Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz
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Inhalt 8. Juni 2015 Editorial 3 Titelbild: ÄrztInnen-Demo vor dem ENSI in Brugg (AG), 25. Juni 2015 4 Johann Fuchs Demo-Aufruf und Hinweis Mitgliederversammlung 2015 Radioaktiver Abfall: Vom Labor in die Kanalisation 5 Martin Forter, AefU «Im Ereignisfall sollte es kein Problem sein» 7 Interview mit Dr. Daniel Storch, Radiochemiker, Bundesamt für Gesundheit BAG Das ENSI verletzt unsere Sicherheit 11 Markus Kühni, Dipl. Inf.-Ing. ETH, www.energisch.ch, Bern ENSI, oder: Wie sich der Bund 16 aus der nuklearen Verantwortung schlich Prof. Dr. Walter Wildi, Institut F. A. Forel, Université de Genève Wer kontrolliert das ENSI? 20 Martin Pestalozzi, Rechtsanwalt, Rüti/ZH Geschwärzte Information vom ENSI 23 Marianne Böller, Schweizerische Energie-Stiftung (SES), Zürich Public Health Congress 2015 26 17./18. September 2015, Veranstaltungshinweis Bestellen: Terminkärtchen und Rezeptblätter 27 Die Letzte 28 Umfrage Wo sind Ihre Jodtabletten? Wozu dienen sie? Bei einer kleinen, nicht repräsentativen Strassenumfrage in Basel baten wir 18 Personen um Aus- kunft zu den Jodtabletten, welche die Schweizer Bevölkerung im Umkreis der Atomkraftwerke (50km-Radius) zugeschickt bekam: Sie haben Ende 2014 Jodtabletten erhalten von der Schweizerischen Militärapotheke. Wissen Sie noch, wo Sie die versorgt haben? Wissen Sie, wofür die sind? (Umfrage: Patrik Tschudin, freier Journalist, Basel) Verteilt im Heft lesen Sie die Antworten (im Originalton auf www.aefu.ch/jodtabletten). Die offizielle Empfehlung für die Aufbewahrung und korrekte Einnahme sowie die Erklärung der Wirkungsweise der Jodtabletten finden Sie auf S. 25. 2 2/15 www.aefu.ch
Editorial Liebe Leserin Lieber Leser Das ist die OEKOSKOP-Ausgabe der gesam- tion durch das ENSI hat Marianne Böller von melten Kritik am Eidgenössischen Nuklearsicher- der SES (ab. S. 23) zusammengetragen. heitsinspektorat ENSI, unserer Atomaufsicht. Wir werden ihr das Heft an unserer ENSI-Demo Solange unsere – zum Teil hoffnungslos ver- vom 25. Juni 2015 vor ihrem Hauptsitz in Brugg alteten – Atomkraftwerke in Betrieb sind, kann (AG) übergeben (vgl. S. 4). Begleiten Sie uns mit jederzeit der scheinbar unwahrscheinliche Su- Kittel und Stethoskop! per-GAU geschehen. Wir wollten vom Bund wissen, welche Funktion die ÄrztInnen im ato- Das Ensi muss überprüfen, ob die Betreiber maren Notfall haben und wer für den Schutz der der Atomkraftwerke die gesetzlichen Sicherheits- Bevölkerung zuständig ist. Die Beantwortung standards einhalten. Tut es das? Markus Kühni, dieser klaren Fragen erforderte einen verwin- Informatikingenieur und Experte von AefU, kelten Gang durch die Bundesverwaltung. Eine Greenpeace und Schweizerischer Energiestiftung zentrale Stelle, die unseren Informationsbedarf (SES) im Technischen Forum Kernkraftwerke detailliert hätte decken können, gibt es scheinbar (TFK) hat gute Argumente, daran zu zweifeln. nicht. Der Radiochemiker Daniel Storch vom In seinem Beitrag zeigt er, dass die Atomaufsicht Bundesamt für Gesundheit BAG erklärte sich zuweilen Hand bietet, wenn AKW das gesetzlich schliesslich bereit zum Interview (ab S. 7). Wir verlangte Sicherheitsminimum unterschreiten hoffen, im Falle einer Atomkatastrophe finden (ab S. 11). Auch Geologieprofessor Walter Wildi die vielen involvierten Stellen rechtzeitig für ist profunder Kenner der Aufsichtsbehörden – den dringenden Bevölkerungsschutz zusammen. und ein scharfer Kritiker des ENSI. Er wirft ihm Wir bezweifeln aber, dass die verschiedenen Not- mangelnde Unabhängigkeit vor. In seiner kleinen fallkonzepte bei einer grossflächigen radioaktiven Historie (ab S. 16) zeichnet er nach, wie es dazu Verseuchung standhalten könnten. Der schnelle kam, dass heute wenige Köpfe darüber entschei- Atomausstieg ist für die AefU das beste und ein- den dürfen, ob ein AKW ‹sicher› ist. zige Rezept. Das ENSI zog sogar durch alle Gerichtsin- Wir beginnen unser Heft wiederum mit einer stanzen, damit ihm seine Entscheide als unan- eigenen Recherche (ab S. 5). Martin Forter, Ge- fechtbar bestätigt würden. Damit ist es gründlich schäftsleiter der AefU hat entdeckt, dass in zahl- gescheitert. Rechtsanwalt Martin Pestalozzi ver- reichen Labors der Schweiz radioaktiver Abfall trat die Schutzinteressen von AKW-Anwohnern. durch den Ausguss «verschwindet». Und zwar Das Bundesgericht erklärte sie als legitimiert, legal. auch gegen Beschlüsse des ENSI Beschwerde zu führen. Pestalozzi stellt in seinem Beitrag (ab S. Bis die Atomreaktoren endlich still stehen, 20) die Frage, von wem die Aufsichtsbehörde ih- wünsche ich Ihnen gute Lektüre; und uns allen, rerseits beaufsichtigt wird. dass es der Zufall gut mit uns meint. Selber spricht das ENSI zwar oft und gerne von Transparenz – bis zu dem Moment, wo es selbst Transparenz schaffen müsste. Informa- tionen vom ENSI zu erhalten ist jedoch sehr schwierig – und teuer. Bedenkliche Beispiele für die zeitraubende und kostspielige Nichtinforma- Stephanie Fuchs, Redaktorin https://www.facebook.com/aefu.ch https://twitter.com/aefu_ch > @aefu_ch info@aefu.ch 2/15 3
Weckruf ans ENSI Im Kittel AefU-Demo und mit Stethoskop Donnerstag, 25. Juni 2015, 14.15 Uhr Wir Ärztinnen und Ärzte fordern ENSI, Industriestrasse 19, 5200 Brugg (AG) vor dem Eidgenössischen Treffpunkt Bei der Unterführung in der Mitte Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI: des Bahnhofs Brugg (vgl. Plan) www.aefu.ch Fertig mit der Vogel-Strauss-Politik! Wir sind besorgt. Ein schwerer Atomunfall in einem un- serer AKW hätte für die Schweiz verheerende Folgen. Wir könnten den Menschen bei einer Verstrahlung nicht wirklich helfen. Das ENSI muss die AKW-Sicherheit überwachen, gerade auch bei den Uraltreaktoren Müh- leberg sowie Beznau I und II. Doch unsere Atomauf- sicht sieht sich offenbar mehr den Betreibern und dem Weiterbetrieb der AKW verpflichtet statt der Sicherheit der Bevölkerung (vgl. dazu die Beiträge in diesem Heft). • Beim AKW Mühleberg sucht es nicht akribisch nach Rissen, sondern sichtet bloss eine angeblich repräsentative Fläche. Pech, wenn der Riss nebenan liegt. Es fordert keine zweiten Kühlwasserleitung. Dumm gelaufen, wenn die an Stelle akzeptierten Feu- erwehrpumpen versagen. • Beim AKW Beznau, wo der älteste Reaktor der Welt steht, sind Nachrüstungen seit 2008 überfällig und bis heute nicht vollständig umgesetzt. Der neue Deckel, den die Axpo endlich montieren wollte, passt nicht auf den alten Topf. • Im AKW Leibstadt wurden widerrechtlich Löcher in das Primärcontainment gebohrt, um Feuerlöscher aufzuhängen. Das ENSI bemerkte jahrelang nichts davon. Im Kittel und mit Stethoskop fordern unsere Ärztinnen und Ärzte die Sicherheitsbehörde auf, ihren Kopf aus dem Sand zu nehmen und konsequent zu handeln. Wir verlangen Mut, Transparenz und vor allem Unabhän- gigkeit. Das ENSI soll nicht die Schrottreaktoren, AefU Mitgliederversammlung 2015 sondern endlich die Bevölkerung schützen. Vorgängig zur ENSI-Demo findet die Mitgliederversammlung 2015 der Die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU) sind AefU statt. Donnerstag, 25. Juni 2015, Kulturhaus ODEON, Bahnhofplatz 11, sich einig: Ein schneller Atomausstieg ist das einzig 5200 Brugg (AG). 11.00–12.30 Uhr: Statuarische Geschäfte; 12.30–14.00 Uhr: wirksame Rezept. Deshalb fordern wir am 25. Juni 2015: Mittagessen im ODEON; 14.15 Uhr: ENSI-Demo (s. oben). Unterlagen und Anmeldung unter www.aefu.ch «Kopf hoch, ENSI!», fertig mit der Vogel-Strauss-Politik. 4 2/15 www.aefu.ch
Umstrittene Freimenge Radioaktiver Abfall: Vom Labor in die Kanalisation Martin Forter, AefU Nicht jeder radioaktive Abfall gilt als radioaktiv. Er darf deshalb legal z.B. via Kanalisation entsorgt werden. Das sei Umweltfrevel, sagen selbst Forscher, die damit arbeiten. Die Strahlenschutzverordnung sieht für jedes sie «nur die Mengen einkaufen, die wir un- radioaktive Element – sogar für Plutonium bedingt brauchen». Am Biozentrum würden – Freimengen vor. Bis zu einer bestimm- sie die verbrauchte Uranylacetat-Lösung ten Strahlendosis gilt ein radioaktiver Ab- eindampfen und die Rückstände «seit 20 fall also als nicht radioaktiv. Die Indus- Jahren» via den BAG-Sammeldienst für ra- trie, Spitäler und Universitäten dürfen ihn dioaktive Abfälle entsorgen. «Wir liefern die deshalb legal in die Kanalisation oder im Rückstände als Schlamm ab, weil der Uranyl- Kehricht entsorgen. acetat-Staub besonders gefährlich ist, wenn Dies gilt auch für Uranylacetat1. Die Sub- er in den menschlichen Körper gelangt». stanz ist radioaktiv, ausserdem sehr giftig Altes und neues Fläschchen mit Uranylacetat. Es wird und gefährlich für Wasserorganismen. Des- v.a. als Negativkontrastmittel in der Elektronenmikro- Universität Bern: 2 Institute, halb gilt: «Freisetzung in die Umwelt ver- skopie verwendet. © Dave Joss 2 Vorgehensweisen meiden», wie z.B. im Sicherheitsdatenblatt Ähnlich wie in Basel sieht es Michael Stof- der Firma Sigma-Aldrich nachzulesen ist.2 Verbrauch von Jahr zu Jahr stark schwanke, fel, Leiter der Abteilung Veterinär-Anatomie In der Schweiz arbeiten rund 30 Labo- je nachdem, welche Forschungsprojekte ge- der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern: ratorien an Hochschulen, in Spitälern und rade anstünden. «Früher war es an der Abteilung eine Zeit bei der Industrie mit Uranylacetat. Sie ver- «Alle Betriebe im Aufsichtsbereich des lang Usus, die Freimengen zu nutzen und wenden es hauptsächlich als wässrige oder BAG», so Linder, würden die legale Frei- das Uranylacetat in die Kanalisation zu ge- alkoholische Lösung zur Einfärbung beim menge3 für Uranylacetat nutzen. Das aber ben.» Bei Uranylacetat sei seines Wissens Mikroskopieren, erklärt Reto Linder von der stimmt nicht. Recherchen von OEKOSKOP insbesondere die Giftigkeit das Problem. Er Abteilung Strahlenschutz des Bundesamts zeigen: Auch beim Uranylacetat sind die le- habe deshalb den Entscheid gefällt, nicht für Gesundheit BAG. galen Freimengen sehr umstritten. mehr die Kanalisation zu nutzen. Wenn die Die Labors, die das BAG beaufsichtige, Universität die Möglichkeit anbiete, Ura- würden jährlich rund 200 Gramm Uranylace- Kanalisation? Ein wüster Scherz nylabfälle zurück zu geben, so sei «es sinn- tat verbrauchen. Welche Menge die Indus- Das Biozentrum der Universität Basel ver- voll, davon Gebrauch zu machen – trotz der trie einsetzt, darüber konnte die ebenfalls wendet Uranylacetat ebenfalls als Kontrast- erlaubten Freimengen. Ich gebe ja auch das zuständige Schweizerische Unfallversi- mittel. Markus Dürrenberger, Leiter des dor- cherungsanstalt (SUVA) keine Auskunft tigen Zentrums für Mikroskopie lehnt eine geben. Ein Mitarbeiter eines Labors, das Entsorgung des verbrauchten Uranylactats mit Uranylacetat arbeitet, hält fest, dass der in die Kanalisation aber kategorisch ab: «Das ist Umweltfrevel. Uranylacetat ist auch 1 Uranylacetatpräparate werden aus abgereichertem Uran als Lösung giftig. Es wäre ein wüster Scherz, hergestellt. das der Kanalisation zu übergeben.» Die 2 Sigma-Aldrich: Sicherheitsdatenblatt Uranyl acetate dihydrate, Version 5.1 Überarbeitet am 19.12.2013, online vom BAG erlaubten Freimengen zu nutzen, eingesehen am 14.05.2015. kommt für ihn nicht in Frage: «Das ist Bei den Medikamenten. 3 Gemäss BAG beträgt die Freigrenze (FG) für U-nat 200 Bq resp. 200 Bq/kg (0,014 g Uranylacetat). Ein Betrieb mit eine Frage des Managements, was die Ent- Wenn die Strahlen weggehen im Atom- einer Umgangsbewilligung darf nach Angaben der Be- hörde bis 100 FG/Monat als flüssigen oder festen Abfall sorgung kosten darf. Wir haben ein Gewis- kraftwerk, meinte ich. in die Kanalisation einleiten oder via Kehricht entsorgen. sen gegenüber der Umwelt.» Zudem müsse Seniorin (66), Oberwil/BL Die Abgaben müssen durch den Betrieb protokolliert werden. die Universität Vorbild sein. Darum würden info@aefu.ch 2/15 5
Umstrittene Freimenge Altglas zurück, um die Kreisläufe zu schlies- Kläranlage behandelt und danach «gereinigt sen». Ganz anders beim Institut für Anato- dem Rheinwasser zugeführt», so Roche. mie der medizinischen Fakultät, ebenfalls Nicht so offen wie die lokale Konkurrenz an der Universität Bern. Dort werde «knapp antwortete der Pharmariese Novartis. Zu- ein Viertel des gebrauchten Uranylacetates erst hiess es auf Anfrage bloss: Der «Lager- im Rahmen der monatlichen Freimenge via bestand, Verbrauch und die Entsorgung» Kanalisation entsorgt», liess der Medien- würden «den gesetzlichen Vorschriften» dienst der Universität OEKOSKOP wissen. entsprechen und «den Behörden jährlich Dies entspreche «4.6 Gramm jährlich. Die gemeldet». Auf Nachfrage von OEKOSKOP legale Freimenge von 34.3 Gramm pro Jahr» räumte der Pharmakonzern ein: «Die sehr würde «also längst nicht erreicht». geringen Mengen in Verbindung mit der äus- serst niedrigen Konzentration» würden es Pharmaindustrie nutzt teilweise Novartis erlauben, «bei der Entsorgung die Kanalisation, Nestlé nicht Freigrenze für das Abwasser zu nutzen». Auch die Pharmaindustrie nutzt die ge- Dagegen erachtet der Nahrungsmit- setzlichen Freimengen: Der Grosskonzern telkonzern Nestlé das Einleiten in die Roche teilt OEKOSKOP mit, sie würden am Kanalisation als unstatthaft: «Die Regeln des Standort Basel jährlich 0.5 Gramm Uranylace- Umweltschutzes verbieten das Abführen in tat als Negativkontrastmittel in der Elek- die Abläufe. Flüssiger Abfall» müsse «einge- tronenmikroskopie verwenden. Die «ver- sammelt und dann korrekt als chemischer wendeten Kleinmengen» würden «nicht in Abfall entsorgt werden», schreibt Nestlé u.a. den Geltungsbereich der Strahlenschutzver- unter Berufung auf das erwähnte Sicher- ordnung» fallen, weshalb sie entweder «wie heitsdatenblatt von Sigma-Aldrich.4 Chemiemüll behandelt» und in einem Son- Anstatt in die Kanalisation hinter diese Türe: Die AefU meinen: Die Freimengen z.B. dermüllofen verbrannt «oder ins Abwasser Das Zwischenlager für Uranylacetat-Abfälle des für Uranylacetat gehören abgeschafft. Sie abgegeben» würden. Dieses werde in einer Biozentrums an der Universität Basel. © Dave Joss stützen einzig eine schlechte Laborpraxis. 4 Im Original: «Environmental protection rules ban discharge of dangerous chemicals into drains. Liquid Uranylactat in der Kanalisation und die Folgen waste must be collected and then correctly eliminated as chemical waste.» Wohin gelangt das sehr giftige und radioaktive Uranylacetat, das im Abwasser landet? Bei alten sanitären Installationen wie etwa am Institut für Anatomie der Universität Bern dürfte ein Teil des Uranylacetats z.B. im Schlamm an den Kanalisationsrohren hängen bleiben. Dies kann ein Sicherheitsrisiko für die Arbeiter werden, wenn sie dereinst die Rohre herausreissen, um sie zu ersetzen. Das Abwasser schwemmt das übrige Uranylacetat in die Kläranlage. Dort bindet es sich an den Klärschlamm, erläutert Gerhard Schmidt, Chemieingenieur beim Öko-Insti- tut Darmstadt. Werde der Klärschlamm verbrannt, so wandle sich das Uranylacetat zu Ich habe sie im Kasten versorgt. Aber Uranoxid um. Davon würde der Hauptteil in der Kesselasche und maximal ein Fünftel ich weiss nicht, wie man das nehmen im Flugstaub der Abluftreinigung verbleiben. «Ein geringer Anteil gelangt als Staubbe- soll. Man erhielt es einfach per Post und standteil in die Atmosphäre». Das Uranoxid, das via Kesselasche auf eine Deponie gehe, wurde nicht informiert, wie man das sei dort schwer mobilisierbar.«Beides dürfte in der Regel keine grosse Belastung zur nehmen soll und wann. Das steht auch Folge haben.» Trotzdem sagt auch Schmidt: «Uranylacetat gehört – wie Blei oder Cad- nicht drauf. mium – einfach nicht in den Ausguss. Die formale Anwendung der Freigrenze ist bei Ura- Wofür? Eigentlich keine Ahnung. nylacetat unnötig. Der Aufwand für eine getrennte Sammlung, Aufkonzentrierung und Koch (27), Allschwil Entsorgung ist vertretbar, weshalb der Weg der minimalsten Belastung zu wählen ist.» 6 2/15 www.aefu.ch © oekoskop
Bevölkerungsschutz «Im Ereignisfall sollte es kein Problem sein» Interview: Stephanie Fuchs, Martin Forter Bei einer AKW-Explosion wie in Fukushima bleibt kaum Zeit, den Bevölkerungsschutz zu organisieren. Wie ist die Schweiz dafür gerüstet und was sollen ÄrztInnen tun? Unsere Anfrage nach einem Interview- Jedes dieser Dekontaminationsspitäler kann 50 partner machte eine kleine Reise durch die Personen pro Stunde dekontaminieren? Bundesbehörden. Das Bundesamt für Be- Ja, das Konzept des KSD sieht diese Ka- völkerungsschutz BABS verwies uns an die pazität vor. Zudem sollen die restlichen Nationale Alarmzentrale NAZ, die dafür Akutspitäler1 gemäss Konzept zumindest in das Bundesamt für Gesundheit BAG zustän- der Lage sein, einzelne Personen zu dekon- dig sah. Hier fanden wir unseren Gesprächs- taminieren. partner Dr. Daniel Storch. Er musste seiner- seits immer wieder auf die Zuständigkeit Wurde das Spitalpersonal vertraglich verpflich- der NAZ, des Labor Spiez (beide unterste- tet, bei einem Atomunfall präsent zu bleiben? hen dem BABS), des Koordinierten Sanitäts- Ich gehe davon aus. Das ist nicht die Auf- dienstes KSD (untersteht der Schweizer Ar- gabe des BAG. Das hat der KSD mit seinen mee) oder der AKW-Standortkantone (AG, Empfehlungen so geregelt. Die Idee war, das BE und SO) verweisen. Wir danken Herrn in die Arbeitsverträge der Ärzte aufzuneh- Storch, dass er sich dennoch unseren Fragen men. Einzelne Spitäler haben dies wohl auch stellte. so geregelt. Aber das ist Sache des einzelnen Spitals. Grundsätzlich gibt uns aber auch OEKOSKOP: Welches sind die Aufgaben und das Strahlenschutzgesetz (StSG) die Mögli- Pflichten der ÄrztInnen bei einer atomaren betrieb. Die Ärzte würden die Behandlung chkeit, Personen mit einer Funktion im Katastrophe? von stark bestrahlten Personen durchfüh- Notfall zu verpflichten. Eine Arbeitsgruppe Daniel Storch: Die Hausärzte hätten keine ren. Gegebenenfalls würden dort auch z.B. aus IDA NOMEX2 hat diesen Sachverhalt speziellen Aufgaben. Sie haben sich gleich zu Stammzellentransplantationen durchgeführt. geklärt. verhalten, wie die Bevölkerung. In Gebieten, wo die Bevölkerung in die Häuser befohlen Die 12 Betten wären für die Leute bestimmt, die Geschieht ein schwerer Atomunfall im AKW wird, sollen auch die Ärzte in die Häuser ge- in den AKW arbeiten? Mühleberg, wären das Inselspital und wahr- hen. Wenn die Bevölkerung evakuiert wird, Nein, nicht nur für die KKW-Arbeiter. Wir scheinlich auch mehrere Berner Regionalspitäler sollen auch die Ärzte mit. schicken auch Personen der Bevölkerung verstrahlt. Was würde dann passieren? dorthin, sofern diese eine spezifische Schweizweit gibt es 16 Dekontaminations- Sie haben keine Funktion? medizinische Betreuung brauchen. Als Col- spitäler. Im Kanton Bern gehören die Spitäler Sie haben im Notfall keine zusätzliche Funk- laboration Center der WHO hat sich das Insel, Burgdorf, Biel und Thun dazu. Zudem tion als Hausarzt. Stark verstrahlte Men- Universitätsspital Zürich dieses Wissen an- gibt es noch die anderen Spitäler. Ich gehe schen würden in spezialisierten Zentren geeignet. Gemäss Konzepten des KSD gibt auch davon aus, dass das Inselspital allen- spezifisch behandelt. Vertraglich verpflich- es zudem sogenannte Dekontaminations- falls geschlossen werden müsste. tet ist das Universitätsspital Zürich. Dort spitäler. Zurzeit sind dies rund 16 Spitäler, 1 Spitäler, die eine Notfallstation betreiben. stehen 12 Betten dafür zur Verfügung. diese können vor ihrer Notfallstation eine 2 Interdepartementale Arbeitsgruppe zur Überprüfung der sogenannte Dekontaminationsstelle aufstel- Notfallschutzmassnahmen bei Extremereignissen in der Schweiz, kurz IDA NOMEX. Sie wurde 2011 nach der Dort wären die ÄrztInnen verpflichtet, zu blei- len und bis zu 50 Patienten pro Stunde de- Atomkatastrophe von Fukushima ins Leben gerufen. Auf ben? kontaminieren, also waschen und Kleider Grund ihres Berichts hat der Bundesrat 2012 verschiedene Bundesstellen mit der Erarbeitung von Massnahmen Ja. Dort gilt der normale, reguläre Spital- wechseln. beauftragt. info@aefu.ch 2/15 7
Bevölkerungsschutz So sinkt die Kapazität der dekontaminierbaren Betrieb zu nehmen. Für weitere gibt es nicht Wenn der Unfall aber kantonsübergreifend ist? Personen pro Stunde deutlich. genügend Strahlenschutzexperten. Zustän- Nehmen wir den Kanton Aargau: Zuerst be- In der Region Bern ja, aber andere Spitäler dig ist das BABS. Betrieben werden kann spricht die NAZ mit den dortigen Behörden können diesen Bedarf kompensieren. Zu- die Beratungsstelle durch die Standort- per Telefonkonferenz die zu treffenden Mass- dem gibt es neben der Kapazität der De- kantone der Kernkraftwerke (AG, SO, BE) nahmen. Wenn das Ereignis mehrere Kan- kontaminationsspitäler die «Beratungsstelle und zusätzlich FR. Zudem gibt es eine Ver- tone betrifft, wird die NAZ die Koordination Radioaktivität», da reden wir von einer Ka- haltensanweisung an die Bevölkerung, sich übernehmen. Wenn man sieht, dass die Wol- pazität von 1000 Personen pro Tag3, die in ei- zuerst zu Hause zu duschen und die Kleider ke in Richtung Deutschland geht, werden nem Portalmonitor auf eine Kontamination zu wechseln. Dadurch soll ihre Kontamina- auch die deutschen Landkreise einbezogen. gemessen werden können. Die Kapazität tion grundsätzlich schon deutlich reduziert kann bei Bedarf erhöht werden. Die maxi- werden. Was geschieht, wenn der Standortkanton male Kapazität wurde bisher nicht getestet, flächenmässig stark verstrahlt ist und die Mass- dafür zuständig ist das Labor Spiez4. Früher Das BABS aber hat uns an die NAZ5 und diese nahmen gar nicht umsetzen kann? wurde diese Beratungsstelle Kontaktstelle an Sie verwiesen. Im Katastrophenfall sind viele Der Standortkanton ist dafür verant- genannt. Stellen involviert. Um den Überblick zu er- wortlich, diese Beratungsstelle aufzustellen. halten: Existiert ein Organigramm, wer wann Wenn das nicht möglich ist, weil das Gebiet Das sind mehrere Kontakt- bzw. Beratungsstel- zuständig ist? kontaminiert wäre, würde man in den Nach- len? Das gibt es so nicht. Aber im Ereignisfall barkanton ausweichen. Nein, eine. Es gibt Material und Personal, sollte es kein Problem sein, weil alle Fäden um eine Beratungsstelle Radioaktivität in bei der NAZ zusammenlaufen. Bei einem Wie schnell wäre diese Beratungsstelle Radioak- Notfall in einem Kraftwerk, ist der Betreiber tivität operativ? verpflichtet, dies der Aufsichtsbehörde ENSI Die Vorgabe gemäss Konzept ist zwölf An dieser Stelle wollten wir eine offizielle zu melden. Ist abzusehen, dass es eine Frei- Stunden nach dem Ereignis. Die Beratungs- Grafik abbilden, die unserer Leserschaft setzung von Radioaktivität geben könnte, stelle muss erst in Betrieb gehen, wenn die So- auf einen Blick zeigt, wann und wofür dann muss zudem auch die NAZ infor- fortmassnahmen wieder aufgelöst werden. BABS, BAG, KSD, NAZ, Labor Spiez, miert werden. Nun sind alle Prozesse klar Solange die Leute im Haus bleiben sollen, ENSI und die Standortkantone bei einem definiert: Die NAZ gibt die Verhaltensan- braucht es noch keine Beratungsstelle. schweren Atomunfall zuständig sind. weisungen an die Bevölkerung, sie löst den Eine solche war beim Bund aber nicht Sirenenalarm aus und hat Kontakt mit dem Bei der Evakuation hätten die Ärzte auch keine verfügbar und wurde auf unsere Anfrage Standortkanton sowie weiteren Behörden. speziellen Verpflichtungen, auch nicht im Spital, hin auch nicht erstellt. Die NAZ bietet das Personal für die Bera- wenn sie keine entsprechenden Arbeitsverträge tungsstelle auf. Für die ersten Stunden und abgeschlossen haben? Tage ist alles geregelt. Das weiss ich nicht. Warum hat uns die NAZ denn an Sie Und via Militär? verwiesen? Für die Ärzte in der Beratungsstelle Radio- Das kann ich Ihnen nicht sagen. aktivität wollten wir zuerst auf Militärärzte zurückgreifen, doch diese sind in einem sol- Durch die Alarmierung ist klar, es ist Schlimmes chen Fall nicht verfügbar. Deshalb haben wir passiert. Aber damit ist noch niemand ge- die leitenden Notärzte angefragt, ob sie sich Im Medizinschrank hinter den Medika- rettet. Die Leute wollen weg, die Strassen sind an der Beratungsstelle beteiligen. Es gibt menten. verstopft, es herrscht Chaos. Wer ist nun zustän- eine Gruppe leitender Notärzte, die macht Wenn im Atomkraftwerk etwas schief dig? häufig Weiterbildungen, wo sie auch Kurse gehen sollte, sollte man das nehmen. Der Standortkanton. Das regelt die Notfall- in ABC-Schutz absolvieren. Das sind im Mo- Wann, weiss ich auch nicht so genau. schutzverordnung. Dort sind die Aufgaben ment rund hundert Ärzte. Im Notfall würde Tagesmutter (30), Münchenstein. des Kantons und der zuständigen Stellen man diejenigen aus den nicht betroffenen genau beschrieben. Regionen für die Beratungsstelle aufbieten. 8 2/15 www.aefu.ch
Bevölkerungsschutz Wenn sie aufgeboten werden, entscheiden sie frei, Wenn die Beratungsstelle 30 oder 40 Kilometer ob sie sich beteiligen wollen oder nicht? entfernt steht, wie gelangen die Leute dahin? Genau. Mit dem eigenen Auto oder mit organisier- ten Transportmitteln, die der Standortkan- Das heisst, Sie können die Kapazität der Bera- ton, der Bund oder die Armee zur Verfü- tungsstelle von 1000 dekontaminierten Personen gung stellen müssen. pro Tag nicht garantieren? Die Kapazität erlaubt die Messung von 1000 Sie haben mit Medgate6 vertraglich eine telefo- Personen pro Tag, dafür braucht es keine Ärz- nische Informationslinie vereinbart. Wer würde te. Wir gehen davon aus, dass nur wenige diese Beratung bei Medgate durchführen? Personen dekontaminiert werden müs- Ärzte und medizinisches Personal. Das sen. Dies auch, weil eben bereits zu Hause Bundesamt für Gesundheit BAG erhielt den geduscht und die Kleider gewechselt wur- Auftrag: «Betreibt für den Ereignisfall eine den. Für die Beurteilung der individuellen Hotline». Bei Bedarf schaltet das BAG die Strahlendosis braucht es A-Spezialisten und Hotline auf. allenfalls Ärzte, weil sie grösseres Vertrauen geniessen als Strahlenschutzexperten. Gemäss Webpage bearbeitet Medgate täglich bis zu 4300 Telefonanrufe und verfügt über 250 Wer dekontaminiert die Leute? Mitarbeitende, davon 70 Ärzte und Ärztinnen.7 Personen des Kantons, in der Regel Leute des Würde das im Katastrophenfall ausreichen? Zivilschutzes. Für die Messungen werden Laut Vertrag muss Medgate die Hotline in- zusätzliche Leute aus dem Labor Spiez hin- nerhalb von 24 Stunden aktivieren und uns zugezogen. Leitende Notärzte unterstützen eine Servicekapazität von maximal 1000 den Beratungsprozess. Der Triageprozess Anrufen pro Tag in den Sprachen D/F/I/E ist vorgegeben und ist Aufgabe des KKW- liefern. Standortkantons. Er wird von der Natio- nalen Alarmzentrale beauftragt und stellt Wie ist die Schulung des Personals sicher ge- die Infrastruktur für die Beratungsstelle stellt? zur Verfügung. Die Beratungsstelle wird möglichst nahe beim Katastrophenzentrum aufgebaut, aber sicher nicht in Abwind- richtung. Und wenn der Wind dreht? Die Beratungsstelle muss so aufgestellt werden, dass sie auch bei einem allfällig kurz- fristigen Windwechsel nicht falsch steht. Bei uns daheim im Arztkästli, damit es schnell greifbar ist, wenn es einen 3 Pro Tag bedeutet 16 Std.. Es sind 2 Ablösungen à 8 Std. Ausbruch gibt. geplant. Es wird nicht davon ausgegangen, dass sich die Bevölkerung auch nachts dekontaminieren lassen will. Wenn ein Atomkraftwerk plötzlich ex- 4 Das Labor Spiez ist das schweizerische Fachinstitut für plodiert, kann man die Tabletten zu sich den Schutz vor atomaren, biologischen und chemischen (ABC) Bedrohungen und Gefahren. Es ist Teil des Bunde- nehmen. Und man darf nicht hinaus an samt für Bevölkerungsschutz BABS. 5 Die Nationale Alarmzentrale NAZ ist die Fachstelle des die Luft, man darf die Luft nicht einat- Bundes für ausserordentliche Ereignisse. Sie ist in der men, sonst erstickt man und ist dann tot. Lage, rund um die Uhr innert einer Stunde in den Einsatz zu gehen. Die NAZ ist ein Geschäftsbereich des Bundesa- So habe ich es erfahren. mtes für Bevölkerungsschutz BABS. Detailhandesfachfrau (21), Gelterkinden 6 Medgate ist ein Anbieter von telemedizinischer Beratung mit Sitz in Basel. info@aefu.ch 2/15 9
Bevölkerungsschutz Medgate hat ein eigenes Schulungsmodul, Wenn es ein grosses Ereignis ist, ist da viel- tengeschichten mit, sie waren angeschrieben das die für die Beratung aufgebotenen Leute leicht nicht nur das beschädigte Kernkraft- mit «ich bin kontaminiert». Es ging nicht durchlaufen müssen. Wir haben mit ihnen werk, sondern es kommt z.B. ein auslösen- darum, die Kapazität zu testen, sondern zu die häufigsten Fragen durchgespielt und sie des Erdbeben dazu. Medgate garantiert die prüfen, ob das Konzept Beratungsstelle, das werden laufend auf den neuesten Stand ge- geforderte Leistung. Medgate verwies da- damals neu war, funktioniert. bracht. Sie haben die Broschüren «Radioak- rauf, dass sie Telearbeit haben und deshalb tivität und Strahlenschutz»8 vom BAG und die Mitarbeitenden in der ganzen Schweiz 2015 ist wieder eine Übung angesetzt. Bei «Der Strahlenunfall»9 von der SUVA. Damit verteilt sind. Wie sie sie verpflichten, müsste welchem AKW? schulen sie das Personal. man mit ihnen klären. In Gösgen. Wurde das Medgate-Personal vertraglich ver- Was ist, wenn das Telefonnetz zusammenbricht? Mit wie vielen Statisten wird das sein und dies- pflichtet im Notfall tatsächlich am Telefon zu Dann können Sie nicht anrufen. Für die In- mal mit Evakuation? sitzen? formation der Bevölkerung bleiben aber Keine Ahnung. Das ist eine Sache der Ich gehe davon aus. Wir bestellen die Leis- weitere Kommunikationskanäle zur Verfü- Übungsleitung. Ein kleines Übungsleitung- tung ja für genau diesen bestimmten Fall. gung, wie Sirenen, Radio, Fernsehen usw.. steam beim BABS legt das Szenario der Wir haben das mit Medgate diskutiert. zweitägigen Übung fest. Am ersten Tag wird Im Rahmen von IDA NOMEX zeigte sich, vom Kernkraftwerkunfall bis zur Freiset- dass die Kommunikationslinien der schwächste zung von Radioaktivität etwas geübt. Am Abkürzungen Punkt beim Notfallschutz waren. Was hat sich zweiten Tag wird es die Beratungsstelle und geändert? die Messorganisation sein. ABC-Schutz Das BABS hat den Auftrag erhalten für die umfasst alle Massnahmen zur Abwehr Behörden ein krisensicheres, redundantes Wird auch die Evakuation einmal geübt werden? und Vermeidung atomarer (nuklearer Kommunikationssystem zu erstellen, damit Ich hoffe es, dass man das mal üben wird. und radiologischer, A), biologischer (B) die Kommunikation z.B. auch bei Erdbe- Aber es ist schwierig, ein realistisches Sze- und chemischer (C) Bedrohungen und ben aufrecht erhalten bleibt. Die KKW, das nario hinzubringen. Man müsste die Leute Gefahren. ENSI und die NAZ besitzen bereits solche ja doch vorinformieren. AKW/KKW Verbindungen, weiter Stellen werden noch Atomkraftwerk/Kernkraftwerk angebunden. BABS 7 www.medgate.ch/de-ch/ubermedgate.aspx, eingesehen Bundesamt für Bevölkerungsschutz Heute gibt es also sichere Verbindungen, zu- 18. Mai 2015 BAG mindest zwischen AKW und Behörden? Das gab 8 Radioaktivität und Strahlenschutz – Diese Broschüre vermittelt ein vereinfachtes Grundwissen. Bundesamt für Bundesamt für Gesundheit es vorher nicht. Gesundheit BAG, Bern, 2007. IDA NOMEX Selbstverständlich. Das ist geregelt. Infor- 9 Der Strahlenunfall – Informationsschrift zur Behandlung von Strahlenverletzten. Schweizerische Unfallversi- Interdepartementale Arbeitsgruppe zur mationen dazu bekommen sie vom BABS cherungsanstalt SUVA, Luzern, 2001. Überprüfung der Notfallschutzmassnah- oder vom Eidgenössischen Nuklearsicher- men bei Extremereignissen in der Sch- heitsinspektorat ENSI. weiz, vgl. Fussnote 2. Dr. Daniel Storch, promovierter Radio- KSD Die letzte Gesamtnotfallübungen fand 2013 chemiker und Verantwortlicher Krisen- Koordinierter Sanitätsdienst, Teil des Ge- in Leibstadt statt. Hat man damals auch die organisation der Abteilung Strahlen- schäftsbereiches Sanität der Logistikbasis Evakuation geübt? schutz im Bundesamt für Gesundheit der Armee LBA Nein. BAG. Davor war er beim Bundesamt NAZ für Bevölkerungsschutz BABS tätig. U.a. Nationale Alarmzentrale, Geschäfts- Welches war die Funktion der 200 Statisten? war er dort Übungsleiter der Gesamtnot- bereich des BABS Sie hatten die Rolle der Bevölkerung in der fallübung 2011, die wegen dem schweren WHO Beratungsstelle. Man schickte sie zweimal Atomunfall in Fukushima jedoch abge- Weltgesundheitsorganisation durch, so hatte man 400 Personen in der sagt wurde. Beratungsstelle. Einzelnen gab man Patien- 10 2/15 www.aefu.ch
Reduzierte Mindestvorschriften Das ENSI verletzt unsere Sicherheit Markus Kühni, Bern «Die Schweizer Kernkraftwerke sind sicher», beteuert der Direktor des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats ENSI persönlich.1 Sind Sie beruhigt? Wenn es um die nukleare Sicherheit geht Die Bestimmung a. verlangt vom Betrei- der Angemessenheit. Was angemessen ist, – mit potenziellen Konsequenzen wie in ber ein Sicherheitsminimum. In der weiteren entscheidet allein das ENSI. Fukushima – täte eine solch absolute Aus- Gesetzgebung wird dieses Minimum mit sage eigentlich gut. Aber stimmt sie auch? einem Ultimatum konkretisiert. Es gelten In der Theorie: alles klar Wer es genauer wissen will, muss sich auf «Kriterien, bei deren Erfüllung der Bewilli- Wie auch vom ENSI selber grafisch darge- die Suche nach einer Definition für das gungsinhaber die Kernanlage vorläufig aus- stellt, zieht das Gesetz also einerseits (a.) Prädikat ‹sicher› machen. Der vorliegende ser Betrieb nehmen und nachrüsten muss»3 eine «harte Linie» (rot, vgl. Abb. 1+2). Bei Artikel diskutiert, was die Kernenergiege- (sogenannte Ausserbetriebnahmekriterien). deren Unterschreitung droht die unver- setzgebung als ‹sicher› definiert – und was Aber selbst wenn die Anlage nach Bestim- zügliche vorläufige Ausserbetriebnahme. das Eidgenössische Nuklearsicherheitsins- mung a. genügt, darf der Betreiber seine Andererseits (b.) gibt es eine «weiche Linie» pektorat ENSI daraus macht. Hände nicht in den Schoss legen. Bestim- (grau, vgl. Abb. 1+2), deren Unterschreitung mung b. verlangt zusätzlich ein Sicherheits- eine Nachrüstungspflicht bewirkt, aller- Sicherheit: das Minimum polster. Die Anlage ist soweit nachzurüsten, dings nur, soweit die Massnahme vom ENSI und das Polster «als dies nach der Erfahrung und dem Stand als angemessen betrachtet wird. Das Kernenergiegesetz (KEG) definiert be- der Nachrüstungstechnik notwendig ist, reits in den «Grundsätzen für die Nutzung und darüber hinaus, soweit dies zu einer 1 ENSI-Direktor Wanner: «Die Schweizer Kernkraftwerke sind sicher», 11.01.2012 der Kernenergie» zwei Sicherheitsstufen. weiteren Verminderung der Gefährdung http://www.ensi.ch/de/2012/01/11/ensi-direktor-wan- ner-die-schweizer-kernkraftwerke-sind-sicher/ «Im Sinne der Vorsorge sind alle Vorkehren beiträgt und angemessen ist».4 Als Kriterien 2 Art. 4 KGE zu treffen, die a. nach der Erfahrung und dafür, ob nachgerüstet werden muss oder 3 Art. 22, Abs. 3 KEG dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht, dient die Prognose der Häufigkeit 4 Art. 22, Abs. 2, lit. g KEG notwendig sind und b. zu einer weiteren einer Kernschmelze (bzw. einer Freisetzung 5 Art. 12, Verordnung de UVEK über die Gefährdungsan- nahmen und die Bewertung des Schutzes gegen Störfälle Verminderung der Gefährdung beitragen, radioaktiver Stoffe) sowie entsprechende in Kernanlagen soweit sie angemessen sind.»2 Richtwerte.5 Allerdings gilt hier das Gebot 6 Aus: Dr. Hans Wanner, Direktor ENSI, Präsentation an der Veranstaltung der Schweizerischen Energiestiftung SES vom 6.5.2013. Die sind daheim im Doktorkasten. Beim Atom... Die Schilddrüsen... sagt man angeblich, dass die Jodversorgung Abb. 1+2: Die Sicherheit eines AKW gemäss ENSI.6 Graue Linie: Stand der Nachrüstungstechnik, bei Unterschreitung dann hin ist. Atom zerstört das Jod im müssen die AKW-Betreiber Nachrüstungen, die als angemessen gelten, vornehmen. Rote Linie: absolutes Sicher- Körper, irgendwie. heitsminimum, bei Unterschreitung müssen die Betreiber das AKW unverzüglich vorübergehend abschalten. Spengler (34), Basel. NRT = Nachrüstungstechnik. info@aefu.ch 2/15 11
Reduzierte Mindestvorschriften reinigen. Der Rechen liegt zehn Meter unter dem Flutniveau, keine Chance, ihn manuell zu entstopfen. Also speisen Sie das Kühl- wasser mit Ihren mobilen Pumpen direkt hinter den Feinrechen ein. Wenn nur nichts schief geht! Wie lange reicht der Treibstoff der Pumpen noch? Abb. 3: Nachgestellte Situation der Notfallschutzmassnahmen, die beim AKW Mühleberg bei Hochwasser zur An- Das beschriebene Szenario eines Hoch- wendung kommen. Montage: M. Kühni wassers beim AKW Mühleberg stützt sich auf die offiziellen Stellungnahmen des Dieser zweistufige Sicherheitsbegriff leberg hüfttief (80cm) in der Flut. Die braune ENSI zur Überprüfung der Auslegung des regelt nicht nur den Betrieb, sondern indi- Brühe strömt über das ganze Betriebsareal. AKW gegen Hochwasser. Die «Verstop- rekt auch die Laufzeit der Schweizer AKW. Sie sind schon seit Stunden bei Dauerregen fung der Zulaufstränge oder des Rechens Denn: Sie besitzen unbefristete Betriebsbe- im Einsatz. Mittlerweile ist stockdunkle des (...)Notstandsystems» sei gemäss ENSI willigungen; solange sie als ‹sicher› gelten, Nacht. Die Flutlichtanlage ist wie die ge- «unwahrscheinlich, können aber (...) nicht dürfen sie weiter betrieben werden. Mach- samte Stromversorgung ausgefallen. Sie und völlig ausgeschlossen werden. (...). Mit der barkeit und Kosten der a. zwingend notwen- Ihre Kollegen von der Betriebsfeuerwehr Nachrüstung der vier Einspeisestutzen» digen und b. angemessenen Nachrüstungen müssen mit mobilen Feuerwehrpumpen für die Schläuche der mobilen Pumpen, entscheiden letztlich über Weiterbetrieb Kühlwasser in einen Schacht pumpen. Ge- sei die «Kühlwasserversorgung des (...) oder definitive Stilllegung. Wenn der Be- lingt es Ihnen nicht, ohne Unterbruch mit Notfallstandsystems gewährleistet».7 Als treiber nicht mehr investiert, schmilzt das mindestens zwei Pumpen Wasser zuzufüh- Grundlage für den Nachweis dient die an- Sicherheitspolster b. bis zur tatsächlichen ren, fällt auch die letzte interne Notstrom- zunehmende Stärke des Hochwassers, die Abschaltung auf Null. Das ist der Zeitpunkt, versorgung des AKW aus. Wie in Fukushi- sogenannte Gefährdungsannahme. Sie ist wo beim Schweizerischen Regime mit un- ma. Denn: Mit dem von Ihnen gepumpten gesetzlich geregelt (Häufigkeit 1:10 000 pro befristeter Bewilligung von Gesetzes wegen Wasser wird nicht nur der Reaktor not- Jahr).8 Die Gefährdungsannahme – sprich: die Lebenszeit eines AKW erreicht ist. gekühlt, sondern auch die letzten noch funk- der Hochwasserpegel – wurde vom AKW- tionierenden Notstromgeneratoren. Ab und Betreiber selber berechnet. In der Praxis: Hochwasser beim zu verstopfen die Saugkörbe Ihrer Pumpen AKW Mühleberg mit Pflanzenresten und anderem Material. Gestaffelte Sicherheitsvorsorge Stellen Sie sich vor: Es regnet seit Tagen hef- Hektisch reinigen Sie diese immer wieder. Laut Gesetz ist «für die Bewertung des tig, die Flüsse treten massiv über die Ufer. Das Schwemmmaterial ist auch der Grund Schutzes gegen Auslegungsstörfälle», «für Sie stehen auf dem Gelände des AKW Müh- ihres Einsatzes: Die fest installierte Notkühl- jeden angenommenen Störfall nachzuwei- wasserfassung besitzt entgegen allen Regeln sen, dass die zur Umsetzung des Konzepts des Wasserbaus keine Vorrichtung, um den der gestaffelten Sicherheitsvorsorge getrof- Feinrechen zu spülen oder mechanisch zu fenen technischen und organisatorischen Das AKW Mühleberg soll erst 2019 stillgelegt werden, obwohl ursprünglich umfang- reiche Nachrüstungen bis spätestens 2017 verlangt waren. Dazu erklärt BKW-Präsident Urs Gasche: «Wenn es in einem Haus durchs Dach regnet, das Sie in zwei Jahren abreissen wollen, dann können Sie es mit einer ‹Blache› abdecken und haben Ruhe.»27 Im Januar Bei den Lebensmitteln, die ich in der dieses Jahres winkte das ENSI die entsprechenden ‹Blachen›-Lösungen durch. Weitere Woche brauche, beim kleinen Vorrat. AM-Massnahmen, noch mehr Feuerwehrschläuche, sowie konventionelle (nicht erdbe- Für die Schilddrüsen, falls Atom... Aber benfeste, nicht nuklear qualifizierte) Erweiterungen des Trinkwassernetzes etc. sollen es es nütze nichts, hiess es. Es bringt nichts, richten. Vor allem bei der Prognose zur Häufigkeit von Kernschmelzen und Freisetzun- sagt Greenpeace. gen radioaktiver Stoffe vermeldet die Betreiberin wundersame rechnerische Risikover- Pensionärin, Basel minderungen. Das ENSI hat diese nur oberflächlich geprüft, wie es selber einräumt.28 12 2/15 www.aefu.ch © oekoskop
Reduzierte Mindestvorschriften Schönwetter-Mühleberg – Aufnahme mit Drohne. © Markus Kühni Abb. 4: Die gestaffelte Sicherheitsvorsorge hat zum Ziel, dass das Versagen einer einzelnen Sicherheitsmassnahme nicht zur Katastrophe führt. Die Schweizerische Vereinigung für Atomenergie (SVA) und das ENSI werben mit diesem «Zwiebelprinzip» für die Unbedenklichkeit der AKW.12 Schutzmassnahmen wirksam sind». Dafür Ist das Prinzip «Defence in Depth» richtig ist «insbesondere aufzuzeigen, dass die implementiert, stellt es sicher, dass kein ein- benötigten Bauwerke und Anlageteile die zelner menschlicher oder technischer Feh- auf sie wirkenden Störfalllasten abtragen ler zur Freisetzung von radioaktiven Stof- können». 9 fen führt. Die Massnahmen sollen auf jeder Die gestaffelte Sicherheitsvorsorge (engl. Sicherheitsebene nach genau festgeschrie- «Defence in Depth») ist das fundamentale, benen Regeln als für sich separat wirksame weltweit etablierte Sicherheitskonzept der Barriere funktionieren. Sicherheitsebene 3 Internationalen Atomagentur IAEA. Auch (von 5)13 verlangt eine korrekte Dimensio- die Schweiz hat sich zu dessen Anwendung nierung der Sicherheitssysteme – die soge- völkerrechtlich verpflichtet.10 Es ist sozusa- nannte Auslegung – um auch Ereignisse gen der weltweit kleinste gemeinsame Nen- wie das oben beschriebene Hochwasser zu ner, wie die AKW-Sicherheit zu überprüfen bewältigen. Bei diesen Auslegungsstörfäl- und zu beurteilen ist. Die «in die Tiefe ge- len müssen alle relevanten Sicherheitsfunk- staffelte Abwehr» umfasst «auf mehreren tionen mit fest eingebauten und sicherheits- Ebenen aufeinander folgende und vonei- nander unabhängige Schutzmassnahmen» (vgl. Abb. 4).11 7 Stellungnahme des ENSI zum deterministischen Nach- weis des KKM zur Beherrschung des 10 000-jährlichen Hochwassers, 31.8.2011 8 Verordnung des UVEK über die Gefährdungsannah- men und die Bewertung des Schutzes gegen Störfälle in Kernanlagen. 9 ebda., Art. 8 Im Apothekerkasten. 10 Art. 18 Auslegung und Bau, Übereinkommen über nuk- Falls wir einen Störfall haben im AKW, leare Sicherheit , Abgeschlossen in Wien am 17. Juni 1994, Von der Bundesversammlung genehmigt am 20. Juni kann man die für die Schilddrüsen 19962, Schweizerische Ratifikationsurkunde hinterlegt am 12. September 1996, In Kraft getreten für die Schweiz am nehmen, in den ersten paar Stunden, 11. Dezember 1996 nachdem es passiert ist. Es kommt drauf 11 Art. 1 von Fussnote 11. 12 Abb. rechts: «Kernenergie – Sicher, Sauber, Unentbehr- an, in welchem Radius und wie hoch die lich, Unerschöpflich», Schweizerische Vereinigung für Atomverseuchung ist, dann nehme ich Atomenergie (SVA), Dezember 1971. Abb. links: Dossier zur gestaffelten Sicherheitsvorsorge, ensi.ch, 2013. sie halt. 13 Gesamthaft sind es 5 Sicherheitsebenen, wobei die fünfte Liftmonteur (52), Füllinsdorf. eigentlich forfait gibt: Hier sind z.B. die Evakuation und Ernteverbote vorgesehen. info@aefu.ch 2/15 13
Reduzierte Mindestvorschriften genau solche Notfallschutzmassnahmen teme (Einzelfehlerprinzip), räumliche Tren- (AM-Massnahmen). «Das ENSI beurteilt nung und die Automatisation. Das ENSI diese Nachrüstung [der Einspeisestutzen fordert zwar eine Diskussion über Nachbes- zum Anschluss der Feuerwehrpumpen, serungen. Es relativiert seine Forderungen Anm. d. Verfassers] als eine zusätzliche Ein- aber sogleich wieder: «Auch wenn die kon- richtung, mit der die Kühlwasserversorgung sequente Beherrschung eines Einzelfehlers (…) mit hoher Zuverlässigkeit im Rah- bei Auslegungsstörfällen gesetzlich nur für men von AM-Massnahmen gewährleistet Neuanlagen gefordert wird…». Dieser halbe werden kann».15 Das ENSI stört es auch Satz hat es in sich. Wenn sogar fundamentale nicht, dass die Betriebsfeuerwehrleute diese Grundsätze wie die Beherrschung eines Ein- Massnahme 80 cm tief in der Flut stehend zelfehlers nach Gutdünken der Aufsichtsbe- Abb. 5: Das ENSI akzeptiert Abweichungen bei der Um- ausführen müssen .16 Zu diesen offensichtli- hörde ausgesetzt werden können, dann ist setzung der Grundsätze, nach welchen die AKW-Betreib- chen Verletzungen der Regeln der nuklearen die nukleare Sicherheit in der Schweiz – und er ihre Sicherheitssysteme dimensionieren müssen.26 Sicherheit folgte zuerst mein erfolgloser damit auch die Laufzeit der AKW – eine Briefwechsel mit dem ENSI und anderen vollständig relativierbare, der behördlichen technisch zertifizierten Anlageteilen und Behörden. Anschliessend haben ein weiterer Willkür unterstellte Grösse. Systemen erfüllt werden, die zudem auto- Anwohner und ich mit Unterstützung von Zur Begründung unterscheidet das ENSI matisch auslösen. Greenpeace ein Gerichtsverfahren einge- zwischen Neuanlagen und bestehenden Mobile Pumpen und Feuerwehr-Notfall- leitet (vgl. Beitrag Pestalozzi, S. 20). Das AKW. Es beruft sich dabei auf die Über- schutzmassnahmen (engl. Accident Man- Rechtsmittel, worauf wir uns stützen, wurde gangsbestimmung in Artikel 82 der Kern- agement/AM) gehören nicht dazu. Sie sind überhaupt erst in den letzten Jahren bei di- energieverordnung (KEV). Die Behörde erst auf der nächsten Sicherheitsebene 4 versen Gesetzesrevisionen geschaffen.17 legt diese derart aus, dass sie für die beste- zulässig, wenn die Ebenen davor wider Er- henden AKW gleich sämtliche Sicherheits- warten versagt haben. Mit den Worten der Ausreden auch beim AKW Beznau prinzipien der Gesetzgebung aushebelt. IAEA: «Notfallschutzmassnahmen dürfen Auch das älteste AKW der Welt (Inbetrieb- Nicht nur das Sicherheitspolster (Stufe b.) nicht herangezogen werden, um Ausle- nahme 1969/1971) kann die geltenden wird für Altanlagen relativiert (wie es m.E. gungsmängel auf vorherigen Sicherheits- Mindestvorschriften der nuklearen Sicher- die Übergangsbestimmung tatsächlich be- ebenen zu entschuldigen»14. heit nicht einhalten. Beim AKW Beznau sagt), sondern auch das Sicherheitsmini- fehlen unter anderem gewisse Rückfallsys- mum (Stufe a.). Eine zentrale Rolle scheint Augen zu und durch Das ENSI sieht es dennoch anders. Beim 14 Im Original: «Accident management may not be used 21 Richtlinie A03, Periodische Sicherheitsüberprüfung von AKW Mühleberg erlaubt es ausdrücklich to excuse design deficiencies at prior levels». Defence in Kernkraftwerken Depth in Nuclear Safety, INSAG-10, IAEA 1996 22 Gemäss ENSI z.B. das «gestaffelte Sicherheitskonzept», 15 ENSI, 11/1481 das «Barrierekonzept», die «hohe Fertigungsqualität» 16 ENSI, Freigabe: Zusätzliche Einspeiseleitung SUSAN und die «Einzelfallsicherheit». Einlaufbauwerk, Freigabeantrag B2/B3, 19.8.2011 23 Gilt die Verordnung des UVEK über die Gefährdungsan- Auswirkungen einer vollständigen Verklausung wasser- nahmen auch für AKW? Anfrage von Munz Martina, ein- baulicher Einrichtungen; Stellungnahme zum EU Stress gereicht 19.06.2014, Nationalrat, Curia Vista - Geschäfts- Test, Forderung 3.3 Kernkraftwerk Mühleberg, 18.12.2012 datenbank ,14.1051. http://www.ensi.ch/de/2013/02/07/kernkraftwerk- 24 Blog-Artikel zu Tagesanzeiger: «Neuer Zwist um Sicher- muhleberg-bei-hochwasser-ausreichend-gegen-verklau- heit bei Atomkraftwerken» vom 07.12.2014, sung-geschutzt http://energisch.ch/tagesanzeiger-neuer-zwist-um- 17 Bundesverfassung 2000-2007, Kernenergiegesetz 2005, sicherheit-bei-atomkraftwerken/3777/ Totalrevision der Bundesrechtspflege 2007. 25 z.B. Stellungnahme zur Studie « Risiko Altreaktoren Die sind im Apothekerkästli im Bad. 18 ENSI nimmt Stellung zu Kritik von Markus Kühni an Schweiz», ENSI, 23.6.2014, Seite 5 Hochwassernachweis, 26 Veränderte Grafik aus: Dr. Hans Wanner, Direktor ENSI, Wenn es einmal knallt in unseren Kraft- http://www.ensi.ch/de/2011/11/16/ensi-nimmt- Präsentation an der Veranstaltung der Schweizerischen stellung-zu-kritik-an-notfallschutzmassnahmen-und- Energiestiftung SES vom 6.5.2013. werken, wegen den Schleimhäuten, um hochwassergefaehrdung/ 27 Urs Gasche gegenüber Radio SRF, zitiert in Der Bund die Anschwellung zu verhindern, wenn 19 http://www.energiestiftung.ch/aktuell/ar- online vom 01.11.2013. chive/2014/02/12/ehemaliger-chef-der-deutschen-atom- ichs richtig erinnere. aufsicht-fordert-das-aus-fuer-muehleberg-und-beznau. 28 Forderungen des ENSI für den Weiterbetrieb des Kern- html kraftwerks Mühleberg bis zur endgültigen Ausserbetrieb- Schlosser (24), Birr/AG nahme (EABN) im Jahr 2019, 27. Januar 2015 20 Stellungnahme Langzeitbetrieb KKM KNS 11/292.5, Oktober 2013 14 2/15 www.aefu.ch
Reduzierte Mindestvorschriften Schwemmholz in der Emme, auf dem Weg zur Aare. © Markus Kühni dabei die Interpretation des sogenannten für neue KKW (...)22, die Berücksichtigung serbetriebnahmekriterien, welche der Na- Stands der Nachrüsttechnik sowie der Aus- aktueller Gefährdungsannahmen bei den tionalrat nachträglich korrigierend einfügte, serbetriebnahmekriterien zu spielen. Sicherheitsnachweisen und das Prinzip der ordnet das ENSI kurzerhand ebenfalls dem Verhältnismässigkeit bei Nachrüstungen» ominösen Stand der Nachrüsttechnik unter. Stand der Nachrüsttechnik gelten. «Die Forderung nach Umsetzung des Wenn nach Ansicht des ENSI keine Nach- Das Ensi legt den «Stand der Nachrüsttech- Stands der Nachrüsttechnik» impliziere aber rüsttechnik zur Behebung eines Sicherheits- nik» offenbar folgendermassen aus: Zur Be- «Abweichungen bei der Umsetzung der Aus- mangels verfügbar und international üblich hebung von Sicherheitsmängeln müssen nur legungsgrundsätze, die insbesondere beim ist, wird der Sicherheitsmangel in einem be- international übliche Nachrüstungen alter Automatisierungsgrad von Sicherheits- hördlichen Akt der «Abweichung von den Anlagen in Betracht gezogen werden. Gibt es funktionen sowie dem Schutz gegen seltene Grundsätzen» durchgewinkt.25 keine übliche Nachrüstung – beispielsweise externe Ereignisse akzeptiert werden». Es Der Vollzug der Ausserbetriebnahme- weil in anderen Ländern solch alte AKW sollte klar sein: Mit «Abweichungen bei den kriterien erzwingt Nachrüstungen bzw. bei längst stillgelegt sind – ignoriert das Ensi den Grundsätzen» lässt sich alles und jedes rela- fehlender Bereitschaft dafür die Stilllegung Sicherheitsmangel einfach. tivieren. der Anlage. Sie kann folglich massive öko- Dies praktiziert das ENSI sogar pauschal Ähnlich äussert sich das ENSI als ver- nomische Konsequenzen für die Betreiber und vorauseilend. Zwar wies es nach Fuku- deckte Ghostwriterin einer Antwort des haben. Es ist deshalb klar, dass weder das shima die AKW-Betreiber an, u.a. einen BFE auf eine parlamentarische Anfrage: Gesetz noch das ENSI beim Sicherheitsmini- neuen Hochwassernachweis einzureichen. «Inwieweit – gestützt auf diese Ausführun- mum (a.) Rücksicht auf derartige Überle- Bereits in dieser Aufforderung aber hebelte gen – Abweichungen von der Gefährdung- gungen nehmen dürfen. Es braucht die klare die Behörde das rechtsverbindliche Konzept sannahmen-Verordnung zulässig sind, wäre Linie im Gesetz und den strikten Vollzug der gestaffelten Sicherheitsvorsorge aus im konkreten Anwendungsfall zu prüfen».23 beim ENSI. Erst beim Sicherheitspolster (b.) und liess die Anrechnung (Kreditierung) Das BFE war nachträglich allerdings anderer ist es rechtlich zulässig, das Prinzip der An- von Notfallschutzmassnahmen (Accident Meinung und liess in der Presse verlauten gemessenheit anzuwenden. Management) vorauseilend zu. So hält es «Die Gefährdungsannahmen müssten in je- in einer öffentlichen Antwort an mich fest: dem Fall erfüllt werden, sie könnten nicht Fazit «Das ENSI hat (...) in seiner Verfügung vom beliebig nach unten korrigiert werden. Der Die Bereitschaft des ENSI, bei den alten 1. April 2011 gestützt auf Art. 82 KEV die oben zitierte Antwortsatz aus der Feder des Atomreaktoren eine ungenügende Dimen- Kreditierung derartiger Notfallschutzmass- ENSI sei «nicht ausreichend exakt und daher sionierung der Sicherheitssysteme hin- nahmen mit Einschränkungen zugelassen.»18 missverständlich».24 zunehmen, ist alarmierend. Anstatt das Am Begriff «Stand der Nachrüsttechnik» minimale, zwingende Sicherheitsniveau erstaunt: Was er beinhaltet, scheint niemand Unverzügliche vorläufige resolut einzufordern, passt es die Messlatte genau zu wissen. Dieter Majer, ehemaliger Ausserbetriebnahme umgekehrt ständig dem ungenügenden Si- Chef der deutschen Atomaufsicht sagt, die- Das ENSI relativiert offenbar, dass im Kern- cherheitsstandard der alten AKW an (vgl. ser Begriff werde nur in der Schweiz verwen- energiegesetz eigenständig die «unverzügli- Abb. 5). Damit – so schliesse ich meine Ana- det. Da ihm keine international anerkannten che vorläufige Ausserbetriebnahme» fest- lyse ab – schützt das ENSI den Weiterbetrieb Richtlinien und Kriterien zu Grunde lägen, geschrieben ist, wenn das Sicherheitsniveau der AKW anstatt die Bevölkerung. sei er inhaltsleer.19 Was damit gemeint ist, unter die «rote Linie» fällt. (vgl. Abb. 1+2). wollte auch die Eidgenössische Kommission Dabei ist wichtig festzuhalten, dass diese Markus Kühni ist diplomierter Informa- für Nukleare Sicherheit (KNS) wissen.20 Das Bestimmung im Entwurf des Kernener- tik-Ingenieur ETH und Unternehmer ENSI vertröstete sie 2013 auf eine auszuar- giegesetzes gemäss der Botschaft des Bun- (nicht im Energiebereich). Kaum ein Aus- beitende Richtlinie, die es per 2015 auch desrates noch nicht enthalten war, sie wurde senstehender kennt sich mit den Sicher- in Kraft gesetzt hat – allerdings wiederum erst bei der Beratung eingefügt. Das ENSI heitssystemen «unserer» AKW besser aus ohne Definition des Begriffes.21 aber stützt sich in seinen rechtlichen In- als er. Kühni lebt mit seiner Familie in der In seiner Antwort an die KNS gibt das terpretationen weiterhin unbeirrt auf die Stadt Bern (Alarmzone 2 des AKW Müh- ENSI immerhin preis: «Grundsätzlich» Botschaft des Bundesrates und die darin leberg). würden «für bestehende KKW die gesetz- enthaltenen nachsichtigen Ausführungen zu markus@energisch.ch, www.energisch.ch lich festgelegten Auslegungsgrundsätze den bestehenden AKW. Die griffigen Aus- info@aefu.ch 2/15 15
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