierten Haushalte international tätiger Systemanbieter ‚vom ‚Super-Zyklus‘ im von 193 Mrd. Euro (2005) auf 223 Mrd. Euro (2018) klet- wehrtechnischen Geschäft‘.“3 terten – aktuellere Zahlen werden von der EU-Verteidigungs- Weil analog zu den Rüstungshaushalten auch die Etats agentur ärgerlicherweise nicht bereitgestellt. Besonders für die Beschaffung von Rüstungsgütern ansteigen4, streichen ausgeprägt lässt sich dieser Trend dabei in Frankreich und die Rüstungskonzerne nicht erst seit gestern satte Profite Deutschland feststellen: Paris erhöhte seine Ausgaben nach ein. Der wichtigste europaweite Lobbyverband der Branche, NATO-Kriterien von 39,4 Mrd. Euro 2013 auf 44,4 Mrd. „Aeronautics, Space, Defence and Security Industries in Eu- Euro im Jahr 2019. Noch drastischer fiel der deutsche Anstieg rope” (ASD), weist freudestrahlend auf einen fünfzigprozen- von 32,5 Mrd. Euro 2014 auf 45,2 Mrd. Euro 2020 aus (siehe tigen Umsatzanstieg in den Jahren 2010 bis 2018 hin. Dabei Tabellen). seien von den rund 108 Mrd. Euro Umsatz im Jahr 2018 rund ein Drittel mit Exporten erzielt worden.5 Was die Prognosen anbelangt, ist mit einer nochmaligen Beschleunigung dieses Trends zu rechnen: Frankreich hat 2.2 Lobby und Einfluss für die Jahre bis 2022 jährliche Steigerungen um 1,7 Mrd. Euro und für 2023 um 3 Mrd. Euro angekündigt.1 Und Richtig ist, dass die Rüstungskonzerne ein dichtes Lobby- Deutschland sagte gegenüber der NATO relativ verbindlich netzwerk aufgebaut haben, das darauf hinwirkt, dass die Gel- EU-Militärausgaben Deutsche Französische (in Mrd. Euro) Militärausgaben Militärausgaben (in Mrd. Euro) (in Mrd. Euro) 2005 193 2000 24,30 2014 39,15 2010 196 2006 27,78 2015 39,20 2012 192 2014 32,45 2016 39,95 2014 195 2016 34,28 2017 40,85 2016 206 2018 38,50 2018 42,75 2018 223 2020 45,20 2019 44,36 Angaben inkl. Großbritannien. Quelle: IMI/DFG-VK (Hg.): Factsheet Quelle: NATO COMMUNIQUE Quelle: EDA Defence Data Rüstung, Mai 2020 PR/CP(2019)123 11
RÜSTUNG VOR RICHTLINIEN: MACHTPOLITIK UND RÜSTUNGSEXPORTE DER EUROPÄISCHEN UNION Rheinmetall auf der IDEX 2019 in Abu Dhabi Die größten EU-Rüstungskonzerne Anteil am Platz Unternehmen Land Umsatz 2019 Umsatz 2018 Umsatz 2017 Gesamtumsatz Deutschland/ 1 Airbus $11,266.57 $13,063.82 $11,185.91 14% Frankreich 2 Leonardo Italien $11,109.27 $9,828.51 $8,856.48 72% 3 Thales Frankreich $9,251.68 $9,575.57 $8,926.13 45% 4 Dassault Frankreich $5,708.84 $2,934.43 $2,124.19 70% 5 Safran Frankreich $4,413.05 $1,636.67 $1,519.70 16% 6 Naval Group Frankreich $4,155.14 $4,260.53 $4,178.33 100% 7 Rheinmetall AG Deutschland $3,942.46 $3,803.54 $3,430.35 56% 8 Saab AB Schweden $3,185.19 $3,243.68 $3,090.07 85% Deutschland/ 9 KNDS $2,798.45 $2,597.89 $2,991.95 100% Frankreich 10 Fincantieri S.p.A. Italien $1,682.74 $1,693.51 $1,369.23 26% 11 Hensoldt Deutschland $1,247.17 $1,310.89 $1,082.89 100% 12 Indra Spanien $633.57 $732.13 $673.41 18% Diehl Defence 13 Deutschland $577.60 $547.92 $515.23 14% Holding John Cockerill 14 Belgien $548.16 $595.15 $344.81 100% Defense 15 Patria Finnland $522.64 $524.00 $486.17 94% Angaben in Mio. Dollar. Quelle: defensenews.com 12
RÜSTUNG VOR RICHTLINIEN: MACHTPOLITIK UND RÜSTUNGSEXPORTE DER EUROPÄISCHEN UNION Umsatz der EU-Rüstungsindustrie (2018 in Mrd. Euro) Luft 45,1 Die Rüstungskonzerne haben ein Land 36,5 dichtes Lobbynetzwerk aufgebaut, Meer 24,9 das darauf hinwirkt, dass die Gelder Weltraum 1,2 auch künftig weiter üppig fließen. Gesamt 107,7 Quelle: Facts & Figures, ASD 2019. der auch künftig weiter üppig fließen. Ihr direkter Einfluss Natürlich ist es möglich, dass die Rüstungsindustrie so ist zum Beispiel bei der Anbahnung des „Europäischen Ver- unwahrscheinlich gut vernetzt ist, dass es ihr gelingt, die Po- teidigungsfonds“ (EVF), auf den später noch einmal näher litik in einem Ausmaß zu bestimmen, der extrem über ihre eingegangen wird (siehe Kapitel 5), unübersehbar gewesen: wirtschaftliche Bedeutung hinausragt. Wahrscheinlicher ist Wichtige EVF-Vorarbeiten leistete bereits eine im Juli 2015 es aber andere Ursachen zu vermuten, die dafür ausschlag- auf Einladung der damaligen EU-Industriekommissarin gebend sind, dass der Branche seitens der Politik der rote Elżbieta Bienkowska zusammengesetzte 16köpfige „hoch- Teppich ausgerollt wird. In ihrer zentralen Publikation gibt rangige Gruppe“ aus Industrievertretern und Militärpoliti- die ASD, wie gesagt der größte EU-Rüstungslobbyverband, kern. Ihre im Februar 2016 veröffentlichten Vorschläge einen ersten Hinweis, indem sie für ihre Sache mit den Wor- sollten später maßgeblich im EVF-Gesetzesvorschlag der ten titelt: „Die Europäische Rüstungsindustrie – ein unver- Kommission Berücksichtigung finden.6 Generell ist die Rüs- zichtbares Element der Strategischen Autonomie Europas“.10 tungslobby in Brüssel überaus präsent: Wie die Studie „Se- curing Profits How the arms lobby is hijacking Europe’s defence policy“ herausarbeitete, beschäftigen die zehn größten 1 Militärplanung 2019-2025: Frankreich steigert operationelle Fä- EU-Rüstungsfirmen 33 akkreditierte Lobbyisten, die es in higkeiten und Verteidigungsausgaben, Französische Botschaft, nur einem Jahr auf 184 Treffen mit der EU-Kommission 15.07.2019. 2 brachten (alle Zahlen von 2016). Zentraler Gegenstand der Schnell, Jürgen: Diskussionsbeitrag. Zum Verteidigungshaushalt im 54. Finanzplan der Bundesregierung für die Jahre 2021 bis Gespräche sei die Ausgestaltung des damals im Entstehen 2024, UniBw München, Sicherheits- und Militärökonomie befindlichen Europäischen Verteidigungsfonds gewesen, auf Streitkräftemanagement, 27.03.2020. die wesentlich Einfluss genommen werden konnte.7 Im Jahr 3 Hegmann, Gerhard: Der deutsche Rüstungsriese steht am Anfang 2018 fanden allein von den Lobbyisten von Airbus 180 Tref- des Super-Zyklus, Die Welt, 03.03.2020. fen mit der Kommission statt, der zweitgrößte EU-Rüstungs- 4 So stieg das deutsche Budget für „Militärische Beschaffungen“ konzern, Leonardo, konnte „immerhin“ im selben Zeitraum von 3,82 Mrd. Euro (2015) auf 5,96 Mrd. Euro (2019) an. Siehe die halbjährlichen Berichte des Bundesministeriums der Verteidi- 42 Treffen aufweisen. Dahinter rangiert Thales mit 24 Treffen gung zu Rüstungsangelegenheiten von März 2015 und Juni und die Naval Group mit 12.8 2020. Das französische Beschaffungsbudget lag 2019 mit 12,6 Trotz alledem sollte der Einfluss der Rüstungsindustrie Mrd. Euro deutlich darüber. Siehe Maulny 2020. auch nicht überschätzt werden – tatsächlich ist ihre volks- 5 ASD 2019 Facts & Figures, S. 6. wirtschaftliche Bedeutung recht überschaubar, wie selbst 6 Haydt, Claudia/Wagner, Jürgen: Die Militarisierung der EU – rüstungsnahe Kommentatoren manchmal eingestehen: „Das Der (un)aufhaltsame Weg Europas zur militärischen Groß- macht, Berlin 2018, S. 229ff. wirtschaftliche Gewicht der europäischen Rüstungsindustrie 7 [wird] oftmals übertrieben. Im Vergleich zur zivilen Industrie Vranken, Bram: Securing Profits. How the arms lobby is hijacking Europe’s defence policy, Vredesactie, October 2017. ist sie tatsächlich sogar recht klein. Im Verteidigungsbereich 8 Daten von https://lobbyfacts.eu beläuft sich der Gesamtumsatz der 30 größten europäischen 9 Chagnaud, Marie-Louise u.a.: Europa rüsten: Zum Stand der eu- Rüstungsunternehmen – etwa 86 bis 90 Milliarden Euro – ropäischen verteidigungstechnologischen und -industriellen Ba- auf lediglich ein Drittel des Umsatzes von Volkswagen im sis, in: Bartels, Hans-Peter u.a. (Hgg.): Strategische Autonomie Jahr 2015. Des Weiteren stellen die etwa 500.000 Angestell- und die Verteidigung Europas. Auf dem Weg zu einer europäi- ten im Rüstungssektor nur 0,024 Prozent aller EU-Arbeit- schen Armee? Bonn 2017, S. 59-74, S. 61 und 71. 10 nehmer. Rein wirtschaftlich gesehen ist die EDITP ASD 2019 Facts & Figures, S. 7. [EU-Rüstungsbasis] also eher unbedeutend. […] Innovation findet sich immer weniger in staatlich finanzierten Vertei- digungsprogrammen und immer mehr auf dem kommer- ziellen Markt.“9 13
RÜSTUNG VOR RICHTLINIEN: MACHTPOLITIK UND RÜSTUNGSEXPORTE DER EUROPÄISCHEN UNION 3. Rüstungsexporte: Die machtpolitische Bedeutung W ie im vorherigen Kapitel bereits angedeutet, lässt wird davon ausgegangen, dass eine solche autonome Hand- sich die Exportpraxis der EU-Länder nur schwer lungsfähigkeit drei Ebenen umfasst: Politische Autonomie über die wirtschaftliche Bedeutung der Rüstungs- beinhaltet auf strategischer Ebene über die für notwendig er- branche oder den Einfluss von Lobbyverbänden erklären. achteten Entscheidungsstrukturen für schnelle und reibungs- Im Folgenden sollen deshalb die mit Rüstungsexporten ver- lose Beschlussfassungen zu verfügen; operative Autonomie wobenen machtpolitischen Interessen in den Blick genom- bezieht sich auf alle Planungskapazitäten sowie die entspre- men und begründet werden, weshalb diese ausschlaggebend chenden Truppen und das Material, um selbstständig Kriege für den maroden Zustand der europäischen Rüstungsexport- führen (und gewinnen) zu können; und industrielle Auto- kontrolle sind. Denn die tonangebenden Kräfte in Brüssel nomie soll in die Lage versetzen, das Militär mit Waffen aus streben eine Weltmacht Europa an, für die sie umfassende „heimischer“ Produktion ausstatten zu können. Rüstungsexporte in letzter Konsequenz als eine notwendige Bedingung erachten. Weltmachtanspruch 3.1 Weltmachtanspruch und Rüstungsbasis und die Sprache der Macht Forderungen, die Europäische Union müsse sich zu einer „Wir senden eine Botschaft nicht nur an unsere Bürger, sondern veritablen Weltmacht auf Augenhöhe mit Ländern wie den auch an den Rest der Welt: Europa ist eine Weltmacht. Wir sind USA und China aufschwingen, sind in Brüssel seit Jahren fest entschlossen, unsere Interessen zu verteidigen. […] Euro- gang und gäbe. In einer Zeit sich verschärfender Großmacht- päische strategische Autonomie ist nicht nur ein Wort. Die stra- konflikte müsse die EU ebenfalls die Ellenbogen ausfahren tegische Unabhängigkeit Europas ist unser neues gemeinsames und ihre militärischen Fähigkeiten ausbauen, erklärte etwa Projekt für dieses Jahrhundert. Das ist in unser aller Interesse. Manfred Weber, der zwischenzeitlich als aussichtsreichster 70 Jahre nach den Gründervätern ist die strategische Autonomie Kandidat für den Posten des EU-Kommissionschefs gehan- Europas das Ziel Nummer eins unserer Generation. Für Europa delt wurde. Wörtlich gab der derzeitige Vorsitzende der größ- ist dies der eigentliche Beginn des 21. Jahrhunderts.“ (Ratsprä- ten EP-Fraktion, der Europäischen Volkspartei, zu Protokoll: sident Charles Michel, 08.09.2020) „Die EU befindet sich in einem historischen Moment. Ent- weder Europa wird erwachsen, oder wir werden das euro- „Angesichts der geopolitischen Umwälzungen, die wir gegen- päische Lebensmodell in der globalisierten Welt nicht wärtig erleben, ist es für die Europäische Union umso dringlicher, verteidigen können. Dazu müssen wir jetzt ein starkes durch- ihren Platz in einer Welt zu finden, die zunehmend von reiner setzungsfähiges Europa aufbauen. […] Diese europäische Machtpolitik bestimmt ist. [...] Um zu vermeiden, dass wir zu Leitkultur müssen wir verteidigen und wenn möglich, global den Verlierern des Wettbewerbs zwischen den USA und China behaupten. […] Die gemeinsame Verteidigung ist ein Muss! werden, müssen wir die Sprache der Macht neu erlernen und Wir bekommen doch gerade vorgeführt, dass wir uns an der uns selbst als geostrategischen Akteur der obersten Kategorie Brust der Amerikaner nicht mehr so ausruhen können, wie begreifen. […] Ob durch den Einsatz der europäischen Handels- wir es in den vergangenen Jahrzehnten getan haben. Deshalb und Investitionspolitik, der Finanzmacht, der diplomatischen muss Europa sich selbst verteidigen können. Dies ist neben Präsenz, der Regelsetzungskapazitäten oder durch die stärker dem Euro die zweite große Weiterentwicklung Europas, die werdenden Sicherheits- und Verteidigungsinstrumente — wir jetzt konkret ansteht.”1 haben viele Ansatzpunkte, um Einfluss zu nehmen. Das Problem Europas ist nicht die fehlende Macht. Das Problem ist vielmehr Um die nötige machtpolitische Beinfreiheit zu erlangen, der mangelnde politische Wille, diese Machtfaktoren zu bündeln, strebt die Europäische Union schnellstmöglich eine „Strate- um ihre Kohärenz sicherzustellen und ihre Wirkung zu maximie- gische Autonomie“ an, ein Ziel, das spätestens mit Verabschie- ren.“ (Joseph Borell, EU-Außenbeauftragter, 13.02.2020) dung einer neuen Globalstrategie im Juni 2016 ins Zentrum „Das Europäische Parlament […] betont, dass die EU ihre Si- der „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ (GASP) cherheits- und Verteidigungsfähigkeiten stärken muss, da sie und der „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ ihr volles Potenzial als Weltmacht nur nutzen kann, wenn sie (GSVP) gerückt ist. Hierunter wird die Fähigkeit verstanden, ihre einzigartige 'Soft Power' im Rahmen eines umfassenden in den wichtigsten außen- und militärpolitischen Bereichen EU-Ansatzes mit 'Hard Power' kombiniert.“ (Entschließung des eigenständig ohne Abhängigkeiten von den USA (oder gar Europäischen Parlaments vom 14. Dezember 2016) von Russland oder China) handlungsfähig zu sein.2 Gemeinhin 14
RÜSTUNG VOR RICHTLINIEN: MACHTPOLITIK UND RÜSTUNGSEXPORTE DER EUROPÄISCHEN UNION Verteidigungsunion: Strategische Autonomie Politische Autonomie Operative Autonomie Industrielle Autonomie (Die Fähigkeit, Kriege (Die Fähigkeit, Kriege (Die Fähigkeit, Kriege mit „eigenen“ Waffen beschließen zu können) führen zu können) führen zu können) • Europäischer Sicherheitsrat (ESR) • Europäisches Hauptquartier (MPCC) • Jährliche Überprüfung der • Einführung von • Europäische Militärkapazitäten (CARD) Mehrheitsentscheidungen (QMV) Interventionsinitiative (E2I) • Europäischer Verteidigungsfonds (EVF) • Ständige Strukturierte • Ständige Strukturierte • Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO) Zusammenarbeit (PESCO) Zusammenarbeit (PESCO) Die operative und industrielle Dimension hängen dabei mieren. Umgekehrt eröffnet es aber beträchtlichen Einfluss von der Existenz einer starken rüstungsindustriellen Basis auf andere Länder, sollten deren Armeen von der eigenen und damit in letzter Konsequenz von umfassenden „Erfolgen“ Industrie abhängen: „Auch Brigadegeneral a.D. Erich Vad, auf den Rüstungsexportmärkten ab. Wörtlich heißt es in der lange Jahre militärpolitischer Berater von Bundeskanzlerin EU-Globalstrategie: „Die europäischen Anstrengungen auf Angela Merkel, weiß, was mit dem Export von Rüstungs- dem Gebiet der Sicherheit und der Verteidigung sollten die gütern frei Haus geliefert wird: Einfluss. ‚Wenn wir liefern, EU in die Lage versetzen, autonom zu handeln und gleich- sind sie von uns abhängig. Wenn die einen Mist bauen, kön- zeitig zu Maßnahmen der NATO beizutragen und gemeinsam nen wir die Lieferung einstellen, die Wartung stoppen oder mit ihr Maßnahmen durchzuführen. […] Die Mitgliedstaaten einfach keine Ersatzteile mehr schicken. Das kann man auch [benötigen] bei den militärischen Spitzenfähigkeiten alle als Instrument der Außenpolitik nutzen.‘ […] Umgekehrt wichtigen Ausrüstungen, um auf externe Krisen reagieren funktioniert die Logik nicht weniger erbarmungslos. Verfügt und die Sicherheit Europas aufrechterhalten zu können. Dies ein Staat über keine eigene Rüstungsindustrie, dann muss bedeutet, dass das gesamte Spektrum an land-, luft-, welt- er Waffen einkaufen – und wird abhängig. […] In einem Land raum- und seeseitigen Fähigkeiten, einschließlich der stra- wie Deutschland kann eine eigene wehrtechnische Industrie tegischen Grundvoraussetzungen, zur Verfügung stehen in der Tat nur überleben, wenn sie exportieren darf. Sonst muss. […] Eine tragfähige, innovative und wettbewerbsfähige muss sie entweder massiv subventioniert werden oder sie europäische Verteidigungsindustrie ist von wesentlicher Be- wandert ins Ausland ab.“4 deutung für die strategische Autonomie Europas und eine Aus diesem Blickwinkel stellt damit die Existenz einer glaubwürdige GSVP.“3 möglichst stark aufgestellten rüstungsindustriellen Basis ei- nen elementaren Machtfaktor im Gerangel der Großmächte 3.2 Ohne Exporte, keine Rüstungsindustrie dar.5 Auf die diesbezügliche „Notwendigkeit“ von Rüstungs- exporten wird mittlerweile nahezu in jedem Text zum Thema Die Überlegung liegt nahe, dass es mit militärisch unterfüt- verwiesen: „Im Verständnis vieler europäischer Staaten [ge- terten Weltmachtansprüchen nicht weit her ist, sollte man hört] zu einer handlungsfähigen EU auch eine leistungsfähige nicht in der Lage sein, die für notwendig erachteten Rüs- industrielle Basis. Nur so kann in zentralen Bereichen un- tungsgüter aus eigener Produktion zu beziehen. Wer in Sa- abhängig agiert werden. Dann dienen Exporte auch der Fi- chen Ersatzteile und Wartung von anderen abhängt, kann nanzierbarkeit [sic!] industriellen Basis, denn der EU-Markt nicht ernsthaft eine Strategische Autonomie für sich rekla- allein ist zu klein. Der außereuropäische Export ist also ein 15
RÜSTUNG VOR RICHTLINIEN: MACHTPOLITIK UND RÜSTUNGSEXPORTE DER EUROPÄISCHEN UNION Keine Rüstungsexporte – Keine Rüstungsindustrie „Die Steigerung der Exporte trägt wesentlich dazu bei, die kritische Masse europäischer Rüstungsunter- nehmen zu erhalten. […] Ohne Exporte würden viele EU-Unternehmen […] ums Überleben kämpfen.“ (Re- port of the Group of Personalities on the Preparatory Action for CSDP-related research, EUISS, Paris, Fe- bruary 2016, S.44f.) „Wer (…) Exporte um jeden Preis verhindern will, muss ehrlich sagen, dass er diese Industrie grundsätzlich in Deutschland nicht will.“ (Annegret Kramp-Karren- bauer, CDU-Vorsitzende, FAZ, 01.03.2019) trollen unterliegen sollten, fuhr sie fort: „Bislang handelt es sich hier um eine nationale Kompetenz und wir müssen diese Frage im vollen Bewusstsein adressieren, dass es ohne den Export von Waffen auch keine europäische Verteidigungs- industrie geben wird.“7 Weil also in den Brüsseler Chefetagen die Meinung vor- herrscht, eine Weltmacht Europa bedürfe einer starken rüs- Unscheinbar, aber genauso tödlich: Kleinwaffen auf der IDEX 2019 tungsindustriellen Basis und damit umfassender „Erfolge“ auf den Exportmärkten ist es kein Wunder, dass die euro- päischen Rüstungsexportrichtlinien viele Schlupflöcher of- fenlassen. Die tonangebenden Kräfte in Brüssel 1 „Wir müssen die europäische Leitkultur verteidigen“, Die Welt, 07.06.2017. streben eine 2 „Strategische Autonomie wird hier als die Fähigkeit definiert, ei- gene außen- und sicherheitspolitische Prioritäten zu setzen und Weltmacht Europa an, Entscheidungen zu treffen, sowie die institutionellen, politischen und materiellen Voraussetzungen, um diese in Kooperation mit für die sie umfassende Dritten oder, falls nötig, eigenständig umzusetzen.“ (Lippert, Bar- bara u.a.: Strategische Autonomie Europas. Akteure, Handlungs- felder, Zielkonflikte, SWP-Studie 2, Februar 2019. Rüstungsexporte als 3 Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln: Ein stärkeres Euro- pa. Eine Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik eine notwendige der Europäischen Union, Brüssel, 28.06.2016. Eigene Hervor- hebung. Bedingung erachten. 4 Brössler, Daniel/Kornelius, Stefan: Zu verkaufen, Süddeutsche Zeitung, 29.03.2020. 5 Schon 2013 hieß es in einer Entschließung des EU-Parlaments, Teil der rüstungsindustriellen Gesamtstruktur der EU und „dass eine funktionierende Gemeinsame Sicherheits- und Vertei- digungspolitik eine starke europäische verteidigungstechnologi- ermöglicht seine Existenz.“6 sche und -industrielle Basis voraussetzt (EDTIB), die eine Genauso legte sich Nathalie Loiseau, die Vorsitzende des wesentliche Bedingung für die Fähigkeit Europas ist, die Sicher- Unterausschusses Sicherheit und Verteidigung im Europäi- heit seiner Bürger zu gewährleisten sowie seine Werte und Inte- schen Parlament, für Rüstungsbasis und Rüstungsexporte ressen zu schützen;“ (Entschließung des Europäischen Parlaments vom 21. November 2013 zur verteidigungstechnologi- ins Zeug: „Wir müssen die industrielle und technologische schen und -industriellen Basis Europas (2013/2125(INI)). Basis unserer Verteidigungsindustrie stärken; wir müssen 6 Mölling, Christian, Schütz, Torben: Rüstungsexportpolitik. Optio- sicherstellen, dass wir über Eurochampions verfügen und nen der Europäisierung, DGAP Policy Brief Nr. 7/Dezember dass wir uns auf europäische Unternehmen verlassen können, 2019, S. 2. dass sie uns mit Ausrüstung versorgen.“ Mit Blick auf die 7 Brzozowski, Alexandra: Loiseau: Without arms exports, there Frage, ob Rüstungsexporte auf EU-Ebene stärkeren Kon- won’t be a European defence industry, euractiv.com, 07.10.2019. 16
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