Säuferin des Waldes Nachruf Sie ist der häufigste Baum im deutschen Forst, als Bauholz hält sie das ganze Land

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Säuferin des Waldes Nachruf Sie ist der häufigste Baum im deutschen Forst, als Bauholz hält sie das ganze Land
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                        Säuferin des Waldes
    Nachruf Sie ist der häufigste Baum im deutschen Forst, als Bauholz hält sie das ganze Land
           zusammen, doch nun stirbt die Fichte – durch Käfer, Trockenheit und Sturm.
 Eine Reise durchs Fichtenland Thüringen: zur Zukunft von Mensch und Wald? Von Barbara Supp

W
             er ein Auge dafür hat, sieht         Nach den Verwüstungen des Zweiten                                         Wiemann wurde zum Studium an der
             plötzlich überall Brachen. Und    Weltkriegs, nach dem Frieren der Nach-                                    Forstfakultät in Tharandt delegiert, war
             mitten in den Brachen manch-      kriegsmenschen, nach Stürmen, nach den                                    jahrzehntelang Revierförster im Volks-
             mal einzelne Überlebende,         Reparationen, die auch in Holz zu zahlen                                  wald der DDR, dann noch ein paar Jahre
was die toten Zonen nur noch gespensti-        waren – kam Fichte, in Ost und West, im                                   bei Andreas Prinz von Sachsen-Coburg
scher macht.                                   Osten hat es Wiemann selbst erlebt.                                       und Gotha, als der nach der Wende zu-
   Wer es einmal sieht, sieht es überall, im      Als im Westen das »Schwarzwaldmä-                                      rückkam. Er hat seinen eigenen Kopf. Bäu-
Sauerland, im Harz, im Erzgebirge, im          del« 1950 in die Kinos kam, waren die Tan-                                me zu mischen, diverse Arten mit diver-
Thüringer Wald: braune Flächen, wo ab-         nen, die man zu sehen glaubte, in Wahr-                                   sem Alter, erschien ihm immer schon rich-
gestorbene Fichten stehen. Oder kahle Flä-     heit oft Fichten.                                                         tig, und Fichten-Monokulturen erschienen
chen, da sind sie schon weg.                      Als im Osten das Schwarzwaldmärchen                                    ihm falsch. »Die Fichte«, sagt er, »ist die
   Es stirbt jener Baum, bei dessen Duft       »Das kalte Herz« 1950 in die Kinos kam,                                   Säuferin des Waldes.« Natürlich saufen an-
man denkt: Es riecht nach Wald.                wurde der Schwarzwald vom Thüringer                                       dere Bäume auch, aber die Fichte kommt
   Die Fichte ist meist ein eher struppiges    Wald und ein Großteil der Tannen von                                      besonders schlecht mit Trockenheit zu-
Gewächs mit wenigen Ästen unter der Kro-       Fichten gespielt.                                                         recht. Und nun, da man über den Klima-
ne, und wenn es dekorativer ist, sagen vie-       Wiemann war dabei. Er war Lehrling                                     wandel vieles weiß, was man damals nicht
le Menschen prompt »Tanne« dazu. Sie           und musste darauf achten, dass die Fichten                                wusste, zeigt sich deutlich: Sie war vieler-
ist – vor Kiefer, Buche und Eiche – der        richtig fielen, wenn der Bösewicht auftrat,                               orts der falsche Baum.
häufigste Baum im deutschen Wald. Sie          an den der junge Köhler sein Herz ver-                                       Sie ist in Regionen wie Skandinavien
bedeckt ein Viertel der Waldfläche in          kauft. Er musste, wenn aus dramaturgi-                                    zu Hause und hierzulande nur in hohen
Deutschland, in Thüringen sind es fast         schen Gründen ein Bach zu queren war,                                     Lagen. Sie mag es kühl, regenreich. Sie ist
40 Prozent, aber das ändert sich gerade.       die Fichtenholzbrücke bauen.                                              Flachwurzlerin, kann sich das Wasser, das
   Die Fichte stirbt, und das ist als Bot-        Damals wuchsen noch mehr Tannen,                                       sie braucht, bei vielen Böden nicht aus der
schaft zu verstehen: Der Klimawandel ist       Weißtannen, die aber weniger robust sind                                  Tiefe holen. Sie ist sturmanfällig. Und
da. Er ist keine ferne, exotische Katastro-    als die Fichten.                                                          wenn sie geschwächt ist von der Dürre
phe mehr, der Eisbären auf ihrer Scholle          »Die Tanne«, sagt er, »ist die Forelle des                             oder vom Wind aus dem Boden gerissen –
trifft und Korallen im Pazifik; er ist hier,   Waldes.« Nämlich? »Übelnehmerisch.«                                       dann kommt er: der Borkenkäfer.
bei uns, im deutschen Wald.                       Er mag sie trotzdem. Am liebsten mag                                      »Schauen Sie, da oben« – da oben ist eine
   Es ist Zeit, neu zu denken, was das         er Mischwald mit Tannen darin, warum?                                     Fläche, die schon geräumt ist – »da oben ist
eigentlich sein soll: Wald.                       »Weil es richtig ist.«                                                 schon wieder einer.« Ein Baum mit hellem
   Zeit für einen Nachruf auf die Fichte.                                                                                Schimmer, die Rinde ist abgeplatzt im Frost.
Oder auf eine Denkweise. Oder womög-                                                                                     Darin und darunter wüteten die Käfer.
lich auf den Wald.                                                                                                          Es ist immer dasselbe: Erst kommen ein-
   Da draußen passiert etwas, das nicht nur                                                                              zelne männliche Pionierkäfer und testen
Förster angeht. Es ist der Moment, diesen                                                                                den Baum, fressen sich in den Bast, in das
Baum näher kennenzulernen und die da-                                                                                    nahrhafte Gewebe, das unter der Borke
zugehörigen Menschen. Und so stapft man                                                                                  liegt. So ein Pionier prüft: Wehrt sich der
dann mit einem 86-jährigen ehemaligen Re-                                                                                Baum mit Harz? Ist die Mahlzeit gut ver-
vierförster namens Arno Wiemann durch                                                                                    träglich? Er verströmt Pheromone und
den tauenden Schnee im Lauchagrund bei                                                                                   lockt damit die anderen. Dann legen die
Bad Tabarz im Thüringer Wald und lässt                                                                                   Männchen »Rammelkammern« an und
sich die Fichte erklären. Picea abies, den                                                                               die begatteten Weibchen »Muttergänge«,
»Brotbaum« der Forstwirtschaft, jahrhunder-                                                                              in die sie ihre Eier legen. Dann fressen die
telang hochgeschätzt. Stachlig als Schöss-                                                                               Larven, und nicht lange nach dem Mas-
ling, sodass die Rehe ihn eher verschmähen.                                                                              senbefall ist der Baum tot.
Schnell wachsend, gerade, fast astlos, wenn                                                                                 Ein gesunder Baum kann sich gegen
man ihn eng genug pflanzt, und schon mit                                                                                 wenige Käfer wehren, er tötet sie mit Harz.
                                                                                           Maurice Weiss / DER SPIEGEL

knapp 100 Jahren reif zum Fällen.                                                                                        Bei Trockenheit, wie zuletzt in den Dürren
   Eine Buche braucht 120 Jahre bis zur                                                                                  2018 und 2019, ist er fast wehrlos. In sol-
Erntereife, eine Eiche 140 oder mehr. Als                                                                                chen Jahren bringt der Käfer nicht ein oder
im 18. und 19. Jahrhundert die Bergwerke,                                                                                zwei Generationen hervor, sondern drei
die Glashütten, die frühen Industriebetrie-                                                                              oder gar vier. Mehr als 100 000 Nachkom-
be gegründet wurden, als die Buchen ver-                                                                                 men kann ein Käferweibchen hinterlassen.
feuert waren und die Flächen verkahlten –             Ex-Revierförster Wiemann                                              Die Käfer- und Larvengänge sind gut zu
kam Fichte.                                      Tannen, die von Fichten gespielt werden                                 sehen auf dem Splintholz oder der Innen-

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Säuferin des Waldes Nachruf Sie ist der häufigste Baum im deutschen Forst, als Bauholz hält sie das ganze Land
Ma uri c e Wei ss / DER S P I EG EL
           Klimakahlschlag
           in den Wäldern Thüringens
           Waldflächen, die aufgrund von Extremwetter-
           ereignissen und nachfolgendem Schädlingsbefall
           im Zeitraum 1. Juli 2018 bis 1. Aug. 2020
           abgestorben oder bereits                                                                              Waldbestand in Thüringen                            Zustand der Fichten
           geräumt sind                                                                                          2020 in Tausend Hektar                              2020
                                                                                                                                                                     deutlich geschädigt
                                                                                                                                                                     44%

                                                                                                        211 110 88                      34     62    22
                                                                                                       Fichte Buche Kiefer             Eiche sonst. sonst.
                                    THÜRINGEN                                                                                                 Laub- Nadel-
                                                                                                                                             bäume bäume             24%                     32 %
                                                                                                                                                                     gesund                 leicht
                                                                                                                                                                                       geschädigt
                           Mechterstädt                                   Erfurt            Jena
                                          Gotha                                                                                                                      Quelle:
                                                                                                                                                                     Waldzustandsbericht
                                   Bad Tabarz                                                                                                                        2020 Thüringen

                                   TH
                                        ÜR
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                                                           W
                                                               AL
                                                                    D
              20 km
                                                                                                                                                   31,9
                                                                                      Landesamt für Bodenmanagement                                                           Insekten
                                                                                      und Geoinformation Thüringen

           Durch Schäden bedingte Holzfällung nach Ursache
           in Deutschland, in Mio. Kubikmeter                               Quelle: Destatis       12,9                                12,3
                                                                                                                    7,8                                                       Wind/Sturm
              6,5                                      6,0                         5,5
                           4,9
                                                                                                                                                                              Sonstige
                                                                                                                                                                              Ursachen

             2011          2012                    2013                            2014            2015            2016                2017       2018               2019               2020

           Dürreintensität im Gesamtboden bis 1,8 m Tiefe während der Vegetationsperiode Apr. bis Okt.

            Thüringen

           keine Dürre                                                  ausgeprägte Dürre      UFZ-Dürremonitor/                                Seit 2018 gab es keine Erholung für die Böden.
                                                                                               Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung

DER SPIEGEL Nr. 11 / 13. 3. 2021                                                                                                                                                                     55
Säuferin des Waldes Nachruf Sie ist der häufigste Baum im deutschen Forst, als Bauholz hält sie das ganze Land
Maurice Weiss / DER SPIEGEL
Maurice Weiss / DER SPIEGEL

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                                                 Klimaopfer Fichte: Mit Harz wehrt sie sich gegen den Käfer, aber in trockenen Jahren schafft sie es nicht

                              seite der Rinde. »Großer Buchdrucker«,          werde eine Fichte gefressen oder ver-                Schmidt, als Biochemiker, kam ohnehin
                              Ips typographus, heißt deshalb eine Bor-        schmäht.                                          nicht von der Fichte zu den Terpenen, son-
                              kenkäferart. »Kupferstecher«, Pityogenes           Seine Versuchsfichten sind transgen. So        dern umgekehrt. Terpene interessieren ihn.
                              chalcographus, eine andere. Es sind Mus-        lässt sich steuern, welche Terpene eine              Er hat kein besonders emotionales Ver-
                              ter von abstrakter Schönheit, die so ein        einzelne Fichte in welcher Menge enthält.         hältnis zur Fichte. Wenn er an Spaziergän-
                              Käfer in den Baum frisst.                       Zwischen zwei Jungfichten setzt man dann          ge denkt, dann lieber an weite Landschaf-
                                 Der Buchdrucker, weitgehend auf Fich-        den Versuchskäfer. Nicht den Borkenkäfer          ten mit Bäumen wie in der Toskana oder
                              ten spezialisiert, ist der gefährlichere. Er    allerdings, sondern den Fichtenrüsselkäfer,       in der Rhön.
                              mag alte Bäume, er frisst zuerst unterhalb      Hylobius abietis, der ähnlich tickt, als Ver-        Aber diese Brachen, das wüste, leere
                              der Krone, mit dem Fernglas kann man            suchstier aber unter anderem den Vorzug           Land, wo zuvor Fichten waren – das erschüt-
                              dann Harzfluss sehen. Später erkennt man        hat, deutlich größer zu sein. Was von Vor-        tert auch ihn. Nur: Die Antwort kommt
                              abgestorbene Nadeln. Von Nahem sieht            teil ist, wenn man den Darm isolieren, die        nicht aus seinem Labor. Genmanipulierte
                              man das Bohrmehl am Stamm oder auf              Darmflora analysieren und herausfinden            Fichten in die Landschaft setzen? Oder lau-
                              dem Boden. Und wenn es wärmer wird,             will, wie die Bakterien darin das Fressver-       ter solche, denen man die richtigen Terpe-
                              auch den Käfer.                                 halten beeinflussen.                              ne in der richtigen Konzentration ange-
                                 Aber manche Fichten überleben, Wie-             Der Käfer also, ein bisschen hungrig,          züchtet hat? »Ha!« Sarkastisches Lachen.
                              mann kennt das Phänomen. Sind das die           aber nicht zu sehr, sitzt dann vor zwei Fich-     »Das hieße: Wir haben es nicht kapiert.«
                              Fichten der Zukunft? Wie schaffen die das?      ten mit unterschiedlichem Terpengehalt,              Was kapiert?
                                 Wer sich das fragt, kann sich an Axel        krabbelt los, knabbert hier, knabbert da,           »Dass Monokulturen Blödsinn sind.«
                              Schmidt vom Max-Planck-Institut für che-        dann entscheidet er sich. Und viele Male          »Waldumbau«, sagt er. »Das ist die einzige
                              mische Ökologie in Jena wenden, der ge-         hat er sich schon so entschieden, dass            Chance.«
                              nau das herausfinden will.                      Schmidt das als Bestätigung versteht.                Waldumbau. Hat eigentlich jemand
                                 Schmidt ist Biochemiker, anzutreffen in         Für die Grundlagenforschung ist das eine       einen Plan? Welcher Wald ist ein guter
                              einem Labor voller Fichten in Spielzeug-        schöne Erkenntnis. Sie ist allerdings, bis        Wald?
                              größe, und wenn man ihn nett bittet, or-        jetzt jedenfalls, nur von untergeordnetem            Der deutsche Wald. Man hört mächti-
                              ganisiert er zur Anschauung auch ein paar       praktischen Wert. Schmidt und seine Leu-          ges Rauschen bei diesen Worten, man
                              Käfer dazu.                                     te gehören zur »Conifer defense«-Gruppe;          kennt die romantische Aufwallung. Dass
                                 Schmidt und seine Gruppe gehen davon         nein, nicht zur Koniferenverteidigungsgrup-       die Deutschen traditionell als das »Wald-
                              aus, dass es wesentlich an den Terpenen         pe, sie studieren die Verteidigungsstrate-        volk« galten und das teilweise immer noch
                              liegt, wer überlebt und wer nicht. Je nach      gien von Koniferen. Sie sind nicht als Retter     tun, hat mit dem römischen Geschichts-
                              Zusammensetzung dieser Stoffe im Baum           des Fichtenwalds zu verstehen.                    schreiber Tacitus zu tun, der die Bewoh-

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Säuferin des Waldes Nachruf Sie ist der häufigste Baum im deutschen Forst, als Bauholz hält sie das ganze Land
ner »Germaniens« so beschrieb. Und mit             Von den 211 000 Hektar Fichtenwald in                                   Weise neue natürliche Kohlendioxidspei-
Dichtern. Romantikern vor allem, die das        Thüringen sind laut Landesbericht nur                                      cher entstehen. So erklärt es Corinna Geiß-
sehr ernst nahmen. Und die Gedichte hin-        noch 38 Prozent der jüngeren und 15 Pro-                                   ler, und also stimmt sie zu, als einer der
terließen, die gelernt werden, und Lieder,      zent der über 60-jährigen Fichten gesund,                                  Förster sagt: »Motorsägen im Wald höre
die gesungen werden mussten, über rau-          also: Mehr als drei Viertel sind krank oder                                ich gern.«
schende Wipfel und Waldespracht, so war         bald tot. Sechs Millionen Festmeter Käfer-                                    Aber was soll man künftig sägen?
das lange Zeit.                                 holz mussten zwischen Anfang 2018 und                                         In ganz Deutschland sitzen nun For-
   Die Beziehung ist sachlicher geworden,       Herbst 2020 aus den Thüringer Wäldern                                      scher und Förster daran, den Wald der Zu-
zwischen den Deutschen und dem Wald,            geholt werden. Dem Borkenkäfer ging es                                     kunft zu entwerfen. Sie überlegen, wie die
aber eine besondere ist es wohl immer           bestens. In den Fallen der Forscher fand                                   1,2 Milliarden Euro, die der Bund in den
noch. Sie schickten das Wort Waldsterben        sich im Frühling und Sommer vorigen Jah-                                   vergangenen zwei Jahren für den Wald-
in die Welt. Sie sorgen dafür, dass der Förs-   res noch mal ein Drittel mehr Borkenkäfer                                  umbau bewilligt hat, am besten auszuge-
ter Peter Wohlleben mit seinen Büchern          als im Käferjahr zuvor.                                                    ben seien.
Millionenauflagen erzielt.                         Was tun? Wie den Wald retten, damit                                        Nicht für Monokulturen, die man an-
   Um Gefühle geht es, um einen Wald,           er uns retten kann?                                                        pflanzt; man will mehr »Naturverjüngung«
der Trost und Erholung geben soll. Aber            »Sich selbst überlassen kann man ihn je-                                und erst eingreifen, wenn nur das Falsche
ums Geld natürlich auch, um Verwertungs-        denfalls nicht«, sagt Corinna Geißler, Wis-                                wächst. Gefragt sind Mischwälder – Diver-
zusammenhänge. Das war der Part, den            senschaftlerin im Staatsdienst, Chefin des                                 sität und Risikostreuung, wie beim Aktien-
vor allem die Fichte übernahm.                  Kompetenzzentrums der Behörde Thürin-                                      portfolio. Den Wunderbaum, der keine
   11,4 Millionen Hektar Wald bedecken          genforst, mit der man an der Seite von drei                                Probleme hat, wird es ja nicht geben.
diese Republik, das ist ein fast Drittel der    Förstern und einer Bracke namens Her-                                         Gewohnheiten, auch Waldgefühle, sind
Fläche Deutschlands, und davon wiede-           mann in ein Revier nicht weit von Jena                                     veränderbar. Die Menschen »haben sich
rum besteht ein Viertel aus Fichte. Ein         vordringt.                                                                 an einen Thüringer Wald gewöhnt, der im-
Baum, der das Leben hierzulande möb-               Corinna Geißler wirkt nicht wie eine                                    mergrün ist«, sagt Corinna Geißler; sie
liert, parfümiert, zusammenhält, obwohl         Frau, die Dinge gern sich selbst überlässt.                                werden sich auch wieder umgewöhnen.
das den meisten nicht bewusst ist. Nach         Und sie weiß, sie muss einen anderen Blick                                 Ihr Institut hat »Baumempfehlungen« in
»Fichtennadel« roch das Schaumbad in der        haben auf den Wald als die Generationen                                    Verbindung mit dem Förderprogramm er-
Kindheit. Fichte stützt die Dachkonstruk-       vor ihr.                                                                   arbeitet.
tionen, unter denen gewohnt, gearbeitet,           Der Wald muss Kohlendioxid speichern,                                      Die Menschen werden künftig mehr
Sport getrieben wird; Fichtenholz brennt        und wenn er möglichst schnell möglichst                                    Exoten sehen, mehr nordamerikanische
gut, verkleidet Fassaden, bringt als Bücher-    viel speichern soll, kann man ihn tatsäch-                                 Douglasie, Hickory vielleicht, Libanon-Ze-
regal Ordnung ins Leben, transportiert als      lich nicht sich selbst überlassen.                                         der. Hauptsächlich aber Einheimisches:
Palette Waren durch die Welt und setzt             CO2 bleibt gebunden, solange die Bäu-                                   Ahorn, Ulme, Tanne, Lärche, Eiche.
Grenzen, als Gartenzaun.                        me stehen. Lässt man sie verrotten, wird                                      Mit dabei: die Fichte. Corinna Geißler
   Für Holzverarbeiter ist Picea abies, auf     CO2 wieder frei. Verbaut man sie aber,                                     will der Fichte gegenüber nicht ungerecht
der Liste DIN EN 13556, unter dem Zei-          langfristig, dann speichern sie weiter, sind                               sein. Sie steht da als Verteidigerin, die den
chen PCAB zu finden, ein geradfaseriges,        weit überlegen gegenüber der klimaschäd-                                   schönen Satz sagt: »Wir wollen nicht das
hellfarbiges Nadelholz, durch dunkle Spät-      lichen Betonindustrie. Man baut beispiels-                                 Bild vermitteln, dass man die Fichte hasst.«
holzbänder deutlich strukturiert. Leicht,       weise Hochhäuser aus Holz, wie jetzt in                                    Sie will sie nicht aufgeben. An Nordhän-
weich, relativ elastisch, aber auch trag-       Hamburg oder in Wien. Man lässt gleich-                                    gen vielleicht? In Bachtälern? Oberhalb
fähig. Und maschinell, aber auch im Hand-       zeitig neue Bäume wachsen, lässt auf diese                                 von 400 Metern, vielleicht auch 600 Me-
werk gut zu bearbeiten. Wichtigstes Bau-                                                                                   tern?
holz der Holzverarbeitungsindustrie – sie                                                                                     »Eine Zukunftsreise«, so nennt sie es.
hatte 2020 einen Umsatz von 36,5 Mil-                                                                                      Forstwirtschaft ist ein Vertrag auf Jahrhun-
liarden Euro.                                                                                                              derte hinaus. Da ist keine jährliche Frucht-
   Erholungslandschaft, Holzproduktion,                                                                                    folge wie in der Landwirtschaft. Da ist kein
so dachte man sich den Nutzwert des Wal-                                                                                   schnelles Geld, das auf eine Investition fol-
des bisher. Allmählich erst versteht der                                                                                   gen kann, wie man es vom Kapitalmarkt
Mensch: Es kommt ein dritter, dringender                                                                                   kennt. »Ob wir’s falsch gemacht haben,
hinzu. Es geht auch um das Klima. Es geht,                                                                                 werden wir nicht mehr erleben.«
allen Ernstes, um das Überleben. Der                                                                                          Sagt Corinna Geißler in einem Thürin-
Wald muss sich und den Menschen helfen,                                                                                    ger Waldrevier, in dem schon Goethe un-
den menschengemachten Klimawandel zu                                                                                       terwegs war. Es ist Februar, eine vom
überstehen.                                                                                                                Sturm gefällte Fichte, vielleicht 90 Jahre
   Es gehe ihm insgesamt nicht gut, sagt                                                                                   alt, vielleicht 30 Meter hoch, liegt da mit
die eben erschienene »Waldzustandserhe-                                                                                    aus der Erde gerissenem Wurzelteller, er
bung«. »Kronenverlichtungen« werden re-                                                                                    ragt doppelt so hoch wie die Forstexpertin,
gelmäßig kontrolliert und werden schlimm                                                                                   die vor ihm steht.
                                                                                             Maurice Weiss / DER SPIEGEL

und schlimmer. Der Baum wirkt dann                                                                                            Ein Riese, der Respekt erzwingt. Ein to-
dünn oben, wegen Blatt- oder Nadelver-                                                                                     ter Baum, gestürzt, nachdem er vier Men-
lust, das bedeutet: Der Baum hat Stress,                                                                                   schengenerationen lang in der Erde war.
wegen Schädlingen, Schadstoffen oder                                                                                       Gepflanzt von Menschen, die in Genera-
Trockenheit.                                                                                                               tionen denken.
   Die »Absterberate« der Fichte betrug                                                                                       »Nachhaltende Nutzung«, diesen Be-
in Deutschland 1990 weniger als 0,1 Pro-             Forstwissenschaftlerin Geißler                                        griff hat vor gut 300 Jahren ein Forstmann
zent, im Jahr 2020 mehr als 4 Prozent.           Den Wald retten, damit er uns retten kann                                 erfunden, Hans Carl von Carlowitz, der

DER SPIEGEL Nr. 11 / 13. 3. 2021                                                                                                                                     57
Säuferin des Waldes Nachruf Sie ist der häufigste Baum im deutschen Forst, als Bauholz hält sie das ganze Land
Reporter

auf die Idee gekommen war, es sei gut,        Eiche wenigstens stimmen die Preise                                         Chefin des Kompetenzzentrums. »Am
wenn der Mensch nicht nur ernten wolle,       noch.                                                                       richtigen Ort werden sie es schaffen.«
sondern auch pflanze.                            »Die Eiche«, sagt er, »die hat uns den                                      Der Wald, den es dann hoffentlich noch
   Jetzt reden alle von Nachhaltigkeit, der   Arsch gerettet in den letzten Jahren.«                                      gibt, wird anders aussehen. Thüringenforst
Staat will unterstützen, und Jörg Göring,        Allerdings nicht diese Art Eiche, die da                                 hat sein Baumportfolio entworfen, als man
Waldbesitzer aus Mechterstädt, nicht weit     in voller Pracht vor ihm im Mischwald                                       noch an das Zwei-Grad-Ziel glaubte – dass
von Bad Tabarz, findet das durchaus an-       steht: mit meterdickem Stamm und mäch-                                      die Erderwärmung auf dieses Limit be-
gemessen, hätte nur gern weniger Vor-         tigen Ästen. 200 Jahre alt? Oder noch                                       grenzbar sei. Aber nun glaubt daran fast
schriften dazu.                               mehr?                                                                       niemand mehr, und sie müssen neu über-
   Göring trägt eine wärmende Funktions-         Sie ist mächtig. Sie ist die Eiche schlecht-                             legen. Sie legen Versuchsparzellen an. Sie
jacke, läuft trittsicher durch den tauenden   hin, die man sich denkt, eine Persönlich-                                   wollen Botschaften senden an die Nach-
Februarschnee und ist Chef einer Waldbe-      keit von Baum. An der erlebbar wird, dass                                   kommen.
sitzergenossenschaft mit rund 100 Mitglie-    die eigene Vorstellung von Perfektion                                          Arno Wiemann, der 86-Jährige aus dem
dern und insgesamt 265 Hektar. Das ist        ziemlich weit weg ist von der in der Holz-                                  Lauchagrund, hat vor 30 Jahren Küsten-
nichts im Vergleich etwa mit der Familie      industrie.                                                                  tannen gepflanzt, Abies grandis, aus Nord-
Sachsen-Coburg und Gotha, deren Wald-            Mit Göring im Wald lernt man das                                         amerika. Vielseitig, robust, so wie es aus-
stiftung über 9000 Hektar verfügt.            schwierige Verhältnis zwischen Schönheit                                    sieht. Dabei nicht dominant, nicht invasiv.
   Göring sagt, erstaunlicherweise, fast      und Nutzwert kennen: Nützen wird das                                        Noch sind Wiemanns Küstentannen zu
denselben Satz wie Hubertus Prinz von         Holz, also verbaut werden, wenn es gerade                                   jung, als dass man sehen könnte, ob sie
Sachsen-Coburg und Gotha, den man tags        gewachsen ist, möglichst astarm. Die Fich-                                  die Erwartungen erfüllen.
zuvor in seinem Wald traf – er halte          te kann das besonders gut.                                                     Jörg Göring, der Waldbesitzer aus
»nichts davon, die Vorfahren in die Tonne        Es ist das Gegenteil dessen, was man                                     Mechterstädt, kann die Douglasien besu-
zu treten« für ihre Entscheidungen. Bei       unter einem schönen Baum versteht.                                          chen, die sein Großvater gesetzt hat. Inte-
Sachsen-Coburg und Gotha hieß es: »Sie           Aber da waren doch auch die anderen,                                     ressanter Baum, auch einigermaßen frost-
haben entschieden nach dem Waldwissen         auf einem Bild von Caspar David Friedrich                                   hart, aber es gibt Zweifel, ob er dem Bor-
ihrer Zeit.«                                  zum Beispiel: üppige Stämme mit reichlich                                   kenkäfer wirklich widersteht.
   Der Schnee ist fast weg. Göring wünscht    Ästen, ein bisschen dunkel, aber imposant.                                     Der Wald, das ist nach diesen Wald-
sich, dass dann noch mal der Frost kommt,        Tatsächlich, die Fichte kann das. Sie ist                                wanderungen im kalten Februar klar, ver-
dann noch mal Schnee, noch mal Frost.         in der Lage, ein gut aussehender Baum zu                                    langt Vorsicht. Er wird davon profitieren,
Das mag der Käfer nicht, der jetzt im Bo-     sein. Aber sie darf nicht, normalerweise.                                   wenn man ihm zuhört. Wenn man ihn le-
den und in Bäumen überwintert.                   Für 2017 wurde sie, die schon lange vor                                  sen kann.
   Als ein Zitronenfalter vor ihm flattert,   den vergangenen Dürresommern umstrit-                                          Und begreift, was in ihm steckt.
sagt er: »Mist!« Wenn schnell der Frühling    ten war, zum Baum des Jahres erklärt. Es                                       Als die Holzfäller früher die Fichten-
kommt, kommt auch schnell der Käfer.          wurde die schönste Fichte Thüringens ge-                                    stämme zu Tal ließen, hörten sie bei man-
Und womöglich das nächste fruchtbare,         wählt.                                                                      chen einen besonderen Ton. Wenn eine
furchtbare Käferjahr.                            Sie steht im Terrassenbad in Schön-                                      Fichte besonders langsam gewachsen ist,
   Göring muss den Genossenschaftswald        brunn im südlichen Thüringen, in Höhen-                                     möglichst weit oben, wo es karg zugeht,
so managen, dass seine Genossenschaft da-     lage, direkt auf einer Quelle, und sie ist                                  kann es sein, dass sie »Klangholz« wird.
ran verdient, das ist derzeit vor allem we-   tatsächlich: schön.                                                         Ludwig Schäfer, 62 Jahre alt, erzählt das
gen der Fichten ein Problem. Er spricht          Sie würden zwar eher selten wie diese                                    in seiner Werkstatt in Gotha.
wie ein Pragmatiker, aber doch wie je-        aussehen, »aber es wird noch Fichten ge-                                       Schäfer ist Geigenbauer. Im Schuppen
mand, der die Schösslinge wie persönliche     ben in Zukunft«, sagt Corinna Geißler, die                                  lagert er das alte Holz, beim richtigen
Schützlinge sieht. »Sie wissen immer noch                                                                                 Licht glänzt es wie Gold. Schmale, arm-
nicht, wie man Tanne und Fichte sicher                                                                                    lange Tortenstücke aus Fichte, die von Zeit
unterscheidet? Riechen Sie!«                                                                                              zu Zeit gewendet werden müssen, damit
   Was wie Schaumbad riecht, das ist die                                                                                  sich die Stoffe darin gut verteilen.
Fichte. Die Tanne? »Riecht nach Orange.«                                                                                     Die zur Geigendecke werden, zum Teil
Es stimmt.                                                                                                                eines Instruments, das bei ihm 300 Stun-
   Er kümmert sich. Er schützt junge                                                                                      den Arbeit braucht und 12 000 Euro kos-
Eichen mit Hülsen gegen Wildverbiss, an-                                                                                  tet, aber das ist es wert.
ders kriegt man sie hier nicht durch. Er                                                                                     Heute, da in Thüringen viele Orchester
schützt junge Tannen gegen Fegeschäden                                                                                    verschwunden sind, lebt Schäfer mehr von
durch Rotwild: Ein kleiner Stock daneben,                                                                                 den Reparaturen. Die lohnen sich für die
das stört das Tier.                                                                                                       Geiger, eine gute Geige wirft man ja nicht
   Er schützt natürlich auch mit dem Ge-                                                                                  weg. Sie kann jahrhundertelang gespielt
wehr. Wer die Rehe machen ließe, hätte                                                                                    werden.
bald nur noch Fichte. Weil die kratzt. Wer                                                                                   Man stelle sich vor, noch eine Zukunfts-
mehr Mischwald will und wenig Fichte,                                                                                     reise:
muss mehr schützen und mehr schießen.                                                                                        ein Fichtenschössling, der jetzt einwur-
                                                                                            Maurice Weiss / DER SPIEGEL

   Göring sagt, man solle nicht immer nur                                                                                 zelt.
von der Fichte reden. Dass es auch der                                                                                       Er muss rund 200 Jahre wachsen.
Buche schlecht gehe, wisse man längst. Sie                                                                                   Und, wenn es geht, 70 Jahre ruhen.
holt sich ihr Wasser mehr aus der Tiefe.                                                                                     Und dann wird er Teil einer Geige, wird
Da sind die Folgen der trockenen Jahre zu                                                                                 300 Jahre lang Musik.
spüren.                                                                                                                      Falls es dann noch Menschen gibt, die
   Fichtenholz ist massenweise auf dem                   Geigenbauer Schäfer                                              sie spielen.
Markt, die Erlöse sind niedrig. Bei der                  300 Jahre lang Musik

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Säuferin des Waldes Nachruf Sie ist der häufigste Baum im deutschen Forst, als Bauholz hält sie das ganze Land Säuferin des Waldes Nachruf Sie ist der häufigste Baum im deutschen Forst, als Bauholz hält sie das ganze Land Säuferin des Waldes Nachruf Sie ist der häufigste Baum im deutschen Forst, als Bauholz hält sie das ganze Land Säuferin des Waldes Nachruf Sie ist der häufigste Baum im deutschen Forst, als Bauholz hält sie das ganze Land Säuferin des Waldes Nachruf Sie ist der häufigste Baum im deutschen Forst, als Bauholz hält sie das ganze Land
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