Schützen, helfen, koordinieren
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TERRORANSCHLAG IN WIEN Polizeikräfte waren nach dem ersten Notruf über eine Notruf- und Einsatzdisponenten Thomas F. und Christian H. ko- Schießerei in der Wiener Innenstadt rasch vor Ort. ordinierten zusammen mit Kollegen den Einsatz in der LLZ. Schützen, helfen, koordinieren Schüsse fallen, Leute geraten in Panik und flüchten, 133 wird gerufen. Um Menschen zu schützen, haben Polizistinnen und Polizisten ohne zu zögern ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt. in lauer Allerseelentag neigt sich „Das Schwierige in einer derartigen Si- brücken in besonders angespannten Si- E dem Ende zu. Die Menschen in der Wiener Innenstadt nützen den letz- ten Abend, bevor Restaurants und Lo- tuation ist, Anrufe mit wesentlichen Hinweisen von Anrufen mit Falschmel- dungen oder mit verzerrten Wahrneh- tuationen dienen sollen, nach dem An- schlag auf den Pariser Konzertsaal Bataclan erstellt. Damit wir vorbereitet kale, bedingt durch die Corona-Pande- mungen von in Panik geratenen Men- sind, sollte es in Wien zu einem Ernst- mie, schließen müssen. Diesen Zeit- schen auseinanderzuhalten“, sagt fall kommen“, erläutert Seidl. punkt des gesellschaftlichen Beisam- Oberst Peter Seidl, Leiter der Landes- menseins und der Unbeschwertheit leitzentrale Wien. „Es hat Anrufer ge- Die Zusammenarbeit der Notrufbe- nützte ein Attentäter, der mit der geben, die meldeten Täter mit Lang- amten und Funksprecher, die die unzäh- Terrororganisation „Islamischer Staat“ waffen, die sich in der U3 befinden ligen Hinweise von aufgeregten Zeu- sympathisierte, um seiner Abneigung würden. Die Anrufer und Zeugen haben gen, und die zahlreichen Meldungen gegen die österreichische Gesellschaft teilweise, bedingt durch Chaos und Pa- der im Einsatz befindlichen Polizisten freien Lauf zu lassen. Das blutige Re- nik, den Attentäter von bewaffneten zusammengefasst und in komprimier- sultat des Hasses des jungen Mannes Spezialkräften der Polizei nicht unter- ter, koordinierter Form an weitere, zum sind vier Tote und 23 teils schwer Ver- scheiden können. Deshalb war anfangs Tatort eilende Einsatzkräfte, weiterge- letzte. Unter den Verletzten befindet auch nicht klar, ob es sich um einen geben haben, hat hervorragend funktio- sich ein junger Polizist, der sich dem Einzeltäter oder um mehrere Täter ge- niert. „Neun Minuten, nachdem der er- Attentäter in den Weg stellte und ange- handelt hat. Darüber hinaus langen in ste Funkspruch mit dem Hinweis, dass schossen wurde. einer solchen Ausnahmesituation viele im ersten Bezirk Schüsse gefallen sind, Meldungen über Verletzte und Funk- abgesetzt worden war, meldete die Panik, Chaos, Fehlinformationen. sprüche der am Einsatz beteiligten Kol- Streife Sektor 1, eine Streifenbesatzung Am Abend des 2. November 2020, we- legen bei uns ein. Die größte Heraus- der Spezialeinheit WEGA, dass der Tä- nige Sekunden nach 20 Uhr, wählte ein forderung besteht darin, inmitten dieser ter neutralisiert worden sei“, berichtet Passant den Polizeinotruf und wurde in Informationsflut nicht den Überblick zu Seidl. die Landesleitzentrale (LLZ) der Lan- verlieren. Das ist enorm wichtig, um despolizeidirektion Wien verbunden. die Situation richtig einschätzen und Psychische und physische Belas- Der Anrufer meldete einen Schuss- weitere Schritte planen zu können“, tung. Der Einsatz der beiden Notruf- wechsel im Bermudadreieck. Auf gibt Seidl zu bedenken. und Einsatzdisponenten, die von An- Nachfrage des Notrufbeamten, ob er die fang an am Einsatz beteiligt waren, Schüsse gehört oder einen Schützen ge- Checklisten. Für diese „heiße Phase“ dauerte an diesem Tag 12 Stunden – 12 sehen habe, entgegnete der Anrufer: wurden eigene Checklisten erstellt. Stunden ohne Pause, die den Polizisten FOTOS: GERD PACHAUER, LPD WIEN „Wir haben die Schüsse gesehen und Checklisten mit Handlungsanweisun- vollste Konzentration abverlangten. gehört. Und wir haben gesehen, dass je- gen, die den Notrufbeamten und Funk- „Schüsse werden tagtäglich am Notruf mand weggelaufen ist.“ Das war der er- sprechern helfen sollen, die Übersicht gemeldet – es handelt sich meistens um ste von rund 2.000 weiteren Notrufen, in derart dynamischen und stressigen Knallkörper oder um Falschmeldungen. die im Sekundentakt, zwischen 20 Uhr Situationen zu behalten. „Wir haben die Deshalb sind wir ganz zu Beginn von und Mitternacht, die Landesleitzentrale Checklisten, die den Einsatzbeamten einer regulären Gefahrenerforschung am Wiener Schottenring erreichten. und auch den Kommandanten als Esels- ausgegangen. Als sich aber dann sekün- 6 ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 1-2/21
WEGA-Beamte neutralisierten den Attentäter, durchkämmten die Innenstadt und brachten Menschen in Sicherheit. dlich die Meldungen über Schüsse wie- einer Kommandozentrale vor Ort, die Einsatzkommando vor Ort – im Brenn- derholten, war uns schnell klar, dass Festlegung von Funkkanälen, um eine punkt. „Ich bin unmittelbar, nachdem wir uns in Richtung Ausnahmezustand geordnete Kommunikation der zahlrei- der Terrorist gestoppt worden war, am bewegen“, schildert Revierinspektor chen Einsatzkräfte gewährleisten zu Morzinplatz eingetroffen. Zu diesem Christian H., Notruf- und Einsatzdispo- können, die Einrichtung von Sanitäts- Zeitpunkt war die Lage absolut unklar. nent. Die erfolgreiche und effiziente stellen, gemeinsam mit der Rettung, die Ich habe mich in Begleitung zweier Einsatzabwicklung in dieser Ausnah- Verständigung und Absprache mit den Kollegen zu den Einsatzkräften der mesituation ist auf das gut eingespielte Verkehrsbetrieben, mit dem Magistrat WEGA vorgearbeitet. Diese haben den Zusammenwirken verschiedener Ak- der Stadt Wien und dem Gesundheits- am Boden liegenden Terroristen mit teure zurückzuführen, vergleichbar mit verbund. ihren Sturmgewehren gesichert. Ich bin den Rädchen in einem Uhrwerk. „Vor „Bei derartigen Einsätzen sind neben von dort in Richtung Ruprechtsplatz allem das ruhige und besonnene Vorge- der Neutralisierung des oder der At- weitermarschiert, wo sich Tote und hen des polizeilichen Einsatzkomman- tentäter eine Reihe weiterer Umstände Verletzte befunden haben. Unterwegs danten vor Ort, in der roten Zone, hat zu berücksichtigen. Man denke an die begegnete ich mehreren Gruppen der uns in der Funkstelle extrem dabei ge- Versorgung von Verletzten, die Evaku- Bereitschaftseinheit, Sektorkräften der holfen, diese unübersichtliche Situation ierung von Menschen aus Gefahrenbe- WEGA, Cobra-Beamten und Bezirks- zu meistern“, fasst der Revierinspektor reichen, die Regelung des Verkehrs, die kräften. Zu diesem Zeitpunkt wurden zusammen. Errichtung eines Verkehrssperrkreises über Funk Meldungen über angebliche und Blaulichtkorridors, damit Rettungs- weitere Schüsse an verschiedenen ande- Einsatzkoordinierung und Zusam- wägen ohne Verkehrsbehinderungen ren Orten durchgegeben. Ich musste menarbeit. Bei Einsätzen mit höchster die Spitäler anfahren können, der mir schnellstmöglich ein persönliches Priorität spielt die koordinierende Ar- Schutz von diplomatischen Vertretun- Bild von der Situation machen. Nur so beit verschiedener Einsatzstäbe eine be- gen, internationalen Organisationen war ich in der Lage, weitere Entschei- deutende Rolle. Der polizeiliche Ein- oder Einrichtungen der kritischen Infra- dungen zu treffen“, schildert Ihle die satzstab „DELTA“ wurde in der Lan- struktur. Darüber hinaus geht das Leben Anfangsphase. Der Kommandant eilte despolizeidirektion am Schottenring in einer Großstadt weiter bis zum Hohen Markt. „Ich hatte FOTO: BERNHARD ELBE, GEORGES SCHNEIDER/PICTUREDESK.COM eingerichtet. Neben der Verständigung auch während eines die Absicht, am Hohen Markt, gemein- polizeilicher Spezial- und Sonderein- Attentats weiter“, sam mit Hilfskräften der Rettung, eine heiten wie des Einsatzkommandos schildert Oberst Sanitäts-Hilfsstelle zu errichten. Um ei- Cobra/Direktion für Spezialeinheiten Peter Seidl. ne sichere Versorgung von Verletzten (DSE), der Hubschrauberstaffel der zu ermöglichen, die in vertretbarer Flugpolizei oder des Entschärfungs- Rote Zone. Der Nähe zu den Tatorten liegt, gut erreich- dienstes fallen viele weitere Aufgaben Kommandant der bar und abzusichern ist, ausreichend in die Kompetenz des Stabes. Dazu Bereitschaftsein- Raum bietet und eine getrennte Zu- und zählen die Bewertung der eingehenden heit (BE), Oberst Abfahrt ermöglicht“, erläutert Ihle. Berichte zur Erstellung eines ersten La- Manfred Ihle er- Manfred Ihle BA Nach einer Gefahrenprognose und sorg- gebildes, die Bestimmung eines polizei- richtete eine Ein- MA, übernahm am fältiger Beurteilung der Lage, wurde lichen Kommandanten, der das Einsatz- satzzentrale in Abend des 2. No- die Sanitätsstelle dann aber am Franz- geschehen vor Ort leitet, die Festlegung einem Lokal. vember vorerst das Josefs-Kai errichtet. ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 1-2/21 7
TERRORANSCHLAG IN WIEN Kommandostruktur vor Ort. Zur Be- wältigung der Situation war die Errich- tung einer Einsatzzentrale vor Ort un- umgänglich – eine mobile Einsatzzen- trale (MEZ) stand dem Kommandanten zu diesem Zeitpunkt nicht zur Verfü- gung. „Eine mobile Einsatzzentrale wäre in der roten Zone nicht zielführend gewesen. Darum habe ich, um den ge- fährlichen Angriff zu beenden, und zur ersten allgemeinen Hilfeleistung, ein geeignetes Lokal in Anspruch nehmen müssen“, führt Ihle aus. Einsatzeinheiten der Polizei sicherten Plätze in der Wiener Innenstadt. Das Sicherheitspolizeigesetz (SPG) räumt Organen des öffentlichen Sicher- wusst, verschiedenste Führungsgrund- liche Einsatzfahrzeuge müssen anhalten heitsdienstes die Befugnis ein, fremde sätze angewendet, um Ordnung in das und die Einsatzkräfte ihre schwere Sachen in Anspruch zu nehmen, wenn Chaos zu bringen und handlungsfähig Schutzausrüstung anlegen. deren Gebrauch zur Abwehr eines ge- zu bleiben. Einer der wichtigsten Wenig später erreichte die Beamten fährlichen Angriffes oder für die Erfül- Grundsätze für einen Kommandanten die Meldung über Funk, dass ein Kolle- lung der ersten allgemeinen Hilfeleis- in einer derartigen Situation lautet, ge am Morzinplatz angeschossen wor- tungspflicht unerlässlich ist. „Ich habe möglichst viel Auftragstaktik und mög- den war. Viele panische Menschen ein Café ausgewählt und dem Inhaber lichst wenig Befehlstaktik anzuwen- flüchteten zu diesem Zeitpunkt bereits den Ernst der Lage geschildert. Gegen den“, fasst Ihle zusammen. aus der Innenstadt. „Ab da ist uns klar 22 Uhr haben wir den vorderen Bereich gewesen, wir befinden uns in Lebens- in eine Einsatzzentrale umfunktioniert. Von Angesicht zu Angesicht. „Das gefahr und der Täter wird nicht eher Es sind Führungsmittel gebracht und Schlimmste in einer solchen Situation aufgeben, bis er selbst erschossen wor- Skizzen erstellt worden, wir haben La- ist das Chaos. Die Herausforderung den ist“, schildert der Polizist die dra- destationen für die Funkgeräte einge- liegt darin, Realität von Fiktion zu tren- matischen Augenblicke. Als die drei richtet und Einsatzbesprechungen abge- nen“, sagt Brigadier Roman Friedl, Polizisten am Morzinplatz ankamen, halten“, erklärt Ihle die notwendigen Stadtpolizeikommandant des ersten Be- nahmen sie einen verletzten Kollegen Maßnahmen. zirks. „Nachdem ich von den Vorfällen wahr. Sofort erste Hilfe zu leisten, wäre Da nun eine Einsatzzentrale zur Ver- in meinem Zuständigkeitsbereich erfah- zu diesem Zeitpunkt aus einsatztakti- fügung stand, war es dem Einsatzkom- ren habe, bin ich umgehend in den schen Gründen für das Trio lebensge- mandanten vor Ort möglich, den Ein- Dienst geeilt. Wir haben im Stadtpoli- fährlich gewesen. Die Männer hätten satz zu strukturieren – weg von der Ori- zeikommando am Deutschmeister Platz sich dabei der Gefahr ausgesetzt, selbst entierungsphase hin zur organisierten eine kleine Kommandostruktur errich- getötet zu werden. „Im Einsatztraining und geordneten Phase. Dazu wurden tet, mit dem Ziel, dem vor Ort agieren- haben wir gelernt, wie wir uns bei Ter- Einsatzabschnitte gebildet. „Der stell- den Einsatzkommandanten Manfred Ih- ror- und Amoklagen zu verhalten ha- vertretende Stadtpolizeikommandant le und allen weiteren im Einsatz befind- ben. Das Wichtigste in einer solchen des ersten Bezirks, Oberstleutnant lichen Polizisten unsere bestmögliche Situation ist, den Täter zu lokalisieren Alexander Schinnerl, unterstützte mich Unterstützung zukommen zu lassen. und ihn so schnell wie möglich zu stop- in der Zentrale. Er hat die Stabsleitung Nicht zuletzt deshalb, um die nötige pen. Deshalb sind wir aus unserem vor Ort übernommen und war in ständi- Koordination vor Ort zu übernehmen Dienstfahrzeug gesprungen und ge- ger Verbindung mit den Bezirkskräften, und die Zivilisten, die im ersten Bezirk bückt mit gezogener Schusswaffe in die seinem Stadtpolizeikommandanten und unterwegs waren, sicher aus dem Ge- Richtung des Täters gerannt. Am mit der Sicherheitsbehörde – dem fahrenbereich zu geleiten.“ Franz-Josefs-Kai haben wir Deckung Stadthauptmann. Die Zusammenarbeit Gruppeninspektor Christian H. woll- gesucht.“ Wie sich später bei einer Tat- mit Einsatzorganisationen, Verkehrsbe- te an diesem Abend mit zwei Kollegen, ortbegehung herausgestellt hat, handel- trieben, der Stadt Wien aber auch mit darunter ein Polizeischüler, den Ver- te es sich bei der vermeintlichen Deck- Veranstaltern ist enorm wichtig – nur kehr im ersten Bezirk schwerpunkt- ung lediglich um einen spärlichen so kann ein derart komplexer Einsatz mäßig kontrollieren und überwachen. Baum und eine Plastikmülltonne. „In erfolgreich abgewickelt werden.“ „Wir sind gerade zu unserem zivilen diesem Moment haben wir den Täter Am Abend des 2. November fanden Dienstfahrzeug gegangen, als uns ge- erblickt und er hat sich zu uns umge- auch noch zahlreiche Veranstaltungen gen 20 Uhr über Funk die Mitteilung dreht. Ich habe die weiße Oberbeklei- in der Wiener Innenstadt statt, bei- erreichte, dass im Bermudadreieck ein dung, den schwarzen Bart und eine spielsweise in der Staatsoper mit rund Mann mit Schrotflinte wild um sich Langwaffe deutlich erkennen können. 1.000 Besuchern. Die Gäste der Veran- schießen würde“, schildert der 49-jähri- Mir war klar – das ist er“, erinnert sich FOTO: GERD PACHAUER staltungen wurden unter Polizeischutz ge Polizeibeamte. Die Polizisten mach- der erfahrene Polizist. Der Attentäter aus den Gebäuden eskortiert – die Ge- ten sich sofort auf den Weg in Richtung begann aus etwa 60 Metern Entfernung fahr möglicher weiterer Attentate oder Schwedenplatz. Über Funk wurde auf die drei Beamten zu schießen. „Wir Angriffe stand im Raum. „Ich habe, durch die Landesleitzentrale ein „Not- haben zu dritt zurückgeschossen und wahrscheinlich eher unbewusst als be- stopp“ angeordnet. Das bedeutet, sämt- haben ihn so zwingen können, sich in ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 1-2/21 9
TERRORANSCHLAG IN WIEN sche Sperren, Fahrzeuge oder Funkgerä- te rasch und unbürokratisch an die Ein- satzkräfte ausgegeben werden konnten. Einsatzeinheiten (EE) verschiedener Landespolizeidirektionen wurden in der Nacht von 2. auf 3. November 2020 un- ter anderem zum Objektschutz, für Suchaktionen und Evakuierungen her- angezogen, aber auch zur Sicherung der Tatorte für die Spurensicherung. Einer der Wiener EE-Angehörigen ist Chefin- spektor Michael Hendrich, Dienst- führender in der Polizeiinspektion Am Platz unweit des Schlosses Schönbrunn und Zugskommandant in der Einsat- Polizisten kontrollierten Autofahrer in der Nacht des Terroranschlags. zeinheit Wien. Am 2. November 2020 hatte er dienstfrei. Ab ca. 20.30 Uhr er- eine Ecke zurückzuziehen. Auch wir nator für das Einsatztraining im BMI. hielt er die ersten Textnachrichten auf haben uns vorsichtig zurückbewegt. „Die erlernte Taktik haben die erstein- sein Handy: „Schüsse in der Innenstadt, Gott sei Dank sind plötzlich zwei treffenden Streifen am 2. November eine mögliche Terrorlage“. Hendrich schwer bewaffnete Einsatzteams der hervorragend umgesetzt. Deshalb konn- ahnte, dass man bald alle verfügbaren WEGA aufgetaucht und stellten sich te der Angreifer nach nur neun Minuten Kräfte brauchen würde. Er zog sich dem Attentäter. Wir sind vorsichtig zu von einer WEGA-Streife neutralisiert vorsorglich um und machte sich ein- unserem Fahrzeug zurückgegangen. werden.“ satzbereit. „Kurze Zeit später erhielt ich Wir haben uns gegenseitig abgetastet, dann schon einen Anruf von der Poli- um feststellen zu können, ob Blut an Kollegialität, Zusammenhalt, Solida- zeiinspektion, dass wegen einer mut- unserer Kleidung ist, ob wir angeschos- rität. Zahlreiche Polizistinnen und Poli- maßlichen Terrorlage ein Notalarm aus- sen worden sind. Zum Glück ist nie- zisten sind an diesem Abend freiwillig gerufen wurde und ich in die PI kom- mand verletzt worden“, schildert Chri- und unaufgefordert in ihre Dienststellen men soll.“ Wie in solchen Fällen üb- stian H. Obwohl die Beamten gerade geeilt. Nicht nur Polizisten, die im lich, rief er mehrere Kollegen an, die zur Zielscheibe geworden waren, stie- ersten Bezirk Dienst versehen, sondern dienstfrei hatten: „Alle, die ich erreicht gen sie wieder in ihr Fahrzeug. „Nun auch zahlreiche Beamte aus anderen habe, waren bereit, in den Dienst zu waren die Profis der WEGA am Zug – Stadtpolizeikommanden kamen zur Hil- kommen.“ Wenig später fuhr er mit sei- vor Ort konnten wir nichts mehr tun. fe. Da am Großeinsatz im ersten Bezirk nem Auto in Richtung Schönbrunn; Wir sind weiter zur Salztorbrücke ge- Beamte aus ganz Wien eingesetzt wa- sein nächster Weg führte ihn in die fahren, um den Verkehr dort aufzuhal- ren, übernahmen die freiwilligen Helfer Rossauer Kaserne: Als Angehöriger der ten und umzuleiten“, resümiert der die zu besorgenden Aufgaben in den Einsatzeinheit Wien wurde er dort einer Gruppeninspektor. übrigen Bezirken, in den Polizeiinspek- Gruppe zugeteilt. Sein „eigener“ EE- tionen oder sicherten Gebäude wie Bot- Zug war am 2. November nicht im Polizisten im Einsatztraining speziell schaften oder Bahnhöfe. Egal, ob sie im Dienst. „Wir haben Schutzkleidung und geschult. Die steigende Terrorgefahr Urlaub waren, gerade vom Dienst nach Sturmgewehre ausgefasst und dann ab und Amokläufe in anderen Ländern ha- Hause kommen oder am nächsten Tag circa Mitternacht an verschiedenen ben seit 2010 eine spezielle Schulung in der Früh aufstehen mussten. „Ich bin Stellen in der Innenstadt Sicherungspo- der österreichischen Polizisten erforder- unglaublich stolz auf die Polizistinnen sitionen bezogen.“ Die Lage war zu lich gemacht. „In lebensgefährlichen und Polizisten, die im Dienst waren und dieser Zeit noch unklar, „vor allem Einsatzlagen ist zur Vermeidung weite- in den Dienst gekommen sind, um ihre wussten wir nicht, ob es sich tatsächlich rer Toter oder Verletzter ein sofortiges Kollegen zu unterstützen. Alleine im nur um einen Angreifer gehandelt hat.“ Handeln unter hohem kalkulierbarem ersten Bezirk eilten 50 Beamte aus der Die Meldungen über weitere Vorfälle Risiko geboten. Rasch, entschlossen Freizeit in ihre Dienststellen, um zu schienen sich zu überschlagen. Hen- und konsequent muss versucht werden, helfen“, sagt Brigadier Friedl. drichs Kontingent war rund um den FOTO: GEORG HOCHMUTH/APA/PICTUREDESK.COM den Aktionsraum und die Aktionsfähig- Beamte des Bildungszentrums der Karlsplatz im Einsatz. In einem Bank- keit des Angreifers einzuschränken und Sicherheitsakademie Wien unterstütz- foyer entdeckten die Polizisten drei jun- weitere Gefahren abzuwenden. Noch ten ebenso tatkräftig. Neben der Aufbe- ge Männer, die sich hinter einem Ban- vor dem Eintreffen der Spezialkräfte reitung und Ausgabe von Einsatzmit- komaten in Sicherheit gebracht hatten. wurde damit seine Aufmerksamkeit auf teln wie Sturmgewehren und Dienst- „Als wir ihnen gesagt haben, dass sie die Einsatzkräfte gerichtet und damit fahrzeugen, halfen zwei Teams von Po- die Bank nun verlassen können, sind von den Zivilisten abgelenkt. Nur so lizeilehrern bei der Durchsuchung und plötzlich noch gut zwanzig weitere Per- konnte seine Angriffs-, Widerstands- Evakuierung des Konzerthauses sowie sonen aus dem Foyer herausgekommen und Fluchtunfähigkeit in kürzester Zeit mehrerer Lokale. Beamte der Logistik- – vor allem Frauen und Kinder.“ Die herbeigeführt werden“, erläutert Oberst abteilung der LPD Wien sorgten dafür, Beamten begleiteten die verängstigten Hermann Zwanzinger, Bundeskoordi- dass Einsatzmittel wie Waffen, techni- und aufgeregten Menschen bis zur 10 ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 1-2/21
Anhaltung verdächtiger Personen: Meldungen über mutmaßli- Cobra-Polizisten im Einsatz: Erfahrungen aus dem Austausch che Vorfälle an zahlreichen Orten. mit internationalen Sondereinheiten wurden umgesetzt. Ringstraße. „Unser Kontingent hat in der Tatnacht mit über 200 Beamten bei simultanen Szenarien, auf weitere dann auch noch bestimmte U-Bahn- in Wien im Einsatz. Brigadier Hannes Cobra-Teams zurückgreifen zu können. Stationen bewacht.“ Der Einsatz dauer- Gulnbrein, operativer Leiter des EKO „Viele Kollegen sind freiwillig in den te bis etwa 4 Uhr früh. „Die Übungen Cobra, hatte Dienst in der Zentrale in Dienst gekommen, haben sich ausgerü- in der Einsatzeinheit zur Zusammenar- Wiener Neustadt, als kurz nach 20 Uhr stet und sind nachgefahren, um die Be- beit bei Sonderlagen haben sich ausge- die Alarmsirene am Gelände ertönte: In reitschaft zu verstärken,“ berichtet zahlt“, ist Chefinspektor Hendrich der Leitzentrale des Cobra-Hauptquar- Gulnbrein. überzeugt. Die Abläufe hätten ihn zum tiers erfuhr er von den ersten Berichten Das Einsatzkommando Cobra ver- Teil auch an den Amoklauf in München über einen Attentäter in der Innenstadt, fügt in Österreich über acht Standorte – 2016 erinnert – der dortige Polizeiein- der „wahllos auf Passanten schießt“. Wien, Wiener Neustadt, Graz, Linz, satz war bei einem Seminar der Sicher- Die Cobra-Kräfte des Standortes Innsbruck, Salzburg, Klagenfurt/Krum- heitsakademie präsentiert worden. Wien waren zu dieser Zeit bereits aus- pendorf und Feldkirch/Giesingen. Jeder Neben der Einsatzeinheit Wien kam gefahren. „Der Journaldienst der Cobra Einsatzort in Österreich kann dadurch auch EE-Unterstützung aus den Bun- in Wien hört laufend die Wiener Funk- von Cobra-Kräften in circa einer Stun- desländern: Noch in der Nacht schickte kanäle mit und hat gleich ein erstes de erreicht werden. Die Ballungszen- die EE Niederösterreich über 80 An- Einsatzmodul entsendet“, erklärt Guln- tren werden in viel kürzerer Zeit „ein- gehörige nach Wien, die EE Burgen- brein. satztechnisch abgedeckt“. land insgesamt 42 Angehörige. Da die In Wien ist die WEGA seit Jahr- EE-Angehörigen in Niederösterreich zehnten durch ihre Sektorstreifen per- Einsatzabschnitt für Spezialeinsatz- und dem Burgenland ihre persönliche manent „auf der Straße“ und oft in kür- kräfte. Brigadier Gulnbrein, verant- Sonderausrüstung in der Freizeit zu zester Zeit mit Spezialausrüstung am wortlich für die Abteilung 3 der Direk- Hause haben und nicht erst am Einsatzort. Auch am 2. November war tion für Spezialeinheiten, fuhr zur Lan- Dienstort ausgestattet werden müssen, dies der Fall. Doch die Cobra hat auf- despolizeidirektion Wien am Schotten- war in kürzester Zeit eine große Ein- grund von internationalen Erfahrungen ring, wo gerade der Einsatzstab einge- satzbereitschaft gegeben. ihre Konzepte ebenfalls überarbeitet: 24 richtet worden war. Im Rahmen der Be- Es standen rund 1.000 Polizistinnen Stunden pro Tag ist ein Team in sofor- sonderen Ablauforganisation (BAO) und Polizisten im Einsatz. Darunter Spe- tiger Ausfahrtbereitschaft. „Unsere For- wurde ein Einsatzabschnitt für Spezial- zialeinsatzkräfte des Einsatzkommandos mel ist ‚Zeit ist Weg‘. Anschläge wie in einsatzkräfte gebildet – in diesem wur- Cobra/DSE und der Wiener Einsatz- Paris haben gezeigt, wie wichtig es ist, den die Wiener Cobra, die WEGA und gruppe Alarmabteilung (WEGA), Poli- so schnell wie möglich verfügbar zu die Cobra-Kräfte des „Stützpunktes FOTOS: GERD PACHAUER, ROLAND SCHLAGER/APA/PICTUREDESK.COM zeidiensthunde, die Bereitschaftseinheit sein“, betont Gulnbrein. Ost“ in Wiener Neustadt zusammenge- (BE), Einsatzeinheiten und spezielle Er- Der Wiener Cobra-Stützpunkt über- fasst. Innerhalb des Einsatzabschnittes mittlungsteams des Bundes- und Lan- nahm aufgrund der Ortskenntnisse und teilten sich Cobra und WEGA die ein- desamts für Verfassungsschutz und Ter- der vollen Informationslage in der Nähe langenden Meldungen auf und koordi- rorismusbekämpfung sowie Spezialisten des Schwedenplatzes die operative Ein- nierten, gegenseitig abgestimmt, ihre der Tatortgruppen des Landeskriminal- satzleitung der Cobra-Kräfte – in enger Teams im ganzen Stadtgebiet. amtes Wien. „Bei diesem Einsatz war Abstimmung mit der Einsatzleitung der Zusammen mit Direktor Bernhard jede einzelne Kollegin und jeder einzel- WEGA. Zur Verstärkung fuhren kurz Treibenreif, dem Leiter der DSE, führte ne Kollege unverzichtbar“, sagt Oberst darauf Cobra-Einsatzkräfte des „Stütz- Hannes Gulnbrein in den kommenden Ihle. punktes Ost“ in Wiener Neustadt Rich- Stunden auf strategisch übergeordneter tung Wien. „Die Alarmbereitschaft war Ebene die Cobra-Agenden vom LPD- Einsatzkommando Cobra. Die Direk- in wenigen Minuten auf der Autobahn.“ Gebäude aus. „Es ist uns gelungen, die tion für Spezialeinheiten, zu der das Später in der Nacht wurden weitere anfängliche Chaosphase relativ kurz zu Einsatzkommando (EKO) Cobra und Einsatzmodule aus Graz und Linz nach halten und in die dynamische Lage eine der Entschärfungsdienst gehören, war Wien verlegt, um im Bedarfsfall, etwa gewisse Ordnung zu bringen“, schildert ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 1-2/21 11
TERRORANSCHLAG IN WIEN Gulnbrein. Die Situation sei herausfor- dernd gewesen, weil ständig neue Mel- dungen eingelangt seien und viele un- bekannte Faktoren zu bewerten waren – sei es zur Bewaffnung, möglichen zu- sätzlichen Tätern und weiteren Tator- ten. So banden etwa Berichte über eine Geiselnahme in der Mariahilfer Straße oder die Flucht verdächtiger Personen in der U-Bahn Richtung Simmering Cobra- und WEGA-Kräfte, die sich in der Folge als falsch erwiesen. „Die Zusammenarbeit hat sehr gut funktioniert“, unterstreicht Gulnbrein. Dies sei einerseits den laufenden Ein- satzübungen in Österreich zu verdan- ken, bei denen Szenarien wie am 2. No- vember simuliert und das Zusammen- Einsatz- und Koordinationscenter im BMI: Zentrale Informations- und Kommunika- spiel der Sicherheitskräfte und anderer tionsstelle, wenn bei Groß- oder Sonderlagen ein Führungs- bzw. Koordinierungs- Behörden trainiert wurden, andererseits stab in einer LPD oder ein BMI-Stab im Innenministerium eingerichtet wird. dem fachlichen Austausch auf interna- tionaler Ebene mit anderen Antiterror- frage aus Frankreich ging ein, ob spezi- mittag im Auftrag des BVT und des einheiten. „Wir haben in den letzten elle Einsatzmittel benötigt würden. LVT vom EKO Cobra insgesamt 18 Jahren viele wichtige Erfahrungen von „Solche Angebote sind nicht nur ein Wohnungen gewaltsam geöffnet und Anschlägen wie in Paris, Brüssel, Mün- Zeichen für die exzellente Kooperation durchsucht, darunter die Wohnung des chen oder London in unsere taktischen innerhalb von ATLAS, sondern können Täters in Wien-Donaustadt. 13 Perso- Konzepte eingebaut.“ Dazu gehört die bei großen Sonderlagen eine wirkliche nen wurden festgenommen. Bildung „schneller Eingreif-Teams“ Entlastung bringen“, sagt Treibenreif. („Rapid Response Teams – RRT“) So wurden etwa Kräfte des Einsatz- BAO im BMI. Operativ und kommu- beim EKO Cobra, die etwa bei terrori- kommandos Cobra zur Amoklage 2016 nikativ stand am 2. November 2020 stischen Bedrohungslagen oder anderen in München oder zum G20-Gipfel 2017 und den Tagen und Wochen danach die Gefährdungslagen eingesetzt werden in Hamburg entsandt. „Durch die ge- Landespolizeidirektion Wien mit ihren können. Sie sollen beispielsweise in meinsamen Übungen im Rahmen von Führungskräften sowie Polizistinnen Regierungsvierteln, Einkaufszentren, ATLAS sind die Teams der verschiede- und Polizisten an erster Stelle bei der bei Sehenswürdigkeiten oder kritischer nen Staaten inzwischen sehr gut kom- Bewältigung der Terrorlage. Im Innen- Infrastruktur, wie auf Flughäfen, Prä- patibel und die Einsatzkomponenten ministerium wurde parallel dazu die senz zeigen und im Bedarfsfall durch leicht verstärkbar.“ Führungsfähigkeit des BMI und der sofortige Interventionen Täter identifi- Landespolizeidirektionen hergestellt. zieren und binden. Diese Cobra-Teams Festnahmen. Während es nach Mit- Wichtig ist dabei die Einrichtung einer sind in das Einsatzleitsystem der Lan- ternacht auf den Straßen langsam ruhi- besonderen Aufbauorganisation (BAO) desleitzentralen eingebunden. ger wurde und immer mehr Menschen zur Minimierung der Schnittstellen und die Restaurants und Veranstaltungsorte, Festlegung der Kommunikationswege ATLAS. Österreich, vertreten durch an denen sie stundenlang ausgeharrt gemäß der „Richtlinie der Sicherheits- das EKO Cobra/DSE, führt seit 2017 hatten, verlassen konnten, begann für exekutive bei besonderen Lagen (RF- den Vorsitz bei ATLAS, dem Anti-Ter- das Einsatzkommando Cobra die zwei- bL)“. Oberster Verantwortungsträger ist ror-Netzwerk europäischer Sonderein- te intensive Phase: Aufgrund eines ers- die Generaldirektion für die öffentliche heiten. Insgesamt 38 Einheiten aus al- ten Fotos, das mit einem Roboter des Sicherheit mit Generaldirektor Dr. len EU-Mitgliedstaaten, Island, Norwe- Entschärfungsdienstes aufgenommen Franz Ruf, MA an der Spitze. Das Vor- gen und der Schweiz pflegen in AT- wurde, war es relativ rasch gelungen, gehen bei einer Terrorlage wie am 2. LAS einen regelmäßigen Fachaus- die Identität des Attentäters zu klären November ist im Innenressort durch ei- tausch und trainieren grenzüberschrei- und mögliche weitere Verdächtige zu nen detaillierten Erlass geregelt. Mittels tende Einsätze. Über eine sichere Platt- benennen. „Zu diesem Zeitpunkt konn- Organigrammen und Arbeitsbehelfen form bei Europol können Informationen te man nicht ausschließen, dass es Mit- ist genau dokumentiert, wer welche verteilt werden. Schon bald nach den täter gibt und sich diese an der einen Maßnahme wann und in welcher Rei- ersten medialen Meldungen über einen oder anderen Örtlichkeit versteckt hal- henfolge durchführt. In einer ersten Re- Anschlag in Wien wurde das EKO ten und Widerstand leisten“, sagt Guln- aktion werden im Rahmen der BAO Cobra von Spezialeinheiten aus anderen brein. In einem Einsatzmodul der Cobra Einsatzleiter, Leiter des Stabes, Sachge- FOTO: GERD PACHAUER Staaten kontaktiert, die ihre Unterstüt- sind auch Einsatzsanitäter, Einsatztech- bietsleiter, Mitarbeiterinnen und Mitar- zung anboten: „Zu den ersten gehörten niker und taktische Entschärfer, die in beiter sowie Verbindungspersonen be- Kollegen aus Deutschland, der Slowa- der Lage sind, Sprengfallen oder Hand- stimmt und Kontakte zu internen und kei und Ungarn“, erinnert sich Direktor granaten zu deaktivieren. In mehreren externen Partnern aufgenommen. Die Bernhard Treibenreif. Auch eine An- Wellen wurden bis zum folgenden Vor- meisten Bediensteten im Stab kommen ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 1-2/21 13
TERRORANSCHLAG IN WIEN „aus der Linie“ des Innenressorts und Innenministerium und die operativen bringen entsprechende Ausbildungen BMI-Einheiten in Echtzeit mitlesen und Kenntnisse ein. Das seit 2006 im können. Daneben werden Lagebilder Innenministerium bestehende Einsatz- und Lageberichte erstellt und ständig und Koordinationscenter (EKC) bildet aktualisiert. Als wertvoll erweist sich eine zentrale Informations- und Kom- der Einsatz von Videokonferenzen für munikationsstelle, wenn bei sicherheits- Lagevorträge. Erforderlichenfalls legt polizeilichen, kriminalpolizeilichen die zuständige LPD einen Verbindungs- oder staatspolizeilichen Groß- und Son- beamten des LPD-Stabes als permanen- derlagen ein Führungs- bzw. Koordi- te Schnittstelle zum BMI für die nierungsstab in einer LPD bzw. ein Mit Kerzen und Blumen wird den Klärung von Detailfragen fest, um BMI-Stab im Innenministerium einge- Opfern des Terroranschlags in der Störungen des Arbeitsflusses gering zu richtet wird. Das EKC ist räumlich, Wiener Innenstadt gedacht. halten. Mit dem Stab im BMI konnte technisch und organisatorisch dafür am Abend des 2. November zielgerich- ausgestattet, bei einer Terrorlage den Reservenbildung (kurzfristig und mit- tet gesteuert und ein schneller Informa- vom Generaldirektor für die öffentliche telfristig für Ablösen nach zwölf und tionsaustausch aller beteiligter Stellen Sicherheit bestimmten Einsatzleiter und mehr Einsatzstunden). gewährleistet werden. Zu den ersten die fachlich zuständigen Organisations- Schritten gehörte die schnelle Vernet- einheiten, etwa das Bundeskriminalamt, Bei einer ersten Lagebeurteilung zung mit dem Bundeskriminalamt, über das Bundesamt für Verfassungsschutz werden gegebenenfalls Sofortmaßnah- das die Upload-Plattform für Bilder und und Terrorismusbekämpfung oder die men, Vorgaben und Vorbehalte für die Videos der Tat eingerichtet wurde. Abteilungen II/2 (Einsatzangelegenhei- operative Einsatzführung in den Lan- Während der Phase der Aufarbeitung ten) und II/13 (SKKM – Staatliches despolizeidirektionen und die operati- und Ermittlung war der BMI-Stab noch Krisen- und Katastrophenmanagement ven Einheiten des BMI, wie das Ein- bis 4. November 2020 durchgehend be- und Koordination Zivile Sicherheit) des satzkommando Cobra und den Verfas- setzt, im Anschluss gingen die Aufga- BMI, zu unterstützen. sungsschutz, definiert. Hauptaugenmerk ben auf den Permanenzdienst des EKC des BMI ist es, die Landespolizeidirek- über. EKC. Ministerialrat Wolfgang Nich- tionen nicht zu „übersteuern“, was die am, BA MA, Leiter des Einsatz- und operative Ebene betrifft – die Konzen- Geschehenes aufarbeiten. Der Ter- Koordinationscenters des BMI, saß am tration liegt auf strategischen Grund- roranschlag vom 2. November 2020 hat 2. November 2020 mit seiner Familie satzfragen, statt auf taktischem Mi- nicht nur die Bevölkerung zutiefst er- beim Abendessen, als er den Anruf ei- kromanagement. Dadurch wurde am 2. schüttert, sondern auch die Einsatzkräf- nes Mitarbeiters aus dem EKC-Perma- November letztlich die LPD Wien ent- te extrem gefordert. Selbst erfahrene nenzdienst erhielt: „Ein Polizist wurde lastet, die sich auf die operative Arbeit und routinierte Beamte können in einer angeschossen, weitere Schüsse fallen.“ konzentrieren konnte. solchen Situation an ihre Grenzen Nicham packte seine Sachen und brach Der Einsatzleiter im BMI muss im stoßen. Möglicherweise lassen sie die mit seinem Pkw in Richtung Wien auf. Auge behalten, ob die Umsetzung be- Erlebnisse und Bilder dieses Anschla- Schon kurz darauf gingen nähere Infor- stimmter Maßnahmen auf operativer ges nicht mehr los und bisherige Bewäl- mationen ein, die auf ein Anschlags- Ebene bereits beurteilt bzw. bereits an- tigungsstrategien – um schwierige Ein- szenario hindeuteten. In der „Chaos- geordnet wurde. Auszugsweise kann sätze zu verarbeiten – reichen nicht aus. phase“ muss schnell reagiert und koor- dies inkludieren: Robuster Raumschutz Der Psychologische Dienst des BMI, diniert werden – über Auftrag des Ge- an neuralgischen Örtlichkeiten, Schutz- der Peer Support und die Mitarbeiterbe- neraldirektors für die öffentliche Si- maßnahmen für gefährdete Objekte treuung der Landespolizeidirektion Wi- cherheit wurde ein Koordinierungsstab (wie Bahnhöfe, Flughäfen, Einkaufs- en sind allen am Einsatz beteiligten Po- im Innenministerium eingerichtet: Be- straßen, Verkehrsknotenpunkte), Eigen- lizisten persönlich, und bei der Aufar- dienstete in Rufbereitschaft wurden ak- objektschutz, Abstimmung der Medien- beitung der Geschehnisse unterstützend tiviert, zusätzliche Personalreserven für arbeit der LPD mit der Öffentlichkeits- zur Seite gestanden. „Meine Kollegen die Stabsarbeit angefordert und die arbeit des BMI, Aufrufe an die Bevöl- und ich sind einige Zeit nach dem for- Aufgaben, gemäß RFbL, in die ver- kerung, Einstellung öffentlicher Ver- dernden Einsatz nochmals die Tatorte in schiedenen Sachbereiche eingeteilt: kehrsmittel oder die Anforderung eines der Innenstadt gemeinsam abgegangen, Von der Öffentlichkeitsarbeit bis zur Assistenzeinsatzes. Für den BMI-Ein- um das Erlebte besser verarbeiten zu internationalen Vernetzung fand ab so- satzleiter bietet dabei das EKC durch können. An jenem Ort an dem der Täter fort alles unter dem Dach des BMI statt. vorbereitete Routineabläufe und ge- erschossen worden ist, haben Hin- Der koordinierende Stab im Innen- schultes Personal entsprechenden Rück- terbliebene Kerzen aufgestellt. Ein Pas- ministerium gewährleistet unter ande- halt, um sich auf die Führungsaufgaben sant hat mich daraufhin angesprochen rem ein laufend aktuelles, bundesweites konzentrieren zu können. und gefragt, was die Kerzen zu bedeu- Lagebild und das Informationsmanage- ten hätten. Ich entgegnete ihm, dass FOTO: WERNER SABITZER ment – sowohl BMI-intern, als auch Kommunikation. Grundsätzlich legt auch er, der Attentäter, Eltern habe“, re- bundesländerübergreifend und interna- jene LPD, die für einen Tatort zuständig sümiert Gruppeninspektor Christian H. tional, insbesondere mit den Nachbar- ist, ein fortschreibendes Protokoll im von der LLZ Wien. staaten, aber auch die bundesländerü- Einsatzprotokollsystem EPSweb an, das Gernot Burkert/Luis Hallwirth/Chris- bergreifende Ressourcensteuerung und die andere LPD, bestimmte Kräfte im tian Preischl/Gregor Wenda 14 ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 1-2/21
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