Säuferin des Waldes Nachruf Sie ist der häufigste Baum im deutschen Forst, als Bauholz hält sie das ganze Land
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Reporter Säuferin des Waldes Nachruf Sie ist der häufigste Baum im deutschen Forst, als Bauholz hält sie das ganze Land zusammen, doch nun stirbt die Fichte – durch Käfer, Trockenheit und Sturm. Eine Reise durchs Fichtenland Thüringen: zur Zukunft von Mensch und Wald? Von Barbara Supp W er ein Auge dafür hat, sieht Nach den Verwüstungen des Zweiten Wiemann wurde zum Studium an der plötzlich überall Brachen. Und Weltkriegs, nach dem Frieren der Nach- Forstfakultät in Tharandt delegiert, war mitten in den Brachen manch- kriegsmenschen, nach Stürmen, nach den jahrzehntelang Revierförster im Volks- mal einzelne Überlebende, Reparationen, die auch in Holz zu zahlen wald der DDR, dann noch ein paar Jahre was die toten Zonen nur noch gespensti- waren – kam Fichte, in Ost und West, im bei Andreas Prinz von Sachsen-Coburg scher macht. Osten hat es Wiemann selbst erlebt. und Gotha, als der nach der Wende zu- Wer es einmal sieht, sieht es überall, im Als im Westen das »Schwarzwaldmä- rückkam. Er hat seinen eigenen Kopf. Bäu- Sauerland, im Harz, im Erzgebirge, im del« 1950 in die Kinos kam, waren die Tan- me zu mischen, diverse Arten mit diver- Thüringer Wald: braune Flächen, wo ab- nen, die man zu sehen glaubte, in Wahr- sem Alter, erschien ihm immer schon rich- gestorbene Fichten stehen. Oder kahle Flä- heit oft Fichten. tig, und Fichten-Monokulturen erschienen chen, da sind sie schon weg. Als im Osten das Schwarzwaldmärchen ihm falsch. »Die Fichte«, sagt er, »ist die Es stirbt jener Baum, bei dessen Duft »Das kalte Herz« 1950 in die Kinos kam, Säuferin des Waldes.« Natürlich saufen an- man denkt: Es riecht nach Wald. wurde der Schwarzwald vom Thüringer dere Bäume auch, aber die Fichte kommt Die Fichte ist meist ein eher struppiges Wald und ein Großteil der Tannen von besonders schlecht mit Trockenheit zu- Gewächs mit wenigen Ästen unter der Kro- Fichten gespielt. recht. Und nun, da man über den Klima- ne, und wenn es dekorativer ist, sagen vie- Wiemann war dabei. Er war Lehrling wandel vieles weiß, was man damals nicht le Menschen prompt »Tanne« dazu. Sie und musste darauf achten, dass die Fichten wusste, zeigt sich deutlich: Sie war vieler- ist – vor Kiefer, Buche und Eiche – der richtig fielen, wenn der Bösewicht auftrat, orts der falsche Baum. häufigste Baum im deutschen Wald. Sie an den der junge Köhler sein Herz ver- Sie ist in Regionen wie Skandinavien bedeckt ein Viertel der Waldfläche in kauft. Er musste, wenn aus dramaturgi- zu Hause und hierzulande nur in hohen Deutschland, in Thüringen sind es fast schen Gründen ein Bach zu queren war, Lagen. Sie mag es kühl, regenreich. Sie ist 40 Prozent, aber das ändert sich gerade. die Fichtenholzbrücke bauen. Flachwurzlerin, kann sich das Wasser, das Die Fichte stirbt, und das ist als Bot- Damals wuchsen noch mehr Tannen, sie braucht, bei vielen Böden nicht aus der schaft zu verstehen: Der Klimawandel ist Weißtannen, die aber weniger robust sind Tiefe holen. Sie ist sturmanfällig. Und da. Er ist keine ferne, exotische Katastro- als die Fichten. wenn sie geschwächt ist von der Dürre phe mehr, der Eisbären auf ihrer Scholle »Die Tanne«, sagt er, »ist die Forelle des oder vom Wind aus dem Boden gerissen – trifft und Korallen im Pazifik; er ist hier, Waldes.« Nämlich? »Übelnehmerisch.« dann kommt er: der Borkenkäfer. bei uns, im deutschen Wald. Er mag sie trotzdem. Am liebsten mag »Schauen Sie, da oben« – da oben ist eine Es ist Zeit, neu zu denken, was das er Mischwald mit Tannen darin, warum? Fläche, die schon geräumt ist – »da oben ist eigentlich sein soll: Wald. »Weil es richtig ist.« schon wieder einer.« Ein Baum mit hellem Zeit für einen Nachruf auf die Fichte. Schimmer, die Rinde ist abgeplatzt im Frost. Oder auf eine Denkweise. Oder womög- Darin und darunter wüteten die Käfer. lich auf den Wald. Es ist immer dasselbe: Erst kommen ein- Da draußen passiert etwas, das nicht nur zelne männliche Pionierkäfer und testen Förster angeht. Es ist der Moment, diesen den Baum, fressen sich in den Bast, in das Baum näher kennenzulernen und die da- nahrhafte Gewebe, das unter der Borke zugehörigen Menschen. Und so stapft man liegt. So ein Pionier prüft: Wehrt sich der dann mit einem 86-jährigen ehemaligen Re- Baum mit Harz? Ist die Mahlzeit gut ver- vierförster namens Arno Wiemann durch träglich? Er verströmt Pheromone und den tauenden Schnee im Lauchagrund bei lockt damit die anderen. Dann legen die Bad Tabarz im Thüringer Wald und lässt Männchen »Rammelkammern« an und sich die Fichte erklären. Picea abies, den die begatteten Weibchen »Muttergänge«, »Brotbaum« der Forstwirtschaft, jahrhunder- in die sie ihre Eier legen. Dann fressen die telang hochgeschätzt. Stachlig als Schöss- Larven, und nicht lange nach dem Mas- ling, sodass die Rehe ihn eher verschmähen. senbefall ist der Baum tot. Schnell wachsend, gerade, fast astlos, wenn Ein gesunder Baum kann sich gegen man ihn eng genug pflanzt, und schon mit wenige Käfer wehren, er tötet sie mit Harz. Maurice Weiss / DER SPIEGEL knapp 100 Jahren reif zum Fällen. Bei Trockenheit, wie zuletzt in den Dürren Eine Buche braucht 120 Jahre bis zur 2018 und 2019, ist er fast wehrlos. In sol- Erntereife, eine Eiche 140 oder mehr. Als chen Jahren bringt der Käfer nicht ein oder im 18. und 19. Jahrhundert die Bergwerke, zwei Generationen hervor, sondern drei die Glashütten, die frühen Industriebetrie- oder gar vier. Mehr als 100 000 Nachkom- be gegründet wurden, als die Buchen ver- men kann ein Käferweibchen hinterlassen. feuert waren und die Flächen verkahlten – Ex-Revierförster Wiemann Die Käfer- und Larvengänge sind gut zu kam Fichte. Tannen, die von Fichten gespielt werden sehen auf dem Splintholz oder der Innen- 54
Ma uri c e Wei ss / DER S P I EG EL Klimakahlschlag in den Wäldern Thüringens Waldflächen, die aufgrund von Extremwetter- ereignissen und nachfolgendem Schädlingsbefall im Zeitraum 1. Juli 2018 bis 1. Aug. 2020 abgestorben oder bereits Waldbestand in Thüringen Zustand der Fichten geräumt sind 2020 in Tausend Hektar 2020 deutlich geschädigt 44% 211 110 88 34 62 22 Fichte Buche Kiefer Eiche sonst. sonst. THÜRINGEN Laub- Nadel- bäume bäume 24% 32 % gesund leicht geschädigt Mechterstädt Erfurt Jena Gotha Quelle: Waldzustandsbericht Bad Tabarz 2020 Thüringen TH ÜR IN GE R 46,2 W AL D 20 km 31,9 Landesamt für Bodenmanagement Insekten und Geoinformation Thüringen Durch Schäden bedingte Holzfällung nach Ursache in Deutschland, in Mio. Kubikmeter Quelle: Destatis 12,9 12,3 7,8 Wind/Sturm 6,5 6,0 5,5 4,9 Sonstige Ursachen 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Dürreintensität im Gesamtboden bis 1,8 m Tiefe während der Vegetationsperiode Apr. bis Okt. Thüringen keine Dürre ausgeprägte Dürre UFZ-Dürremonitor/ Seit 2018 gab es keine Erholung für die Böden. Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung DER SPIEGEL Nr. 11 / 13. 3. 2021 55
Maurice Weiss / DER SPIEGEL Maurice Weiss / DER SPIEGEL Maurice Weiss / DER SPIEGEL Klimaopfer Fichte: Mit Harz wehrt sie sich gegen den Käfer, aber in trockenen Jahren schafft sie es nicht seite der Rinde. »Großer Buchdrucker«, werde eine Fichte gefressen oder ver- Schmidt, als Biochemiker, kam ohnehin Ips typographus, heißt deshalb eine Bor- schmäht. nicht von der Fichte zu den Terpenen, son- kenkäferart. »Kupferstecher«, Pityogenes Seine Versuchsfichten sind transgen. So dern umgekehrt. Terpene interessieren ihn. chalcographus, eine andere. Es sind Mus- lässt sich steuern, welche Terpene eine Er hat kein besonders emotionales Ver- ter von abstrakter Schönheit, die so ein einzelne Fichte in welcher Menge enthält. hältnis zur Fichte. Wenn er an Spaziergän- Käfer in den Baum frisst. Zwischen zwei Jungfichten setzt man dann ge denkt, dann lieber an weite Landschaf- Der Buchdrucker, weitgehend auf Fich- den Versuchskäfer. Nicht den Borkenkäfer ten mit Bäumen wie in der Toskana oder ten spezialisiert, ist der gefährlichere. Er allerdings, sondern den Fichtenrüsselkäfer, in der Rhön. mag alte Bäume, er frisst zuerst unterhalb Hylobius abietis, der ähnlich tickt, als Ver- Aber diese Brachen, das wüste, leere der Krone, mit dem Fernglas kann man suchstier aber unter anderem den Vorzug Land, wo zuvor Fichten waren – das erschüt- dann Harzfluss sehen. Später erkennt man hat, deutlich größer zu sein. Was von Vor- tert auch ihn. Nur: Die Antwort kommt abgestorbene Nadeln. Von Nahem sieht teil ist, wenn man den Darm isolieren, die nicht aus seinem Labor. Genmanipulierte man das Bohrmehl am Stamm oder auf Darmflora analysieren und herausfinden Fichten in die Landschaft setzen? Oder lau- dem Boden. Und wenn es wärmer wird, will, wie die Bakterien darin das Fressver- ter solche, denen man die richtigen Terpe- auch den Käfer. halten beeinflussen. ne in der richtigen Konzentration ange- Aber manche Fichten überleben, Wie- Der Käfer also, ein bisschen hungrig, züchtet hat? »Ha!« Sarkastisches Lachen. mann kennt das Phänomen. Sind das die aber nicht zu sehr, sitzt dann vor zwei Fich- »Das hieße: Wir haben es nicht kapiert.« Fichten der Zukunft? Wie schaffen die das? ten mit unterschiedlichem Terpengehalt, Was kapiert? Wer sich das fragt, kann sich an Axel krabbelt los, knabbert hier, knabbert da, »Dass Monokulturen Blödsinn sind.« Schmidt vom Max-Planck-Institut für che- dann entscheidet er sich. Und viele Male »Waldumbau«, sagt er. »Das ist die einzige mische Ökologie in Jena wenden, der ge- hat er sich schon so entschieden, dass Chance.« nau das herausfinden will. Schmidt das als Bestätigung versteht. Waldumbau. Hat eigentlich jemand Schmidt ist Biochemiker, anzutreffen in Für die Grundlagenforschung ist das eine einen Plan? Welcher Wald ist ein guter einem Labor voller Fichten in Spielzeug- schöne Erkenntnis. Sie ist allerdings, bis Wald? größe, und wenn man ihn nett bittet, or- jetzt jedenfalls, nur von untergeordnetem Der deutsche Wald. Man hört mächti- ganisiert er zur Anschauung auch ein paar praktischen Wert. Schmidt und seine Leu- ges Rauschen bei diesen Worten, man Käfer dazu. te gehören zur »Conifer defense«-Gruppe; kennt die romantische Aufwallung. Dass Schmidt und seine Gruppe gehen davon nein, nicht zur Koniferenverteidigungsgrup- die Deutschen traditionell als das »Wald- aus, dass es wesentlich an den Terpenen pe, sie studieren die Verteidigungsstrate- volk« galten und das teilweise immer noch liegt, wer überlebt und wer nicht. Je nach gien von Koniferen. Sie sind nicht als Retter tun, hat mit dem römischen Geschichts- Zusammensetzung dieser Stoffe im Baum des Fichtenwalds zu verstehen. schreiber Tacitus zu tun, der die Bewoh- 56
ner »Germaniens« so beschrieb. Und mit Von den 211 000 Hektar Fichtenwald in Weise neue natürliche Kohlendioxidspei- Dichtern. Romantikern vor allem, die das Thüringen sind laut Landesbericht nur cher entstehen. So erklärt es Corinna Geiß- sehr ernst nahmen. Und die Gedichte hin- noch 38 Prozent der jüngeren und 15 Pro- ler, und also stimmt sie zu, als einer der terließen, die gelernt werden, und Lieder, zent der über 60-jährigen Fichten gesund, Förster sagt: »Motorsägen im Wald höre die gesungen werden mussten, über rau- also: Mehr als drei Viertel sind krank oder ich gern.« schende Wipfel und Waldespracht, so war bald tot. Sechs Millionen Festmeter Käfer- Aber was soll man künftig sägen? das lange Zeit. holz mussten zwischen Anfang 2018 und In ganz Deutschland sitzen nun For- Die Beziehung ist sachlicher geworden, Herbst 2020 aus den Thüringer Wäldern scher und Förster daran, den Wald der Zu- zwischen den Deutschen und dem Wald, geholt werden. Dem Borkenkäfer ging es kunft zu entwerfen. Sie überlegen, wie die aber eine besondere ist es wohl immer bestens. In den Fallen der Forscher fand 1,2 Milliarden Euro, die der Bund in den noch. Sie schickten das Wort Waldsterben sich im Frühling und Sommer vorigen Jah- vergangenen zwei Jahren für den Wald- in die Welt. Sie sorgen dafür, dass der Förs- res noch mal ein Drittel mehr Borkenkäfer umbau bewilligt hat, am besten auszuge- ter Peter Wohlleben mit seinen Büchern als im Käferjahr zuvor. ben seien. Millionenauflagen erzielt. Was tun? Wie den Wald retten, damit Nicht für Monokulturen, die man an- Um Gefühle geht es, um einen Wald, er uns retten kann? pflanzt; man will mehr »Naturverjüngung« der Trost und Erholung geben soll. Aber »Sich selbst überlassen kann man ihn je- und erst eingreifen, wenn nur das Falsche ums Geld natürlich auch, um Verwertungs- denfalls nicht«, sagt Corinna Geißler, Wis- wächst. Gefragt sind Mischwälder – Diver- zusammenhänge. Das war der Part, den senschaftlerin im Staatsdienst, Chefin des sität und Risikostreuung, wie beim Aktien- vor allem die Fichte übernahm. Kompetenzzentrums der Behörde Thürin- portfolio. Den Wunderbaum, der keine 11,4 Millionen Hektar Wald bedecken genforst, mit der man an der Seite von drei Probleme hat, wird es ja nicht geben. diese Republik, das ist ein fast Drittel der Förstern und einer Bracke namens Her- Gewohnheiten, auch Waldgefühle, sind Fläche Deutschlands, und davon wiede- mann in ein Revier nicht weit von Jena veränderbar. Die Menschen »haben sich rum besteht ein Viertel aus Fichte. Ein vordringt. an einen Thüringer Wald gewöhnt, der im- Baum, der das Leben hierzulande möb- Corinna Geißler wirkt nicht wie eine mergrün ist«, sagt Corinna Geißler; sie liert, parfümiert, zusammenhält, obwohl Frau, die Dinge gern sich selbst überlässt. werden sich auch wieder umgewöhnen. das den meisten nicht bewusst ist. Nach Und sie weiß, sie muss einen anderen Blick Ihr Institut hat »Baumempfehlungen« in »Fichtennadel« roch das Schaumbad in der haben auf den Wald als die Generationen Verbindung mit dem Förderprogramm er- Kindheit. Fichte stützt die Dachkonstruk- vor ihr. arbeitet. tionen, unter denen gewohnt, gearbeitet, Der Wald muss Kohlendioxid speichern, Die Menschen werden künftig mehr Sport getrieben wird; Fichtenholz brennt und wenn er möglichst schnell möglichst Exoten sehen, mehr nordamerikanische gut, verkleidet Fassaden, bringt als Bücher- viel speichern soll, kann man ihn tatsäch- Douglasie, Hickory vielleicht, Libanon-Ze- regal Ordnung ins Leben, transportiert als lich nicht sich selbst überlassen. der. Hauptsächlich aber Einheimisches: Palette Waren durch die Welt und setzt CO2 bleibt gebunden, solange die Bäu- Ahorn, Ulme, Tanne, Lärche, Eiche. Grenzen, als Gartenzaun. me stehen. Lässt man sie verrotten, wird Mit dabei: die Fichte. Corinna Geißler Für Holzverarbeiter ist Picea abies, auf CO2 wieder frei. Verbaut man sie aber, will der Fichte gegenüber nicht ungerecht der Liste DIN EN 13556, unter dem Zei- langfristig, dann speichern sie weiter, sind sein. Sie steht da als Verteidigerin, die den chen PCAB zu finden, ein geradfaseriges, weit überlegen gegenüber der klimaschäd- schönen Satz sagt: »Wir wollen nicht das hellfarbiges Nadelholz, durch dunkle Spät- lichen Betonindustrie. Man baut beispiels- Bild vermitteln, dass man die Fichte hasst.« holzbänder deutlich strukturiert. Leicht, weise Hochhäuser aus Holz, wie jetzt in Sie will sie nicht aufgeben. An Nordhän- weich, relativ elastisch, aber auch trag- Hamburg oder in Wien. Man lässt gleich- gen vielleicht? In Bachtälern? Oberhalb fähig. Und maschinell, aber auch im Hand- zeitig neue Bäume wachsen, lässt auf diese von 400 Metern, vielleicht auch 600 Me- werk gut zu bearbeiten. Wichtigstes Bau- tern? holz der Holzverarbeitungsindustrie – sie »Eine Zukunftsreise«, so nennt sie es. hatte 2020 einen Umsatz von 36,5 Mil- Forstwirtschaft ist ein Vertrag auf Jahrhun- liarden Euro. derte hinaus. Da ist keine jährliche Frucht- Erholungslandschaft, Holzproduktion, folge wie in der Landwirtschaft. Da ist kein so dachte man sich den Nutzwert des Wal- schnelles Geld, das auf eine Investition fol- des bisher. Allmählich erst versteht der gen kann, wie man es vom Kapitalmarkt Mensch: Es kommt ein dritter, dringender kennt. »Ob wir’s falsch gemacht haben, hinzu. Es geht auch um das Klima. Es geht, werden wir nicht mehr erleben.« allen Ernstes, um das Überleben. Der Sagt Corinna Geißler in einem Thürin- Wald muss sich und den Menschen helfen, ger Waldrevier, in dem schon Goethe un- den menschengemachten Klimawandel zu terwegs war. Es ist Februar, eine vom überstehen. Sturm gefällte Fichte, vielleicht 90 Jahre Es gehe ihm insgesamt nicht gut, sagt alt, vielleicht 30 Meter hoch, liegt da mit die eben erschienene »Waldzustandserhe- aus der Erde gerissenem Wurzelteller, er bung«. »Kronenverlichtungen« werden re- ragt doppelt so hoch wie die Forstexpertin, gelmäßig kontrolliert und werden schlimm die vor ihm steht. Maurice Weiss / DER SPIEGEL und schlimmer. Der Baum wirkt dann Ein Riese, der Respekt erzwingt. Ein to- dünn oben, wegen Blatt- oder Nadelver- ter Baum, gestürzt, nachdem er vier Men- lust, das bedeutet: Der Baum hat Stress, schengenerationen lang in der Erde war. wegen Schädlingen, Schadstoffen oder Gepflanzt von Menschen, die in Genera- Trockenheit. tionen denken. Die »Absterberate« der Fichte betrug »Nachhaltende Nutzung«, diesen Be- in Deutschland 1990 weniger als 0,1 Pro- Forstwissenschaftlerin Geißler griff hat vor gut 300 Jahren ein Forstmann zent, im Jahr 2020 mehr als 4 Prozent. Den Wald retten, damit er uns retten kann erfunden, Hans Carl von Carlowitz, der DER SPIEGEL Nr. 11 / 13. 3. 2021 57
Reporter auf die Idee gekommen war, es sei gut, Eiche wenigstens stimmen die Preise Chefin des Kompetenzzentrums. »Am wenn der Mensch nicht nur ernten wolle, noch. richtigen Ort werden sie es schaffen.« sondern auch pflanze. »Die Eiche«, sagt er, »die hat uns den Der Wald, den es dann hoffentlich noch Jetzt reden alle von Nachhaltigkeit, der Arsch gerettet in den letzten Jahren.« gibt, wird anders aussehen. Thüringenforst Staat will unterstützen, und Jörg Göring, Allerdings nicht diese Art Eiche, die da hat sein Baumportfolio entworfen, als man Waldbesitzer aus Mechterstädt, nicht weit in voller Pracht vor ihm im Mischwald noch an das Zwei-Grad-Ziel glaubte – dass von Bad Tabarz, findet das durchaus an- steht: mit meterdickem Stamm und mäch- die Erderwärmung auf dieses Limit be- gemessen, hätte nur gern weniger Vor- tigen Ästen. 200 Jahre alt? Oder noch grenzbar sei. Aber nun glaubt daran fast schriften dazu. mehr? niemand mehr, und sie müssen neu über- Göring trägt eine wärmende Funktions- Sie ist mächtig. Sie ist die Eiche schlecht- legen. Sie legen Versuchsparzellen an. Sie jacke, läuft trittsicher durch den tauenden hin, die man sich denkt, eine Persönlich- wollen Botschaften senden an die Nach- Februarschnee und ist Chef einer Waldbe- keit von Baum. An der erlebbar wird, dass kommen. sitzergenossenschaft mit rund 100 Mitglie- die eigene Vorstellung von Perfektion Arno Wiemann, der 86-Jährige aus dem dern und insgesamt 265 Hektar. Das ist ziemlich weit weg ist von der in der Holz- Lauchagrund, hat vor 30 Jahren Küsten- nichts im Vergleich etwa mit der Familie industrie. tannen gepflanzt, Abies grandis, aus Nord- Sachsen-Coburg und Gotha, deren Wald- Mit Göring im Wald lernt man das amerika. Vielseitig, robust, so wie es aus- stiftung über 9000 Hektar verfügt. schwierige Verhältnis zwischen Schönheit sieht. Dabei nicht dominant, nicht invasiv. Göring sagt, erstaunlicherweise, fast und Nutzwert kennen: Nützen wird das Noch sind Wiemanns Küstentannen zu denselben Satz wie Hubertus Prinz von Holz, also verbaut werden, wenn es gerade jung, als dass man sehen könnte, ob sie Sachsen-Coburg und Gotha, den man tags gewachsen ist, möglichst astarm. Die Fich- die Erwartungen erfüllen. zuvor in seinem Wald traf – er halte te kann das besonders gut. Jörg Göring, der Waldbesitzer aus »nichts davon, die Vorfahren in die Tonne Es ist das Gegenteil dessen, was man Mechterstädt, kann die Douglasien besu- zu treten« für ihre Entscheidungen. Bei unter einem schönen Baum versteht. chen, die sein Großvater gesetzt hat. Inte- Sachsen-Coburg und Gotha hieß es: »Sie Aber da waren doch auch die anderen, ressanter Baum, auch einigermaßen frost- haben entschieden nach dem Waldwissen auf einem Bild von Caspar David Friedrich hart, aber es gibt Zweifel, ob er dem Bor- ihrer Zeit.« zum Beispiel: üppige Stämme mit reichlich kenkäfer wirklich widersteht. Der Schnee ist fast weg. Göring wünscht Ästen, ein bisschen dunkel, aber imposant. Der Wald, das ist nach diesen Wald- sich, dass dann noch mal der Frost kommt, Tatsächlich, die Fichte kann das. Sie ist wanderungen im kalten Februar klar, ver- dann noch mal Schnee, noch mal Frost. in der Lage, ein gut aussehender Baum zu langt Vorsicht. Er wird davon profitieren, Das mag der Käfer nicht, der jetzt im Bo- sein. Aber sie darf nicht, normalerweise. wenn man ihm zuhört. Wenn man ihn le- den und in Bäumen überwintert. Für 2017 wurde sie, die schon lange vor sen kann. Als ein Zitronenfalter vor ihm flattert, den vergangenen Dürresommern umstrit- Und begreift, was in ihm steckt. sagt er: »Mist!« Wenn schnell der Frühling ten war, zum Baum des Jahres erklärt. Es Als die Holzfäller früher die Fichten- kommt, kommt auch schnell der Käfer. wurde die schönste Fichte Thüringens ge- stämme zu Tal ließen, hörten sie bei man- Und womöglich das nächste fruchtbare, wählt. chen einen besonderen Ton. Wenn eine furchtbare Käferjahr. Sie steht im Terrassenbad in Schön- Fichte besonders langsam gewachsen ist, Göring muss den Genossenschaftswald brunn im südlichen Thüringen, in Höhen- möglichst weit oben, wo es karg zugeht, so managen, dass seine Genossenschaft da- lage, direkt auf einer Quelle, und sie ist kann es sein, dass sie »Klangholz« wird. ran verdient, das ist derzeit vor allem we- tatsächlich: schön. Ludwig Schäfer, 62 Jahre alt, erzählt das gen der Fichten ein Problem. Er spricht Sie würden zwar eher selten wie diese in seiner Werkstatt in Gotha. wie ein Pragmatiker, aber doch wie je- aussehen, »aber es wird noch Fichten ge- Schäfer ist Geigenbauer. Im Schuppen mand, der die Schösslinge wie persönliche ben in Zukunft«, sagt Corinna Geißler, die lagert er das alte Holz, beim richtigen Schützlinge sieht. »Sie wissen immer noch Licht glänzt es wie Gold. Schmale, arm- nicht, wie man Tanne und Fichte sicher lange Tortenstücke aus Fichte, die von Zeit unterscheidet? Riechen Sie!« zu Zeit gewendet werden müssen, damit Was wie Schaumbad riecht, das ist die sich die Stoffe darin gut verteilen. Fichte. Die Tanne? »Riecht nach Orange.« Die zur Geigendecke werden, zum Teil Es stimmt. eines Instruments, das bei ihm 300 Stun- Er kümmert sich. Er schützt junge den Arbeit braucht und 12 000 Euro kos- Eichen mit Hülsen gegen Wildverbiss, an- tet, aber das ist es wert. ders kriegt man sie hier nicht durch. Er Heute, da in Thüringen viele Orchester schützt junge Tannen gegen Fegeschäden verschwunden sind, lebt Schäfer mehr von durch Rotwild: Ein kleiner Stock daneben, den Reparaturen. Die lohnen sich für die das stört das Tier. Geiger, eine gute Geige wirft man ja nicht Er schützt natürlich auch mit dem Ge- weg. Sie kann jahrhundertelang gespielt wehr. Wer die Rehe machen ließe, hätte werden. bald nur noch Fichte. Weil die kratzt. Wer Man stelle sich vor, noch eine Zukunfts- mehr Mischwald will und wenig Fichte, reise: muss mehr schützen und mehr schießen. ein Fichtenschössling, der jetzt einwur- Maurice Weiss / DER SPIEGEL Göring sagt, man solle nicht immer nur zelt. von der Fichte reden. Dass es auch der Er muss rund 200 Jahre wachsen. Buche schlecht gehe, wisse man längst. Sie Und, wenn es geht, 70 Jahre ruhen. holt sich ihr Wasser mehr aus der Tiefe. Und dann wird er Teil einer Geige, wird Da sind die Folgen der trockenen Jahre zu 300 Jahre lang Musik. spüren. Falls es dann noch Menschen gibt, die Fichtenholz ist massenweise auf dem Geigenbauer Schäfer sie spielen. Markt, die Erlöse sind niedrig. Bei der 300 Jahre lang Musik 58 DER SPIEGEL Nr. 11 / 13. 3. 2021
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