WELTWEIT BMF-Monatsbericht - Juli 2021 - Bundesfinanzministerium

Die Seite wird erstellt Haimo-Haio Kramer
 
WEITER LESEN
WELTWEIT BMF-Monatsbericht - Juli 2021 - Bundesfinanzministerium
BMF-Monatsbericht
Juli 2021

 WELTWEIT
WELTWEIT BMF-Monatsbericht - Juli 2021 - Bundesfinanzministerium
WELTWEIT BMF-Monatsbericht - Juli 2021 - Bundesfinanzministerium
Monatsbericht des BMF
Juli 2021
WELTWEIT BMF-Monatsbericht - Juli 2021 - Bundesfinanzministerium
WELTWEIT BMF-Monatsbericht - Juli 2021 - Bundesfinanzministerium
Editorial
          Editorial                                                                       Monatsbericht des BMF
                                                                                                        Juli 2021

                                                             Durchbruch hat sich Bundesfinanzminister Olaf
                                                             Scholz gemeinsam mit seinem französischen Amts-
                                                             kollegen Bruno Le Maire seit 2018 intensiv eingesetzt.
                                                             Mit einem Schlaglicht beleuchten wir das Thema in
                                                             dieser Ausgabe genauer.

                                                             Noch vor der Sommerpause hat das Bundeskabinett
                                                             den Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2022
                                                             und die Finanzplanung bis 2025 beschlossen. Damit
                                                             setzt die Bundesregierung den erfolgreichen Kurs
                                                             fort, der maßgeblich zur Stützung und Stabilisierung
                                                             der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands in
                                                             der Corona-Krise beigetragen hat. Diese Stabilisie-
Liebe Leserinnen, liebe Leser,                               rung drückt sich in konkreten Zahlen aus. So hat die
                                                             Bundesregierung die Wachstumsprognose für 2022
die Hochwasserereignisse der letzten Tage in Teilen          nochmals deutlich auf 3,6 Prozent angehoben. Ein
unseres Landes sind eine Katastrophe von nationalem          entscheidender Grund dafür ist: Es wurde nicht in die
Ausmaß. Die Schäden sind immens. Niemand kann                Krise hineingespart. Die notwendigen Mittel zur Sta-
das allein bewältigen. Bund und Länder werden da-            bilisierung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt stehen
her gemeinsam handeln und unterstützen. Zunächst             bereit und setzen gezielte, zukunftsorientierte Im-
gilt es, den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern vor         pulse für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum.
Ort schnelle und unbürokratische Hilfe zukommen
zu lassen. Das Bundeskabinett hat daher ein umfang-          Auch im kommenden Jahr sollen ausreichend Mittel
reiches Soforthilfeprogramm beschlossen und steht            zur Krisenbekämpfung bereitgestellt werden. Damit
darüber hinaus bereit, um den Wiederaufbau in den            Deutschland kraftvoll und nachhaltig aus der Krise
nächsten Monaten und Jahren zu unterstützen. Die             hinauswachsen kann, sieht die Bundesregierung mit
schrecklichen Ereignisse verdeutlichen einmal mehr,          der Finanzplanung bis 2025 außerdem vor, dass die
warum der Einsatz gegen den menschengemachten                Ausgaben für Investitionen auf einem hohen Niveau
Klimawandel so wichtig ist.                                  von über 50 Milliarden Euro jährlich gehalten werden.
                                                             Damit soll vor allem in Klimaschutz, Digitalisierung
Für diese und viele andere Aufgaben sind ausrei-             und Modernisierung unseres Landes investiert wer-
chend Steuereinnahmen wichtig. Angesichts global             den. In den vergangenen zwei Jahren sind im Rahmen
tätiger Konzerne bedarf es dazu einer engen Abstim-          des Klimaschutz- und Konjunkturprogramms bereits
mung auf internationaler Ebene. Am 9./10. Juli 2021          mehr als 80 Milliarden Euro zur Finanzierung von
haben die Finanzministerinnen und Finanzminis-               Maßnahmen in den Klimaschutz mobilisiert worden.
ter der größten Industrie- und Schwellenländer (G20)         Mit dem „Klimaschutz Sofortprogramm 2022“ stehen
eine historische Reform der internationalen Unter-           nun weitere 8 Milliarden Euro bereit.
nehmensbesteuerung beschlossen und einen bedeu-
tenden Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit getan. Mit        Ich wünsche Ihnen eine angenehme Lektüre.
der Verständigung auf eine globale effektive Mindest-
besteuerung wird künftig sichergestellt, dass die gro-
ßen weltweit tätigen Konzerne ihren fairen Beitrag
zur Finanzierung des Gemeinwohls leisten und sich
ihrer Steuerpflicht nicht länger durch Gewinnverla-          Wolfgang Schmidt
gerung entziehen können. Für diesen historischen             Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen

                                                         3
Inhaltsverzeichnis

      Inhaltsverzeichnis
      Mehr Steuergerechtigkeit weltweit________________________________7
      Einigung auf globale Mindeststeuer für Unternehmen____________________________________________________ 8
      Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister________________________________________________________ 12

      Analysen und Berichte___________________________________________17
      Gesetz zur Modernisierung des Tabaksteuerrechts________________________________________________________ 18
      Föderales Forum_________________________________________________________________________________________ 22
      Statistik über die Einspruchsbearbeitung in den Finanzämtern___________________________________________ 28
      Neue Einsatztrainingszentren für die waffenführenden Beschäftigten des Zolls___________________________ 33

      Aktuelle Wirtschafts- und Finanzlage____________________________37
      Überblick zur aktuellen Lage_____________________________________________________________________________ 38
      Konjunkturentwicklung aus finanzpolitischer Sicht______________________________________________________ 39
      Steuereinnahmen im Juni 2021__________________________________________________________________________ 46
      Entwicklung des Bundeshaushalts bis einschließlich Juni 2021___________________________________________ 51
      Entwicklung der Kernhaushalte der Länder bis einschließlich Mai 2021__________________________________ 56
      Kreditaufnahme des Bundes und seiner Sondervermögen________________________________________________ 58
      Europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik_____________________________________________________________ 66

      Aktuelles aus dem BMF__________________________________________71
      Termine_________________________________________________________________________________________________ 72
      Publikationen___________________________________________________________________________________________ 73

      Statistiken und Dokumentationen_______________________________75
      Übersichten zur finanzwirtschaftlichen Entwicklung____________________________________________________ 76
      Übersichten zur Entwicklung der Länderhaushalte_______________________________________________________ 77
      Gesamtwirtschaftliches Produktionspotenzial und Konjunktur­komponenten des Bundes________________ 77
      Kennzahlen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung____________________________________________________ 78
Schlaglicht: Mehr
Steuergerechtigkeit
    Mehr Steuergerechtigkeit weltweit

weltweit

Einigung auf globale Mindeststeuer für Unternehmen    8

Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister      12
Mehr Steuergerechtigkeit weltweit                                          BMF-Monatsbericht
                                                                                                 Juli 2021

Einigung auf globale Mindeststeuer für
Unternehmen
       ● Am 9./10. Juli 2021 haben die G20-Finanzministerinnen und -Finanzminister eine historische
         Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung beschlossen und damit einen bedeuten-
         den Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit getan. Die großen, weltweit tätigen Konzerne werden
         ihren fairen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten. Mit der erzielten internationalen
         Verständigung können sie sich ihrer Steuerpflicht nicht länger durch Verlagerung der Gewinne
         entziehen. Die Reform umfasst zwei Säulen.

       ● In der ersten Säule hat sich die G20 auf einen Mechanismus verständigt, mit dem die Besteue-
         rungsrechte der größten und profitabelsten Konzerne der Welt, insbesondere der digitalisierten
         Wirtschaft, neu verteilt werden. Damit werden (Digital-)Konzerne künftig auch dort Steuern
         zahlen, wo ihre Kundinnen und Kunden oder Nutzerinnen und Nutzer sitzen. Das war bislang
         nicht der Fall.

       ● Die zweite Säule sieht eine globale Mindestbesteuerung vor, die dem schädlichen Steuerwett-
         bewerb um die geringsten Steuern ein Ende setzen wird. Künftig zahlen Unternehmen einen
         globalen effektiven Steuersatz von mindestens 15 Prozent auf ihre Gewinne. Den Vorschlag dazu
         haben Bundesfinanzminister Olaf Scholz und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire vor
         drei Jahren gemacht und seitdem intensiv beworben.

    Ein neuer Rahmen für
                                                          und Finanzminister der 20 wichtigsten Industrie-
    das internationale System                             und Schwellenländer (G20) haben das Konzept am
    der Besteuerung von                                   9./10. Juli 2021 bei ihrem Treffen in Venedig ein-
    Unternehmen                                           stimmig unterstützt und dessen rasche Umsetzung
                                                          zugesagt.
Die Einigung zu den beiden Säulen ist eine echte
Revolution der internationalen Besteuerung von
Unternehmen, die historisch ihresgleichen sucht.             Großer Erfolg der deutsch-
Sie zeigt, wie gut multilaterale Zusammenarbeit              französischen Initiative
funktionieren kann, wenn der politische Wille
dazu vorhanden ist. Bereits am 1. Juli 2021 haben         Bereits seit drei Jahren setzt sich das Bundesfi-
die Mitglieder des „Inclusive Framework on BEPS“1,        nanzministerium dafür ein, zu einer internationa-
also des zuständigen Gremiums bei der Organisa-           len Verständigung für eine globale effektive Min-
tion für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-          destbesteuerung zu kommen. Im Oktober 2018
wicklung (OECD), eine breite internationale Ei-           hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz mit seinem
nigung erzielt, der sich inzwischen 132 Staaten           französischen Amtskollegen Bruno Le Maire im
angeschlossen haben. Die Finanzministerinnen              Kreise der G7 und G20 einen Vorschlag vorgelegt –
                                                          und seitdem in unzähligen Gesprächen mit sei-
1   BEPS steht für Base Erosion and Profit Shifting       nen Kolleginnen und Kollegen rund um den Glo-
    (Gewinnkürzung und Gewinnverlagerung).                bus an einer Einigung gearbeitet. Mit dem jetzigen

                                                         8
Mehr Steuergerechtigkeit weltweit                                                     BMF-Monatsbericht
           Einigung auf globale Mindeststeuer für Unternehmen                                            Juli 2021

Übereinkommen der Finanzministerinnen und Fi-                    Außerdem werden Tricks verhindert, mit denen
nanzminister der G20 zeigt sich, dass sich diese Ar-             Konzerne häufig ihre Gewinne kleinrechnen, um
beit gelohnt hat.                                                Steuern zu sparen: International tätige Konzerne
                                                                 haben oft Tochtergesellschaften in anderen Län-
                                                                 dern. Diese finden sich bisher auch in Steueroasen,

                                                                                                                       Schlaglicht
   Ein großer Fortschritt für mehr                               in denen die Tochtergesellschaften kaum Steuern
   (Steuer-)Gerechtigkeit                                        zahlen. Davon profitiert der Gesamtkonzern. Das
                                                                 soll künftig nicht mehr möglich sein. Konkret soll
Wenn große, global agierende Konzerne kaum                       dies folgendermaßen verhindert werden: Es gilt
Steuern bezahlen, weil sie ihre Gewinne in Steu-                 ein international festgelegter effektiver Mindest-
eroasen verschieben, dann ist das in höchstem                    steuersatz. Jeder Staat kann zwar weiterhin nied-
Maße ungerecht. Dadurch fehlt Geld für wichtige                  rigere Unternehmenssteuern festlegen, aber das
Investitionen in das Gemeinwohl wie gute Schu-                   lohnt sich nicht mehr. Denn wenn ein Unterneh-
len und Kitas, Krankenhäuser und die Rente so-                   men mit seiner Tochterfirma im Ausland weniger
wie für ein gut ausgebautes Streckennetz der Bahn                Steuern zahlt, kann der Heimatstaat die Differenz
und ordentliche Straßen. Auch führt es zu massi-                 vom betreffenden Unternehmen verlangen. Das
ven Wettbewerbsnachteilen für Unternehmen, die                   Unternehmen zahlt also auf alle Gewinne mindes-
ehrlich ihre Steuern zahlen. Es kann nicht sein, dass            tens den global vereinbarten effektiven Mindest-
hoch profitable Konzerne durch Tricks Milliarden                 steuersatz. Höhere Steuern bleiben natürlich wei-
an Steuern sparen, während der kleine Handwerks-                 terhin möglich.
betrieb oder der Buchladen um die Ecke mit ihren
Steuern ihren Beitrag zum Gemeinwohl leisten.
Diese Ungerechtigkeit wird nun ein Ende haben.                      Beispiel: Ein international tätiger Konzern
                                                                    hat eine oder mehrere Tochtergesellschaf-
                                                                    ten in einer Steueroase. Er verlagert mög-
   Eine Lösung zur richtigen Zeit                                   lichst viele der Gewinne rechnerisch dort-
                                                                    hin, weil in dem Land z. B. nur 5 Prozent
Die Einigung der G20 kommt genau zur richtigen                      Steuern erhoben werden. Hier greift die
Zeit: Die Corona-Krise hat gezeigt, wie wichtig es                  neue Regel der Säule II, die globale effektive
ist, dass Staaten finanziell handlungsfähig bleiben.                Mindeststeuer. Denn nun kann der Staat, in
Nur so kann ein Staat auf Krisensituationen wir-                    dem die Muttergesellschaft des Konzerns
kungsvoll reagieren und Betroffene unterstützen.                    ihren Sitz hat, die Gewinne aus dieser Steu-
Während der Pandemie haben insbesondere die In-                     eroase nachversteuern. Bei einem globalen
ternet-Giganten viel Geld verdient. Es ist nur fair,                Mindeststeuersatz von 15 Prozent könnte
wenn sie nun ihren Anteil an der Finanzierung des                   der Staat also auf die verlagerten Gewinne
Gemeinwesens leisten. Konkret umfasst die Eini-                     10 Prozent Unternehmenssteuern von dem
gung folgende Punkte:                                               Konzern verlangen. Damit wird sicherge-
                                                                    stellt, dass die Gewinne im Ergebnis einer
   Mindestbesteuerung von 15 Prozent für alle                       effektiven Besteuerung in Höhe von 15 Pro-
   großen Konzerne (Säule II)                                       zent unterliegen: 5 Prozent in der Steu-
                                                                    eroase, 10 Prozent im Sitzland des Kon-
Multinationale Konzerne mit mehr als 750 Millio-                    zerns. Damit lohnt es sich für internationale
nen Euro Umsatz im Jahr – egal, ob Möbelkonzern,                    Konzerne nicht mehr, aus rein steuerlichen
Großbank oder digitaler Dienstleister – werden                      Gründen Tochtergesellschaften zu nutzen.
nun global mit einem effektiven Mindeststeuersatz
besteuert, der 15 Prozent nicht unterschreiten darf.                Außerdem verhindern die neuen Regeln,
Dabei ist es egal, wo ihre Gewinne entstehen.                       dass der Konzern durch Tricks Gewinne in

                                                                9
Mehr Steuergerechtigkeit weltweit                                                      BMF-Monatsbericht
          Einigung auf globale Mindeststeuer für Unternehmen                                             Juli 2021

   Steueroasen verschiebt. Einer dieser Tricks                   physisch präsent sind – also dort, wo sie beispiels-
   ist die Zahlung von Lizenzgebühren. Dazu                      weise eine Fabrik besitzen und produzieren. In der
   werden etwa alle Rechte an den Markenna-                      digitalisierten Wirtschaft sind die Gewinne häufig
   men und alle Patente an eine Tochtergesell-                   nicht mehr (so stark) an die physische Präsenz (z. B.
   schaft gegeben, die in einer Steueroase sitzt.                in Form einer Betriebsstätte) gebunden. So können
   Für die Nutzung der Patente und der Mar-                      insbesondere die großen Digitalkonzerne eine er-
   kennamen müssen nun von allen Konzern-                        hebliche wirtschaftliche Tätigkeit in Marktstaaten
   gesellschaften in anderen Ländern hohe Ge-                    entfalten, ohne vor Ort präsent zu sein. Sie verkau-
   bühren an diese Tochtergesellschaft in der                    fen Waren oder generieren Werbeeinnahmen, auch
   Steueroase gezahlt werden. Für die damit                      wenn sie in dem Land kaum oder gar nicht mit ei-
   in der Steueroase anfallenden hohen Ge-                       ner Betriebsstätte präsent sind.
   winne müssen kaum Steuern bezahlt wer-
   den. Gleichzeitig können sich die anderen                     Daher ist eine Neuverteilung der Besteuerungs-
   Gesellschaften des Konzerns in Ländern mit                    rechte notwendig geworden. Künftig werden auch
   höheren Steuern „arm“ rechnen, weil sie die                   Staaten von der Besteuerung dieser Konzerne profi-
   Lizenzgebühren als Betriebsausgabe von ih-                    tieren, in denen diese zwar keine Niederlassung ha-
   ren Gewinnen steuerlich abziehen können.                      ben, aber ihre Produkte oder Dienstleistungen ver-
   So zahlt der Konzern insgesamt deutlich                       kaufen. Dies gilt für die größten und profitabelsten
   weniger Steuern – Verlierer ist die Allge-                    multinationalen Unternehmen mit einem globalen
   meinheit.                                                     Umsatz von mehr als 20 Milliarden Euro und einer
                                                                 Profitabilitätsschwelle („Marge“) von über 10 Pro-
   Künftig sollen solche Tricks nicht mehr                       zent des Umsatzes. Hierbei sollen den Marktstaa-
   möglich sein: Die Lizenzzahlungen dürfen                      ten – also den Staaten, in denen die Produkte und
   im Heimatland nicht mehr vollständig als                      Dienstleistungen tatsächlich verkauft werden – Be-
   Betriebsausgabe abgezogen werden, soweit                      steuerungsrechte auf 20 Prozent bis 30 Prozent des
   sie auf Ebene der Gesellschaft, die ihren                     Gewinns zuerkannt werden, der eine Marge von
   Sitz in einer Steueroase hat, niedrig besteu-                 10 Prozent übersteigt.
   ert werden. Auch dadurch wird im Ergeb-
   nis eine effektive Besteuerung auf Höhe des
   Mindestniveaus sichergestellt.                                   Beispiel: Eine Internetsuchmaschine ver-
                                                                    wendet Nutzerdaten, um gezielt Werbung
                                                                    zu schalten, und erzielt damit in einem
                                                                    Land hohe Profite. Derzeit ist nicht sicher-
   Eine faire internationale                                        gestellt, dass in diesem Land auch Steuern
   Verteilung der Steuern – auch                                    auf diese Profite bezahlt werden, wenn das
   für die großen Digitalkonzerne                                   Unternehmen dort nicht physisch präsent
                                                                    ist. Es ist aber fair, wenn diejenigen Staaten,
   (Säule I)                                                        in denen die Profite tatsächlich entstehen,
                                                                    auch die entsprechenden Steuern einneh-
Neben der globalen effektiven Mindestbesteuerung                    men. Wir nennen diese Staaten „Marktstaa-
für Unternehmen enthält die Einigung auch eine                      ten“. Im Beispiel der Suchmaschine etwa
Vereinbarung zur Neuverteilung der Besteuerungs-                    soll ein Teil der Steuern in den Marktstaaten
rechte. Das gilt insbesondere für die digitalisierte                bezahlt werden, in denen die Nutzerinnen
Wirtschaft. Traditionell werden Gewinne von Un-                     und Nutzer ansässig sind.
ternehmen international dort besteuert, wo diese

                                                               10
Mehr Steuergerechtigkeit weltweit                                                          BMF-Monatsbericht
           Einigung auf globale Mindeststeuer für Unternehmen                                                 Juli 2021

Wichtig dabei ist, dass kein großer Digitalkonzern                    Deutschland wird finanziell von
durch das Raster fällt. Deshalb ist in der Vereinba-                  dieser Reform profitieren
rung sichergestellt, dass dort, wo dies notwendig ist,
auf die einzelnen Geschäftsbereiche des Konzerns                  Mit der erfolgten Festlegung des Steuersatzes auf
geschaut und deren Profitabilität separat bewer-                  mindestens 15 Prozent wird weltweit mit erhebli-

                                                                                                                          Schlaglicht
tet wird (sogenannte Segmentierung). Zum Beispiel                 chen Steuermehreinnahmen gerechnet. Laut Pres-
werden beim hoch profitablen Plattformgeschäft                    semitteilung der OECD vom 1. Juli 2021 wird bei ei-
einzelner Konzerne die dort gemachten Gewinne                     nem Mindeststeuersatz von 15 Prozent weltweit
der Besteuerung zugrunde gelegt. Eine Verrech-                    mit zusätzlichen Steuereinnahmen von 150 Mil-
nung dieser Gewinne mit anderen Geschäftsberei-                   liarden US-Dollar jährlich gerechnet. Darüber hi­
chen wird nicht möglich sein.                                     naus entfaltet die Mindestbesteuerung erhebliche
                                                                  präventive Wirkung und stoppt den schädlichen
                                                                  Steuerwettbewerb zwischen Staaten („race to the
   Beide Säulen werden nun weltweit                               bottom“), der sich bislang in deutlich sinkenden
   umgesetzt, auch in Europa                                      Unternehmenssteuern weltweit niedergeschlagen
                                                                  hat.
Nach der Billigung durch die G20 gilt es, eine
schnelle Umsetzung der neuen Regelungen zu ga-                    Auch Deutschland wird mit seiner exportorientier-
rantieren und gleichzeitig den wenigen bisher un-                 ten Wirtschaft nach ersten Schätzungen von den
entschlossenen Staaten des Inclusive Framework                    neuen Regeln und der Neuverteilung der Besteue-
on BEPS die Möglichkeit zu geben, sich der histo-                 rungsrechte finanziell profitieren.
rischen Einigung anzuschließen. Aufgrund der be-
reits auf globaler Ebene erzielten breiten Verstän-               Die fiskalischen Effekte der Neuverteilung der Be-
digung besteht große Zuversicht, dass dies gelingt.               steuerungsrechte hat das ifo Institut jüngst unter-
Auch auf europäischer Ebene soll die Vereinbarung                 sucht.2 Zur globalen effektiven Mindestbesteue-
der OECD und G20 umgesetzt werden.                                rung hat die EU-Steuerbeobachtungsstelle kürzlich
                                                                  eine Studie veröffentlicht.3 Die Studien erwarten
                                                                  eine positive fiskalische Auswirkung der neuen Re-
                                                                  geln für Deutschland.

                                                                  2   Link zur Studie:
                                                                      http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20210702
                                                                  3   Link zur Studie:
                                                                      http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20210703

                                                                11
Mehr Steuergerechtigkeit weltweit                                              BMF-Monatsbericht
                                                                                                   Juli 2021

  Bundesfinanzminister Olaf Scholz
  © Bundesministerium der Finanzen/photothek

Im Interview:
Olaf Scholz, Bundesfinanzminister
   Wie kann eine globale effek-                            ist gerecht – und richtig, denn gerade die Pande-
   tive Mindestbesteuerung tat-                            mie hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass die Staaten
   sächlich mehr Steuergerech-                             über ausreichend finanzielle Ressourcen verfügen,
                                                           um ihre Bürgerinnen und Bürger zu schützen, Un-
   tigkeit weltweit erzeugen?                              ternehmen zu stützen und Arbeitsplätze zu sichern.

Mit der globalen Mindestbesteuerung beenden
wir den weltweiten Wettlauf um möglichst nied-                Stichwort global – wie können
rige Steuersätze. Künftig soll für international agie-        sich so viele Staaten der Welt
rende Konzerne ein effektiver Steuersatz von min-
destens 15 Prozent gelten. Damit trocknen wir
                                                              einigen? Wie funktioniert ein
Steueroasen aus. Denn Unternehmen haben nicht                 globaler Verhandlungsprozess?
mehr die Chance, ihre Steuer künstlich kleinzu-
rechnen, indem sie ihre Gewinne in Staaten mit be-         Die G20-Mitglieder, die Staaten der Organisation
sonders niedrigen Steuersätzen verschieben. Die            für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
globale effektive Mindestbesteuerung stellt sicher,        lung (OECD) und eine Reihe von Entwicklungs-
dass jedes Unternehmen seinen fairen Beitrag zur           und Schwellenländern haben sich im Jahr 2012
Finanzierung des Gemeinwesens leisten muss. Das            dem BEPS-Projekt angeschlossen. BEPS steht für

                                                         12
Mehr Steuergerechtigkeit weltweit                                                   BMF-Monatsbericht
          Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister                                             Juli 2021

Base Erosion and Profit Shifting – auf Deutsch etwa           Kombination aus mehreren Faktoren neben der
Gewinnkürzung und Gewinnverlagerung. Das er-                  Beharrlichkeit der Verhandlungsführung zum Er-
klärte Ziel dieser 139 Staaten ist es, internatio-            folg geführt. Insbesondere die Corona-Pande-
nal abgestimmt und gemeinsam gegen aggressive                 mie hat allen Staaten sehr deutlich vor Augen ge-
Steuervermeidung zu kämpfen. Solche globalen                  führt, wie eng die Welt miteinander verbunden

                                                                                                                     Schlaglicht
Ansätze sind mühsam, aber der einzige Weg, wenn               ist, wie erfolgreich eine gute Zusammenarbeit sein
man weltweit verbindliche Standards eta­     blieren          kann und wie wichtig es für Staaten ist, über aus-
will.                                                         reichend Finanzkraft zu verfügen. Hilfreich war si-
                                                              cherlich auch das öffentliche Bekenntnis der neuen
Im Jahr 2018 hat Deutschland gemeinsam mit                    US-Regierung zu diesem Projekt, mit dem im Früh-
Frankreich den Vorschlag einer globalen effektiven            jahr 2021 dann neuer Schwung und positive Dy-
Mindestbesteuerung in die Verhandlung auf Ebene               namik in die Verhandlungen kamen. Dafür bin ich
der OECD eingebracht. Sowohl die Frage einer                  sehr dankbar.
Mindestbesteuerung als auch die Frage der Neu-
verteilung der internationalen Besteuerungsrechte
wurden stets gemeinsam verhandelt und disku-                     Wie können Staaten wie Irland
tiert. Seither hat es eine Vielzahl von Treffen und              davon überzeugt werden,
Videokonferenzen gegeben; auch bei den Spitzen-
gesprächen auf Ebenen von G7, G20, der IWF-Ta-
                                                                 bei einer globalen effektiven
gungen und bei unzähligen bilateralen Begegnun-                  Mindestbesteuerung
gen hat dieses Thema breiten Raum eingenommen.                   mitzumachen, die einen
Am 1. Juli 2021 haben sich schließlich 130 Staa-                 niedrigeren Steuersatz als die
ten (nach gegenwärtigem Stand: 132 Staaten) auf
diese Lösung verständigt – was ein kolossaler Er-
                                                                 geplante Mindestbesteuerung
folg ist für mehr Steuergerechtigkeit. Damit ist ein             haben?
riesiger Schritt getan, die nächsten Schritte müs-
sen nun folgen, damit diese Einigung überall um-              Keinem Staat wird vorgeschrieben, welcher Steu-
gesetzt wird.                                                 ersatz für Unternehmen in seinem Land gelten
                                                              soll. Allerdings erhalten Staaten, die einen höheren
                                                              Steuersatz erheben, die Möglichkeit, auf die sehr
   Das Projekt, eine weltweit                                 niedrigen Steuersätze anderer Staaten zu reagie-
   geltende Mindestbesteuerung                                ren. Sie können z. B. Gewinne nachversteuern, die
                                                              Unternehmen ins Ausland verschoben haben. Die
   für die Global Player der Wirt-                            Höhe dieser (Nach-)Besteuerung richtet sich dabei
   schaft einzurichten, ist nicht                             nach der Differenz zwischen der tatsächlichen Be-
   neu. Was hat schließlich für                               steuerung im anderen Land und dem vereinbar-
   den Durchbruch gesorgt, dass                               ten Mindeststeuersatz. Ein Beispiel: Staat X ver-
                                                              langt einen Steuersatz von 7 Prozent. Staat Y hat
   es dabei nun vorangeht? Gab                                nun die Möglichkeit, die Gewinne des Konzerns,
   es den einen Turning Point?                                die in seinem Land anfallen, mit weiteren 8 Prozent
                                                              (15 %-7 %=8 %) nachzuversteuern.
Die globale Mindestbesteuerung beruht, wie ge-
sagt, auf einem Vorschlag, den ich gemeinsam mit              Die Mindestbesteuerung ist also so konzipiert,
meinem französischen Kollegen Bruno Le Maire                  dass sie die Souveränität der Einzelstaaten respek-
2018 in die internationale Diskussion eingebracht             tiert und berücksichtigt. Die globale effektive Min-
habe. Seit Anfang 2019 war sie fester Bestand-                destbesteuerung bringt auch Vorteile für Nied-
teil der OECD-Verhandlungen. Letztlich hat eine               rigsteuerländer. Für sie fällt der Druck weg, beim

                                                            13
Mehr Steuergerechtigkeit weltweit                                                    BMF-Monatsbericht
          Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister                                              Juli 2021

schädlichen Steuersenkungswettbewerb („race to                   Das Zwei-Säulen-Projekt
the bottom“) anderer mitmachen zu müssen. Wir                    zielt auf multinationale
sind überzeugt, dass die Staaten, die der internati-
                                                                 Großkonzerne ab. Im
onalen Einigung bisher noch nicht zugestimmt ha-
ben, sich der positiven internationalen Dynamik
                                                                 Fokus stehen aber auch
auf Dauer nicht entziehen wollen und ebenfalls                   Digitalunternehmen. Warum
diese historische Chance für mehr globale Steuer-                war Ihnen dies besonders
gerechtigkeit ergreifen werden.
                                                                 wichtig?
                                                              Das immense Wachstum der Plattformkonzerne
   Der öffentliche Druck auf                                  zeigt, wie gravierend Geschäftsmodelle und da-
   Unternehmen wird stetig                                    mit Unternehmensstrukturen durch die Digita-
                                                              lisierung verändert werden. In den vergangenen
   erhöht. Einige Unternehmen                                 zehn Jahren, insbesondere aber auch durch die Co-
   sehen sich zu Unrecht an                                   rona-Krise, ist die Branche digitaler Produkte und
   den Pranger gestellt, andere                               Dienstleistungen stark gewachsen. Denken wir
   fürchten Fesseln für das                                   beispielsweise an den starken Zuwachs bei On-
                                                              line-Meetings, beim Einkaufen online, bei Strea-
   Wachstum. Wie gehen                                        mingdiensten – und unzählige weitere Bereiche.
   Sie mit dem Widerstand                                     Sie alle haben sich in der Pandemie sehr schnell
   der Wirtschaft um? Wie                                     verändert und sind digitaler geworden.
   überzeugen Sie die Zweifler
                                                              Dieser Wirtschaftsbereich wird oft von multinati-
   unter den Unternehmern?                                    onalen Konzernen und immateriellen Gütern wie
                                                              Kommunikations- oder Handelsplattformen ge-
Durch die internationale Verständigung erlangen               prägt. Er hat einen völlig anderen Wertschöpfungs-
die Unternehmen die nötige Rechtssicherheit, um               prozess als die klassische Industrie. Das ist eine der
die sie seit Längerem zu Recht bitten. Denn wenn              größten Herausforderungen für unsere Steuersys-
jedes Land eigene Regeln zur Besteuerung interna-             teme: Immaterielle Werte und grenzüberschrei-
tionaler Unternehmen entwickelt, ohne Absprache               tende Dienstleistungen ermöglichen es Unter-
mit anderen Staaten, würde dies einen Flickentep-             nehmen, in einem Land Produkte zu verkaufen,
pich an Regelungen ergeben. Deshalb gibt es viel              ohne dort physisch präsent zu sein. Eine physi-
Unterstützung in der Wirtschaft für unseren Weg,              sche Präsenz ist aber oft eine steuerrechtliche Vo-
das internationale Steuersystem in enger inter-               raussetzung, damit dort erzielte Gewinne besteuert
nationaler Zusammenarbeit fit zu machen für die               werden können. Es sind vor allem große Digitalun-
Zukunft.                                                      ternehmen, die hohe Umsätze erwirtschaften und
                                                              eine überdurchschnittlich hohe Profitabilität auf-
                                                              weisen. Wenn wir also von einer fairen Besteue-
                                                              rung multinationaler Großkonzerne sprechen, ist
                                                              es besonders wichtig, auch alle großen Digitalun-
                                                              ternehmen einzubeziehen.

                                                            14
Mehr Steuergerechtigkeit weltweit                      BMF-Monatsbericht
            Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister                Juli 2021

   In welchem Moment haben
   Sie gezweifelt, ob es eine
   Vereinbarung über eine
   globale Mindestbesteuerung

                                                                                       Schlaglicht
   bis zu diesem Sommer gibt?
Meine langen Erfahrungen mit Verhandlungen ha-
ben bei mir die Erkenntnis reifen lassen, dass sol-
che Prozesse ihre Höhen und Tiefen durchlaufen,
manchmal auch Längen haben. Doch ich war im-
mer zuversichtlich, dass es letztlich zu einer inter-
nationalen Einigung kommen wird. Jetzt ist es ein-
fach schön, dass wir eine Vereinbarung geschafft
haben. Die Welt wird damit gerechter.

  Bundesfinanzminister Olaf Scholz
  © Bundesministerium der Finanzen/photothek

                                                              15
Analysen
und Berichte
Analysen und Berichte

Gesetz zur Modernisierung des Tabaksteuerrechts                                18

Föderales Forum                                                                22

Statistik über die Einspruchsbearbeitung in den Finanzämtern                   28

Neue Einsatztrainingszentren für die waffenführenden Beschäftigten des Zolls   33
Analysen und Berichte                                                     Monatsbericht des BMF
                                                                                                  Juli 2021

Gesetz zur Modernisierung des
Tabaksteuerrechts
     ● Mit dem Tabaksteuermodernisierungsgesetz werden das Tabaksteuergesetz und gleichzeitig
       die Tabaksteuerverordnung geändert. Die letztmalige größere Überarbeitung des Tabaksteuer-
       rechts fand im Jahr 2011 statt.

     ● Mit dem Gesetz wird die Steuer auf Zigaretten und Feinschnitt in den nächsten fünf Jahren in
       vier Stufen angehoben.

     ● Daneben wird die Besteuerung von erhitztem Tabak („Heat-not-Burn-Produkte“) sowie
       Substanzen, die in E-Zigaretten konsumiert werden, angepasst. Wasserpfeifentabak unterliegt
       zukünftig ebenfalls einer angepassten, höheren Besteuerung.

     ● Das Gesetz trägt neben der Verstetigung beziehungsweise einem moderaten Anwachsen der
       Steuereinnahmen gesundheitlichen Aspekten Rechnung, indem es die Hemmschwelle zum
       Rauchen von Zigaretten und sonstigen Produkten wie E-Zigaretten, Shishas und anderen neu-
       artigen Rauchprodukten erhöht.

   Das Tabaksteuerrecht                                  Die letzte größere Anpassung des Tabaksteuerge-
                                                         setzes erfolgte im Jahr 2011. Die Steuern wurden
Das deutsche Tabaksteuerrecht ist eingebettet in         seit dem Jahr 2015, als das damalige Tabaksteuer-
das harmonisierte europäische Verbrauchsteuer-           modell auslief, nicht mehr gesetzlich angehoben.
recht. Harmonisierung bedeutet, dass durch die           Daher war es nun an der Zeit, mit dem Gesetz zur
europäische Tabaksteuerrichtlinie gleiche Rah-           Modernisierung des Tabaksteuerrechts die gesetzli-
menbedingungen in allen Mitgliedstaaten der Eu-          chen Bedingungen an die veränderten Rauch- und
ropäischen Union (EU) gelten. Diese europäische          Konsumgewohnheiten der Bevölkerung anzupas-
Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten mit Leben          sen. Auch im Vergleich zum Besteuerungsniveau in
füllen, indem sie die Richtlinie in nationales Recht     anderen Mitgliedstaaten der EU war eine Aktuali-
umsetzen. Dabei verbleibt ihnen ein Umsetzungs-          sierung angezeigt.
spielraum, etwa bei der Höhe der einzelnen Steu-
ertarife. In Deutschland erfolgt diese Umsetzung
durch das Tabaksteuergesetz und die Tabaksteu-              Das Tabaksteuermodell
erverordnung. Das Tabaksteuergesetz regelt, wel-            kam erstmals im Zeitraum 2011 bis 2015 zum
che Produkte der Besteuerung unterliegen und in             Tragen. Es sah eine jährliche moderate Er-
welcher Höhe. Die Tabaksteuerverordnung ent-                höhung der Tabaksteuer auf Zigaretten und
hält Verfahrensregelungen und Durchführungsbe-              Feinschnitt vor. Dieses Modell erfährt nun
stimmungen, z. B. hinsichtlich der Berechnung der           im Tabaksteuermodernisierungsgesetz eine
Steuer oder Regelungen bezüglich der zu verwen-             Neuauflage. Binnen fünf Jahren wird ab dem
denden Steuerzeichen.                                       Jahr 2022 in vier Stufen die Tabaksteuer mo-
                                                            derat und für alle Seiten planbar angepasst.

                                                       18
Analysen und Berichte                                                           Monatsbericht des BMF
          Gesetz zur Modernisierung des Tabaksteuerrechts                                               Juli 2021

   Veränderte Rauchgewohn­                                    Anstieg der Tabaksteuer in mehreren Stufen vor.
   heiten und neue Produkte                                   Dadurch soll eine stärkere Abwanderung von Kon-
                                                              sumentinnen und Konsumenten zu nicht im In-

                                                                                                                    Analysen und Berichte
Seit der vorangegangenen Anpassung des Tabak-                 land versteuerten und/oder illegalen Tabakwaren,
steuergesetzes haben sich die Rauch- und Konsum-              beispielsweise aus Schmuggelaktivitäten oder
gewohnheiten verändert. Neben den klassischen                 durch Käufe auf dem sogenannten Schwarzmarkt,
Produkten – Zigaretten, Feinschnitt, Zigarren, Ziga-          verhindert werden. Hierbei wird insbesondere der
rillos und Pfeifentabak – sind neuartige Produkte             Bedeutung von Feinschnitttabak als Tabakware für
auf den Markt gekommen. Dies sind neben E-Zi-                 preissensible Konsumentinnen und Konsumenten
garetten vor allem sogenannte Tabakerhitzer, in               Rechnung getragen, indem eine gezielt geschaffene
denen statt eines Verbrennungsprozesses der Ta-               Steuer- und Preisdifferenz zu Zigaretten bestehen
bak in einem elektrischen Gerät lediglich erhitzt             bleibt. Das Tabaksteuermodell dient der Steuerge-
und so eine Inhalation ermöglicht wird. Zudem                 rechtigkeit, ermöglicht eine angemessene Besteu-
ist ein deutlicher Anstieg beim Konsum von Was-               erung des Niedrigpreissegments und schafft Pla-
serpfeifentabak festzustellen. Diese Produkte sind            nungssicherheit und Vorhersehbarkeit künftiger
genau wie die klassischen Rauchprodukte nicht                 Tabaksteuereinnahmen. Zudem dient es einem
als harmlos anzusehen. Ihr Konsum stellt eben-                Gleichgewicht zwischen dem Ziel konstanter Steu-
falls eine Gesundheitsgefährdung dar und birgt                ereinnahmen und den Zielen im Bereich der öf-
Abhängigkeitspotenzial.                                       fentlichen Gesundheit.

                                                              E-Zigaretten, in denen mithilfe eines elektroni-
   Anpassungen im                                             schen Verdampfers Flüssigkeiten verdampft wer-
   Tabaksteuermodernisierungsgesetz                           den, wurden bislang durch das Tabaksteuergesetz
                                                              nicht erfasst und dementsprechend nicht besteu-
Das Tabaksteuermodernisierungsgesetz sieht ne-                ert. Nunmehr sollen die zum Verdampfen verwen-
ben einer Neuauflage des Tabaksteuermodells ab                deten Flüssigkeiten, z. B. eine Basis in Form von
dem 1. Januar 2022 eine höhere Besteuerung soge-              Glycerin, eventuell zugefügtes Nikotin sowie Aro-
nannter Heat-not-Burn-Produkte vor. Zudem wird                men, der Besteuerung unterliegen. Diese Produkte
erstmalig eine Besteuerung auf Substanzen zum                 werden entweder als sogenanntes fertiges Liquid
Konsum in E-Zigaretten erfolgen, unabhängig von               oder als Komponenten zum Selbstmischen ange-
einem eventuellen Nikotingehalt. Es wird eine Zu-             boten. Die Besteuerung richtet sich dabei nach der
satzsteuer auf Wasserpfeifentabak eingeführt, die             Menge der Flüssigkeiten in Millilitern, unabhän-
im Ergebnis eine Besteuerung in vergleichbarer                gig vom Nikotingehalt. E-Zigaretten sind ein Aus-
Höhe zur Zigarette bewirkt. Daneben gibt es An-               weichprodukt für klassische Zigaretten und bergen
passungen im Bereich der Mindeststeuer auf Ziga-              sowohl ein Sucht- als auch Gesundheitsgefähr-
retten sowie bei Feinschnitt, Zigarren beziehungs-            dungspotenzial. Um diesem angemessen begegnen
weise Zigarillos und Pfeifentabak.                            zu können, unterliegen diese Substanzen ab dem
                                                              1. Juli 2022 ebenfalls der Besteuerung. Damit es in
                                                              dieser jungen Branche nicht zu Marktverwerfun-
   Moderne Besteuerung der                                    gen oder starken Ausweichbewegungen auf andere
   unterschiedlichen Rauchprodukte                            Märkte kommt, wurde hier ein späterer Zeitpunkt
                                                              für den Beginn der Besteuerung gewählt, wel-
Um die Tabaksteuereinnahmen auch zukünftig zu                 cher ausreichend Vorlauf zur Vorbereitung auf die
verstetigen, wird das Tabaksteuermodell für Ziga-             neuen Bedingungen ermöglicht. Diese neu einge-
retten und Feinschnitt ab dem 1. Januar 2022 fort-            führte Besteuerung dient der Beachtung der Steu-
geführt. Dieses Modell sieht, wie das Tabaksteuer-            ergerechtigkeit durch die Erfassung dieses Subs-
modell der Jahre 2011 bis 2015, einen moderaten               titutionsprodukts als Steuergegenstand. Zudem

                                                            19
Analysen und Berichte                                                            Monatsbericht des BMF
           Gesetz zur Modernisierung des Tabaksteuerrechts                                                Juli 2021

sichert sie durch die Anwendung eines sachgerech-              gesundheitsgefährdenden Konsum abhalten. Mit
ten Steuertarifs die Erzielung von Steuermehrein-              der Einführung einer Zusatzsteuer auf Wasserpfei-
nahmen und leistet somit ihren Beitrag zur Moder-              fentabak wird gezielt an diesem Punkt angesetzt
nisierung des Tabaksteuerrechts.                               und ein entsprechender Lenkungszweck verfolgt.
                                                               Der Konsum von Wasserpfeifentabak soll gerade
Erhitzter Tabak, also einzeln portionierte Tabak-              auch für junge Menschen unattraktiver gemacht
sticks zur Verwendung in elektrischen Geräten,                 werden, um der Gesundheitsgefahr und dem Niko-
wurde bislang ausschließlich wie Pfeifentabak be-              tinabhängigkeitspotenzial von Wasserpfeifentabak
steuert. Aufgrund der Beschaffenheit der Tabak-                entgegenzuwirken. Dies trägt zu einem erhöhten
sticks handelt es sich um ein Substitutionsprodukt             Jugend- und Gesundheitsschutz bei und berück-
für Zigaretten. Die zusätzliche Besteuerung von er-            sichtigt in angemessener Weise die gesundheits-
hitztem Tabak führt im Ergebnis dazu, dass diese               schädigenden Aspekte des Wasserpfeifenkonsums.
zukünftig in Höhe von ungefähr 80 Prozent der
auf Zigaretten liegenden Steuerlast besteuert wer-
den. Diese Besteuerung dient der Verringerung des                 Aktualisierung der europä­
Konsums von gesundheitsschädlichem Nikotin.                       ischen Tabaksteuerrichtlinie
Genau wie bei Zigaretten ist der Hauptzweck von
erhitztem Tabak die Nikotinzufuhr. Erhitzter Tabak             Das aktuelle Regelwerk der EU zur Tabaksteuer
wird im Rahmen bestehender Nikotinabhängigkeit                 ist die Richtlinie 2011/64/EU des Rates vom
konsumiert und substituiert insofern die Zigarette.            21. Juni 2011 (sogenannte Tabaksteuerrichtlinie).
                                                               In der Tabaksteuerrichtlinie sind die EU-Vorschrif-
Das Angebot an Wasserpfeifentabak nimmt ste-                   ten für die Besteuerung von Tabakwaren und ins-
tig zu, das Rauchen dieses Tabaks ist insbesondere             besondere die Struktur und die Mindeststeuer-
in Shisha-Bars sehr verbreitet. Da Wasserpfeifenta-            sätze festgelegt. Die Vorschrift soll das reibungslose
bak im Regelfall stark aromatisiert ist, tritt hier der        Funktionieren des Binnenmarkts und gleichzeitig
klassische Tabakgeschmack in den Hintergrund.                  ein hohes Gesundheitsschutzniveau gewährleisten
Aus diesem Grund spricht Wasserpfeifentabak als                und zur Bekämpfung von Steuerbetrug, Steuerhin-
geselliges Konsum- und Gemeinschaftsprodukt                    terziehung und rechtswidrigem grenzüberschrei-
insbesondere junge Menschen an.                                tendem Einkauf beitragen. Mit einem im Jahr 2020
                                                               durch die Europäische Kommission vorgeleg-
Die gesundheitliche Gefahr durch Wasserpfeifenta-              ten Evaluierungsbericht zur geltenden Tabaksteu-
bak ist jedoch nicht zu unterschätzen. Aufgrund der            errichtlinie wurden Defizite in der Struktur und
starken Aromatisierung nehmen die Konsumen-                    bei den Mindeststeuersätzen für Tabakwaren so-
tinnen und Konsumenten diese Gesundheitsge-                    wie eine fehlende Harmonisierung bei neuartigen
fährdung oftmals nicht oder nur in geringem Maße               Rauchprodukten aufgezeigt. Diese Defizite machen
wahr. Beim Rauchen von Wasserpfeifentabak wird                 eine Überarbeitung der zehn Jahre alten Tabaksteu-
ähnlich viel oder auch mehr Nikotin als beim Rau-              errichtlinie notwendig. Alle Mitgliedstaaten messen
chen einer klassischen Zigarette aufgenommen.                  der harmonisierten Besteuerung neuer Rauch- und
                                                               Tabakprodukte bei der Überarbeitung der Tabak-
Durch den bisher geltenden niedrigeren Steu-                   steuerrichtlinie eine große Bedeutung zu. Gleiches
ertarif für Pfeifentabak kann Wasserpfeifentabak               gilt für einen verbesserten Gesundheitsschutz im
zu Preisen angeboten werden, welche die oftmals                Zusammenhang mit dem Tabak- und Rauchkon-
eher preissensiblen jungen Menschen regelmä-                   sum, der neben nachhaltigen Steuereinnahmen
ßig nicht abschrecken und somit auch nicht vom                 ein wesentliches Ziel der Richtlinienüberarbeitung

                                                             20
Analysen und Berichte                                                            Monatsbericht des BMF
          Gesetz zur Modernisierung des Tabaksteuerrechts                                                Juli 2021

sein wird. Die EU-Kommission plant aktuell, vo­                  Tabaksteuereinnahmen
raussichtlich im 4. Quartal dieses Jahres, den Mit-
gliedstaaten einen entsprechenden Legislativvor-                 Für die Jahre 2022 bis 2026 ergeben sich

                                                                                                                      Analysen und Berichte
schlag vorzulegen. Eine öffentliche Konsultation                 bei Umsetzung des Tabaksteuermoderni-
hierzu hat die Kommission bereits durchgeführt                   sierungsgesetzes prognostizierte Tabak-
und den unterschiedlichen Stakeholdern die Mög-                  steuermehreinnahmen in Höhe von rund
lichkeit zur Stellungnahme ermöglicht. Die Über-                 14,5 Mrd. €.
arbeitung der Richtlinie wird eine längere Zeit in
Anspruch nehmen, die Deutschland mit dem Ta-                     Die prognostizierten Tabaksteuermehrein-
baksteuermodernisierungsgesetz überbrückt. Bei                   nahmen teilen sich wie folgt auf:
den Verhandlungen auf Ebene der EU wird sich
Deutschland aktiv einbringen. Über die Inhalte des               ● Neuauflage des Tabaksteuermodells: ins-
Tabaksteuermodernisierungsgesetzes hinaus wer-                     gesamt rund 10 Mrd. €
den sich die Überlegungen und Verhandlungen
auch auf die steuerliche Behandlung von Rohtabak                 ● Einführung einer zusätzlichen Besteue­
sowie bestimmter rauchloser Tabakerzeugnisse wie                   rung auf erhitzten Tabak: insgesamt
Kau- und Schnupftabak erstrecken.                                  rund 1,5 Mrd. €

                                                                 ● Einführung einer zusätzlichen Besteue-
   Schutz der Gesundheit                                           rung auf Wasserpfeifentabak: insgesamt
                                                                   rund 2 Mrd. €
Das Gesetz bezweckt zudem einen besseren Ge-
sundheitsschutz. Nicht nur die klassischen Ta-                   ● Einführung der Besteuerung von Substi-
bakwaren wie Zigaretten, Feinschnitt, Zigarren,                    tuten zum Konsum in E-Zigaretten: ins-
Zigarillos oder auch Pfeifentabak bergen Gesund-                   gesamt rund 1 Mrd. €
heitsrisiken. Auch die neuartigen Rauchprodukte
wie E-Zigaretten und erhitzter Tabak sind keine
harmlosen Genussprodukte, sondern bergen eine
Gefährdung der Gesundheit der Konsumentinnen                     Fazit
und Konsumenten. Dem wird durch eine ange-
passte, höhere Besteuerung begegnet, die die Pro-             Das Tabaksteuermodernisierungsgesetz ist eine
dukte verteuert und so die Hemmschwelle zum                   moderne zeitgerechte Regelung, die sowohl dem
Konsum der Produkte erhöht. Gerade neuartige                  Gesundheitsschutz angemessen Rechnung trägt als
Produkte, aber auch Wasserpfeifentabak, können                auch der Sicherung der fiskalischen Interessen des
nicht nur Umstiegs-, sondern auch Einstiegspro-               Staates durch verstetigte Steuereinnahmen dient.
dukte für den Tabakkonsum sein. Durch eine ange-              Es ist bewusst schlank gehalten und sieht ange-
messene Besteuerung soll ein Anreiz zum Ausstieg              messene, durchdachte Steueranpassungen vor. Da-
aus dem Tabakkonsum geschaffen oder im bes-                   durch werden Marktverwerfungen und Abwan-
ten Fall bereits der Einstieg in den Konsum von Ta-           derungsbewegungen in ausländische oder illegale
bakwaren und sonstigen gesundheitsschädlichen                 Märkte verhindert. Es stellt eine tragfähige Brücke
Rauch- und Dampfprodukten verhindert werden.                  für die Zeit bis zu einer Aktualisierung der europäi-
                                                              schen Tabaksteuerrichtlinie dar.

                                                            21
Analysen und Berichte                                                     Monatsbericht des BMF
                                                                                                  Juli 2021

Föderales Forum

     ● Am 15. Juni 2021 hat das diesjährige Föderale Forum des BMF in digitaler Form stattgefunden.

     ● Staatssekretär Dr. Rolf Bösinger diskutierte mit Vertreterinnen und Vertretern des Bundestags,
       der Länder, der Kommunen und der Wissenschaft über föderale Themen.

     ● Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Effizienz der Transferwege der Bundeshilfen an die
       Länder und die Kommunen.

     ● Die Veranstaltung wurde eingeleitet mit einem Vortrag von Prof. Thomas Lenk zur Effizienz
       der bestehenden Transferkanäle aus wissenschaftlicher Sicht. In der anschließenden Diskussi-
       on stellten die Diskutierenden die Anforderungen an die zukünftige Ausgestaltung effizienter
       Transferwege aus ihrer jeweiligen Sicht dar und diskutierten die Ansätze miteinander.

   Einleitung                                              Problemaufriss zur
                                                           Veranstaltung
Am 15. Juni 2021 fand im BMF das zweite Föderale
Forum statt. Das diesjährige Forum beschäftigte         Staatssekretär Dr. Bösinger verdeutlichte in seiner
sich mit der Effizienz der Transferwege der Bundes-     Begrüßungsrede das Ziel der Veranstaltung. Es sei
hilfen an die Länder und Kommunen.                      zu diskutieren, wie dem in der Praxis zunehmend
                                                        festzustellenden politischen Bedürfnis, die Länder
Zu Beginn der Veranstaltung stellte Staatssekre-        und Kommunen bei einzelnen Themen von ge-
tär Dr. Rolf Bösinger zunächst die Herausforde-         samtstaatlichem Interesse zielgerichtet zu unter-
rungen dar, die sich für den Bund hinsichtlich der      stützen, instrumentell effizient und effektiv Rech-
Effizienz der ihm zur Verfügung stehenden Trans­        nung getragen werden könne.
ferwege ergeben. Prof. Thomas Lenk untersuchte
im Anschluss die Effizienz der bestehenden Trans-       Grundgesetzlich würden dem Bund zur zweckbe-
ferwege. Danach diskutierten Vertreterinnen und         zogenen Finanzierung von gesamtstaatlich bedeut-
Vertreter des Bundes, der Länder, der Kommunen          samen Aufgaben oder bundesgesetzlich veranlass-
und der Wissenschaft darüber, wie die Transfer-         ten Finanzierungslasten nur sehr eingeschränkt
wege zukünftig zielgerichteter und effizienter ge-      Transferwege mit unterschiedlichen Verteilungs-
staltet werden können.                                  wirkungen zur Verfügung stehen. Zu nennen seien
                                                        hier vor allem die verfassungsrechtlich geregel-
                                                        ten Gemeinschaftsaufgaben, die Möglichkeit zur
                                                        Gewährung von Finanzhilfen für bedeutsame In-
                                                        vestitionen der Länder und Kommunen sowie die
                                                        Möglichkeit zur Übernahme der Kosten von Geld-
                                                        leistungsgesetzen des Bundes, die von den Ländern
                                                        ausgeführt werden.

                                                      22
Analysen und Berichte                                                             Monatsbericht des BMF
          Föderales Forum                                                                                 Juli 2021

Aufgrund der nur eingeschränkt bestehenden               keine Möglichkeit, die Umsetzung der vereinbarten
Transferwege sei es in der Vergangenheit jedoch          Maßnahmen verbindlich vorzugeben und entspre-
zum Teil zu praktischen Problemen bei Bundeshil-         chende Nachweise zu verlangen. Darüber hinaus

                                                                                                                            Analysen und Berichte
fen gekommen. In diesem Zusammenhang verwies             sei eine auf konkrete Bedarfe zugeschnittene Ver-
Staatssekretär Dr. Bösinger auf die in den vergange-     teilung der Mittel auf die Länder verfassungsrecht-
nen Jahren wiederholt erhöhte Quote der Bundes-          lich nicht möglich.
beteiligung an den Kosten der Unterkunft und Hei-
zung (KdU). Die Erhöhungen hätten nicht allein der
Entlastung der Kommunen von den KdU gedient,                 Vortrag zur Effizienz der
sondern auch davon abweichende Kosten der Län-               bestehenden Transferwege
der wie z. B. die Bedarfe für Bildung und Teilhabe
berücksichtigt. Zudem werde dieses Instrument –          Prof. Lenk, Leiter des Instituts für öffentliche Fi-
in Ermangelung anderer Transferwege – vom Bund           nanzen und Public Management an der Univer-
vermehrt genutzt, um die Kommunen allgemein fi-          sität Leipzig, Herausgeber des Jahrbuches für öf-
nanziell zu entlasten beziehungsweise deren Inves-       fentliche Finanzen und Mitglied im Beirat des
titionskraft zu stärken. Zahlungen im Rahmen der         Stabilitätsrats, sprach über das Thema „Wie sollte
KdU würden im Vergleich zu anderen bestehenden           sich ein effizienter Transferweg darstellen? Wie
Transferwegen eine stärkere Fokusierung der Bun-         sind die aktuellen Transferwege zu beurteilen?“1
deshilfen auf strukturschwache Kommunen zu-
lassen. Dieser Transferweg stoße jedoch durch die        Die zahlreichen Änderungen des Grundgesetzes
grundgesetzlichen Bestimmungen zur Bundesauf-            (GG) im Abschnitt des Finanzwesens in den ver-
tragsverwaltung an seine Grenzen, da der Bund die        gangenen Jahren zeigen laut Prof. Lenk die Bedeu-
Kommunen z. B. im Rahmen der Flüchtlingskrise            tung des Themas der effizienten Transferwege auf.
zusätzlich vollständig von ihren flüchtlingsbezo-        So müsse die Frage gestellt werden, ob die gültige
genen KdU entlastet habe. Ab einer Bundesbeteili-        Finanzverfassung den aktuellen bundesstaatlichen
gung von 75 Prozent würden die Länder das Gesetz         Herausforderungen anzupassen sei. Prof. Lenk
im Auftrag des Bundes ausführen.                         legte den Schwerpunkt seiner Ausführungen auf
                                                         die kommunale Situation. Die Finanzausstattung
Zur Vermeidung des Eintritts einer Bundesauftrags-       der Kommunen liege zwar in der Zuständigkeit der
verwaltung wurde laut Staatssekretär Dr. Bösinger        Länder, aber wie könnte eine zusätzliche Unter-
bei der jährlichen Entlastung der Kommunen in            stützung durch den Bund effizient erfolgen?
Höhe von 5 Mrd. € seit dem Jahr 2018 ein deutlich
höherer Anteil über den Gemeindeanteil an der            Generell sei die Steuerverteilung zwischen den Ge-
Umsatzsteuer und ein geringerer Anteil über die          bietskörperschaften festgelegt. Änderten sich die
KdU entlastet als ursprünglich intendiert. Wegen         Aufgabenverteilung und dadurch auch die Aus-
des wirtschaftskraftbezogenen Verteilungsschlüs-         gabenvolumina, so sehe das Grundgesetz vor, die
sels des Gemeindeanteils an der Umsatzsteuer sei         Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Län-
gerade dieser Weg mitunter problematisch, da er          dern entsprechend den sogenannten Deckungs-
die bestehenden Disparitäten der kommunalen Fi-          quoten anzupassen. Funktioniere diese Vorgehens-
nanzlage verstärke. Hier könne eine Reform der           weise gut, könne über die Steuerzuordnung zu den
Kommunaleinnahmenstruktur diskutiert werden.             Gebietskörperschaften eine Ausführungskonnexi-
                                                         tät hergestellt werden, d. h. die Ebene, die für eine
Darüber hinaus werde zunehmend der Weg einer
Erhöhung des Umsatzsteueranteils der Länder über
Festbeträge gewählt, um den Ländern die Erfüllung
                                                         1   Prof. Thomas Lenk, „Effiziente Transferwege der Bundesmittel
der aus gesamtstaatlicher Sicht erforderlichen Auf-          im föderalen Gefüge“, abrufbar unter:
gaben zu ermöglichen. Hierbei habe der Bund aber             https://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20210721

                                                       23
Analysen und Berichte                                                              Monatsbericht des BMF
             Föderales Forum                                                                                  Juli 2021

Aufgabe zuständig sei, sei auch für deren Finanzie-          steuern. Die Beteiligung des Bundes an den Aus-
rung verantwortlich.                                         gaben der Kommunen im Rahmen von Geldleis-
                                                             tungsgesetzen ordnete Prof. Lenk insbesondere
Mit Blick auf die Kommunen dokumentierte                     hinsichtlich der Zielgenauigkeit als guten Trans­
Prof. Lenk die Entwicklung der gemeindlichen                 ferweg ein. Direkte Finanzhilfen hingegen sollten
Steuereinnahmen und ging dabei insbesondere auf              als Transferwege trotz ihrer hohen Transparenz im
den in den vergangenen Jahren signifikant gestie-            Volumen eher gesenkt werden, da hier Fehlanreize
genen Gemeindeanteil am Aufkommen der Um-                    vorliegen würden. Auch würden nach Ansicht von
satzsteuer ein. Trotz dieser Entwicklung, die sich           Prof. Lenk zunehmende Finanzhilfen des Bundes
durch zusätzliche Bundeshilfen an die Kommunen               die kommunale Selbstbestimmung und die Staats-
begründet, sieht er die Finanzlage der Kommunen              qualität der Länder aufweichen.
als unzureichend an. Dies leitete er aus dem Inves-
titions- und Ausgabeverhalten der Kommunen in                   In seinem Fazit warb Prof. Lenk dafür, die Aufga-
den letzten Jahren ab, welches er auf Basis der Ent-            benverteilung zwischen Bund, Ländern und Kom-
wicklung der aus VGR-Daten2 konstruierten kom-                  munen regelmäßig zu überprüfen. Hinsichtlich der
munalen Nettoinvestitionen als unzureichend er-                 Normierung der gerechten Verteilungsmaßstäbe
achtet. Zudem dokumentierte Prof. Lenk in seinem                existierten gute Maßstäbe wie die Steuerzuord-
Vortrag die Entwicklung ausgewählter Ausgabepo-                 nung nach dem örtlichen Aufkommen, die Anreize
sitionen auf der kommunalen Ebene und arbeitete                 zur Steuererhebung setze, und die Einwohner-
dabei insbesondere heraus, dass sich ein erhebli-               zahl, die einen allgemeinen Bedarfsindikator dar-
cher Anteil der kommunalen Ausgabendynamik                      stelle. Allerdings sollte hier eine Ergänzung durch
durch Zuwächse der Bruttosozialausgaben erklä-                  wenige weitere Bedarfsindikatoren erfolgen, um
ren lässt.                                                      zur Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse
                                                                beizutragen.
Entsprechend der thematischen Zielsetzung des
Föderalen Forums bewertete Prof. Lenk im wei-
teren Verlauf seines Vortrags ausgewählte Trans­                   Diskussion zur zukünftigen
ferwege der Bundeshilfen an die Kommunen hin-                      Ausgestaltung effizienter
sichtlich der Kriterien Transparenz, Effizienz und
Zielgenauigkeit.
                                                                   Transferwege

Im Ergebnis ordnete er den Gemeindeanteil an                Die Diskussion wurde von Prof. Marcel Thum,
der Umsatzsteuer insbesondere hinsichtlich der              dem Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats
Kriterien Effizienz und Zielgenauigkeit als geeig-          beim Bundesministerium der Finanzen, mode-
neten Transferweg für Bundesmittel an die Kom-              riert. An der Diskussion nahmen, neben Prof. Lenk
munen ein. Allerdings plädierte Prof. Lenk hier für         und Staatssekretär Dr. Bösinger, MdB3 Bernhard
eine Anpassung der Verteilungskriterien des Ge-             Daldrup, kommunalpolitischer Sprecher der
meindeanteils an der Umsatzsteuer, die bislang              SPD-Bundestagsfraktion, Prof. Dörte Diemert,
nach Art. 106 Abs. 5a GG auf der Grundlage eines            Stadtkämmerin der Stadt Köln, Dr. Andreas Dressel,
orts- und wirtschaftskraftbezogenen Schlüssels              Finanzsenator der Freien und Hansestadt Ham-
basierten. So sollten zukünftig sozioökonomische            burg, MdB Christian Haase, kommunalpolitischer
Merkmale in die Berechnung des Verteilungs-                 Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und
schlüssels aufgenommen werden, um die Ge-                   Peter Strobel, Minister für Finanzen und Europa
samtlage der Gemeinden aufgabenorientierter zu              sowie Minister der Justiz im Saarland, teil.

2 VGR steht für die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung.     3    MdB steht für Mitglied des Deutschen Bundestages.

                                                           24
Analysen und Berichte                                                      Monatsbericht des BMF
          Föderales Forum                                                                          Juli 2021

Die Diskussion „Wie können Transferwege zukünf-         oft nur eine Anschubfinanzierung leiste und Fol-
tig effizienter gestaltet werden?“ startete mit ei-     gekosten sowie die Kosten für das zusätzlich be-
ner Bestandsaufnahme der aktuellen Situation der        nötigte Personal bei den Ländern und Kommunen

                                                                                                                Analysen und Berichte
Transferwege der Bundeshilfen zu den Ländern            verblieben. Als Beispiele wurden hier das „Gute-Ki-
und Kommunen und thematisierte auch Best-               ta-Gesetz“ sowie der „Pakt für den Rechtsstaat“ be-
Case- und Worst-Case-Beispiele.                         nannt. Auch müsse berücksichtigt werden, dass
                                                        hier bundespolitische Interessen öffentlichkeits-
Die Diskutierenden waren sich einig, dass die um-       wirksam forciert würden, die in die Länderkom-
fangreichen Bundeshilfen an die Länder und Kom-         petenzen (beispielsweise in den Bereichen Bildung
munen in den vergangenen Jahren notwendig ge-           und Justiz) eingriffen. Die Vertreter des Bundes
wesen waren, da hiermit gesamtgesellschaftlich          hielten dem entgegen, dass es sich bei den geför-
wichtige Investitionen in den Bereichen Bildung,        derten Projekten vielfach um politisch und ge-
sozialer Wohnungsbau und im öffentlichen Perso-         sellschaftlich gewünschte Vorhaben von bundes-
nennahverkehr (ÖPNV) angestoßen und finanziert          weiter Bedeutung handele, bei deren Konzeption
werden konnten.                                         Vertreter der Länder auf politischer Ebene oftmals
                                                        maßgeblich beteiligt gewesen seien. Die Finanzie-
Die Länder- und Kommunalvertreterinnen und              rung dieser Aufgaben obliege im Sinne der verfas-
-vertreter brachten an, dass die finanzielle Situa-     sungsrechtlichen Ausführungskonnexität daher
tion der Kommunen aktuell nicht zufriedenstel-          den Ländern. Zudem sei hier anzumerken, dass die
lend sei. Daher sei auch zukünftig deren Unter-         Länder mit der Neuordnung der Bund-Länder-Fi-
stützung notwendig. Es bestehe auf kommunaler           nanzbeziehungen ab dem Jahr 2020 massiv finan-
Ebene ein Investitionsnachholbedarf, insbesondere       ziell gestärkt worden seien. Hinsichtlich der entste-
in den Bereichen Klima, Digitalisierung, Straßen-       henden Finanzierungsfolgelasten der Kommunen
bau und Schule. Allerdings müsse die Unterstüt-         sei es verfassungsrechtlich Aufgabe der Länder,
zung bedarfsgerecht, schnell und bürokratiearm          entsprechende Finanzmittel an ihre Kommunen
sein.                                                   weiterzugeben.

Die Unterstützung des Bundes für die Kommunen
habe aus gesamtstaatlicher Sicht wesentliche Pro-           Ausführungs- und Entscheidungskonnexität
bleme adressiert, solle nach Bundessicht aber eine          Konnexität ist ein Prinzip im Staatsrecht,
Ausnahme bleiben, da nach der Finanzverfassung              das bestimmt, welche Gebietskörperschaft
die finanzielle Ausstattung der Kommunen Auf-               die Ausgabenverantwortung für eine staatli-
gabe der Länder sei. So habe zur Entlastung der             che Aufgabe trägt. Bei der Ausführungskon-
Kommunen das GG immer wieder angepasst wer-                 nexität ist die Finanzierungsverantwortung
den müssen. Zudem sei es das Kennzeichen und die            an die Durchführungskompetenz gekoppelt,
Stärke des Föderalismus, dass Probleme vor Ort ge-          d. h., es trägt diejenige Gebietskörperschaft
löst werden könnten.                                        die Ausgabelast, die für die Wahrnehmung
                                                            der Aufgabe zuständig ist. Dieses Prinzip gilt
Im Anschluss an diese generellen Themen entwi-              im Verhältnis zwischen Bund und Ländern.
ckelte sich im weiteren Verlauf eine Diskussion             Die Entscheidungskonnexität bedeutet, dass
hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung von Un-            die Finanzierungsverantwortung mit der Ent-
terstützungsleistungen des Bundes.                          scheidungskompetenz verknüpft wird. Daher
                                                            muss hier die Gebietskörperschaft die Aus-
So wurde von den Ländervertretern bemängelt, dass           gabelast tragen, die die Aufgabe – gesetzlich
der Bund bei seinen Unterstützungsmaßnahmen                 oder untergesetzlich – regelt.

                                                      25
Sie können auch lesen