Schulentwicklungsberatung, Neue Steuerung und Evidenz: Angebot oder Zumutung?
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PR 2020, 74. Jahrgang, S. 63-78 © 2020 Ernst Daniel Röhrig - DOI https://doi.org/10.3726/PR012020.0004 Ernst Daniel Röhrig Schulentwicklungsberatung, Neue Steuerung und Evidenz: Angebot oder Zumutung? Zur Vermittelbarkeit gesellschaftlicher Reproduktionsansprüche im Pädagogischen System „Das Erziehungssystem heißt mit an- Dieser Frage soll hier vor dem Hintergrund derem Namen auch Bildungssystem. aktueller Ansprüche an (inklusive) Schul- Diese doppelte Benennung darf je- entwicklung nachgegangen werden. doch nicht zu dem Irrtum führen, Er- ziehung und Bildung seien dasselbe. Erziehung ist eine Zumutung, Bildung 1. Die organisierte Vermittlung ist ein Angebot. Erziehung richtet sich gesellschaftlicher an Kinder und Heranwachsende, Bil- Reproduktionsanforderungen dung nicht nur an diese. Die Erwach- senenbildung und Weiterbildung sind In Schulen, den wohl ursprünglichsten Erscheinungen, die die Frage aufwer- Institutionen organisierter pädagogischer fen, ob sie gemeinsam mit Erziehung Kommunikation, werden die Kommunika- demselben System angehören.“1 tionen der Teilsysteme von Gesellschaft2 als Inhalte im Medium3 des Pädagogi- Dieses Zitat weckt den Eindruck, dass schen kommuniziert; sei es durch Zu- Erwachsenen die Zumutungen der Erzie- mutungen in erzieherischer Absicht oder hung nicht gemacht werden oder nicht ge- als Angebote zur individuellen Bildung. macht werden können. Doch erweckt ein Umgekehrt werden die Kommunikationen Blick auf die aktuell gestellten Ansprüche des Pädagogischen natürlich auch in den an Schulentwicklung und Lehrerprofes- Institutionen und Organisationen anderer sionalität ebenso den Eindruck, dass hier Funktionssysteme in deren Medien als Erwachsenen, nämlich den Lehrkräften – Inhalte thematisiert. Das Pädagogische aber auch anderen pädagogisch tätigen folgt dem Muster der funktionalen Diffe- Akteuren – einiges zugemutet wird. Wo renzierung und wird damit selbst zu einem sind die Bedingungen zu suchen und zu sozialen System, oder besser: es erkennt finden, die Erwachsenen das Erdulden sol- sich als solches; zunächst in den Institutio- cher Zumutungen als Angebote vermitteln nen und Professionen, in denen sich seine können und dazu beitragen, dass sie diese Kommunikationen aktualisieren, zuneh- wahrnehmen, annehmen, anerkennen? mend aber auch über die institutionellen 1 / 2020 Pädagogische Rundschau 63 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
und professionellen Grenzen hinaus und der Vergabe von staatlich anerkannten wird „zu einer allgegenwärtigen, universel- Zertifikaten und Qualifikationen verbunden len und lebenslangen sozialen Realität.“4 sind, fällt diese Autonomie der Adressaten Eine bestimmte (institutionalisierte und/ besonders ins Gewicht. Lange Zeit waren oder professionalisierte) Intentionalität ist damit die Akteure des Schulsystems in für das Pädagogische nicht (mehr) fun- einer sehr komfortablen Situation: Sie ent- damental, sondern es definiert sich nun wickelten, verwalteten und bewerteten über Strukturierung, statt über bestimmte ihre Programme und deren Erfolge unter Absichten und Inhalte (wie im Falle reiner Bezugnahme auf die staatlichen Rahmen- Erziehungszumutung). vorgaben selbst. Es gab außer diesen Vor- Das (deutsche) Schulsystem stellt in- gaben keine Instanz, die einen direkten nerhalb der Gesellschaft insgesamt, aber Einfluss nahm auf das, was im Erziehungs- auch innerhalb des gesamten Erziehungs- und Bildungssystem als vermittelbar und Bildungssystems einen Sonderfall dar. erkannt wurde. Doch je mehr gesellschaft- Die Adressaten werden ihm nicht aufgrund liche Teilsysteme sich ausdifferenzieren bestimmter Eigenschaften und Bedürfnis- und ihre eigene systeminterne Komplexität se zugeführt oder wählen sich nicht freiwil- steigern, desto größer werden deren An- lig die Angebote aus, sondern sie werden sprüche an das Pädagogische als das, die qua Existenz als Person durch geltendes zur Reproduktion der Teilsysteme notwen- Recht für einen bestimmten Zeitraum zum digen Kompetenzen vermittelnde. Je grö- Erdulden der Zumutungen im Kontext ßer das (politisch, wirtschaftlich oder auch Schule verpflichtet. Entsprechend haben persönlich motivierte und artikulierte) Be- (die meisten) Lehrkräfte einen besonderen dürfnis nach Vermittlung wird, desto mehr Status als Beamte. Sie dienen dem Staat ursprünglich nicht-pädagogisch orientierte und neben Erziehungs- und Bildungs- Institutionen und Organisationen beginnen auftrag vollziehen sie in gewissem Sinne strukturiert und organisiert an pädagogi- ein rechtsstaatlich verhängtes Pauschal- scher Kommunikation teilzunehmen und urteil. Sie genießen dadurch Privilegien, erweitern damit das Pädagogische Sys- sind aber – wie z.B. auch Polizisten und tem. Das Pädagogische, das einst seinen Staatsanwälte – ungleich stärker den Wei- Kern in der Schule hatte, breitet sich über sungen staatlicher Instanzen unterstellt als alle gesellschaftlichen Bereiche aus. Fast beispielsweise Sozialarbeiter, Erzieher, jede Organisation oder Institution entwi- Erwachsenen- und Weiterbildner. Die Ad- ckelt in irgendeiner Form Pädagogische ressaten dieser professionell pädagogisch Kommunikation. kommunizierenden Akteure unterliegen Aus heutiger Perspektive greifen nun in der Regel keiner Anwesenheitspflicht. ebensolche Pluralitäten, die außerhalb der Wenn die Eltern der Kindergartenkinder, Institution Schule schon lange (pädagogi- die Klienten von Sozialarbeitern oder die sche) Realität sind in das ‚Schulsystem‘ Teilnehmer einer Fortbildung das Angebot zurück und stellen Lehrkräfte vor neue Ent- als Zumutung empfinden, dann können sie wicklungsaufgaben, welche sich nicht aus diesem in der Regel ausweichen. Damit der (Er-)Kenntnis des öffentlichen ‚Gesamt- haben die Adressaten der pädagogischen bildungssystems‘ ableiten und vermitteln Professionen außerhalb von Schule einen lassen, da ein solches Konstrukt eben kein stärkeren Einfluss auf die pädagogische als Pädagogisches System bestimmtes, Arbeit der Pädagogen und Erzieher. Be- klar differenziertes Funktionssystem dar- sonders in Angeboten des Fort- und Wei- stellt.5 Es ist lediglich eine Umschreibung terbildungsbereichs, die nicht direkt mit vielfältiger Zumutungen und Angebote. 64 Pädagogische Rundschau 1 / 2020 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
Ein differenziertes Pädagogisches System sich reflektierend zunehmend von Religion kann nicht auf bestimmte öffentliche Ein- und Mythos: die Funktion von Kultur stellte richtungen eingegrenzt werden, da es als die Vermittlung zwischen den verschiede- soziales System aus Kommunikationen und nen, hergebrachten und neu entstehenden eben nicht aus bestimmten Einrichtungen Handlungs- und Lebenssphären sowie die und Personen besteht.6 Letztere stellen Vermittlung der sich in diesen Umwelten lediglich Knotenpunkte dar, in denen das bewegen den Subjekte dar. Pädagogik – Pädagogische sich gleich dem Politischen, und damit zunächst speziell als Erziehung Religiösen oder Wirtschaftlichen aktuali- und Unterricht verstandene – diente dazu siert und als je spezifische Kommunikation den Heranwachsenden die zur (Re-)Pro- reproduziert. Die pädagogischen Institutio- duktion der (bestehenden) Kultur nötigen nen und Professionen verlieren zunehmend Kompetenzen und das nötige Wissen ihre ‚Vermittlungshoheit‘. Sie werden nun zu vermitteln. In Bezug auf Erwachse- selbst – nicht mehr nur im Rahmen der ne bedeutete dies dementsprechend internen Selbstreflexion, sondern ganz die Vermittlung der Kompetenzen und offen im Rahmen gesamtgesellschaftlicher des nötigen Wissens zur Teilhabe an der Kommunikation über alle Systemgrenzen (bürgerlichen) Gesellschaft, sofern diese hinweg – zum Gegenstand von Vermitt- – mangels (erfolgreicher) Erziehung und lungsprozessen bezüglich dessen, was in Unterricht – nicht vorhanden waren. Je ihnen und für sie als vermittelbar gelten komplexer diese Vermittlung sich gestal- kann und – je nach Systemperspektive im tet, desto stärker ist Kultur auf Pädagogik Sinne der Vermittlung von Kompetenzen angewiesen, die nun „als Vermittlungsinsti- zur Gewährleistung der Reproduktion – zu tution zwischen kulturelle Objekte und kul- gelten hat!7 turelle Subjekte“8 tritt. Das Pädagogische Ein Versuch, zumindest theoretische expandiert, seine Inhalte, Methoden und Kontrolle über das ausufernde Pädagogi- Teilnehmer umfassen immer weitere Be- sche zu gewinnen, zeichnet das anschlie- reiche und entstammen immer größeren ßende Kapitel nach, um ganz konkret Gruppen. Ein Merkmal der pädagogischen Bedingungen der Begegnung mit päda- Expansion ist soziale Inklusion – Inklusion gogischer Komplexität in der professio- des Pädagogischen und Inklusion in das nellen pädagogischen Praxis erkennbar Pädagogische: Das Entstehen immer werden zu lassen. Denn heute stellen sich neuer Formen pädagogisch initiierter Ins- – neben der Frage nach einer hilfreichen titutionalisierung und Professionalisierung Theoriestrategie – verstärkt die Fragen: sowie deren universitär organisierte er- Wie können Schule, Unterricht, Pädago- ziehungswissenschaftliche Reflexion ma- gik dieser Unübersichtlichkeit ganz prak- chen dies erkennbar. Hieran wird bereits tisch gerecht werden? Wie können Schule der Selbstbezug des noch zu erläuternden und Unterricht selbst angesichts gesell- pädagogischen Programms ‚Vermitteln: schaftlicher Ansprüche im pädagogischen Aneignen‘ deutlich. Die Formen, Metho- System (weiterhin) als vermittelbar erkannt den und Akteure der Vermittlung sind werden? Instrument und zugleich Gegenstand von Vermittlung. Vermittlung erscheint zugleich als das Problem, das das Pädagogische 2. Verlust der Vermittlungshoheit es zu lösen auf den Plan ruft, ist aber auch die Aufgabe, die ihm gestellt wird, näm- In der Kultur entdeckte sich der Mensch lich zwischen den Reproduktionserfor- als Erzeuger ihrer Inhalte und emanzipierte dernissen der voneinander differenzierten 1 / 2020 Pädagogische Rundschau 65 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
Teilbereiche der Gesellschaft, der Ge- Kommunikation im pädagogischen System sellschaft selbst und den Individuen zu sein müssen, lediglich sein können. Das vermitteln. Das Pädagogische System re- pädagogische System beobachtet also mit produziert die Kommunikationsform, die der Differenz ‚vermittelbar/ nicht-vermittel- alle anderen gesellschaftlichen Funktions- bar‘ – es differenziert sich damit selbst von systeme miteinander und mit den biogra- der Welt und reproduziert sich als Sys- phischen Systemen der Individuen sowie tem, ordnet soziale Praktiken dem System ihren Psychischen und Biologischen zu oder schließt sie aus. Um sich zu re- Systemen in Verbindung bringt, um zum produzieren löst es das gesellschaftliche Zwecke der jeweiligen Reproduktion die Problem gerade eben nicht, über das es notwendigen Kompetenzen zu vermitteln. sich begründet – nämlich die Notwendig- Das Pädagogische System liegt wie alle keit der Vermittlung. Vielmehr (re-)produ- anderen Funktionssysteme quer zu deren ziert es Probleme der Vermittlung12, indem Manifestationen und aktualisiert sich in seine Programme zu Aneignung führen. jeweiligen Kommunikationen, wenn es zu Würde es das Problem lösen, hätte es entscheiden gilt, was vermittelbar ist und keine Grundlage mehr zu operieren, da die was nicht.9 Differenz zugunsten einer Seite aufgelöst wäre. Diese Paradoxie entfaltet die Unter- 2.1. Vermittelbar? Der Code des Päda- scheidung von Code und Programm: Der gogischen Code ist selbst nicht die Operation, er löst lediglich das Programm aus, das bei Er- Kade führt die Differenz „vermittelbar/ folg – etwas wird vermittelt – Aneignung zu nicht-vermittelbar“ als (primären) Code des Folge hat: das Programm wird zugunsten Pädagogischen ein und verweist auf den eines neuen Programms beendet – ande- Vorteil, bzw. Vorrang dieses Codes gegen- res ist nun vermittelbar. über dem (sekundären) Code der Selek- tion „besser/ schlechter“.10 Er beschränkt 2.2. Nicht-Vermittelbar? Die Autonomisie- sich hier auf Wissen als Gegenstand von rung des Pädagogischen Vermittlung, ist sich aber durchaus be- wusst, dass damit ein sehr umfassend Die Autonomisierung des Pädagogischen verstandener Wissensbegriff vorliegt, der Systems ist zugleich seine Öffnung hin zur Verhaltensaspekte, Handlungsaspekte, inhaltlichen Beliebigkeit. Die Inhalte und Kompetenzen aber auch Situationen, Per- Intentionen können nun beliebig aus ande- sonen, Methoden, Instrumente etc. mit- ren gesellschaftlichen Teilsystemen in das einschließt; jegliches Wissen also, dass Pädagogische hineingetragen werden, bei der Vermittlung zwischen kulturellen womit die Grundlage zur universellen Pä- Objekten und Subjekten vermittelbar sein dagogisierung von Welt gegeben ist. Ein kann – oder je nach Situation, Person, grundsätzliches ‚Vermittelbar!‘ verlangt Institution etc. – eben nicht.11 Im päda- nach der ständigen Ausweitung und Wei- gogischen System wird Wissen reflexiv terentwicklung von Vermittlungsmethoden, – Vermittlung wird vermittelbar oder eben Vermittlungsstrukturen und Vermittlungs- nicht. Damit ist alles Wissen potentiell praktiken.13 Hier wird die Konsequenz Inhalt pädagogischer Vermittlung. Die In- deutlich erkennbar – und damit Gegen- tention – ob erzieherische Absicht, Kom- stand von Wissenschaft – der sich das Bil- petenzorientierung oder Bildungskanon dungs- und Erziehungssystem angesichts – ist absolut beliebig und unterliegt Ent- wachsender Unübersichtlichkeit und zu- scheidungen, die selbst nicht Resultat der gleich umfassender Inklusionsansprüche 66 Pädagogische Rundschau 1 / 2020 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
ausgesetzt sieht: Will es dem Anspruch Erfolg des Pädagogischen Systems eben- gerecht werden, Institutionen und Pro- so irrelevant wie es die Aneignungsleistung fessionen des Pädagogischen Systems der Adressaten oder die Professionalität bereitzustellen, um die Vermittlung ge- seiner Akteure sind; solange es weiterhin sellschaftlich relevanter Kompetenzen zu sein Programm fahren und mit der Differenz gewährleisten – also seine Funktion zu des Codes operieren kann. Die Program- erfüllen, dann müssen sich Institutionen me steuern die Operationen, sie geben an, und Professionen stets weiterentwickeln, was als vermittelbar und nicht-vermittelbar um die Ansprüche an Vermittelbarkeit zu gilt und stellen Orientierungen für päda- erfüllen (von schulischer Inklusion, Di- gogische Akteure und Adressaten bereit. gitalisierung, Arbeitsmarktorientierung, Pädagogische Programme entscheiden Ökonomisierung etc.). Gelingt dies nicht, folglich über die inhaltliche Ausrichtung von wird seine Gesellschaft Alternativen su- (Erziehungs- und Bildungs-) Maßnah men chen, andere Formen und Methoden der und Einrichtungen, über die Methoden der Organisation des Pädagogischen – und Vermittlung, über die Zusammensetzung finden. Damit einher geht eine erhöhte von Lerngruppen, über die Strukturen – ma- Wahrscheinlichkeit von eigenmächtigen, teriell, zeitlich, sozial – in denen das päda- eigensinnigen und eigennützigen Entschei- gogische Geschäft verrichtet wird; wer und dungen aller Beteiligten. Kade verweist was dazugehört und wer und was nicht. auf die ‚Programmebene‘: Bildungs- und Aufgrund der Autonomie des Pädagogi- Erziehungstheorien. Zunehmend in den schen sowie der Autonomie ihrer Akteu- Blick kommen aber nun – auch vor dem re und Adressaten, ist es immer zunächst Hintergrund der Vielzahl an verfügbaren unbestimmt, wer, wann, wie und wodurch Theorien – die subjektiven Bildungs- und Einfluss auf die Umsetzung der Programme Erziehungstheorien der Akteure und Adres nimmt – aber es ist ebenso unbestimmt wer saten; und damit eine erhöhte Relevanz alles an den Programmen ‚mitschreibt‘ und von subjektiven Einstellungen und Hal- dadurch Entscheidungen über Methoden, tungen als Umwelten pädagogischer Strukturen und Inhalte (mit-)bestimmt. Wes- Kommunikation. Hat Kade eher die Viel- halb der einzelne Akteur zu einer wichtigen zahl an neuen Medien und Vermittlungs- Figur für die Operationen des Pädagogi- formen im Blick, wenn er die Kontingenz schen wird und über die Anwendung des der Programme erkennt, bringen eben Codes (mit-)entscheidet. diese Medien auch eine Vielzahl neuer subjektiver Perspektiven auf und subjek- 2.4. Aneignen! Die Autonomisierung der tiver Ansprüche an die Programme mit Adressaten sich. Personen als Kondensationspunkte der (pädagogischen) Kommunikation sind Somit obliegt die ‚Kontrolle‘ den Adres- eben nicht nur Gegenstand pädagogi- saten und die Autonomie des Pädagogi- scher Programme, sondern als Subjekt schen gründet zugleich in der Autonomie oder Individuum auch Teil dieser.14 der Adressaten, ob sie Vermittlung zulas- sen oder nicht, ob sie Aneignung anstre- 2.3. Vermitteln! Das Programm des Päd- ben oder nicht. Damit ist der ‚Erfolg‘ des agogischen Pädagogischen Systems bezüglich seiner gesellschaftlichen Funktion Kultur zu ver- Ob Schulentwicklungsberatung15 gelingt, mitteln – und damit (auch) den Ansprüchen oder ob Konzepte „Neuer Steuerung“16 anderer Teilsysteme gerecht zu werden – im Schulwesen Effekte zeitigen ist für den eben nicht in der Reproduktion des 1 / 2020 Pädagogische Rundschau 67 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
Systems, sondern in der Aktualisierung Systemwechsels, ohne daß das päd- der verschiedenen Systemprogramme agogische System dies beobachten im Modus des Pädagogischen bei den könnte. Sonst müsste es sich noch Teilnehmern begründet. Die im Pädago- einmal von sich als System unter- gischen interpenetrierenden Kommuni- scheiden können. Aus der Beob- kationsmedien – Wissen, Macht, Recht, achterperspektive zweiter Ordnung, Eigentum, Glaube – erhöhen lediglich nämlich der des Wissenschaftssys- die Wahrscheinlichkeit, dass Subjekte an tems bzw. der Erziehungswissen- diese Kommunikationsmedien anzuschlie- schaft als einem Teil von ihm, kann ßen bereit sind und sich die dazu nötigen man allerdings beide Systeme aufei- Kompetenzen aneignen.17 Diese Erkennt- nander beziehen […].“21 nis gewinnt besondere Relevanz im Kon- Operationen der Vermittlung und Aneig- text der (inklusiven) Schulentwicklung,18 nung finden immer in getrennten Systemen wenn die qua Profession als Vermittler statt und sind entsprechend kontingent – tätigen nun selbst zu Adressaten werden also verkürzt gesagt: immer nur in ihrem und sich zudem der Zumutung absichts- Verhältnis zueinander als Operationen der voller Erziehung im Sinne der Verbesse- Vermittlung oder Aneignung bestimmbar, rung ihrer Vermittlungstätigkeit ausgesetzt niemals für sich allein.22 Als Teilnehmer sehen. Das Aneignen als die der Vermitt- werden die Adressaten als Teil des päda- lung komplementäre Operation rückt die gogischen Systems bezeichnet: „Der Teil- Adressaten ins Zentrum der Betrachtun- nehmer ist das psychische System – und gen. Als für das psychische System spe- das ist das Paradox – aus der Sicht des zifische Operation wird Aneignung vor pädagogischen Systems.“23 allem biografisch gelenkt: Die individuellen Der Adressat wird also aus der Be- Erlebnisse und Bedürfnisse, (Lern-)Er- obachterperspektive des pädagogischen fahrungen und Interessen der Adressaten Systems als Teilnehmer konstruiert, was bestimmen maßgeblich, was angeeignet bedeutet, dass jeder Adressat – neben wird.19 Die Unterscheidung von Vermitteln seinem immer auch Nicht-Teilnehmer-Sein und Aneignen macht das Verhältnis des – von den Akteuren des pädagogischen pädagogischen Systems zu seinen Adres- Systems in Bezug auf seine Teilnehmer- saten als Differenz von Systemen erkenn- rolle konstruiert wird, wobei – und das bar: der Differenz von pädagogischem und ist der Wiedereintritt der Differenz von biographischem System.20 Die Bedeutun- Pädagogischem und Psychischem auf gen des persönlichen Erlebens und der der Seite des Akteurs – das biografische Erfahrungen im je eigenen Werdegang System des Akteurs die Umwelt der Ein- bestimmen das Verhältnis zum pädagogi- ordnung des psychischen Systems sei- schen System und damit die Auslegung, nes Adressaten bildet. Das psychische Ausführung und Aneignung der pädagogi- System konstruiert das Pädagogische schen Programme. ebenfalls aus seiner Sicht. Das Wissen um diese Differenz gehört gleichsam 3. Gesellschaft des zum pädagogischen System und spiegelt Pädagogischen sich in der wissenschaftlichen Reflexion wieder, aber nicht nur dort: Auch in den „Die Figur des Teilnehmers indi- subjektiven Theorien der Akteure und Ad- ziert also innerhalb des pädagogi- ressaten werden entsprechende Konst- schen Systems die Möglichkeit eines ruktionen wirksam. 68 Pädagogische Rundschau 1 / 2020 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
3.1. Erkennbar? Die Teilnehmer als Wis- in seiner Kooperativität überhaupt erst senschaftler wahrscheinlich macht.29 In Bezug auf pä- dagogische Programme vermitteln sie Die Perspektiven, die jeder einzelne auf Vermittlung und Aneignung als vermittel- sich selbst, andere, Menschen im Allge- bar oder nicht-vermittelbar aufgrund der meinen und seine Umwelt einnimmt, kön- Erwartbarkeit von Verhältnissen der Er- nen wir einerseits als Resultate individueller fahrungen und Interessen der als Subjekte Erlebnisse, die in Erfahrungen geordnet beschriebenen Teilnehmer (Akteure und werden, betrachten;24 andererseits ist es Adressaten) sowie – auf der Reflexions- möglich, sie als Zeichen der Äußerung ebene subjektiver Theorien über subjektive individueller Bedürfnisse zu deuten, die in Theorien – die Erwartbarkeit von Erwar- Interessen ihren Ausdruck finden;25 diese tungen. Antizipationen von Operationen scheinbar ‚naiven‘ Betrachtungen und auf der Interaktionsebene bilden die Basis Deutungen stellen letztlich – analog zu der Beschreibung individuell erstellter Teil- dem je Betrachteten und Gedeuteten – als programme des Vermittelns, Interpretatio- Kommunikationen über Deutungen und nen der Operationen auf Programmebene Betrachtungen, wirkliche Verhältnisse dar, bilden die Basis der Beschreibung ihrer die wiederum zu Grundlagen von Entschei- individuellen Umsetzung in der Interaktion. dungen und Handlungen werden (können), Als Teilnehmer werden unter der die Teil des (subjektiven – also: als subjek- kommunikativen Subjektannahme alle tiv erlebten) Erlebens sind. Das komplexe, gleichermaßen füreinander ‚erkennbar‘ argumentative Denken von Alltagstheoreti- – Adressaten wie Akteure. Und je nach kern erfüllt die gleichen Funktionen wie die Blickwinkel, oszilliert das Dual Vermitteln/ wissenschaftliche Theoriebildung: (Welt- Aneignen ebenfalls zwischen Akteur und und Umwelt-)Verhältnisse wollen erkannt, Adressat: Die Autonomie der Adressa- erklärt, vorhergesagt und gegebenenfalls ten und die Autonomie des Pädagogi- verändert werden.26 schen lösen Asymmetrien auf, die nun In diesem Sinne können ‚Subjekte‘ nur noch außerhalb der Systemgrenzen sich und andere als Wissenschaftler er- des Pädagogischen – über Macht, Recht, kennen und beobachten, die die eigenen Eigentum30 etc. – (re-)aktualisiert werden sowie die Erlebnisse und Bedürfnisse an- können. Der Adressat als psychisches derer in Verhältnisse setzen.27 Aus dieser System ist zu komplex als von einem Ak- Perspektive betrachtet, sind es einzelne teur angemessen verkraftet, bearbeitet Subjekte, die Entscheidungen treffen, um und in seiner interaktionsbezogenen Kon- Interessen zu wahren, je vor dem Hinter- sequenz, angeeignet werden könnte.31 grund von Erfahrungen bezüglich der Er- Das gilt natürlich entsprechend für die folgswahrscheinlichkeit ihres Handelns.28 Perspektive des Adressaten auf den Ak- Diese Annahmen über ‚Menschen‘ und teur und macht auf allen Seiten den Ein- ‚menschliches‘ Verhalten als zentraler Be- satz von Heuristiken notwendig. standteil im doppelten Sinne ‚subjektiver‘ Theorien – Subjekte kommunikativ hervor- 3.2. Nicht-Erkennbar? Zur Notwendigkeit bringend und beschreibend – generieren von Heuristiken Erwartungen, kalkulieren Erwartbarkeiten und fungieren somit als Komplexitätsre- Die Berücksichtigung aller Perspektiven duktionsmechanismen und Vertrauensge- der Beteiligten Akteure und deren Re- neratoren, die den alltäglichen Umgang levanz wäre nötig, ist aber (noch) nicht miteinander überhaupt erst möglich und möglich. Ein entsprechender Algorithmus 1 / 2020 Pädagogische Rundschau 69 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
müsste gleich einem Pascal´schen Dämon der im Wechselspiel mit der Entwicklung das Erleben aller Akteure beobachten und der subjektiven Theorien involvierter Ak- untereinander sowie zu deren je individu- teure von statten geht: Den Subjekten – ellen Bedürfnissen in Verhältnisse setzen, als Akteure wie als Adressaten – wurden um absolute Erwartbarkeit von Interaktio- und werden in diesem Prozess immer all- nen bei bestimmten Entscheidungen ge- gemeiner, konsistenter und konsequenter, nerieren zu können. Folglich wird es wohl gleichermaßen besondere Eigenschaften, immer notwendig bleiben, heuristisch vor- Fähigkeiten, Kompetenzen und Rechte zu- zugehen. Zunächst gilt es, die Bestandtei- gesprochen; damit einhergehend wächst le unseres begrenzten, aber zugänglichen das Interesse, dem gerecht zu werden. Wissens zu identifizieren, die geeignet Die erfolgreiche Entwicklung inklusiver sein können den Einfluss aller für den und inkludierender Strukturen in Schule ‚Forschungszusammenhang‘ relevanten und anderswo, so ist demzufolge anzu- Erlebnisse, Bedürfnisse und Verhältnisse nehmen, steht in direktem Zusammenhang als beobachtbare Merkmalsausprägungen zu den subjektiven Theorien der Akteure zu symbolisieren. Es stellt sich dem Heu- und deren (Weiter-)Entwicklung sowie der ristiker also vordergründig die Frage: Was Übereinstimmung persönlicher mit insti- sind die zentralen Persönlichkeitsmerkma- tutionalisierten Annahmen, welche die im le von Akteuren für eine – aus welcher Ak- Entwicklungsprozess angestrebten Ziele teur- oder Systemperspektive auch immer begründen. bestimmte – ‚erfolgreiche‘ Schulentwick- lung; und entsprechend ‚hintergründig‘: 4.1. Vermittlung aneignen! Schulentwick- für Entwicklung von Entwicklung über- lung als Zumutung? haupt? Solange das Pädagogische (und damit vor- nehmlich – die Schule) auf Selektion und 4. Die Entwicklung des damit auf Exklusivität abstellen konnte, war Pädagogischen Aneignung eine Selbstverständlichkeit: Der Prozess des Vermittelns begründete Subjektive Annahmen der Akteure über die Aneignung des vermittelten Wissens, sich selbst, ihre Interaktionspartner aber solange es einer Auswahl gelingen konnte. auch ‚den Menschen‘ im Allgemeinen Alle anderen waren dann als Teilnehmer wirken sich im Rahmen von Schulentwick- des Angebots nicht vermittelbar, da sie lung auf die konkreten Entscheidungen der Zumutung nicht gewachsen waren. der Akteure in den organisationsspezi- Je komplexer die Gesellschaft, desto viel- fischen Interaktionsmustern aus. Konst- fältiger die Inhalte, Teilnehmer, Methoden, rukte, deren Ausprägung für den Erfolg Strukturen und Ansprüche an das Päda- von Entwicklungsprozessen strategisch gogische: Lernen wird nicht mehr zwangs- relevant werden können, ergeben sich läufig als Folge des Lehrens erkannt, aus den vielfältigen Annahmen, die der sondern wird in Abhängigkeit von der Ge- angestrebten Struktur zugrunde liegen. staltung der Vermittlung beobachtet. Es Die Entscheidung zur (inklusiven) Schul- wird zunehmend auch in der Schule An- entwicklung selbst resultiert aus einer gebot statt Zumutung. Lehren, Unterricht Entwicklung der subjektiven Theorien Ein- und Schule, Lehrkräfte müssen sich selbst zelner vor dem Hintergrund kollektiv orga- an der erfolgreichen Aneignung durch die nisierter Erwartungen. Das Organisieren Teilnehmer im Code besser/schlechter der Erwartungen ist selbst ein Prozess, (und ggf. geeignet/ungeeignet) messen 70 Pädagogische Rundschau 1 / 2020 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
lassen; und nicht mehr nur die Teilnehmer oder nicht, ändert nichts daran, dass sie bezüglich ihrer Fähigkeit erzieherische Zu- nun selbst (autonome) Adressaten sind. mutung aneignend zu ertragen.32 Ihre Fähigkeit zur Aneignung dessen, was Die Pädagogik vermittelt was sie pro- von schulfremden Institutionen und Akteu- grammatisch für vermittelbar hält und die ren im pädagogischen System als vermit- psychischen Systeme können dies nun telbar kommuniziert wird, kann nun auch aneignen oder nicht. Durch diese Ent- von diesen Akteuren im sekundären Code koppelung von Vermittlungsanspruch und besser/schlechter bewertet und zum An- Aneignungsleistung lässt sich an das pä- lass von Selektion genommen werden. dagogische System letztlich kein (exter- Diese Selektion wiederum kann Kommuni- ner) Maßstab anlegen, außer im eigenen kationen in Medien anderer Systeme aus- Code vermittelbar/nicht-vermittelbar.33 lösen, die über Zuteilung von Ressourcen Andere Teilsysteme können aber durch- und Privilegien entscheiden. Das Privileg aus die pädagogischen Programme in des Beamten ist zugleich seine Verpflich- ihrer Wirkung auf die für sie und Ihre Re- tung zur Duldung von Zumutungen: die produktion wichtigen Umwelten im Code Autonomie des Adressaten gegenüber der Selektion besser/schlechter bewer- dem System des Pädagogischen bedeu- ten. Diese Umwelten sind vornehmlich die tet eben nicht zugleich auch Autonomie psychischen Systeme der Adressaten, die des Adressaten gegenüber anderen Teil- zugleich zukünftige Arbeitnehmer, Kon- systemen der Gesellschaft, deren Akteure sumenten und Bürger sind. So wird die Ansprüche an Reproduktionskompeten- Zumutung an das pädagogische System zen im pädagogischen System als Pro- wieder ein Teil seiner Operationen, wenn gramminhalte kommunizieren und damit es gilt zu entscheiden, ob Erfolg bzw. aktualisieren. Misserfolg pädagogischer Programme (besser/schlechter, geeignet/ungeeignet) 4.2. Aneignung vermitteln! Schulentwick- im Verhältnis zu gesellschaftlichen Anfor- lungsberatung als Angebot? derungen vermittelbar sind oder nicht. Die Zumutung der Selbstorganisa- Rolff stellt den „Systemzusammenhang tion, die Kade für den Adressaten de- von pädagogischer Schulentwicklung“36 klamiert, lässt sich vor dem Hintergrund als Wechselwirkung von Organisationsent- der erzieherischen Absicht gegenüber wicklung, Unterrichtsentwicklung und Per- schulischer Vermittlung in der Schulent- sonalentwicklung dar. In allen Bereichen wicklungstheorie resp. Ihrer Methodik - des Systemzusammenhanges konnten Stichwort: ‚Schulentwicklungsberatung‘ seines Erachtens bereits wichtige Erkennt- - wiederfinden, wenn die Einzelschule als nisse gewonnen werden, wie Schulent- selbsttätiger Motor der Schulentwicklung wicklung ‚erfolgreich‘ vorangetrieben bezeichnet wird.34 Es stellt sich die Frage, werden kann. Hohen Forschungsbedarf ob die ‚Adressaten‘ von Neuer Steuerung sieht er jedoch bezüglich der Ursachen und Schulentwicklungsberatung sich in für die in Entwicklungsprozessen häufig dieser autonomen Rolle nicht überfordert auftretende „Implementationslücke“: Or- sehen. Auch die Schulen und Lehrkräfte ganisationsentwicklung erreicht häufig können hier als „Selbstverbesserungssub- nicht den Unterricht, Prozesse brechen jekte“35 betrachtet werden – ob sie wollen ab, oder können nicht alle Akteure glei- oder nicht, ob es ihnen nun vermittelt wer- chermaßen einbinden. Rolff stellt sich die den kann oder nicht, ob sie die nötigen Frage, weshalb dies so häufig geschieht Selbstevaluationskompetenzen aneignen und wo die Steuerungsmöglichkeiten 1 / 2020 Pädagogische Rundschau 71 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
liegen, dem vorzubeugen. Die von ihm Theoriebildung.43 Über die Erkenntnis, in diesem Zusammenhang geforderte dass Einzelschulen als Gestalter von Re- „organisationstheoretische Präzision“37 formmaßnahmen zu gelten haben hinaus, kann möglicherweise durch eine sozial- rückt nun der Einzelne Akteur – z.B. die psychologisch orientierte Einbindung Lehrkraft – in den Fokus des erkenntnis- subjektiver Theorien der an Organisation leitenden Interesses und fand auch bereits beteiligten Akteure und dem von diesen in großangelegten Studien zu Qualität im Theorien bestimmten Entscheidungsver- Unterricht Bestätigung.44 halten geleistet werden. Wenn man dem ‚Menschliches‘ Handeln beruht auf systemtheoretischen Ansatz folgt, dass dem Sinn, den jeder Mensch seinem Han- Organisationen aus Kommunikationen deln gibt und damit auf den Entscheidun- über Entscheidungen bestehen und sich gen der einzelnen Akteure: Es sind niemals durch Kommunikationen über Entschei- Handlungen eines Kollektivs auch wenn dungen reproduzieren, wird deutlich, dass sie so dargestellt werden. Die subjektiven sich die Kommunikation bisher unbewuss- Theorien sind es, die diesem Handeln Sinn ter oder unausgesprochener Entschei- verleihen – umgekehrt sind diese Theorien dungsprozesse direkt in der Reproduktion auch das Resultat des Erlebens mensch- von Organisation niederschlägt.38 Dadurch licher Handlungen und deren Konsequen- ließe sich möglicherweise auch klären, wo zen: Fend spricht vom „Wechselspiel der die Grenzen der Organisation Schule lie- Dynamik von Epistemen (Weltanschauun- gen,39 falls sie denn innerhalb der Gesell- gen), sozialen Ordnungen (Institutionen) schaft überhaupt Grenzen haben kann, da und faktischen Lebensverhältnissen (Le- sie sich als Grenze für andere Organisa- benspraxis).“45 Geschichte als Resultat tionen organisiert. Auf dem Weg zu einer der Einzelhandlungen ihrer Akteure lässt solchen Präzisierung befindet sich Fends sich entsprechend auf die Geschichte von „Neue Theorie der Schule“, diese Weiter- Bildungssystemen übertragen. – Wichtige entwicklung seiner „Theorie der Schule“ Grundlage für das Verstehen von Schul- erweitert den institutionstheoretischen entwicklung ist folglich das Wissen um die Blick, um Perspektiven, die verstärkt den subjektiven Theorien der Akteure. Dieses Akteur in den Blick nehmen.40 Wissen birgt möglicherweise Antworten Rolff bezeichnet das Schulsystem darauf, welche konkreten Handlungen in als „gesellschaftlich-historisch struktu- bestimmten sozialen Ordnungen aufgrund riert, wie auch (als) handelnd-veränder- individueller Anschauungen der Akteure bar“.41 In dieser grundlegenden Aussage erwartet werden können.46 Kade sieht ent- scheint die Bedeutung von persönlichen sprechend in der „… Interaktionsebene die – gesellschaftlich geprägten und Gesell- ‚Achillesferse‘ des pädagogischen Sys- schaft zugleich verändernd beeinflussen- tems, weil hier die Probleme ‚ausagiert‘ den – Annahmen der konkreten Akteure werden, die sich aus der Systembildung für die Gestaltung und Entwicklung des für die Akteure gerade ergeben und die zu- Schulsystems auf. Das ursprüngliche Ver- gleich die operative Schließung des päda- ständnis von Schulentwicklung als Sys- gogischen Systems empirisch erschweren tementwicklung wurde dementsprechend oder gar unmöglich machen.“47 Er dreht die erweitert und die „Einzelschule als Hand- herkömmliche Sichtweise, dass Profession lungseinheit“42 rückte als institutioneller und Organisation des Pädagogischen das Akteur in den Fokus. Fend führte die Be- pädagogische System hervorbringen und deutung der einzelnen Akteure und deren steuern, um: Das pädagogische System konkrete Handlungen zurück ins Feld der mit seinem Code reguliert die Programme, 72 Pädagogische Rundschau 1 / 2020 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
welche die Organisationen und Professio- zugleich Formen einer Methodik in quasi nen bestimmen. Letztere sind nur noch erzieherischer Absicht dar, um bestimm- mögliche Formen der Gestaltung der Ver- te Einstellungen und Haltungen sowie hältnisse des pädagogischen Systems zu die Wichtigkeit ihrer Anerkennung und seiner Umwelt. Die Betrachtungen im Rah- Aneignung zu vermitteln, um den Her- men der Erforschung subjektiver Theorien ausforderungen an Schulentwicklung ge- von Lehrkräften fallen somit in den Bereich recht werden zu können. Dieser Prozess der „Reflexion des pädagogischen Sys- zeichnet das ‚Pädagogische‘ schon immer tems auf sich als System in Differenz zur aus, tritt aber angesichts der immer um- Umwelt.“48 Es stellt sich also die Frage, wie fassenderen Vermittlungsnotwendigkeit arrangiert sich Gesellschaft „… mit dem im Rahmen (inklusiver) Schulentwicklung durch die Autonomisierung des pädagogi- immer deutlicher zu Tage: Konkurrieren schen Systems erzeugten Machtverlust pä- doch zahlreiche andere Wissensbereiche dagogischer Handlungssubjekte, was die mit den hergebrachten Institutionen der an normativen Kriterien von Selbstbestim- Bildung und Erziehung – und verfügen mung und Selbstorganisation, individueller doch diese und andere Organisationen und gesellschaftlicher Zukunft orientierte über wesentlich mächtigere und einfluss- Bestimmung der zu vermittelnden Inhalte reichere Techniken zur Generierung von angeht?“49 Wissen und dessen Verbreitung; auch und Für Kade steht fest, dass die Aus- gerade über Wissen, dass die Subjekte wahl der pädagogisch relevanten Inhalte, als Personen in ihrer systemischen Vernet- vormals die Funktion der pädagogischen zung betrifft und hochgradig daran teilhat Professionen und Organisationen, bevor oder haben kann, ob sie – als Akteure oder sich ein System ausdifferenzierte – nun Adressaten – als vermittelbar angesehen der Öffentlichkeit überantwortet und damit werden oder nicht (Stichworte: Soziale von allen gesellschaftlichen Teilsystemen Netzwerke, Big Data Mining, Künstliche mitbestimmt wird. – Womit wir diesbezüg- Intelligenz). Entsprechend müssen die lich wieder am Anfang einer Entwicklung ‚klassischen‘ pädagogischen Institutionen angelangt sind, die zur Entstehung von reagieren, – besser noch: agieren und Schule und Pädagogik führte: Eine Kultur, vorausschauend operieren – was die Ge- die sich selbst reproduziert. nerierung und Nutzung von Wissen über die eigene Genese angeht. Es gilt Trans- parenz und Konsequenz bezüglich der 5. ‚Pädagogische‘ Forschung? Vermittelbarkeit der eigenen Kompeten- zen herzustellen. Welche Einstellungen Am Beispiel der Inklusionsprozesse zeigt von Lehrkräften sind in einem inklusiven sich besonders deutlich, wie das pädago- (Schul-)System noch vermittelbar, wel- gische System sich über den Code ‚ver- che Methoden, Sozialformen, Strukturen mittelbar/nicht-vermittelbar‘ reproduziert. und Praktiken sind es? Die Instrumente Zahlreiche empirische Studien befassen Neuer Steuerung und deren Einsatz haben sich mit den Bedingungen der (inklusiven) bereits damit begonnen Schule(n) und Schulentwicklung.50 Ein besonderer Fokus Lehrkräfte selbst zum Gegenstand von liegt dabei auf den Einstellungen und Erziehung zu machen und den pädagogi- Einschätzungen der Lehrkräfte51– denn schen Codes zu unterwerfen: Die Instru- diese entscheiden offenbar maßgeblich mente der Schulentwicklungsforschung (mit) darüber, was als vermittelbar wahr- und -beratung stellen Programme der Ver- genommen wird. Diese Studien stellen mittlung und Aneignung dar. 1 / 2020 Pädagogische Rundschau 73 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
Die Auseinandersetzung mit subjek- niederschlagen können. Was geschieht tiven Theorien (über ‚menschliches‘ Ver- nun, wenn Einzelschulen und Lehrkräfte halten) kann folglich auch und gerade da zum Adressaten von Akteuren werden, einen Beitrag leisten, wo es darum geht, die im Auftrag anderer gesellschaftlicher zu klären „welches die Entwicklungsbedin- Teilsysteme pädagogisch kommunizieren, gungen in dieser Gesellschaft sind, welche Programme erstellen, Vermittlung anbie- Interessen Schulentwicklung lenken“52, ten, Aneignung fordern und außerdem indem sie die bestehenden Strukturen of- Schulen und Lehrkräfte – im Sekundär- fenlegt, die dem individuellen, habituellen, code: besser/schlechter und im Tertiär- strategischen Handeln – als strukturierte code: geeignet/nicht-geeignet – in Hinblick und strukturierende Struktur53– zugrunde auf die Fähigkeit bewerten, das als vermit- liegen, die bisher noch nicht explizit im telbar erkannte auch tatsächlich vermitteln Rahmen von Entscheidungsfindung im zu können: z.B. inklusiven Unterricht, Digi- Prozess der Organisationsentwicklung talisierung, Berufsorientierung. kommuniziert wurden. Möglicherweise ist die vorliegende In unterschiedlichen Kontexten der Ent- Darstellung eine Zumutung und vielleicht wicklung speziell von Schulen aber auch (auch) ein Angebot. Es wird sich zeigen, Organisationen allgemein, lassen sich ei- ob es vermittelbar ist, dies autonomen Ak- nige Merkmale subjektiver Annahmen von teuren und Adressaten zuzumuten oder ob und über die beteiligten Akteure erkennen, diese von sich aus bereit sind das Angebot die offenbar immer eine Rolle spielen (sol- anzunehmen. ‚Erkennbar‘ wird dies aber len) z.B. Vertrauen(-swürdigkeit), Koope- letztlich allein einem Subjekt sein, da es rativität, Selbstbestimmung, Motivation, nur für sich allein tatsächlich wissen kann, Entscheidungsfreude, Lern- und Leistungs- ob es hinter dem Angebot eine erzieheri- bereitschaft, Ressourcenorientierung.54 sche Absicht erkennt und die verlangte An- Diese Merkmale finden sich entsprechend eignung als Zumutung empfindet oder ob regelmäßig in präskriptiven Konzepten es diese Zumutung als ein Angebot wahr- und Entwürfen für Change-Management, nimmt, dass es sich zu eigen machen gilt. Unternehmensführung, Organisations- und Das ‚Schulsystem‘ ist nun erkenn- natürlich: (inklusiver) Schulentwicklung.55 bar als ‚Begegnungsstätte‘ in doppeltem Und das gilt wiederum in beiderlei Hin- Sinne: Es organisiert die Begegnung der sicht: bezüglich der ‚subjektiven Theorien‘ Akteure und Adressaten – und es organi- über die Teilnehmer und bezüglich der Be- siert die Begegnung der Kommunikatio- deutung dieser subjektiven Theorien bei nen unterschiedlicher Funktionssysteme; den Akteuren – also den subjektiven Theo- diese Begegnungen können hier in Bezug rien über subjektive Theorien – für deren zueinander gesetzt werden – und zwar un- Aneignung der Programme zur Vermitt- abhängig von jeglicher Intentionalität aber lung. Die Figur des Teilnehmers (Adressat nicht unabhängig von der (gesellschaft- wie Akteur) ist zentral, da sich in Ihr die lichen) Intention, dass dies geschehen strukturelle Kopplung von pädagogischem soll. Folglich können Kommunikationen in und psychischem System biographisch der Schule pädagogisch sein, müssen es aktualisiert: Sie können sich gegensei- aber nicht. Andererseits können pädago- tig als jeweilige Umwelt irritieren und gische Kommunikationen von außen an perturbieren und damit Entwicklungen, Schule herangetragen werden, da auch Bildungsprozesse und Innovationen (auf andere Institutionen Begegnungsstätten beiden Seiten) befördern, die sich auf Pro- darstellen, in denen Kommunikationen auf- grammebene sowie auf Interaktionsebene einander bezogen werden, wodurch die 74 Pädagogische Rundschau 1 / 2020 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
Systeme interpenetrieren. Das Resultat Yvonne; Lenzen, Dieter (Hrsg.): Beobach- können klare pädagogische Anforderun- tungen des Erziehungssystems. System- theoretische Perspektiven. VS Verlag für gen sein: was Schule denn zu vermitteln Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006. S. hat, wer in Schule zu vermitteln ist, wel- 13 – 25), die Intelligenz (Baecker, Dirk: Er- che Methoden dazu vermittelt werden soll- ziehung im Medium der Intelligenz. In: Eh- ten – an die angehenden Lehrkräfte zum renspeck, Yvonne; Lenzen, Dieter (Hrsg.): Beispiel. Dazu gehört auch die Bewertung Beobachtungen des Erziehungssystems. der bereits zurückliegenden Vermittlungs- Systemtheoretische Perspektiven. VS Verlag prozesse: was ist unter welchen Vermitt- für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006. S. 26 – 66). lungsbedingungen besser oder schlechter 4 Kade, Jochen: Vermittelbar/nicht-vermittel- in Bezug auf die Aneignungsleistung der bar: Vermitteln: Aneignen. Im Prozeß der Sys- Adressaten? Zu den Vermittlungsprozes- tembildung des Pädagogischen. In: Lenzen, sen im Pädagogischen gehören natürlich Dieter; Luhmann, Niklas (Hrsg.): Bildung und entsprechend auch alle Kommunikatio- Weiterbildung im Erziehungssystem. Suhr- nen die in seinen Medien (z.B. Kind, Wis- kamp, Frankfurt 1997. S. 30 – 71. S. 37. sen, Intelligenz, Lebenslauf) den Codes 5 „Die Absicht zu Erziehen bildet die Einheit des Erziehungssystems“ (Luhmann, Niklas: Das unterworfen werden: Die Ausbildung von Erziehungssystem der Gesellschaft. Suhr- Lehrkräften, deren Fortbildung, deren kamp, Frankfurt am Main 2002) – schließt Kompetenzen, deren Persönlichkeitsmerk- aber damit offenbar reine Bildungsangebote male, deren zum Ausdruck gebrachten aus. Haltungen und Einstellungen. – Und auch 6 Dazu gerne Luhmann 1987 a.a.O.; Kurtz, die Entscheidung ob diese Codierungen Thomas: Erziehung, Kommunikation, Per- son. Zur Stellung des Erziehungssystems selbst (an Akteure wie Adressaten) ver- in einem besonderen Quartett gesellschaft- mittelbar sind, besser sind, geeignet sind. licher Funktionen. In: Ehrenspeck, Yvonne; Dort sind die Bedingungen zu suchen und Lenzen, Dieter (Hrsg.): Beobachtungen des zu finden, die Erwachsenen das Erdulden Erziehungssystems. Systemtheoretische Per- von Zumutungen als Angebote vermitteln spektiven. VS Verlag für Sozialwissenschaf- können und dazu beitragen, dass sie diese ten, Wiesbaden 2006. S. 113 – 131.) wahrnehmen, annehmen, anerkennen. 7 „Im Entgrenzungsdiskurs bleibt noch unge- klärt, wie die durch zunehmende Pluralität, ja, Beliebigkeit pädagogischer Ziele, durch thematisch-inhaltliche Ausdehnung, massen- Anmerkungen mediale Erweiterung der Reichweite und die umfassende soziale Inklusion der Bevölke- 1 Lenzen, Dieter; Luhmann, Niklas (Hrsg.): rung gewachsene Komplexität des Pädago- Bildung und Weiterbildung im Erziehungssys- gischen theoretisch wieder unter Kontrolle tem. Suhrkamp, Frankfurt 1997. S.2. gebracht werden kann.“ (Kade 1997, a.a.O. 2 Zur Differenzierung gesellschaftlicher Funk- 32). Im Jahr 2018 betrug laut Statista) die tionssysteme siehe bspw. Luhmann, Niklas: tägliche Internetnutzung bei Jugendlichen Soziale Systeme. Grundriss einer allgemei- 214 Minuten, das entspricht ca. 1300 Stun- nen Theorie. Suhrkamp, Frankfurt am Main den jährlich (Statista: https://de.statista. 1987. S. 37f und 261f. com/statistik/daten/studie/168069/umfrage/ 3 Oder vielleicht besser in den Medien, da taegliche-internetnutzung-durch-jugendliche/ es hierfür mehrere Angebote gibt: z.B. das (aufgerufen am 12.03.2019)). Rechnet man Kind (Luhmann, Niklas: Das Kind als Me- mit durchschnittlich sechs Unterrichtsstun- dium der Erziehung. Suhrkamp, Frankfurt am den á 45 Minuten pro Schultag, dann bleiben Main 2006), der Lebenslauf (Kade, Jochen: nach Abzug der Ferien für 40 Schulwochen Lebenslauf – Netzwerk – Selbstpädagogi- ca. 200 Schultage á 4,5 Stunden: 900 Stun- sierung. Medienentwicklung und Strukturbil- den. Beliebige Inhalte, die von den Interes- dung im Erziehungssystem. In: Ehrenspeck, sen der Schüler sowie den Interessen der 1 / 2020 Pädagogische Rundschau 75 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
Internetanbieter gemeinsam gestaltet, vermit- 16 Exemplarisch: Altrichter, Herbert; Maag- telt und angeeignet werden nehmen also fast Merki, Katharina (Hrsg.): Handbuch Neue 50% mehr Aufmerksamkeit in Anspruch als Steuerung im Schulsystem. Springer VS, schulischer Unterricht. Wiesbaden 2016. 8 Kade 1997, a.a.O. S.35. 17 Vgl. dazu auch Kurtz 2006, a.a.O. 9 Dies wirkt sich nicht nur auf die Kommuni- 18 Angesichts der bisherigen Ausführungen und kationen im Pädagogischen System aus, im Kontext systemtheoretischer Betrachtun- sondern auch und gerade in den anderen gen erscheint der Ausdruck ‚inklusive Schul- Funktionssystemen (Religion, Recht, Ge- entwicklung‘ als Pleonasmus. sundheitswesen), die bisher nicht über ein Er- 19 Es ließe sich ein in doppelter Richtung an- folgsmedium sondern über ihre Professionen wendbarer Code von ‚geeignet/nicht-ge- die Wahrscheinlichkeit der (erwünschten) eignet‘ einsetzen, der auf den Adressaten in systeminternen Kommunikation erhöhen (vgl. Bezug auf die Vermittlung, sowie auf die Ver- Kurtz 2006, a.a.O. S. 121ff).Der Begriff des mittlung (und die Vermittler) in Bezug auf den Individuums sowie auch des Subjekts stellt Adressaten operieren kann: eine Drittcodie- in diesem Zusammenhang keine – in wissen- rung, die möglicherweise den Code ‚besser/ schaftlichem Sinne – ‚erkennbare‘(siehe hier schlechter‘ fruchtbar ergänzt und zudem die unten Endnote 10) Realität dar, sondern le- Oszillation des Pädagogischen zwischen so- diglich eine kommunikative Wirklichkeit: Die zialen und psychischen Systemen markiert. Annahme der Existenz von Individuen, resp. 20 Vgl. Kade 1997, a.a.O. S.50. Subjekten und ihre kommunikative Reproduk- 21 Kade 1997, a.a.O. S.51f. tion wirkt sich fundamental auf die pädagogi- 22 Zum systemtheoretischen Begriff der Kon- sche Kommunikation aus – und entscheidet tingenz ausführlich: Luhmann 1987, a.a.O. darüber, was, wer und wie vermittelbar ist. S.148ff. 10 Kade 1997, a.a.O. S.38ff; dazu auch Luh- 23 Kade 1997, a.a.O. S.51. Im Zusammenhangt mann 2002, a.a.O. S.73. „Der Code (…) von biologischer und sozialer Evolution dazu markiert Grenzen innerhalb des in der Gesell- auch Scheunpflug 2006, a.a.O. schaft unterschiedslos zirkulierenden Wis- 24 Vgl. z.B. Husserl, Edmund: Erfahrung und sensstromes. Er gibt dem gesellschaftlichen Urteil. Meiner, Hamburg 1972. §10. Vermittlungsmedium Wissen eine eigene, 25 Vgl. z.B. Maslow, Abraham H.: Motivation nämlich pädagogische Form, etwa als Bil- und Persönlichkeit. Walter, Olten 1977.; Ha- dungs- bzw. Lehr-/Lerninhalt.“ (Kade 1997, bermas, Jürgen: Erkenntnis und Interesse. 39f) Analog bemerkt Kade ähnliche Schwie- Suhrkamp, Frankfurt am Main 1973. rigkeiten bezüglich des Codes der Wissen- 26 Vgl. u.a. Laucken, Uwe: Naive Verhaltens- schaft „wahr/unwahr“ – den er zugunsten des theorie: ein Ansatz zur Analyse des Kon- (Primär-)Codes von „erkennbar/nicht erkenn- zeptrepertoires, mit dem im alltäglichen bar“ einer ähnlichen Öffnung in Bezug auf die Lebensvollzug das Verhalten der Mitmen- Selbstanwendung zuführen möchte – (ebd.; schen erklärt und vorhergesagt wird. Klett, Fußnote 23). Dies wird weiter unten in Bezug Stuttgart 1974.; Scheele, Brigitte; Groeben, auf subjektive Theorien der Akteure noch eine Norbert: Dialog-Konsens-Methoden zur Re- Rolle zu spielen haben. konstruktion subjektiver Theorien. Francke, 11 Luhmann (2002, a.a.O. S.59) bezieht den Marburg 1988. Code in diesem Sinne auf „Themen“ und 27 Vgl. z.B. Kelly, George: The psychology of „Zöglinge“. personal constructs, W. W. Norton, New 12 Zum Beispiel durch das Propagieren kommu- York 1955. nikativer Wirklichkeiten wie bspw. Individuum 28 Vgl. z.B. Dewey, John: Experience and Edu- und Subjekt mit den entsprechend resultie- cation. Collier-Macmillan, London 1938. Be- renden Vermittlungsnotwendigkeiten! sonders S.36ff 13 Kade 1997, a.a.O. S.41. 29 Subjektive Theorien leisten offenbar das, was 14 vgl. Scheunpflug 2006, a.a.O. S.242f. alles „wissenschaftlich gesicherte Wissen“ 15 Exemplarisch: Buhren, Claus G.; Rolff, Hans- über den Menschen aufgrund des „Fehlen[s] Günter (Hrsg.): Handbuch Schulentwick- interdisziplinär tragfähiger Theorievorstel- lung und Schulentwicklungsberatung. Beltz, lungen“ nicht zu leisten vermag, da „all dies Weinheim 2017. Wissen nicht zur Vorhersage menschlichen 76 Pädagogische Rundschau 1 / 2020 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
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