WELTWEIT BMF-Monatsbericht - Juli 2021 - Bundesfinanzministerium
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Editorial Editorial Monatsbericht des BMF Juli 2021 Durchbruch hat sich Bundesfinanzminister Olaf Scholz gemeinsam mit seinem französischen Amts- kollegen Bruno Le Maire seit 2018 intensiv eingesetzt. Mit einem Schlaglicht beleuchten wir das Thema in dieser Ausgabe genauer. Noch vor der Sommerpause hat das Bundeskabinett den Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2022 und die Finanzplanung bis 2025 beschlossen. Damit setzt die Bundesregierung den erfolgreichen Kurs fort, der maßgeblich zur Stützung und Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands in der Corona-Krise beigetragen hat. Diese Stabilisie- Liebe Leserinnen, liebe Leser, rung drückt sich in konkreten Zahlen aus. So hat die Bundesregierung die Wachstumsprognose für 2022 die Hochwasserereignisse der letzten Tage in Teilen nochmals deutlich auf 3,6 Prozent angehoben. Ein unseres Landes sind eine Katastrophe von nationalem entscheidender Grund dafür ist: Es wurde nicht in die Ausmaß. Die Schäden sind immens. Niemand kann Krise hineingespart. Die notwendigen Mittel zur Sta- das allein bewältigen. Bund und Länder werden da- bilisierung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt stehen her gemeinsam handeln und unterstützen. Zunächst bereit und setzen gezielte, zukunftsorientierte Im- gilt es, den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern vor pulse für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum. Ort schnelle und unbürokratische Hilfe zukommen zu lassen. Das Bundeskabinett hat daher ein umfang- Auch im kommenden Jahr sollen ausreichend Mittel reiches Soforthilfeprogramm beschlossen und steht zur Krisenbekämpfung bereitgestellt werden. Damit darüber hinaus bereit, um den Wiederaufbau in den Deutschland kraftvoll und nachhaltig aus der Krise nächsten Monaten und Jahren zu unterstützen. Die hinauswachsen kann, sieht die Bundesregierung mit schrecklichen Ereignisse verdeutlichen einmal mehr, der Finanzplanung bis 2025 außerdem vor, dass die warum der Einsatz gegen den menschengemachten Ausgaben für Investitionen auf einem hohen Niveau Klimawandel so wichtig ist. von über 50 Milliarden Euro jährlich gehalten werden. Damit soll vor allem in Klimaschutz, Digitalisierung Für diese und viele andere Aufgaben sind ausrei- und Modernisierung unseres Landes investiert wer- chend Steuereinnahmen wichtig. Angesichts global den. In den vergangenen zwei Jahren sind im Rahmen tätiger Konzerne bedarf es dazu einer engen Abstim- des Klimaschutz- und Konjunkturprogramms bereits mung auf internationaler Ebene. Am 9./10. Juli 2021 mehr als 80 Milliarden Euro zur Finanzierung von haben die Finanzministerinnen und Finanzminis- Maßnahmen in den Klimaschutz mobilisiert worden. ter der größten Industrie- und Schwellenländer (G20) Mit dem „Klimaschutz Sofortprogramm 2022“ stehen eine historische Reform der internationalen Unter- nun weitere 8 Milliarden Euro bereit. nehmensbesteuerung beschlossen und einen bedeu- tenden Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit getan. Mit Ich wünsche Ihnen eine angenehme Lektüre. der Verständigung auf eine globale effektive Mindest- besteuerung wird künftig sichergestellt, dass die gro- ßen weltweit tätigen Konzerne ihren fairen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwohls leisten und sich ihrer Steuerpflicht nicht länger durch Gewinnverla- Wolfgang Schmidt gerung entziehen können. Für diesen historischen Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen 3
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Mehr Steuergerechtigkeit weltweit________________________________7 Einigung auf globale Mindeststeuer für Unternehmen____________________________________________________ 8 Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister________________________________________________________ 12 Analysen und Berichte___________________________________________17 Gesetz zur Modernisierung des Tabaksteuerrechts________________________________________________________ 18 Föderales Forum_________________________________________________________________________________________ 22 Statistik über die Einspruchsbearbeitung in den Finanzämtern___________________________________________ 28 Neue Einsatztrainingszentren für die waffenführenden Beschäftigten des Zolls___________________________ 33 Aktuelle Wirtschafts- und Finanzlage____________________________37 Überblick zur aktuellen Lage_____________________________________________________________________________ 38 Konjunkturentwicklung aus finanzpolitischer Sicht______________________________________________________ 39 Steuereinnahmen im Juni 2021__________________________________________________________________________ 46 Entwicklung des Bundeshaushalts bis einschließlich Juni 2021___________________________________________ 51 Entwicklung der Kernhaushalte der Länder bis einschließlich Mai 2021__________________________________ 56 Kreditaufnahme des Bundes und seiner Sondervermögen________________________________________________ 58 Europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik_____________________________________________________________ 66 Aktuelles aus dem BMF__________________________________________71 Termine_________________________________________________________________________________________________ 72 Publikationen___________________________________________________________________________________________ 73 Statistiken und Dokumentationen_______________________________75 Übersichten zur finanzwirtschaftlichen Entwicklung____________________________________________________ 76 Übersichten zur Entwicklung der Länderhaushalte_______________________________________________________ 77 Gesamtwirtschaftliches Produktionspotenzial und Konjunkturkomponenten des Bundes________________ 77 Kennzahlen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung____________________________________________________ 78
Schlaglicht: Mehr Steuergerechtigkeit Mehr Steuergerechtigkeit weltweit weltweit Einigung auf globale Mindeststeuer für Unternehmen 8 Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister 12
Mehr Steuergerechtigkeit weltweit BMF-Monatsbericht Juli 2021 Einigung auf globale Mindeststeuer für Unternehmen ● Am 9./10. Juli 2021 haben die G20-Finanzministerinnen und -Finanzminister eine historische Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung beschlossen und damit einen bedeuten- den Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit getan. Die großen, weltweit tätigen Konzerne werden ihren fairen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten. Mit der erzielten internationalen Verständigung können sie sich ihrer Steuerpflicht nicht länger durch Verlagerung der Gewinne entziehen. Die Reform umfasst zwei Säulen. ● In der ersten Säule hat sich die G20 auf einen Mechanismus verständigt, mit dem die Besteue- rungsrechte der größten und profitabelsten Konzerne der Welt, insbesondere der digitalisierten Wirtschaft, neu verteilt werden. Damit werden (Digital-)Konzerne künftig auch dort Steuern zahlen, wo ihre Kundinnen und Kunden oder Nutzerinnen und Nutzer sitzen. Das war bislang nicht der Fall. ● Die zweite Säule sieht eine globale Mindestbesteuerung vor, die dem schädlichen Steuerwett- bewerb um die geringsten Steuern ein Ende setzen wird. Künftig zahlen Unternehmen einen globalen effektiven Steuersatz von mindestens 15 Prozent auf ihre Gewinne. Den Vorschlag dazu haben Bundesfinanzminister Olaf Scholz und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire vor drei Jahren gemacht und seitdem intensiv beworben. Ein neuer Rahmen für und Finanzminister der 20 wichtigsten Industrie- das internationale System und Schwellenländer (G20) haben das Konzept am der Besteuerung von 9./10. Juli 2021 bei ihrem Treffen in Venedig ein- Unternehmen stimmig unterstützt und dessen rasche Umsetzung zugesagt. Die Einigung zu den beiden Säulen ist eine echte Revolution der internationalen Besteuerung von Unternehmen, die historisch ihresgleichen sucht. Großer Erfolg der deutsch- Sie zeigt, wie gut multilaterale Zusammenarbeit französischen Initiative funktionieren kann, wenn der politische Wille dazu vorhanden ist. Bereits am 1. Juli 2021 haben Bereits seit drei Jahren setzt sich das Bundesfi- die Mitglieder des „Inclusive Framework on BEPS“1, nanzministerium dafür ein, zu einer internationa- also des zuständigen Gremiums bei der Organisa- len Verständigung für eine globale effektive Min- tion für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- destbesteuerung zu kommen. Im Oktober 2018 wicklung (OECD), eine breite internationale Ei- hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz mit seinem nigung erzielt, der sich inzwischen 132 Staaten französischen Amtskollegen Bruno Le Maire im angeschlossen haben. Die Finanzministerinnen Kreise der G7 und G20 einen Vorschlag vorgelegt – und seitdem in unzähligen Gesprächen mit sei- 1 BEPS steht für Base Erosion and Profit Shifting nen Kolleginnen und Kollegen rund um den Glo- (Gewinnkürzung und Gewinnverlagerung). bus an einer Einigung gearbeitet. Mit dem jetzigen 8
Mehr Steuergerechtigkeit weltweit BMF-Monatsbericht Einigung auf globale Mindeststeuer für Unternehmen Juli 2021 Übereinkommen der Finanzministerinnen und Fi- Außerdem werden Tricks verhindert, mit denen nanzminister der G20 zeigt sich, dass sich diese Ar- Konzerne häufig ihre Gewinne kleinrechnen, um beit gelohnt hat. Steuern zu sparen: International tätige Konzerne haben oft Tochtergesellschaften in anderen Län- dern. Diese finden sich bisher auch in Steueroasen, Schlaglicht Ein großer Fortschritt für mehr in denen die Tochtergesellschaften kaum Steuern (Steuer-)Gerechtigkeit zahlen. Davon profitiert der Gesamtkonzern. Das soll künftig nicht mehr möglich sein. Konkret soll Wenn große, global agierende Konzerne kaum dies folgendermaßen verhindert werden: Es gilt Steuern bezahlen, weil sie ihre Gewinne in Steu- ein international festgelegter effektiver Mindest- eroasen verschieben, dann ist das in höchstem steuersatz. Jeder Staat kann zwar weiterhin nied- Maße ungerecht. Dadurch fehlt Geld für wichtige rigere Unternehmenssteuern festlegen, aber das Investitionen in das Gemeinwohl wie gute Schu- lohnt sich nicht mehr. Denn wenn ein Unterneh- len und Kitas, Krankenhäuser und die Rente so- men mit seiner Tochterfirma im Ausland weniger wie für ein gut ausgebautes Streckennetz der Bahn Steuern zahlt, kann der Heimatstaat die Differenz und ordentliche Straßen. Auch führt es zu massi- vom betreffenden Unternehmen verlangen. Das ven Wettbewerbsnachteilen für Unternehmen, die Unternehmen zahlt also auf alle Gewinne mindes- ehrlich ihre Steuern zahlen. Es kann nicht sein, dass tens den global vereinbarten effektiven Mindest- hoch profitable Konzerne durch Tricks Milliarden steuersatz. Höhere Steuern bleiben natürlich wei- an Steuern sparen, während der kleine Handwerks- terhin möglich. betrieb oder der Buchladen um die Ecke mit ihren Steuern ihren Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Diese Ungerechtigkeit wird nun ein Ende haben. Beispiel: Ein international tätiger Konzern hat eine oder mehrere Tochtergesellschaf- ten in einer Steueroase. Er verlagert mög- Eine Lösung zur richtigen Zeit lichst viele der Gewinne rechnerisch dort- hin, weil in dem Land z. B. nur 5 Prozent Die Einigung der G20 kommt genau zur richtigen Steuern erhoben werden. Hier greift die Zeit: Die Corona-Krise hat gezeigt, wie wichtig es neue Regel der Säule II, die globale effektive ist, dass Staaten finanziell handlungsfähig bleiben. Mindeststeuer. Denn nun kann der Staat, in Nur so kann ein Staat auf Krisensituationen wir- dem die Muttergesellschaft des Konzerns kungsvoll reagieren und Betroffene unterstützen. ihren Sitz hat, die Gewinne aus dieser Steu- Während der Pandemie haben insbesondere die In- eroase nachversteuern. Bei einem globalen ternet-Giganten viel Geld verdient. Es ist nur fair, Mindeststeuersatz von 15 Prozent könnte wenn sie nun ihren Anteil an der Finanzierung des der Staat also auf die verlagerten Gewinne Gemeinwesens leisten. Konkret umfasst die Eini- 10 Prozent Unternehmenssteuern von dem gung folgende Punkte: Konzern verlangen. Damit wird sicherge- stellt, dass die Gewinne im Ergebnis einer Mindestbesteuerung von 15 Prozent für alle effektiven Besteuerung in Höhe von 15 Pro- großen Konzerne (Säule II) zent unterliegen: 5 Prozent in der Steu- eroase, 10 Prozent im Sitzland des Kon- Multinationale Konzerne mit mehr als 750 Millio- zerns. Damit lohnt es sich für internationale nen Euro Umsatz im Jahr – egal, ob Möbelkonzern, Konzerne nicht mehr, aus rein steuerlichen Großbank oder digitaler Dienstleister – werden Gründen Tochtergesellschaften zu nutzen. nun global mit einem effektiven Mindeststeuersatz besteuert, der 15 Prozent nicht unterschreiten darf. Außerdem verhindern die neuen Regeln, Dabei ist es egal, wo ihre Gewinne entstehen. dass der Konzern durch Tricks Gewinne in 9
Mehr Steuergerechtigkeit weltweit BMF-Monatsbericht Einigung auf globale Mindeststeuer für Unternehmen Juli 2021 Steueroasen verschiebt. Einer dieser Tricks physisch präsent sind – also dort, wo sie beispiels- ist die Zahlung von Lizenzgebühren. Dazu weise eine Fabrik besitzen und produzieren. In der werden etwa alle Rechte an den Markenna- digitalisierten Wirtschaft sind die Gewinne häufig men und alle Patente an eine Tochtergesell- nicht mehr (so stark) an die physische Präsenz (z. B. schaft gegeben, die in einer Steueroase sitzt. in Form einer Betriebsstätte) gebunden. So können Für die Nutzung der Patente und der Mar- insbesondere die großen Digitalkonzerne eine er- kennamen müssen nun von allen Konzern- hebliche wirtschaftliche Tätigkeit in Marktstaaten gesellschaften in anderen Ländern hohe Ge- entfalten, ohne vor Ort präsent zu sein. Sie verkau- bühren an diese Tochtergesellschaft in der fen Waren oder generieren Werbeeinnahmen, auch Steueroase gezahlt werden. Für die damit wenn sie in dem Land kaum oder gar nicht mit ei- in der Steueroase anfallenden hohen Ge- ner Betriebsstätte präsent sind. winne müssen kaum Steuern bezahlt wer- den. Gleichzeitig können sich die anderen Daher ist eine Neuverteilung der Besteuerungs- Gesellschaften des Konzerns in Ländern mit rechte notwendig geworden. Künftig werden auch höheren Steuern „arm“ rechnen, weil sie die Staaten von der Besteuerung dieser Konzerne profi- Lizenzgebühren als Betriebsausgabe von ih- tieren, in denen diese zwar keine Niederlassung ha- ren Gewinnen steuerlich abziehen können. ben, aber ihre Produkte oder Dienstleistungen ver- So zahlt der Konzern insgesamt deutlich kaufen. Dies gilt für die größten und profitabelsten weniger Steuern – Verlierer ist die Allge- multinationalen Unternehmen mit einem globalen meinheit. Umsatz von mehr als 20 Milliarden Euro und einer Profitabilitätsschwelle („Marge“) von über 10 Pro- Künftig sollen solche Tricks nicht mehr zent des Umsatzes. Hierbei sollen den Marktstaa- möglich sein: Die Lizenzzahlungen dürfen ten – also den Staaten, in denen die Produkte und im Heimatland nicht mehr vollständig als Dienstleistungen tatsächlich verkauft werden – Be- Betriebsausgabe abgezogen werden, soweit steuerungsrechte auf 20 Prozent bis 30 Prozent des sie auf Ebene der Gesellschaft, die ihren Gewinns zuerkannt werden, der eine Marge von Sitz in einer Steueroase hat, niedrig besteu- 10 Prozent übersteigt. ert werden. Auch dadurch wird im Ergeb- nis eine effektive Besteuerung auf Höhe des Mindestniveaus sichergestellt. Beispiel: Eine Internetsuchmaschine ver- wendet Nutzerdaten, um gezielt Werbung zu schalten, und erzielt damit in einem Land hohe Profite. Derzeit ist nicht sicher- Eine faire internationale gestellt, dass in diesem Land auch Steuern Verteilung der Steuern – auch auf diese Profite bezahlt werden, wenn das für die großen Digitalkonzerne Unternehmen dort nicht physisch präsent ist. Es ist aber fair, wenn diejenigen Staaten, (Säule I) in denen die Profite tatsächlich entstehen, auch die entsprechenden Steuern einneh- Neben der globalen effektiven Mindestbesteuerung men. Wir nennen diese Staaten „Marktstaa- für Unternehmen enthält die Einigung auch eine ten“. Im Beispiel der Suchmaschine etwa Vereinbarung zur Neuverteilung der Besteuerungs- soll ein Teil der Steuern in den Marktstaaten rechte. Das gilt insbesondere für die digitalisierte bezahlt werden, in denen die Nutzerinnen Wirtschaft. Traditionell werden Gewinne von Un- und Nutzer ansässig sind. ternehmen international dort besteuert, wo diese 10
Mehr Steuergerechtigkeit weltweit BMF-Monatsbericht Einigung auf globale Mindeststeuer für Unternehmen Juli 2021 Wichtig dabei ist, dass kein großer Digitalkonzern Deutschland wird finanziell von durch das Raster fällt. Deshalb ist in der Vereinba- dieser Reform profitieren rung sichergestellt, dass dort, wo dies notwendig ist, auf die einzelnen Geschäftsbereiche des Konzerns Mit der erfolgten Festlegung des Steuersatzes auf geschaut und deren Profitabilität separat bewer- mindestens 15 Prozent wird weltweit mit erhebli- Schlaglicht tet wird (sogenannte Segmentierung). Zum Beispiel chen Steuermehreinnahmen gerechnet. Laut Pres- werden beim hoch profitablen Plattformgeschäft semitteilung der OECD vom 1. Juli 2021 wird bei ei- einzelner Konzerne die dort gemachten Gewinne nem Mindeststeuersatz von 15 Prozent weltweit der Besteuerung zugrunde gelegt. Eine Verrech- mit zusätzlichen Steuereinnahmen von 150 Mil- nung dieser Gewinne mit anderen Geschäftsberei- liarden US-Dollar jährlich gerechnet. Darüber hi chen wird nicht möglich sein. naus entfaltet die Mindestbesteuerung erhebliche präventive Wirkung und stoppt den schädlichen Steuerwettbewerb zwischen Staaten („race to the Beide Säulen werden nun weltweit bottom“), der sich bislang in deutlich sinkenden umgesetzt, auch in Europa Unternehmenssteuern weltweit niedergeschlagen hat. Nach der Billigung durch die G20 gilt es, eine schnelle Umsetzung der neuen Regelungen zu ga- Auch Deutschland wird mit seiner exportorientier- rantieren und gleichzeitig den wenigen bisher un- ten Wirtschaft nach ersten Schätzungen von den entschlossenen Staaten des Inclusive Framework neuen Regeln und der Neuverteilung der Besteue- on BEPS die Möglichkeit zu geben, sich der histo- rungsrechte finanziell profitieren. rischen Einigung anzuschließen. Aufgrund der be- reits auf globaler Ebene erzielten breiten Verstän- Die fiskalischen Effekte der Neuverteilung der Be- digung besteht große Zuversicht, dass dies gelingt. steuerungsrechte hat das ifo Institut jüngst unter- Auch auf europäischer Ebene soll die Vereinbarung sucht.2 Zur globalen effektiven Mindestbesteue- der OECD und G20 umgesetzt werden. rung hat die EU-Steuerbeobachtungsstelle kürzlich eine Studie veröffentlicht.3 Die Studien erwarten eine positive fiskalische Auswirkung der neuen Re- geln für Deutschland. 2 Link zur Studie: http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20210702 3 Link zur Studie: http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20210703 11
Mehr Steuergerechtigkeit weltweit BMF-Monatsbericht Juli 2021 Bundesfinanzminister Olaf Scholz © Bundesministerium der Finanzen/photothek Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister Wie kann eine globale effek- ist gerecht – und richtig, denn gerade die Pande- tive Mindestbesteuerung tat- mie hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass die Staaten sächlich mehr Steuergerech- über ausreichend finanzielle Ressourcen verfügen, um ihre Bürgerinnen und Bürger zu schützen, Un- tigkeit weltweit erzeugen? ternehmen zu stützen und Arbeitsplätze zu sichern. Mit der globalen Mindestbesteuerung beenden wir den weltweiten Wettlauf um möglichst nied- Stichwort global – wie können rige Steuersätze. Künftig soll für international agie- sich so viele Staaten der Welt rende Konzerne ein effektiver Steuersatz von min- destens 15 Prozent gelten. Damit trocknen wir einigen? Wie funktioniert ein Steueroasen aus. Denn Unternehmen haben nicht globaler Verhandlungsprozess? mehr die Chance, ihre Steuer künstlich kleinzu- rechnen, indem sie ihre Gewinne in Staaten mit be- Die G20-Mitglieder, die Staaten der Organisation sonders niedrigen Steuersätzen verschieben. Die für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- globale effektive Mindestbesteuerung stellt sicher, lung (OECD) und eine Reihe von Entwicklungs- dass jedes Unternehmen seinen fairen Beitrag zur und Schwellenländern haben sich im Jahr 2012 Finanzierung des Gemeinwesens leisten muss. Das dem BEPS-Projekt angeschlossen. BEPS steht für 12
Mehr Steuergerechtigkeit weltweit BMF-Monatsbericht Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister Juli 2021 Base Erosion and Profit Shifting – auf Deutsch etwa Kombination aus mehreren Faktoren neben der Gewinnkürzung und Gewinnverlagerung. Das er- Beharrlichkeit der Verhandlungsführung zum Er- klärte Ziel dieser 139 Staaten ist es, internatio- folg geführt. Insbesondere die Corona-Pande- nal abgestimmt und gemeinsam gegen aggressive mie hat allen Staaten sehr deutlich vor Augen ge- Steuervermeidung zu kämpfen. Solche globalen führt, wie eng die Welt miteinander verbunden Schlaglicht Ansätze sind mühsam, aber der einzige Weg, wenn ist, wie erfolgreich eine gute Zusammenarbeit sein man weltweit verbindliche Standards eta blieren kann und wie wichtig es für Staaten ist, über aus- will. reichend Finanzkraft zu verfügen. Hilfreich war si- cherlich auch das öffentliche Bekenntnis der neuen Im Jahr 2018 hat Deutschland gemeinsam mit US-Regierung zu diesem Projekt, mit dem im Früh- Frankreich den Vorschlag einer globalen effektiven jahr 2021 dann neuer Schwung und positive Dy- Mindestbesteuerung in die Verhandlung auf Ebene namik in die Verhandlungen kamen. Dafür bin ich der OECD eingebracht. Sowohl die Frage einer sehr dankbar. Mindestbesteuerung als auch die Frage der Neu- verteilung der internationalen Besteuerungsrechte wurden stets gemeinsam verhandelt und disku- Wie können Staaten wie Irland tiert. Seither hat es eine Vielzahl von Treffen und davon überzeugt werden, Videokonferenzen gegeben; auch bei den Spitzen- gesprächen auf Ebenen von G7, G20, der IWF-Ta- bei einer globalen effektiven gungen und bei unzähligen bilateralen Begegnun- Mindestbesteuerung gen hat dieses Thema breiten Raum eingenommen. mitzumachen, die einen Am 1. Juli 2021 haben sich schließlich 130 Staa- niedrigeren Steuersatz als die ten (nach gegenwärtigem Stand: 132 Staaten) auf diese Lösung verständigt – was ein kolossaler Er- geplante Mindestbesteuerung folg ist für mehr Steuergerechtigkeit. Damit ist ein haben? riesiger Schritt getan, die nächsten Schritte müs- sen nun folgen, damit diese Einigung überall um- Keinem Staat wird vorgeschrieben, welcher Steu- gesetzt wird. ersatz für Unternehmen in seinem Land gelten soll. Allerdings erhalten Staaten, die einen höheren Steuersatz erheben, die Möglichkeit, auf die sehr Das Projekt, eine weltweit niedrigen Steuersätze anderer Staaten zu reagie- geltende Mindestbesteuerung ren. Sie können z. B. Gewinne nachversteuern, die Unternehmen ins Ausland verschoben haben. Die für die Global Player der Wirt- Höhe dieser (Nach-)Besteuerung richtet sich dabei schaft einzurichten, ist nicht nach der Differenz zwischen der tatsächlichen Be- neu. Was hat schließlich für steuerung im anderen Land und dem vereinbar- den Durchbruch gesorgt, dass ten Mindeststeuersatz. Ein Beispiel: Staat X ver- langt einen Steuersatz von 7 Prozent. Staat Y hat es dabei nun vorangeht? Gab nun die Möglichkeit, die Gewinne des Konzerns, es den einen Turning Point? die in seinem Land anfallen, mit weiteren 8 Prozent (15 %-7 %=8 %) nachzuversteuern. Die globale Mindestbesteuerung beruht, wie ge- sagt, auf einem Vorschlag, den ich gemeinsam mit Die Mindestbesteuerung ist also so konzipiert, meinem französischen Kollegen Bruno Le Maire dass sie die Souveränität der Einzelstaaten respek- 2018 in die internationale Diskussion eingebracht tiert und berücksichtigt. Die globale effektive Min- habe. Seit Anfang 2019 war sie fester Bestand- destbesteuerung bringt auch Vorteile für Nied- teil der OECD-Verhandlungen. Letztlich hat eine rigsteuerländer. Für sie fällt der Druck weg, beim 13
Mehr Steuergerechtigkeit weltweit BMF-Monatsbericht Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister Juli 2021 schädlichen Steuersenkungswettbewerb („race to Das Zwei-Säulen-Projekt the bottom“) anderer mitmachen zu müssen. Wir zielt auf multinationale sind überzeugt, dass die Staaten, die der internati- Großkonzerne ab. Im onalen Einigung bisher noch nicht zugestimmt ha- ben, sich der positiven internationalen Dynamik Fokus stehen aber auch auf Dauer nicht entziehen wollen und ebenfalls Digitalunternehmen. Warum diese historische Chance für mehr globale Steuer- war Ihnen dies besonders gerechtigkeit ergreifen werden. wichtig? Das immense Wachstum der Plattformkonzerne Der öffentliche Druck auf zeigt, wie gravierend Geschäftsmodelle und da- Unternehmen wird stetig mit Unternehmensstrukturen durch die Digita- lisierung verändert werden. In den vergangenen erhöht. Einige Unternehmen zehn Jahren, insbesondere aber auch durch die Co- sehen sich zu Unrecht an rona-Krise, ist die Branche digitaler Produkte und den Pranger gestellt, andere Dienstleistungen stark gewachsen. Denken wir fürchten Fesseln für das beispielsweise an den starken Zuwachs bei On- line-Meetings, beim Einkaufen online, bei Strea- Wachstum. Wie gehen mingdiensten – und unzählige weitere Bereiche. Sie mit dem Widerstand Sie alle haben sich in der Pandemie sehr schnell der Wirtschaft um? Wie verändert und sind digitaler geworden. überzeugen Sie die Zweifler Dieser Wirtschaftsbereich wird oft von multinati- unter den Unternehmern? onalen Konzernen und immateriellen Gütern wie Kommunikations- oder Handelsplattformen ge- Durch die internationale Verständigung erlangen prägt. Er hat einen völlig anderen Wertschöpfungs- die Unternehmen die nötige Rechtssicherheit, um prozess als die klassische Industrie. Das ist eine der die sie seit Längerem zu Recht bitten. Denn wenn größten Herausforderungen für unsere Steuersys- jedes Land eigene Regeln zur Besteuerung interna- teme: Immaterielle Werte und grenzüberschrei- tionaler Unternehmen entwickelt, ohne Absprache tende Dienstleistungen ermöglichen es Unter- mit anderen Staaten, würde dies einen Flickentep- nehmen, in einem Land Produkte zu verkaufen, pich an Regelungen ergeben. Deshalb gibt es viel ohne dort physisch präsent zu sein. Eine physi- Unterstützung in der Wirtschaft für unseren Weg, sche Präsenz ist aber oft eine steuerrechtliche Vo- das internationale Steuersystem in enger inter- raussetzung, damit dort erzielte Gewinne besteuert nationaler Zusammenarbeit fit zu machen für die werden können. Es sind vor allem große Digitalun- Zukunft. ternehmen, die hohe Umsätze erwirtschaften und eine überdurchschnittlich hohe Profitabilität auf- weisen. Wenn wir also von einer fairen Besteue- rung multinationaler Großkonzerne sprechen, ist es besonders wichtig, auch alle großen Digitalun- ternehmen einzubeziehen. 14
Mehr Steuergerechtigkeit weltweit BMF-Monatsbericht Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister Juli 2021 In welchem Moment haben Sie gezweifelt, ob es eine Vereinbarung über eine globale Mindestbesteuerung Schlaglicht bis zu diesem Sommer gibt? Meine langen Erfahrungen mit Verhandlungen ha- ben bei mir die Erkenntnis reifen lassen, dass sol- che Prozesse ihre Höhen und Tiefen durchlaufen, manchmal auch Längen haben. Doch ich war im- mer zuversichtlich, dass es letztlich zu einer inter- nationalen Einigung kommen wird. Jetzt ist es ein- fach schön, dass wir eine Vereinbarung geschafft haben. Die Welt wird damit gerechter. Bundesfinanzminister Olaf Scholz © Bundesministerium der Finanzen/photothek 15
Analysen und Berichte Analysen und Berichte Gesetz zur Modernisierung des Tabaksteuerrechts 18 Föderales Forum 22 Statistik über die Einspruchsbearbeitung in den Finanzämtern 28 Neue Einsatztrainingszentren für die waffenführenden Beschäftigten des Zolls 33
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Juli 2021 Gesetz zur Modernisierung des Tabaksteuerrechts ● Mit dem Tabaksteuermodernisierungsgesetz werden das Tabaksteuergesetz und gleichzeitig die Tabaksteuerverordnung geändert. Die letztmalige größere Überarbeitung des Tabaksteuer- rechts fand im Jahr 2011 statt. ● Mit dem Gesetz wird die Steuer auf Zigaretten und Feinschnitt in den nächsten fünf Jahren in vier Stufen angehoben. ● Daneben wird die Besteuerung von erhitztem Tabak („Heat-not-Burn-Produkte“) sowie Substanzen, die in E-Zigaretten konsumiert werden, angepasst. Wasserpfeifentabak unterliegt zukünftig ebenfalls einer angepassten, höheren Besteuerung. ● Das Gesetz trägt neben der Verstetigung beziehungsweise einem moderaten Anwachsen der Steuereinnahmen gesundheitlichen Aspekten Rechnung, indem es die Hemmschwelle zum Rauchen von Zigaretten und sonstigen Produkten wie E-Zigaretten, Shishas und anderen neu- artigen Rauchprodukten erhöht. Das Tabaksteuerrecht Die letzte größere Anpassung des Tabaksteuerge- setzes erfolgte im Jahr 2011. Die Steuern wurden Das deutsche Tabaksteuerrecht ist eingebettet in seit dem Jahr 2015, als das damalige Tabaksteuer- das harmonisierte europäische Verbrauchsteuer- modell auslief, nicht mehr gesetzlich angehoben. recht. Harmonisierung bedeutet, dass durch die Daher war es nun an der Zeit, mit dem Gesetz zur europäische Tabaksteuerrichtlinie gleiche Rah- Modernisierung des Tabaksteuerrechts die gesetzli- menbedingungen in allen Mitgliedstaaten der Eu- chen Bedingungen an die veränderten Rauch- und ropäischen Union (EU) gelten. Diese europäische Konsumgewohnheiten der Bevölkerung anzupas- Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten mit Leben sen. Auch im Vergleich zum Besteuerungsniveau in füllen, indem sie die Richtlinie in nationales Recht anderen Mitgliedstaaten der EU war eine Aktuali- umsetzen. Dabei verbleibt ihnen ein Umsetzungs- sierung angezeigt. spielraum, etwa bei der Höhe der einzelnen Steu- ertarife. In Deutschland erfolgt diese Umsetzung durch das Tabaksteuergesetz und die Tabaksteu- Das Tabaksteuermodell erverordnung. Das Tabaksteuergesetz regelt, wel- kam erstmals im Zeitraum 2011 bis 2015 zum che Produkte der Besteuerung unterliegen und in Tragen. Es sah eine jährliche moderate Er- welcher Höhe. Die Tabaksteuerverordnung ent- höhung der Tabaksteuer auf Zigaretten und hält Verfahrensregelungen und Durchführungsbe- Feinschnitt vor. Dieses Modell erfährt nun stimmungen, z. B. hinsichtlich der Berechnung der im Tabaksteuermodernisierungsgesetz eine Steuer oder Regelungen bezüglich der zu verwen- Neuauflage. Binnen fünf Jahren wird ab dem denden Steuerzeichen. Jahr 2022 in vier Stufen die Tabaksteuer mo- derat und für alle Seiten planbar angepasst. 18
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Gesetz zur Modernisierung des Tabaksteuerrechts Juli 2021 Veränderte Rauchgewohn Anstieg der Tabaksteuer in mehreren Stufen vor. heiten und neue Produkte Dadurch soll eine stärkere Abwanderung von Kon- sumentinnen und Konsumenten zu nicht im In- Analysen und Berichte Seit der vorangegangenen Anpassung des Tabak- land versteuerten und/oder illegalen Tabakwaren, steuergesetzes haben sich die Rauch- und Konsum- beispielsweise aus Schmuggelaktivitäten oder gewohnheiten verändert. Neben den klassischen durch Käufe auf dem sogenannten Schwarzmarkt, Produkten – Zigaretten, Feinschnitt, Zigarren, Ziga- verhindert werden. Hierbei wird insbesondere der rillos und Pfeifentabak – sind neuartige Produkte Bedeutung von Feinschnitttabak als Tabakware für auf den Markt gekommen. Dies sind neben E-Zi- preissensible Konsumentinnen und Konsumenten garetten vor allem sogenannte Tabakerhitzer, in Rechnung getragen, indem eine gezielt geschaffene denen statt eines Verbrennungsprozesses der Ta- Steuer- und Preisdifferenz zu Zigaretten bestehen bak in einem elektrischen Gerät lediglich erhitzt bleibt. Das Tabaksteuermodell dient der Steuerge- und so eine Inhalation ermöglicht wird. Zudem rechtigkeit, ermöglicht eine angemessene Besteu- ist ein deutlicher Anstieg beim Konsum von Was- erung des Niedrigpreissegments und schafft Pla- serpfeifentabak festzustellen. Diese Produkte sind nungssicherheit und Vorhersehbarkeit künftiger genau wie die klassischen Rauchprodukte nicht Tabaksteuereinnahmen. Zudem dient es einem als harmlos anzusehen. Ihr Konsum stellt eben- Gleichgewicht zwischen dem Ziel konstanter Steu- falls eine Gesundheitsgefährdung dar und birgt ereinnahmen und den Zielen im Bereich der öf- Abhängigkeitspotenzial. fentlichen Gesundheit. E-Zigaretten, in denen mithilfe eines elektroni- Anpassungen im schen Verdampfers Flüssigkeiten verdampft wer- Tabaksteuermodernisierungsgesetz den, wurden bislang durch das Tabaksteuergesetz nicht erfasst und dementsprechend nicht besteu- Das Tabaksteuermodernisierungsgesetz sieht ne- ert. Nunmehr sollen die zum Verdampfen verwen- ben einer Neuauflage des Tabaksteuermodells ab deten Flüssigkeiten, z. B. eine Basis in Form von dem 1. Januar 2022 eine höhere Besteuerung soge- Glycerin, eventuell zugefügtes Nikotin sowie Aro- nannter Heat-not-Burn-Produkte vor. Zudem wird men, der Besteuerung unterliegen. Diese Produkte erstmalig eine Besteuerung auf Substanzen zum werden entweder als sogenanntes fertiges Liquid Konsum in E-Zigaretten erfolgen, unabhängig von oder als Komponenten zum Selbstmischen ange- einem eventuellen Nikotingehalt. Es wird eine Zu- boten. Die Besteuerung richtet sich dabei nach der satzsteuer auf Wasserpfeifentabak eingeführt, die Menge der Flüssigkeiten in Millilitern, unabhän- im Ergebnis eine Besteuerung in vergleichbarer gig vom Nikotingehalt. E-Zigaretten sind ein Aus- Höhe zur Zigarette bewirkt. Daneben gibt es An- weichprodukt für klassische Zigaretten und bergen passungen im Bereich der Mindeststeuer auf Ziga- sowohl ein Sucht- als auch Gesundheitsgefähr- retten sowie bei Feinschnitt, Zigarren beziehungs- dungspotenzial. Um diesem angemessen begegnen weise Zigarillos und Pfeifentabak. zu können, unterliegen diese Substanzen ab dem 1. Juli 2022 ebenfalls der Besteuerung. Damit es in dieser jungen Branche nicht zu Marktverwerfun- Moderne Besteuerung der gen oder starken Ausweichbewegungen auf andere unterschiedlichen Rauchprodukte Märkte kommt, wurde hier ein späterer Zeitpunkt für den Beginn der Besteuerung gewählt, wel- Um die Tabaksteuereinnahmen auch zukünftig zu cher ausreichend Vorlauf zur Vorbereitung auf die verstetigen, wird das Tabaksteuermodell für Ziga- neuen Bedingungen ermöglicht. Diese neu einge- retten und Feinschnitt ab dem 1. Januar 2022 fort- führte Besteuerung dient der Beachtung der Steu- geführt. Dieses Modell sieht, wie das Tabaksteuer- ergerechtigkeit durch die Erfassung dieses Subs- modell der Jahre 2011 bis 2015, einen moderaten titutionsprodukts als Steuergegenstand. Zudem 19
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Gesetz zur Modernisierung des Tabaksteuerrechts Juli 2021 sichert sie durch die Anwendung eines sachgerech- gesundheitsgefährdenden Konsum abhalten. Mit ten Steuertarifs die Erzielung von Steuermehrein- der Einführung einer Zusatzsteuer auf Wasserpfei- nahmen und leistet somit ihren Beitrag zur Moder- fentabak wird gezielt an diesem Punkt angesetzt nisierung des Tabaksteuerrechts. und ein entsprechender Lenkungszweck verfolgt. Der Konsum von Wasserpfeifentabak soll gerade Erhitzter Tabak, also einzeln portionierte Tabak- auch für junge Menschen unattraktiver gemacht sticks zur Verwendung in elektrischen Geräten, werden, um der Gesundheitsgefahr und dem Niko- wurde bislang ausschließlich wie Pfeifentabak be- tinabhängigkeitspotenzial von Wasserpfeifentabak steuert. Aufgrund der Beschaffenheit der Tabak- entgegenzuwirken. Dies trägt zu einem erhöhten sticks handelt es sich um ein Substitutionsprodukt Jugend- und Gesundheitsschutz bei und berück- für Zigaretten. Die zusätzliche Besteuerung von er- sichtigt in angemessener Weise die gesundheits- hitztem Tabak führt im Ergebnis dazu, dass diese schädigenden Aspekte des Wasserpfeifenkonsums. zukünftig in Höhe von ungefähr 80 Prozent der auf Zigaretten liegenden Steuerlast besteuert wer- den. Diese Besteuerung dient der Verringerung des Aktualisierung der europä Konsums von gesundheitsschädlichem Nikotin. ischen Tabaksteuerrichtlinie Genau wie bei Zigaretten ist der Hauptzweck von erhitztem Tabak die Nikotinzufuhr. Erhitzter Tabak Das aktuelle Regelwerk der EU zur Tabaksteuer wird im Rahmen bestehender Nikotinabhängigkeit ist die Richtlinie 2011/64/EU des Rates vom konsumiert und substituiert insofern die Zigarette. 21. Juni 2011 (sogenannte Tabaksteuerrichtlinie). In der Tabaksteuerrichtlinie sind die EU-Vorschrif- Das Angebot an Wasserpfeifentabak nimmt ste- ten für die Besteuerung von Tabakwaren und ins- tig zu, das Rauchen dieses Tabaks ist insbesondere besondere die Struktur und die Mindeststeuer- in Shisha-Bars sehr verbreitet. Da Wasserpfeifenta- sätze festgelegt. Die Vorschrift soll das reibungslose bak im Regelfall stark aromatisiert ist, tritt hier der Funktionieren des Binnenmarkts und gleichzeitig klassische Tabakgeschmack in den Hintergrund. ein hohes Gesundheitsschutzniveau gewährleisten Aus diesem Grund spricht Wasserpfeifentabak als und zur Bekämpfung von Steuerbetrug, Steuerhin- geselliges Konsum- und Gemeinschaftsprodukt terziehung und rechtswidrigem grenzüberschrei- insbesondere junge Menschen an. tendem Einkauf beitragen. Mit einem im Jahr 2020 durch die Europäische Kommission vorgeleg- Die gesundheitliche Gefahr durch Wasserpfeifenta- ten Evaluierungsbericht zur geltenden Tabaksteu- bak ist jedoch nicht zu unterschätzen. Aufgrund der errichtlinie wurden Defizite in der Struktur und starken Aromatisierung nehmen die Konsumen- bei den Mindeststeuersätzen für Tabakwaren so- tinnen und Konsumenten diese Gesundheitsge- wie eine fehlende Harmonisierung bei neuartigen fährdung oftmals nicht oder nur in geringem Maße Rauchprodukten aufgezeigt. Diese Defizite machen wahr. Beim Rauchen von Wasserpfeifentabak wird eine Überarbeitung der zehn Jahre alten Tabaksteu- ähnlich viel oder auch mehr Nikotin als beim Rau- errichtlinie notwendig. Alle Mitgliedstaaten messen chen einer klassischen Zigarette aufgenommen. der harmonisierten Besteuerung neuer Rauch- und Tabakprodukte bei der Überarbeitung der Tabak- Durch den bisher geltenden niedrigeren Steu- steuerrichtlinie eine große Bedeutung zu. Gleiches ertarif für Pfeifentabak kann Wasserpfeifentabak gilt für einen verbesserten Gesundheitsschutz im zu Preisen angeboten werden, welche die oftmals Zusammenhang mit dem Tabak- und Rauchkon- eher preissensiblen jungen Menschen regelmä- sum, der neben nachhaltigen Steuereinnahmen ßig nicht abschrecken und somit auch nicht vom ein wesentliches Ziel der Richtlinienüberarbeitung 20
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Gesetz zur Modernisierung des Tabaksteuerrechts Juli 2021 sein wird. Die EU-Kommission plant aktuell, vo Tabaksteuereinnahmen raussichtlich im 4. Quartal dieses Jahres, den Mit- gliedstaaten einen entsprechenden Legislativvor- Für die Jahre 2022 bis 2026 ergeben sich Analysen und Berichte schlag vorzulegen. Eine öffentliche Konsultation bei Umsetzung des Tabaksteuermoderni- hierzu hat die Kommission bereits durchgeführt sierungsgesetzes prognostizierte Tabak- und den unterschiedlichen Stakeholdern die Mög- steuermehreinnahmen in Höhe von rund lichkeit zur Stellungnahme ermöglicht. Die Über- 14,5 Mrd. €. arbeitung der Richtlinie wird eine längere Zeit in Anspruch nehmen, die Deutschland mit dem Ta- Die prognostizierten Tabaksteuermehrein- baksteuermodernisierungsgesetz überbrückt. Bei nahmen teilen sich wie folgt auf: den Verhandlungen auf Ebene der EU wird sich Deutschland aktiv einbringen. Über die Inhalte des ● Neuauflage des Tabaksteuermodells: ins- Tabaksteuermodernisierungsgesetzes hinaus wer- gesamt rund 10 Mrd. € den sich die Überlegungen und Verhandlungen auch auf die steuerliche Behandlung von Rohtabak ● Einführung einer zusätzlichen Besteue sowie bestimmter rauchloser Tabakerzeugnisse wie rung auf erhitzten Tabak: insgesamt Kau- und Schnupftabak erstrecken. rund 1,5 Mrd. € ● Einführung einer zusätzlichen Besteue- Schutz der Gesundheit rung auf Wasserpfeifentabak: insgesamt rund 2 Mrd. € Das Gesetz bezweckt zudem einen besseren Ge- sundheitsschutz. Nicht nur die klassischen Ta- ● Einführung der Besteuerung von Substi- bakwaren wie Zigaretten, Feinschnitt, Zigarren, tuten zum Konsum in E-Zigaretten: ins- Zigarillos oder auch Pfeifentabak bergen Gesund- gesamt rund 1 Mrd. € heitsrisiken. Auch die neuartigen Rauchprodukte wie E-Zigaretten und erhitzter Tabak sind keine harmlosen Genussprodukte, sondern bergen eine Gefährdung der Gesundheit der Konsumentinnen Fazit und Konsumenten. Dem wird durch eine ange- passte, höhere Besteuerung begegnet, die die Pro- Das Tabaksteuermodernisierungsgesetz ist eine dukte verteuert und so die Hemmschwelle zum moderne zeitgerechte Regelung, die sowohl dem Konsum der Produkte erhöht. Gerade neuartige Gesundheitsschutz angemessen Rechnung trägt als Produkte, aber auch Wasserpfeifentabak, können auch der Sicherung der fiskalischen Interessen des nicht nur Umstiegs-, sondern auch Einstiegspro- Staates durch verstetigte Steuereinnahmen dient. dukte für den Tabakkonsum sein. Durch eine ange- Es ist bewusst schlank gehalten und sieht ange- messene Besteuerung soll ein Anreiz zum Ausstieg messene, durchdachte Steueranpassungen vor. Da- aus dem Tabakkonsum geschaffen oder im bes- durch werden Marktverwerfungen und Abwan- ten Fall bereits der Einstieg in den Konsum von Ta- derungsbewegungen in ausländische oder illegale bakwaren und sonstigen gesundheitsschädlichen Märkte verhindert. Es stellt eine tragfähige Brücke Rauch- und Dampfprodukten verhindert werden. für die Zeit bis zu einer Aktualisierung der europäi- schen Tabaksteuerrichtlinie dar. 21
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Juli 2021 Föderales Forum ● Am 15. Juni 2021 hat das diesjährige Föderale Forum des BMF in digitaler Form stattgefunden. ● Staatssekretär Dr. Rolf Bösinger diskutierte mit Vertreterinnen und Vertretern des Bundestags, der Länder, der Kommunen und der Wissenschaft über föderale Themen. ● Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Effizienz der Transferwege der Bundeshilfen an die Länder und die Kommunen. ● Die Veranstaltung wurde eingeleitet mit einem Vortrag von Prof. Thomas Lenk zur Effizienz der bestehenden Transferkanäle aus wissenschaftlicher Sicht. In der anschließenden Diskussi- on stellten die Diskutierenden die Anforderungen an die zukünftige Ausgestaltung effizienter Transferwege aus ihrer jeweiligen Sicht dar und diskutierten die Ansätze miteinander. Einleitung Problemaufriss zur Veranstaltung Am 15. Juni 2021 fand im BMF das zweite Föderale Forum statt. Das diesjährige Forum beschäftigte Staatssekretär Dr. Bösinger verdeutlichte in seiner sich mit der Effizienz der Transferwege der Bundes- Begrüßungsrede das Ziel der Veranstaltung. Es sei hilfen an die Länder und Kommunen. zu diskutieren, wie dem in der Praxis zunehmend festzustellenden politischen Bedürfnis, die Länder Zu Beginn der Veranstaltung stellte Staatssekre- und Kommunen bei einzelnen Themen von ge- tär Dr. Rolf Bösinger zunächst die Herausforde- samtstaatlichem Interesse zielgerichtet zu unter- rungen dar, die sich für den Bund hinsichtlich der stützen, instrumentell effizient und effektiv Rech- Effizienz der ihm zur Verfügung stehenden Trans nung getragen werden könne. ferwege ergeben. Prof. Thomas Lenk untersuchte im Anschluss die Effizienz der bestehenden Trans- Grundgesetzlich würden dem Bund zur zweckbe- ferwege. Danach diskutierten Vertreterinnen und zogenen Finanzierung von gesamtstaatlich bedeut- Vertreter des Bundes, der Länder, der Kommunen samen Aufgaben oder bundesgesetzlich veranlass- und der Wissenschaft darüber, wie die Transfer- ten Finanzierungslasten nur sehr eingeschränkt wege zukünftig zielgerichteter und effizienter ge- Transferwege mit unterschiedlichen Verteilungs- staltet werden können. wirkungen zur Verfügung stehen. Zu nennen seien hier vor allem die verfassungsrechtlich geregel- ten Gemeinschaftsaufgaben, die Möglichkeit zur Gewährung von Finanzhilfen für bedeutsame In- vestitionen der Länder und Kommunen sowie die Möglichkeit zur Übernahme der Kosten von Geld- leistungsgesetzen des Bundes, die von den Ländern ausgeführt werden. 22
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Föderales Forum Juli 2021 Aufgrund der nur eingeschränkt bestehenden keine Möglichkeit, die Umsetzung der vereinbarten Transferwege sei es in der Vergangenheit jedoch Maßnahmen verbindlich vorzugeben und entspre- zum Teil zu praktischen Problemen bei Bundeshil- chende Nachweise zu verlangen. Darüber hinaus Analysen und Berichte fen gekommen. In diesem Zusammenhang verwies sei eine auf konkrete Bedarfe zugeschnittene Ver- Staatssekretär Dr. Bösinger auf die in den vergange- teilung der Mittel auf die Länder verfassungsrecht- nen Jahren wiederholt erhöhte Quote der Bundes- lich nicht möglich. beteiligung an den Kosten der Unterkunft und Hei- zung (KdU). Die Erhöhungen hätten nicht allein der Entlastung der Kommunen von den KdU gedient, Vortrag zur Effizienz der sondern auch davon abweichende Kosten der Län- bestehenden Transferwege der wie z. B. die Bedarfe für Bildung und Teilhabe berücksichtigt. Zudem werde dieses Instrument – Prof. Lenk, Leiter des Instituts für öffentliche Fi- in Ermangelung anderer Transferwege – vom Bund nanzen und Public Management an der Univer- vermehrt genutzt, um die Kommunen allgemein fi- sität Leipzig, Herausgeber des Jahrbuches für öf- nanziell zu entlasten beziehungsweise deren Inves- fentliche Finanzen und Mitglied im Beirat des titionskraft zu stärken. Zahlungen im Rahmen der Stabilitätsrats, sprach über das Thema „Wie sollte KdU würden im Vergleich zu anderen bestehenden sich ein effizienter Transferweg darstellen? Wie Transferwegen eine stärkere Fokusierung der Bun- sind die aktuellen Transferwege zu beurteilen?“1 deshilfen auf strukturschwache Kommunen zu- lassen. Dieser Transferweg stoße jedoch durch die Die zahlreichen Änderungen des Grundgesetzes grundgesetzlichen Bestimmungen zur Bundesauf- (GG) im Abschnitt des Finanzwesens in den ver- tragsverwaltung an seine Grenzen, da der Bund die gangenen Jahren zeigen laut Prof. Lenk die Bedeu- Kommunen z. B. im Rahmen der Flüchtlingskrise tung des Themas der effizienten Transferwege auf. zusätzlich vollständig von ihren flüchtlingsbezo- So müsse die Frage gestellt werden, ob die gültige genen KdU entlastet habe. Ab einer Bundesbeteili- Finanzverfassung den aktuellen bundesstaatlichen gung von 75 Prozent würden die Länder das Gesetz Herausforderungen anzupassen sei. Prof. Lenk im Auftrag des Bundes ausführen. legte den Schwerpunkt seiner Ausführungen auf die kommunale Situation. Die Finanzausstattung Zur Vermeidung des Eintritts einer Bundesauftrags- der Kommunen liege zwar in der Zuständigkeit der verwaltung wurde laut Staatssekretär Dr. Bösinger Länder, aber wie könnte eine zusätzliche Unter- bei der jährlichen Entlastung der Kommunen in stützung durch den Bund effizient erfolgen? Höhe von 5 Mrd. € seit dem Jahr 2018 ein deutlich höherer Anteil über den Gemeindeanteil an der Generell sei die Steuerverteilung zwischen den Ge- Umsatzsteuer und ein geringerer Anteil über die bietskörperschaften festgelegt. Änderten sich die KdU entlastet als ursprünglich intendiert. Wegen Aufgabenverteilung und dadurch auch die Aus- des wirtschaftskraftbezogenen Verteilungsschlüs- gabenvolumina, so sehe das Grundgesetz vor, die sels des Gemeindeanteils an der Umsatzsteuer sei Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Län- gerade dieser Weg mitunter problematisch, da er dern entsprechend den sogenannten Deckungs- die bestehenden Disparitäten der kommunalen Fi- quoten anzupassen. Funktioniere diese Vorgehens- nanzlage verstärke. Hier könne eine Reform der weise gut, könne über die Steuerzuordnung zu den Kommunaleinnahmenstruktur diskutiert werden. Gebietskörperschaften eine Ausführungskonnexi- tät hergestellt werden, d. h. die Ebene, die für eine Darüber hinaus werde zunehmend der Weg einer Erhöhung des Umsatzsteueranteils der Länder über Festbeträge gewählt, um den Ländern die Erfüllung 1 Prof. Thomas Lenk, „Effiziente Transferwege der Bundesmittel der aus gesamtstaatlicher Sicht erforderlichen Auf- im föderalen Gefüge“, abrufbar unter: gaben zu ermöglichen. Hierbei habe der Bund aber https://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20210721 23
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Föderales Forum Juli 2021 Aufgabe zuständig sei, sei auch für deren Finanzie- steuern. Die Beteiligung des Bundes an den Aus- rung verantwortlich. gaben der Kommunen im Rahmen von Geldleis- tungsgesetzen ordnete Prof. Lenk insbesondere Mit Blick auf die Kommunen dokumentierte hinsichtlich der Zielgenauigkeit als guten Trans Prof. Lenk die Entwicklung der gemeindlichen ferweg ein. Direkte Finanzhilfen hingegen sollten Steuereinnahmen und ging dabei insbesondere auf als Transferwege trotz ihrer hohen Transparenz im den in den vergangenen Jahren signifikant gestie- Volumen eher gesenkt werden, da hier Fehlanreize genen Gemeindeanteil am Aufkommen der Um- vorliegen würden. Auch würden nach Ansicht von satzsteuer ein. Trotz dieser Entwicklung, die sich Prof. Lenk zunehmende Finanzhilfen des Bundes durch zusätzliche Bundeshilfen an die Kommunen die kommunale Selbstbestimmung und die Staats- begründet, sieht er die Finanzlage der Kommunen qualität der Länder aufweichen. als unzureichend an. Dies leitete er aus dem Inves- titions- und Ausgabeverhalten der Kommunen in In seinem Fazit warb Prof. Lenk dafür, die Aufga- den letzten Jahren ab, welches er auf Basis der Ent- benverteilung zwischen Bund, Ländern und Kom- wicklung der aus VGR-Daten2 konstruierten kom- munen regelmäßig zu überprüfen. Hinsichtlich der munalen Nettoinvestitionen als unzureichend er- Normierung der gerechten Verteilungsmaßstäbe achtet. Zudem dokumentierte Prof. Lenk in seinem existierten gute Maßstäbe wie die Steuerzuord- Vortrag die Entwicklung ausgewählter Ausgabepo- nung nach dem örtlichen Aufkommen, die Anreize sitionen auf der kommunalen Ebene und arbeitete zur Steuererhebung setze, und die Einwohner- dabei insbesondere heraus, dass sich ein erhebli- zahl, die einen allgemeinen Bedarfsindikator dar- cher Anteil der kommunalen Ausgabendynamik stelle. Allerdings sollte hier eine Ergänzung durch durch Zuwächse der Bruttosozialausgaben erklä- wenige weitere Bedarfsindikatoren erfolgen, um ren lässt. zur Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse beizutragen. Entsprechend der thematischen Zielsetzung des Föderalen Forums bewertete Prof. Lenk im wei- teren Verlauf seines Vortrags ausgewählte Trans Diskussion zur zukünftigen ferwege der Bundeshilfen an die Kommunen hin- Ausgestaltung effizienter sichtlich der Kriterien Transparenz, Effizienz und Zielgenauigkeit. Transferwege Im Ergebnis ordnete er den Gemeindeanteil an Die Diskussion wurde von Prof. Marcel Thum, der Umsatzsteuer insbesondere hinsichtlich der dem Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats Kriterien Effizienz und Zielgenauigkeit als geeig- beim Bundesministerium der Finanzen, mode- neten Transferweg für Bundesmittel an die Kom- riert. An der Diskussion nahmen, neben Prof. Lenk munen ein. Allerdings plädierte Prof. Lenk hier für und Staatssekretär Dr. Bösinger, MdB3 Bernhard eine Anpassung der Verteilungskriterien des Ge- Daldrup, kommunalpolitischer Sprecher der meindeanteils an der Umsatzsteuer, die bislang SPD-Bundestagsfraktion, Prof. Dörte Diemert, nach Art. 106 Abs. 5a GG auf der Grundlage eines Stadtkämmerin der Stadt Köln, Dr. Andreas Dressel, orts- und wirtschaftskraftbezogenen Schlüssels Finanzsenator der Freien und Hansestadt Ham- basierten. So sollten zukünftig sozioökonomische burg, MdB Christian Haase, kommunalpolitischer Merkmale in die Berechnung des Verteilungs- Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und schlüssels aufgenommen werden, um die Ge- Peter Strobel, Minister für Finanzen und Europa samtlage der Gemeinden aufgabenorientierter zu sowie Minister der Justiz im Saarland, teil. 2 VGR steht für die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. 3 MdB steht für Mitglied des Deutschen Bundestages. 24
Analysen und Berichte Monatsbericht des BMF Föderales Forum Juli 2021 Die Diskussion „Wie können Transferwege zukünf- oft nur eine Anschubfinanzierung leiste und Fol- tig effizienter gestaltet werden?“ startete mit ei- gekosten sowie die Kosten für das zusätzlich be- ner Bestandsaufnahme der aktuellen Situation der nötigte Personal bei den Ländern und Kommunen Analysen und Berichte Transferwege der Bundeshilfen zu den Ländern verblieben. Als Beispiele wurden hier das „Gute-Ki- und Kommunen und thematisierte auch Best- ta-Gesetz“ sowie der „Pakt für den Rechtsstaat“ be- Case- und Worst-Case-Beispiele. nannt. Auch müsse berücksichtigt werden, dass hier bundespolitische Interessen öffentlichkeits- Die Diskutierenden waren sich einig, dass die um- wirksam forciert würden, die in die Länderkom- fangreichen Bundeshilfen an die Länder und Kom- petenzen (beispielsweise in den Bereichen Bildung munen in den vergangenen Jahren notwendig ge- und Justiz) eingriffen. Die Vertreter des Bundes wesen waren, da hiermit gesamtgesellschaftlich hielten dem entgegen, dass es sich bei den geför- wichtige Investitionen in den Bereichen Bildung, derten Projekten vielfach um politisch und ge- sozialer Wohnungsbau und im öffentlichen Perso- sellschaftlich gewünschte Vorhaben von bundes- nennahverkehr (ÖPNV) angestoßen und finanziert weiter Bedeutung handele, bei deren Konzeption werden konnten. Vertreter der Länder auf politischer Ebene oftmals maßgeblich beteiligt gewesen seien. Die Finanzie- Die Länder- und Kommunalvertreterinnen und rung dieser Aufgaben obliege im Sinne der verfas- -vertreter brachten an, dass die finanzielle Situa- sungsrechtlichen Ausführungskonnexität daher tion der Kommunen aktuell nicht zufriedenstel- den Ländern. Zudem sei hier anzumerken, dass die lend sei. Daher sei auch zukünftig deren Unter- Länder mit der Neuordnung der Bund-Länder-Fi- stützung notwendig. Es bestehe auf kommunaler nanzbeziehungen ab dem Jahr 2020 massiv finan- Ebene ein Investitionsnachholbedarf, insbesondere ziell gestärkt worden seien. Hinsichtlich der entste- in den Bereichen Klima, Digitalisierung, Straßen- henden Finanzierungsfolgelasten der Kommunen bau und Schule. Allerdings müsse die Unterstüt- sei es verfassungsrechtlich Aufgabe der Länder, zung bedarfsgerecht, schnell und bürokratiearm entsprechende Finanzmittel an ihre Kommunen sein. weiterzugeben. Die Unterstützung des Bundes für die Kommunen habe aus gesamtstaatlicher Sicht wesentliche Pro- Ausführungs- und Entscheidungskonnexität bleme adressiert, solle nach Bundessicht aber eine Konnexität ist ein Prinzip im Staatsrecht, Ausnahme bleiben, da nach der Finanzverfassung das bestimmt, welche Gebietskörperschaft die finanzielle Ausstattung der Kommunen Auf- die Ausgabenverantwortung für eine staatli- gabe der Länder sei. So habe zur Entlastung der che Aufgabe trägt. Bei der Ausführungskon- Kommunen das GG immer wieder angepasst wer- nexität ist die Finanzierungsverantwortung den müssen. Zudem sei es das Kennzeichen und die an die Durchführungskompetenz gekoppelt, Stärke des Föderalismus, dass Probleme vor Ort ge- d. h., es trägt diejenige Gebietskörperschaft löst werden könnten. die Ausgabelast, die für die Wahrnehmung der Aufgabe zuständig ist. Dieses Prinzip gilt Im Anschluss an diese generellen Themen entwi- im Verhältnis zwischen Bund und Ländern. ckelte sich im weiteren Verlauf eine Diskussion Die Entscheidungskonnexität bedeutet, dass hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung von Un- die Finanzierungsverantwortung mit der Ent- terstützungsleistungen des Bundes. scheidungskompetenz verknüpft wird. Daher muss hier die Gebietskörperschaft die Aus- So wurde von den Ländervertretern bemängelt, dass gabelast tragen, die die Aufgabe – gesetzlich der Bund bei seinen Unterstützungsmaßnahmen oder untergesetzlich – regelt. 25
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